Die Gartenlaube (1896)/Heft 9
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Nr. 9. | 1896. | |
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Fata Morgana.
(8. Fortsetzung.)
Im Hause des Herrn von Osmar wurde das Weihnachtsfest gefeiert und er hatte selbstverständlich die drei deutschen Herren dazu eingeladen. Sonneck, der am nächsten Tage seine Leute mit dem Gepäck aus Kairo erwartete, wollte dann unverzüglich aufbrechen, und aus diesem Grunde waren die Einladungen nicht weiter ausgedehnt worden. Man wollte noch einmal im engsten Kreise bei einander sein, bevor der Freund des Hauses auf lange Zeit schied. Man sah ihn freilich diesmal nicht ungern scheiden, denn mit ihm zog auch der Störenfried, der nun einmal sein unzertrennlicher Begleiter war, hinaus in die weite Ferne.
Der Konsul hatte es während der letzten Zeit doch eingesehen, daß die thörichte Schwärmerei seiner Tochter ernster zu nehmen sei als eine bloße Laune, wenn er auch noch immer nicht an eine wirkliche Gefahr glaubte. Daß Zenaide eine geheime Neigung für diesen Reinhart Ehrwald hegte, war nicht zu verkennen, aber Osmar wollte seinen Freund nicht beleidigen, indem er dessen
[134] Schützling sein Haus verbot. Ueberdies wünschte er jeden gewaltsamen Schritt zu vermeiden, denn das hätte der Sache eine Wichtigkeit gegeben, die sie nicht haben sollte und durfte, es war am besten, sie einfach totzuschweigen. Der Konsul zweifelte nicht daran, daß seine Tochter sich schließlich doch seinen Wünschen fügen werde; und der Roman nahm von selbst ein Ende, sobald der Held desselben vom Schauplatz verschwand. Zum Glück war der junge Mann taktvoll oder empfindlich genug, den wortlosen Wink zu verstehen, den man ihm gab, und blieb möglichst fern.
Lord Marwood, der sich nun schon mehrere Wochen als Gast in Luksor befand, war freilich mit seiner Bewerbung noch keinen Schritt vorwärts gekommen. Die Hoffnungen, welche er auf das tägliche ungestörte Beisammensein gesetzt hatte, verwirklichten sich nicht. Wenn Zenaide in Kairo ihm gegenüber gleichgültig gewesen war, so zeigte sie jetzt eine entschieden ablehnende Haltung, so daß der junge Lord noch gar nicht versucht hatte, mit einem Antrage hervorzutreten, dessen Mißerfolg er voraussah. Trotzdem dachte er nicht daran, seine Werbung aufzugeben. Francis gehörte zu jenen zähen beharrlichen Naturen, die das, was sie sich einmal in den Kopf gesetzt haben, um jeden Preis durchführen, sei es auch aus bloßem Eigensinn. Er wußte, welchen mächtigen Rückhalt er an dem Vater hatte, und baute darauf. Mit Ehrwald, den er bei dessen seltenen Besuchen doch immerhin sehen mußte, hatte er sich auf den Fuß eisiger Ablehnung gestellt, die kaum durch die äußeren Formen der Höflichkeit verschleiert wurde, und das war in der That die einzig mögliche Art des Verkehrs zwischen ihnen.
Der Landsitz des Generalkonsuls entsprach ebenso wie sein Haus in Kairo seinem Reichtum, aber hier am Nil herrschte das orientalische Element entschieden vor. Es war ein Sommerpalast, wie ihn die vornehmen Aegypter zu bewohnen pflegen, ein weißes, schimmerndes Gebäude mit luftigen Hallen und Terrassen, von einem förmlichen Walde der schönsten Palmen umgeben. Wie ein Märchenschloß lag es da am hohen Uferrande des Nils und blickte weit hinaus in das Land.
Die große Halle, die den ganzen mittleren Raum des Hauses einnahm, trug gleichfalls ein echt morgenländisches Gepräge. Die Diwans an den Wänden waren mit reichen Teppichen bedeckt, Schaukelstühle, kleine Tische und Sessel aus zierlichem Bambusgeflecht standen überall zerstreut, und in der Mitte sandte eine Fontäne ihren hellen kühlen Strahl empor, von Palmenfächern und blühenden tropischen Gewächsen umgeben. Hier stand auch der Christbaum, eine hohe Tanne, die vom Südabhange der deutschen Alpen stammte, man hatte sie mit der Wurzel ausgehoben und keine Mühe gespart, um sie frisch zu erhalten. Sie hatte die weite Reise über das Meer und den Nil aufwärts gemacht, jetzt stand sie hier im fernen Wüstenlande und breitete ihre dunkelgrünen, harzduftenden Zweige aus, die nach deutscher Sitte mit Lichtern geschmückt waren.
Die kleine Gesellschaft war soeben vom Tische aufgestanden und hatte sich in der Halle niedergelassen; man befand sich im lebhaften Gespräch, nur Zenaide nahm fast gar keinen Anteil daran. Sie lehnte schweigsam und träumerisch in einem Schaukelstuhl, der etwas abseits stand, die kleine Elsa dagegen lief mit lautem Jubel um den Christbaum und staunte die strahlenden Lichter an. Man hatte sie bereits angezündet, obwohl es draußen noch Tag war, aber in dem hohen halbdunklen Raume leuchteten sie schon mit vollem Glanze.
„Sieh Dir den Christbaum an, Reinhart!“ sagte Sonneck halb scherzend. „Wer weiß, wann Du wieder einen zu sehen bekommst. Wir kehren ja jetzt der ganzen europäischen Civilisation auf Jahre hinaus den Rücken.“
„Denken Sie so lange fortzubleiben?“ fragte Lord Marwood in seiner gewohnten kühlen Art.
„Ich habe vorläufig zwei Jahre für unsere Expedition in Aussicht genommen, das heißt, wenn wir ohne Hindernisse und Zwischenfälle unser Ziel erreichen und den Rückzug ebenso bewerkstelligen können. Darauf ist aber nicht zu rechnen bei einem solchen Unternehmen. Wir werden mit den elementaren Gewalten ebenso zu kämpfen haben wie mit der Feindseligkeit der Eingeborenen und der Unzuverlässigkeit unserer eigenen Leute. Ein Weg, den man offen glaubt, verschließt sich oft durch irgend ein zufälliges Ereignis. Wo man vorwärts zu kommen hoffte, wird man tage- und wochenlang aufgehalten, und der Durchzug durch manche Gebiete muß erst erobert werden. Das alles ist unberechenbar, und es kann leicht noch ein Jahr länger dauern, bevor wir zurückkehren.“
Der junge Lord schien diese Auskunft ungemein befriedigend zu finden, mit beinahe heiterer Miene trat er zu der jungen Dame und versuchte eine Unterhaltung anzuknüpfen. Der Konsul aber sagte kopfschüttelnd: „Ein aufreibendes Leben, voll ewiger Kämpfe und Gefahren! Mich soll nur wundern, wie lange Sie es noch aushalten, Sonneck! Ich wäre nicht geschaffen dafür.“
„Man gewöhnt sich eben daran wie an alles, und der wilde Bursche da“ – Sonneck wies auf seinen jungen Gefährten – „der freut sich ja maßlos darauf. Er weiß sich gar nicht zu fassen vor Jubel darüber, daß es nun endlich fortgeht und er die Ferne mit ihren Wundern wie mit ihren Gefahren kennenlernen soll. Nun, sie wird ihm beides nicht schuldig bleiben.“
„Das hoffe ich!“ rief Reinhart aufflammend. „Ich habe es mir auch verdient durch das lange, endlose Warten. Jetzt geht es hinaus – Gott sei Dank!“
Die stürmische Freude, die in den Worten lag, entlockte sogar Herrn von Osmar ein flüchtiges Lächeln. Der junge Mann da mochte ja vielleicht einmal kecke Wünsche und Hoffnungen gehegt haben, aber er hatte wohl längst eingesehen, daß sie sich nicht verwirklichen ließen. Jetzt stand die alte Abenteurerlust wieder bei ihm im Vordergrunde, und die gönnte er ihm von Herzen.
„Ja, so ist die Jugend!“ sagte Professor Leutold ärgerlich. „An den ernsten wissenschaftlichen Zweck denkt sie gar nicht, sie hat nur die Abenteuer der Reise im Kopfe, und je toller es dabei zugeht, um so besser ist es.“
Lord Marwood hatte sich inzwischen Mühe gegeben, die Aufmerksamkeit der jungen Dame zu wecken, aber umsonst. Sie antwortete einsilbig und zerstreut und schien kaum zu hören, was er sagte. Sie war überhaupt heute abend auffallend bleich und still, und ihr Auge verlor sich immer wieder träumend in die Ferne, als sei sie mit ihren Gedanken ganz wo anders.
Da trat Reinhart Ehrwald heran und wandte sich mit einer ganz gleichgültigen Frage an sie. Zenaide schreckte leicht zusammen bei dem Klang seiner Stimme, aber ihr blasses Antlitz gewann einen rosigen Schein, der Blick belebte sich, fort waren Zerstreutheit und Träumerei und auf ihren Lippen erschien jenes Lächeln, das sie so reizend machte. Francis zog finster die Stirn zusammen, er kannte ja diese Zeichen, die er nicht zum erstenmal beobachtete, aber sie erfüllten ihn immer wieder von neuem mit eifersüchtiger Wut.
Eben ging drüben hinter den Palmen des jenseitigen Nilufers die Sonne unter und nun entfaltete sich jenes sinnberückende Farbenspiel, das hier stets den Sonnenuntergang zu begleiten pflegt. Himmel und Erde erglühten in feuriger Pracht, das leuchtete, flammte und blitzte überall und spiegelte sich wieder in den Fluten des Stromes. Es war ein Bild, wie mit Glutfarben gemalt, von fremdartiger, blendender Schönheit.
„Ein seltsames Weihnachtsfest!“ sagte Reinhart, der wie verloren schien in den Anblick. „Im vergangenen Jahre hätte ich es mir nicht träumen lassen, daß ich es hier am Nil verleben würde.“
„Und doch finden Sie auch hier einen Gruß aus der Heimat!“ warf Zenaide lächelnd hin. „Unsere Tanne stammt aus den deutschen Alpen.“
Ehrwald wandte sich um und blickte auf den strahlenden Christbaum.
„Die arme Tanne! Sie steht so fremd hier im heißen Afrika, unter Palmen und Tropenblüten. Es ist, als sehne sie sich nach Eis und Schnee.“
„Ja, das können wir ihr hier freilich nicht schaffen,“ scherzte die junge Dame. „Ich glaube beinahe, Sie sehnen sich auch danach, und wir feiern doch hier ein viel schöneres Weihnachtsfest als droben im kalten Norden, wo es stürmt und schneit. Mich friert schon bei dem bloßen Gedanken daran.“
„Weil Sie es nicht kennen! Das ist ja kein Weihnachten, was Sie hier feiern, unter diesem flammenden Himmel, das ist ein Fest wie jedes andere, eins von den Märchen aus ‚Tausend und eine Nacht‘. In unseren Bergen, da kommt das Christfest mit klingendem Frost, mit sternfunkelndem Himmel und leuchtendem Mondesglanz. Blendender Schnee ringsum, auf den Höhen, in den Thälern, auf den dunklen Tannen, die ganze Welt erstarrt in eisiger Pracht wie ein funkelndes Zauberreich. Aber um Mitternacht, da löst sich der Bann, da ziehen die Glockenklänge über Berg und Thal, das fernste Kirchlein, das kleinste Kapellchen [135] erhebt seine Stimme, um die heilige Nacht zu grüßen, und aus den Tiefen des finsteren verschneiten Waldes, da taucht er wieder auf, der Weihnachtszauber, der uns in unserer Kindheit umspann mit seinen Märchen und Sagen – das muß man erlebt haben, um es zu lieben!“
Zenaides Augen hingen an seinen Lippen, diese halb phantastische, halb leidenschaftliche Sprache fand einen Wiederhall in ihrem Innern. Lord Marwood mußte wieder einmal die Erfahrung machen, daß er gar nicht da zu sein schien für die junge Dame, sobald jener andere in ihrer Nähe war. Trotzdem wich und wankte er nicht von seinem Platze; glücklicherweise that der Professor jetzt eine Frage an Ehrwald, die diesen nötigte, wieder zu den Herren zu treten, und Francis behauptete das Feld. Da kam die kleine Elsa gelaufen, mit einem kleinen Tannenzweig, den ihr Sonneck vom Christbaum gebrochen hatte, und rief fröhlich: „Schau, Tante Zenaide, was ich habe! Ich will in den Garten gehen und es Hassan zeigen. Darf ich?“
„Ja, Elsa, ich gehe mit Dir – komm, mein Kind,“ sagte die junge Dame, indem sie sich rasch erhob. Sie nahm die Hand des Kindes, neigte leicht das Haupt gegen Marwood und schritt über die Terrasse in den Garten. Francis biß sich auf die Lippen, und in seinen matten Augen lag ein beinahe drohender Ausdruck, als er ihr nachblickte. Es war gut, daß dieser Mensch nun endlich ging, sonst ließ man sich doch noch einmal hinreißen ihm gegenüber!
Am Ende des Gartens, weit entfernt von dem Hause, breitete eine mächtige Sykomore ihre dunklen Aeste über einen Ruhesitz. Hier saß Zenaide, sie hatte beide Arme um ihren kleinen Liebling gelegt und das lange zurückgehaltene Weh machte sich jetzt in Thränen Luft. Sie hatte alles gehofft von diesem Aufenthalte in Luksor, wo man sich öfter und zwangloser sehen konnte als in der Stadt, und nun war ihr Reinhart hier so fern gewesen wie nie zuvor. Er war kaum dreimal gekommen in der ganzen Zeit. Wagte er es wirklich nicht, um die reiche, gefeierte Erbin zu werben, oder hatte sie sich getäuscht damals, als er so weich und bittend fragte: darf ich kommen? Jetzt stand die Trennung unmittelbar bevor und er hatte nicht gesprochen!
Das Kind versuchte vergebens, seine junge Beschützerin zu trösten, an der es mit großer Zärtlichkeit hing; es schmeichelte, bat und fragte immer wieder, warum denn die Tante so weine. Da preßte Zenaide die Kleine an sich und flüsterte in ausbrechendem Schmerz und völliger Selbstvergessenheit: „Weißt Du es denn nicht, Elsa? Er geht ja fort und kommt vielleicht niemals wieder!“
Klein-Elsa war ein kluges Kind, sie wußte ganz genau, wer in den nächsten Tagen fortging, und wußte auch, daß mit dem „er“ nicht der Onkel Sonneck gemeint sei. Aber der kurze Waffenstillstand, den sie in jener seltsamen Mittagsstunde mit ihrem alten Gegner geschlossen hatte, war längst schon wieder vorüber. Sie warf daher trotzig das Köpfchen zurück und sagte mit großer Entschiedenheit: „Laß ihn gehen, Tante Zenaide! Du sollst nicht um ihn weinen, ich mag ihn gar nicht!“
Da ertönten Schritte in unmittelbarer Nähe, Zenaide schreckte empor, aber sie hatte keine Zeit mehr, ihre Thränen zu trocknen, denn Ehrwald stand bereits vor ihr. Er wollte rasch näher treten, da warf er einen Blick auf ihr Gesicht und hielt bestürzt inne.
„Mein gnädiges Fräulein – ich bitte um Verzeihung – ich störe wohl?“
Die junge Dame hatte sich rasch gefaßt, sie erhob sich, die Arme noch um die Schultern des Kindes gelegt, und versuchte zu lächeln.
„Nicht doch, ich ich weinte nur, weil ich nun meinen kleinen Liebling verlieren soll, und ich hätte ihn doch so gern behalten. Er soll ja fort, schon in den nächsten Tagen!“
Reinhart sah sie an, er wußte es besser, welcher Trennung diese Thränen galten, aber er gab sich natürlich den Anschein, dem Vorwande zu glauben, und begann ein Gespräch. Sie fanden aber beide den gewohnten Ton nicht, sie hatten etwas ganz anderes auf dem Herzen als die gleichgültigen Worte, die von ihren Lippen fielen, und es traten immer wieder längere oder kürzere Pausen ein.
Die Farbenglut des Sonnenunterganges war verblaßt, nur am westlichen Horizont schimmerte noch tiefer Purpur, und sein letzter Wiederschein glänzte in den Fluten des Nils. Drüben am jenseitigen Ufer schritt langsam ein Zug von Kamelen dahin, auf dem ersten ein Beduine, in weißem wallenden Gewande, die anderen trugen hochgetürmte Lasten. Sie hoben sich scharf und dunkel wie Silhouetten ab von dem lichten Abendhimmel. Auf dem Nil schwamm eine Dahabiye vorüber, das Segel leicht geschwellt vom Abendwinde, während die Ruder sich taktmäßig hoben und senkten. Der Gesang der Schiffer klang herüber durch die Stille, eine einförmige, schwermütige Weise, die vielleicht schon vor mehr als tausend Jahren erklungen war auf den Wogen des alten heiligen Stromes.
„Ich komme auch, um Lebewohl zu sagen!“ hob Reinhart nach einem längeren Stillschweigen wieder an.
Zenaide erbleichte. „Schon jetzt?“
„Ich werde morgen mit Herrn Sonneck den förmlichen Abschiedsbesuch machen, aber da sehe ich Sie nur in Gegenwart Ihres Vaters und des Lord Marwood, und ich wollte Sie vorher noch einmal allein sehen und sprechen.“
Das junge Mädchen antwortete nicht, aber alles Blut drängte stürmisch nach ihrem Herzen. Wollte er jetzt endlich das entscheidende Wort sprechen – endlich?
„Ich bin in der letzten Zeit Ihrem Hause größtenteils ferngeblieben,“ fuhr Reinhart fort. „Sie haben mir einen Vorwurf daraus gemacht, ich weiß es.“
„Wenigstens habe ich es mir nicht erklären können. Warum kamen Sie nicht?“
„Weil ich es nicht ertragen kann, ein unwillkommener Gast zu sein.“
„Unwillkommen – bei mir?“
„Nicht bei Ihnen, aber bei Ihrem Vater!“
„Er hat Sie doch nicht beleidigt?“ Es klang eine geheime Angst in der Frage.
„Nein, dann wäre ich nicht hier. Der Herr Konsul behandelt mich sehr höflich – sonst jedoch war er gütig gegen mich.“
Zenaide schwieg, sie hatte ja auch die wortlose, aber unzweideutige Abwehr ihres Vaters bemerkt und kannte längst seine Pläne hinsichtlich Lord Marwoods, aber sie hatte seinem voraussichtlichen Widerstande nie größeres Gewicht beigelegt, wenn sie auch darauf gefaßt war, für ihre Liebe kämpfen zu müssen. Der Vater liebte seine einzige Tochter über alles, er würde schließlich doch nachgeben.
Die kleine Elsa schien dies Gespräch mit den langen Pausen sehr langweilig zu finden. Ueberdies sah sie, daß Tante Zenaide jetzt vollständig getröstet war, sie ergriff daher ihren Tannenzweig und rief: „Nun will ich gehen und Hassan suchen!“
„Ja, geh, Elsa, wir können Dich jetzt ohnehin nicht brauchen,“ sagte Reinhart und griff scherzend nach dem Blondhaar, das offen über die Schulter des Kindes fiel. Das nahm die Kleine aber gewaltig übel, sie wich zurück und rief zornig: „Laß mich! Du bist schuld daran, daß Tante Zenaide geweint hat. Du bist immer schuld, wenn sie weint!“
„Elsa!“ rief die junge Dame bestürzt, aber die Kleine sprach unerbittlich weiter: „Warum gehst Du fort? Tante Zenaide mag das nicht. Sie will, Du sollst hier bleiben, dann weint sie nicht mehr!“
Sie blitzte ihn noch einmal zornig an mit ihren großen Augen und lief dann fort. Zenaide war in tödlicher Scham und Verlegenheit auf den Sitz niedergesunken und verbarg das Gesicht in den Händen. Reinhart beugte sich tief zu ihr hinab und sagte leise: „Zenaide!“
Sie regte sich nicht, aber er hörte einen Laut, der wie unterdrücktes Schluchzen klang.
„Zenaide – hat das Kind recht?“
Sie ließ langsam die Hände sinken und hob die Augen zu ihm empor, die Antwort stand so deutlich darin, daß wohl jeder andere ohne weitere Erklärung die Geliebte an sein Herz gezogen hätte; der sonst so stürmische Ehrwald that das nicht. Er ließ sich nur an ihrer Seite nieder, aber seine Stimme hatte wieder jenen weichen, verschleierten Ton, den sie nur einmal von seinen Lippen gehört hatte, damals in Kairo, als sie allein waren auf der dunklen Terrasse, unter dem sternfunkelnden Himmel. Jetzt vernahm sie ihn wieder und in die Worte hinein klang jener Gesang vom Nil her, die uralte schwermütige Weise, aber sie tönte leiser und ferner, wie das Schiff immer weiter und weiter dahinzog.
„Zürnen Sie mir, daß ich bisher noch nicht gesprochen habe? Ich sah Sie ja niemals allein hier, aber jetzt, wo die Trennung unmittelbar bevorsteht, habe ich noch eine Frage, eine Bitte auf dem Herzen und ich möchte die Antwort mit mir hinausnehmen in die Ferne. Sie wissen es ja, ich muß fort –“
„Warum müssen Sie? Es zwingt Sie ja niemand dazu!“ unterbrach ihn die junge Dame unbedacht.
[136] Er sah sie groß und erstaunt an.
„Warum? Soll ich etwa hier bleiben?“
Zenaide sah bereits ihre Uebereilung ein. Sie hatte allerdings gemeint, ihr künftiger Gatte brauche nicht erst hinauszuziehen in tausend Gefahren, um sich eine Lebensstellung zu erringen, aber sein beinahe zorniges Erstaunen zeigte ihr, daß sie es nicht wagen dürfte, diesen Punkt wieder zu berühren.
„Ich soll mir auf dieser Reise ja erst die Sporen verdienen,“ begann er von neuem. „Aber Sie haben es vorhin von Sonneck gehört, es kann Jahre dauern, ehe wir zurückkehren, und bis dahin ist der Abwesende wohl längst vergessen.“
„Nein!“ sagte Zenaide leise.
„Wirklich nicht?“
„Nein, Reinhart, ich vergesse Sie nie!“
Die dunklen feuchtschimmernden Augen blickten mit der vollsten Hingebung der Liebe zu ihm auf. Vom Nil her klangen halb verweht die letzten Töne des Gesanges, dann erstarben sie in der Ferne.
Reinhart hatte den Arm um die zarte, bebende Gestalt gelegt, sie ließ es geschehen und ihr Haupt sank an seine Schulter, während er leidenschaftlich flüsterte: „Nun, so laß es mich denn aussprechen und Dir sagen –“
„Zenaide! – Ehrwald!“ tönte plötzlich eine zornige Stimme. Die beiden fuhren auf, wenig Schritte von ihnen entfernt stand Herr von Osmar, der soeben aus dem Gebüsch hervorgetreten war, und sah mit sprühenden Augen auf die Gruppe.
Reinhart faßte sich zuerst, er hatte Zenaide aus dem Arm gelassen und trat rasch auf Osmar zu.
„Herr Konsul, gestatten Sie mir, Ihnen zu erklären –“
„Es bedarf keiner Erklärung, ich sah genug!“ herrschte ihm der erzürnte Vater entgegen. „Sie haben vergessen, in wessen Hause Sie sind – entfernen Sie sich sofort!“
Dem jungen Manne stieg das Blut heiß in die Schläfe bei diesem Tone, aber er richtete sich hoch und fest auf.
„Sie sind im Irrtum, Herr Konsul. Ich weiß sehr gut, wo ich mich befinde, aber ich hatte eine Frage an Fräulein von Osmar zu richten, eine Frage, die ich schon in der nächsten Stunde bei Ihnen wiederholt haben würde. Sie begreifen es wohl, daß ich zuerst Zenaidens Antwort hören mußte.“
Osmar glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen: das war ja eine Werbung in aller Form, so hätte Lord Marwood sprechen dürfen, wenn der Vater ihn zufällig bei seinem Antrage überrascht hätte! Was erlaubte sich denn dieser junge Mensch eigentlich? Aber es galt, sich zu beherrschen, zum Glück war niemand in der Nähe, doch in der Abendstille hörte man deutlich das Lachen und Jauchzen der kleinen Elsa, die nun ihren Spielgefährten glücklich aufgefunden hatte und sich mit ihm umherjagte. Ein lautes, erregtes Gespräch konnte wohl auch im Hause gehört werden, der Konsul dämpfte die Stimme, aber sie klang trotzdem in äußerster Gereiztheit, als er sagte: „Ich ersuche Sie ein für allemal, mich mit solchen Fragen zu verschonen! Zenaide, Du kehrst augenblicklich in das Haus zurück, überlaß mir die Auseinandersetzung mit diesem Herrn da.“
Es war das erste Mal, daß Osmar seiner Tochter gegenüber einen Befehl aussprach, aber er irrte sehr, wenn er auf Gehorsam rechnete. Zenaide hatte ihre anfängliche Bestürzung bereits überwunden und stellte sich nun entschlossen an die Seite des Geliebten, während sie halb angstvoll, halb bittend rief: „Papa, Du beleidigst Herrn Ehrwald! Ich habe ihm das Recht zu einer solchen Frage gegeben und ich werde ihm auch die Antwort geben, die –“
„Du hast noch nicht über Dich zu verfügen,“ schnitt ihr Osmar das Wort ab. „Die Entscheidung steht mir zu und ich denke, Du bist nicht im Zweifel darüber, wie sie lautet. Herr Ehrwald, ich ersuche Sie noch einmal, sich zu entfernen und mein Haus nicht wieder zu betreten.“
Zenaide blickte mit dem Ausdruck flehender Angst zu Reinhart empor. Sie sah es nur zu gut, wie sein ganzes Innere sich aufbäumte bei dieser Behandlung, wie er nur mit dem Aufgebot der äußersten Willenskraft seine Selbstbeherrschung behauptete. Ohne dem Konsul zu antworten, wandte er sich zu ihr.
„Zenaide, Sie werden es begreifen, daß ich dieser Aufforderung unverzüglich nachkomme. Die Art, wie Herr von Osmar die Sache auffaßt, macht jede weitere Auseinandersetzung unmöglich.“
Er wandte sich zum Gehen, aber das junge Mädchen legte beide Hände auf seinen Arm und rief mit verzweiflungsvoller Energie: „Bleiben Sie, Reinhart, mein Vater wird diese Worte, diese Beleidigung zurücknehmen, wenn ich ihm sage, daß ich Sie liebe, daß ich nur Ihnen angehören will und keinem anderen! Du hast es gehört, Papa, ich liebe Reinhart, und wenn er mich zum Weibe fordert, so folge ich ihm, wohin er mich auch führt.“
Sie sprach zu ihrem Vater, aber ihre Augen hingen dabei an dem Geliebten, doch jenes beseeligte Aufflammen, das sie nach dieser Erklärung erwartete, das hätte kommen müssen, hier blieb es aus! Der beleidigte Stolz überwog bei dem jungen Manne, er zog ihre Hand an die Lippen, aber er sprach nicht, sondern blickte stumm und finster zu dem Konsul hinüber, der im ersten Augenblick ganz fassungslos war. Er sah erst jetzt den ganzen Ernst der Sache, die er sorglos genug hatte wachsen lassen, weil er sie nicht für bedrohlich hielt. Jetzt blieb freilich nur noch der Gewaltschritt übrig, den er hatte vermeiden wollen, und er zögerte nicht, ihn zu thun.
Scheinbar ruhig trat er zu seiner Tochter, löste ihre Hände und zog ihren Arm in den seinigen, aber seine Stimme hatte eine eisige schneidende Schärfe, als er sagte: „Mein Kind, Du bist noch sehr jung und unerfahren, es ist nicht schwer gewesen, Dich zu bethören. Zum Glück bin ich noch da und werde Dich davor bewahren, die Beute des ersten besten – Glücksritters zu werden, der mit Deiner Hand Reichtum und Lebensstellung zu erringen versucht!“
Die Worte erreichten nur zu gut ihren Zweck. Ehrwald zuckte zusammen, als habe ihn ein Schlag getroffen, die Glut des Zornes in seinem Antlitz wich einer Totenblässe und mit einem halb erstickten Aufschrei machte er eine Bewegung, als wollte er sich auf den Beleidiger stürzen. Erst Zenaidens Ruf „Reinhart, um Gottes willen!“ brachte ihn wieder zur Besinnung. Er trat zurück, aber es lag ein erschreckender Ausdruck in seinem Gesichte, und als er endlich sprach, hörte man es seiner Stimme an, was die wenigen Worte ihn kosteten:
„Mein gnädiges Fräulein, vergessen Sie, was ich vorhin gesprochen habe, wie ich Ihre Antwort vergessen werde. Ich habe keine Frage und keine Bitte mehr an Sie zu richten – leben Sie wohl!“
Er ging, Zenaide wollte ihm nacheilen, aber der Vater hielt ihren Arm fest und gab sie nicht frei.
„Was hast Du gethan!“ rief sie außer sich.
„Was notwendig war!“ entgegnete Osmar kalt. „Wie notwendig, das sehe ich erst in diesem Augenblicke. Fasse Dich, Zenaide, Kind! Ich habe Dir jetzt einen Jugendtraum zerstören müssen, Du wirst es mir einst noch danken, daß ich es Dir verwehrte, Dich ins Unglück zu stürzen.“
„Danken?“ brach das junge Mädchen verzweiflungsvoll aus. „Das Glück meines Lebens hast Du mir genommen, ich finde es nur bei ihm! Du hast Reinhart bis auf den Tod beleidigt, das vergiebt er Dir nie, aber ich – ich gebe mein Vaterhaus, meinen Reichtum, gebe alles, alles hin, um seinetwillen – wenn er es fordert!“
Der Konsul stand erschreckt und bestürzt vor diesem Ausbruch einer glühenden, wilden Leidenschaftlichkeit, die plötzlich wie mit elementarer Gewalt aus dem Inneren des sonst so sanften, zarten Wesens hervorblitzte. Er kannte seine Tochter gar nicht wieder.
„Zenaide, bist Du von Sinnen?“ rief er, mehr angstvoll als zornig. Sie antwortete nicht, aber sie riß sich los, und auf den Ruhesitz niedersinkend, brach sie in ein lautes, krampfhaftes Weinen aus.
Reinhart schritt inzwischen in stürmischer Eile durch den Garten. Er wollte nur fort von dieser Stätte und ihr auf immer den Rücken kehren. In diesem Augenblick haßte er den Konsul bis aufs Blut und hatte nicht einmal Empfindung für die mutige Hingebung, mit der Zenaide ihre Liebe verteidigt hatte – das ging alles unter in dem erlittenen Schimpf! Mit fest zusammengebissenen Zähnen und einem Gesicht, das den ganzen Aufruhr seines Inneren verriet, eilte er vorwärts, als brenne ihm der Boden unter den Füßen.
Da wurde plötzlich ein Gebüsch ihm zur Seite auseinandergebogen und das Köpfchen der kleinen Elsa lugte hervor. Sie spielte Verstecken mit Hassan; als sie aber den jungen Mann gewahrte, vergaß sie das Spiel, lief auf ihn zu und fragte: „Gehst Du nun doch fort?“
Reinhart blieb stehen, die Kinderstimme schien eine eigentümliche Wirkung auf ihn zu üben. Er strich langsam mit der Hand über die Stirn, aber in seiner Stimme klang die herbste Bitterkeit, als er antwortete: „Ja, ich gehe – und ich komme nie wieder!“
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[138] Die Kleine sah fragend zu ihm auf, da hob er sie plötzlich mit beiden Armen hoch empor, wie damals in jener geheimnisvollen Mittagstunde, als die Fata Morgana vor ihnen auftauchte, und flüsterte in einem seltsam leidenschaftlichen Tone: „Und Dich sehe ich auch wohl niemals wieder im Leben, kleine Elsa. Wenn Du heimkommst, dann vergiß nicht den Gruß, den ich Dir aufgetragen habe, den Gruß an die Heimat, hörst Du? Leb’ wohl, Du böses – Du süßes kleines Ding!“
Und rasch, ehe das Kind sich noch sträuben konnte, küßte er es, setzte es dann auf den Boden nieder und stürmte davon.
Es war in den Morgenstunden des nächsten Tages. Zenaide befand sich in ihrem Zimmer, mit Lothar Sonneck, der vor einer halben Stunde gekommen war. Man sah es an ihrem bleichen, überwachten Antlitz, daß sie die Nacht durchweint hatte, und ihr ganzes Wesen verriet eine fieberhafte Erregung.
„Also auch Sie versagen uns Ihren Beistand?“ fragte sie mit schmerzlichem Vorwurf. „Auf Sie hatte ich gebaut, Sie waren meine letzte, meine einzige Hoffnung und Sie wollen uns nicht helfen?“
„Ich kann nicht, Zenaide,“ entgegnete Sonneck ernst. „Ihr Vater würde es als einen Verrat an unserer Freundschaft ansehen, wollte ich heimlich begünstigen, was er offen verbietet – und mit vollem Rechte.“
„Mit vollem Rechte – wo er selbst so ungerecht, so grenzenlos hart ist?“
„Gleichviel, es ist Ihr Vater und Sie müssen sich seinem Willen fügen, für den Augenblick wenigstens.“
„Ich will mich aber nicht fügen!“ rief das junge Mädchen ungestüm. „Ich will mir nicht durch ein bloßes Machtwort mein ganzes Lebensglück zertrümmern lassen. Sie wissen ja, was geschehen ist.“
„Allerdings, und eben deshalb halte ich jedes Eingreifen für nutzlos. Hier ist nichts mehr zu vermitteln.“
„Weil Reinhart bis auf den Tod beleidigt ist? Ich weiß es, und eben deshalb muß ich ihn noch einmal sprechen. Ich muß, koste es, was es wolle, und Sie müssen uns dazu helfen. Wenn unsere Zusammenkunft in Ihrer Gegenwart, unter Ihrem Schutze geschieht, kann sie nicht mißdeutet werden.“
„Aber ich trage die volle Verantwortung dafür!“ fiel Sonneck mit schwerem Nachdruck ein. „Ich wiederhole Ihnen, daß ich das nicht kann und darf. Erzwingen Sie sich von Ihrem Vater die Erlaubnis zu diesem letzten Wiedersehen, und ich bin gern bereit, es unter meinen Schutz zu nehmen, aber heimlich, hinter seinem Rücken – nein!“
„Aber wenn ich Sie bitte!“ Zenaide legte wie beschwörend beide Hände auf seinen Arm. „Wenn ich Sie anflehe in Todesangst? Mein Gott, es ist ja nichts Böses, was ich will! Ich kann Reinhart nicht zumuten, das Haus wieder zu betreten, wo man ihm das angethan hat, und wenn er jetzt geht, mit dieser grenzenlosen Bitterkeit im Herzen, dann geht er für immer. Ich will ihn ja nur noch einmal sehen, ihm sagen, daß ich bei meinem Worte bleibe, trotz allem, was man versucht hat und noch versuchen wird, um uns zu trennen; daß ich sein bin im Leben und Tod! Herr Sonneck, Sie haben mich schon als Kind gekannt, Sie haben mich lieb gehabt und sind mir stets ein väterlicher Freund gewesen, können Sie mir denn wirklich diese erste, diese einzige Bitte versagen?“
Ihre Stimme bebte in angstvollem, rührendem Flehen und aus den Augen, die zu ihm aufblickten, stürzten heiße Thränen. Sonnecks Züge verrieten die mühsam unterdrückte Bewegung, aber er nahm sanft die Hände des jungen Mädchens und schloß sie in die seinigen.
„Halten Sie mich nicht für hart und grausam, Zenaide, wenn ich bei meinem Nein bleibe, ich habe einst eine bittere Lehre erhalten. So wie Sie bat damals mein Freund, der meinem Herzen am nächsten stand, und seine Braut, von der ihn der Wille des Vaters trennte, war mir lieb wie eine Schwester. Ich gab nach, ich führte die beiden heimlich zusammen – und es ist Unheil daraus geworden! Der Vater schleuderte mir den Vorwurf zu, daß ich es verschuldet hätte; ich trug ohnehin genug an meinen Selbstvorwürfen. Einmal habe ich auf solche Weise eingegriffen in fremdes Leben, zum zweitenmal geschieht es nicht wieder, die Lehre war allzu hart.“
Zenaide zog plötzlich ihre Hände aus den seinigen und, sich mit einer jähen Bewegung abwendend, trat sie an das Fenster.
„Nun gut, dann müssen wir uns allein helfen.“
„Was haben Sie vor?“ fragte Sonneck unruhig.
„Nichts – da Sie uns verlassen!“ entgegnete sie herb; aber ihre Züge hatten einen Ausdruck verzweiflungsvoller Entschlossenheit. Lothar trat zu ihr.
„Zenaide, unternehmen Sie nichts Gewaltsames, ich bitte Sie. Ich gehe jetzt zu Ihrem Vater und werde versuchen, es von ihm zu erreichen, daß er dies letzte Wiedersehen gestattet – vielleicht gelingt es mir.“
Zenaide antwortete nicht und schien kaum auf die tröstenden Worte zu hören, mit denen er sich verabschiedete, aber als er gegangen war, schlang sie krampfhaft die Hände ineinander und es brach wie ein Verzweiflungsschrei aus ihrem Innern hervor: „Auch er verläßt mich! Jetzt habe ich niemand als Dich, Reinhart! Rette mich – für Dich!“
Herr von Osmar war gleichfalls in einer gereizten Stimmung, als Sonneck bei ihm eintrat; er sprang hastig von seinem Schreibtisch auf und ging ihm entgegen.
„Gut, daß Sie kommen,“ sagte er mit einer gewissen Unsicherheit. „Wir werden uns doch wohl über den peinlichen Vorfall von gestern abend aussprechen müssen.“
„Ich komme von Zenaide,“ entgegnete Sonneck mit kühler Zurückhaltung. „Sie sandte heute morgen zu mir und bat dringend um meinen Besuch, sonst wäre ich nicht gekommen.“
„Wollen Sie mir etwa Vorwürfe machen?“ fragte der Konsul, dem der Ton und die zurückweisende Haltung des Freundes nicht entgingen. „Ich hätte wohl eher das Recht dazu. Sie wußten jedenfalls um die Sache, warum gaben Sie mir nicht rechtzeitig einen Wink?“
„Sollte das wirklich notwendig gewesen sein? Ich dächte, die Neigung Ihrer Tochter wäre auch Ihnen kein Geheimnis geblieben. Sie mußten gleichfalls darum wissen.“
„Nun ja, aber ich habe das nicht für ernst, nicht für bedrohlich gehalten, und um Ihretwillen, Sonneck, wollte ich keinen Schritt thun, der Sie verletzen konnte. Nun ist mir doch nichts übrig geblieben, nachdem Ihr Schützling sich so weit vergessen hat.“
„Vergessen? Daß ich nicht wüßte!“
Osmar sah ihn befremdet an.
„Ich denke, Sie sind unterrichtet über die Sache. Ehrwald hat eine förmliche Werbung versucht.“
„Allerdings – nun?“
„Sie scheinen das ganz in Ordnung zu finden,“ rief der Konsul verletzt. „Ich muß gestehen, ich war nicht gefaßt auf eine derartige Keckheit des jungen Mannes, dessen einziges Verdienst es ist, Ihr Schützling zu sein. Mit welchem Rechte wagt er es, um meine Tochter zu werben?“
„Mit dem Rechte der Zukunft, die er sich jetzt erobern soll und auch, wenn er am Leben bleibt, erobern wird, dafür bürge ich Ihnen.“
Der ernste Nachdruck, mit dem die Worte gesprochen wurden, machte sichtlich Eindruck auf Herrn von Osmar, aber er zuckte die Achseln.
„Ein Wechsel auf die Zukunft ist immer etwas Ungewisses, im besten Falle wird er erst nach Jahren eingelöst. Ich würde meiner Tochter nie gestatten, sich durch ein übereiltes Versprechen zu binden und ihre ganze Jugend zu opfern; selbst wenn es sich um einen Bewerber aus unseren Kreisen handelte, und nun vollends hier. Wer und was ist denn dieser Ehrwald? Seine Herkunft und seine Vergangenheit sind dunkel. Sie selbst wissen nichts Näheres darüber. Sie brauchen auch nicht danach zu fragen, wenn Sie einen Gefährten für Ihren Zug wählen, wo es nur Kraft und Verwegenheit gilt, aber ich habe denn doch andere Rücksichten zu nehmen bei der Wahl meines Schwiegersohnes.“
Sonneck schwieg, er mußte diesen Standpunkt gelten lassen, und was er von Reinharts Vergangenheit wußte, ermöglichte ihm nicht, den Konsul zu entwaffnen. Endlich sagte er: „Ich bestreite Ihnen sicher nicht das Recht, die Hand Ihrer Tochter zu versagen, aber die Form, in der das hier geschah, war mehr als rücksichtslos. Man weist einen Freier ab, aber man beschimpft ihn nicht.“
„Ich wollte der Sache ein für allemal ein Ende machen,“ erklärte der Konsul, der denn doch die Gerechtigkeit dieses Vorwurfes [139] empfand. „Hätte ich geahnt, daß es je so weit kommen würde, ich hätte längst gehandelt und uns allen diese peinliche Katastrophe erspart. Also Zenaide hat Sie gerufen? Sie rechnet auf Ihren Einfluß bei mir und hat um Ihre Vermittlung gebeten?“
„Nein, aber Sie bat mich, ihr eine geheime Zusammenkunft mit Reinhart möglich zu machen.“
„Das hat sie gewagt?“ fuhr Osmar erschreckt und entrüstet auf.
„Sie hat mich darum angefleht mit einer wahren Todesangst. Ich habe es selbstverständlich verweigert, aber versprochen, mich bei Ihnen zu verwenden, ob Sie nicht doch ein Wiedersehen in meiner Gegenwart –“
„Um keinen Preis!“ fiel ihm der Konsul heftig ins Wort. „Soll diese unselige Neigung etwa neue Nahrung erhalten? Sonneck, ich baue auf Ihre Freundschaft, es handelt sich nur noch um einen einzigen Tag, da Sie morgen aufbrechen! Sorgen Sie dafür, daß Ehrwald nichts Unsinniges unternimmt.“
„Er unternimmt nichts, darauf gebe ich Ihnen mein Wort,“ erklärte Sonneck mit scharfer Betonung. „Sie unterschätzen den jungen Mann, Osmar! Wenn er das wäre, wofür Sie ihn halten, hätte er sich schon damals in Kairo Zenaidens Wort gesichert, er brauchte nur zu sprechen, und, ich sage es Ihnen offen heraus, wenn er jetzt noch will, so erklärt sie sich offen zu seiner Braut, Ihnen und der ganzen Welt zum Trotz. – Beruhigen Sie sich, er will nicht mehr, und nach dem, was gestern geschehen ist, kann ich ihm nur recht geben.“
„Sie meinen also, ich verdanke es nur der Großmut des Herrn Ehrwald, wenn ich meine Tochter überhaupt behalte,“ sagte Osmar kühl. „Freilich, sie ist ja förmlich im Banne dieses Mannes, aber der Bann wird brechen, sobald er fort ist, und dann habe ich ein Mittel in Bereitschaft, diese Kinderei in Vergessenheit zu bringen.“
„Sie meinen die Bewerbung Marwoods. Haben Sie ihm bestimmte Hoffnungen gemacht?“
„Er hat mein Wort, unter dem Vorbehalt von Zenaidens Einwilligung.“
„Osmar – drängen Sie Ihre Tochter nicht zu dieser Verbindung,“ sagte Sonneck langsam. „Es wird ein Unglück daraus!“
„Warum? Marwood ist ein Ehrenmann.“
„Daran zweifle ich nicht, aber er und Zenaide sind Gegensätze, die sich niemals ausgleichen werden. Sie wird unglücklich, muß es werden an der Seite dieses eisigen, hochmütigen Mannes, der für eine Natur wie die ihrige gar kein Verständnis hat, der ihr höchstens eine kühle, matte Alltagsneigung gewährt.“
„Die aber für das Leben auszuhalten pflegt, wo die sogenannte romantische Liebe wie ein Strohfeuer verpufft,“ fiel der Konsul mit voller Schärfe ein. „Zenaide ist dafür geschaffen, eine glänzende Rolle im Leben zu spielen, und ich will mein Kind an dem Platze sehen, der ihm gebührt. Marwoods Name, Vermögen und Familienbeziehungen genügen meinen Ansprüchen, seine Gemahlin wird eine der Ersten in der Gesellschaft sein und er hat mir versprochen, alljährlich einige Monate mit ihr in Kairo zuzubringen. Da kann und wird sie wohl den Jugendtraum verschmerzen.“
„Wahrscheinlich! Aber sie wird noch etwas anderes vom Leben fordern als Glanz und Reichtum, die ihr ja nichts Neues sind – das Glück! Zenaide ist nicht das sanfte, träumerische Wesen, als welches sie sich Ihnen und uns allen zeigt. Tief in ihrem Inneren schlummert eine leidenschaftliche Glut, die gefährlich werden kann, und in den Fesseln einer unglücklichen Ehe wird sie verderblich. Ich bitte Sie noch einmal, erzwingen Sie dies Jawort nicht, Sie könnten es bereuen!“
„Ich denke selbstverständlich nicht daran, meine Tochter zu zwingen,“ erklärte Osmar. „Aber ich bin überzeugt, sie wird vernünftigen Vorstellungen nachgeben, sobald der erste Schmerz der Trennung vorüber ist. Ich kenne auch diese verborgene Leidenschaftlichkeit in ihrem Charakter, ich habe erst gestern abend eine Probe davon erhalten, und gerade deshalb halte ich es für notwendig, sie beizeiten in ruhige und feste Bahnen zu lenken. Wer von uns hat nicht einen Jugendtraum begraben und sich mit dem Leben abfinden müssen, wie es nun einmal ist! Ich kann mein Kind auch nicht davor bewahren, ich habe ja nur sein Glück im Auge.“
Er sprach ruhig, aber mit einer Entschiedenheit, die hinreichend zeigte, daß er entschlossen war, nicht nachzugeben, und daß die Macht der sonst vergötterten Tochter hier ein Ende gefunden hatte. Jetzt fuhr er mit der alten Herzlichkeit fort: „Und nun wollen wir uns die Abschiedsstunde nicht auch noch verbittern mit dieser unseligen Geschichte. Was auch geschehen sein mag, wir bleiben ja doch die alten Freunde.“
Er streckte Sonneck die Hand hin und dieser legte die seinige hinein, aber er murmelte dabei mit einem halbunterdrückten Seufzer: „Arme Zenaide!“
(Fortsetzung folgt.)
Der Sachsenspiegel und Burg Falkenstein.
Am 26. Oktober vorigen Jahres ist in Leipzig das neue Reichsgerichtsgebäude eingeweiht und damit dem obersten Gerichtshofe des Deutschen Reiches, in welchem die einheitliche Rechtsprechung des wieder geeinten Vaterlandes gleichsam verkörpert ist, ein würdiges Heim geboten worden. Die Einweihung des neuen Reichsgerichtshauses war, da ja das Reichsgericht selbst bereits seit Gründung des Reiches besteht, allerdings ein Akt von mehr äußerlicher Bedeutung und wird irgend welche Veränderung der Rechtsorganisation nicht nach sich ziehen.
Anders steht es mit einem Teile der neuen Reichsgesetzgebung, dem „Bürgerlichen Gesetzbuche für das Deutsche Reich“, dessen Entwurf dem Reichstage in der gegenwärtigen Tagung zur Beschlußfassung vorgelegt worden ist. Das Bürgerliche Gesetzbuch, an dessen Zusammenstellung seit dem 17. September 1874 von zwei besonders dazu berufenen Kommissionen gearbeitet wurde, soll dem schon geschaffenen einheitlichen Civilprozeß, Strafprozeß und Strafgesetzbuche ergänzend zur Seite treten und die letzte noch vorhandene Rechtsverschiedenheit beseitigen. Das ist eine Hoffnung, welche unser Volk auf das neue Bürgerliche Gesetzbuch setzt. Und noch eine zweite Hoffnung gesellt sich zu dieser ersten. Es ist eine alte, allerdings meist nur von „Laien“ angestimmte Klage, daß die in unserem bisherigen bürgerlichen Rechte stark vertretenen römischen Rechtsbegriffe unserem deutschen Rechtsbewußtsein nicht entsprächen und daß diesem letzteren dem römischen Rechte gegenüber zu seiner ihm gebührenden Stellung verholfen werden müsse. Die bevorstehende Ergänzung des Reichsgesetzes, erwartet man, werde in dieser Hinsicht einen Wandel zum Besseren bringen.
Die Mängel, welche dem bisherigen Rechtsbestande anhafteten und deren Abstellung durch den völligen Ausbau des Reichsgesetzes herbeigeführt werden soll, haben zumeist in dem geschichtlichen Entwicklungsgange, den das Recht in deutschen Landen genommen hat, ihren Grund. In Deutschland haben sich erst verhältnismäßig sehr spät feste Rechtsnormen von allgemeinerer Gültigkeit ausgeprägt. Seit Karls des Großen Tagen gab es zwar eine Reichsgesetzgebung, aber dieselbe berücksichtigte nur die großen Interessen des Reiches und hatte zudem in den Sonderinteressen der Reichsfürsten einen stetigen Hemmschuh ihrer Wirksamkeit. Ein Landrecht von allgemeiner Gültigkeit gab es bis zur Hohenstaufenzeit überhaupt nicht und die Rechtsprechung der einzelnen Provinzen, Städte und adligen Gerichtsherren war unter sich höchst verschieden, fußte sie doch zum größten Teile auf dem ungeschriebenen Gewohnheitsrechte, wie sich dieses von den Vätern her durch die Jahrhunderte hin vererbt hatte.
Das erste Rechtsbuch, welches das Landrecht festlegte und im Laufe eines halben Jahrhunderts zu der weitestreichenden Bedeutung gelangte, war der „Sachsenspiegel“. Heute, da das Riesenwerk der Reichsgesetzgebung des neugeeinten Vaterlandes seiner endgültigen Vollendung entgegengeht, ist es von besonderem Interesse, sich des ersten Anfanges zu erinnern, den das bürgerliche Recht in Deutschland genommen hat.
Es war im Anfang des 13. Jahrhunderts, in den ersten Regierungsjahren Kaiser Friedrichs II., der fernab vom Reiche in Unteritalien in einer halb italienischen, halb sarazenischen Umgebung, dem deutschen Wesen gänzlich entfremdet, residierte, als in Deutschland die Rechtsanarchie zur unerträglichen Höhe stieg und die Sehnsucht nach geordneten Rechtsverhältnissen in allen edleren Geistern wach wurde. Damals beauftragte der Graf und Gerichtsherr Hoyer von Falkenstein [140] den Eyke von Repkow, einen rechtsgelehrten Schöffen, mit der Zusammenstellung aller derzeit in Sachsen gültigen, geschriebenen und ungeschriebenen gesetzlichen Bestimmungen. Eyke von Repkow entsprach dem Ansinnen des Grafen von Falkenstein und schrieb unter Weglassung der vielgestaltigen Hof- und Stadtrechte zunächst in lateinischer Sprache das Sächsische Land- und Lehnrecht. Späterhin, 1230, abermals auf Veranlassung des Falkensteiners, übertrug er den lateinischen Grundtext seiner Arbeit in der Absicht, derselben eine größere Verbreitung zu sichern, ins Niederdeutsche und nannte sein Buch den „Sachsenspiegel“, unter welcher Bezeichnung dieses älteste deutsche Rechtshandbuch bis auf den heutigen Tag bekannt ist.
Der Sachsenspiegel, obwohl, wie aus dem Gesagten ersichtlich ist, ursprünglich nicht viel anderes als die Privatarbeit eines Rechtsgelehrten, hat dennoch im Laufe der Zeiten das Ansehen eines offiziellen Gesetzbuches erlangt. Noch vor Ablauf des 13. Jahrhunderts hatte der Sachsenspiegel nicht nur in Mittel- und Süddeutschland, sondern auch in Norddeutschland Anerkennung gewonnen und auf die bedeutendsten Rechtsbücher des Mittelalters, vor allem auf den 1257 zu Augsburg verfaßten „Deutschenspiegel“ und den 1275 vollendeten „Schwabenspiegel“ und andere mehr, einen derartigen Einfluß geübt, daß diese Sammlungen nur wie nachgeborene Geschwister ihres älteren Bruders erscheinen.
Es ist kein Zufall gewesen, daß Eyke von Repkows Werk eine so schnelle und weite Verbreitung fand. Der Sachsenspiegel entsprach dem dringendsten Bedürfnisse der Zeit, welche sich nach einem klaren, übersichtlichen Rechte sehnte, und besaß zudem den höchsten Vorzug, der einem Gesetzbuche eignen kann, die Volkstümlichkeit. Wer den Sachsenspiegel las, mußte die Empfindung haben, daß sein Verfasser die Rechtsgedanken des Volkes gesammelt habe und daß er der Mund gewesen sei, durch welchen sich das deutsche Rechtsbewußtsein hatte hören lassen. In der That mag es wohl kaum ein zweites Gesetzbuch geben, aus welchem der deutsche Geist so herzinnig und urkräftig uns anweht, als dieses Buch des sächsischen Schöffen.
Eyke umgiebt den trockenen Buchstaben des Gesetzes sogar mit dem Schimmer der Poesie und läßt seinen Gesetzesparagraphen eine Vorrede von 280 Versen vorausgehen, in welcher er sich über den Zweck des Buches und seinen persönlichen Anteil daran ausläßt, um am Schlusse seinem vornehmen Auftraggeber die Ehre der intellektuellen Urheberschaft zuzuweisen. Sein Beginnen stellt er unter den Schutz Gottes, daß er ihm zur Ehre und der Welt zum Frommen sein Werk vollbringe, und bittet:
„Des heiligen geistes minne
Di sterke al mine sinne,
Daz ich recht unde unrecht der dütschen lute
nach gotis hulden muz bidute
unde nach der werlde vrumen.“
Mit jedem weiteren Blatte des Sachsenspiegels enthüllt sich uns immer sympathischer die liebenswürdige und kernige Gestalt seines Verfassers, der herzliche Bescheidenheit mit männlicher Festigkeit zu verbinden wußte und, gut kaiserlich gesonnen, keine Beschränkung des kaiserlichen Ansehens durch kirchliche Uebergriffe dulden wollte. Bei solcher Stellung des Mannes kann es uns dann freilich nicht wunder nehmen, daß der päpstliche Unwille, welcher über Friedrich II. den Bann aussprach, auch Eyke nicht erspart geblieben ist, wenigstens nicht seinem Werke. Im Jahre 1374 erklärte Gregor XI. vierzehn Artikel des Sachsenspiegels als ketzerisch. Trotzdem haben sich über 200 Handschriften des Sachsenspiegels erhalten, darunter vier kulturhistorisch außerordentlich wichtige Bilderhandschriften und vor allem das auf Burg Falkenstein geschriebene Originalmanuskript Eykes selbst.
Und wie ein günstiges Geschick die altehrwürdige Handschrift Eykes vor dem Untergange bewahrt hat, so hat auch ein gleich günstiger Stern über der Stätte gestanden, da sie verfaßt ward. Burg Falkenstein, obwohl mannigfach verändert, befindet sich doch heute noch in einem bewohnbaren Zustande.
Der Falkenstein, unweit von Ballenstedt am rechten Selkeufer auf steilem Bergkegel gelegen, gehört zu den ältesten Burganlagen Deutschlands überhaupt und dürfte, abgesehen von der Wartburg, die besterhaltene Burg Mitteldeutschlands aus frühmittelalterlicher Zeit sein. Am Ausgange des 11. Jahrhunderts, als Kaiser Heinrich IV. seine blutigen Kämpfe gegen die aufrührerischen Sachsen ausfocht, wurde der Falkenstein erbaut. Aus jener frühen Zeit stammen wohl nur wenige Teile der heutigen Burg, ihre Hauptmasse ist bestimmt um einige Jahrhunderte jünger und der Turm wurde, wie das an seiner Haube zu ersehen ist, in seiner jetzigen Gestalt am Schlusse des 16. Jahrhunderts erbaut.
Beim Gasthause „Zum Falken“, am Ausgange des Selkethales, biegt von der Landstraße der Weg ab, der steil ansteigend [141] in halbstündiger Wanderung nach der Burg führt. Ein nebeliger Frühherbsttag war es, als ich diesen Weg ging. Im Selkethale lagerte dichter Nebel und wie bleifarbene Wettermantel hingen die Wolkenmassen an den Hängen der Berge. Von den Blättern der alten Buchen, welche den Burgberg vom Fuß bis zum Gipfel umschatten, rieselten große Tropfen und sammelten sich zu Rinnsalen, welche den Pfad zerklüfteten. Auf halbem Weg, zerborsten, dem Einsturze nahe, steht ein steinernes Muttergotteshäuschen. Seine Nische ist leer. Eine räuberische Hand hat das Madonnenbild entfernt und längst wird hier kein Kerzlein mehr geopfert, nur die ersterbende Natur hat wie alle Jahre, so auch heuer, einige falbe Blätter als Abschiedsgruß in die leere Nische gestreut. Bald war auch der letzte Anstieg überwunden und fast wider Vermuten sah ich mich vor der Burg.
Der Graben ist
längst ausgefüllt
und von den Außenwerken
stehen nur noch verwitterte
Reste. Durch
einen überbauten
Gang gelangt man
auf den Burghof,
ein winzig Flecklein
Erde, von
den mehrstöckigen
Burggebäuden im
Dreieck umschlossen
(vergl. Abbildung
S. 140). Der Palas
ist in Fachwerk
aufgeführt
wie die ältesten
Teile der Wartburg
und macht
mit seinen überragenden
Stockwerken
und bleigefaßten
Butzenscheibenfenstern
einen fast düsteren
Eindruck. Das
Brunnenhäuschen in seiner Mitte, von Haselnußgesträuch anmutig
umrahmt, nimmt sich aus wie ein grünumranktes Bildlein in
breitem, dunklem Eichenrahmen und mildert gar trefflich den
düsteren Eindruck des beschränkten Raumes. Still und tot ist es
auf dem Hofe, wie in einem verwunschenen Schlosse. Die Zeiten,
da draußen auf dem Zwinger die Sehne der Armbrust klang, wenn
die Knappen Arm und Auge übten, und die Rüden anschlugen,
wenn der Burgherr zum Pirschgang gerüstet unters Thor trat,
sind vorüber. Im Stalle stampft kein Roß das Pflaster in brennender
Ungeduld nach dem Herrn, um ihn zum fröhlichen Turnier
oder zum bitteren Streit zu tragen. Roß und Reiter sind längst
schlafen gegangen; nur ein greises Ehepaar bewohnt noch den
Sitz des alten Dynastengeschlechtes, dem jetzigen Schloßherrn das
Haus bewahrend und dem Wandersmann die Pforte öffnend.
An der Seite des Pförtners durchwanderte ich das Burginnere. Bis auf die kleine etwas düstere und unfreundliche Burgkapelle (vergl. Abbildung S. 140), in welcher Luther gepredigt haben soll, sind sämtliche Räume der Burg hell und licht und präsentieren sich in unberührter Ursprünglichkeit. Der jetzige Burgherr hat außerdem noch das Seine gethan, diesen Eindruck zu mehren. Hellebarden, Zweihänder und Kettenpanzer gemahnen an die Tage einstiger Ritterherrlichkeit und Saufedern nebst Fangzeug an die Zeit tiefsten Bauernelends. Schmale, halsbrecherische Vorräume vermitteln den Zugang in die Zimmer und enge, winklige Wendeltreppen den Aufstieg in die oberen Stockwerke. Es ist hier alles noch so, wie es zu der Urväter Zeiten gewesen ist.
Und von alten, längstvergangenen Tagen weiß auch mein Führer zu berichten. Er ist ein gelehriger Schüler der Frau Saga, dem sich gut zuhören läßt Gern hätte ich seinen interessanten Erzählungen noch länger gelauscht, doch die Zeit drängte; der Tag ging zur Rüste und ich konnte sie nicht alle hören, die Märlein und Sagen, die wie ein immergrüner Kranz des Falkensteins Mauerstirne umsäumen. Mit dem Wunsche, daß der Schicksalsbecher, an welchen nach des Alten Bericht das Geschick derer von Asseburg und des Falkensteins geknüpft sein soll, noch lange unzerbrochen bleiben möchte, schied ich von dem Braven und seinem Heim.
Draußen dunkelte es bereits, aber der Himmel hatte sich aufgeklärt und die Sterne leuchteten über dem Walde. Beim Abstieg mußte ich an Eyke von Repkow denken, der dort, daher ich eben kam, geweilt, gesonnen, geformt, gedichtet und gebetet hat. Größer als vorher erschien mir seine Person und sein Werk. Ein heller Schein leuchtete auf einer Sekunde Bruchteil durch das dichte Laubdach und das Wort kam mir in den Sinn, welches Goethe seinem Freunde Schiller ins Grab nachgerufen und das wohl jedem Manne, der seinem Volke in dunkler Zeit ein leuchtend Gestirn gewesen, als Grabschrift gesetzt werden könnte:
„Er glänzt uns vor, wie ein Komet entschwindend,
Unendlich Licht mit seinem Licht verbindend.“
Die Röntgenschen Strahlen und die Reichenbachsche Od-Lehre.
Es giebt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt, Horatio.“ Dieser oft citierte Ausspruch des großen Briten hat in diesen Tagen eine abermalige Bestätigung erfahren durch die Röntgensche Entdeckung, welche jetzt so großes Aufsehen macht und an welche sich bereits die weitestgehenden Hoffnungen für die Zukunft knüpfen. Es wird der weiteren Forschung überlassen bleiben müssen, festzustellen, ob und in welchem Umfang diese Hoffnungen berechtigt sind oder nicht. Jedenfalls ist man einer neuen Naturkraft auf der Spur, deren Dasein bis jetzt nur vermutet, nicht bewiesen werden konnte. Was aber dieselbe eigentlich ist, ruht vorerst noch im Schoß eines tiefen Geheimnisses. Das Geheimnis wird auch dadurch nicht durchsichtiger, daß man dasselbe in Verbindung bringt mit einer in den fünfziger Jahren angeblich entdeckten, aber seitdem in völlige Vergessenheit geratenen Naturkraft, dem Od, welche allerdings auf den ersten Anblick eine gewisse Verwandtschaft mit den Röntgenschen Strahlen zu haben scheint. Dieser Anschein hat es denn auch veranlaßt, daß man sich gegenwärtig in den weitesten Kreisen wieder an die Reichenbachsche Od-Lehre zurückerinnert, welche ihrer Zeit eine kaum minder große Aufregung in gelehrten wie nichtgelehrten [142] Kreisen hervorgerufen hat ähnlich der gegenwärtigen Entdeckung. Man glaubte damals ebenfalls einer neuen Naturkraft gegenüberzustehen, welche allerhand nützliche Anwendungen für das tägliche Leben, namentlich in ärztlicher Beziehung, versprach, und welche zugleich durch das Geheimnisvolle, das sie umgab, auf mystisch angelegte Gemüter einen besonderen Reiz ausübte. Auch haben die Anhänger des Spiritismus nicht versäumt, sich zur Erhärtung ihrer Theorien von Zeit zu Zeit ebenso auf die Od-Lehre wie auf die Erscheinungen der Hypnose und Suggestion zu berufen.
Die Hoffnungen, welche man damals an die neue Entdeckung knüpfen zu dürfen glaubte, haben sich allerdings im Laufe der Zeit nicht erfüllt; vielmehr ist die ganze Lehre, wie bereits bemerkt, bald in Vergessenheit geraten. Diese Vergessenheit würde einem erneuten Aufleben weichen, wenn es gelingen sollte, die vermutete Beziehung oder Verwandtschaft mit der Röntgenschen Entdeckung nachzuweisen. Mag dies nun gelingen oder nicht, jedenfalls darf das große Publikum den Anspruch erheben, über die Möglichkeit einer solchen Beziehung durch eine erneute Darlegung der wissenschaftlich nicht genügend begründeten Od-Lehre aufgeklärt zu werden. Dies zur Rechtfertigung der folgenden Ausführungen.
Das Od (der Name stammt aus dem Nordischen) ist nach seinem Entdecker K. von Reichenbach eine bisher unbekannte Naturkraft, ein sogenanntes Dynamid, in ihren Gesetzen und Erscheinungsweisen ähnlich der Elektrizität, dem Magnetismus, der Wärme und eigentlich zwischen diesen drei Naturkräften mitten inne stehend, doch aber durch ein besonderes Verhalten bestimmt von ihnen unterschieden. Das Od ist überall, es durchdringt das ganze Weltgebäude im kleinsten wie im größten, es haftet an allen Personen und Gegenständen und strömt fortwährend von ihnen aus, unter den letzteren am stärksten von den Metallen und von den einfachen Stoffen überhaupt, am schwächsten von Holz, Baumwolle u. dergl. Das Od verhält sich gerade so wie der Magnetismus vollkommen polar, und auf diesem polaren Verhalten beruhen alle seine Erscheinungsweisen, welche ohne dasselbe unsern Sinnen ganz verborgen bleiben würden. Grundgesetz dabei ist, daß sich, ebenso wie bei dem Mineralmagnetismus, ungleichnamige Pole einander anziehen, gleichnamige abstoßen. Auf diese Weise wird das Od teils dem Auge, teils dem Gefühl bemerkbar; der positive Pol dem Auge als gelbrote, unangenehme, häßliche Farbe, dem Gefühl durch Erregung einer lauen, widrigen Empfindung, der negative, dem Nordpol des Magneten entsprechende, dem Auge als schöne, blaue oder bläuliche Farbe, dem Gefühl durch Erregung einer kühlen und zugleich angenehmen Empfindung. Nicht alle Menschen haben die Fähigkeit dieser Empfindungen und Gesichtseindrücke gleichmäßig, die einen gar nicht, die anderen schwach, die dritten stark oder sehr stark. Die letzteren heißen Sensitive, welcher Begriff übrigens nicht mit demjenigen des Sensiblen zu verwechseln ist. Sensible d. h. empfindsame Personen können ebensowohl sensitiv, wie nichtsensitiv sein.
Entdecker des Od war, wie schon erwähnt, Freiherr Karl von Reichenbach, der, 1788 zu Stuttgart geboren, in Tübingen sich Universitätsbildung aneignete und dann ein großer Industrieller wurde. Später wandte er sich dem Studium der Naturwissenschaften (Chemie, Geognosie, Meteorsteinkunde) zu und machte seinen Namen als Naturforscher durch die Entdeckung des Kreosot und Paraffin bekannt und geachtet. Seine „Odisch-magnetischen Briefe“ erschienen im Jahre 1852 in Stuttgart, nachdem sie vorher Eingang in die Beilage der „Allgemeinen Zeitung“ gefunden und, wie gesagt, großes Aufsehen erregt hatten. Ihnen folgten in den Jahren 1854–1867 noch mehrere Schriften desselben Verfassers über denselben Gegenstand.
Die wissenschaftliche Welt nahm die Angaben des damals hochangeschenen Naturforschers nicht ohne weiteres als bare Münze hin, sondern teilte sich in Freunde und Feinde. Unter den letzteren nahm die oberste Stelle ein der berühmte Liebig, mit welchem Reichenbach schon Jahre vorher Differenzen wegen der verweigerten Aufnahme seiner Aufsätze in die „Chemischen Annalen“ gehabt hatte, und welcher sich in einer Rede, mit der er die Münchener Akademie zu eröffnen hatte, mit Entschiedenheit gegen Reichenbach erklärte. Er beging allerdings dabei den Fehler, daß er die Reichenbachschen „Sensitiven“ für krankhaft veranlagte Personen erklärte, was weder mit den eigenen Angaben Reichenbachs, noch mit den Erfahrungen der Nachexperimentatoren übereinstimmte. Hätte er statt „krankhaft“ das Wort „eigens“ oder „eigentümlich“ gesetzt, so würde dieses besser gepaßt haben. Alle Sensitive sind, nach Reichenbachs Lehre, unruhig, ohne selbst einen Grund für diese Unruhe zu wissen, weil ihre Kleider, überhaupt ihre ganze Umgebung stets durch sie selbst mit Od geladen und überladen werden und sie daher stets eine Veränderung ihrer Lage, ihrer Beschäftigung u. s. w. wünschen lassen. Auch alle odischen Ausstrahlungen von anderen Personen oder Gegenständen werden vom Sensitiven empfunden. Daher ist derselbe nicht gern in größerer Gesellschaft, weil die vielen Od-Ausstrahlungen unangenehm auf ihn einwirken – vorausgesetzt, daß sich dabei gleichnamige oder einander entgegengesetzte Od-Polaritäten, also rechts zu rechts, links zu links, berühren.
Die ganze linke Seite eines Menschen (oder Tieres) ist nämlich nach Reichenbach odpositiv, die rechte odnegativ; ähnlich verhält es sich mit der oberen und unteren Körperhälfte. Uebrigens werden alle odpositiven Ausstrahlungen von anderen Personen oder von Gegenständen stärker von den Sensitiven empfunden als die odnegativen. Unter den Gegenständen haben namentlich die Metalle, vor allen Kupfer und Quecksilber, eine starke odpositive Ausstrahlung. Bei jeder chemischen Thätigkeit, bei jeder Zersetzung oder Verbindung, selbst beim Entstehen einer einfachen Lösung und bei dem Verflüchtigen leicht verdunstender Substanzen, bei der Zerlegung des Wassers durch den Voltaischen Apparat, bei jeder Fäulnis, bei dem chemischen Prozesse des tierischen Atmens, ferner bei dem Entstehen der Schwingungen in der Luft durch schallende Körper, bei jeder mechanischen Reibung, bei jeder Entwicklung von Wärme, bei jeder Thätigkeit des elektrischen Agens etc. wird nach Reichenbachs Behauptung eine gewisse Menge von Od frei und dem Gefühl oder Gesicht des Sensitiven bemerkbar. Durch dieses Verhältnis und durch das häufige Zusammentreffen verschiedener Od-Polaritäten im täglichen Leben entstehen nun für den Sensitiven mannigfache Belästigungen, Empfindungen, Gesichtsbilder, die er sich nicht zu erklären weiß und die dem Nichtsensitiven ganz unbekannt sind. Es ist ihm z. B. – abgesehen von der bereits erwähnten Abneigung gegen größere Gesellschaft oder Volksaufläufe – unerträglich, wenn sich jemand hinter seinen Stuhl stellt, weil sich dabei gleichnamige Od-Polaritäten einander berühren, oder wenn jemand links zu links neben ihm steht oder dicht hinter ihm geht u. s. w. Daher rührt auch nach Reichenbach die allgemeine Sitte aller Kulturvölker, den bevorzugten Personen die rechte Seite als Ehrenseite anzuweisen, weil die linke Seite des Sensitiven als odpositiv die stärkste Empfindlichkeit hat und am meisten die Berührung mit einem ungleichnamigen Pole liebt. Da auch zwischen der vorderen und hinteren Körperhälfte der stark Sensitiven ein polarer Gegensatz besteht, so ist der Sitzplatz eines Sensitiven auf einem Stuhl, einem Sofa, vor einem Piano, in der Kirche, im Theater, für ihn von größter Wichtigkeit. Tausende von sitzenden Arbeitern oder Arbeiterinnen werden auf diese Weise, ohne es zu ahnen, zu Opfern eines ihnen unbekannten Verhältnisses. Eine Haupteigentümlichkeit der Sensitiven besteht auch darin, daß sie, wenigstens in unsern Himmelsstrichen (wegen des odpolaren Verhaltens des Erdkörpers) bei Nacht stets oder meist auf der rechten Seite liegen, weil sich auf diese Weise der odnegative Pol derselben gegen den odpositiven Pol der Erde kehrt. Auch die Lage mit dem Kopf nach Norden, mit den Füßen nach Süden ist wegen des Zusammenstoßes ungleichnamiger Polaritäten von Wichtigkeit. Kranke können nach Reichenbach jahrelang vergeblich behandelt werden, wenn sie nicht eine ihrer Sensitivität entsprechende Lage im Bett einnehmen.
Alle diese Eigentümlichkeiten der Sensitiven – so lehrt nun Reichenbach weiter – können in demselben Individuum vereinigt sein. In der Regel jedoch fehlen einzelne derselben, während andere vorhanden sind oder stärker hervortreten.
Die Experimente, auf welche Reichenbach seine Theorie stützt, beziehen sich teils auf die Empfindung, teils auf das Gesicht der Sensitiven. Magnete und große Krystalle scheinen die Kraft der Od-Ausstrahlung am stärksten zu besitzen. Die darüber gehaltene Hand des Sensitiven empfindet den Südpol des Magneten oder die Basis eines großen Bergkrystalls warm, lau und widrig, den Nordpol oder die Spitze des Krystalls kühl und angenehm. Beidemal zeigt sich das Gefühl eines aufsteigenden Hauchs oder Windes. Auch Sonnenlicht und Wärme haben odische Wirkung. Ein Glas Wasser, welches man während einiger Minuten in das blaue Sonnenlicht oder an die Spitze eines Bergkrystalls oder an den [143] Nordpol eines Magneten gestellt hat, schmeckt dem Sensitiven angenehm, kühl, säuerlich; ein solches aus gelbem Licht oder vom Südpol des Magneten oder von der Basis des Krystalls schmeckt lau, unangenehm, widrig und kann sogar Erbrechen erregen.
Die odischen Gesichtserscheinungen werden in einer absolut finsteren Kammer, der sogenannten Dunkelkammer, beobachtet, in welcher die Versuchspersonen stundenlang verweilen müssen, bis sich die lichten Scheine wahrnehmen lassen, welche von den Enden eines Magneten oder eines Krystalls (positiv gelbrot, negativ blau) ausströmen. Zuletzt erglüht der ganze odausstrahlende Körper selbst in einem gleichmäßigen weißlichen Lichte. Bei starken, aufrecht stehenden Magneten kann das übrigens nur dem Auge des Sensitiven bemerkbare Licht so stark werden, daß es flammenartig bis zur Decke des Zimmers emporstrahlt. Uebrigens fangen nach kürzerer oder längerer Dauer fast alle in der Dunkelkammer befindlichen Gegenstände, wie Blumenstöcke, Schmetterlinge, Tiere, Menschen, ja der Sensitive selbst an, leuchtendes Od auszustrahlen, letztere rechts in einem mehr blauen, links in einem mehr gelblichen Lichte. Schließlich ist der Sensitive imstande, fast alles zu erkennen, was im Zimmer befindlich ist. Er sieht den Atem der Anwesenden, wie seinen eigenen, sieht angeschlagene Metallstäbe oder Glocken, den Rauch flüchtiger Stoffe, geriebene oder elektrisch erregte Drähte, mit Flüssigkeit geschüttelte Flaschen u. s. w., weil bei allen diesen Gelegenheiten Od frei wird.
Die Erscheinungen des tierischen Magnetismus reduzieren sich nach Reichenbach einfach auf Odismus. Die sogenannten Metall- und Wasserfinder sind nichts anderes als Hochsensitive, welche das in der Tiefe der Erde entwickelte Od empfinden. Die Leute, welche bei Nacht Geister auf Gräbern oder Kirchhöfen gesehen haben wollen, sind von odischen Ausdünstungen getäuscht worden, die durch den Verwesungsprozeß erzeugt wurden.
Leider war Reichenbach trotz seiner Bemühungen nicht imstande, ein Odoskop oder einen Odometer zu erfinden, mittels dessen man die Anwesenheit von Od jederzeit physikalisch hätte nachweisen können – ein Umstand, der gegen die ganze Entdeckung von vornherein mißtrauisch machen mußte.
Dieses Mißtrauen mag es zum Teil verschuldet haben, daß nur sehr wenige ernste Nachprüfungen der Od-Lehre bekannt geworden sind. Auch der Umstand, daß nicht alle, sondern nur einige gewissermaßen bevorzugte Personen der Odwirkung zugänglich waren, konnte nicht für dieselbe einnehmen. Dennoch war eine solche Nachprüfung unerläßlich, wenn man in der Sache zu einem bestimmten Urteil kommen wollte. Dies der Anlaß zu den im Jahre 1853 von dem Verfasser dieses Aufsatzes in Gemeinschaft mit Prof. Rapp und Dr. Ranke auf der Tübinger medizinischen Klinik angestellten Versuchen.
Wir experimentierten anfangs mit starken, hufeisenförmigen Magneten, später auch mit einem mäßig großen Bergkrystall. Versuchspersonen waren teils wir selbst, teils Patienten und dienendes oder helfendes Personal der klinischen Anstalt, wobei außer uns niemand wußte, um was es sich eigentlich handelte, und wobei ängstlich vermieden wurde, die Versuchspersonen auf dasjenige aufmerksam zu machen, was sie empfinden sollten. Allerdings konnte nicht vermieden werden, daß sie sehr bald errieten, was gefühlt oder gesehen werden sollte. Unter den ungefähr hundert Personen, welche geprüft wurden und unter denen sich die ungefähr gleiche Zahl von Männern und Frauen befand, trafen bei etwas weniger als der Hälfte die Reichenbachschen Angaben in mehr oder weniger ausgesprochener Weise zu, während eine ungefähr gleiche Anzahl gar keine Empfindung hatte. Neun Personen empfanden umgekehrt, sechs an beiden Polen gleichmäßig. Die linke Hand, d. h. die odpositive Seite, war entschieden weit empfindlicher als die rechte. Fast alle, welche die Empfindung von kalt und warm gehabt hatten, gaben zugleich unaufgefordert an, daß von dem Pole aufwärts ein leiser Hauch oder Wind an ihre Hand ziehe, welcher sich mehreremal durch den ganzen Arm verbreitete und denselben angriff oder ermüdete. Das Geschlecht machte keinen Unterschied. Wir selbst, d. h. die Experimentatoren, empfanden gar nichts. Uebrigens waren die Angaben einiger der Versuchspersonen nicht an allen Tagen dieselben, sondern widersprachen sich insofern, als sie den an früheren Tagen gemachten gerade entgegengesetzt waren. Auch fehlte es nicht an Angaben verschiedener Empfindungen, wenn man bei verbundenen Augen die Hand in die Luft statt über den Magneten hielt!!
Ganz ähnliche Resultate ergaben die Versuche mit dem in Berührung mit den Magnetpolen gebrachten Glase Wasser.
In der Dunkelkammer hielten wir mit verschiedenen Personen beiderlei Geschlechts elf Sitzungen von je ein bis drei Stunden Dauer. Die Herstellung einer solchen Dunkelkammer, in welcher absolute Finsternis herrschen soll, ist nicht leicht. Anfangs glaubt man allerdings sich in vollkommener Finsternis zu befinden. Aber nachdem man eine Viertel- oder halbe Stunde darin zugebracht hat, sieht man bald da, bald dort einen leisen Lichtschimmer von außen hereindringen, welcher durch abermaliges Verkleben beseitigt werden muß. Die Mehrzahl der Versuchspersonen sah von den Reichenbachschen Lichterscheinungen nichts; eine Minderzahl dagegen wollte sehr intensive Lichterscheinungen verschiedener Art bemerkt haben. Der Hufeisenmagnet wurde in einem weißlichen Lichte erglühend erblickt, während von seinem Nordpol ein blauer, von seinem Südpol ein gelbroter Schein ausstrahlte. Auch andere Gegenstände oder Personen wurden von den Sensitiven gesehen und die Stellen bezeichnet, wo sie standen. Einige Angaben von Hochsensitiven nehme ich Anstand, wiederzugeben, teils ihrer Unbestimmtheit wegen, teils weil die Phantasie dabei eine übermäßige Rolle zu spielen schien. Uebrigens waren die Hochsensitiven in der Regel solche Personen, welche auch den Einwirkungen des tierischen Magnetismus zugänglich waren. Daß aber den Angaben solcher Personen nur mit größter Vorsicht zu begegnen ist, ist bekannt.
Ein abschließendes Urteil über die Od-Lehre konnte bei der Unbestimmtheit und Zweifelhaftigkeit der von uns erlangten Resultate nicht erreicht werden. Auch anderen Experimentatoren scheint es nicht besser ergangen zu sein, da man im Laufe der Jahre nichts darüber vernommen hat, und da die Lehre, wie gesagt, in Vergessenheit geriet. Ueber die Frage, ob dieselbe nunmehr in irgend welche Verbindung mit der Röntgenschen Entdeckung gebracht werden kann, mag die Zukunft entscheiden. Doch spricht sehr der Umstand dagegen, daß die Röntgenschen Strahlen eine physikalische Erscheinung sind, welche unter Herstellung bekannter Bedingungen jederzeit mit Sicherheit hervorgerufen und von jedermann beobachtet werden kann, während das Dasein der odischen Ausstrahlungen nur aus den subjektiven Empfindungen einzelner, besonders disponierter Personen und aus deren darüber gemachten Aussagen gefolgert wird. Welche reiche Quelle von Täuschungen dabei fließen kann, weiß jeder, der sich mit dem Studium tierisch-magnetischer oder ähnlicher Erscheinungen beschäftigt hat. Die menschliche Phantasie ist bis zu einem fast unglaublichen Grade befähigt, solche Täuschungen hervorzurufen oder Dinge wahrzunehmen, die nicht da sind, wofür ja Geschichte und tägliche Erfahrung zahllose sprechende Beispiele liefern. Hat es doch im Mittelalter Leute gegeben, z. B. Luther, welche den Teufel in leibhaftiger Gestalt zu erblicken glaubten oder welche einen Eid darauf ablegten, daß sie eine Hexe auf einem Besenstiel durch die Luft hätten reiten sehen! Und giebt es doch auch heute noch Leute in Menge, welche Geister, Gespenster u. s. w. zu erblicken glauben, ohne daß irgend etwas da ist. Warum sollte es also nicht möglich sein, daß phantasievolle Personen Empfindungen zu verspüren oder Dinge zu sehen glauben, denen die Wirklichkeit nicht entspricht? Wie viele Personen geraten bei Tischrückungs- oder tierisch-magnetischen Versuchen in die größte Aufregung, wenn man einen Stahlmagneten in ihre unmittelbare Nähe bringt, während sie vollkommen ruhig bleiben, wenn diese Annäherung in einer ihnen unbemerkbaren Weise geschieht!
So mag die Phantasie auch bei den odischen Erscheinungen eine ausschlaggebende Rolle spielen. Dieselben können wegen des schon erwähnten Mangels eines physikalischen Hilfsmittels zur Erkennung odischer Anwesenheit wissenschaftlich nicht kontrolliert werden. Sollte vielleicht ein solches Hilfsmittel mit der Zeit gefunden werden, so wäre die Frage, ob eine Verwandtschaft mit der Erscheinung der Röntgenschen Strahlen anzunehmen sei, berechtigter als gegenwärtig. Vorerst aber ist dazu wenig oder gar keine Aussicht vorhanden. Die Spiritisten oder Geister- und Gespenstergläubigen werden freilich dabei bleiben, daß die Erscheinungen des Odismus, des tierischen Magnetismus, des Hypnotismus, der Suggestion, der Telepathie, des Gedankenlesens, der Seelenriecherei u. s. w. alle aus der nämlichen Quelle fließen, und werden auch nicht versäumen, die Entdeckung der Röntgenschen Strahlen für ihre Sache in Anspruch zu nehmen. Erfolg oder Beweis bleibt abzuwarten.
[144]
Mein Roman.
Es war wunderschön im Garten, etwas kühl zwar, aber doch wunderschön! Der See strahlte im reinsten Blau, der Himmel wölbte sich darüber so hell und klar, als hätte er noch nie von Wolken und Nebel auch nur reden gehört; die großen, herrlichen Buchen am Wasser standen da wie junge Könige, in fröhlicher Majestät, die dunklen Tannen waren über und über mit zartgrünen Schößlingen bestreut, und überall zwitscherte, sang, hüpfte und flatterte es von kleinem Gevögel, das in den Zweigen hin und wider huschte. Und das alles konnte ich von meinem Platz unter unserer Rotbuche aus sehen, als wäre es mein, denn unser Garten stieß an dieser Seite unmittelbar an Wald und See; ich hätte nur ein wenig links um die Ecke und dann durch das Pförtchen zu gehen brauchen, so wäre ich mitten in all der Herrlichkeit gewesen. Das freilich wagte ich nicht zu thun, Mutter hätte mich dann unfehlbar gesehen und mich an die mir übertragene Aufgabe gemahnt, Gardinen zu plätten.
Die kühle Luft empfand ich freilich auch, aber das machte mir nicht viel aus, war mir doch vom Dichten ganz warm ums Herz. Nur an den Händen und Füßen fror mich ein wenig, doch das nimmt man eben so in Kauf im Wonnemonat Mai.
Natürlich hörte ich, daß Mutter mich rief, – selbstverständlich. Aber ich fand es diesmal nicht angemessen, gleich darauf zu antworten. Ich war gerade beim siebzehnten Kapitel angelangt, welches mit einer sehr spannenden Situation eröffnet wurde, und von welchem ich mir eine durchschlagende Wirkung versprach. Die rotgemusterten Gardinen aus der Fremdenstube, welche ich plätten sollte, hätten mir die Stimmung vollständig verdorben, die ich doch eben jetzt so dringend nötig hatte.
Denn, daß nur niemand sich einbilde, das Dichten sei eine Kleinigkeit, ein Kinderspiel! Im Gegenteil, es ist sehr ernste, anstrengende Arbeit und keineswegs immer leicht, richtig herauszubringen, was „er“ sagt und was „sie“ sagt und wie sie sich dabei benehmen. Die Kleider, welche die Heldin bei den verschiedenen Gelegenheiten trug, machten mir am wenigsten Schwierigkeit, die beschrieb ich einfach, wie ich sie selbst gerne gehabt hätte, aber ich fand es schwer, die Gespräche geistreich genug zu gestalten, und nicht immer war eine Verwicklung, in welche ich „ihn“ und „sie“ mit großer Feinheit hineingebracht hatte, auch eben so leicht gelöst wie geschürzt. So hatte ich z. B. einmal – aber nein, es würde zu weit führen, das hier auseinanderzusetzen, ich müßte dann den ganzen Plan des Romans darlegen.
Ich dichtete nämlich, daß ich es nur gleich unumwunden sage, meinen ersten Roman. Zwar zählte ich schon volle zwanzig Jahre und muß mich daher fast schämen, einzugestehen, daß es noch mein erster war, aber ich hatte mein Talent nun einmal nicht früher entdeckt, was soll man da machen? Eigentlich war das wunderlich genug. Schon in der Schule waren meine deutschen Aufsätze stets gelobt, ja ausgezeichnet worden, und eine „Kahnfahrt bei Mondschein“, aus meiner Feder stammend, war sogar bei einer Schulprüfung als Musterarbeit ausgelegt worden. Verse schüttelte ich nur so aus dem Aermel. Keine Schlummerrolle, kein Rückenkissen, kein Paar Pantoffeln und keine Sandtorte wurde in unserem Hause verschenkt, ohne daß ein Gedicht von mir die Gabe begleitet hätte. Und die besten Sachen bekam gar niemand zu sehen, die trug ich heimlich spät am Abend, wenn das ganze Haus im Schlummer lag, in mein verschließbares Poesiebuch ein, welches ich ganz hinten in der rechten Ecke meiner obersten Kommodenschieblade unter dem Kasten mit Handschuhen, Spitzen und Bändern aufbewahrte. Den kleinen krausen Schlüssel zu diesem geheiligten Buche trug ich im Portemonnaie stets bei mir, und ich muß leider hinzufügen, daß er recht oft den einzigen wertvollen Inhalt desselben ausmachte, denn Vater hielt mich kurz mit Taschengeld. Er sagte, es müßte so sein: ein preußischer Beamter mit sieben Kindern – nun ja, er hatte wohl recht!
Aber diese mitunter recht störende Leerheit meines Portemonnaies war es durchaus nicht, was mich zu dem Entschluß gebracht hatte, für den Druck zu schreiben. Ich suchte Schätze, welche die Motten und der Rost nicht fressen: berühmt wollte ich werden. Wie manches Mal hatte ich in irgend einem Winkel mit heißen Augen und glühenden Wangen über ein Buch gebückt gesessen und Seite um Seite klopfenden Herzens heruntergehastet, um nur an das Ende zu gelangen und zu sehen, „ob sie sich bekämen“, ob die arme kleine Gouvernante Gräfin würde, und ob der hartherzige Vater die um ihrer Liebe willen verstoßene Tochter wieder aufnehme, ob die unglückliche Braut dem ungeliebten und schurkischen, aber reichen Bräutigam angetraut würde oder ob noch im letzten Augenblick der rechte, für tot gehaltene Geliebte zurückkehre und sein „Nein!“ dazwischen donnere, – wie oft hatte ich dann, wenn alles zum glücklichen Ziel gelangt, die Treue und Tugend belohnt und der Bösewicht vernichtet war, hochaufatmend gedacht, wie herrlich, ja, wie himmlisch es sein müßte, so etwas auch zu schreiben, andere Herzen so klopfen zu machen wie meines vor Spannung und Erwartung! Ich wollte unter dem Namen Viola Odorata schreiben, den ich besonders passend für ein Pseudonym fand.
In Wirklichkeit hieß ich natürlich nicht so. Ich hieß Helene Peters und wurde gewöhnlich schlankweg Lene genannt.
Berühmt sein! Ich war einmal mit den Eltern vier Wochen auf Sylt gewesen. Da hatte man sich gegenseitig auf eine ganz unscheinbar und unbedeutend aussehende Dame aufmerksam gemacht. Es war eine berühmte Schriftstellerin, die sich dort zur Erholung aufhielt. Die Köpfe wandten sich nach ihr, wenn sie vorüberging, und wer in ihren Kreis gelangen konnte, betrachtete es als Vorzug. Und sie war schon ziemlich alt und nichts weniger als hübsch. Wie mußte es nun erst sein, berühmt zu werden, wenn man jung und hübsch war! So war mir der Gedanke nach und nach von selbst gekommen, es einmal zu wagen. Warum sollte ich mit meinem unleugbaren Talent nicht erreichen können, was andere erreichten?
Uebrigens daß sich hier nur niemand falsche Vorstellungen mache – hübsch war ich eigentlich auch nicht. Ich sah ganz nett aus. Es gab Menschen, die fanden, ich hätte eine niedliche Figur, während andere meinten, sie wäre beinahe gar zu zierlich. Es gab auch Leute, die der Ansicht waren, ich hätte schöne, zarte Farben, andere, denen meine krausen dunklen Haare, und wieder solche, denen meine blauen Augen gefielen, manche sagten, ich sähe anziehend aus, und manche, ich hätte kein Alltagsgesicht; aber mein schmales, himmelan strebendes Näschen fanden sie immer höchstens keck und pikant, und meinen Mund, obgleich er rot und frisch war mit regelmäßigen weißen Zähnen, den hielt niemand, niemand für klein! Er war groß und blieb groß. Nein, hübsch war ich nicht, aber es ging so an.
Bis zum siebzehnten Capitel meines Romans war ich also in aller Stille bereits gediehen und hatte für meine Verhältnisse sehr viel Geld für Papier ausgegeben, obgleich ich auf jeden leeren halben Briefbogen, ja auf jede einigermaßen reinliche Papierdüte fahndete, alle in das Haus gelangenden Briefcouverts wendete, um die weiße Innenseite zu benutzen, und sogar die vollgeschriebenen Schulhefte meiner jüngeren sechs Geschwister ihres weißen Randes wegen vor mir nicht sicher waren. Aber siebzehn Kapitel sind keine Kleinigkeit, besonders wenn man dann und wann streichen und ändern muß, was natürlich bisweilen vorkam.
Die Zeit für diese siebzehn Capitel hatte ich mir sozusagen stehlen müssen. Ungern möchte ich bei irgend jemand ein übles Vorurteil gegen Mutter erwecken, aber ich traute ihr ein Eingehen auf meine Pläne und Hoffnungen nicht zu. Nie hatte sie Verständnis für mein geistiges Streben gezeigt! Ob es nun kam, weil unser Hausstand groß war und wir nur ein Mädchen hatten, – ob sie einen Stolz darin suchte, für die tüchtigste Hausfrau der Stadt zu gelten, was sie, glaube ich, auch war, genug, sie hatte für nichts Sinn und Zeit als für Kochen und Abstauben, Stopfen und Flicken von früh bis spät und schien gar nicht einzusehen, daß man auch auf eine andere Art fleißig sein könne als auf die ihrige. Kaum hatte man sich vor dem Kinderlärm irgendwo ein ruhiges Plätzchen erobert, um ein Stündchen lesen zu können, gleich erschien Mutter mit einem Arm voll Strümpfen, die man stopfen sollte. Und ging mir vielleicht ein Gedicht im Kopfe herum und ich zählte und maß in Gedanken die Silben und Reime ab – sicher kam „Male“, unser dienstbarer Geist, um mich auf Mutters
[145][146] Befehl in die Waschküche zu beordern, wo ich Wäsche zählen sollte. So etwas verstimmt natürlich.
Wie gesagt, ich will niemand gegen Mutter einnehmen, aber sie erschwerte es mir, das vorgesteckte Ziel zu erreichen. Heimlich trug ich immer ein Bündel Konzeptpapier und einen Bleistift in der Tasche, und sowie mir nur ein freier Augenblick blieb, schrieb ich an meinem Roman, bei dem meine Gedanken immer weilten, auch wenn ich die Suppe schäumte, Tassen wusch oder sonst etwas Prosaisches that. Mußte ich am Herde stehen, nur auf die Milch zu achten, die nicht kochen wollte, gleich zog ich meinen Roman aus der Tasche; glaubte Mutter, ich läge abends längst in süßem Schlaf in meinem Bett, so saß ich statt dessen bei einer heimlich hinaufgeschmuggelten Küchenlampe in meinem kalten Stübchen und schrieb Roman. Und bei all diesen Opfern hätte die Sache mir unglaubliches Vergnügen gemacht, wäre nicht die Milch öfters übergekocht und die Lampe immer in einer für Mutter unerklärlichen Weise leer gebrannt gewesen. Dann wurde Mutter ärgerlich – ach, manchmal so ärgerlich! Darin lag eben der Unterschied zwischen unseren Naturen und der Grund, warum sie mich nicht verstand: ihr deuchte ein verdorbenes Mittagsessen eine Sache von großer Wichtigkeit, während es mir ganz gleichgültig war.
Auch heute mußte sie mich natürlich gerade im besten Gedankengange stören. Meiner Heldin schwebte eben ein Wort auf den Lippen, welches, von dem Helden falsch gedeutet, beide für lange Zeit so voneinander trennen sollte, daß ich bis jetzt noch nicht wußte, wie ich sie später im vierunddreißigsten Kapitel wieder zusammenführen wollte. Sie hatte schon den Mund – einen sehr kleinen, feingeschnittenen, hübschen Mund geöffnet, um dieses verhängnisvolle Wort zu sprechen, da tönte es beinahe unmittelbar vor meinem Ohre: „Lene, Lene – Lene! –“ das letzte „Lene“ mit einem Seufzer und einem Nachdruck der Empörung gesprochen. Es schien, als wenn Mutter – denn sie war es selbstverständlich, die rief – daran verzweifelte, mich im Laufe dieses irdischen Lebens noch zu irgend einer nützlichen That verwendbar zu finden. Obgleich ich Mutter nicht sah, fühlte ich doch mit unfehlbarem Instinkt, daß sie jedenfalls tragisch den Kopf schüttelte.
Hastig und schuldbewußt, denn ich entsann mich der Gardinen, die ich hätte plätten sollen, recht gut, stopfte ich mein Papierbündel in die Tasche, doch nicht schnell genug, daß Mutter nicht noch einen Blick darauf erhascht hätte.
„Da sitzt nun das Mädchen und schreibt Tagebuch oder Verse oder sonst einen Unsinn, während wir mitten im Reinmachen sind und vor Arbeit nicht aus noch ein wissen! Nun sage mir bloß das eine: was denkst Du Dir eigentlich, Kind?“
Was ich mir dachte? Ja, das konnte man Mutter, noch dazu, wenn sie in diesem Tone fragte, nun doch nicht so ohne weiteres sagen! Ich that es deshalb auch nicht, sondern ging nur gesenkten Kopfes hinter ihr her, die vor mir mit raschen Schritten dem Hause wieder zueilte.
Wenn man Mutter von der Rückseite betrachtete, sah sie eigentlich noch ganz jugendlich aus, beinahe wie ein junges Mädchen, und in Wirklichkeit war sie ja auch noch garnicht alt, erst vor vierzehn Tagen war sie dreiundvierzig geworden. Ich dachte mir, sie müßte früher einmal etwa so ausgesehen haben, wie ich jetzt, aber Vater sagte immer, sie wäre viel hübscher gewesen. Nun, das ist gewiß, ihre Nase war auf keinen Fall so impertinent und ihr Mund nicht so groß wie meiner. Mutter hielt viel auf zierliche Kleidung. Wie sie so vor mir herging, mußte ich denken, sie wäre wie eine Bachstelze, so sauber, so behend und so fein, obgleich sie doch den ganzen Vormittag tüchtig herumgewirtschaftet hatte, wie ich wohl wußte. Ich bewunderte das immer sehr an Mutter und konnte es ihr doch nicht nachmachen. Wenn mir ein Knopf absprang oder irgendwo eine Naht ein wenig platzte, wollte ich den Schaden wohl immer gleich wieder gutmachen – wirklich, ich war meiner innersten Neigung nach so ganz besonders ordentlich –, aber ich vergaß es dann manchmal über meinen Roman oder über sonst etwas, wie es Leuten, deren Hauptinteressen geistiger Natur sind, gewiß oft geht. Mutter verstand das nicht.
„Als ich so alt war wie Du,“ sagte sie ein paar Minuten später, als wir beide am Plättbrett standen, „als ich so alt war wie Du, Lene, sorgte ich bereits seit Jahren ganz selbständig für meinen Vater, die Geschwister und ein paar Kostgänger und pflegte meine kränkliche Mutter. Liebe Zeit, wenn ich hätte dasitzen wollen wie Du, was hätte aus uns werden sollen?“
Die Thatsache war mir nicht neu, im Gegenteil hatte Mutter, um meinen Ehrgeiz anzustacheln, bereits ziemlich oft darauf hingedeutet. Ich sagte deshalb auch bloß, ohne besondere Zeichen von Bewunderung oder Erstaunen: „Mochtest Du es eigentlich gerne?“ – „Ich hätte es nicht gemocht,“ fügte ich in Gedanken hinzu, aber das sagte ich nicht.
„Ich weiß nicht,“ sagte Mutter, eifrig plättend, was sie mit wunderbarer Schnelligkeit verstand, „ich weiß nicht, ob ich es im Anfang gerade sehr gerne mochte. Darüber nachzudenken hatte ich nicht viel Zeit und darauf kam es ja auch gar nicht an. Jedenfalls freute ich mich später – Lene, ums Himmels willen, laß doch das Eisen nicht stille stehen, Du brennst ja ein Loch! ich sage, später, als ich heiratete, freute ich mich jedenfalls sehr, eine so gute Schule durchgemacht zu haben, und Dein Vater freute sich auch, das kannst Du mir glauben! Wir hätten ja sonst gar nicht heiraten können. Vermögen hatten wir beide nicht, und wenn ich da nicht einmal zu wirtschaften verstanden hätte bei dem kleinen Anfangsgehalt –“ Doch da unterbrach sie sich heftig: „Lene, wenn Du die Gardine so schief über das Brett ziehst, kann sie nun und nimmermehr ordentlich werden!“
Ich sagte nichts, zog die Gardine gerade und dachte an meinen Roman.
„Wenn Du ’mal heiraten solltest – dann gnade Gott dem Mann!“
„Ich will gar nicht heiraten,“ sagte ich, den Kopf ein wenig zurückwerfend, „habe ich nie gewollt!“ Ich sagte das keineswegs aus Trotz oder sonst einem verwerflichen und bösartigen Grunde, sondern in aller Ehrlichkeit, einfach, weil ich es so meinte. Ich war ein etwas emancipiertes Frauenzimmer, nicht nur aus Grundsatz, sondern auch aus Neigung, oder vielmehr aus Mangel an Neigung, nämlich für alle männlichen Wesen, welche mir bisher in den Weg gekommen waren. Alle meine Freundinnen hatten bereits einmal für jemand geschwärmt oder schwärmten eben jetzt! Ich rümpfte mein impertinentes Näschen mit leisem Hohn über solches Beginnen. Keiner hatte mir bis jetzt so gefallen, daß ich ihn meiner Liebe, so wie ich mir nämlich Liebe dachte, Wert gehalten hätte. Manche waren ja ganz nett, nun ja, einige tanzten auch sehr gut, aber die Sehnsucht, einen von ihnen zu heiraten, hatte ich noch nie verspürt. Im Gegenteil dachte ich von den meisten, wie langweilig es doch sein müßte, sie mein ganzes Leben lang immer in meiner Nähe zu haben – immer, unentrinnbar, und wie gräßlich es sein würde, einem von ihnen einen Kuß geben zu müssen. Uebrigens hatte mich auch noch nie jemand um dieses Glück gebeten, und da ich also kühlen Herzens das ehrwürdige Alter von zwanzig Jahren bereits erreicht hatte, war ich ganz frohen Mutes darauf gefaßt, eine alte Jungfer zu werden. Wenn ich nur berühmt wurde, das genügte mir, und ich betrachtete es als einen ganz besonderen Beweis meines schriftstellerischen Talents, daß ich trotzdem wundervoll ergreifende Worte für die Liebeserklärungen gefunden hatte, welche der Held meines Romanes doch machen mußte, da Helden dies ja bekanntlich zu thun pflegen.
Ich will hier einschalten, daß der Held meines Romanes, meinem eigenen Ideal von Männlichkeit entsprechend, groß, schlank, blond, blaß, genial, schwermütig und arm, jedoch im Besitze eines unbegrenzten Edelmutes und eines wunderbaren Vollbartes war. Aber dies gehört wohl eigentlich nicht hierher.
„Ich will gar nicht heiraten – habe ich nie gewollt!“
Mutter warf mir einen halben Blick von der Seite zu. „Nun, das paßt ja gut,“ sagte sie gleichmütig, „denn so wie Du jetzt noch bist, wird Dich auch wohl schwerlich jemand haben wollen. Beamtentöchter ohne Vermögen müssen wenigstens tüchtig und liebenswürdig sein, wenn man sie begehrenswert finden soll. Uebrigens, mein Kind, hat man auch Pflichten im Leben, wenn man nicht heiratet.“
Es wurde still. Wir plätteten beide, Mutter schnell und vorzüglich, ich langsam und – nicht vorzüglich. Ich weiß nicht, wie es kam, daß ich immer Falten in alles hineinplätten mußte, was glatt werden sollte, und alles das glatt und platt machte, was faltig und bauschig hätte aussehen müssen. Ich wollte gern etwas sagen und verschluckte es dann doch wieder, denn Mutter hatte für philosophische Erörterungen nicht viel Neigung, und wenn ich auch manchmal im verborgensten Herzenswinkel glaubte, ihr in einigen Dingen überlegen zu sein, so hatte ich doch, wenn [147] ich ihr Auge in Auge gegenüberstand, einen sehr großen Respekt vor ihr.
„Mutter,“ sagte ich nach einer Weile doch, emsig auf meine Arbeit niederblickend, „hat man nicht auch Pflichten gegen sich selbst?“
„Natürlich,“ entgegnete Mutter bereitwillig, „selbstverständlich hat man Pflichten gegen sich selbst, vor allem zum Beispiel die, sich immer so zu betragen, daß einen von keiner Seite ein Vorwurf treffen kann.“
So – ja – so hatte ich es nun allerdings eigentlich nicht gemeint. „Ich meine,“ begann ich wieder ein bißchen flau, „ich meine –“ merkwürdig, wie unbescheiden es einem vorkam, es anzusprechen, während ich immer so selbstverständlich gefunden hatte, es zu denken „wenn man nun nach irgend einer Richtung hin ganz besondere Talente bekommen hat, ist es da nicht Pflicht –“ und dann stockte ich wieder.
„Natürlich,“ stimmte Mutter mir wieder aufs bereitwilligste zu, „nur muß es auch wirklich ein Talent sein, so eines, das sich sehen lassen kann, sonst ist es Zeitvergeudung! Wer nur ein bißchen Klavier klimpern oder Blumen nach Vorlagen mühsam nachpinseln oder sogenannte niedliche Verse schmieden kann, der hat weder das Recht noch die Pflicht, etwas anderes darüber zu vernachlässigen, sobald das andere seine ihm zugewiesene Arbeit ist. Dilettantenkram, mein Kind, ist gut für Mußestunden, wenn man welche hat; hat man keine, so muß man sich nicht damit befassen.“
Damit ging Mutter zum Plättofen, um sich ein neues Eisen zu holen, und indem sie zurückkehrte und im Gehen mit der angefeuchteten Fingerspitze den heißen Stahl berührte, um zu sehen, ob er den richtigen Wärmegrad hätte, bemerkte sie nicht, wie mir eine Thräne auf die Hand tropfte – die bittere Thräne des verkannten Genies. „Dilettantenkram“, natürlich, das sollte auf mich gehen, „niedliche Verse“, so ganz verächtlich! Nun ja, freilich, sie hatte den Inhalt meines geheiligten Poesiebuches nicht gelesen, sie ahnte nicht, daß das siebzehnte Kapitel meines Romans bereits begonnen war. Ein Roman von vierunddreißig Kapiteln ist kein Dilettantenkram. Aber allerdings, sie konnte das nicht wissen; sie sah nicht, was ich leistete. Vielleicht war es am besten, ihr zu verzeihen! Schon plättete sie wieder gleichmütig, ohne sonderlich auf mich zu achten, und ich stellte mein Eisen auf die Gardine, um mir verstohlen die Thräne fortzuwischen.
„Lene!“ rief es im nächsten Augenblick neben mir, in höchster Entrüstung, „habe ich es nicht geahnt? Siehst Du, da hast Du glücklich ein Loch gebrannt – das Eisen in voller Lebensgröße! Ein Segen, daß ich Dir wenigstens nur die alten, roten anvertraut habe!“
Ja, es war gut, diesmal wenigstens mußte ich Mutter uneingeschränkt recht geben.
In diesem kritischen Augenblick öffnete sich die Thür, und Male erschien in derselben mit kühn geschürzten Röcken und hoch aufgekrempelten Aermeln, in der einen Hand den „Feuel“, in der anderen den „Leuwagen“ haltend, denn sie hatte den Flur geschrubbt und war jetzt dabei, ihn aufzuwischen, zu „feueln“, wie man bei uns sagt.
„Da is ein’!“ meldete sie ziemlich ungnädig, denn Male konnte viel aushalten, aber mitten aus der schmutzigen Arbeit heraus ließ sie sich nicht gern wegholen. Was zu viel ist, ist zu viel!
„Es ist jemand da,“ verbesserte Mutter, welche zu vielen anderen Aufgaben auch noch die freiwillig auf sich genommen hatte, Males schon nicht mehr fragwürdiges Deutsch zu verbessern, ohne durch ihre Bemühungen je den leisesten Erfolg zu erzielen, da Male starrköpfig auf der von ihr selbst gewählten Ausdrucksweise zu beharren pflegte. „Wer ist’s denn?“
„Ich glaube, es is den neuen Doktor,“ erklärte Male. „Er hat ’n neuen Spinthut auf und ’n feinen schwarzen Liefrock an – ’ne Karte hat er mich auch gegeben.“ Dabei präsentierte sie mit der feuchten Hand eine Visitenkarte. Male war von der Kultur noch sehr wenig beleckt. Wir hatten sie, nachdem unsere vorige „Male“ Hochzeit gehabt hatte – die Mädchen heirateten immer von uns aus weg – erst kürzlich „ganz wild“ vom Lande bekommen, und sie erwies sich zwar als sehr treu und fleißig, aber leider auch als allen Bildungsbestrebungen völlig unzugänglich.
„Cylinder heißt es und Leibrock,“ belehrte Mutter trotzdem mechanisch, während sie die Karte nahm, „und eine Karte faßt man nicht mit – – ja wirklich, Lene, es ist der junge Arzt, der sich hier niederlassen will, natürlich will er seinen Antrittsbesuch machen! Sie haben den Herrn doch in das Wohnzimmer geführt, Male? Sonst thun Sie es gleich.“
Das hatte Male nun natürlich keineswegs gethan, verschwand darum schleunigst vom Schauplatz, und wir hörten sie draußen auf dem Flur mit lauter Stimme herablassend sagen: „Kommen Sie hier man so lange ’n büschen rein. Frau Rat is gerade mit unser Fräulein beis Plätten. Sie macht sich man ’n büschen zurecht, denn kommt sie.“
„Unpassender hätte der Mann die Zeit aber doch auch nicht wählen können,“ sagte Mutter, den großen Haufen Plättwäsche, der noch zu bewältigen war, mit verzweifelndem Blick überfliegend. „Es hätte ja doch nicht geeilt mit den Besuchen, jetzt, wo alle Welt reinmacht. Ich kann hier nicht weg, es ist unmöglich. Dir –“ ein Seufzer – „Dir kann man ja leider die Plätterei nicht anvertrauen. Geh Du hinein; annähernd ordentlich siehst Du ja aus, und der Mann wird ja wohl ein Einsehen haben; sage, Vater wäre nicht zu Hause, wir wären beim Reinmachen, ich ließe um Entschuldigung bitten und so weiter na, das wenigstens wird man Dir ja wohl überlassen können! Hoffentlich geht er dann gleich wieder.“
Damit steckte sie mir noch geschwind den dicken, schwarzen Zopf ein bißchen fester, fuhr mir mit der Hand hastig glättend über das krause, immer widerspenstige Haar und schob mich aus der Thür, als wäre ich eine auf Rollen stehende Figur. (Fortsetzung folgt.)
Blätter und Blüten.
Eine Reform der Medizintropfen. Nur ein Tropfen! So sprechen wir und bezeichnen damit die geringste Menge der Flüssigkeit, die wir abzumessen pflegen. Und doch ist der kleine Tropfen sozusagen ein sehr weiter Begriff, ein höchst schwankendes Maß. Wir brauchen ja nur die von der Natur gelieferten Regentropfen zu beobachten. Da klatschen mitunter Riesentropfen nieder, deren Schlag uns Schmerzen bereitet, oder es rieselt in feinen und feinsten mikroskopisch kleinen Tröpfchen. Trotz alledem gilt uns der Tropfen doch als ein Maß und wir messen mit ihm obendrein nicht etwa nur harmlose Flüssigkeiten, sondern oft recht zweischneidige Arzneien, die, in einer nur etwas zu großen Menge eingenommen, sehr leicht aus einem Heilmittel zu lebensgefährlichem Gifte werden. „Stündlich 10 Tropfen,“ steht es auf dem Rezept. Wir lassen nun die Tropfen aus der Medizinflasche in ein Glas oder auf ein Stück Zucker fallen, aber wie verschieden groß können die Tropfen sich gestalten. Die Größe und das Gewicht derselben hängt zunächst von der Beschaffenheit der Flüssigkeit, die wir abtröpfeln lassen, ferner von der Beschaffenheit des Flaschenhalses und dem Inhalt der Flasche ab. Je weiter der Flaschenhals, desto großer werden die Tropfen und aus einer vollen Flasche erhalten wir viel größere Tropfen als aus einer halbgefüllten oder nahezu entleerten. Am gleichmäßigsten gestalten sich die Tropfen, wenn wir sie durch enge Röhrchen fallen lassen. Alsdann hängt ihre Größe von der Größe der Ausflußöffnung ab. Jüngst wurden in dieser Hinsicht interessante Versuche angestellt. Läßt man Wasser durch verschieden weite Röhrchen abtröpfeln, so erhält man folgende Ergebnisse. Ist die Ausflußöffnung etwa 0,7 mm weit, so wiegen die Wassertropfen je 13 Milligramm, bei einer Röhrenweite von 1,40 mm erhielt man 26 Milligramm schwere Tropfen, während 15 mm weite Ausflußöffnungen Tropfen von 225 Milligramm Gewicht ergaben. Im Interesse des Kranken und des Arztes ist es nun dringend erwünscht, daß man Tropfgläser verwendet, die stets gleich große Tropfen ergeben. Zu diesem Zwecke hat man vorgeschlagen, die Stöpsel der betreffenden Medizingläser mit etwa 7 mm weiten Glasröhrchen zu versehen. Mit deren Hilfe würde man sozusagen Normaltropfen erhalten. Es würden alsdann auf je ein Gramm verschiedener Flüssigkeiten folgende Tropfenmengen kommen: von destilliertem Wasser 10 Tropfen, Karbolwasser 15 Tropfen, rektifiziertem Spiritus 29 Tropfen, Olivenöl 21 Tropfen, Chloroform 26 Tropfen, Aether 41 Tropfen etc. Hoffentlich wird eine derartige wünschenswerte Reform unserer medizinischen Tropffläschchen demnächst erfolgen!*
Amerikanische Verkehrskuriosa. Die beiden folgenden Beispiele von der Kühnheit, mit welcher die Technik in den Fragen des Verkehrs alle natürlichen Schwierigkeiten überwindet oder sogar in Vorteile verwandelt, sind mitten aus dem Eisenbahnleben der Vereinigten Staaten gegriffen und wären wohl auch kaum in einem anderen Lande denkbar. In den kalifornischen Gebirgen kreuzt die Bahn eine tiefe, von Prachtexemplaren alter, riesiger Bäume ausgefüllte Schlucht. Man verschmähte es, hier eine Brücke zu schlagen, und meinte, zum Tragen der Geleise wären die Stämme der prächtigen Rotholzbäume gerade gut genug. So wurden die der Trace hinderlichen Kronen einfach in der Höhe der Schienen abgesägt, Schwellen und Schienen auf den 75 Fuß hohen Stümpfen der stärksten Bäume befestigt, und auf dieser primitiven
[148] Brücke, die weder Pfeiler noch Spannwerk besitzt, verkehren seit Jahren Personen- und Güterzüge jeden Kalibers. – Ein Gegenstück zu diesem technischen Saltomortale des „wilden Westens“ besitzt der Osten des Landes in einer Drahtseilbahn, welche die Stadt Knoxville (Tennessee) über den Spiegel des Tennessee-Stroms hinweg mit dem gegenüberliegenden Ufer verbindet. Das letztere ist flach, während die Stadt selbst auf einer Höhe von mehr als 100 m über dem Fluß liegt. Der Fährendienst ist unbequem und zeitraubend, zumal er für die Passanten ein beständiges Auf- und Abklettern an dem Steilufer erfordert. Eine Brücke hätte denselben Uebelstand mit sich gebracht und war auch zu teuer. Man entschloß sich also zur Ueberspannung des 300 m breiten Stromes durch eine Drahtseilbahn, deren mehr als zolldicke Kabel diesseits oben auf dem Steilufer, jenseits unten am Strande verankert sind. An ihr gleitet eine Art von Pferdebahnwagen, der 16 Passagiere faßt, von Knoxville aus in rasender Geschwindigkeit hinab, – er legt die Fahrt in 30 Sekunden zurück, – um dann durch Dampfmaschinen in 3½ Minuten wieder hinauf gezogen zu werden. Die Passagiere schauen also, zum Teil von den offenen Plattformen, einen Augenblick aus Kirchturmhöhe auf den Strom hinab, um dann hinunter und gleichzeitig vorwärts zu sausen und in der Mitte der schwindelnden Fahrt an schwankenden Seilen 60 m über dem Strom zu schweben. Die außerordentliche Festigkeit der Drahtseile, die auch das fünfzigfache des daranhängenden Gewichtes noch tragen würden, hat bis jetzt neben den vorzüglichen Bremsvorrichtungen jeden Unfall verhütet. Bw.
Ein „Lacherfolg“. (Zu dem Bilde S. 137.) Wenn ein Humorist, ein Lustspiel- und Possendichter mit einer Neuigkeit vor sein Publikum tritt, so sind die heiteren Mienen und das fröhliche Lachen seiner Leser und Zuschauer die erwünschte Quittung für den guten Erfolg. Anders aber liegt die Sache, wenn tragische oder sentimentale Gedanken und Gefühlsäußerungen das hervorrufen, was man boshafterweise einen „Lacherfolg“ nennt. In diesem fatalen Falle ist offenbar der Schreiber des Briefes, welchen die vorderste der vier übermütigen Evatöchter auf unserm Bilde in der Hand hält. Die kaum versteckte Heiterkeit der Vorleserin und die ganz unverblümte der Zuhörerinnen lassen keinen Zweifel darüber, daß der Verfasser des Liebesbriefes an die unrechte Adresse geraten ist und zu der schweren Enttäuschung auch noch den Spott zu tragen hat.
Der Heilstoff der Schilddrüse. Vor längerer Zeit (vgl. „Gartenlaube“, Jahrgang 1894, S. 654) brachten wir in dem Artikel „Tierische Organsäfte als Heilmittel“ einige Mitteilungen über die Verwendung der Schilddrüse gegen verschiedene Krankheiten. Der dabei wirksame Stoff der Schilddrüse scheint nunmehr von Prof. E. Baumann in Freiburg entdeckt worden zu sein. Derselbe hat aus der Hammeldrüse eine organische Substanz hergestellt, die sich nach Versuchen seines Mitarbeiters Dr. Roos ebenso wirksam erwiesen hat wie die Schilddrüse selbst. Diese Substanz erhielt den Namen Thyrojodin und zeichnet sich durch starken Gehalt an Jod aus. Bemerkenswert ist es nun, daß in anderen Organen des menschlichen Körpers das Jod gar nicht oder nur in Spuren vorkommt. Die Heilwirkung von Jodverbindungen gegen Kröpfe ist schon seit lange bekannt, da man ja durch Jodpinselungen und Jodeinspritzungen das Leiden zu bekämpfen suchte. Das Vorhandensein von Jod in der Schilddrüse ist darum von besonderem wissenschaftlichen Interesse. *
Galizischer Geflügelmarkt am Schlesischen Bahnhof zu Berlin. (Zu dem Bilde S. 145.) Trotz aller Belehrung von seiten der Volkswirte und trotz einer ausgedehnten Vereinsthätigkeit will die Geflügelzucht, namentlich aber die Hühnerzucht, in Deutschland zur Zeit noch immer nicht in gewünschtem Maße gedeihen. Noch müssen wir vom Auslande Eier und Geflügel in Mengen beziehen, deren Wert sich auf viele Millionen Mark beläuft. Unsere Großstädte sind naturgemäß die Hauptabnehmer dieser fremden Ware und obenan steht unter ihnen auch in dieser Hinsicht die Reichshauptstadt. Berlin läßt sich aus dem fernen Osten, namentlich aus Galizien, Geflügel aller Art senden und zweimal wöchentlich treffen dort auf dem Schlesischen Bahnhof Extrazüge ein, die mit der schnatternden und piependen Ware vollgepfropft sind. Die Vögel, Hühner, Gänse, Enten und Tauben, werden in Kisten verpackt, die aus leichten Brettern zusammengeschlagen sind und breite Ritzen aufweisen, damit die Luft in das Innere leichten Zutritt habe. Ein Eisenbahnwagen faßt etwa 100 dieser Kisten, und da in jeder derselben je nach der Größe 50 bis 100 Stück Geflügel untergebracht werden, kann die Gesamtzahl der lebenden Vögel, die mit einem solchen Zuge in Berlin anlangen, 100000 bis 200000 betragen. Man kann sich denken, welch lebhaftes Treiben sich beim Ausladen einer solchen Ware auf dem Güterbahnhof entwickelt, es ist um so lärmender, als auch der Verkauf sogleich an Ort und Stelle vor sich geht. Unsere Abbildung auf S. 145 veranschaulicht uns die bewegte Scene. Da sehen wir Türme von Kisten, dazwischen fremde und Berliner Händler, welche die Ware prüfen. Das gekaufte Gut wird schließlich in die bereitstehenden Wagen der Berliner Großhändler umgepackt und in die Stadt gefahren. Das Geschäft wickelt sich ungemein rasch ab und im Verlauf einer Stunde ist der Platz wieder leer geworden.
Bleifreie Glasur beim irdenen Kochgeschirr. In dem Artikel „Gefährliches Kochgeschirr“ in Nr. 43 des Jahrgangs 1895 haben wir über die Verwendung des Bleis zur Herstellung irdenen Kochgeschirrs berichtet. Nachträglich möchten wir bemerken, daß es eine Art von irdenem Geschirr giebt, bei dem von der Bleiglasur abgesehen werden kann. Dies ist z. B. in den Brauntöpfereien in Kamenz (Lausitz) und in Bunzlau der Fall. Dort wird die Glasur, wie uns von beteiligter Seite mitgeteilt wird, ausschließlich aus Lehm hergestellt, weil der Kamenzer und Bunzlauer Thon nicht so porös ist und den hohen Hitzegrad, welcher zum Fließen der Lehmglasur notwendig ist, gut verträgt. Selbstverständlich kann solches Geschirr keine Gefahr für die Gesundheit bringen.*
Das Selbstbildnis der Malerin Lebrun mit ihrer Tochter. (Zu unserer Kunstbeilage.) Die berühmte Bildnismalerin Elisabeth Luise Lebrun, deren Selbstbildnis, das sie als Malerin darstellt, unsere Leser vor zwei Jahren als Kunstbeilage erhielten, hat auch ein anderes Selbstbildnis hinterlassen, in welchem sie dem häuslichen Glück, das sie als Mutter empfand und ausströmte, ein entzückendes Denkmal gesetzt hat. Es ist bereits damals angedeutet worden, daß die liebenswürdige Pariser Künstlerin, die zu einer Zeit zu Ansehen und Ruhm gelangte, da die Ausübung der Malerei durch Frauenhand noch eine große Seltenheit war, ein äußerst glückliches Familienleben geführt hat an der Seite des reichen Kunsthändlers Lebrun, den sie in frühem Alter heiratete. Und so ist es für ihre Persönlichkeit sehr bezeichnend, daß sie, nachdem sie sich bei der Arbeit an der Staffelei gemalt hatte, das Bedürfnis fühlte, auch ihr junges Mutterglück zum Gegenstand eines Bildes zu machen. Dasselbe wurde eines ihrer gelungensten Werke und durch die Innigkeit, mit der in den Zügen von Mutter und Kind die Besitzesfreude sich ausdrückt, eine der lieblichsten Darstellungen jener seligen Empfindungswelt, die zu allen Zeiten Gemeingut unzähliger Mütter, unzähliger Kinder ist. Wie das Leben der Malerin, die, 1755 zu Paris geboren, in hohem Alter – 1842 – starb, ist auch dies Bild, das im Louvre zu Paris sich befindet, ein ansprechender Beweis dafür, wie die Pflege der Kunst und Familienglück gar wohl nebeneinander in einem gesunden Frauenleben zu gedeihen vermögen.
Inhalt: Fata Morgana. Roman von E. Werner (8. Fortsetzung). S. 133. – Der Liebling meiner Buben. Bild. S. 133. – Ein „Lacherfolg“. Bild. S. 137. – Der Sachsenspiegel und Burg Falkenstein. Von Gustav Stephani. S. 139. Mit Abbildungen S. 140 und 141. – Die Röntgenschen Strahlen und die Reichenbachsche Od-Lehre. Von Prof. Dr. Ludwig Büchner. S. 141. – Mein Roman. Novelle von Eva Treu. S. 144. – Geflügelmarkt am Schlesischen Bahnhof zu Berlin. Bild. S. 145. – Blätter und Blüten: Eine Reform der Midizintropfen. S. 147. – Amerikanische Verkehrskuriosa. S. 147. – Ein „Lacherfolg“. S. 148. (Zu dem Bilde S. 137.) – Der Heilstoff der Schilddrüse. S. 148. – Galizischer Geflügelmarkt am Schlesischen Bahnhof zu Berlin. S. 148. (Zu dem Bilde S. 145.) – Bleifreie Glasur beim irdenen Kochgeschirr. S. 148. – Selbstbildnis der Malerin Lebrun mit ihrer Tochter. S. 148. (Zu unserer Kunstbeilage.)
[ Verlagsangebot „an neue Abonnenten“ für den gehefteten bzw. gebundenen Jahrgang 1895 der Gartenlaube u. a.. – Hier nicht wiedergegeben. ]
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Die Gartenlaube.
Der Krieg in Abessinien. In der Märzschlacht bei Metemneh im Jahre 1889 fand König Johannes, der Negus Negesti (Hauptkönig) des christlichen Abessiniens, einen ruhmvollen Tod im Kampfe gegen die fanatischen Mahdisten. Von den Ras oder Unterkönigen des Berglandes war Menelik von Schoa der mächtigste und schickte sich nun an, die Würde des Hauptkönigs zu erlangen. Klugerweise suchte er die Freundschaft Italiens, das an der Küste des Roten Meeres seine afrikanische Kolonie Erythräa gegründet hatte und auch Abessinien unter seine Schutzherrschaft zu stellen trachtete.
Wiederholt hatten sich bereits abessinische Waffen mit den italienischen gekreuzt, ohne daß einer der Gegner den entscheidenden Sieg errungen hätte. Menelik schloß Frieden mit Rom und erkannte scheinbar die Schutzherrschaft Italiens an. Er ließ sich mit allem Pomp krönen, und die Italiener ergriffen Besitz von den nördlichen Ausläufern des abessinischen Berglandes. Sie begannen mit emsiger Rührigkeit an der Zivilisierung des Landes zu arbeiten; sie bauten gute Straßen, befestigten die Städte, und italienische Ansiedler kamen nach Erythräa, um auf den Hochebenen Ackerbau und Viehzucht zu treiben. Diese Entwickelung der Kolonie wurde anfangs gar nicht durch einen diplomatischen Zwist berührt, der von Menelik in der Auslegung des Schutzvertrages heraufbeschworen wurde.
Da sollte im Jahre 1894 der Friede jäh gestört werden. Ras Mangascha, der Unterkönig der Landschaft Tigre und ein natürlicher Sohn Meneliks, empörte sich gegen die Herrschaft der Italiener. Der Aufstand wurde zwar mit bewaffneter Macht niedergeworfen und Tigre von den Italienern besetzt, aber Ras Mangascha floh zu seinem Vater und stachelte ihn sowie die anderen Unterkönige Abessiniens zum Kriege gegen Italien auf.
In der That sammelte Menelik ein starkes Heer und zog, von den Unterkönigen begleitet, gegen die italienischen Kolonialtruppen zu Felde. Die einzelnen Episoden dieses afrikanischen Krieges, dessen Ende noch nicht absehbar ist, erregten die Teilnahme der Welt weit über die Grenzen Italiens hinaus. Gegen Ende des vorigen Jahres begann die Entscheidung zu nahen, wobei die Italiener eine Reihe ehrenvoller Niederlagen erlitten. Anfang Dezember erhielten die abessinischen Scharen Fühlung mit dem südlichsten Posten der Italiener, einem etwa 1200 Mann starken Bataillon eingeborener Truppen, die von europäischen Offizieren und Unteroffizieren geführt wurden und unter dem Kommando des Majors Pedro Toselli standen. Am 7. Dezember wurde dieses Bataillon auf dem Tafelberge (Amba) Aladschi von 20000 Abessiniern unter Führung von Ras Makonnen und Ras Mikael angegriffen. Nach heldenmütigem Widerstand mußten die Italiener weichen, wobei Major Toselli fiel.
Nun rückte das abessinische Heer vor, und es galt, den Feind aufzuhalten, damit der Befehlshaber der Kolonialtruppen, General Baratieri, dieselben sammeln und dem Feinde gegenüber eine günstige Stellung einnehmen konnte. Diese Aufgabe fiel dem Major Giuseppe Galliano zu, der mit 1300 Mann Italienern und Eingeborenen Makalle gegen den andringenden Feind verteidigen sollte. Makalle ist die Hauptstadt der Landschaft Tigre. Hier ließ sich einst Negus Johannes von dem Piemontesen Naretti einen Palast erbauen, in dem später der von den Italienern vertriebene Ras Mangascha residierte. Beherrscht wird die Stadt durch das Fort Enda Jesu. Negus Menelik erschien vor Makalle an der Spitze von 70 000 Streitern, aber die tapfere Besatzung hielt das Fort vom 7. bis 21. Januar d. J. und schlug mit Todesverachtung mehrere Stürme ab. Erst als der letzte Wasservorrat erschöpft war, kapitulierte Galliano unter ehrenvollen Bedingungen. Es wurde ihm freier Abzug mit allem Kriegsmaterial bewilligt, und Ras Makonnen, der König der Landschaft Harrar, übernahm die Bürgschaft für sicheres Geleite der Verteidiger Makalles bis zu den italienischen Linien. Galliano, der für sein tapferes Verhalten zum Oberstlieutnant ernannt wurde, erreichte mit seiner Truppe glücklich Adigrat, wo General Baratieri mit der Hauptmacht der Kolonialtruppen Stellung genommen hatte. Dicht auf dem Fuße folgte aber ihnen das große Heer Meneliks, und nun stehen sich beide Heere gegenüber. General Baratieri verfügt über 30000 Mann, aber auch die Abessinier sind im Besitz von mindestens 40000 Gewehren und 25 schnellfeuernden Geschützen. Während wir diese Zeilen schreiben, ist es ungewiß, ob Menelik die entscheidende Schlacht wagen wird. Er hat inzwischen Friedensverhandlungen mit Baratieri angeknüpft, jedoch Forderungen gestellt, auf die Italien nicht eingehen konnte, so daß die Verhandlungen abgebrochen wurden. Im Interesse der Kultur ist es dringend zu wünschen, daß in Meneliks Rate die Besonnenheit siegen möchte; denn nicht nur weiteres Blutvergießen würde damit verhindert werden, sondern Abessinien könnte nur gewinnen, wenn es rückhaltlos die Schutzherrschaft Italiens anerkennen wollte.
Reinigen von Leuchtern. Nicht leicht lassen sich Wachs- und Stearinflecke von den silbernen Tafel- und Wandleuchtern entfernen, die unsere Gesellschaftstafel zierten. Ein Putzen vertreibt sie nicht und ein Abschaben verkritzelt das Silber. Man thut am besten, wenn man die Leuchter so lange langsam mit kochendem Wasser übergießt, bis sich die Flecke gelöst haben. Man braucht die Leuchter dann nur einfach mit einem Ledertuche trocken zu reiben, und wenn es nötig erscheint, noch mit Silberseife nachzuputzen, um sie wieder in altem ungetrübtem Glanze erstehen zu lassen. L. H.
[148 b] [Diese Seite enthält nur Werbung von dritter Seite, die hier – zumindest vorerst – nicht transkribiert wird.]