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Die Gartenlaube (1896)/Heft 23

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1896
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[373]

Nr. 23.   1896.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Fata Morgana.

Roman von E. Werner.

     (22. Fortsetzung.)

In Kronsberg sah es schon herbstlich aus, obgleich man sich erst in den letzten Tagen des Septembers befand, aber der Frühling kam spät und der Herbst früh in das Hochalpenthal. Die Häuser und Villen des Badeortes waren fast sämtlich geschlossen, mit Ausnahme der Villa Lady Marwoods, die noch hier verweilte, und in den Kuranlagen flatterten die welken Blätter bereits von den Bäumen und Gesträuchen.

Auch die alte Linde vor dem Gitterthor von Burgheim trug schon das Herbstgewand, ihre grüne Laubkrone hatte sich bunt gefärbt. Jetzt, im hellen Mittagssonnenschein, leuchtete sie

Am Feierabend.
Nach dem Gemälde von O. Piltz.

[374] rot und goldig in ihrem Blätterschmuck und an ihrem Stamm lehnte wieder die Gestalt des Mannes, der sie in jener Mondnacht als den alten Freund seiner Kindheit begrüßt hatte. Damals war er nach langen Jahren und aus weiter Ferne zurückgekehrt, heute kam er, um Abschied zu nehmen von der Heimat, für immer.

Ehrwalds Abreise war auf morgen festgesetzt und er wollte jetzt in Burgheim Lebewohl sagen. Sein Blick schweifte langsam über das Thal und die Berge und kehrte dann nach dem Hause zurück. Er wußte ja, daß er das alles nicht wiedersehen würde, nicht wiedersehen durfte, das alte Haus, die moosbewachsenen Stufen, die dunklen Tannen und die großen tiefblauen Augen, die ihm geleuchtet hatten in jener mondbeglänzten Frühlingsnacht – nie, niemals wieder!

In der Brust des sonst so eisernen Mannes bäumte sich ein wildes, verzweiflungsvolles Weh auf, doch er zwang es nieder; wenigstens für den Augenblick. Er hatte es ja so lange getragen, nun galt es noch, die Abschiedsstunde zu tragen, und da war Lothar gegenwärtig – Gott sei Dank! da blieb man Herr seiner selbst!

Reinhart öffnete das Gitterthor und schritt durch den Garten. Er fand Sonneck in seinem Arbeitszimmer mit dem Hofrat Bertram, der bei ihm war und dem Eintretenden in seiner jovialen Art entgegenrief: „Da sind Sie ja, Ehrwald! Wir sprachen eben von Ihnen und ich erzählte, daß mein ganzes Haus in Sack und Asche trauert, weil Sie morgen fortgehen. Meine Jungen zumal können es nicht begreifen, wie sie ohne den afrikanischen Onkel und ihren Spielgefährten, den Achmet, fertig werden sollen, und haben nicht übel Lust, auch nach Afrika durchzugehen. Ich werde auf meiner Hut sein müssen.“

„Ja, sie haben mir auch derartige Pläne anvertraut,“ entgegnete Ehrwald mit einem flüchtigen Lächeln, während er seinem Freunde die Hand reichte. „Ich habe ihnen aber geraten, sie noch einstweilen aufzuschieben. Ich komme eben von Lady Marwood, wo ich Lebewohl gesagt habe. Percy war noch im Bett, ist aber sonst ganz munter und die Mutter bestand darauf, daß ich ihn zum Abschied noch einmal sah und mich von ihm küssen ließ.“

„Nun, er hat auch alle Ursache, seinem Retter dankbar zu sein,“ sagte der Hofrat. „Uebrigens hat sich der kleine Lord tapfer gehalten, es war keine Kleinigkeit, diese stundenlange Todesangst, und dann die schwere Erkältung in den nassen Kleidern: allein er kam mit einem tüchtigen Fieberanfall davon, der zum Glück nicht lange dauerte. In den ersten Tagen hatte ich ernstliche Sorge um das Kind und auch um die Mutter, denn bei ihr handelte es sich auch um Sein oder Nichtsein. Ich vergesse nicht den Aufschrei des Glückes, mit dem sie an dem Bettchen in die Knie sank, als ich ihr erklären konnte, daß die Gefahr vorüber und nichts mehr zu befürchten sei. Der kleine Bursche hat sich das freilich wohl gemerkt und tyrannisiert sie schon gründlich. Sobald sie nur einen Augenblick von seiner Seite geht, ruft er nach seiner Mama und verlangt diktatorisch, daß sie bei ihm bleibe, aber sie ist ganz selig über diese Tyrannei.“

„Ja, sie hat ihren Percy schnell genug zurückgewonnen,“ mischte sich Sonneck ein. „Ein Kind fühlt ja die Mutterliebe, besonders wenn es krank ist und die Mutter Tag und Nacht nicht von ihm weicht. Ich glaube auch kaum, daß Percy jemals Liebkosungen von seinem Vater empfangen hat; Marwoods kaltes, abgemessenes Wesen ließ das nicht zu, so stolz er auch auf seinen Erben sein mochte. Du hast also bereits Zenaide Lebewohl gesagt, Reinhart? Wirst Du sie in Kairo nicht wiedersehen?“

„Nein, Du weißt ja, daß ich mich diesmal gar nicht an der Küste aufhalte und sobald als möglich den Marsch in das Innere antrete, auch nimmt Zenaide noch einen Herbstaufenthalt in Italien, Wie ich eben hörte.“

„Es geschieht des Knaben wegen,“ bestätigte Bertram. „Er ist ein zartes Kind und eben erst genesen, da darf man ihn nicht sofort aus der rauhen Hochgebirgsluft in das jetzt noch so heiße Egypten bringen, deshalb schrieb ich die Uebergangsstation vor. In acht bis zehn Tagen, hoffe ich, wird Seine kleine Lordschaft reisefähig sein. Doch nun zu Ihnen, Herr von Sonneck! Sie gefallen mir gar nicht, seit Sie zurückgekehrt sind. Ich fürchte, Sie haben Ihren Kräften zu viel zugemutet bei jener Rettungsfahrt und müssen das nun büßen.“

„Nicht doch, ich befinde mich vollkommen wohl. Ich versichere es Ihnen,“ erklärte Sonneck, doch sein Aeußeres widersprach dieser Versicherung. Er sah bleich und angegriffen aus und seine Haltung hatte wieder das Müde, Gebeugte, das während der Zeit seines jungen Eheglücks völlig verschwunden gewesen war.

„Ja, Du hast Dich zu sehr angestrengt bei der Fahrt,“ sagte Ehrwald, mit einem besorgten Blick in das Gesicht des Freundes. „Ich hätte es nicht zulassen sollen, allein in der Gefahr denkt man immer nur an das Nächstliegende. Du mußt Dich künftig mehr schonen, Lothar, dergleichen ist nichts mehr für Dich. Zum Glück sind solche Abenteuer nur Ausnahmen hier in Deutschland.“

„Die Wiederholung würde ich auch entschieden verbieten,“ fiel der Hofrat ein. „Das muß ja eine Riesenarbeit gewesen sein, sich bis zu dem sinkenden Schiffe durchzuringen. Es hat auch Aufsehen genug gemacht, die Zeitungen haben es in alle Welt hinausgetragen, und man bewundert unsere beiden Afrikahelden nun auch neuerdings noch als kühne Seefahrer.“

„Ja, Aufhebens genug hat man davon gemacht,“ meinte Reinhart mit einem Achselzucken. „Die Geschichte war aber im Grunde gar nichts so Besonderes. Unsereins muß eben in allen Sätteln gerecht sein.“

„Für Sie allerdings nicht,“ lachte Bertram. „Sie haben wohl schon ein Dutzend solcher Heldenstücke vollführt und werden vermutlich noch ein zweites Dutzend leisten, wenn Sie erst wieder in Ihren Wüsten und Urwäldern sind. Uebrigens scheint auch Herr von Sonneck heute afrikanische Anwandlungen zu haben, es ist doch sonst nicht seine Art, das Mordgewehr mitten unter seine friedlichen Papiere zu legen.“

Er wies scherzend nach dem Schreibtische, wo allerdings eine sehr schöne Pistole lag, offenbar von älterer Form und Arbeit, deren Lauf im Sonnenschein blinkte. Sie lag gerade auf dem Manuskripte des großen Reisewerkes und so offen, daß sie jedem ins Auge fallen mußte.

„Es ist ein Abschiedsgeschenk für Reinhart,“ sagte Sonneck ruhig. „Ich habe die Waffe vor Jahren in Kairo gekauft und sie jetzt erst wieder hervorgesucht. Schöne arabische Arbeit, nicht wahr?“

„Prächtig!“ rief der Hofrat bewundernd, indem er den sehr kunstvoll eingelegten Griff betrachtete. „Ja, in solchen Dingen sind die Orientalen Meister.“

„Das ist in der That ein schönes Geschenk. Ich danke Dir, Lothar,“ sagte Ehrwald und wollte danach greifen, aber Lothar, der die Waffe aufgenommen hatte, um sie dem Arzte zu zeigen, behielt sie in der Hand.

„Ich will sie erst noch einmal probieren und reinigen,“ bemerkte er. „Sie ist jahrelang nicht gebraucht worden, ich bringe sie Dir heut’ abend.“

„Nur vorsichtig mit solchen alten Schußwaffen,“ warnte Bertram. „Das Ding ist doch hoffentlich entladen?“

„Natürlich!“ versetzte Sonneck mit voller Gelassenheit. „Was fällt Ihnen denn ein, Doktor? Ich verstehe es doch wahrhaftig, mit Waffen umzugehen.“

Damit legte er die Pistole, ohne sie aus der Hand zu geben, in das obere Fach des Schreibtisches. Der Hofrat brach jetzt auf, er wollte noch zu Lady Marwood, um nach dem kleinen Percy zu sehen, und die beiden anderen blieben allein.

„Ich bin auf dem Wege hierher mit Hartley zusammengetroffen,“ hob Reinhart wieder an. „Er kam von Dir und wollte zu Zenaide. Hast Du Rücksprache mit ihm genommen?“

„Gewiß und sehr ausführlich. Marwood hat kein Testament hinterlassen, er stand ja auch in voller blühender Lebenskraft. Es sind also keine Bestimmungen vorhanden, die Zenaide in ihren Mutterrechten irgendwie beschränken, dagegen tritt der Ehevertrag in Kraft, der damals bei der Vermählung abgeschlossen wurde. Er sichert der Gemahlin ein reiches Wittum; die englischen Familiengüter fallen selbstverständlich an den Sohn und Erben. Hartley wird als der nächste Freund des Verstorbenen in Gemeinschaft mit einem der Marwoods die Vormundschaft übernehmen, wenn Zenaide keinen Einspruch erhebt.“

„Das wird sie schwerlich thun. Hartley hat sich ihr niemals feindselig gegenübergestellt, sondern im Gegenteil stets zu vermitteln gesucht. Ich glaube, er hatte einst eine Neigung für sie, die nie ganz erloschen ist.“

„Möglich, jedenfalls wird er ihr bei der Erziehung des Knaben keine Schwierigkeiten machen, und das wird auch von seiten der Marwoodschen Familie nicht geschehen, wenn Zenaide sich entschließt, [375] jährlich einige Zeit mit ihrem Sohne auf den englischen Gütern zu verbringen. Zu diesem Opfer muß und wird sie sich verstehen. Percy ist in England geboren und darf seinem Vaterlande nicht ganz entfremdet werden.“

„Gewiß nicht,“ stimmte Ehrwald bei. „Aber jetzt, wo der Vater tot ist, hat die Mutter das alleinige Recht auf ihr Kind. Da hat das Schicksal einmal rettend eingegriffen! Zenaide war auf dem Wege, sich selbst zu verlieren, und Gott weiß, wie das geendet hätte. Das Kind wird ihr den Glauben an das Leben und an das Glück wiedergeben; seit ich sie am Bette Percys gesehen habe, fürchte ich nichts mehr für sie.“

Sonneck richtete das Auge ernst und forschend auf ihn.

„Und Ihr beide seid zu Ende miteinander? Ich weiß es, und es ist am besten so. Es gab eine Zeit, wo ich eine Verbindung zwischen euch wünschte und erhoffte, weil ich glaubte, ihr würdet das Glück miteinander finden; das war ein Irrtum. Zenaide hätte sich nie dem Berufe gefügt, der doch nun einmal der Deinige ist, sie hätte Dich nie von ihrer Seite lassen wollen und Dich selbst aus der Ferne mit ihrer Angst um Dich gequält. Du brauchst ein starkes Weib, das nicht jammert und verzweifelt, wenn es Dich in Gefahr weiß, und zur Not auch einmal die Gefahr mit Dir teilt.“

„Wie kommst Du darauf?“ fragte Reinhart befremdet. „Ich habe ja nie daran gedacht, mich zu vermählen, und jetzt, wo ich wieder auf Jahre hinausziehe, kann doch vollends davon keine Rede sein.“

Lothar ließ die Frage unerörtert, er wiederholte nur: „Auf Jahre! Und dann werden wieder Jahre vergehen, bis Du einmal nach Europa kommst. Wer weiß, ob Du mich dann noch findest, ich bin alt geworden, sehr alt. Vielleicht ist dies der letzte Abschied, den wir nehmen!“

„Thorheit, wer wird an so etwas denken!“ rief Ehrwald mit einem erzwungenen Lachen.

„Nun, der Gedanke liegt doch nah’ genug. Und wir haben in den zehn Jahren unsres Zusammenwirkens doch auch den Inhalt eines ganzen Lebens ausgekostet, denn es waren Kriegsjahre, die zählen doppelt. Das hat uns zusammengeschmiedet in Glück und Not und wir haben uns liebgehabt dabei – nicht wahr, Reinhart?“

„Ja,“ sagte Reinhart einfach, aber es lag mehr in dem einen Worte als in einer langen Beteuerung.

„Und das soll uns bleiben, auch wenn wir jetzt scheiden,“ ergänzte Lothar. „Doch nun geh’ auch hinunter zu Elsa und sag’ ihr Lebewohl!“

„Willst Du nicht mitkommen?“ fragte Ehrwald betroffen.

„Nein, ich – ich will zu Hartley. Ich habe versprochen, ihn im Hotel aufzusuchen, und muß ihn jedenfalls noch sprechen, wenn er von Zenaide kommt.“

„Dann begleite ich Dich zur Stadt,“ fiel Reinhart hastig ein. „Mein Abschiedsbesuch bei Deiner Frau wird nicht lange dauern, warte die paar Minuten.“

„Ich kann nicht, es ist ein Uhr und ich habe versprochen, pünktlich zu sein. So eilig brauchst Du es ja nicht zu machen mit dem Abschiede. Geh, Du findest Elsa unten im Wohnzimmer und wir beide sehen uns ja noch. Ich komme jedenfalls zu Bertram, um den letzten Abend mit Dir zu verbringen.“

Ehrwald zögerte noch einige Sekunden; als er aber sah, daß Lothar nach seinem Hute griff, blieb ihm nichts übrig, als sich zu fügen. Sie stiegen zusammen die Treppe hinunter und trennten sich erst dort. Sonneck war stehen geblieben und sah mit einem langen, düsteren Blicke dem Freunde nach.

„Er fürchtet dies Alleinsein!“ sagte er halblaut, „und ich schicke ihn geradeswegs hinein in die Versuchung, allein es hilft nichts, ich muß auch noch dies Letzte wissen. Wenn es unausgesprochen bleibt zwischen ihnen, wenn er geht ohne Geständnisse, vielleicht überwinden sie es dann beide. Wenn nicht – nun dann sollst Du das ‚Abschiedsgeschenk‘ haben, Reinhart, es ist das Kostbarste, was ich besitze.“

Er wandte sich um, aber nicht nach dem Ausgange, sondern nach dem Schlafzimmer Helmreichs, das jetzt verschlossen war. Er zog einen Schlüssel hervor und öffnete leise die Thür. Das Gemach stieß unmittelbar an das Wohnzimmer, man hörte jedes Wort, das dort gesprochen wurde.

Die junge Frau saß am Fenster und las, wenigstens hatte sie ein Buch in der Hand, aber ihre Augen folgten mechanisch den Worten, ohne daß ihr auch nur ein einziges davon zum Verständnis kam. Sie wußte ja, daß Ehrwald im Hause war und daß er kommen würde, um ihr Lebewohl zu sagen. Da öffnete sich die Thür und er trat ein, aber allein, und Elsa erbebte unwillkürlich. Sie hatte gehofft, daß der Abschied in Gegenwart ihres Gatten stattfinden würde – wo blieb Lothar?

Reinhart verneigte sich, so kühl und förmlich, wie er gewöhnlich mit der Gattin seines Freundes zu verkehren pflegte, und ebenso klang seine Anrede: „Ich komme, um mich zu verabschieden, gnädige Frau. Gestatten Sie mir, Ihnen nochmals Dank zu sagen für all die Freundlichkeiten, die ich in Ihrem Hause empfangen habe.“

Elsa neigte das Haupt und ihre Antwort klang ebenso förmlich: „Bitte, Herr Ehrwald, es ist Lothar und mir eine Freude gewesen. Sie wollen also morgen fort?“

„Morgen früh. Ich denke dann mittags die Bahnstation und den Eilzug zu erreichen.“

„Und dann gehen Sie direkt nach dem Süden?“

„Jawohl, ich reise ohne Aufenthalt nach Brindisi und schiffe mich dort ein.“

Es trat eine längere Pause ein; sie fühlten beide das drückende derselben und hatten doch nicht den Mut, weiter zu sprechen oder sich anzusehen. Ehrwalds Blick schweifte in den Garten hinaus und Elsas Augen blieben gesenkt. Die Zeit, wo sie sich über ihre Empfindungen täuschten, war vorüber, auch für die junge Frau; die grausamen Worte des sterbenden Großvaters hatten den Schleier von ihrem Inneren gerissen. Sie wußte es jetzt, welche geheimnisvolle, unentrinnbare Macht sie zu diesem Manne zog – er freilich hatte es längst gewußt! Dann kam jene Stunde der Todesangst, wo sie ihn auf der tobenden Flut wußte, und jene Minute, wo er gerettet ans Land sprang. Wenn auch noch kein Wort der Erklärung zwischen ihnen gefallen war, sie sahen beide klar genug.

„Sie werden diesmal lange fortbleiben?“ hob Elsa endlich wieder an.

„Wahrscheinlich jahrelang, es ist ein weiter Weg, den ich vor mir habe, und wenn ich an das Ziel gelangt bin, wird es noch Mühe und Arbeit kosten, uns die Früchte des Zuges zu sichern.“

„Aber Lothar hofft, daß Sie dann nach Europa zurückkehren, wäre es auch nur, um ihn wiederzusehen.“

„Gewiß, das hoffe ich auch. Wir nehmen ja nicht für immer Abschied.“

Er sprach die Unwahrheit aus, obgleich er wußte, daß sie nicht geglaubt wurde. Sie kannten ja beide die Bedeutung dieser Abschiedsstunde, das zeigte das bleiche Antlitz der jungen Frau und das dunkle Gesicht des Mannes, der ihr gegenüberstand. Wieder trat jenes bange, lastende Schweigen ein, das Minuten dauerte, dann richtete sich Ehrwald auf einmal jäh empor. Wozu denn die Qual verlängern, wozu lügenhafte Worte tauschen und sich hinter leeren Formen verschanzen! Es mußte ja doch ein Ende gemacht werden, so mochte es schnell geschehen!

„Leben Sie wohl,“ sagte er dumpf. „Denken Sie bisweilen meiner!“

Er wartete noch einige Sekunden auf eine Antwort, die nicht erfolgte, und ging dann. Aber an der Thür wandte er sich noch einmal um, sein Blick flog zurück und jetzt sah er die Augen, die sich ihm bisher verschleiert hatten, sah, wie sie ihm folgten, und das ganze herzzerreißende Weh des Abschieds stand darin. Da brach seine Selbstbeherrschung zusammen, in der nächsten Minute war er wieder an ihrer Seite.

„Elsa!“

Der Name kam zum erstenmal von seinen Lippen. Sie wich zurück. „Gehen Sie! – Ich bitte – gehen Sie!“

„Ich gehe ja,“ sagte er herb, „und für immer! Sie glauben es doch nicht, Elsa, daß ich zurückkehre?“

„Nein!“ war die leise Antwort.

„Nun, dann geben Sie mir auch ein Wort zum Abschiede mit. Ich warte darauf.“

„Leben Sie wohl – reisen Sie glücklich!“

„Glücklich?“ wiederholte Reinhart mit tief aufquellender Bitterkeit. „O gewiß, mein Glück in all den Gefahren ist ja beinahe sprichwörtlich geworden. Es war mir immer zur Seite, nur da, wo es sich um mein Lebensheil handelte, da wurde es mir treulos. Nun frage ich auch nicht mehr nach dem Leben überhaupt, wenn ich es diesmal lassen muß – mir ist es recht!“

Das Geständnis, das er bisher noch nicht ausgesprochen, lag in diesen grollenden Worten und auch Elsa machte keinen Versuch mehr, sich oder ihm die Wahrheit abzuleugnen, sie fuhr auf in bebender Angst.

[376] „Reinhart, um Gotteswillen, was heißt das? Sie suchen den Tod da draußen?“

„Nein,“ sagte er finster, „aber ich werde ihm auch nicht mehr aus dem Wege gehen. Sonst, wenn ich mir mein Leben wieder einmal zurückerobert, wenn ich es all den feindlichen Mächten abgekämpft hatte, dann flammte die Lust am Dasein so heiß und freudig wieder auf! Das ist vorbei – vor mir liegt für immer die Wüste.“

„O, Reinhart, nicht so!“ bat die junge Frau mit gefalteten Händen. „Gehen Sie nicht hinaus mit dieser wilden Bitterkeit und Verzweiflung! Ich muß es ja auch tragen, das ganze, lange, furchtbare Leben, und muß lächeln dabei. Lothar darf ja nichts ahnen, er ist mein Gatte –“

„Und mein Freund!“ ergänzte Ehrwald mit schwerer Betonung.

„Das macht mich wehrlos gegen das Geschick. Als ich zurückkehrte, waren Sie ja noch nicht sein Weib, Elsa, der Schwur am Altare war noch nicht geleistet! Ich hätte Sie der ganzen Welt abgekämpft, hätte Heil und Leben dafür eingesetzt – mit ihm konnte ich nicht kämpfen, ihm nicht sein Glück entreißen, es war ein Verhängnis.“

Elsa hatte sich erhoben, sie fühlte es ja, daß sie diese Sprache nicht hören durfte, allein sie war wieder im Bann seiner Stimme, seiner Augen, und anstatt zu gehen, blieb sie und lauschte den Worten, die gedämpft und doch so leidenschaftlich von seinen Lippen kamen: „Dies Verhängnis hat ja schon damals über uns gewaltet, in jener glühenden Mittagstunde, unter den Palmen des Nils, als wir die Fata Morgana erblickten. Es erschien uns beiden, das leuchtende Zeichen, und ich ahnte nicht, daß das Glück, das es mir verhieß, an meiner Seite stand. Aber so oft mir das geheimnisvolle Wüstenbild wieder auftauchte, im Traume wie im Wachen, immer schwebten darüber die großen blauen Kinderaugen, die es mit mir geschaut hatten. Ich bin ihm nachgejagt durch Länder und Meere, ich habe es gesucht in der brennenden Wüste, in den Tiefen des Urwaldes, auf steilen Bergesgipfeln und habe es nie gefunden. Da kehrte ich zurück und da stand es an der Schwelle meiner Heimat, das große, das grenzenlose Glück, von dem ich so oft geträumt, und sah mich an mit jenen leuchtenden Kinderaugen. Da fand ich es – um zu erfahren, daß es mir auf immer verloren sei!“

Er stand noch immer an ihrer Seite, ohne auch nur ihre Hand zu berühren, aber in jedem Worte bebte der mühsam verhaltene Sturm seines Inneren, und diese Sprache fand ein nur zu lautes Echo in der Brust des jungen Weibes. Dort klang es ja auch wie ein Aufschrei nach Glück und Liebe! Doch Elsa war nicht umsonst in der strengen Schule der Pflichten und der Entsagung aufgewachsen. Das hatte ihr die Jugendfreude genommen, aber auch ihre Kraft gestählt und die hielt stand, selbst in dieser schweren Stunde; sie entriß sich dem gefährlichen Bann.

„Nicht weiter, Reinhart! Hören Sie auf mit diesen Geständnissen, die ich nicht hören darf. Denken Sie an Lothar!“

„Nun, wenn es ein Unrecht ist gegen ihn, dann wird es gesühnt durch die Qual dieser Stunde,“ brach Reinhart mit wilder Heftigkeit aus. „Ich will Dich ja nicht besitzen, Elsa, Dich ihm nicht nehmen, aber eines darfst Du mir nicht verweigern! Sage es mir, daß Du mich liebst, laß es mich von Deinen Lippen hören! Es ist ja nur ein Wort und ich nehme es mit mir hinaus in die Ferne, in den Tod vielleicht. Denke, es ist ein Abschied für das Leben!“

Er war vor ihr niedergestürzt und sein Blick flehte noch heißer als seine Worte. Ein Abschied für das Leben! Das wußte auch Elsa und da beugte sie sich über ihn.

„Ja, Reinhart, ich liebe Dich grenzenlos! – Nun weißt Du es – nun geh!“

„Elsa!“ Er sprang auf, es lag Seligkeit und Verzweiflung zugleich in dem Rufe. „Und nun sollen wir uns nie, niemals wiedersehen! Kannst Du es denn tragen – ich kann es nicht.“

„Du mußt,“ sagte sie leise. „Ich muß es auch. Geh! Du hast es mir versprochen.“

Da fühlte sie sich von Reinharts Armen umschlossen, an seine Brust gerissen. Es war nur ein einziger Augenblick, dann brach ein glühendes, halb ersticktes „Lebewohl!“ von seinen Lippen und er stürzte davon.

(Schluß folgt.)




Werkthätige Nächstenliebe in Amerika.

Von Helene Bonfort.


Wohl in keiner anderen Weltstadt mag eine so große Zahl auf ihren Erwerb angewiesener Frauen täglich die Straßen durcheilen als in New York. Self supporting woman – „sich selbst erhaltende Frauen“ – nennt der amerikanische Sprachgebrauch die Tausende, welche aus allen Teilen der Union wie auch aus Europa hierher kommen, um Verdienst und Stellung zu finden.

Es kann daher nicht wunder nehmen, daß hier auch Einrichtungen zum Schutze und zum Wohl dieser Frauen anzutreffen sind, wie sie in solcher Großartigkeit nirgends in Europa bestehen. Die verschiedenartigsten Anstalten bieten arbeitenden Frauen die Ausrüstung an Kenntnissen und Fertigkeiten, sie unterstützen sie im Wettbewerb und bereiten ihnen ein behagliches Asyl zur Erholung von der aufreibenden Tagesthätigkeit. Die Einzelheiten dieser Veranstaltungen sind in Deutschland noch nicht so bekannt, als es im Interesse der Nachfolge zu wünschen wäre. Wir geben daher nachstehend ein gedrängtes Bild von Zweck und Mitteln der amerikanischen „charity“ auf diesem Gebiete, welche vor allen Dingen darauf abzielt, die Selbsthilfe zu kräftigen und demjenigen Beistand zu leisten, der sich selbst rührt, und nur durch solche Veranstaltungen, die der Einzelne nicht zu treffen vermag. Diese werden dann aber auch mit einer in Europa unbekannten Großartigkeit ins Leben gerufen, großenteils von begüterten, geistig hochstehenden Frauen, die sich verpflichtet fühlen, ihren arbeitenden Schwestern werkthätige Hilfe zu leisten. Eine Erscheinung dieser Art ist das „Margaret Louisa Home“ in New York; es ist das Werk von Mrs. Elliott F. Shepard, geb. Vanderbilt.

In der 16. Straße am Union Square zwischen Broadway und der Fünften Avenue, also im Mittelpunkt des Verkehrs und doch in einer ruhigen Seitenstraße, erhebt sich seit Januar 1891 das schlichte, aber architektonisch ansprechende Gebäude aus braunem Sandstein im romanischen Stil, welches unsere Abbildung auf Seite 380 veranschaulicht. Das sechs Stockwerk hohe Haus hat eine 50 Fuß breite Front bei 190 Fuß Tiefe. Selten wird man in einer Großstadt ein praktischen Zwecken gewidmetes Gebäude finden, das so reichlich Luft und Licht einläßt wie dieses; kein Raum in demselben ist dunkel oder halbdunkel, keiner entbehrt der unmittelbaren Verbindung mit der freien Luft durch ein großes Fenster. Die Mauern, Wände und Fußböden sind aus Cement und feuerfesten Steinen hergestellt, die zugleich den Schall dämpfen und dazu beitragen, daß im Innern die wohlthuendste Ruhe herrscht. Die Treppen sind von Stein und haben eiserne Geländer. Die Ausstattung ist durchweg reich und geschmackvoll. Das Erdgeschoß des „Margaret Louisa Home“ umfaßt zwei große Wohnräume und zwei Speisesäle sowie mehrere Bureaus, alle aufs zweckmäßigste und gefälligste eingerichtet. Der hier zu Lande unerläßliche Teppich durchzieht alle Räume; in den Wohnzimmern, deren Wände mit schönen Stichen geschmückt sind, stehen bequeme Diwans und Sessel, große Tische mit Zeitschriften, ein guter Schreibtisch und ein Klavier.

Man hat beim Eintritt in diese wohligen, abends elektrisch beleuchteten Räume durchaus nicht den Eindruck einer Zufluchtsstätte für arbeitende Fremde, sondern den eines mit edlem Geschmack und reichlichen Mitteln ausgestatteten Familienheims. Er wird noch verstärkt durch den Anblick herrlicher Blumensträuße, welche Mrs. Shepard aus ihren Treibhäusern von Zeit zu Zeit herschickt. Andere Landhausbesitzer senden Kasten voll geschnittener Blumen zur Verteilung in die Hospitäler und in die Wohnungen der ärmeren Klassen. Diese feinfühlige Sorge für die edleren Bedürfnisse der Menschennatur scheint nicht „amerikanisch“ und ist es doch so sehr. Denn nirgends zündet ein Appell der Presse in solchen Dingen so rasch als hier zu Lande, wo das Geld leicht ausgegeben wird und wo sich immer gleich Leute finden, die eine neue Anregung bereitwillig ins Werk setzen. Daß auch der Arme Sinn und Liebe für die Schönheit der Natur besitzen möge, scheint niemand zweifelhaft, deshalb teilen die glücklichen Besitzer von Parks und Treibhäusern reichlich von ihrem Ueberfluß mit. Die Wohnungen kleiner Leute, die Rekonvalescentensäle der Hospitäler erhalten ihren Blumenschmuck, ihre Insassen betrachten ihn mit

[377]

Bergsteiger auf der „Weißen Frau“ im Berner Oberland.
Nach einer Originalzeichnung von Hans Wieland.

[378] derselben freudigen Dankbarkeit wie die im Augenblick heimatlosen Gäste des „Margaret Louisa Home“, wenn sie, von einem harten Tagewerk geistig und seelisch ermattet heimkehrend, im ersehnten Ausruhen Auge und Herz an dem Anblick und Duft der herrlichen Blütensträuße erquicken.

Die stete Bedachtnahme auf Behagen und Gesundheit der Einwohnerinnen kennzeichnet alle Einrichtungen dieses Hauses. Die Schlafzimmer sind ganz ebenso sorgfältig und gut ausgestattet wie die Wohnräume, die Betten sind vorzüglich; große Waschtische, geräumige Kommoden und Kleiderschränke, ein Bücherbort und mehrere Stühle in jedem Zimmer erfüllen alle billigen Anforderungen an Bequemlichkeit. Saubere Kommodendecken, Nadelkissen und ein Atlasband mit poetischem Gruß an den Gast befriedigen auch den feineren Geschmack, sie nehmen den Räumen den kasernenmäßigen Charakter.

Im ersten und dritten Stock befinden sich die vortrefflich eingerichteten Badezimmer, Waschkabinette und ähnliches; heißes und kaltes Wasser kann in jedem Stockwerk geschöpft werden. Auf jedem Flur findet sich gekühltes Trinkwasser sowie eine große Uhr. Das ganze Haus ist durch Wasserdampf gleichmäßig zu erwärmen und mittels Glühlichts zu erleuchten. Jedes Zimmer erhält durch einen Ventilator frische Luftzufuhr vom Dache aus. Ein ziemlich großer Hof mit Grasplatz, im Sommer durch Blumen belebt und mit Bänken versehen, bietet einen Sitzraum im Freien, den das New Yorker Klima ganz besonders wünschenswert macht; derselbe findet seine Ergänzung auf dem ziegelbelegten Dache, dessen Sitzplätze an heißen Sommerabenden willkommene Kühlung gewähren. Kaum bedarf es der Erwähnung, daß der bequeme, geräumige Aufzug von sieben Uhr morgens bis zehn Uhr abends ohne Unterbrechung auf und nieder fährt.

Der Bodenstock des Hauses dient als Waschküche, die ebenso wie die Küche und Wirtschaftsräume im Keller mit den schönsten neuen Maschinen und Geräten ausgestattet ist; nicht Geldersparnis bei der Einrichtung, sondern Kraft- und Zeitersparnis bei der Bewirtschaftung waren der Maßstab, den Mrs. Shepard ihrem Werk zu Grunde legte. Das Kleinste ist hier mit der gleichen Sorgfalt bedacht wie das Größte und daraus ergiebt sich überall eine bedeutende Zeit- und Müheersparnis. Als Beispiel diene die Besorgung der Wäsche. Am Sonntag früh findet jeder Gast in seinem Zimmer einen gedruckten Wäschezettel, auf dem er nur die Ziffern auszufüllen hat. In jedem Schranke hängt ein Wäschebeutel zur Aufnahme der schmutzigen Wäsche. Montags holt ein Mädchen aus jedem Zimmer Beutel und Wäschezettel ab; Freitags findet der Gast die reine Wäsche auf seinem Bette; Verwechslungen fallen nicht vor; denn Wäschestücke, welche nicht deutlich gezeichnet sind, erhalten in der Waschküche die Zimmernummer des Besitzers in Tinte. Das Waschen und Plätten wird trefflich und sorgfältig ausgeführt; die Preise sind fast um die Hälfte niedriger als sonst in New York.

Geradezu musterhaft ist die Organisation des Betriebes in den großen Speisesälen, welche täglich von etwa 1000 auswärtigen Gästen außer den Insassen des Hauses besucht werden. Es sind nur zweihundert Sitzplätze vorhanden, also findet ein steter Wechsel statt, der auch durch die verschiedenen Beschäftigungen der Damen und ihre verschiedene Essensstunde bedingt ist. Nur zwölf Mädchen bedienen mit vollendeter Ruhe und Sicherheit diese Gäste innerhalb der zwei Stunden, welche für jede Mahlzeit gegeben sind. Der Platz, den ein Gast verläßt, wird alsbald von einem andern eingenommen. Die Mahlzeiten sind im allgemeinen nach Art einer table d’hôte eingerichtet, d. h. zwei oder drei Gänge werden für einen bestimmten Preis geliefert; aber zugleich bietet die Speisekarte eine etwas reichere Auswahl für denjenigen, welcher etwas vermehrte Kosten nicht scheut. Die Zusammenstellung der Speisen für jeden Tag entspricht den Grundsätzen zweckmäßiger Abwechslung in der Ernährung; alles ist vorzüglich bereitet, einfach und schmackhaft gewürzt, wie im Wirtshaus in Portionen angerichtet, die auch einen hungrigen Magen völlig befriedigen; zu jeder Mahlzeit gehört Butter und Brot nach Belieben und eine Tasse Kaffee, Thee oder Chokolade; geistige Getränke werden nicht verabreicht. Dabei ist der regelmäßige Preis für Frühstück und zweites Frühstück bei zwei warmen Gängen je 20 Cents, für das Mittagessen bei drei Gängen 30 Cents. Wenn man diesen Preis in europäisches Geld überträgt und zu dem Ergebnis gelangt, daß die drei täglichen Mahlzeiten somit 3 Mark kosten, so ist man geneigt, das teuer genug zu finden; in Deutschland und Frankreich sind freilich nicht viele von ihrer eigenen Arbeit lebende Frauen, die außer der Miete noch 3 Mark täglich ausgeben können. Aber in New York hat der Dollar (4 Mark) eine Kaufkraft von höchstens 2 Mark, und das „Margaret Louisa Home“ bietet seinen Gästen für 75 Cents dasselbe wofür sie in einem guten, einfachen Restaurant 1.25 Dollar bis 1.50 Dollar zahlen würden.

Während die Benutzung des Restaurants jeder Frau ohne Unterschied freisteht, ist das Unterkommen im „Margaret Louisa Home“ an gewisse Bedingungen geknüpft. Nur selbsterwerbende Protestantinnen finden Unterkunft; ihre Achtbarkeit muß durch mündliches oder glaubwürdiges schriftliches Zeugnis bestätigt werden. Ein Zimmer mit einem Bett kostet einen halben Dollar, ein solches mit zwei Betten achtzig Cents pro Tag. „Geld genug!“, wird der europäische Leser sagen. Allein in Hotels sowohl als in Boarding-Häusern stehen die Preise bedeutend höher! Das „M. L. Home“ nimmt keinen Gast länger als 35 Tage in einem Kalenderjahre auf. Als ich der Sekretärin der Anstalt gegenüber äußerte, diese Bestimmung scheine mir grausam, antwortete sie lächelnd: „Ohne dieselbe wären Sie nicht hier. Jede der zwölftausend Frauen, die in den drei Jahren seines Bestehens in diesem Hause eingekehrt sind, wäre ganz und gar hier geblieben oder schleunigst wiedergekommen, wenn die Bestimmung von den 35 Tagen nicht gälte.“ Bei näherer Prüfung mußte ich ihr recht geben: es ist zweckmäßiger, möglichst vielen vorübergehend Hilfe zu bieten, als etwa hundert dauernd zu beherbergen.

Selbstverständlich giebt es im „M. L. Home“ Hausgesetze, doch nur solche, die auch in jeder gesitteten Familie beobachtet werden. Das Haus steht durchaus im Dienst der Bewohner; die Verwaltung erhebt weder den Anspruch, die väterliche Vorsehung und Kontrolle der Gäste zu spielen, noch den, ihre Dankbarkeit in Anspruch zu nehmen. Der Eintretende hat vom ersten Schritt über die Schwelle bis zum Abschied das Gefühl, auf dem Boden eines sehr einfachen Rechts- und Geschäftsverhältnisses zu stehen, während anderseits jede Frage um Auskunft, jedes Ersuchen um Rat oder Beistand von den verschiedenen Sekretärinnen mit der größten Sicherheit und Höflichkeit beantwortet wird.

Die Menschen sind hier nicht in dem Sinne freundlich wie in Deutschland; sie fragen nicht leicht nach persönlichen Angelegenheiten oder erzählen von den ihrigen; es fehlt das gemütliche Gemeinsamkeitsgefühl, das auch Fremde leicht vertraulich macht. Dazu rauscht das Leben hier zu eilig dahin; es gilt auch nicht einmal für höflich, in die Angelegenheiten Fremder selbst in der freundlichsten Absicht einzudringen. Dagegen sind die Leute hier durchweg sehr hilfsbereit; sie erfassen mit schnellem Blick, was dem Nachbar fehlt, und leisten Beistand, noch ehe er erbeten worden ist, in der anspruchslosesten, natürlichsten Weise. Diese Schnelligkeit des Denkens, Sprechens und Handelns ist vielleicht einer der auffallendsten Vorzüge im geistigen Leben der Nordamerikaner und ganz besonders der gebildeten Frauen. Ihre Höflichkeit ist eine stille und steht ganz im Gegensatz zu der französischen, die sich in vielen artigen und verbindlichen Worten äußert. Dies tritt deutlich hervor, wo man wie im „M. L. Home“ viele Frauen auf verhältnismäßig engem Raume zusammensieht. Da nimmt in den Wohnzimmern keine der anderen eine Zeitung oder den Platz an dem einzigen Schreibtisch fort, ja, keine giebt sich je den Anschein, auf das zu warten, was die andere im Gebrauch hat, mag sie es noch so sehr wünschen; bei der allabendlich um 7 Uhr stattfindenden kurzen Familienandacht, an der man teilnimmt, wenn man will, und der man stillschweigend aus dem Wege geht, wenn man nicht teilnehmen will, sieht jede darauf, daß die andere und besonders der Neuankömmling einen guten Platz hat.

Es entsteht keine Reiberei um die Benutzung der Badezimmer oder der Plätze im Restaurant; mag der Andrang noch so stark sein, jede Besucherin hält stillschweigend ihre Reihenfolge inne; denn sie weiß, daß von der Ordnung und Gesetzmäßigkeit des Ganzen auch ihr eigenes Wohl abhängt. Niemand versucht, gegen die Hausordnung von den Stubenmädchen persönliche Dienste in Anspruch zu nehmen oder sie durch Verabreichung von Trinkgeldern zu besonderen Leistungen zu bestimmen. Für Botengänge stehen Leute gegen Entgelt zur Verfügung. Eine etwas bittere Entbehrung ist es für die Europäerin, daß sich niemand der Reinigung der Kleider und Stiefel unterzieht, was bei dem völlig morastartigen Zustand der Straßen im Winter und dem Staubmeer im Sommer zehnfach nötig wäre. Aber das ist nun einmal nicht [379] landesüblich. Jeder Mann läßt sich auf der Straße von Negerhänden den Rock bürsten und die Stiefel wichsen; die ihrer Fesseln entledigten Frauen dieses freien Landes aber müssen das eben selbst thun, nicht nur im „M. L. Home“, sondern auch in Privat- und Gasthäusern, in denen nicht gerade Luxus herrscht. Dagegen ist wieder die Annehmlichkeit hervorzuheben, daß man nirgends ein Trinkgeld zu geben hat und somit einer unnützen Ausgabe sowie der Sorge um das etwaige Zuviel oder Zuwenig völlig enthoben ist.

Die Leitung des „M. L. Home“ durch eine tüchtige, erfahrene Vorsteherin ist geradezu musterhaft zu nennen; dank ihrer Wirksamkeit und der jener vorerwähnten Sekretärinnen hat sich das Haus in der kurzen Zeit seines Bestehens ungemein gedeihlich entwickelt.

Seine Stifterin konnte natürlich nicht daran denken, das Schicksal einer so wichtigen Anstalt für die Zukunft in den Händen von Einzelnen zu lassen. Sie hat deshalb das auf ihre Vornamen getaufte Heim dem Christlichen Frauenverein der Stadt New York geschenkt und den Bauplatz desselben so gewählt, daß es von der Rückseite mit dem Gebäude dieses Vereins durch einen Gang verbunden ist.

The Young Womens Christian Association“ heißt dieser seit 1870 bestehende ganz eigenartige Frauenverein, der seinen arbeitenden Mitgliedern praktische, gesellschaftliche und geistliche Stärkung gewährt, letztere in durchaus unaufdringlicher Weise durch die einzige Veranstaltung einer Bibelklasse, d. h. einer von der Kaplanin des Vereins geleiteten religiösen Unterrichts- und Erbauungsstunde, an welcher aber bis jetzt nur die Hälfte der Mitglieder beteiligt ist. Die übrigen empfangen trotzdem den Fachunterricht in den Schulen des Vereins, welcher bezweckt, die zur Arbeit Willigen auch dafür tauglich zu machen und ihnen somit die größte Wohlthat zu erzeigen. Denn wer in Amerika vorwärts kommen will, muß bestimmte Leistungen in seinem Fach aufweisen können.

Das Haus des Vereins, dessen Ansicht unsere Leser ebenfalls auf Seite 380 finden, liegt in der 15. Straße zwischen der Fünften Avenue und dem Broadway, also in der besten Geschäftsgegend. Trotzdem herrscht die größte Ruhe in dem schönen, geräumigen Gebäude; zwölfhundert Frauen durchschnittlich gehen binnen 24 Stunden darin ein und aus und genießen die Wohlthaten seiner vorzüglichen Einrichtung.

In erster Linie ist hier zu nennen der Fachunterricht der verschiedenartigsten Schulen (Näh-, Schneider- und Putzmacherkurse, Handels- und Kunstgewerbeschulen, Unterricht im Maschinenschreiben und Stenographieren, Haushaltsschulen zur Heranbildung von Beschließerinnen und Haushälterinnen, in welchen auch den eingewanderten Europäerinnen Gelegenheit geboten wird, die Erfordernisse eines amerikanischen Haushalts kennenzulernen u. a. m.). Ebensoviel als die hier gebotenen Kenntnisse bedeutet für so viele, die mangelhaft erzogen herkommen, die Gewöhnung an Ordnung, Pünktlichkeit, Geduld, Aufrichtigkeit und Höflichkeit, kurz, die von der Lehre unzertrennliche Erziehung, deren sie teilhaftig werden.

Die weiteren, von jährlich über zweitausend Frauen in Anspruch genommenen Leistungen des Vereins sind die Stellenvermittelung, die Wohnungsvermittelung, das allen Besucherinnen offen stehende Wohnzimmer und die Bibliothek.

Die Stellenvermittelung besonders bewältigt ihre ungeheure Aufgabe dank einer vorzüglichen Organisation mit einer angesichts der riesenhaften Zahlen unmöglich erscheinenden Berücksichtigung der persönlichen Eigenschaften und der Bedürfnisse des Arbeitsmarktes. Jede weibliche Arbeiterin, mit Ausnahme der Dienstboten, die sich im Vereinsbureau vorstellt und annehmbare Zeugnisse über Charakter und Leistungsfähigkeit vorlegt, erhält vorläufig anständige Unterkunft und womöglich entsprechende Beschäftigung nachgewiesen. Gleichzeitig werden durch Briefwechsel nach allen Erdteilen die Angaben der Betreffenden geprüft und das Ergebnis sowie die fernere Führung in übersichtlichen Listen niedergelegt. Unter keinen Umständen, und scheine der Fall noch so dringend, wird die Betreffende einem Arbeitgeber empfohlen, ehe der Verein die Sicherheit hat, daß sie Empfehlung verdient. Aus dieser Gepflogenheit stammt das große Vertrauen der Arbeitgeber. Sie zahlen willig vierfach soviel Einschreibegebühr als die Arbeiterin – im Gegensatz zu Europa, wo man sie durch das entgegengesetzte Prinzip anzuziehen sucht – weil sie ihre Rechnung bei dieser Art der Geschäftsführung finden.

In einem besonderen Bureau werden die Adressen der vielen hundert von dem Verein beaufsichtigten Quartier- und Kostgeber, welche zu vorläufiger Aufnahme bereit sind, umsonst verabfolgt – eine unschätzbare Wohlthat für fremde, unerfahrene Mädchen! Dasselbe Bureau verwaltet zugleich das Sommerheim des Vereins an der See, das Frauen aller Berufsarten für zehn Dollar auf vierzehn Tage Kost, Logis und die Reise von New York dorthin gewährt.

Die sehr reichhaltige, vortrefflich eingerichtete und geleitete Bibliothek des Vereinshauses steht jeder Frau vom vierzehnten Jahr an offen, um nachzuschlagen, Auszüge zu machen oder Zeitschriften zu lesen; auch können die Bücher zu häuslicher Benutzung entliehen werden. Der Umstand, daß jede Leserin das gewünschte Buch selbst vom Bort nehmen darf, spricht für einen hohen Grad von Anstand und Haltung dieser aus allen Schichten der Bevölkerung zusammengesetzten Lesegesellschaft! In dem Zeitschriftenzimmer des Vereins liegen 123 Zeitungen und Zeitschriften aus. Zum Lobe der Ruhe, Ordnung und der behaglichen Stimmung, welche in den Bibliotheksräumen herrschen, kann man kaum genug sagen.

Eine ganz merkwürdige Blüte treibt das Vereinsleben der „Young Womens Christian Association“ in ihrer sogenannten „Society of United Workers“. Diejenigen Mitglieder der Bibelklasse, welche Zeit und Neigung dazu haben, bilden einen engern Verein im Vereine. Ihr Zweck ist, die Vorteile, welche die „Association“ bietet, weiteren Kreisen von Hilfsbedürftigen bekannt zu machen. Die Stätte ihrer Hauptwirksamkeit ist das sog. Wohnzimmer des Vereinshauses, ein schöner, großer und mit dem vollendetsten Komfort ausgestatteter Raum, der tagsüber den verschiedenen Komiteesitzungen dient. Abends aber ist er, nach Bedarf gut durchwärmt und erleuchtet, für alle die geöffnet, welche ihn besuchen wollen, also auch für Nichtmitglieder. Bücher, illustrierte Werke und Gesellschaftsspiele stehen ihnen zur Verfügung; jede fremde Besucherin wird von einer leitenden Dame bewillkommnet und mit den Veranstaltungen des Vereines bekannt gemacht. Aus diesen zwanglosen Abendbesuchen hat sich durch die Thätigkeit der „United Workers“ eine Kette von belehrenden und unterhaltenden Zusammenkünften herausgebildet.

Diese Abende sind immer, auch in den Sommermonaten gut besucht. In der heißen Zeit ist ja das Leiden derer, welche die dunstige Stadt nicht verlassen können und deren Wohnung keinen Schutz vor der Glut bietet, die durch jede Ritze eindringt, vollends unerträglich; Tausende von Unglücklichen suchen dann in Verzweiflung nach der Arbeit Kühlung auf der Straße und den freien Plätzen der unteren und mittleren Stadt; der Weg zum Central-Park ist zu weit, um zu Fuß zurückgelegt zu werden. Da gehen die „United Workers“ hinaus und bringen Hunderte von Mädchen, welche draußen allen Gefahren einer Weltstadt und einem qualvollen körperlichen Zustand preisgegeben sind, in ihr kühles Vereinshaus, wo sie dieselben durch verständnisvolle Teilnahme zu einer besseren, vernünftigeren Lebensführung anregen. Manche von diesen Gästen werden eifrige Mitglieder des Vereins und suchen dann ihrerseits seine Segnungen auszubreiten. Eine andere Gruppe der „United Workers“ widmet sich dem außerordentlich verdienstvollen Werk, unerfahrene Einwandrerinnen gleich am Landungsplatze in Empfang zu nehmen und für ihre Unterbringung und Weiterbeförderung Sorge zu tragen. Mit dem Schiff angekommene junge deutsche Mädchen können nichts Besseres thun, als sich diesen durch ein blaues Abzeichen mit der Inschrift: „Young Womens Christian Association, Travellers Aid“ kenntlichen Damen anzuschließen und sich sofort mit ihnen ins Vereinshaus zu begeben, um Unterkunft und Arbeit zu finden.

Nach dem Vorhergesagten ist es wohl einleuchtend, wie vorteilhaft dabei gute, durch Amt oder Geistliche beglaubigte Zeugnisse sind. Auch die Kenntnis der englischen Sprache hilft zum raschen Vorwärtskommen und sollte durchaus gewonnen werden, ehe man nach Amerika geht!

Großartige Leistungen, wie sie dieser Verein aufweist, sind nur durch eine ganz vorzügliche Organisation zu erreichen, durch zweckmäßigste Arbeitseinteilung, sowie durch Intelligenz und Thatkraft der leitenden Persönlichkeiten. Alles dies ist hier vorhanden, dazu herrscht eine weitgehende Teilung der Arbeit. Die Vereinsschützlinge von gestern sind schon morgen die Spender der praktischen Unterstützung und helfen andern, wie ihnen geholfen wurde. Die freiwillig arbeitenden Damen, 300 an Zahl, gliedern sich in 14 verschiedene Komitees mit Vorsitzenden, Sekretärinnen und wenigen besoldeten Beamten.

[380] Die „Young Womens Christian Association“ nennt nur diejenigen aktive Mitglieder, welche regelmäßige Arbeit verrichten, nicht die Spender bloßer Geldbeiträge. Unter ersteren würde man freilich vergeblich Frauen suchen, die aus Bescheidenheit oder Mangel an Selbstvertrauen ängstlich bemüht sind, in den Hintergrund zu treten; da hat jede ihre eigne Meinung, ist imstande, sie klar und deutlich in der Versammlung auszusprechen, scheut sich nicht, im Lauf ihres Wirkens auf eigne Hand vorzugehen, und hält dabei doch genau die Schranken inne, welche das Vereinsleben dem Einzelnen zieht. Es wäre verfehlt, wenn man diese Thatsachen zu einer unbedingten Verherrlichung der amerikanischen Frauen ausbeuten wollte: ihnen fehlt manches, was die deutschen Frauen besitzen; allein sie besitzen auch Eigenschaften, die sich diese noch aneignen müssen, um den Forderungen unserer Zeit völlig zu genügen.

In Deutschland liegen die Verhältnisse ja ganz anders: Staat und Städte haben dort vielfach die Gründung von Kunstgewerbe-, Handels-, Industrie- und sonstigen Fortbildungsschulen übernommen, und gerade deshalb trat bis in neuere Zeit die Notwendigkeit, selbst dergleichen ins Leben zu rufen, weniger an die Frauenwelt heran. Aber mit der wachsenden Lebensschwierigkeit und der sich stets vermehrenden Zahl alleinstehender, auf ihren Erwerb angewiesener Frauen wird die Forderung von Hilfe für die wirtschaftlich schwachen immer unabweisbarer. Man ist neuerdings zur Erkenntnis gelangt, daß das vor dreißig Jahren als Evangelium gepriesene „Gehen lassen“ auf wirtschaftlichem Gebiet neben den guten auch recht schlechte Früchte getragen hat: ein Blick in die Arbeiterinnen- und Dienstbotenverhältnisse der Großstädte liefert die Belege hierfür.

Das Haus der „Young Womens Christian
Association“ in New York. 

Das „Margaret Louisa Home“
 in New York.

Auf allen Seiten rühren sich denn auch bereits die werkthätigen deutschen Frauen, um hier Abhilfe zu schaffen. Es ist durch den Allgemeinen Deutschen Frauenverein, den Badischen Frauenverein, den Letteverein, die Stellenvermittelung des Deutschen Lehrerinnenvereins u. a., sowie durch die Thätigkeit einzelner hervorragender Frauen schon viel geschehen, aber es bleibt noch unendlich viel zu thun, bis auch bei uns eine geistige und wirtschaftliche Selbständigkeit der arbeitenden Frauen erreicht sein wird, wie sie heute schon in Amerika besteht. Es müssen noch in ganz anderem Maße als bisher die Hausfrauen und Mütter, sie, die bisher durch häusliche Tugenden allein ihre Pflichten zu erfüllen glaubten, sich thätig der Sache mit annehmen. Ziemt es doch vor allem denjenigen, welche das große Glück der geschützten Häuslichkeit genießen, ihren draußen hart um die Existenz ringenden Schwestern die hilfreiche Hand zu bieten! Auch in Deutschland würden Asylhäuser, Handfertigkeitsschulen und Stellenvermittelungen wie die oben geschilderten von unberechenbarem Segen für Tausende sein. Sie erfordern starke Geldmittel und können sich selbst in dem praktischen Amerika nicht aus eigenen Einnahmen erhalten. Nun, auch in Deutschland ist so viel Wohlstand vorhanden, daß die Frauen der oberen Klassen sehr wohl durch Jahresbeiträge, Schenkungen und Legate den Bestand solcher Anstalten sichern können. Es gilt nur, im Bewußtsein der allgemeinen Menschenpflicht, die Männern und Frauen gemeinsam ist, mit frischem Mut und Vertrauen in die eigene Kraft an die Aufgabe zu gehen!

In jeder Großstadt lassen sich hundert Frauen aufsuchen, die eintausend Mark von ihrem Vermögen wegzugeben die Mittel, die Macht und das Recht haben; wenn sie sich zusammenthäten, drei oder vier aus ihrer Mitte wählten, denen unbeschränkte Vollmacht zur Ausführung verliehen würde, wie schnell wäre zum Besten der arbeitenden Schwestern ein Großes geschaffen!

Der Geist werkthätiger Menschenliebe ist an kein Land, an keine Nation gebunden, er vermag überall die Härten des Daseins zu mildern und den unvermeidlichen Schäden der Civilisation neue, vorher ungekannte Wohlthaten entgegenzustellen.

Was weibliche Thatkraft und Ausdauer vermag, davon liefern die amerikanischen Wohlfahrtseinrichtungen ein glänzendes Beispiel. Vieles Einzelne mag bei uns anders angefaßt und eingerichtet werden müssen, im ganzen werden aber doch dieselben Ziele anzustreben sein, welche dort im „nüchternen Lande des Dollars“ eine so große Zahl idealgesinnter Menschen zur praktischen That vereinigt und ihrem Wirken so große Erfolge gesichert haben.




Die Sekte der Babis in Persien.

Die Blutthat in Teheran hat die Augen der Welt wieder der merkwürdigen reformatorischen Sekte zugewendet, welche der ermordete Schah Nassr-ed-din mit allen Mitteln grausamer Gewalt auszurotten bestrebt war, aber trotz aller Verfolgungen und Hinrichtungen nicht zu unterdrücken vermochte. Ihr Stifter und Prophet war Mirza Ali Mohammed aus Schiras, der anfangs der dreißiger Jahre als junger Handlungsgehilfe in der Hafenstadt Abuschehr am Persischen Golf sich religiösem Sinnen, auch dem Lesen der christlichen Evangelien hingab, dann aber in Kerbelah die Schule der Scheichiten besuchte, einer Sekte, welche dem ganz äußerlich gewordenen, in Formelwesen erstarrten schiitischen Bekenntnis eine neue sittlich-religiöse Kraft durch innere Heiligung zu geben erstrebte. Die beiden großen mohammedanischen Konfessionen Sunniten und Schiiten unterscheiden sich in der Hauptsache nicht wie Katholiken und Protestanten durch Dogmen, sondern durch rein äußerliche Gebetsbräuche und ihre Ehegesetze, vor allem aber durch den erbitterten Zwiespalt der Ansichten hinsichtlich der ersten Nachfolger des Propheten, welche die Sunniten als rechtmäßig erachten, wogegen die persischen Schiiten behaupten, jene drei, Abu Bekr, Omar, Othman, hätten sich die Kalifenwürde ohne Berechtigung angemaßt und der vierte, Ali, der Schwiegersohn des Propheten, hätte von Rechts wegen der erste sein müssen. Dieser Streit hat vor mehr als tausend

[381]

Das Abholen der Standarten vom königlichen Schloß in Berlin zur Frühjahrsparade.
Nach einer Originalzeichnung von C. Becker.

[382] Jahren die mohammedanische Welt in zwei Hälften zerrissen und Ströme von Blut fließen machen, er hält aber auch heute noch die Gemüter in erbittertster Feindseligkeit. Vor wenig Jahrzehnten noch wurden Perser niedergemetzelt, weil ein türkischer Pascha in Erfahrung brachte, daß sie die Namen der drei ersten Kalifen auf ihre Schuhsohlen geschrieben hatten, um sie fortwährend mit Füßen treten zu können. Ihrerseits verfluchen heute noch die persischen Mueddins täglich von den Minarets herunter eben diese drei Kalifen; selbst gebildete Perser, welche im Gespräch mit Europäern Omars welthistorische Verdienste um den Islam zugeben müssen, schließen mit der Versicherung: „Und er war eben doch ein Hund!“ Bei den alljährlich zu Ehren Alis im südlichen Persien aufgeführten Mysterienspielen zerfließen die Zuschauer um seiner und seines Schwiegersohns Husseins Leiden willen in Thränen. Das Morgenland hat eben ein für uns schnell lebende Europäer unbegreiflich zähes Gedächtnis und erregt sich täglich neu um Persönlichkeiten, die jenseit der Zeit Karls des Großen lebten.

Da nun besonders den Schiiten über ihrem Religionshaß und dem leeren Formelkram der eigentlich religiöse Geist gänzlich abhanden kam, so ist es kein Wunder, daß die Bestrebungen der pietistischen Scheichiten und bald auch des jungen Mirza Ali Mohammed in Kerbelah großen Anhang fanden. Schon dort erregte der schöne ernste Jüngling Aufsehen durch seine innige Frömmigkeit, und einmal nach vierzigtägigem Beten soll er seinem Nachfolger versichert haben: „Wer den Weg wissen will, der zu Gott führt, kann es nur durch mich.“ Daher der Name „Bab“ (Pforte), der von nun an ihm und seinem Anhang verblieb.

Bald wählten ihn die Scheichiten-Gemeinden zu ihrem Führer, er begab sich nach Schiras und erregte dort durch seine Lehre, den heiligen Eifer, mit dem er Mißbräuche rügte, die große Überlegenheit im Disput mit den Staatsgeistlichen, wie durch seinen strengen persönlichen Wandel eine stets wachsende Begeisterung; anderseits aber zog er sich das höchste Mißfallen der Mullahs zu, welche ihn als staatsgefährlich bei der Regierung in Teheran verklagten. Bab erbot sich sofort, dahin zu reisen, um vor dem Schah mit den gelehrtesten Mullahs zu disputieren, aber dieser (Nassr-ed-dins Vorgänger, Mohammed) scheute die Gefahr der religiösen Spaltung und gebot dem Bab, sich ruhig in Schiras zu verhalten und bis auf weiteres sein Haus nicht zu verlassen. Durch diese halbe Maßregel ließ er dem Propheten Zeit, sein System auszubauen und mit den Jüngern ungestört zu verkehren. Die merkwürdigste Gestalt unter diesen war eine junge Frau von bezaubernder Schönheit und fleckenlosem Rufe, Gurret-el-Ain (Augenwonne) genannt, welche mit Bab nur in brieflichem Verkehr stand und ihn niemals mit Augen sah. Sie trat, hingerissen von seiner Lehre, in ihrer Heimat Kaswin als Predigerin auf, unverschleiert, gegen allen Brauch des Islam, und ließ sich durch das Flehen ihrer hochangesehenen Familie nicht abhalten, in begeisterter Rede über die neue Lehre und ihren Bezug auf das weibliche Geschlecht sich öffentlich zu verbreiten. Nach Babs Anschauung ist aus der grenzenlosen Urgottheit ein begrenzter Schöpfergeist hervorgegangen, dessen Werk die Welt ist, welche dann am Ende aller Zeiten mit ihm wieder in Gott untergehen wird. Vorher ist volles Erkennen Gottes unmöglich, doch stehen von Zeit zu Zeit Propheten auf, welche den Weg zu ihm weisen. Moses, Jesus, Mohammed waren solche, auch er sei ein solcher, und andere würden ihm folgen. Seine Lehre griff also den Glauben des Islam viel weniger an als dessen im Lauf der Zeiten greulich gewachsene Mißbräuche, die heuchlerischen äußeren Andachtsformen bei innerer Ruchlosigkeit, wie sie gerade in Persien in voller Blüte standen. Auch drang er auf Heiligung des Familienlebens, Verbot leichter Scheidung, vor allem auf Abschaffung der schmählichen „Ehe auf Zeit“, wie sie in Persien unter geistlicher Assistenz geschlossen und, nach Belieben innerhalb einer Stunde oder auch nach Jahren, wieder gelöst werden konnte. Er verlangte moralische Hebung und soziale Gleichstellung des weiblichen Geschlechtes, das dann keines Schleiers mehr zum Schutz bedürfen würde.

Der Erfolg dieser Lehren war ein sehr großer; scharenweise fielen die Anhänger dem Propheten und seiner Jüngerin zu. Der kranke Schah Mohammed zögerte gegenüber Babs wiederholten Anerbietungen, sich mit ihm zu verständigen, ließ ihn aber schließlich ausweisen, und nun kamen auch bald die blutigen Zusammenstöße in den Provinzen zwischen Babs Anhängern und den Vertretern der alten Ordnung.

Als nach Mohammeds Tode 1848 Nassr-ed-din zur Regierung kam, machte er dem bedrohlich gewachsenen Erfolg der kriegerischen Babisten ein gewaltsames Ende. Bab selbst hatte niemals zum Aufstand aufgefordert, trug aber ohne Murren die Folgen des Vorgehens seiner Jünger. Er wurde gefangen und zum Schein noch einmal in Täbris vor Gericht gestellt, wobei die Mullahs erklärten, es sei jetzt keine Zeit mehr zum Disputieren, und der vorsitzende Prinz eine ähnliche Rolle spielte wie einstens Pontius Pilatus. Bab sollte sterben, schon um der Sekte zu zeigen, daß ihr Prophet sterblich sei. Man schleppte ihn in Ketten unter Spott und Mißhandlung nebst zwei mitverurteilten Schülern durch die Stadt; er mußte den Schmerz erleben, daß der eine, um sich zu retten, ihm fluchte und ins Gesicht spie. Der andere aber, jung, reich und Gatte eines schönen jungen Weibes, küßte dem Meister innig die Hände, rief: „Dieser ist die Pforte der Wahrheit, der Imam des Islam!“ und ging ihm freudig im Tode voran. Ein merkwürdiger Zufall schien dabei übrigens dem Propheten Rettung bieten zu wollen: die Kugeln, welche ihn treffen sollten, zerrissen nur die Stricke, in denen er an der Festungsmauer aufgehängt war, so daß Bab frei auf die Füße zu stehen kam. Hätte er die Geistesgegenwart gehabt, dies als ein Wunder geltend zu machen, dann konnte bei der Stimmung des umgebenden Volkes ein ungeheurer Erfolg möglich sein. Aber der Prophet, von dem Qualm betäubt, machte einen planlosen Fluchtversuch und wurde von den Soldaten, die man vorsichtshalber einer christlichen Compagnie entnommen hatte, eingeholt und niedergemacht. Das war am 19. Juli 1849.

Auch Gurret-el-Ain besiegelte ihre Lehre durch das Martyrium. Sie wurde gefangen und ins Haus des Kriegsministers verbracht, welcher in kurzem von ihrem Wesen dermaßen bezaubert wurde, daß er ihr dringend anlag, sie möge vor Gericht auf die Frage, ob sie Babi sei, einfach mit Nein! antworten, dann werde man sich zwar verwundern, sie aber freilassen. Gurret-el-Ain jedoch erwiderte, sie werde dies nicht thun, bekannte sich am folgenden Tage zu ihrer Lehre und wurde darauf lebendig verbrannt.

Solche Beispiele schaffen bekanntlich mehr Anhänger, als alle Predigt imstande wäre. Die Sekte der Babis hat sich trotz aller Verfolgung im stillen mehr und mehr ausgebreitet; ihr Rachedurst kam in verschiedenen mißglückten Attentaten auf Nassr-ed-din zum Ausbruch, die dann wieder von neuem grausame Verfolgungen und Hinrichtungen hervorriefen. Die völlige Todesverachtung, mit der die Babis dem Richtblock entgegengehen, entstammt ihrem Glauben, daß sie binnen vierzig Tagen wieder auferstehen und später auf ewig mit Gott vereinigt werden. Ob der Mörder des Schahs wirklich ein Werkzeug der Sekte war, muß die Untersuchung lehren, jedenfalls ruft die That aufs neue das Bild des reinen Propheten hervor, der, wie manche andere, für die Ausschreitungen seiner Bekenner nicht verantwortlich zu machen ist. R. A.     




Ein unbedachtes Wort.

Novelle von M. Misch.
(Schluß.)


Die Schneebahn war herrlich glatt; trotzdem verhielt Schindler den feurigen Pferden die Zügel, um die vorausgefahrene Gesellschaft ja nicht einzuholen.

„Werden wir bei Frau von Schmidtlein vorfahren?“ fragte Marie erstaunt, als Wolf an der betreffenden Straße vorüber und gegen die Landstraße lenkte.

„Frau von Schmidtlein fährt mit Berlau,“ erwiderte der Gefragte kleinlaut.

„Mit Herrn Berlau? Ich denke, der ist verhindert?“

Marie richtete ihre großen Augen fragend auf ihren Nachbar, der etwas verlegen lächelte.

„Durch mich!“ bekannte er aber dann offen. Und nun kam es heraus: daß er geflunkert, damit Berlau nicht mit ihr fahren könne, daß er jenem vorgeredet, sie sei heute nicht frei und bereits bei der Probe im Theater, und daß sie nun die Gewogenheit haben möchte, seine Intrigue nicht zu verraten!

[383] Wolf gestand seine Schuld in einem gleichmütigen Ton, als erzählte er etwas ganz Selbstverständliches, und vermied sorgfältig, Marie dabei anzusehen.

Diese hatte immer erstaunter zugehört und saß nun ganz still neben ihm, die große, brennende Frage im Herzen: Warum dies alles? Und neben dieser Frage auch schon die Antwort, und mit dieser Autwort ein merkwürdiges, wonniges Glücksgefühl!

Die Pferde durften jetzt laufen, so schnell sie wollten, denn die Gefahr, die Gesellschaft einzuholen, war nunmehr ausgeschlossen, und so flogen sie auf dem glatten Boden pfeilschnell dahin.

Auch Wolf schwieg. Es drängte ihn nunmehr, die Zeit auszunutzen, ihr von seiner Liebe zu sprechen, aber zugleich fühlte er sich befangen. Sein Herz schlug wild und stürmisch. Nun streifte er das erglühte Mädchen mit einem raschen Blick.

„Frieren Sie nicht?“ fragte er leise.

Marie schüttelte lächelnd den Kopf. „O nein, ich bin heute in Sammet und Pelz gewickelt – eine Anleihe bei Mama!“

Jetzt sah er erst, daß sie einen prächtigen Mantel um sich geschlagen hatte. Die arme liebe Kleine! Sie war keine von den erstaunlich wirtschaftlich befähigten Künstlerinnen, die von ihrer Gage kostbare Toiletten und Brillanten erschwingen können! Sie war anders als alle die anderen, bescheiden und anschmiegend wie ein kleines Mädchen und stolz wie eine Königin. Auch Berlau war ja so verliebt in sie, daß er die ernste Absicht hatte, sie zu heiraten! Es würde die erste kluge That seines Lebens sein. Aber Marie würde ihm unbedingt einen Korb geben! War das sicher? Berlau war immerhin reich und ein hübscher Kerl – wenigstens nach weiblichen Begriffen! Er selbst fand ihn unmännlich und beschränkt dazu, sehr beschränkt! Aber vielleicht sah sie das nicht oder wollte es nicht sehen! Wolf wandte sich ihr hastig zu.

„Sind Sie mir böse, daß ich Berlau den Streich gespielt habe?“

„O nein!“ Ein leises, frohes Lachen begleitete die Antwort.

„Wären Sie nicht lieber mit ihm gefahren?“

„Gewiß nicht!“

„Wissen Sie, daß Berlau in Sie verliebt ist?“

„Es schien mir so!“

„Er will Sie heiraten!“

„Will er?“ Die Frage klang so ironisch, daß Wolf lachen mußte.

„Werden Sie ihm einen Korb geben?“

„Ich liebe ihn ja nicht!“

„Marie!“

Der geliebte Name drang fast gegen seinen Willen über seine Lippen; er vermochte nicht mehr gegen seine Leidenschaft anzukämpfen. „Marie!“

Und als sie erschreckt aufblickte, sah sie den zärtlichen, flehenden Blick. Er beugte sich über sie und küßte sie zart, fast ehrfürchtig auf die roten Lippen.

Ein Augenblick nur war es gewesen, und Marie fragte sich, ob sie nicht geträumt habe. Vollständig fassungslos saß sie weit vorgebeugt und wagte nicht, den tief gesenkten Kopf zu erheben. Sie wußte nicht, sollte sie empört sein oder einer Empörung, die sie wirklich nicht empfand, Worte leihen. Sie wußte nur, daß sie furchtbar erregt war, daß ihr Herz statt des Zornes Jubel erfüllte und daß sie am liebsten geweint hätte – laut geweint, aber vor Freuden!

„Wir sind am Ziele,“ sagte nach einer Weile Wolf, der mit hochrotem Gesicht scheinbar gleichmütig neben ihr saß.

In Sehweite, am Rande der Straße, lag ein großes Haus, eine Art von besserer Bauernwirtschaft, die durch ihren guten Kaffee weit und breit berühmt war. Auf dem freien Platze vor demselben, unter einem einfachen Holzdache, befanden sich die Schlitten der Gäste.

Als Wolf hielt, stürzte Berlau zum Hause heraus und auf die Ankömmlinge zu. „Wie kommt das?“ stammelte er mit weit aufgerissenen Augen, von Marie zu Wolf und von Wolf zu Marie blickend. Diese errötete heftig.

„Herr von Schindler war so liebenswürdig – ich konnte mich doch frei machen … und da …“

„Da traf ich das Fräulein noch rechtzeitig. Uebrigens wünscht sie, mit überflüssigen Fragen verschont zu bleiben, lieber Berlau!“ kam ihr Wolf zu Hilfe, während er sich mit seinen Pferden zu schaffen machte.

„Aber auf dem Rückwege fahre ich Sie, nicht wahr?“ sagte Berlau schnell, und seine Stimme hatte einen flehenden Klang.

Marie lief rasch in das Haus, die Frage scheinbar überhörend. Der warme, zärtliche Händedruck Wolfs beim Aussteigen hatte ihr Herz wieder wärmer schlagen gemacht und mit glückstrahlendem Lächeln begrüßte sie die Gesellschaft.

Frau von Schmidtlein machte, als sie die Neuangekommenen sah, ein recht nachdenkliches Gesicht, und ihre forschenden Augen richteten sich oft auf Marie, die sich so ausgelassen, heiter und lebhaft gab, wie man es sonst nicht an ihr gewöhnt war. Aber wirklich besorgt wurde die mütterliche Freundin erst nach einem kurzen Gespräche mit Schindler.

„Sie sind nicht mehr nett gegen mich, Gnädigste!“ sagte dieser scherzend. „Sie laden mich viel zu selten zum Thee ein!“

Fannys Gesicht zeigte eine mißtrauische Miene.

„Warum denn?“ fragte sie kühl. „Was wollen Sie denn bei uns langweiligen alten Leuten? Wir sind viel zu solid für einen Lebemann wie Sie!“

„Eben deshalb! Ich will jetzt brav werden!“

„Brav werden?“ Fannys Ton klang beleidigend gedehnt. „Sie? – Da wollen Sie wohl heiraten?“

„Warum denn gleich heiraten?“ wagte Wolf zu erwidern, kam aber schlimm an.

„Na, das wäre doch ein Glück für Sie, wenn Sie eine gute, kluge Frau bekämen, die Sie auf den richtigen Weg brächte! Thorheiten hätten Sie nun bereits genug gemacht, um es dabei bewenden zu lassen! Und darauf können Sie sich verlassen, wo ich meine Hand im Spiel habe, da werde ich sie zu verhindern wissen; ich sehe, Gott sei Dank, scharf und werde ein wachsames Auge auf Sie – und noch jemand haben. Das merken Sie sich nur!“

Wolf entfernte sich mit etwas verdutztem Lächeln, wagte aber nichts zu erwidern, wodurch die kluge Dame sich in ihrem Verdacht nur noch bestärkt sah. Ihre Unruhe wuchs. Es lag in seinem heiteren Lächeln ein Gleichmut, der nichts übelnahm, ein Siegesbewußtsein und eine Sicherheit, die einen Grund haben mußten.

Und wer trug die Schuld daran? Sie selbst – sie, die beide zusammengeführt hatte! Heiraten wollte er ja nicht, das hatte er deutlich genug erklärt; aber verliebt war er, das konnte man ebenso deutlich sehen. Und Marie mit ihrem strahlenden Lächeln gab ihr ebenfalls zu denken. Die beiden sahen beängstigend glücklich aus! Am Ende waren sie bereits einig. Wie hatte es der gefährliche Mensch nur möglich gemacht, mit dem Mädchen allein zu fahren? Eine regelrechte Intrigue! Es mußte von ihrer Seite etwas geschehen, das war klar. Aber was?

Je weiter der Nachmittag vorrückte, um so heiterer wurde die Gesellschaft. Wolf von Schindler, der vor Uebermut und guten Einfällen sprühte, hatte Champagner mitgenommen, und der perlende Schaumwein regte die Gesellschaft bis zur Ausgelassenheit an. Der Hauptmann hielt eine zündende Ansprache, in der er den edlen Spender leben ließ.

Aber der Baron hatte noch eine andere Ueberraschung aufgespart, die von den Damen mit Jubel begrüßt wurde. Im Sitzkasten seines Gefährtes hatte er herrliche Bouquets mitgebracht, die er kurz vor der Heimfahrt verteilte. Marie erhielt den schönsten Strauß. „Zur Erinnerung!“ flüsterte er und sah ihr dabei tief und zärtlich in die Augen.

Berlau war wütend, daß nicht er auf diesen guten Einfall gekommen war, und beschloß, das nächste Mal Bonbonnieren mitzunehmen. Seine Stimmung war überhaupt nicht die beste. Marie hatte zwar versprochen, mit ihm zurückzufahren, aber seine Mama bestand darauf, ebenfalls dabei zu sein. Sie fürchte sich vor anderen Pferden; sie sei nur an ihre eigenen gewöhnt.

Berlau versuchte nach Kräften, sie noch anderen Sinnes zu machen; es wäre ihm auch beinahe gelungen, als der böswillige Schindler gerade im unpassendsten Augenblick eine schreckliche Geschichte von durchgehenden Pferden erzählte, welche die Fahrenden zu Tode geschleift hatten. Das genügte, um die furchtsame Dame bei ihrem Entschlusse verharren zu lassen.

Die Heimfahrt wurde angetreten und Marie kam nun neben Frau Berlau zu sitzen. Sie sah reizend aus mit ihren lebhaft geröteten Wangen und den glückselig strahlenden Augen. Schindler half ihr beim Einsteigen und ahnte nicht im entferntesten, daß der sanfte Händedruck, der ihn unendlich beglückte, für lange Zeit der letzte sein sollte. Weltvergessen, mit abgezogenem Hut und ohne Mantel, sah er dem davonfahrenden Schlitten nach und lachte übermütig, als Frau von Schmidtlein in trockenem Tone zu ihm sagte: „Sie werden den Schnupfen bekommen, nehmen Sie sich in acht!“

Marie saß träumerisch lächelnd im Schlitten und ließ Berlaus [384] Komplimente über sich ergehen. Sie war froh, als es auf dem halben Wege plötzlich zu schneien begann und er seinen Pelzkragen bis über die Ohren aufschlagen mußte. So konnte er wenigstens nicht mehr viel sprechen und sie brauchte nicht zu antworten. Es war so hübsch, ganz still dazusitzen und an die andere Schlittenfahrt von heute vormittag zu denken, sich alles zurückzurufen, jedes einzelne Wort, und alles in Gedanken noch einmal zu durchleben.

Die Dunkelheit brach plötzlich herein, und Mama Berlau drückte sich eng an ihre Nachbarin, sie schob sogar ihren Arm in den Mariens, trotzdem sie die „Schauspielerin“ eigentlich nicht mehr recht leiden mochte, seit sie Kurts „Verrücktheit“ ahnte.

In dem langsamen, gleichmäßigen Ton, der ihr eigen war, erzählte sie kleine Klatschgeschichten, ließ die heutige Gesellschaft Revue passieren und wußte jedem ein bißchen etwas anzuhängen.

Marie hörte ohne Interesse zu, traumbefangen, halb schlafend.

Plötzlich aber horchte sie auf. Ein Name schlug an ihr Ohr, der alle Müdigkeit verscheuchte. Jetzt stimmte auch Berlau in Mamas Kritik mit ein: die Gelegenheit, dem heimlich verwünschten Nebenbuhler etwas am Zeuge zu flicken, war doch zu verlockend. Marie richtete sich auf und übernahm die Verteidigung des „Abwesenden“.

„Aber liebes Fräulein,“ erwiderte Frau Berlau, „das sind doch alles stadtbekannte Sachen. Er ist ein ganz rücksichtsloser Mensch und daneben auch ganz unzuverlässig, immer nur nach seinen Launen handelnd. Ich weiß nicht, warum man sich gerade von dem so viel gefallen läßt. Aber alle thun es. Sie selbst – nehmen Sie mir’s nicht übel – hätten doch alle Ursache, ihm böse zu sein, nach dem, was er Ihnen an dem ersten Abend damals auf die Bühne gerufen hat!“

„Na, das sind aber alte Geschichten, Mama,“ fiel ihr Sohn rasch ein. „Daß er seine Ansicht über Fräulein Sinders seither gründlich geändert hat, das sehen wir ja alle!“

Marie saß regungslos mit weitgeöffneten Augen. Sie war dem gutmütigen Menschen dankbar, der das Gespräch sofort beflissen auf anderes wandte, und allmählich erholte sie sich auch soweit, um hier und da eine Antwort zu geben.

Der Schnee fiel heftiger, einzelne Lichter tauchten auf – die Stadt! Endlich hielt der Schlitten vor dem Haus, in dem Marie wohnte.

Als sie ausstieg, fiel Wolfs Bouquet zu Boden, achtlos hingeworfen. Leise sagte sie „Gute Nacht“ und „Besten Dank“ und stieg langsam die Treppe hinauf. Die Füße waren ihr so schwer, daß sie sich kaum hinaufschleppen konnte. Im Zimmer war es dunkel. Frau von Sindsberg war ausgegangen, vermutlich in die Leihbibliothek, wo sie fast täglich einen Roman einzutauschen pflegte. Marie freute sich über die Stille und Einsamkeit. Müde ließ sie den Pelzmantel von den Schultern gleiten. Im Finstern setzte sie sich auf den breiten, harten Diwan, in dem die Federn bei jeder Bewegung auf und nieder schnellten. Sie wollte nicht weinen – nein! Sie preßte die Hände gegen das Antlitz, um den Thränen zu wehren. Umsonst! Unaufhaltsam drangen sie hervor in dieser bittersten, schmerzlichsten Stunde ihres Lebens. Den Kopf in das Polster gedrückt, schluchzte sie mit zusammengepreßten Lippen. Gewaltsam rang sie dagegen an, aber immer wieder brach der Quell ihrer Thränen hervor. Endlich erhob sie sich mit einer energischen Bewegung.

„Genug – das ist vorbei!“ sagte sie zu sich selbst. „Jetzt gilt’s, vergessen und ein anderes Leben beginnen! Die Kunst wird nur helfen, die Arbeit!“

Als Frau von Sindsberg von ihrem Ausgang zurückkehrte, fand sie Marie mit ihrem gewöhnlichen ernsten Gesicht in ein Rollenheft vertieft und erhielt von ihr über den Ausflug in gelassenem Ton kurze Auskunft.

Marie liebte ihre Mutter innig, aber von ihrem Herzeleid mit ihr zu sprechen, das vermochte sie nicht. Was sollte sie auch sagen? Die Mama würde über diesen verspäteten Kummer nur lachen und ihn nicht begreifen. Sie ahnte glücklicherweise nichts. Und nun war ohnedies alles zu Ende. – Zu Ende! Marie wiederholte sich dies Wort während der schlaflosen Stunden der Nacht unbarmherzig immer wieder und weinte sich endlich mit heißen Thränen in den Schlaf.

Es hatte nicht gerade Sensation gemacht, war aber doch in dem kleinen Kreise ihrer neuen Bekannten bemerkt worden, daß sich Fräulein von Sindsberg plötzlich zurückzog. Man fragte ihre Mutter nach der Veranlassung, die etwas vom „Studium neuer Rollen“ murmelte, lud sie ein paarmal vergebens ein und begnügte sich endlich damit, sie nur auf der Bühne zu sehen. Nach einiger Zeit schwirrte – man wußte nicht, wer der Urheber war – ein Gerücht umher, das viel Heiterkeit und ein gewisses Erstaunen weckte. Berlau, der schöne reiche Berlau, sollte sich einen Korb geholt haben; als die Spenderin desselben wurde Marie genannt. Fräulein von Sindsberg, die Tochter eines Hauptmanns, spielt nur „zu ihrem Vergnügen“ Theater, fügte man erklärend hinzu. Das Gerücht erhielt seine Bestätigung, als Berlau plötzlich zu seiner Erholung auf einige Wochen nach Italien reiste. Man lachte darüber, wunderte sich, lud das junge Mädchen wieder ein, erhielt aber wieder nur Absagen. – – –

Im Kasino hatte man schon vor Wochen zu Ehren des heimgekehrten verlorenen Sohnes wenn auch nicht ein Kalb geschlachtet, so doch ein lustiges Fest gefeiert. Schindler saß wieder die halben Nächte am Spieltisch, trank unsinnig viel Champagner und hieß jede Zerstreuung willkommen. Nur das Theater besuchte er nie mehr. Erst als die Geschichte von Berlau umlief, besuchte er wieder eine Vorstellung, in der Marie beschäftigt war, verließ aber schon vor dem Ende das Haus. Es war ihm unerträglich, sie spielen zu sehen.

Er haßte sie beinahe. Er nannte sie, wenn er allein war und der Zorn ihn erfaßte, eine Kokette, eine Heuchlerin, eine Närrin. Vielleicht hätte er seine Ruhe wiedergefunden, wenn er ihr alles dies hätte ins Gesicht schleudern dürfen. Aber mit welchem Recht? Und außerdem bot sich ihm keine Gelegenheit. Sie zog sich gänzlich zurück und wich ängstlich jeder Begegnung aus. Er hatte sie aufgesucht, gleich am Tage nach der Schlittenfahrt; sie war für ihn nicht zu Hause. Sie war nie mehr zu Hause, wann er auch kam. Er wartete nach dem Theater auf sie, sie war niemals allein. Vergeblich suchte er sie bei Frau von Schmidtlein; Marie kam nicht mehr dorthin. Er wartete vormittags, wenn sie zur Probe ging; sie schritt mit einem kalten Gruße schnell an ihm vorüber, und er fand nicht den Mut, sie anzureden. Was war geschehen?

Eines Abends kam er nach längerer Zeit wieder einmal zu Frau Fanny. Sie war allein und plauderte in ihrer alten, herzlichen und vertraulichen Weise. Schon nach fünf Minuten fing er von Marie an und beschwor sie, ihm zu sagen, was das junge Mädchen veranlaßt haben könnte, sich so gänzlich von aller Welt zurückzuziehen. Fanny wußte so wenig wie er einen Grund. Sie verhehlte ihm nicht, daß sie nach der Schlittenfahrt um Marie besorgt gewesen sei. Zum Glück scheine sie sich damals getäuscht zu haben. Schindler schlich mit gesenktem Haupte von ihr fort. Also auch hier hatte er das Licht nicht gefunden, das er suchte.




Weiße Ostern! So früh wie in diesem Jahr war der Palmsonntag lange nicht gewesen, mitten in den März hinein fiel er.

Der Schnee wirbelte schadenfroh um die mißmutigen Gesichter der jungen Mädchen, die ihre neuen Osterkleider und die Frühjahrshüte im Schrank lassen mußten. Die Geschäftsleute verwünschten ihn, und nur der Theaterdirektor schmunzelte vergnügt bei seinem Anblick. Aber auch seine Freude war mit Wehmut gemischt. Die Saison der Provinztheater ist mit dem Palmsonntag zu Ende. Die Kontrakte laufen nur bis dahin, und die Schauspieler sind mit diesem Tage wieder frei. Sein Anerbieten, bei der frühen Jahreszeit und der schlechten Witterung noch vierzehn Tage weiter zu spielen, hatten sie alle mit größter Freude angenommen, bis auf Marie. Und gerade diese brauchte er, da sie außerordentlich beliebt war und alle ersten Rollen ihres Faches innehatte. Aber sie blieb unerbittlich. Mit einer ganz unnötigen Leidenschaftlichkeit wies sie seinen Vorschlag zurück. Um keinen Preis bliebe sie einen Tag länger, als sie müsse! Fort, nur fort! Direktor Hoffmann nahm an, daß sie einen sehr vorteilhaften Gastspiel- oder Engagementsantrag erhalten habe, da sie auch sein Anerbieten, ihren Kontrakt für nächstes Jahr zu erneuern, ablehnte. Sie danke ihm sehr, aber für keine Gage der Welt möchte sie in C. bleiben.

Frau von Sindsberg hatte Abschiedsbesuche gemacht, zuletzt bei Fanny, und kam mit rotgeweinten Augen nach Hause.

„Solch feinen, liebenswürdigen Verkehr finden wir nie mehr wieder,“ sagte sie gereizt. „Ich begreife Dich einfach nicht, weshalb Du es hier, in dieser angenehmen Stadt, nicht noch eine Saison aushalten willst! Schon aus Rücksicht auf mich! Aber Du hast nirgends Ruhe und bist entsetzlich eigensinnig!“ –

[385]

Amsterdamer Fischermädchen.
Nach einem Gemälde von H. Huisken.

[386] Marie, die, mitten zwischen Körben und Koffern stehend, eifrig packte, erwiderte nichts. Sie war es seit einiger Zeit gewohnt, von ihrer Mutter nur Vorwürfe zu hören, und ließ sie stillschweigend über sich ergehen. Es mußte ja alles besser werden, wenn sie nur erst fort wären! Vorläufig wollte sie in Berlin einige Tage bei ihrem dort lebenden Bruder bleiben und dann in irgend ein Engagement gehen. Wenn nur der heutige Tag erst überstanden wäre und die Abreise morgen früh! Das war das Aergste! Sie wollte fort, ja, aber daß sie wollen mußte, that weh!

Es ging schon gegen den Abend, als sie endlich mit der unangenehmen Arbeit fertig war; die Gepäckstücke standen sauber geschnürt im Flur. Nachdem sie sich ein wenig ausgeruht, machte sie Toilette, denn sie fühlte sich Frau von Schmidtlein gegenüber doch verpflichtet, nicht ohne einen Abschiedsbesuch bei ihr die Stadt zu verlassen. Es bangte ihr ein wenig vor diesem Besuch und den forschenden Augen der Dame; aber es mußte sein!

Fanny war allein. Sie empfing das junge Mädchen mit warmer Herzlichkeit. Es sei lieb von ihr, daß sie doch noch einmal sich bei ihr sehen lasse, und sie dürfe nicht eher fort, als bis der Hauptmann zurück sei, der ihr unbedingt Adieu sagen wolle. Marie war gerührt und versuchte, sich wegen ihres sonderbaren Benehmens in den letzten Wochen zu entschuldigen. Fanny unterbrach sie sofort. Sie werde schon ihre guten Gründe gehabt haben, die niemand etwas angingen. Jeder müsse wissen, was er zu thun hätte, und Marie sei ein viel zu gescheites, taktvolles Mädchen, um nicht stets das Richtige zu treffen.

Hätte sie anders gesprochen und vielleicht zudringliche Fragen gestellt, Marie hätte sich gewiß scheu in ihr Inneres zurückgezogen, während sie jetzt der diskreten Freundin gern alles anvertraut hätte. Aber sie fand nicht den Mut dazu.

Fanny ahnte wohl, was in der jungen Freundin vorging, sie brannte vor Verlangen, des Mädchens Geheimnis zu erfahren, aber sie hütete sich, direkt zu fragen. Ganz allmählich lenkte sie das Gespräch dahin, wo nach ihrer Meinung der Angelpunkt lag.

„A propos, daß ich’s nicht vergesse – Herr von Schindler sendet Ihnen noch seine achtungsvollsten Abschiedsgrüße. Er bedauert lebhaft, sie Ihnen nicht persönlich aussprechen zu können.“

„Danke sehr!“ klang es gepreßt aus dem Munde Mariens zurück.

„Er ist sehr indigniert über Sie! Ich sollte es zwar nicht sagen, aber jetzt, da Sie abreisen –“

„Ich auch über ihn!“

„Wie?“ Fanny saß da wie ein lebendiges Fragezeichen.

„Und ich habe sicherlich mehr Ursache,“ fuhr Marie in gereiztem Tone fort.

„Hat er Sie beleidigt, Kind? Ich dachte mir beinahe so etwas. Wohl auf der Schlittenfahrt?“

In Mariens Gesicht stieg eine flammende Röte, welche dank der hereinbrechenden Dunkelheit von Fanny nicht bemerkt werden konnte.

„Nein! Damals nicht!“

„Ah, also später?! So, so! – Denken Sie, Mariechen, ich bildete mir wahrhaftig ein, Schindler hätte sich in Sie verliebt!“

„In mich – er?“

„Ja, wirklich, und ich glaube es fast noch heute!“

„O nein! Ihm wäre ich viel zu – ‚scheußlich!‘“

Fanny zuckte zusammen. Sie hätte nicht das unterdrückte Schluchzen zu hören brauchen, um jetzt den Zusammenhang zu begreifen. Also das war es!

„Wer hat Ihnen das erzählt?“ fragte sie hastig.

„Frau Berlau! Als wir zusammen zurückfuhren bei jener Partie.“

„Und deshalb haben Sie uns, die wir doch an der Sache unschuldig sind, so grausam vernachlässigt?“

„Ich wollte dem Herrn nicht mehr begegnen.“

„Dem Herrn? Ist das der arme Wolf von Schindler? Aber Kindchen, er kannte Sie ja damals noch nicht und war zudem etwas angeheitert; Sie waren an jenem Abend auch wirklich ungünstig gekleidet ... Jedenfalls aber hat er das unbedachte Wort schon damals gar nicht so ernst gemeint und seitdem aufs tiefste bereut.“

„Nimmt Herr von Schindler denn überhaupt etwas ernst?“

Die Frage wurde in so bitterem, schmerzlichem Tone gesprochen und erschien der Frau Hauptmann leider so berechtigt, daß sie vergeblich nach einer Antwort suchte.

„Aber ich glaubte wirklich, er hätte Sie gern!“ sagte sie stockend.

Leise, wie ein Hauch kam es von Mariens Lippen, während zwei schwere Thränen langsam über ihre Wangen rollten: „Mich, über die er so urteilt? – O mein Gott, ich bin recht unglücklich!“

Die gutherzige Frau nahm die heftig Schluchzende in ihre Arme. „Beruhigen Sie sich, liebes Kind! Wenn Schindler glauben dürfte, daß Sie ihm gut sind –“

„Es wäre sehr amüsant für ihn – ja! Aber, gottlob, jetzt kann er es nicht mehr glauben – nicht wahr, jetzt nicht mehr?“

„Konnte er es denn einmal glauben?“

Marie senkte das Haupt.

Die schneeglänzende, weißschimmernde Landstraße, der dahinsausende Schlitten, der pelzumhüllte, blondbärtige Mann an ihrer Seite: sie sieht das alles so lebendig vor sich, als durchlebe sie es in diesem Augenblick aufs neue. Aufs neue fühlt sie seinen Kuß auf ihren Lippen brennen, sieht seine triumphierenden, übermütigen Augen tief in die ihrigen tauchen.

„Seien Sie offen gegen mich, Kindchen!“ drängt die Freundin. „Berechtigte ihn irgend etwas, an Ihre Zuneigung zu glauben?“

„Nein … nichts … das heißt … o quälen Sie mich nicht so!“

Fanny fragte nicht weiter. Sie löste ihre Hände sanft aus denen Mariens und lehnte sich schweigend in ihren Stuhl zurück.

Das junge Mädchen atmete schwer. Dann glitt sie plötzlich mit einer schnellen Bewegung an der Freundin nieder und verbarg wie in tiefer Scham das hocherrötende Antlitz in deren Schoß.

„Damals … im Schlitten … da glaubte ich seinen Worten. Er war so gut, so achtungsvoll – wie konnte ich denken, daß er mich nur verhöhnen wollte?! Ich hatte ihm doch nichts zuleide gethan! – Und dann erfuhr ich erst, wie er in Wahrheit über mich dachte, und daß er es gewesen, der mir für lange Zeit das Vertrauen zu mir selbst und die rechte Künstlerfreude geraubt! – Warum er sich das Vergnügen bereitet, die kleine häßliche Schauspielerin in sich verliebt zu machen, ich weiß es nicht. Vielleicht eine Klubwette – eine Laune, die Lust, zu zeigen, daß er imstande sei, ein Mädchen, das er so schwer beleidigt, doch für sich zu gewinnen! Und nun begreifen Sie, warum ich mich nicht mehr aus meiner Wohnung heraustraute, daß ich davor zitterte, ihm hier wieder zu begegnen? Er wußte ja, er hatte es ja gesehen, daß ich ihn lieb habe, und ich – ich wollte mich doch nicht auslachen lassen!“

Mariens Stimme erstarb in einem erstickten Schluchzen.

„Aber, Kind, Kind – was phantasieren Sie da alles zusammen!“ rief Fanny erschrocken. „Wie kann man sich so fürchterliches Zeug einbilden! Das traue ich dem Schindler denn doch nicht zu! Er war ja ganz unglücklich, daß er Sie nirgends mehr traf. Im Gegenteil, ich glaube jetzt erst recht, daß er Sie gern hatte – was allerdings noch nicht genug ist –“ fügte sie vorsichtig einlenkend hinzu.

„O nein – nein!“ rief das junge Mädchen schnell, während sie sich erhob. „Er hat mit mir nur gespielt. Vielleicht war ich ihm gerade gut genug, eine Liebschaft anzuknüpfen – für die Dauer der Saison! Sie sind es ja beim Theater nicht anders gewöhnt, diese Herren! Ich bin ja nur eine – Schauspielerin!“

„Und wenn er Sie nun hat heiraten wollen?“ warf Fanny plötzlich ein.

„Er – mich? Das glauben Sie ja selbst nicht! Nein, nein – nur fort aus dieser Stadt! Bin ich erst fort, so werde ich ihn vergessen! – Leben Sie wohl, Sie Liebe, Gute und tausend Dank für Ihre Liebe und Freundlichkeit!“

Fanny fühlte sich leidenschaftlich umschlungen, ein thränenüberströmtes Gesicht drückte sich an das ihre, zwei weiche Lippen preßten sich auf ihren Mund, und plötzlich war sie allein.

Als sie nach diesem jähen Abschied wieder zu sich selbst gekommen war, klingelte sie um Licht und setzte sich an ihren Schreibtisch. „Bist du so energisch, meine Kleine, bin ich es erst recht!“ – murmelte sie lächelnd, während ihre Feder schnell über das Papier flog.




Im Wartesaal zweiter Klasse saßen früh am andern Morgen Frau von Sindsberg und ihre Tochter. Die Gasflammen brannten noch und verbreiteten im Verein mit dem großen Füllofen eine glühende Hitze. Die Kellner sahen verschlafen aus und gähnten heimlich hinter ihren Servietten.

[387] In zehn Minuten sollte der Zug abgehen. Frau von Sindsberg trank schweigsam und verstimmt ihren Kaffee. Sie war ernstlich böse. Sie von hier fort, in die weite Welt hinaus zu schleppen, ins Ungewisse, ohne Engagement, mit wenig Geld: es war lächerlich und rücksichtslos! Und wenn Marie wenigstens zufrieden wäre! Aber saß sie nicht da wie eine Trauerweide, mit einem todestraurigen Gesicht? Sie hatte doch nun ihren Willen! In wenigen Minuten ging der Zug, der sie wieder in die fremde, lieblose Welt hinausführte.

Langsam erhob sich Marie und raffte das Handgepäck zusammen. Der Portier rief eben das erste Mal ab.

Sie fuhren natürlich dritter Klasse. Marie breitete für die Mama sorgsam eine Reisedecke auf den harten Sitz. Hoffentlich blieb man allein im Coupé. Sie beugte sich forschend hinaus; auf dem Perron waren keine Reisenden sichtbar. Plötzlich zuckte sie heftig zusammen und erblaßte. Sie wollte zurücktreten, sich verstecken, aber sie vermochte nicht, sich zu rühren. Sie sah, wie Wolf von Schindler mit dem Kondukteur sprach, wie dieser auf ihr Coupé deutete. Dann stand er vor ihr mit abgezogenem Hut, in der Rechten eine prächtige Rose.

„Ich wollte Ihnen noch Lebewohl sagen, Fräulein von Sindsberg!“

Er zitterte vor Erregung und war ebenso bleich wie sie, als er ihr die Blume reichte.

„Leben Sie wohl!“ stammelte Marie.

Frau von Sindsberg schrie erfreut auf. „Ah, das ist reizend von Ihnen; immer galant! Auf Wiedersehen, lieber Baron!“

„Auf Wiedersehen, gnädige Frau! – Ich muß unter vier Augen mit Ihnen sprechen, mein gnädiges Fräulein!“

Er öffnete die Thür und sah sie mit flehenden Augen an.

Marie, wie gebannt und hingerissen von dem leidenschaftlichen Ton seiner Worte, stieg fast mechanisch aus. Frau von Sindsberg blickte ihr mit großen erstaunten Augen nach.

„Fräulein Marie, ich habe Ihnen so vieles zu sagen und so wenig Zeit! Ich bitte Sie um Verzeihung!“

„O, das ist nicht nötig! Sie hatten ja das Recht zur Kritik durch Ihr bezahltes Billet!“ stammelte Marie mit bebenden Lippen.

„Wie habe ich diese Unart, diesen Wahnsinn bereut! Ich liebe Sie ja schon so lange, Marie!“ Er faßte mit krampfhaftem Druck ihre beiden Hände.

Der Schaffner näherte sich.

„Einsteigen, meine Herrschaften; es ist höchste Zeit!“

„Sehen Sie, es ist keine Zeit zu verlieren – können Sie mir vergeben?“

Marie rang nach Worten.

„Einsteigen, einsteigen!“

„Können Sie mich wieder ein wenig lieb haben?“

„Diese Frage, jetzt –?“

„Willst Du mein Weib werden?“

Sie zitterte so heftig, daß er sie stützen mußte.

„Ja oder Nein?“

„Ich weiß nicht … ich fürchte – ich –“

Doch ihre Augen sahen zu ihm vertrauensselig empor.

Wieder näherte sich der Schaffner. „Der Zug geht ohne Sie ab; steigen Sie doch ein, meine Herrschaften!“

Einen Augenblick noch zögerte Wolf, dann schob er Marie sanft beiseite, sprang in das Coupe und warf in rasender Eile das Handgepäck heraus.

„Was thun Sie? Um Gotteswillen, was thun Sie?“ rief Frau von Sindsberg entsetzt.

„Erlauben Sie!“

Schon hatte er ihr den Arm geboten und die Verblüffte herausgehoben. Die Reisedecke flog ihr nach.

„Fertig!“ schrie der Schaffner und schlug mit dröhnendem Knall die Thüre zu.

An den Fenstern der andern Wagen zeigten sich erstaunte Gesichter. Der Inspektor hatte sich genähert. Die Maschine pfiff; langsam setzte sich der Zug in Bewegung.

„Aber Herr Baron! Erklären Sie …“ Frau von Sindsberg hauchte es nur, sie zitterte vor Aufregung und sank unwillkürlich auf ihren Koffer nieder.

Schindler sah sich rasch um: der Inspektor war diskret zurückgetreten, niemand in Hörweite, eben hatte der Zug die Halle verlassen und sauste nun in vollem Laufe dahin.

„Gnädige Frau,“ sagte er mit seinem alten übermütigen Lächeln, „ich nehme mir die Freiheit, Sie um die Hand Ihres Fräulein Tochter zu bitten!“

So sprachlos erstaunt, wie jetzt Mariens Mutter, waren dann auch alle anderen, als sie von der plötzlichen Verlobung hörten. Mit Töchtern gesegnete Mütter erklärten die Schauspielerin jetzt für eine raffinierte Kokette, und der Direktor nahm sich vor, die zukünftige Frau Baronin um ein Gastspiel zu bitten.

Frau von Schmidtlein hatte alle Hände voll zu thun. Sie besorgte im Auftrage Wolfs eine glänzende Ausstattung und „wühlte“ in echten Spitzen und duftigem Batist. Daneben aber wurden auch wetterfeste Mäntel und Lodenkleider bestellt, denn die künftige Gutsfrau wollte für die Gänge über Feld mit ihrem Manne gerüstet sein.

Wolf von Schindler versichert seiner Braut wieder und wieder, daß er jetzt erst erfahre, was echtes Glück sei. Aber zwei schwere Sorgen quälen ihn doch. Erstens, daß das Aufgebot so lange dauert, zweitens, und das ist sein wirklicher Kummer, ob er nicht zu alt und zu – häßlich für sie sei.

Wenn man Marie betrachtet, kann man ihm nicht so unrecht geben. Das Glück hat sie noch verschönert. Ein reizendes, schelmisches Lächeln umspielt ihren Mund, und ihre Augen strahlen und glänzen. Sie sieht, daß ihr zukünftiger Gatte sie wahrhaft liebt. Und wenn er sie gar zu überschwenglich bewundert, wagt sie sogar, an die Wunde zu rühren, und sagt lächelnd: „Uebertreibe doch nicht, Wolf! Es giebt viel Schönere als ich! Bitte, denke doch nur an die Prosceniumsloge!“

Wolf will aber davon nichts hören. Für ihn ist und bleibt sie die Schönste auf der Welt.



Blätter und Blüten.



Die ersten Abiturientinnen in Berlin. Wie wir schon wiederholt berichtet haben, macht die Sache des Frauenstudiums auch bei uns jetzt erhebliche Fortschritte. Einen weiteren Beweis dafür liefert die im Frühjahr von sechs Schülerinnen der „Gymnasialkurse“ von Fräulein Helene Lange abgelegte Reifeprüfung vor der königlichen Prüfungskommission eines Berliner Gymnasiums. Es hat sich in letzter Zeit überall die früher so schroff ablehnende Haltung der Behörden gegenüber den Frauenbestrebungen gemildert, in Berlin aber ist jetzt der Weg beschritten, auf welchem Begabte und Tüchtige zum medizinischen Studium in Deutschland gelangen können. Nicht zum kleinsten Teil ist dies das Verdienst der maßvollen Besonnenheit und Thatkraft, mit der die Führerinnen der Bewegung ihr langjähriges Streben verfolgten. Schon seit Jahren leitete die wahrhaft ausgezeichnete Helene Lange Realkurse für erwachsene Mädchen, zum Zweck der Vorbereitungen auf das medizinische Studium in Zürich; unter der Mitwirkung eines aus angesehensten Berliner Persönlichkeiten zusammengesetzten Komitees haben sich 1893 die Real- in Gymnasialkurse verwandelt, deren Lernstoff genau dem der Knabengymnasien entspricht, die aber für die künftigen Aerztinnen etwas mehr Naturwissenschaft in ihren Plan aufnahmen, als dort dem alten Herkommen gemäß getrieben wird. Die Schülerinnen treten mit 18 Jahren in diese Kurse ein, gelangen also, da der Kursus auf 31/2 bis 4 Jahre berechnet ist, ungefähr im gleichen Alter wie viele junge Männer auf die Universität, sie können in den zwei der Schule folgenden Jahren, also in dem Alter von 16 bis 18 Jahren, ihren Körper kräftigen, alle die praktischen und häuslichen Fertigkeiten erwerben, welche doch jedem weiblichen Wesen geläufig sein sollten, sie haben – und dies ist gewiß sehr wichtig – auf diese Weise auch volle Zeit, dem ernsten Schritt der Berufswahl reifliche Ueberlegung vorausgehen zu lassen. Wer in diesen zwei Jahren nicht imstande ist, die auf der Töchterschule erworbenen Kenntnisse zu bewahren, der besteht später die strenge Aufnahmeprüfung ins Gymnasium nicht und sieht, zu seinem eigenen Heil, die Illusionen über seine Leistungsfähigkeit zerstört.

Offenbar bewogen durch das abgelegte gute Examen der ersten sechs Gymnasiastinnen, hat nun der preußische Kultusminister neuerdings eine Verordnung erlassen, nach welcher den regelrechten Abiturientinnen auf eine Eingabe hin im Einvernehmen mit Professoren und Docenten der Besuch der Vorlesungen an der Universität gestattet werden kann. Es ist dies vorerst nur eine vorsichtig bedingte Erlaubnis; an den studierenden Mädchen wird es nun sein, durch Fähigkeit und Charakter das Vorurteil gegen weibliches Studium zu zerstreuen und ihren nachfolgenden Schwestern das als Recht zu erwerben, was für sie selbst heute ein hochwichtiges Geschenk bedeutet. Bn.     

[388] Das Geheimnis der Bäume. Es geschieht nicht selten, daß man beim Fällen und Zerkleinern von Bäumen im Innern, manchmal einen Fuß und noch tiefer unter der Rinde, auf alte, wohlerhaltene Inschriften oder Zeichen stößt, von deren Vorhandensein die Außenseite des Baumes nicht die geringste Kunde gab. Vielleicht erinnert sich noch einer oder der andere jener Erscheinung eines „Eisernen Kreuzes“, welche 1868 oder 1869 im Stamm eines bei Oberlangenbielau gefällten Ahorns gefunden wurde und in weiteren Kreisen dadurch Aufsehen erregte, daß König Wilhelm von diesem Naturspiel mit Interesse erfuhr. Denn jener Fund ließ ausnahmsweise den Zufall als Erklärung zu, während bei vielen anderen im Innern von Bäumen aufgefundenen Zeichen, wie Totenköpfen, Herzen, ganzen Bildern, Inschriften oder Jahreszahlen, nichts anderes angenommen werden kann, als daß sie vor langer Zeit einmal äußerlich in die Rinde eingeschnitten und dann langsam ins Innere hineingewachsen sind. Diese Erklärung ist auch in der That die richtige, wenn man hinzufügt, daß eigentlich nicht die Inschrift in den Stamm hinein-, sondern letzterer über sie hinauswächst, indem die eingeschnittenen Zeichen eben dort stehen bleiben, wo das Messer sie einschnitt, sich durch Eiterung und Fäulnis schwärzen, aber ihre Form und Größe behalten, während der Stamm Jahr für Jahr einen neuen Holzring über sie deckt und die Rinde sich höher und höher erhebt. Natürlich kann das nur stattfinden, wenn der Einschnitt wirklich durch die Rinde hindurch bis aufs Holz gegangen war. So kann man denn z. B. bei alten Buchen, hundert Jahresringe unter einem großen vom Wachstum fast zur Unkenntlichkeit verzerrten Herzen in der Rinde, das ursprüngliche Bild dieses Herzens, das vor 100 Jahren eingeschnitten wurde, in aller Treue wiederfinden. Wenn anderseits der Baum von rissiger oder allherbstlich abfallender Rinde ist, so wird das Bild an der Oberfläche bald verwischt, und nur im Innern bewahrt der Baum die ihm einst anvertrauten Zeichen getreulich auf, bis sie ein Zufall ans Licht bringt oder Alter, Feuer oder Verrottung das meist recht unschuldige Geheimnis vernichten.

So fand man 1837 bei Kiel in einer der herrlichen Buchen von Düsternbrook, als sie gefällt und zerspalten wurde, die vor 110 Jahren gemachte Inschrift H. A. L. – 1726 vor. Sie wurde von 110 Jahresringen überdeckt, hat also mindestens einen bis anderthalb Fuß unter der Oberfläche gelegen. Im Spätsommer 1895 brachten Holzhacker in Dessau aus einem anderthalb Fuß dicken Rotbuchenstamm die deutliche Zeichnung eines Totenkopfes mit zwei gekreuzten Gebeinen darunter und der Jahreszahl 1850 zum Vorschein. Sie hatte also bereits 45 Jahre überdauert. Ebensoviele Ringe überdeckten die Inschrift, von welcher undeutliche Reste noch auf der Rinde zu erblicken waren. Professor Göppert hat in seinem Buche „Inschriften und Zeichen in lebenden Bäumen“ (Breslau, E. Morgenstern) eine Reihe solcher Funde zusammengestellt, zu denen auch der oben abgebildete von einer 130jährigen, im Jahre 1868 gefällten Buche aus Krummendorf in Schlesien gehört. Die beiden äußeren Figuren zeigen den im Jahre 1840 gemachten Einschnitt auf der äußeren und inneren Seite der Rinde, die mittlere die Zeichen im Holz unter 28 Jahresringen. Auch andere Funde ähnlicher Art, bis ins höchste Altertum zurück, sind gemacht und stets mit Erstaunen, oft als Wunder, betrachtet worden.

Das Geheimnis der Bäume: Inschriften im Buchenstamm.

Aber auch massivere Geheimnisse als bloße Zeichen und Inschriften vermögen die Bäume tief in sich zu verschließen. Ueber Kugeln, Steinen, Ketten und ähnlichen Gegenständen hat sich in unzähligen Fällen Holz und Rinde von Bäumen geschlossen. In der Gegend von Charlottenbrunn wird noch der Stumpf einer Linde, der jetzt längst vom Sturm bezwungenen Friedrichslinde, gezeigt, an welcher mittels einer eingeschlagenen Eisenkrampe das Pferd des Alten Fritz, der 1762 von Leutmannsdorf hier vorbeikam, angebunden war. Der Baum wuchs und wuchs und ließ allmählich die historische Krampe in sich verschwinden, so daß man einen Ring in dieselbe einfügen ließ, um ein sichtbares Zeichen an der Oberfläche zu behalten. Der Baum wuchs weiter und man mußte im Laufe der Jahrzehnte einen Ring dem andern anfügen, da der Stamm sie immer wieder zu überwuchern drohte. So hat diese Linde im Laufe eines Jahrhunderts eine ganze Kette in sich verschwinden lassen. – Zu den verhältnismäßig oft vorkommenden Fällen gehört es auch, daß Pferdeschädel, Hirschgeweihe, welche früher einmal an junge Bäume angenagelt worden sind, mit der Zeit teilweise oder ganz darin verschwinden. John Clarke fand, nach den Akten der Londoner Royal Society vom vorigen Jahrhundert, in Cumberland eine uralte Eiche, deren Holz ein altes Hirschgeweih vollkommen umschlossen hielt. Aehnliche Fälle werden aus den verschiedensten Ländern und Zeiten berichtet. B.     

Am Feierabend. (Zu dem Bilde S. 373.) Tiefe Abendstille liegt über der weiten bayrischen Hochebene. Wo die Sonne hinabsank, steht noch ein dunkles Abendrot, aber die blau-violetten Schatten senken sich schon über den weltabgeschiedenen Hof, der hier inmitten seiner Felder liegt. Friedlich steigt die blaue Rauchsäule über die alten Nußbäume hinauf, als Zeichen, daß die Bäuerin drinnen „zur Nacht kocht“, sonst regt sich nichts ringsum. Nur das Dängeln einer Sense klingt durch die große Stille: das ist der Knecht, der für morgen zur Heuernte sein Gerät herrichtet. – Der Künstler zeigt uns in dem einfachen Stimmungsbildchen getreu den Charakter der scheinbar so reizlosen Landschaft, die, wie die Heide, ihren geheimen Zauber hat und ihn auf jeden ausübt, der es der Mühe wert findet, die feine Abwechslung ihrer Linien und die wechselnden Beleuchtungen künstlerisch ins Auge zu fassen. Bn.     

Bergsteiger auf der „Weißen Frau“. (Zu dem Bilde S. 377.) Wenn wir vom Schänzli in Bern in das weiße Geflimmer der Berner Oberländer Berge hineinschauen, so fesseln uns zur Rechten vor allem die riesigen Schneewände der Blümlisalpgruppe. Sieben gewaltige Gipfel streben aus ihr empor, von denen der mächtigste, das Blümlisalphorn, die Höhe von 3670 m erreicht. Die interessanteste dieser Spitzen ist aber zweifellos die „Weiße Frau“, 3661 m hoch und von einem Hofstaat anderer „Frauen“ umgeben; ihr zu Füßen liegen die „Wilde Frau“ (3259 m) und die „Witwe“ (3219 m), auch Blümlisalpstock genannt. Alle diese Gipfel sind von der Nordseite her zugänglich. Das „Blümlisalphorn“ wurde zum erstenmal im Jahre 1860 und die „Weiße Frau“ im Jahre 1862 bestiegen. Auf dem Wege zur letzteren errichtete man im Jahre 1875 am Hochthürlipaß in einer Höhe von 2706 m eine Klubhütte, die den Namen Frauenbalmhütte erhielt, da sie zum Teil in die Frauenbalm (Balm bedeutet Höhle) eingebaut ist. Die Bergsteiger pflegen hier zu übernachten und brechen in den ersten Tagesstunden zum Gipfel auf. Denn es ist nötig, die steilen Schneehänge noch vor ihrer Erweichung durch die Sonne zu passieren, da man sonst leicht in Lawinengefahr geraten würde. Die Bergsteiger auf unserem Bilde haben keinen günstigen Tag getroffen. Der eisige Wind fegt ihnen nadelscharf um die Ohren. Dabei müssen sie sich hüten, zu weit an den Absturz hinauszutreten, da die Schneedecke trügerisch über den Abgrund überhängt. Nachdem sie sich jetzt aber an ihrem Proviant für den Rückweg gestärkt, werden sie, von Mut und Besonnenheit geleitet, gewiß auch heil wieder zur Hütte gelangen. *     

Das Abholen der Standarten vom Königlichen Schloß in Berlin zur Frühjahrsparade. (Zu dem Bilde S. 381.) Mit der großen Frühjahrsparade, die Ende Mai stattfindet, schließt in Berlin offiziell die „Saison“ und die Badezeit beginnt. Dem militärisch veranlagten Berliner gilt diese Parade als der schönste Tag des Lenzes. Der Soldat selber sieht der großen Truppenschau mit einigermaßen gemischten Gefühlen entgegen, es wird hart gearbeitet bis dahin; aber wenn alles klappt, bleibt auch der Lohn nicht aus, und nachher winkt die köstliche Manöverzeit. So ist für Militär und Civil der Tag der Frühlingsparade in Berlin ein Gegenstand gespannter Erwartung, und sein weihevollster Augenblick – die Abholung der Fahnen und Standarten vom Königsschloß – ist immer wieder der allgemeinen Teilnahme sicher. Die einzelnen Bataillone und Kavallerieregimenter entsenden zu dieser Handlung zum Anschluß an die Fahnencompagnie, bezw. -Eskadron, Kommandos von Offizieren und Unteroffizieren; in feierlichem Zuge werden nach der Abholung die Standarten der Reiter, wie unser Bild zeigt, und die Fahnen der Fußsoldaten zum Paradeplatze geleitet. Die Bevölkerung ist zeitig auf den Beinen, und wer sich als rechten Soldatenfreund fühlt, der läßt die wehenden Banner nun nicht mehr aus den Augen. Sie flattern auch gar so stolz im lauen Morgenwinde, die ruhmreichen Zeugen blutiger Schlachten! Preußens ganze Geschichte, mit all ihren Triumphen und Niederlagen, ihren Demütigungen und Sonnenflügen, zieht an dem vorbei, der diese zerschossenen und zerrissenen, oft nur noch Fetzen darstellenden Banner betrachtet. Mögen derlei Erwägungen auch nicht allen Neugierigen kommen, die den Zug begleiten – eine festliche, eine gehobene Stimmung liegt doch auf den meisten Gesichtern, soldatische Strammheit und das Gefühl der Zugehörigkeit zum Volke in Waffen drückt sich unverkennbar in den taktgemäßen, festen Schritten der „Paradebummler“ aus. N.     

Amsterdamer Fischermädchen. (Zu dem Bilde S. 385.) Ein herrlicher Morgen bricht über dem alten Amsterdam an. Die junge Sonne zerteilt siegreich die wallenden Nebel und hinter dem zerrissenen Schleier taucht in leichten Duft gehüllt ein prachtvolles Städtebild auf. Silbern schimmert die weite Wasserflut; märchenhaft ragen zu ihren Seiten die hohen Kirchtürme und die alten Häusergiebel empor, umringt von grünendem Busch und Baum. Das ist der stimmungsvolle Rahmen zu dem Bilde der frischen Dirne, welche, den Korb mit Schollen im Arm, über die Brücke schreitet und einem Vorübergehenden einen lustigen schelmischen Blick zuwirft. Ein reizendes Bild, aus dem Leben herausgegriffen und mit malerischer Auffassung wiedergegeben! *     



Inhalt: [ Verzeichnis der Beiträge und Illustrationen. Z. Zt. nicht dargestellt.]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.

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Die Gartenlaube.

Beilage zu No. 23. 1896.

Die Enthüllung des Denkmals Kaiser Wilhelms I. am Friedensfesttag zu Frankfurt a. M. Von all den festlichen Veranstaltungen, durch welche im Deutschen Reich am 10. Mai die Erinnerung an den vor 25 Jahren erfolgten Friedensschluß begangen wurde, war die in Frankfurt a. M. naturgemäß die bedeutungsvollste. In demselben Gasthof „Zum Schwan“, in welchem 1871 die Sitzungen stattfanden, die zur Unterzeichnung des Friedensvertrags durch Bismarck und Jules Favre führten, wohnte jetzt der Enkel Kaiser Wilhelms I. als Gast der Stadt, die mit der glänzend vorbereiteten Friedensfeier einen hohen Ehrentag ihrer eigenen Geschichte beging. Die Teilnahme des Kaiserpaares an diesem Feste brachte die nationale Bedeutung desselben zum Ausdruck; der Jubel, mit welchem die Frankfurter Bevölkerung einmütig das Fest beging, war ein Wiederhall der Begeisterung, mit der vor 25 Jahren das deutsche Volk allüberall die Kunde vom Abschluß des Frankfurter Friedens begrüßte. Den Höhepunkt der Feier bildete die Enthüllung des schönen Denkmals, welches die einstige Kaiserkrönungsstadt Kaiser Wilhelm I. gewidmet hat, dem „letzten Wahlkaiser, in welchem,“ wie Oberbürgermeister Adickes in seiner Festrede ausführte, „zugleich zum erstenmal die in der Not der Zeiten langsam gereifte, stürmisch bekämpfte und endlich alles überwindende Idee des Erbkaisertums der Hohenzollern Gestalt gewann“. Das Denkmal, ein Werk des Düsseldorfer Bildhauers Clemens Buscher, trägt auf hohem, granitenem Sockel die fast 5 m hohe Reiterfigur des Kaisers. Vor der Front des Sockels erblickt man drei allegorische Figuren, eine stehende, den Friedensgenius, und zwei sitzende, Kunst und Gewerbe, die als Verkörperungen des Bürgertums dem Kaiser huldigen. Auf der Abstufung der Rückseite sitzt die Gestalt der „Frankofurtia“, welche die Reichsinsignien beschirmt. Die Lage des Denkmals auf dem Opernplatz ist eine sehr schöne. Unsere Abbildung gibt eine Aufnahme wieder, welche kurz nach der Enthüllungsfeier hergestellt wurde.

Die Enthüllung des Kaiser Wilhelm-Denkmals in Frankfurt a/Main
am 10. Mai 1896.
Nach einer Aufnahme von C. F. Fay, Lichtdruckanstalt in Frankfurt a/Main

Sonderbar geformte Früchte bilden auf der Tafel eine unterhaltende Ueberraschung. Werden sie in Schaufenstern ausgestellt, so finden sich leicht Käufer dafür. Weniger bekannt ist es, daß der Mensch in der Lage ist, die Gestalt größerer und fester Früchte nach Belieben zu verändern. Sehr leicht gelingt dies an Kürbissen, Gurken u. s. w. Die Chinesen betreiben diese Liebhaberei seit langer Zeit. Sie stecken junge Kürbisfrüchte in eigentümlich geformte Flaschen, die Früchte wachsen, füllen die ganze Flasche aus und drücken sich an den Wänden ab; wenn sie reif sind, zerschlägt man die Flasche und ist im Besitz einer künstlich geformten Frucht. Wir machen Gartenfreunde unter unseren Lesern auf diese Spielerei aufmerksam. Sie bereitet viel Vergnügen.

Serviettenschützer. Für Leute, die täglich im Gasthause speisen, oder während eines Landaufenthaltes, ist eine Hülle für die Serviette jedenfalls mehr zu empfehlen als ein einfacher Ring, der dieselbe wohl vor Verwechselung, aber nicht vor Beschmutzung schützt. Man arbeitet solch eine praktische Hülle, indem man ein 28 cm langes und 21 cm hohes Stück hellfarbigen Tuches ringsum auszackt, mit leichter Seide füttert und in die Mitte desselben das Monogramm einstickt. An das Seitenende näht man ein Seidenschnürchen, an dem man einen Stahlring befestigt. Ist die Hülle über die Serviette gerollt, so zieht man das Ganze dnrch den Ring. A. S.     
Zahnradbahnen. Im Jahre 1895 gab es auf der Erde 63 Zahnradbahnen mit einer Schienenlänge von 772 km. Die Schweiz besitzt die meisten Zahnradbahnen: 17 Linien mit 170 km Schienenlänge; darauf folgen Deutschland mit 14 Linien und 125 km Länge und Oesterreich-Ungarn mit 10 Linien und 127 km Schienenlänge. Europa verfügt insgesamt über 52 Linien, Amerika über 8 und Asien über 3 Zahnradbahnen. Die älteste Zahnradbahn der Welt ist die auf den Washingtonberg in Nordamerika, sie wurde im Jahre 1868 gebaut; die älteste in Europa ist die Rigibahn, die im Jahre 1871 eröffnet wurde.

Der besuchteste Garten der Welt dürfte der Botanische Garten von Kew an der Themse bei London sein. Er wurde im Jahre 1894 von 1377588 und im Jahre 1895 von 1407369 Personen besucht. Den stärksten Besuch, 13583 Personen, erhielt er am 3. Juni 1895; am stillsten war es in ihm am 28. November desselben Jahres, an welchem Tage sich nur 104 Besucher einfanden.


Hauswirtschaftliches.

Räuchertinktur gegen Fliegen. 15 g Benzoëtinktur, 15 g Essigsäure, 15 g Nelkenöl, 300 g Eau de Cologne mischt man zusammen und füllt alles in eine gut verschließbare Flasche. Gießt man von dieser Tinktur, deren Bestandteile jeder Droguist liefert, 1 bis 2 Theelöffel auf ein heißes Eisenbleck und öffnet die Stuben- oder Kammerfenster, so suchen die Fliegen schleunigst das Weite. Kr.     

Limonadenpulver. Im Folgenden geben wir Anweisung zur Herstellung eines Pulvers, mit dessen Hilfe man sich in der heißen Jahreszeit schnell eine vorzügliche Limonade bereiten kann. Man mischt 917 g doppeltkohlensaures Natron, 1243½ g Zucker, 3½ g Zitronenöl innig zusammen und nimmt auf 10 g dieser Mischung noch 2½ g fein pulverisierte Zitronensäure. Ein Theelöffel dieses Pulvers liefert ein herrliches Getränk. – Die einzelnen Bestandteile läßt man vom Droguisten abwägen und nimmt die Mischung in der Haushaltung persönlich vor. r.     

Lederschwämme. Unbrauchbar gewordene Lederhandschuhe jeglicher Art, die sich in jedem Haushalte im Laufe der Zeit ansammeln, kann man zu einem trefflichen Schwamm verwenden, mit dem sich Thüren und Fenster vorzüglich reinigen lassen. Man schneidet Handschuhe in Streifen von 3 cm Länge und 1½ cm Breite, durchsticht jeden Streifen einmal in der Mitte und reiht ihn auf einen festen dünnen Bindfaden, bis man einen länglichrunden Schwamm erhalten hat. He.     

Suppen ohne Fleisch. Es sind keine gewöhnlichen Wassersuppen, die ich den Leserinnen empfehlen möchte, sondern einige Sommersuppen, welche vermöge ihrer glücklichen Zusammensetzung das fehlende Fleisch nicht entbehren lassen und vermöge eines Zusatzes von Fleischextrakt doch den eigenartigen Fleischgeschmack aufweisen.

1. Portugieser Suppe. 4 Schalotten (feine Zwiebeln) und reichlich Lauch schneidet man fein, röstet dies mit Salz und Pfeffer in 40 g Butter an, füllt etwas kochendes Wasser auf und kocht das Ganze eine Stunde. Dann reibt man die Suppe durch, versetzt sie mit 1 l Blumenkohlwasser, thut einen kleinen, vorher zerteilten Kopf Blumenkohl daran und fügt 8 g Liebigs Fleischextrakt hinzu. 1 Eigelb verquirlt man mit 1 Löffel süßer Sahne und 2 Theelöffel geriebenem Parmesankäse und rührt hiermit die Suppe ab.

2. Sparsamkeitssuppe. In 1/4 l saurer Sahne werden 3 Eßlöffel Mehl glatt gerührt, die Masse mit etwas kaltem Wasser verdünnt und in 1/2 l kochendes Wasser gerührt, in dem sie unter beständigem Quirlen aufkochen muß. Diese einfache, aber trotzdem wohlschmeckende Suppe wird mit gewiegtem Krebel und etwa gereinigtem Kümmel gewürzt, mit einem Eigelb abgerührt und mit gerösteten Semmelwürfeln angerichtet.

3. Rostocker Suppe. In 50 g zerlassener Butter dünstet man eine frische geschälte, von Kernen befreite Gurke, mehrere Salatherzen, zwei Schalotten und einen Teller junge Erbsen 10 Minuten, fügt so viel kochendes Wasser bei, als man Suppe braucht, gibt als Würze Petersilie, Kerbel, Pimpernelle, Salz und Pfeffer dazu und dünstet alles weich. Dann wird ein Theelöffel Fleischextrakt beigemischt und die Suppe mit einem Eigelb abgerührt. L. H.     

[388 b] [Diese Seite enthält nur Werbung von dritter Seite, die hier – zumindest vorerst – nicht transkribiert wird.]