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Die Gartenlaube (1892)/Heft 19

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1892
Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[581]

Halbheft 19.   1892.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Jahrgang 1892. Erscheint in Halbheften à 25 Pf. alle 12–14 Tage, in Heften à 50 Pf. alle 3–4 Wochen vom 1. Januar bis 31. Dezember.



Ketten.

Roman von Anton v. Perfall.
(4. Fortsetzung.)
8.

Die Werke ruhten; über den geschwärzten Dächern flatterten Fahnen in der milden klaren Frühlingsluft als Wahrzeichen fröhlichen Lebens; sonst hätte man fast vermuthen können, der Tod sei eingezogen in diese langgestreckten Hallen, Schuppen und Höfe, in die schweigenden Kamine. Er stand ihnen nicht gut an, dieser Schlummer, man erwartete unwillkürlich ein plötzliches jähes Auferstehen wie aus einer künstlichen Betäubung. Selbst das Kindergeschrei im Arbeiterviertel war verstummt, das Gelächter der Frauen, als fürchteten sich alle vor dieser ungewohnten Stille, die jeden Laut, jedes Wort verrieth. Da und dort bildeten sich Gruppen von Männern, die erwartungsvoll nach den Fabrikgebäuden hinüberblickten. Von der Villa Berrys her ertönte Wagengerassel, eine Reihe von Equipagen fuhr den Stallungen zu. Da verkündete die Fabrikuhr die neunte Morgenstunde – sonst hörte man sie kaum, heute prahlte sie mit ihrer rauhen Stimme. Beim letzten Schlage schoß aus dem geöffneten Glasdach des Maschinenhauses eine silbergraue Dampfwolke schnurgerade in die Höhe; alles schaute ihr nach, wie sie langsam in der

Das neue Konversationshaus auf Helgoland und das Denkmal Hoffmanns von Fallersleben.
Originalzeichnung von R. Püttner.

[582] Luft zerfloß. Eine zweite folgte, eine dritte – gewaltige Athemzüge tönten herüber.

Die Gruppen wurden lebendig, vergrößerten, sammelten sich. Eine Schar Jungen mit wehenden Fahnen kam gezogen, Kommandoworte ertönten, Glieder bildeten sich, und, die Jungen voraus, ging es in langgestrecktem Zuge dem Maschinenhaus zu; Frauen und Kinder bildeten den schwärmenden Troß.

Im Maschinenhaus, dicht hinter dem weitgeöffneten Portal, aus dem ein Schienenstrang durch den Hof, an der Villa Berrys vorbei, in weitem Bogen um die Werke herumführte, stand die „Claire“, den blitzenden funkelnden Leib mit Tannenreis geschmückt, vorn an der breiten Brust in glänzenden Lettern den mit Lorbeer umkränzten Namen. Förmlich ungeduldig schien sie des Zeichens zu warten, um zum ersten Male ihre stolzen Glieder zu recken, der Welt sich zu zeigen. Ein leichtes Beben durchlief den blanken Körper, sie holte immer tiefer Athem. Gespannt beugte sich der Führer hinaus, um das festgesetzte Signal von der Villa her sofort mit der That beantworten zu können und abzufahren. Neben ihm stand Hans Davis, der Monteur. Herr Berry hatte es ausdrücklich so angeordnet. Der angekuppelte Tender war dicht besetzt mit den Werkführern und Arbeitern, die beim Baue beschäftigt gewesen waren. Bei allen herrschte die höchste Spannung, forschend glitten die Blicke über das blitzende Triebwerk hin, das in seiner äußeren Form wenig abzuweichen schien von dem anderer Maschinen; nur der zierliche, trotz seiner gewaltigen Masse den Eindruck des Leichten hervorrufende Bau des Ganzen fiel sofort in die Augen.

Inmitten der allgemeinen Unruhe stand Hans scheinbar unbewegt, aber in ihm stürmte und wogte es, und eine fliegende Röthe, die von Zeit zu Zeit über sein Gesicht zog, konnte seine Erregung verrathen. Mit sehnsüchtigen Blicken schaute er den Schienenstrang entlang – wenige Minuten noch und sein Traum war erfüllt! Gestern nacht, hinter einem der mächtigen Bäume verborgen, hatte er den Wagen anfahren sehen, der sie brachte, hatte einen Augenblick sie selbst geschaut – ihre hohe Gestalt, den Goldschein ihres Haares, und mit süßem Schauer war er sich deutlicher als je bewußt geworden, daß Claire ihm nicht mehr die Jugendfreundin war, die Herrin, deren geduldiger Sklave er einst gewesen, sondern die Geliebte, Heißbegehrte, der Inhalt, der Preis seines ganzen Lebens, um den er ringen mußte mit all seinen Kräften. Da ertönte ein Böllerschuß, hoch über den Gebäuden schoß an hohem Maste eine Flagge empor – ein Griff des Führers der Maschine, ein geller Pfiff wie ein mächtiger erster Lebensschrei, und in weiße Dampfwolken wie in einen Brautschleier gehüllt, glitt die „Claire“ zur Halle hinaus, begrüßt von einem donnernden „Hurra“ der Arbeiter. Und sie schien den Zuruf zu verstehen, das Kolbengestänge blitzte in hastigem Schwunge, mit jugendlicher Schnellkraft kreisten die Räder. Elastisch, fast ohne Erschütterung fuhr die Maschine dahin. Im Nu stand sie dann unter vollem Dampfe und stürmte durch den Hof, an den Hallen vorbei.

Hans hielt sich mit der Hand an der Eisenstange der Brüstung; den Körper weit hinausgebeugt, horchte er auf den Pulsschlag der „Claire“, sein Blick schien ihre äußere Hülle durchdringen und ihr bis ins Herz sehen zu wollen. Da nahm sie wie eine Schlange geschmeidig eine enge Knrve.

Lauter Zuruf erscholl von ferne. Er schaute auf; von einer kleinen fahnengeschmückten Erhöhung herab winkten weiße Tücher, grellfarbige Schirme, Hüte. Seine Hand krampfte sich um die Eisenstange – tausend Gedanken, Erinnerungen kreuzten sich blitzartig in seinem Gehirn. „Schwing’ Dich empor, so hoch Du kannst!“ klang es, alles übertönend.

Nun schieden sich die Farben; eine große Gesellschaft stand auf der Tribüne, vorn an der Brüstung eine Dame, ein weißes Tuch schwingend – Claire! Und jetzt warf der Führer einen scharfen Blick durch die runde Scheibe neben seinem Platze – es galt die „Claire“ tadellos vorzuführen wie ein edles Rennpferd. Ein Ruck und mächtig griff die Bremse ein, mitten im Laufe hielt die Maschine, zischend den Dampf ausstoßend, der sie einen Augenblick fast verhüllte. Dann zerriß der Schleier; von der Tribüne herab schritt Claire, an der Hand ihres Vaters, begleitet von Herren und Damen. Vor der Lokomotive blieb sie stehen. „Glück auf, ‚Claire‘, gute Fahrt allweg!“ rief sie mit lauter Stimme und reichte einen Kranz aus weißen Kamelien hinauf. Hans griff danach, auch ihre Hand hielt noch den Kranz, der so eine duftige Brücke zwischen ihnen bildete. Mit flammendem Blicke sah Hans zu ihr nieder, und erröthend senkte sie eine Sekunde lang das Haupt. Dann hob sie wieder ihr Auge, das nun an der männlichen Erscheinung ihres Jugendgespielen haften blieb.

„Herr Davis hat sich redlich bemüht um diesen Täufling und steht ihm näher, als Du glaubst,“ sagte Herr Berry, die Erregung der beiden ahnend und ablenkend.

Claire ließ den Kranz los. Hans schwang sich hinauf und befestigte ihn über dem glänzenden Namen vorn am Kessel.

Da begann die Musik – die Arbeiter hatten sich in der Nähe gesammelt. Herr Berry trat zu ihnen und hielt eine Ansprache, nicht in dem geschäftsmäßigen Stil von sonst, ein höherer Schwung beseelte sie heute. Er dankte allen, die mitgewirkt hatten an dem Werke, für ihre redliche Pflichterfüllung und drückte die Hoffnung aus, daß die „Claire“ dem Hause Berry zur Ehre gereichen werde. Plötzlich machte er eine Pause. Sein Blick ruhte auf Hans, der noch immer auf der Maschine stand. Ein innerer Kampf spiegelte sich in den erregten eisernen Zügen des Fabrikherrn. „Noch habe ich eine Pflicht zu erfüllen,“ fuhr er dann fort, „den Namen eines Mannes, eines Arbeiters habe ich zu nennen, der eng verbunden ist mit diesem neuen Werke, in dem der Gedanke zu dem neuen vielversprechenden System, dessen erste Vertreterin die ‚Claire‘ ist, geboren wurde – denn ich schäme mich nicht, zu gestehen, daß nur die praktische Verwerthung dieser Idee mein Eigenthum ist. Hans Davis, mein Monteur, ist der eigentliche Erfinder! Kommen Sie nur herab, Davis, und genießen Sie die Ehre, die Ihnen zukommt – stimmen Sie ein mit uns in den Ruf: ‚Es lebe die Arbeit für und für!‘ und brausend erschallten die Zurufe.

Hans war aschfahl geworden; er konnte sich kaum noch aufrecht halten und bedurfte der hilfreichen Hand Berrys, um herunterzukommen. Alles tanzte vor seinen Augen in wildem Reigen, nur Claire sah er deutlich; ihr Blick war auf ihn gerichtet.

Der Kommerzienrath stellte ihn seinen Gästen vor, dem Eisenbahnminister, der zur Verherrlichung dieses industriellen Festes in eigener Person erschienen war, seinen Kollegen die von weit und breit gekommen waren. Neugierig betrachtete man den Helden des Tages; gnädige Herablassung mischte sich mit erzwungener Achtung vor dem Genie und der Thatkraft dieses Jünglings, mit dem Neide über den kostbaren Besitz Berrys. Die Geschichte seines Lebens ging in kurzen Umrissen von Mund zu Mund, und ihre Romantik erhöhte noch die allgemeine Antheilnahme.

Den Damen entging über dem allem nicht die männliche Kraft des jungen Mannes, welche in dieser höchsten seelischen Erregung voll zur Geltung kam.

Nur Frau Berry und Otto blieben kalt abseits; ihre abfälligen Mienen sagten deutlich, daß nach ihrer Ansicht Papa einen großen Fehler begangen habe.

Hans hörte nur die Hälfte der Lobsprüche, die ihn umschwirrten; sein einziger Gedanke war: was wird Claire mir sagen? Diese hatte sich in den Hintergrund zurückgezogen und beobachtete ihn durch ihr Augenglas. Das verwirrte, schmerzte ihn – eine geringschätzige Neugierde, etwas Hochmüthiges lag in der ganzen Bewegung. Dieses Glas schien ihm eine beabsichtigte Scheidewand; Claire besaß ein so gutes scharfes Auge, und eben noch hatte es so klar, so voll Kindlichkeit ihn angeblickt wie einst!

Jetzt klappte die junge Dame ihre Lorgnette zu und trat heran. Ein hellgraues Kleid hob durch seinen einfachen Schnitt ihre edlen Formen; das Haar erglänzte röthlich wie Gold unter dem grauen Hütchen. Die Züge des Antlitzes hatten sich verfeinert, aber der kindliche Ausdruck war daraus geschwunden, und trotz des jugendlichen Inkarnats zeigten sie eine gewisse kränkliche Schlaffheit, an der allerdings die Anstrengung der Reise schuld sein mochte. Der schelmische Blick von einst war noch da, aber nicht mehr so unbewußt wie früher; er schien jetzt ganz in ihrer Gewalt zu sein. Für einige Sekunden ließ sie demselben freie Bahn, während sie sich näherte, dann war es, als ob sie wieder durch das Glas blicke – so kalt und tot schaute sie Hans an. Sie reichte ihm die behandschuhte Rechte. „Ich freue mich, gerade zu Ihrem Ehrentag gekommen zu sein, Herr Davis, und gratuliere Ihnen von Herzen. Sie sind ein Glückskind – Sie haben einen hohen Weg genommen!“

[583] Hans durchzuckten die Worte wie ein Feuerstrahl. Er preßte die kleine Hand und ließ sie nicht los. „Ich stieg, so hoch ich konnte,“ sagte er leise, das Auge fest auf sie gerichtet.

„So hoch Sie konnten, kein Zweifel, Herr Davis! Und ich als die Tochter meines Vaters zolle Ihnen dafür alle Anerkennung.“ Sie zog rasch die kleine Hand aus seiner Faust und hielt wieder das schützende Glas vor die Augen. „Wollen Sie die Güte haben und mir die guten Eigenschaften meines Täuflings auch erklären?“ setzte sie dann in leichtem Tone hinzu, als Hans stumm zurücktrat.

Sie näherte sich der Maschine, welche jetzt von der ganzen Gesellschaft umdrängt wurde.

Hans glaubte deutlich zu erkennen, daß trotz allem, was er gethan und errungen hatte, die Kluft zwischen Claire und ihm nicht kleiner geworden war, ja daß Claire gar nicht wünschte, sie zu überbrücken. Er wunderte sich nur, jetzt den Schmerz nicht zu empfinden, der in bangen Stunden bei dem Gedanken an diese Möglichkeit sein Herz bestürmt hatte. Ihn durchströmte vielmehr ein Kraftgefühl, wie er es ihr gegenüber noch nie empfunden. Nun galt’s, ihr die Ketten anzulegen, die er bis jetzt getragen. Sein männliches Bewußtsein flammte auf, die kindische sklavische Verehrung von einst mußte sterben, wenn sich aus ihrer Asche die echte, eines Mannes und eines Weibes würdige Liebe erheben sollte.

So folgte er der voranschreitenden Claire mit aller Ruhe und erklärte ihr die Konstruktion der Maschine so kühl und nüchtern, als hätte zwischen ihnen nie ein tieferes Gefühl gewaltet.

Herr Berry lud seine Gäste ein, auf dem Tender Platz zu nehmen und die Rundfahrt um die Fabrik mitzumachen.

Unter Vorantritt Claires stieg man hinauf, Berry selbst trat mit Hans auf die Maschine. Nur Otto und Frau Berry dankten für das Vergnügen und gingen in eifrigem Gespräch voraus, der Villa zu.

Claire war sehr in Anspruch genommen; man vergaß die Fahrt über dem Bemühen, der reizenden Dame den Hof zu machen. Für Hans hatte sie keinen Blick mehr.

Es war für den Kommerzienrath der glücklichste Tag seines Lebens, der Ehrentag seines industriellen Schaffens, der ihm zugleich seine geliebte, lang entbehrte Claire in blühendster Schönheit wiedergebracht hatte. O, wenn er den Tag festhalten könnte! Aber der rollt dahin, rastlos und unaufhaltsam gleich dieser Maschine, tausend andere folgen ihm nach, und dann – dann kommt ein anderer Tag, wo er nicht mehr sein wird, wo alles, was er geschaffen hat, verwaist stehen, verkauft, in totes Geld verwandelt werden wird. So mußte es gehen, wenn nicht etwa Claire dies Erbe antrat – aber dazu gehörte eben ein Mann, ein Mann der Arbeit. Sein Blick blieb unwillkürlich auf Hans haften und schweifte von da zu Claire hinüber, ein Gedanke, der wohl schon oft in ihm aufgestiegen war, den er jedoch intmer wieder zurückgedrängt hatte, gewann an Raum, und der Zweifel regte sich in ihm, ob er recht gethan habe, seine Tochter nach Paris zu senden. –

Nach beendeter Rundfahrt begaben sich die Herrschaften auf den Festplatz der Arbeiter, wo für Trank, Speise, Lustbarkeit aller Art gesorgt war. Berry mischte sich mitten unter die Leute und fühlte sich zu seinem Erstaunen wohl unter ihnen; es war ihm, als habe er etwas gut zu machen, als müsse er noch zur rechten Zeit des Schicksals drohende Rache für lang aufgehäuftes Unrecht versöhnen.

In der Villa harrte ein glänzendes Mahl der Gäste und Beamten der Fabrik. Hans Davis war von Berry dazu eingeladen. Der junge Mann mit den breiten Schultern, den muskulösen arbeitsharten Händen und dem intelligenten charaktervollen Gesicht erregte die allgemeinste Aufmerksamkeit. Vielleicht hatte man in ihm, dem diese außergewöhnliche Erfindung in so jugendlichem Alter, ohne höhere technische Bildung gelungen war, eine jener genialen Naturen vor sich, wie sie von Zeit zu Zeit urplötzlich aus dem Dunkel des Volksschoßes auftauchen und mit einer Art überirdischen Schauens allen mühsamen Fortschritt der Wissenschaft leicht und sicher überflügeln. Außerdem bot sich da eine ungefährliche Gelegenheit, seine liberale Gesinnung zu zeigen, seine Achtung vor dem sich emporschwingenden Arbeiter. Sogar der Minister und seine hohen Beamten wandten sich huldvoll an Hans.

Trotz dieser fortgesetzten Inanspruchnahme entging dem Gefeierten keine Bewegung, kein Blick Claires, die ihm schräg gegenüber saß und die einzige Dame war, welche nie ein Wort an ihn richtete. Er sah eine Absichtlichkeit darin, und obgleich ganz unerfahren in den wechselnden Stimmungen der weiblichen Natur, glaubte er doch eben hinter dieser scheinbaren Mißachtung seiner Person eine ständige Beschäftigung ihres Geistes mit ihm selbst zu erkennen; einige Streifblicke, die offenbar nicht dazu bestimmt waren, von ihm bemerkt zu werden, bestärkten ihn in seiner Annahme. Das Vorpostengefecht des künftigen unerbittlichen Kampfes hatte also begonnen. Claire schien sich alle Mühe zu geben, die Aufmerksamkeit der Tischrunde von Hans ab auf sich zu lenken; sie erzählte lebhaft und witzig von Paris, von ihren gesellschaftlichen Genüssen dort, schwärmte mit einer auffälligen Absichtlichkeit von dem feinen Geschmack in französischer Kunst und Litteratur, von der Strenge der Gesellschaft in der Auswahl ihres Verkehrs, spottete über deutsche Sentimentalität und Schwerfälligkeit. Aber so sehr sie sich bestrebte, die Unterhaltung an sich zu reißen – Hans war und blieb entschieden der stärkere Anziehungspunkt besonders für die übrigen Damen, die den „interessanten Erfinder“ immer wieder ins Gespräch zogen. Zum ersten Male in seinem Leben sah sich dieser in solcher Weise bevorzugt, und er hätte nicht ein junger Mann sein müssen, wenn ihn das nicht berauscht hätte: selbst Claire trat bei ihm für den Augenblick in den Hintergrund. Und er verstand es so gut, die Gesellschaft zu fesseln, „mit angeborener Unverschämtheit die kleine Bresche auszunützen, welche Papa unvorsichtigerweise ihm geöffnet“, wie sich Otto entrüstet ausdrückte. Claire sah sich nach aufgehobener Tafel geradezu auf ihren Bruder und einige ältere Herren angewiesen. Eine Zeitlang schaute sie mit einer Art inneren Grimmes zu. Wie konnte dieser Mensch, der ihr alles zu danken hatte, der ihr Geschöpf war, auf so beleidigende Weise sie völlig übersehen? Glaubte er am Ende, die Freundschaft ihres Vaters löse die Kette, die ihn an sie band? O, er sollte fühlen, daß die Fessel noch nicht gefallen war; gerade jetzt, wo er frei zu sein meinte, sollte er tiefer als je der alten Herrschaft sich beugen müssen! Sie wollte geduldig warten, bis er sich zu ihr wandte, dann aber alles aufbieten um ihn wieder unter ihren Einfluß zu zwingen.

Claire mußte sich lange gedulden; endlich trat Hans zu ihr. Sie kam seiner Anrede zuvor.

„Sie sind ja sehr galant geworden in den letzten Jahren, Herr Davis!“ sagte sie, mit dem Fächer nervös auf die Marmorplatte eines Tischchens klopfend. „Das machen wohl die Erfindungen?“

„Man hat in meiner Stellung wenig Gelegenheit, Galanterie zu lernen, Fräulein Claire!“

„Und wohl auch keine Zeit, kindische Erinnerungen zu bewahren? Aber natürlich, Sie haben etwas erreicht, werden mit Ihrem Talent und Ihrer Energie noch mehr erreichen, Sie brauchen keine Beschützerin mehr – – also fort mit den unbequemen Erinnerungen – nicht wahr?“

„Sie sind ungerecht, Fräulein Claire, und Sie wissen, daß Sie es sind – Sie wissen, daß ich nie vergessen werde, wie Sie für mein Leben alles wurden, der rettende Engel, der Geius, der mich zu dem begeisterte, was ich erreicht habe!“

Diese Worte, aus denen sein volles Herz sprach, verfehlten bei Claire ihre Wirkung nicht. Die ganze Vergangenheit trat in diesem Augenblick an sie heran, von jenem ersten Weihnachtsabend an bis zu dem stürmischen Abschied am Abend vor ihrer Abreise. Ihre letzten Worte damals waren es also gewesen, was ihn über seine Sphäre hinausgehoben, zum Erfinder gemacht hatte! Das schmeichelte ihrem weiblichen Stolze. Was waren dieser That gegenüber die faden Huldigungen in schöngedrechselten Worten, die sie in Paris genossen hatte, die sie wohl auch hier genießen würde? Schöpferisch zu wirken in einem groß angelegten Geiste, dessen anfeuernde Macht zu sein, war das nicht mehr als alle gesellschaftlichen Erfolge? So klangen ihre Worte nicht mehr spöttisch, sondern nur vorwurfsvoll, als sie erwiderte. „Ich glaube Ihnen, Hans! Aber wie können Sie am ersten Tage so rücksichtslos sein und mich derart vernachlässigen? O, bis ich dieses harte rauhe verletzende Wesen hier wieder gewohnt sein werde! Sie glauben nicht, wie mir das weh thut! Meine Nerven sind nun einmal nicht aus Stahl und Eisen wie die Ihrer ‚Claire‘.“

Hans war empört über sich selbst. Wie war es nur möglich, daß er sich so benommen, daß er Claire über den anderen nur eine Sekunde hatte vergessen können!

[584]

Photographie von Franz Hanfstaengl Kunstverlag in München.
Einquartierung.
Nach einem Oelgemälde von Oscar Gräf.

[585] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [586] „Claire – Fräulein Claire wollt’ ich sagen, verzeihen Sie mir! Ich bin rücksichtslos gewesen, ich fühle es, aber sehen Sie, ich weiß ja selbst nicht, wie das so kam. Für einen einzigen freundlichen Blick, für einen Druck Ihrer Hand würde ich ja durchs Feuer gehen!"

Claire vergaß das Spiel mit ihrem Fächer, den Kopf halb auf die Brust geneigt, blickte sie erröthend Hans an, dessen Züge von edler Gluth durchleuchtet waren. Fast verlegen reichte sie ihm die Hand. „Ich danke Ihnen, Hans – aber nicht wahr, mich nicht mehr vergessen über den anderen! Ich habe es nicht um Sie verdient.“

Hans war es, als müßte er die kleine Hand, die fast verschwand in seiner derben Arbeitsfaust, vor Seligkeit zerdrücken. „Ich will sterben für Sie, Claire!" kam es leidenschaftlich von seinen Lippen.

Claire lachte nicht über diese schwärmerischen Worte, die ihr aus dem Munde jedes anderen ungeheuer komisch vorgekommen wären, und überließ dem jungen Manne willig ihre Hand, als er sie mit einer ungestümen Bewegung an die Lippen führte.

In diesem Augenblick hatte sich Otto den beiden genähert. Er hatte die Schwester scharf beobachtet; ihre Unterredung mit diesem Davis hatte ihm zu lange gedauert, und nun kam er gerade recht, um die letzten Worte zu hören und den Handkuß zu sehen. Aus dem Gesicht Claires erkannte er auch deren völliges Einverständniß mit dieser Huldigung. Das reizte ihn nur noch mehr.

„Herr Davis,“ rief er spöttisch, „Sie machen ja erstaunliche Fortschritte als Salonheld! Sagen Sie mir einmal, guter Mann, woher nehmen Sie denn eigentlich dieses – na, sagen wir – Selbstvertrauen zu Ihrem Auftreten bei uns her?“

„Aus dem Bewußtsein, dasselbe Recht dazu zu haben wie jeder andere ehrenhafte Mann, der hier verkehrt,“ entgegnete Hans in festem Tone, „ja vielleicht besitze ich noch ein größeres Recht.“

Claire zuckte zusammen, eine Falte erschien auf ihrer klaren Stirn.

„Ah – das wird interessant! Inwiefern denn noch ein größeres Recht?“ fragte Otto mit einem Blicke auf die Schwester. „Sie meinen wohl als Miterfinder des neuen Systems?“

„Daran dachte ich nicht; nein, als – der von Ihrem Herrn Vater von der Straße aufgehobene Hans Davis. Es giebt Wohlthaten, die Verpflichtungen nach sich ziehen auch für den Wohlthäter!“

„Wie, Sie philosophieren auch in Ihren freien Stunden? Also Universalgenie! Nützt Ihnen aber alles nichts. Für meine Schwester und mich bleiben Sie doch das Hänschen von damals – Sie wissen schon, das mit der blauen Zipfelmütze.“ Lachend drehte er sich um und entfernte sich.

Ein Zittern lief durch den Körper des auf so rohe Weise Beleidigten, seine Muskeln spannten sich, und er machte eine Bewegung, als wollte er dem Fortgehenden nachstürzen. Da legte sich eine Hand mit sanftem Drucke auf seinen Arm.

„Begehen Sie keine Thorheit, Hans!“ mahnte Claire. „Sie dürfen überzeugt sein, daß mein Bruder sehr gegen meinen Willen mich zum Zeugen für seine Meinung aufgerufen hat. Daß ich Sie mit anderen Augen ansehe, Ihren Werth anders bemesse, das muß in Ihnen unerschütterlich feststehen nach allem, was voranging.“

„Ich danke Ihnen,“ erwiderte Hans und begab sich mit mühsam beherrschter Aufregung zur Gesellschaft zurück. Er fürchtete mit Recht, daß seine lange Unterhaltung mit der Tochter des Hauses aufgefallen sein könnte.

Herr Berry hatte das vertrauliche Gespräch, die starke Gemüthsbewegung der beiden wohl bemerkt, aber ohne sich entschließen zu können, sie zu stören.

Nachdem Otto es abgelehnt hatte, sein Lebenswerk fortzusetzen, galt es, Claire dafür zu gewinnen; daß ihm dabei seine Gattin und sein Sohn entgegenarbeiten würden, wußte er. Davis dagegen konnte ihm ein erwünschter Bundesgenosse werden – vielleicht aber auch ein gefährlicher! Claire war zwar fast ebenso alt wie ihr einstiger Spielgenosse, sie war stolz geworden in Paris, verwöhnt, offenbar regte sich auch in ihr das aristokratische Blut der Mutter. Aber Davis war ihr Jugendfreund, Dankbarkeit und Zuneigung fesselten ihn an sie, er war zudem von einnehmendem Aeußeren, durch Geist und Willenskraft hoch hinausgehoben über seinen Stand – wie leicht konnte sich da trotz aller Hindernisse eine unbesiegliche Leidenschaft in seiner Tochter entwickeln! Und was sollte dann werden? War das denkbar – Davis, der Sohn eines verkommenen Arbeiters, welcher jeden Augenblick wieder auf der Bildfläche erscheinen konnte, und die Tochter des Kommerzienraths Berry? Aber war denn Hans überhaupt nur der Sohn seines Vaters? Davis, der berühmte Techniker, die Zukunft der Berryschen Werke, die unter seiner Leitung den Weltmarkt beherrschen würden – warum nicht so? – –

Abends war auf dem beleuchteten Festplatz Arbeiterball, zu welchem sich auch die eingeladenen Gäste einfanden. Die Frau des Hauses eröffnete denselben auf den bestimmten Wunsch ihres Mannes durch einen Tanz mit dem ersten Direktor, ihr folgte Claire mit Hans Davis, der nun einmal der Held des Tages war. Rings um den Festplatz her lagen die schweigenden Werkstätten und bildeten zu der bunten Beleuchtung, dem wehenden Fahnenschmuck und den Klängen der Musik, in die sich die Jubelrufe der Menge mischten, einen sonderbaren Gegensatz, der aber die Festfreude der Arbeiter nicht zu stören schien. Es war, als sei alle Noth, aller Schweiß, alles Murren vergessen, als sei hier wenigstens Kapital und Arbeit versöhnt.

Nach dem ersten Rundtanz unter den blühenden Kastanien sausten Raketen gegen den Nachthimmel, ein bunter Regen von Leuchtkugeln schwebte empor, Feuerräder drehten sich sprühend, der Name „Berry" erschien, von Strahlen umgeben, flammend in der Luft, während zugleich die neue Maschine bengalisch beleuchtet wurde.

Ein Hurra für Berry brauste aus tausend Kehlen durch die Nacht. „Hurra für ‚Claire‘, Hurra für Hans Davis!“ rief eine Stimme, kaum daß der erste Ruf verklungen war, und aufs neue fielen die Arbeiter ein, in dem Kameraden sich selber ehrend.

Hans hatte noch immer Claire am Arme, als mitten in das Geknatter des Feuerwerks hinein ihre beiden Namen brausend erschallten und gleichsam ineinanderflossen. Da blickte unwillkürlich alles auf das schöne Paar, und sie selbst zuckten zusammen, mächtig ergriffen von einem ahnungsvollen Gefühl, das für Hans eine berauschende Verheißung war, für Claire ein Räthsel, an dessen Lösung sie sich nicht wagte. Schweigend zog sie ihren Arm aus dem seinigen; sie fühle sich müde und möchte sich ausruhen, erklärte sie. Förmlicher als je trennten sie sich.

Hans hielt es jetzt nicht mehr aus auf dem Festplatz, der Lärm that ihm weh;^ müde von den hunderterlei Eindrücken des Tages begab er sich auf seine Stube. Eine Zeitung lag auf seinem Tische. „Ein Festtag bei Berry“ las er als Ueberschrift eines Artikels; mitten drin leuchtete sein Name gesperrt gedruckt. Die geheimnißvolle Kraft des gedruckten Wortes wirkte auf ihn, er las mit klopfendem Herzen den Bericht über die Vorgänge des Morgens, die Worte, die Berry dabei gesprochen hatte. Und die ganze Stadt wird es jetzt mit ihm lesen, Tausende werden bewundernd den Namen „Davis“ aussprechen! Die Wonne befriedigten Ehrgeizes schwellte seine Brust. Sein Stern stand hoch, strahlend leuchtete sein Ziel – Claire!

Schon wollte er das Blatt weglegen, da sah er dicht unter dem Artikel einen anderen Namen gesperrt gedruckt – „Holzmann“. Hastig überflog er die Zeilen, die vor seinen Augen zu schwanken begannen.

„Gestern Nacht fand ein verwegener Einbruchsversuch in dem Juwelengeschäft von Somatsch statt. Die Diebe drangen von der Straße her durch den infolge der Kanalisationsarbeit offenen Abzugsgraben in das Haus, den Boden des Verkaufslokales durchbrechend. Glücklicherweise hörte ein vorbeikommender Schutzmann den verdächtigen Lärm und störte die Einbrecher in ihrem sauberen Handwerk. Einer derselben, ein schon oft bestraftes Individuum Namens Holzmann wurde im Kanal selbst wie in einer Falle gefangen; sein Genosse ist leider entkommen!“

„Sein Genosse ist leider entkommen!“ Auf dieser Zeile blieb der starre Blick von Hans haften. Er sah das Gaunergesicht dieses Holzmann deutlich vor sich, hörte sein teuflisches Flüstern – sein Genosse horcht darauf wie gebannt, dann schlägt er ein. „Sei es, ich thu’ mit! Die Wagen der Reichen sollen mir nicht länger über dem Kopfe wegrollen, während ich in dem Schmutze da unten verkomme – bin doch begierig, wie das [587] Reichsein schmeckt! Ans Werk also!“ Und dieser Genosse war Jakob Davis – mit unwiderstehlicher Gewißheit drängte sich Hans diese Ahnung auf. Wo mochte er sein, der Vater? Wohl war er entkommen, aber was konnte ihm das nützen! Holzmann wird ihn sicher verrathen, dann war er bald aus seinem Versteck aufgestöbert, und der Name Davis, der heute in dem Glanze des Erfinderruhms strahlte, war der Schmach preisgegeben.

Vom Festplatz her klang die frohe Musik, das Jauchzen der übermüthigen Menge, während Hans verzweifelnd in seinem engen Stübchen auf und ab schritt und ohnmächtig wüthete gegen das grausame Spiel des Schicksals, das ihm die lastenden Ketten immer nur abnahm, um ihn, der kaum der Freiheit froh geworden, desto grausamer damit zu fesseln.


9.

Die Hoffnung Ottos, daß sich die gesellschaftlichen Verhältnisse seines Elternhauses nach der Rückkehr der Schwester rasch verändern würden, hatte sich erfüllt. Berry war selbst zu stolz auf sein blühendes geistvolles Kind, als daß er nicht die Pforten seines Hauses weit geäffnet hätte. Und alles strömte herbei, was immer durch Reichthum und Schönheit angelockt wurde. .

Claire, die reiche schöne Erbin, stand im Mittelpunkt des hauptstädtischen Interesses. Tausend neue Hoffnungsstrahlen zuckten im Herzen der Mütter auf, die sich des Besitzes stattlicher Söhne rühmten. Ehrwürdige, aber abgenutzte und verblichene Wappenschilder rasselten wohl in der Geisterstunde vor freudiger Ahnung. Die Männerwelt rüstete sich denn auch nach Gebühr zu dem Wettkampf, der hier entbrennen mußte.

Claire war in Paris eine Verehrerin der Kunst geworden, vor allem der dramatischen; es war ein Leichtes, die Größen der Hauptstadt auf diesem Gebiet in das gastfreundliche Haus zu ziehen. Die Offiziere und der hohe Adel fanden sich von selbst ein, Otto brauchte sich um sie gar nicht erst zu bemühen. Die Witterung von dem Edelwild, das hier gejagt wurde, war Lockung genug. So konnte es denn nicht fehlen, daß die Abende bei Berrys in kürzester Frist einen ausgezeichneten Ruf erhielten, und nach einem halben Jahre gehörte es zum guten Tone, dort gewesen zu sein.

Der Kommerzienrath fühlte sich nichts weniger als wohl bei dieser Entwicklung der Dinge, die ihm über den Kopf gewachsen war. Die ihm verwandten, sympathischen Elemente wurden mehr und mehr verdrängt, und in den neuen Kreisen, die sich um ihn her sammelten, fühlte er sich nicht heimisch. Der ganze Ton der Unterhaltung behagte ihm nicht, alles schien ihm Geflunker – Redensarten und gewandte Manieren mußten die innere Hohlheit verdecken. Oft floh er mitten aus der glänzenden Gesellschaft hinüber in die Werkstätten und athmete dort mit Wonne die rauchgeschwängerte Luft.

Außerdem wußte er, warum sie kamen, die jungen Herren – Claire war der Magnet, und vielleicht war der Räuber seines besten Kleinods schon unter diesen würdigen Genossen seines Sohnes, die nur genießen wollten, denen die ganze rührige segensvolle Welt, welche hier geschaffen worden, nur eine tote Sache war, die vernünftigerweise möglichst rasch in Geld umgesetzt werden müßte. Und der Weg dazu hieß für sie „Claire“. Wenn solche Gedanken in Berry aufstiegen, dann hielt er mit angstvollem Blicke Musterung. Die Künstler fürchtete er nicht, denen war es mehr um angenehme Gefälligkeit und schöne Frauenköpfe zu thun; sein Feind war viel eher unter dem Adel, in der Uniform zu suchen. Ein glänzender Name, vornehmes Aeußere, gewandte Formen – das waren ja in den Augen eines jungen Mädchens gefährliche Vorzüge. Und bald glaubte Berry den Gesuchten entdeckt zu haben in einem Grafen Maltiz, einem Regimentskameraden seines Sohnes.

In so unauffälliger Weise Claire ihn auch bevorzugte, dem Vaterauge entging es nicht. Der Kommerzienrath beobachtete scharf den jungen Mann. Dieser besaß eine Art männlicher Liebenswürdigkeit, der man sich nicht leicht entziehen konnte, und, was Berry für ihn einnahm, er zeigte wirkliches Interesse auch für das praktische Leben, für die Industrie. Schon einige Male hatte Berry mit ihm die Werke besichtigt und dabei lebhaftes Verständniß gefunden; sein Vater war Besitzer von Eisengruben und Hüttenwerken in Schlesien, das war eine Verbindungsbrücke mehr.

Berrys Urtheil über den Grafen begann unter diesen Umständen allmählich ein besseres zu werden. Da präsentierte man ihm eines Tages wieder einmal einen Schuldschein Ottos. Für gewöhnlich ärgerte er sich nicht mehr über solche Erfahrungen und brachte die Sache, wenn die Summe nicht zu hoch war, schweigend in Ordnung. Aber diesmal stand unter dem Namen seines Sohnes der des Grafen Maltiz als des Bürgen, das schmerzte ihn tief. Die festen Grundsätze, die Maltiz vor ihm stets im Munde führte, gehörten wohl auch zu den Salonlügen, sein Interesse für die Industrie war erheuchelt, vielleicht von Otto eingegeben, der seines Vaters schwache Seite kannte! Von diesem Augenblick an war ihm der Graf zuwider, und er überlegte, wie er der von dieser Seite drohenden Gefahr begegnen könnte.

Unwillkürlich stieß er dabei in seinem Gedankengang immer wieder auf Hans Davis. Nach dem Rathe eines sachverständigen Freundes ließ er ihn auf einige Zeit zu weiterer Ausbildung die technische Hochschule besuchen. Er sah in ihm schon den künftigen Direktor seiner Werke, ja er dachte bereits weiter. Warum sollte der geniale junge Mann nicht der einstige Besitzer sein? Allerdiugs, er war der Sohn eines Arbeiters, eines heruntergekommenen Menschen, aber Geist und Charakter deckten ja heutzutage jeden Makel der Geburt. Der Vater konnte, wenn er je wieder auftauchen sollte, gegen eine Abfindungssumme für immer entfernt werden. Und auch Claire schien dem jungen Freunde eine lebhafte Theilnahme entgegenzubringen, die vielleicht nur der Ermunterung bedurfte, um zum tieferen Gefühl zu werden. Ja, oft war es dem beobachtenden Vater, als sei eine solche Ermunterung gar nicht mehr nöthig, als stürze sich Claire nur deshalb in den Strudel der Geselligkeit, um sich zu betäuben, um den Sinn von etwas Unmöglichem, das sie quälte, abzulenken. Er glaubte zu bemerken, daß sie im geheimen immer wieder nach Hans blickte, gerade wenn sie zu Maltiz am liebenswürdigsten war, wie um die Wirkung ihres Benehmens auf den Jugendfreund zu beobachten. Sollte sie ein verdecktes Spiel spielen, hinter dem sich eine starke Leidenschaft verbarg?

Wenn dem so war, so wagte sie sich offenbar nicht hervor mit ihren geheimsten Wünschen, deren Erfüllung ihr unmöglich schien. Berry aber konnte sich nicht entschließen, einen entscheidenden Anstoß zu geben und die Zagende zu ermuthigen. Trotzdem zürnte er seinem Schützling, daß dieser keinen Schritt vorwärts that und sich ängstlich von Claire fernhielt.

Hans schleppte sich, seit er den Bericht über den Einbruch gelesen hatte, mühsam unter der Last seines dunklen Verhängnisses dahin. Er hatte sich am anderen Tage zu dem von Neugierigen umdrängten Orte der That begeben, hatte vorsichtige Fragen nach dem Entflohenen gestellt, dessen Festnahme man sicher erhoffte, und war endlich in die Kleegasse gegangen. Vielleicht wußte man in der „Fackel“ etwas über den „Schwarzen Jakob“, ja vielleicht hatte sein Vater die fragliche Nacht dort zugebracht, und alle Besorgniß war umsonst, der Genosse Holzmanns ein ganz anderer. Aber er hatte nicht gewagt, in die Wirthschaft einzutreten, nach dem Vater zu fragen – die thörichte Angst hielt ihn ab, selbst irgendwie in die Untersuchung verwickelt zu werden, da man ihn mit Holzmann zusammen gesehen hatte. So trug er die alte Ungewißheit weiter. Bald sollte die Verhandlung gegen Holzmann vor dem Gericht stattfinden – so lange hatte er noch zu leben als ehrlicher Mann, dann war vielleicht sein Name öffentlich gebrandmarkt, der Weg zu Claire ihm für immer abgeschnitten!

Mit solcher Qual im Herzen mußte er das Haus Berry besuchen, Claire gegenübertreten, mußte es mit ansehen, wie sie umschwärmt, vergöttert wurde, wie dieser Graf Maltiz täglich mehr an Boden gewann. O, wäre er frei gewesen, er hätte ihn nicht gefürchtet und alle nicht, so hoch und vornehm sie waren! Er wußte es jetzt, sie war ihm hold; er verstand ihre ermuthigenden Blicke, ihren Spott, ihren Aerger über seine Verzagtheit, er wußte, daß die Bevorzugung des Grafen ihr nicht ernst war, er glaubte zu merken, daß Herr Berry selbst seine Hand nicht zurückstoßen würde, wenigstens lag dieser Schluß nahe nach der Art, wie der Kommerzienrath jetzt oft über die Zukunft seiner Werke mit ihm sprach – er fühlte den höchsten Muth, die höchste Kraft in sich und – war gefesselt! Er hatte kein Recht, mit seinem geschändeten Namen in die Schranken zu treten um Claire, kein Recht, in dieser Gesellschaft zu verkehren. Er lebte eine beständige Lüge, mußte stets gewärtigen, daß man nach [588] Bekanntwerden des Schrecklichen ihn für immer aus diesen Räumen wies.

Der Tag der Verhandlung gegen Holzmann kam, der Tag des Urtheils auch für Hans. Wurde der Name Davis von dem Einbrecher genannt, so war mit dem Vater er selbst verloren. Er hatte beschlossen, der Verhandlung nicht beizuwohnen und die Berichte abzuwarten; aber eine Stunde vor Beginn der Sitzung stand er schon im Gerichtsgebäude.

Endlich öffneten sich die verschlossenen Thüren, ungestüm drang er in den Saal. Im Nu war die Zuhörertribüne gefüllt, und eine lebhafte Unterhaltung über den „Fall“ kam in Gang. Gespannt hörte Hans zu. Einer behauptete, die Sache stehe sehr gut für Holzmann und verhalte sich anders, als man gelesen habe, der Entkommene sei der eigentliche Thäter. Er fand allgemeinen Glauben, man schimpfte über die Polizei, die wie immer den Unrechten gepackt und den Hauptschuldigen habe laufen lassen. Hans spürte, wie sich die Gedanken in seinem Hirne zu verwirren drohten, er starrte nur noch nach der kleinen Thür, zu welcher der Angeklagte hereingeführt werden sollte.

Die Richter nahmen ihre Plätze ein. Jetzt öffnete sich die Thür, und, geführt von einem Schutzmann, erschien Holzmann. Hans erkannte ihn sofort wieder – das war dasselbe verschmitzte Lächeln, derselbe unverschämte lauernde Blick wie damals.

Nach Eröffnung der Verhandlung wurde die Anklage verlesen und dann an Holzmann die Frage gerichtet, ob er seinen Genossen bei der That nennen wolle.

Das Blut brauste Hans in den Ohren, er glaubte, den Namen „Davis“ zu hören, und doch hatte Holzmann noch gar nicht gesprochen.

„Wie soll ich ihn denn nennen, wenn ich ihn gar nicht kenne?“ antwortete dieser jetzt laut lachend.

Das Publikum war sichtlich ärgerlich über die freche Lüge.

„Sie weigern sich also, die Wahrheit zu sagen?“ sagte der Richter, die Stirn bedenklich faltend.

„Ich kann nicht aussagen, was sich gar nicht oder vielmehr nur in der Einbildung der Herren zugetragen hat.“

Der Richter wies den Angeklagten zur Ordnung. „Noch eine solche Aeußerung und Sie werden abgeführt.“

Holzmann zuckte die Achseln. „Ich sage, was ich weiß. Ich ging in jener Nacht ziemlich spät von der Kneipe nach Hause, vom ,Schwarzen Rößl’, wenn’s die Herren interessiert – ich habe Zeugen dafür – und kam so gegen ein Uhr bei Somatsch vorbei. Der Kanal war offen, und ich wäre fast hineingefallen – natürlich, die Polizei hat andere Dinge zu thun, als für die Knochen der Bürger oder gar von unsereinem zu sorgen. In diesem Augenblick höre ich ein Geräusch, das vom Boden unter dem Juwelierladen auszugehen schien. Ich horche eine Zeit lang – da ist was los, denke ich, da geht’s an dem Somatsch seine Diamanten! – Schaust einmal nach, denke ich weiter, kriegst Du den Dieb zu fassen, wird der Somatsch sich nicht lumpen lassen, und Du kriegst zudem ein gutes Renommee und das kann Dir auch nicht schaden. Also steig’ ich am Gerüst in den Kanal hinunter, gehöre ja selber zu dem Geschäft – richtig geht da seitwärts eine Röhrenleitung unter den Laden wie in einem Fuchsbau. Vorsichtig schleiche ich mich näher, dem Geräusch zu, plötzlich – es war stockfinster – saust mir von oben herab Staub und Sand ins Gesicht, etwas stürzt über mich her, überrumpelt mich und weg war’s – ob es ein Thier, ein Mensch war, ich wußt’ es im Augenblick selber nicht. Recht ist Dir geschehen, sag’ ich mir, was kümmerst Du Dich um dem Somatsch seine Diamanten und bringst einen armen Teufel, der sich vielleicht nicht mehr zu helfen weiß, ins Elend. Ich tapp’ zurück, steig’ wieder hinauf, da hat mich schon einer am Kragen wie einen Dachs, den man mit der Zange holt – natürlich war alles Reden umsonst, ich mußte der Dieb sein! Willig ging ich mit – wird sich schon aufklären, dacht’ ich, daß Du ein ehrlicher Kerl bist. Aber man glaubt unsereinem die Ehrlichkeit nicht mehr, besonders wenn’s einmal schon einen kleinen Haken g’habt hat wie bei mir. Na, jetzt wird’s weiter keinen Anstand mehr haben, Sie wissen ja nun alles. Mein Alibi kann ich auch ausweisen, daß ich um ein Uhr aus dem ‚Schwarzen Rößl‘ fortgegangen bin. Und das werden’s doch auch nicht glauben, daß ich mich so dumm hätte fangen lassen, anstatt durchzubrennen wie der andere, wenn ich sein Kollege gewesen wäre.“

Das Erstaunen über diese Darstellung des Thatbestands war allgemein; so unwahrscheinlich dieselbe auch bei dem schlechten Leumund Holzmanns war, die Richter mußten bei sich die Möglichkeit eines solchen Sachverhalts zugeben, und das war schon ein großer Gewinn für den Angeklagten, der jetzt mit einer unschuldigen Miene dasaß und die günstige Wirkung seiner Worte beobachtete.

Im Zuschauerraum freute man sich in raschem Umschlag der Stimmung über den verschmitzten Menschen, der sich so vortrefflich aus der Schlinge zog.

Hans athmete auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er wußte bestimmt, daß die Erzählung Holzmanns erlogen, daß er nicht nur der Helfershelfer des Entkommenen, sondern sogar der Anstifter des Ganzen war, und doch beseelte ihn ein förmliches Dankgefühl gegen den Strolch, der durch seine Schlauheit das Furchtbarste von ihm fernhielt. Nur das eine war ihm unbegreiflich, daß er in der Falle geblieben war, während der andere entkam – er war doch der Ueberlegene, der Erfahrenere in diesem Fache … wenn der Vater wirklich der zweite Einbrecher gewesen war. Aber am Ende war dieser doch nicht dabeigewesen! Dieser freudige Gedanke rang sich immer mehr empor in Hans, so daß er der weiteren Verhandlung ruhiger folgte.

Der Vertheidiger wußte die Erzählung Holzmanns vortrefflich zu verwerthen; er hob die schwere Verantwortlichkeit hervor, einen Mann, der mit Gefahr seines Lebens beisprang, um einen Mitbürger vor Schaden zu bewahren, auf Grund einer verhängnißvollen Verkehrung der wirklichen Vorgänge als den Thäter zu verurtheilen. Das müßte geradezu verwirrend wirken und das Ansehen des Gerichts allenthalben aufs äußerste schädigen.

Zu guter Letzt brachte er als Haupttrumpf zwei Zeugen bei, welche die Anwesenheit Holzmanns im „Schwarzen Rößl“ bis um ein Uhr nachts beschworen. Der Schutzmann gebe ein Uhr zehn Minuten als die Zeit der Festnahme an, zehn Minuten seien nöthig, um von einem Orte zum anderen zu gelangen, wie hätte sich also Holzmann an dem Einbruch betheiligen können? Er war einfach ein Vorübergehender, der seine Pflicht erfüllte, außerdem noch durch die Aussicht auf Belohnung von seiten des Juweliers bewogen wurde, thätlich einzugreifen.

Die Wirkung dieser Rede, besonders des geschickt verwertheten Schachzugs mit den beiden Zeugen war die Freisprechung des Angeklagten. Holzmann verließ nach zweimonatiger Haft frei den Gerichtssaal, mit einer grinsenden höhnischen Gebärde gegen die Richter.

Auf dem Gauge, den er triumphierend durchschritt, drängten sich gute Kameraden um ihn, drückten ihm die Hand und blinzelten ihm verständnißvoll zu. Auch Hans, der Gewißheit haben wollte um jeden Preis, trat dem Manne in den Weg.

Holzmann stutzte, als er ihn erblickte, sein graues Auge ruhte durchdringend auf dem ungebetenen Besucher. Dieser wagte nicht, Holzmann vor allen Leuten anzusprechen. Man drängte sich die dunkle Stiege hinab, dort [spürte] Hans plötzlich eine Hand auf seiner Schulter.

„Wo kann ich Sie heute abend treffen? Ich habe Wichtiges mit Ihnen zu reden,“ flüsterte eine Stimme. Hans wußte, wem sie gehörte, und schauerte zusammen.

„In der ‚Fackel‘, Punkt sieben Uhr,“ antwortete er leise. Es fiel ihm kein anderer Ort ein, daher nannte er mechanisch den für ihn so verhängnißvollen Namen. Halb besinnungslos wankte er die Treppe hinab. Er war nicht darüber im Zweifel, welche Enthüllung ihm bevorstand.

Bald bereute er sein Versprechen; warum hatte er auch die Zusammenkunft gerade in die „Fackel“ verlegt, wo man, ihn und den Vater kannte, wo alle die häßlichen Erinnerungen mit neuer Stärke ihn überkommen mußten. Und heute war der wöchentliche Gesellschaftsabend bei Berry, er mußte dort erscheinen – aus der „Fackel“ zu Claire! Er war nahe daran, sein Wort zu brechen. Allein um die festgesetzte Zeit stand er doch am Eingang der Kleegasse; zögernd blieb er dort einen Augenblick stehen, dann bog er entschlossen ein.

(Fortsetzung folgt.)




[589]
Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.

Ueber kräftigende Diät.

Von Professor Dr. E. Heinrich Kisch.

Es giebt ein Sprüchlein, das zwar recht derb materialistisch klingt, dem man aber eine gewisse Berechtigung doch nicht absprechen kann: „Der Mensch ist, was er ißt“. In der That baut sich der Körper in stetig sich erneuerndem Stoffwechsel aus dem Nährmaterial auf, welches ihm zugeführt wird. Durch die Nahrungsstoffe, welche der Organismus aufnimmt, stellt er das Gleichgewicht zwischen Ausgaben und Einnahmen im Haushalt des Körpers her, schafft er Ersatz für den Verbrauch, für die durch die Zersetzungsvorgänge im Körper aufgezehrten Stoffe. Beim gesunden Menschen ist es der Hunger, welcher den Alarmruf ausstößt, daß es Zeit sei, Nahrung zuzuführen, und eine Empfindung des Wohlbehagens, der Kräftigung begleitet die Befriedigung jenes Bedürfnisses. Nicht so einfach ist die wissenschaftlich begründete Antwort auf die Frage, welche Menge von Nährstoffen der normale Mensch unter den verschiedenen wechselnden Verhältnissen seiner Körperbeschaffenheit und Arbeitsleistung, seines Alters und seiner Große, der Ruhe und der Bewegung, des Klimas und der Jahreszeit bedarf, wie viel Eiweißstoffe und stickstofffreie Nahrung mit der gebotenen Kost zu verabreichen sind und welche Speisen das zweckmäßigste Gemische darstellen, um den Stoffbedarf des Organismus zu decken. Die Ernährungslehre der Gegenwart ist eifrig an der Arbeit, auf Grundlage sorgsamer Versuche unsere Kenntnisse über die Verdauung und Ausnutzung der Nahrungsmittel, über die Bedeutung der einzelnen Nahrungsstoffe und Genußmittel, über die Einnahmen und Ausgaben des gesunden Körpers bei bestimmten Kostarten zu erweitern und so die geeignete DIät festzustellen.

Abschied.
Nach einem Gemälde von G. Haquette.
Photographie im Verlag von Ad. Braun u. Cie. in Dornach.

Weitaus schwieriger noch wird die Aufgabe, für Kranke, bei denen der Stoffverbrauch sich andersartig als bei Gesunden gestaltet, bei denen die Verdauungsorgane ihre Arbeit nicht voll und ganz zu bewältigen vermögen, die Nahrungzufuhr so einzurichten, daß der Verlust an Körperbestandtheilen wieder vollständigen Ersatz finde, daß eine zweckdienliche Erneuerung der abgenutzten Gewebe sich vollziche, daß die Ernährungsvorgänge sich dem Krankheitszustand anpassen. Die richtige Art der Krankenernährung ist eine Sache von so unendlich großer Wichtigkeit, daß sich Erfahrung und Forschung zur Lösung derselben die Hand reichen müssen und daß, was die Wissenschaft nach dieser Richtung hin zu Tage gefördert hat, den weiteiten Kreisen zugänglich gemacht werden sollte.

Eine Seite dieser Frage habe ich vor einigen Monaten in dem Aufsatz über „Entziehungsdiat“ in Halbh. 12 dieses Jahrgangs behandelt. Heute soll von der entgegengesetzten Art der Krankendiat die Rede sein, deren wir in unserer den Stoffverbrauch nur allzu stark in Anspruch nehmenden Zeit nicht minder häufig bedürfen, von der kräftigenden Diät.

Das Kind der Stadt, welches wie jede Stubenpflanze schlecht gedeiht, dem Luft und Licht so spärlich zugemessen sind und dessen bloße Farbe schon die ungenügende Ernahrung bekundet; der Jüngling und die Jungfrau, deren geistige Entwicklung beschleunigt, deren Leibesentwicklung aber vernachlässigt wurde; der Mann, der in der Hast des Erwerbes, in der Jagd nach Erfolg mehr Einbuße an Kraft erleidet, als er zu ersetzen Zeit hat; alle die vielen, vielen, welche die Maschine ihres Organismus mit Dampf betreiben und gewaltsam abnützen – sie müssen, um wenigstens einigermaßen das Gleichgewicht herzustellen, einer kräftigenden Diät sich unterziehen. Und wenn durch Krankheiten das Blut verarmt, das Nervensystem geschwächt ist, dann wird gleichfalls eine kräftigende Ernährungsweise gewählt werden müssen, welche die Blutbildung beschleunigt und fördert, die Thätigkeit der Nerven belebt, die Energie des Stoffwechsels hebt.

Dieses Ziel sucht man zu erreichen, indem man die kräftigsten Nährstoffe auswählt und sie dem Körper immer in solcher Form zuführt, daß die Verdauung nicht zu stark in Anspruch genommen und nicht mit zu großen Mengen belastet wird. Früher wurde das Eiweiß als der einzige kräftigende Nahrungsstoff angesehen, jetzt wissen wir, daß zu den Erfordernissen einer richtigen Diät auch Fette und sogenannte Kohlenhydrate (Stärke, Zucker, Gummi), ferner gewisse Genußmittel, wie Kaffee. Thee, alkoholische Getränke, Speisewürzen, gehören. Wenn die Physiologie lehrt, daß der tägliche Stoffbedarf eines Erwachsenen von mittlerem Körpergewicht in ruhendem Zustand durch 71 Gramm Eiweiß, 28 Gramm Fett, 110 Gramm Kohlenhydrate und 11 Gramm Salze gedeckt wird, so erfahren diese Ziffern eine beträchtliche Steigerung, wenn der Mensch eine mäßige, starke oder angestrengte Thätigkeit ausübt, und sie müssen wesentlich geändert werden, wenn es sich darum handelt, die Neubildung des Körpers zu fördern, die Ernährung zu heben. Am besten wird die richtige Zusammensetzung der Nahrung durch eine gemischte Kost aus thierischen und pflanzlichen Bestandtheilen erreicht, und am zweckmäßigsten ist es, die Nahrungsaufnahme auf mehrere Mahlzeiten des Tages zu vertheilen, wobei eine gewisse Abwechslung vorherrschen soll.

Das Hauptgewicht muß allerdings auf große und leicht verdauliche Eiweißmengen gelegt werden. Die Eiweißstoffe aus dem Thierreich verdienen den Vorzug vor den pflanzlichen eiweißhaltigen Nahrungsmitteln, weil diese letzteren im menschlichen Darme ungenügend ausgenutzt werden und daher selbst in großen Portionen nur kleine Wirkungen erzielen. Fleischspeisen werden demnach stets den Kern jeder kräftigenden Kost bilden[1], wobei der leichten Verdaulichkeit, der Zartheit der Muskelfasern sowie dem Wohlgeschmack der einzelnen Fleischsorten Beachtung zu schenken ist. Für den Küchenzettel der kräftigenden Diät sind demgemäß besonders folgende Fleischsorten empfehlenswert: gebratenes Rindfleisch und Kalbfleisch, Schinken; ferner von Wildpret: Hirsch, Reh, Hase, Gemse, Feldhuhn, Krammetsvögel, [590] Birkhuhn, Haselhuhn, Schneehuhn, Fasan; von zahmem Geflügel: Huhn, Taube, Truthahn; von Fischen: Karpfen, Hecht, Forelle.

Das Fleisch, welches am häufigsten auf unserem Tische erscheint, stammt vom Rinde. Ein leicht verdauliches und nahrhaftes Rindfleisch nun muß von gut ausgemästeten Ochsen genommen werden, welche sich im Alter von vier bis fünf Jahren befanden; es darf nicht zu frisch für die Küche verwendet werden, soll vielmehr mindestens 12 bis 24 Stunden nach dem Schlachten gelegen haben. Erst dann ist es recht saftig und mürbe. Beim Kochen des Fleisches wird ein wesentlicher Theil seiner in Wasser löslichen Stoffe ausgelaugt und in der Brühe gelöst zurückgehalten. Um die Fleischbrühe recht reich an solchen Bestandtheilen zu machen, wird das Fleisch am besten in kleine Stücke zerschnitten, mit kaltem Wasser angesetzt, allmählich erhitzt und dann ausgepreßt. So bekommt man eine schmackhafte Bouillon; allerdings ist ihr Nährwerth dann noch immer kein großer, denn sie enthält nur kleine Mengen Leim, etwas Fett, unerhebliche Mengen Eiweiß, sowie einen Theil der Salze des Fleisches. Und dieser geringe Gehalt an wirklichen Nährstoffen ist der Grund, warum jetzt die Fleischbrühe ziemlich verächtlich behandelt wird und das Suppenessen sogar aus der Mode kommt. Mit Unrecht! Streichet nicht den „Suppenkaspar“ aus den Vorstellungen der Kinder und verbannet nicht die Fleischbrühe von eurer Tafel! Die kräftigende Diät bedarf der Fleischbrühe sehr wesentlich, denn sie ist ein mildes und leicht zu verdauendes Reizmittel für die Verdauungswerkzeuge, welches diese am besten auf die gröbere Aufgabe des Fleischverarbeitens vorbereitet. Eine gute Köchin versteht es übrigens, die Brühe nicht nur schmackhaft, sondern auch durch Zusatz von Eiern, Reis, Gerste, geriebenem Teige etc. nahrhaft zu machen.

Gebratenes Fleisch enthält den größten Theil der Eiweißstoffe, während ein Theil des Wassers, der Salze, des Leimes und Fettes beim Braten in die Sauce übergehen. Dieser Verlust wird am geringsten sein, wenn anfangs hohe, später mäßige Hitze zur Anwendung kommt. Die Spieß- und Rostbraten sind gewöhnlich saftiger und leichter verdaulich als die Pfannenbraten. Bei der Zubereitung am Feuer entwickeln sich außerdem in dem Fleische wohlschmeckende und wohlriechende Substanzen, deren die Eßlust anregende Wirkung noch durch verschiedene Gewürze und Zuthaten erhöht werden kann.

Wenn die Verdauungsorgane geschwächt sind, so ist es zweckmäßig, ihnen einen Theil ihrer Arbeit dadurch abzunehmen, daß dem Magen erspart wird, die Zertrümmerung des Gefüges der Speisen selbst vornehmen zu müssen. Dies geschieht, indem man das Fleisch fein zerhackt oder schabt und dann erst in Form von Kuchen mit Butter brät. Da rohes Fleisch schneller verdaut wird als gekochtes oder gebratenes, so sind englisch zubereitete halbrohc Beefsteaks von zartfaserigem mürben Fleische von hohem Werthe, ebenso rohes, quer zur Faser zerschnittenes und dann noch zu einem feinen Gemengsel zerhacktes, mit Salz gewürztes Fleisch. Selbstverständlich muß man aber beim rohen Fleische ganz besonders darauf acht haben, daß es von gesunden Thieren stamme.

Dem Rindfleisch zunächst steht in Hinsicht auf seinen Werth für die kräftigende Diät das Kalbfleisch. Es soll von einem mindestens sechs Wochen alten Kalbe entnommen sein, und zwar namentlich von dem Brust- und dem Nierenstück. Das Fleisch vom Kalbe ist durchschnittlich wasserreicher, aber ärmer an Eiweiß und Fett als Rindfleisch, vor dem es größere Zartheit der Muskelfasern und dadurch leichtere Verdaulichkeit voraus hat. Hammelfleisch sagt infolge seines großen Fettgehaltes weder dem Geschmack noch dem Magen jedermanns zu, obgleich es ebenfalls zarte Fasern besitzt. In erhöhtem Maße trifft ebendasselbe auf das Schweinefleisch zu. Junges Rehwild ist ebenso nahrhaft als wohlschmeckend und verdaulich. Fischfleisch ist weniger reich an Nährstoffen als das Fleisch der Säugethiere, aber es bildet eine angenehme Abwechslung für die Speisefolge. Es sind dann die fettärmeren Arten wie Hecht, Flußbarsch, Seezunge zu wählen. Eingeweide wie Rinds- und Kalbleber sind schwer verdaulich, auch das Gehirn ist wegen seines großen Fettgehaltes für geschwächte Organe nicht immer geeignet; hingegen sind Kalbsbröschen, in Suppe gekocht, ein sehr empfehlenswerthes Gericht.

Dem Nährwerth des Fleisches kommen Eier und Milch am nächsten. Namentlich die Milch bietet für geschwächte Personen ein ebenso leicht verdauliches als für den Stoffersatz ausreichendes Nahrungsmittel. Sie deckt durch ihre Eiweißstoffe (Caseïn, Albumin) den Stickstoffbedarf des Organismus und durch die in ihr enthaltene Butter und den Milchzucker das Bedürfniß an Kohlehydraten; auch Salze, Erden und Eisen werden mit der Milch in einer hinreichenden Menge und in leicht löslicher Form zugeführt. In erster Linie steht die Kuhmilch, ihr folgt Ziegenmilch und Schafmilch. Die Eier der verschiedenen Vögel, von denen vorzugsweise die Eier des Haushuhnes in Betracht kommen, haben im wesentlichen die gleiche Zusammensetzung; sie bieten im Weißen einen verdaulichen Eiweißkörper (Eieralbumin) und im Eigelb außer stickstoffhaltigen Körpern viel Fett. Auch die Eier der Fische sind wegen ihres bedeutenden Gehalts an eiweißartigen Substanzen nahrhaft, ja manche sind im eingesalzenen Zustand (Kaviar) als appetitanregendes Mittel bei Feinschmeckern sehr beliebt.

Stickstoffhaltige Pflanzennahrung ist für die kräftigende Diät weit weniger gut verwendbar, und zwar aus dem Grunde, weil in den pflanzlichen Nahrungsmitteln die stickstoffhaltigen Bestandtheile gegenüber den stickstofffreien in der Minderheit sind und weil ihre Vertheilung und Anordnung in den Pflanzen eine solche ist, daß ihre Verarbeitung für nicht sehr kräftige Verdauungsorgane eine schwer zu bewältigende Aufgabe bleibt. Einen annähernden Ersatz für das Fleisch hat man dadurch zu erzielen gesucht, daß man fein verarbeitetes Mehl von Bohnen, Linsen und Erbsen, sogenanntes „Leguminosemehl“ herstellte; und in der That verbindet dieses dank dem starken Stickstoffgehalt des Linsenmehls einen hohen Nährwerth mit verhältnißmäßiger Wohlfeilheit; allein das Fleisch läßt sich dennoch nicht ganz entbehrlich machen.

Indeß – aus Fleisch allein soll die kräftigende Diät durchaus nicht bestehen; sie bedarf auch der stickstofffreien Nahrungsmittel. Das ist der Platz, den die leicht verdaulichen Fette und Mehlspeisen auszufüllen haben. Am besten verträgt der Magen das Fett, welches sich in feinster Lösung in der Milch findet, dann dasjenige, welches im Eidotter vorhanden ist. Butter wird leichter aufgenommen als Speck. Die Mehlspeisen müssen so zubereitet werden, daß sie wenig Gährungsprodukte liefern und möglichst leicht von den Verdauungsorganen bewältigt werden können. Der Brei aus Mehl, Gries oder Reis, mit Milch gekocht, bildet die einfachste derartige Zubereitung, auch ein „Auflauf“ aus Mehl (Gries, Reis), Milch, Eiern und Zucker thut gute Dienste. Verbannt vom Speisezettel gehören jedoch die schweren fetten Gebäcke, Pasteten, Knödel und Kuchen, welche schon an einen ganz gesunden Magen hohe Ansprüche stellen.

Die Gemüse haben wenig Nährwerth und ihr Gefüge behindert die Verdaulichkeit, dennoch gehören auch sie auf die Tafel, um Abwechslung zu bringen. So namentlich junge grüne Gartenerbsen, junge grüne Bohnen, junge Karotten, Teltower Rübchen, Spargel, Spinat, Blumenkohl. Bei ihrer Zubereitung müssen sie fein zerschnitten, in Musform gebracht und gründlich gekocht werden. Kartoffeln sollen nur in geringer Menge, geröstet oder als Kartoffelbrei genossen werden.

Von den üblichen Frühstücksgetränken, Kaffee, Thee, Chokolade, verdient die letztere da, wo es sich um kräftigende Ernährung handelt, den Vorzug, weil sie am meisten Eiweißkörper enthält und reich an Fett ist. Wenn die Verdauungsorgane geschwächt sind und das Nervensystem Noth gelitten hat, werden die aromatischen Getränke Thee und Kaffee wegen ihres angenehmen Geschmackes und ihrer anregenden Eigenschaften schwer zu entbehren sein.

Unter allen Umständen ist es ersprießlich, die Ernährung auf mehrere Mahlzeiten am Tage zu vertheilen und die Verdauungsorgane an eine gewisse Regelmäßigkeit zu gewöhnen. Wir wollen dies an dem Beispiel einer Diät zeigen, welche sich für Blutarme (die jedoch nicht fiebern) eignet. Es empfiehlt sich ungefähr folgender Speisezettel: Früh sieben Uhr gleich beim Erwachen im Bette eine Tasse warmer Milch, in kleinen Schlucken zu genießen, damit sie leichter verdaut werde; nach einer Stunde zum Frühstück eine Tasse Chokolade, Kaffee oder Thee, Zwieback mit Butter bis zur Sättigung. Um zehn Uhr eine gute Fleischbrühe mit Ei, kaltes Fleisch mit Butterbrot oder ein halbrohes [591] Beefsteak. Mittags ein Uhr eine Tasse kräftige Fleischbrühe, Braten und Beilage, Kompot, leichte Mehlspeise, ein Glas Wein oder gutes abgelagertes Bier. Um vier Uhr nachmittags ein Glas Milch oder eine Tasse Thee mit Butterbrötchen. Abends sieben Uhr warmer Braten, geröstete Kartoffeln, ein Glas Bier (oder Wein). Zum Schlafengehen ein Glas warmer Milch, wiederum langsam zu trinken. Bei schweren Formen der Ernährungsstörung muß die Kost noch weit kräftiger sein, das Nähren des Kranken ganz planmäßig mit aller Aufmerksamkeit vorgenommen und eine wirkliche Fütterungskur unter Anleitung des Arztes durchgeführt werden.

Eine Aufgabe besonderer Art ist die Ernährung der Rekonvalescenten nach schweren Krankheiten. Hier ist besonders der Umstand zu berücksichtigen, daß die Verdauungsorgane geschwächt sind und ihnen daher nicht zugemuthet werden kann, viele Gerichte zu bewältigen. Die Nährstoffe müssen deshalb in der Form gereicht werden, welche ihre Anbildung am meisten erleichtert. Es eignen sich hier Milch (zuweilen sogar als ausschließliche Nahrung), Fleischbrühe, mit Liebigschem Fleischextrakt versetzt, oder frischer, durch Auspressen rohen Muskelfleisches gewonnener Fleischsaft, frischgelegte, gründlich gequirlte rohe Eier, rohes geschabtes Fleisch, halbrohe Beefsteaks, Mehlmus und die in neuerer Zeit vielfach hergestellten Peptone, welche die Eiweißstoffe in einem solchen Zustand bieten, daß sie leicht zur Aufsaugung gelangen. Die sorgsame Auswahl der Speisen für Rekonvalescenten ist ein solch dringendes Gebot, daß die Küche zuweilen ihre eigentliche Apotheke ist und daß ihr Arzt immerhin auch ein wenig – Feinschmecker sein sollte.


Eine Dichterin zu Pferde.

Wehmüthig mag uns das Schicksal lorbeergekrönter Poeten stimmen; auch über sie rauscht bald die Fluth der Vergessenheit – und selbst die Literaturgeschichten versäumen es, ihren Namen aufzuzeichnen.

Dies gilt von einer thüringischen, mit dem kaiserlichen Lorbeer gekrönten Dichterin, der Sidonie Hedwig Zäunemannin … wer kennt heutzutage ihren Namen? Und doch hätten die Vorkämpferinnen der Frauenrechte guten Grund, ihn dem Dunkel zu entreißen; denn die Zäunemannin war eine der ersten, welche für die freiere Stellung der Frauen in Vers und Prosa in die Schranken trat und mit gutem Beispiel ihre Lehren bestärkte. Das Verdienst dieser litterargeschichtlichen Ausgrabung gebührt E. Einert, der in seiner Schrift „Aus den Papieren eines Rathhauses“ (Arnstadt, Emil Frotscher) auch ihr ein Kapitel gewidmet hat. Dies Rathhaus ist dasjenige des thüringischen Städtchens Arnstadt – einer Dichterstadt, wo die Marlitt geboren wurde und starb, wo Wilibald Alexis seine letzten traurigen Lebensjahre zubrachte; doch die Zäunemann war keine Arnstädterin wie die Marlitt; nur vorübergehend ist sie bei ihren Fahrten und Ritten in der Stadt eingekehrt und nicht allzuweit von derselben hat ihr letztes Verhängniß sie erreicht.

Sidonie Zäunemann wurde in Erfurt 1714 geboren; schon früh legte sie in den befreundeten Häusern an den Wiegen neugeborener Kinder, an den Traualtären glücklicher Bräute ihre dichterischen Spenden nieder. Auch was sich sonst innerhalb des Mauernkranzes der alten Stadt begab, begeisterte ihre Muse. Und da trug sich ja auch manches Denkwürdige und Grauenhafte zu, wie der Tod der Frau Gottschöfsky, welche von ihrem eigenen Bruder, einem polnischen Fahnenjunker, mit siebzehn Wunden jämmerlich ermordet wurde, oder die große Feuersbrunst, die im Oktober 1736 Erfurt in Asche zu legen drohte. Doch über Erfurt hinaus wandte sie den Blick bald den thüringischen Landen zu, und auch ihr Ruf ging weit hinaus über die Stadtmauern. Die thüringischen Fürstenhöfe zeichneten sie durch besondere Gunst aus. Herzog Ernst August von Weimar und dessen Gattin, deren Kirchgang sie besungen, luden sie zum Weihnachtsfest nach Weimar ein, schenkten ihr werthvolle Bücher und zeigten ihr alle Herrlichkeiten ihres Lustschlosses Belvedere; der Herzog von Meiningen ließ sich bei einem Aufenthalt in Erfurt nur durch die Besorgniß, sein Inkognito zu verrathen, von einem Besuch im Hause der Dichterin abhalten. Ihm rühmt sie nach, daß die Poesie an seinem Hofe nicht „wie eine abgedankte Zofe“ behandelt werde. Auch allgemein deutschen Angelegenheiten wendet sie ihre Theilnahme zu: dem Prinzen Eugen von Savoyen widmete sie ein Geburtstagsgedicht, worauf der galante Prinz mit einem eigenhändigen Dankschreiben erwiderte. Alle Zeitungen wollten es abdrucken, allein die Dichterin verwahrte das Heiligthum, aus Furcht, durch solche Veröffentlichung den Prinzen zu erzürnen. Auch für die Wissenschaften hegte sie die lebhafteste Theilnahme, und als König Georg von England, Kurfürst von Hannover, „um neue Lichter anzuzünden“, die Universität Göttingen gründete, da gebrauchte die junge Hochschule alsbald die ihr vom Kaiser verliehenen Rechte und ernannte die junge Dichterin zur gekrönten Poetin. Frauen und Töchter der Professoren wanden den Lorbeerkranz, durchflochten denselben mit Silberband, und Graf Heinrich von Reuß überbrachte der beglückten Dichterin die Zierde. Später traf auch noch ein reich ausgestattetes Diplom ein, welches bestätigte, „daß der akademische Senat zu Göttingen aus eigner Bewegniß und einhellig beschlossen habe, der edlen und tugendhaften Jungfrau Sidonie Zäunemannin, der hochberühmten Poetin, die wohlverdiente Würde einer Kaiserlich gekrönten Poetin zu verleihen“. Zum Gedächtniß des großen litterarischen Ereignisses wurden Münzen geschlagen, die das Bild der Zäunemannin trugen oder auch wohl einen Schwan zeigten, der an der Dichterquelle Hippokrene sitzt.

Wo sind diese Münzen und wo ist der Ruhm der Dichterin geblieben? Sie selbst erklärte mit Bescheidenheit, sie werde nimmer eine deutsche Sappho, eine zehnte Muse sein, zu der man sie machen wolle. Und in der That dichtete sie im damaligen Zeitgeschmack, etwas schleppend und breitspurig, trotz einzelner Schönheiten, und nur in ihren Madrigalen zeigte sie einen behenden Geist. Wie man aber auch über ihre Gedichte denken mag – unvergessen muß es ihr bleiben, daß sie das Recht der Frauen auf den Lorbeer eifrig verfochten hat; sie spricht mit Bitterkeit von den eklen Deutschen, welche die öffentlichen Lehrsäle vom weiblichen Geschlecht ebensowenig entheiligen lassen wollen wie die abergläubischen Muselmänner ihre Moscheen; ein Weib, das nach Ruhm in der Kunst Apollos strebt, rufe den Hohn der ganzen Männerwelt wach:

„Ein Weib, das dicht’t und schreibt, heißt sie (bedenkt es nur)
Ein schönes Ungeheuer und Blendwerk der Natur.“

Die Männer verlangten ja von den Frauen keine andere Bildung, als daß diese Auskunft geben könnten:

„Wie oft die Küche raucht, wieviel man Holz verbrennt,
Was Flachs und Wolle nutzt und wie man näht und trennt.“

Ja nicht bloß in ihren Versen, auch in ihrer Lebensweise durchbrach die Zäunemannin die Schranken, welche weiblicher Sitte gesteckt waren, und ließ sich davon nicht durch Spott und Vorurtheile zurückhalten. Wenn es sie hinaufzog zu den Thüringer Waldgebirgen, so warf sie sich auf ein schnelles Roß und ritt nach Ilmenau zu ihrer geliebten Schwester. Um indeß zudringlicher Neugierde zu entgehen, entschloß sie sich zu einem weiteren kühnen Schritte und zog Männerkleider an. In ihren „andächtigen Feld- und Pfingstgedanken“ schildert sie einen solchen Ritt in stimmungsvoller und anschaulicher Weise. Sie erschrickt fast, als die Donner über ihrem Haupte rollen:

  „Du trägst ein Männerkleid!
Hat nicht der Herr gesagt, es soll ein Greuel heißen,
Der sich in and’rer Tracht dem Auge sucht zu weisen?

Doch beruhigt sie sich, da das Gesetz des Alten Bundes für Christen nicht mehr gelte. Wegen ihrer Männerkleidung wird sie der Herr nicht vor Gericht ziehen. „In solcher Tracht kann ich durch Blitz und Donner fröhlich reiten.“ Und in der That, muthig reitet sie durch Nacht und Sturm auf ihren Bergfahrten und fühlt kein Grauen vor der verrufenen Heide, wo es zur Nachtzeit umgeht.

„Der finstre Tannenwald hat mich gar nicht erschreckt,
Vielmehr sein sanft Geräusch die größte Lust erweckt;
Versucht’s, es reist sich nachts in Wäldern schön.
Ich hab’s erst nicht geglaubt; nun hab’ ich es gesehn.“

Und nicht genug damit – auch in die Tiefen der Berge steigt sie 1737 zweimal hinab, was wohl vor ihr keine ihres Geschlechts gethan hatte; sie wirft sich in Bergmannskleider, drückt den Schachthut aufs Haupt und nimmt das Grubenlicht in die Hand.

„Wer straft uns, wenn auch echter Geist
Ein Herz voll Muth und Feuer weist?“

Aber ihr Wagemuth sollte ihr doch noch zum Verhängniß werden; sie ließ nicht ab von ihren Ritten ins Gebirge, auch wenn Bäche und Flüsse geschwollen waren. So unternahm sie im Dezember 1740 eine Winterreise nach Ilmenau zu Pferd. Ein wenig aufwärts von dem Dörfchen Angelroda versuchte sie bei regnerischem und stürmischem Wetter den Uebergang über die Gera. Das armselige, vom hochgehenden Wasser umrauschte Holzbrückchen brach unter der Last von Roß und Reiterin zusammen und sank mit ihnen in die Fluth. Man fand die Leiche der Dichterin am 11. Dezember an den Ufern der Gera – in Plaue wurde sie unter feierlichem Geleit begraben. Sie hatte nicht ganz das Alter von siebenundzwanzig Jahren erreicht.

So hebt sich das Bild der jungen feurigen Dichterin, welche den Elementen trotzte wie den Vorurtheilen der Menge, vom Hintergrund einer schläfrigen Zeit und einer versumpften Litteraturepoche vortheilhaft ab, und dem begabten und kühnen Mädchen kann auch die Gegenwart ein bescheidenes Gedenkblatt widmen. Rudolf v. Gottschall. 


[592]

Zur Einweihung des Denkmals für Hoffmann von Fallersleben auf Helgoland.

Am 26. August 1892.

Auf der Wilhelmshöh’ bei Kassel war’s an einem Sommertag,
Als das Gold der Abendröthe auf der Bäume Wipfeln lag.
Deutsche Frau’n und deutsche Treue, deutscher Wein und deutscher Sang
Hatten in den deutschen Herzen aufgeweckt den Schaffensdrang.
Deutscher Frauen klare Augen sind der Frühlingssonne gleich,
Die hervorruft aus den Keimen lichten Maimonds Blumenreich.
Deutsche Treu’ ist Lebensodem, drin ein Hauch der Gottheit lebt;
Deutscher Wein ist Thau des Himmels, Labtrank, der uns aufwärts hebt
In das Strahlenreich der Sterne aus des Alltags engem Gang –
Das Empfinden wird Gedanke, der Gedanke wird Gesang! –
000000000000000
Als dem deutschen Vaterlande wir geweiht des Grußes Zoll,
„Deutschland, Deutschland über Alles!“ mächtig von den Lippen quoll –
Und da war’s mir im Gemüthe, einen Mann hätt’ ich geschaut,
Der am Riesendom der Einheit uns’res Reiches auch gebaut.
Nicht gebaut mit Blut und Eisen, nicht gebaut mit Stein und Kitt –
Jener war’s, der durch die Lande singend mit der Laute schritt,
Der in trüben dumpfen Tagen hoch der Freiheit Banner hielt,
Der am Deutschthum festgehalten, wie man ihm auch mitgespielt,
Der im Silberhaar erfreute sich noch frischer Jugend Schwung,
Der in deutsche Herzen streute Saaten der Begeisterung!
000000000000000
Ohne der Begeist’rung Saaten – merk’ es dir, du jung’ Geschlecht –
Keine großen Heldenthaten, keine Siege, wahr und echt,
Keines frechen Feinds Bemeist’rung, kein gewalt’ger Waffenstreich! –
Aus dem Samen der Begeist’rung wuchs empor das Deutsche Reich! –
000000000000000
Auf der Wilhelmshöh’ bei Kassel, als der Becher froh gekreist,
Sah ich leuchtend vor mir stehen dich, du Sängersmann, im Geist,
Sah, wie deine Augen blitzten, wie du nach gewohnter Art
Strichst, mein Freund und Sanggenosse, lächelnd deinen weißen Bart.
Und mir war’s, ich hätt’ vernommen durch den Becherklang den Ruf:
„Wollt den Dichter ihr vergessen, der das ‚Lied der Deutschen‘ schuf?
Soll, wo einst das Lied geboren, an der Felseninsel Rand
Nicht mein ehern’ Bildniß sprechen: Allzeit treu dem Vaterland!“
000000000000000
Das Empfinden ward Gedanke, der Gedanke ward zum Reim,
Und in wackern deutschen Herzen wuchs alsbald zur That der Keim.
Heute ist das Werk vollendet, Wahrheit ward des Dichters Traum:
Von der Insel schaut das Erzbild auf des Meeres Wogenschaum,
Von der Insel, wo die Nordwacht schirmt des Reiches Thor und Thür,
Die im Schutz des Kaiseradlers deutsch soll bleiben für und für!
000000000000000
Deutschland, Deutschland über Alles – doch vergessen sei auch nie,
Welches Deutschland hoch gepriesen uns des Sängers Poesie!
Einigkeit und Recht und Freiheit – auf den festen Säulen steht
Jenes Deutschland, das besungen einst begeistert der Poet.
Einigkeit – auf diesen Felsen muß es fest gegründet sein!
Weg die Großmannssucht der Kleinen, weg den Hader der Partei’n,
Weg den schnöden Streit der Klassen, weg des Zankes häßlich Bild,
Wenn es unsrer Aller Mutter, Deutschland über Alles gilt! –
Und das Recht, das heil’ge, hohe! Weh’ dem Frevler, der es beugt
Und den Rassenhaß entfesselt, der nur Blut und Unheil zeugt,
Dessen Zunge von dem Gifte allerschlimmster Schlangen trieft!
Fest zum Rechte, das uns heilig, das beschworen und verbrieft,
Und es werde nie vergessen, daß uns deutscher Bruder heißt,
Wer im Leben und im Sterben deutsch sich zeigt in Herz und Geist! –
Freiheit, Deutschlands dritte Säule! – Unser Eichkranz nicht verdorrt,
Mag man uns im Westen drohen, mag man grollen fern im Nord,
Mag sich über uns erheben noch so schwere Wetterwolk’,
Wenn wir Alle lernen leben mit dem Volk und für das Volk!
Weg den Hochmuth, der nur Brücken zu der Ehrsucht Ziel sich schlägt,
Der sich schämt, die Hand zu drücken, die der Arbeit Schwielen trägt,
Der nur Umschau hält nach Sklaven, dem bequem nur ist der Knecht!
Grimmig wird die Zukunft strafen, wer der freien Meinung Recht,
Wer des freien Bürgers Ehre voll und ganz nicht anerkennt.
Doch beschützt mit scharfer Wehre auch vor Pöbelregiment,
Vor dem Brecher der Gesetze sei mit kräft’ger fester Hand
Unser „Deutschland über Alles“, das geliebte Vaterland! – – –
An ein brüderliches Streben hat der Dichter uns gemahnt,
Der die Zeiten, die gekommen, vor Jahrzehnten schon geahnt.
Für die Freiheit hat gelitten er Verfolgung, Schmach und Noth
Und gejauchzt, als es erstritten, was als Zukunfts-Morgenroth
Vorgeschwebt einst seiner Seele! 000000000
000000000Klinge hell am Nordseestrand,
Steig’ empor aus jeder Kehle, Lied von unserm Vaterland,
Von dem „Deutschland über Alles“, dem wir unser Herz geweiht,
Festgegründet auf die Säulen: Freiheit, Recht und Einigkeit!
Unterm Schutz des Kaiseradlers, der vom Fels zum Meere flog,
Deutschland, Deutschland über Alles! – Jetzt und ewig:
  Deutschland hoch!
  Emil Rittershaus.



Ein deutsches Fischgut.

Von Emil Peschkau.

Es ist nun ungefähr ein Jahr her, daß ich gelegentlich einer Reise von Frankfurt nach Würzburg ein paar Bekannten meine Absicht äußerte, einen „Schritt vom Wege“ zu thun, um irgendwo interessante Eindrücke in mich aufzunehmen. Daraufhin empfahl mir der eine, in Gemünden auszusteigen und dort ‚Bratwürstel aufzunehmen‘. Die seien einzig in ihrer Art, namentlich in Verbindung mit Frankenbier. Wir lachten, dann aber sagte ein anderer, der ein theilnehmender Freund meiner Naturstudien ist: „Auch ich würde Ihnen zu Gemünden rathen. Ein paar Wandertage in der wenig besuchten Rhön werden Ihnen manche Beute bringen, und dann sollen sich in der Gegend große Fischzuchtanlagen befinden, wie man sie ja nur selten zu sehen bekommt. Das aber ist sicher etwas für Sie: den kleinen Fischlein zuzugucken, wie sie aus ihren Eiern herausschlüpfen.“ Diese Mittheilung genügte natürlich vollständig, um mich für Gemünden zu begeistern, und so nachhaltig war die Begeisterung, daß ich jetzt, nach einem Jahre, den Seitensprung, zu dem es damals nicht kommen sollte, doch noch unternahm.

Gemünden liegt in Unterfranken, an den Abhängen des Spessart und der Rhön. Saale und Sinn fließen hier in den Main, und zwei der meist befahrenen Bahnlinien – von Süd nach Nord und von West nach Ost – kreuzen sich in der Nähe des Städtchens. Dieses selbst zeichnet sich wirklich durch seine Bratwürste und sein Bier in hervorragender Weise aus. Aber auch sonst ist es gar nicht übel, und wenn man die lange, etwas holperige Hauptstraße hinaufschreitet, sieht man die schönsten alten Häuser und auf den Stufen davor, arbeitend oder neugierig lächelnd, noch viel schönere junge Mädchen. Dazu das Gebirge, das hinter dem malerischen Gemäuer ziemlich jäh aufsteigt, die halbzerstörten Schloßmauern, die über den Dachgiebeln emporragen, und der liebliche Blick in grüne Thäler und nach sanft geschwungenen, bewaldeten Höhen – das giebt ein gar trauliches Zusammenspiel, an dem man nicht gern flüchtigen Fußes vorübergeht. Aber wir wollen ja tiefer hinein in die Berge, und so wandern wir zurück nach dem Bahnhof

[593]

Aufbruch zur Jagd.
Nach einem Gemälde von C. Detti.

[594] und besteigen einen Zug der Sekundärbahn, die von Gemünden nach Hammelburg führt. Das ist so eine Art Dampfschnecke, die behaglich von Ort zu Ort schleicht – man merkt kaum, daß man weiter kommt, aber man kommt doch weiter und könnte dabei all die anmuthigen Landschaftsbildchen des Saalethales mit Gemüthsruhe in sein Skizzenbuch zeichnen. Endlich, nach einer guten halben Stunde, hält die Schnecke zum dritten Male – wir sind an unserem Reiseziel – dem „Fischgut Seewiese".

Aber . . . „was hat’s denn eigentlich mit solch einem Fischgut für eine Bewandtniß?“ haben nun wohl schon die meisten der Leser gefragt. „Warum züchtet man überhaupt Fische?“ „Reichen die Bewohner unserer Gewässer nicht aus, um das vorhandene Bedürfniß zu befriedigen?“

Was die letzte Frage betrifft, so müßte sie eigentlich anders gesteltt werden. Man müßte fragen, ob die in den Gewässern enthaltenen pflanzlichen und thierischen Nahrungsstoffe, die für den Menschen unmittelbar nicht verwendbar sind, durch Umwandlung in möglichst werthvolles Fischfleisch nicht weit besser ausgenützt werden könnten als bisher. Das sind auch Weideplätze, und was sie tragen könnten, geht bei uns leider größtentheils verloren. In England, wo man der Fischerei seit jeher besondere Aufmerksamkeit zugewendet hat, ist das ganz anders. Da ist zum Beispiel ein schottischer Lord, dem ein kleines Flüßchen jährlich die Summe von 120 000 Mark – für Angelkarten einbringt. Und die Angler sind zumeist kleine Leute, Arbeiter, die sich ein Sonntagsvergnügen machen und dabei ihren Tisch für ein paar Tage aufs billigste versorgen – noch dazu mit Fischen, wie sie bei uns in der Regel nur Millionäre und Defraudanten zu speisen pflegen. Wer das überlegt, wird sich leicht sagen, nach wie viel Richtungen hin unsere sozialen Verhältnisse werkthätig beeinflußt würden, wenn unsere Wasserläufe etwas mehr in den Vordergrund des öffentlichen Interesses träten. Neuerdings ist ja durch die segensreiche Thätigkeit der Fischereivereine schon vieles besser geworden, aber immer noch gehen ungeheure Summen für den Nationalwohlstand einfach verloren, weil so viele prächtige Weideplätze eben nicht – abgegrast werden.

Aber warum werden sie nicht abgegrast? Warum haben wir so wenig werthvollere Fische?

Die Antwort auf diese Frage giebt zugleich auch die Antwort auf die andere: Warum züchtet man Fische? Denn eine große Zuchtanstalt, wie das Fischgut Seewiese, beschäftigt sich eigentlich nur nebensächlich damit, feiste Lachse und Karpfen auf die Tafel zu bringen, wenn auch allein an Forellen etwa 30 Zentner im Jahr verschickt werden. Die Haupttäthigkeit ist der Heranzucht der Brut werthvoller Arten gewidmet, die dann in Flüssen, Bächen, Seen und Teichen ausgesetzt wird. So sehen wir denn auch im Augenblick, da wir die Anlage betreten, den Abgesandten des „Deutschen Fischereivereins“ sorgsam über eine Wage gebeugt, und in der Wagschale erblicken wir ein sonderbares Gewimmel winziger, dunkelschimmernder Geschöpfe – sie gehören zu den 150000 Lachsen, die der Anstalt eben entnommen werden, um den Neckar zu bevölkern. Und so gehen von Seewiese im Jahre durchschnittlich zwei Millionen Eier und eine Million junge Fischlein in die Welt. Diese „künstliche“ Bevölkerung der Wasserläufe aber ist nöthig, weil die Fortpflanzung der Fische eigentlich nur vom Zufall abhängt und oft unter störenden Einflüssen aller Art zu leiden hat. Auch haben sowohl die Eier wie die junge Brut zahlreiche Feinde – oder, wenn man will, „Liebhaber“ – aus dem Thierreich. So ist es kein Wunder, daß der Fischstand da oder dort, wenn er nicht besonders gepflegt wird, erheblich zurückgeht und daß werthvolle Arten bisweilen ganz verschwinden. Diesen Verlusten entgegenzuarbeiten, ist die Aufgabe der künstlichen Fischzucht.

Man züchtet allerdings auch Karpfen (Cypriniden) in Seewiese, aber entsprechend dem kühlen Bergwasser, das zur Verfügung steht, widmet man sich in erster Linie den Salmoniden, von welchen besonders die Bachforelle, der Saibling, die Seeforelle, der Rheinlachs, der schottische Lochleventrout, der nordamerikanische Bachsaibling, die kalifornische Regenbogenforelle und die Aesche (der Lieblingsfisch des Fürsten Bismarck) mit Erfolg gezogen werden. Daneben hat man auch Versuche mit anderen Arten, wie mit dem amerikanischen Forellenbarsch, dem Zander, der Maränte des Madüsees etc. gemacht, die indes bis jetzt nur zum Theil geglückt sind. Jede Art hat eben ihre besonderen Lebensbedingungen, erfordert besonderes Studium und besondere Pflege, und es giebt Fische, die so empfindlich und anspruchsvoll sind wie eine Primadonna oder ein Heldentenor.

In Seewiese haben sie es übrigens herrlich, und das Leben wird ihnen dort beneidenswerth leicht gemacht. Zwei köstliche Forellenthälchen senken sich hier rhönabwärts nach der Fränkischen Saale, das Thal der Schondra und das des Fischbachs, und das Wasser des letzteren wird für die Anstalt benutzt. Es ist so rein und frisch, wie sich’s eine Forelle nicht besser wünschen kann, und überdies entspringen ein paar Quellen auf dem Gute, die das ganze Jahr über immer kühles Naß spenden. Das Thälchen ist umgeben von bewaldeten Berghängen, so daß es weder an Schatten noch an reichlicher Insektennahrung fehlt, und ein paar Schritte weiter stießt die Saale vorbei, in der sich immer so viel Weißfische finden, als man zur Speisung der Lachse und Forellen bedarf. Man kann also den Fischen – was für die Zucht am günstigsten ist – genau dieselbe Nahrung bieten, die sie sich unter natürlichen Verhältnissen suchen, und andererseits ist in unserem nordischen Frühlingsklima kaltes Brutwasser ja auch eine Hauptbedingung für den Betrieb der künstlichen Fischzucht. Die Fischgattungen, um die es sich hier handelt, laichen in der späten Herbstzeit, und es gilt nun, das Ausschlüpfen der jungen Thiere möglichst zu verzögern, damit die Brut, wenn sie im Frühling ausgesetzt wird, den Tisch schon gedeckt findet. Je kälter aber das Brutwasser ist, desto langsamer geht auch das Brutgeschäft vor sich, desto später im Frühjahr kann man die Fischchen den Flüssen und Bächen übergeben.

Was nun die künstliche Fischzucht selbst betrifft, so ist sie keine Erfindung unserer Tage. Sie wurde schon in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von einem Deutschen Namens Jakobi ausgeübt, der sein Verfahren im „Hannoverschen Magazin“, Jahrgang 1763, ausführlich beschreibt. „Wenn die Forelle ordinär im Dezember den Laich ablegt,“ heißt es da u. a., „so nimmt man ein Weibchen und drücket von selbigem die Eier aus, welches durch ein sanftes Streichen aus dem Bauche des Fisches sogleich erfolgt, ohne daß man dem Fische etwas zu Leide thut. Wenn der Fisch aber geschlachtet werden soll, wird der ‚Laich‘ herausgethan, in eine thönerne Schüssel gegeben und zum Gebrauch hingestellt. Sodann nimmt man ein Männchen von der Forelle, streichet solches gleichfalls, lässet die davon kommende ‚Milch‘ auf die in der Schale befindlichen Eier fließen und rührt solches durcheinander. Mit dieser Schale geht man zu dem Bruttrog, dessen Boden ungefähr zwei Zoll hoch mit grobem Kiessand bedeckt ist, streut den Laich auf den Kiessand und gießt das Wasser in den Trog. Dann macht man den Deckel zu und beobachtet, daß das Wasser seinen beständigen Lauf behält.“

Das ist das Prinzip der künstlichen Fischzucht, und von ihm ausgehend haben sich nun verschiedenartige Systeme entwickelt, die im einzelnen zu besprechen hier natürlich nicht der Ort ist. Wir folgen vielmehr unserem Führer und treten in eine kühle geräumige Halle, in der ein beständiges Rieseln und Rauschen ist – das Bruthaus – und hier haben wir Gelegenheit, das keimende und wachsende Leben zu verfolgen, soweit dies eben angeht. Ist die künstliche Befruchtung vollzogen, so besteht die weitere Aufgabe des Züchters darin, die befruchteten Eier bis zum Ausschlüpfen und dann die junge Brut bis zur Selbständigkeit vor den Gefahren und Schäden zu bewahren, denen sie während dieser Zeit in der freien Natur ausgesetzt wären, und das geschieht eben im Bruthaus, in den Brutapparaten. Wir sehen hier, mit den Rückseiten aneinanderstehend, zwei Reihen von Tischen, auf welchen die Tröge angebracht sind – Kasten, die ungefähr 2 Meter lang, 60 Centimeter breit und 20 Centimeter tief sind. In diese Kasten fließt nun beständig das Wasser, das vorher 11 Filterkammern durchlaufen hat, die abwechselnd mit Kies und Schwamm gefüllt sind. Würde das Wasser einfrieren, so wäre eine Summe von 12000 Mark verloren – der Werth der eben in den Apparaten befindlichen Eier. Aber auch abgesehen von dem ununterbrochenen Zulauf des Wassers gilt es da manche Schwierigkeiten zu überwinden. Für Ei und Fischbrut müssen eben Bedingungen geschaffen werden, die den natürlichen möglichst entsprechen, alle Feinde und andere zerstörende Einflüsse wie Ungeziefer, Schlamm und so weiter müssen ferngehalten werden und anderes mehr. In [595] Seewiese setzt man nun in jeden dieser Tröge eine größere Anzahl kleiner Kästen, deren Boden – rostartig – durch Glasstäbe gebildet wird, und auf diesen Glasstäben ruhen die Eier.

Die Befruchtungsarbeit erfolgt, wie aus dem bereits Gesagten hervorgeht, im Spätherbst, im Winter. Da stelle sich der geneigte Leser einen Mann in hohen Stiefeln vor, der in einem Porzellangefäß die Eier und die „Milch“ zusammen rührt – der Mann ist in diesem Augenblick etwas wie ein Schöpfer.

Im Bruthause.
Nach der Natur aufgenommen von Hofphotograph C. Hertel in Mainz.

Hat er tüchtig, aber vorsichtig gerührt, dann werden die nun befruchteten Eier abgewaschen und auf die Roste aus Glasstäben hübsch nebeneinander gelegt. Es sieht aus, als ob man sorgsam geordnete Reihen kleiner gelber Erbsen vor sich habe. Da eine einzige Pfundforelle oft 1000 Eier liefert (der Karpfen hat auf das Pfund Körpergewicht etwa 100000 Eier!), so benöthigt man nur einer geringen Anzahl von Weibchen, um das Bruthaus zu versorgen. Dafür ist die Arbeit der Beaufsichtigung dann um so peinlicher und mühevoller, da die frisch befruchteten Eier auch gegen jede Bewegung äußerst empfindlich sind. Hat sich das junge Lebewesen dann soweit entwickelt, daß seine Augen im Ei als zwei schwarze Punkte sichtbar werden, so ist die gefährliche „Anbrütungsperiode“ vorüber. Die Eier sind nun weniger empfindlich und können – zwischen feuchte Watte oder Moos verpackt – auf die weitesten Entfernungen verschickt werden. Hat das durch die Brutapparate laufende Wasser eine durchschnittliche Temperatur von 21/2° R., so werden bei Forelleneiern die Augen als schwarze Punkte nach ungefähr 80 Tagen sichtbar, hat es aber eine Temperatur von 5°, so erscheinen die Augenpunkte schon nach 40 Tagen. In weiteren 40 Tagen schlüpft dann in letzterem Falle der junge Fisch aus. Wenn man also die Eier mittels Anwendung von Eis so verpackt und befördert, daß die sie umgebende feuchte Hülle sich während der Dauer der Reise nicht über 5° erwärmt, so kann der Transport ohne Schaden 30 bis 35 Tage dauern. Erhält man die Temperatur der Eier auf 21/2°, so können sie sogar 70 Tage lang reisen. Auf diese Weise ist es möglich geworden, den kalifornischen Lachs und andere Salmoniden Amerikas nach Europa überzusiedeln, und so ist es auch möglich, daß das Fischgut Seewiese seine Eier nicht bloß nach den meisten Staaten Europas, sondern auch nach überseeischen Ländern versendet.

Bleiben wir nun vor einem der Tröge stehen! Da liegen die kleinen „Erbsen“ still auf ihren Glasstäben unter dem krystallhellen, leise fortrieselnden Wasser, und nichts mahnt an Leben. Auch hier – einen Schritt weiter – ist alles still; nur hie und da hat eine der Erbsen ein Paar schwarzer Punkte, und da . . . ist es nur das Rieseln des Wassers – die Spiegelung – ein Schatten . . . oder bewegt sich das Ei wirklich, schwebt es wirklich gespenstisch wie ein seltsames Nebelgebilde daraus hervor? Wir nehmen einen Glasheber, suchen das Ding zu fassen, und jetzt . . . wahrhaftig, es ist kein Ei mehr, es ist ein Fisch, oder wenigstens das Gespenst eines Fisches, ein unheimlich anzusehendes träges Schattenwesen, das sich neben der Erbse, an der es haftet, in dem schimmernden Nasse fast verliert. Und nun machen wir wieder einen Schritt weiter, und da sind es keine Gespenster mehr, sondern wirkliche kleine Fischlein, die schon munter umherschwimmen, wunderbar munter, obgleich sie alle einen schweren Sack mit sich schleppen – die ganze, ganze Erbse. Aber diese Erbse ist eben das Glück der kleinen „Dotterlinge“. Sie kommen auf die Welt und brauchen weder Mama noch Papa noch einen Waisenvater, sie haben ihren „Dottersack“. Der hält so lange an, bis sie majorenn sind, bis sie sich selber durch die Welt helfen können.

Die Fischzuchtanlage Seewiese in der Rhön.
Nach der Natur aufgenommen von Hofphotograph C. Hertel in Mainz.

Ist der Dottersack aufgezehrt, bedürfen die kleinen Fische der Nahrung, dann ist es Zeit, sie in die Gewässer zu bringen, sie „auszusetzen“, wobei natürlich darauf zu sehen ist, daß sie die ihrem Alter und der Gattung entsprechenden Lebensbedingungen vorfinden. Ich habe schon erwähnt, daß Seewiese mehr Eier als Brut versendet – von ersteren zwei Millionen, von letzterer eine. Die Eier werden auf Rahmen gelegt, die mit Wollbarchent bespannt sind; eine Anzahl solcher Rahmen bringt man dann, nachdem sie mit Wasser getränkt sind, in einer Kiste unter, und zwar so, daß an allen Seiten etwa 8 Centimeter Raum bleibt, der mit nassem Waldmoos oder nasser Torfstreu und daneben mit Eis ausgefüllt wird. Die kleinen Fischchen verschickt man in kannenartigen Blechgefäßen, die, von Moos und Eis umgeben, in Körbe gestellt werden; für die Beförderung der größeren Thiere werden Holzfässer benutzt. Die [596] Brut, die in der Anstalt selbst ausgesetzt wird, kommt in Teiche, von denen das Fischgut Seewiese nahe an 30 enthält, die thalaufwärts an beiden Seiten des Fischbachs angelegt sind.

Der Bach ist am oberen Ende der Besitzung durch ein Wehr abgeschlossen, und von hier aus strömt das Wasser nach rechts und links beständig durch die Teiche – eine dritte Leitung geht nach dem Bruthaus. Ein Theil der Teiche ist der Aufzucht der jungen Brut gewidmet, in den anderen befinden sich, nach Gattungen und Jahrgängen geordnet, die größeren Fische, 6 Teiche werden allein von dem „Laichmaterial“ beansprucht, den Thieren, welche im Herste die Anstalt wieder mit Eiern versehen sollen. Die Teiche haben – damit das Wasser leicht vollständig abgelassen werden kann – geneigten Boden, sind am unteren Ende drei Meter tief und sämmtlich mit Schutzvorrichtungen gegen Verschlammung, Hochwasser etc. versehen. Dort wo das Thal sich verbreitert und der Waldschatten spärlicher wird, ist stellenweise Baum und Busch gesetzt, und kleine Inseln mit Strauchwerk beschatten die größeren Teiche von ihren Mittelpunkten aus – zugleich locken sie die Insekten an, die ja von den Forellen bekanntlich mit besonderer Vorliebe geschmaust werden. In jedem der Teiche befindet sich überdies – einen halben Meter unter dem Wasserspiegel – ein Speisetisch, auf welchem den Herrschaften ihre Mahlzeit vorgesetzt wird, was übrigens nicht geschieht, um ihnen „Lebensart“ beizubringen, sondern weil es praktisch von größter Bedeutung ist. Man kann sich auf diese Weise überzeugen, wie ihr Appetit beschaffen ist, und andererseits ist dafür gesorgt, daß das Futter nicht im Teiche liegen bleibt, dort in Fäulniß geräth und so das Wasser und damit die Fische schädigt. Eine Wanderung von Teich zu Teich, während die Tafeln besetzt werden, bietet ein Vergnügen eigener Art, und ich habe mir die Gelegenheit denn auch nicht entgehen lassen, mich mit eigenen Augen zu überzeugen, wie gut es den Zöglingen von Seewiese schmeckt. Man bekommt wahrhaftig selber Appetit, wenn man ihnen so zusieht, und gefährliche Visionen von blaugesottenen Forellen, thymianduftenden Aeschen und braunen Karpfen stellen sich ein. Zuletzt kostete es auch wirklich ein paar der munteren Gesellen das Leben.

Zu dem Fischgut gehören übrigens auch noch einige außerhalb der Besitzung gelegene Teiche, in denen Karpfen einquartiert sind. Auch sind in der Umgebung Fischereien gepachtet: so die der Schondra, 53 Kilometer lang, dann eine Strecke der Sinn und der Jossa.

Die Erkenntniß, daß die Entvölkerung unserer Fischwasser ein erheblicher Schaden für unser Nationalvermögen ist, verbreitet sich in immer weitere Kreise, es steht aber glücklicherweise in unserer Macht, diesem Schaden entgegenzuarbeiten. Und wie häufig bieten sich dem Landwirth ertragslose Flächen, die ohne große Kosten in nutzbare Fischwasser umgewandelt werden könnten! Das ist natürlich nur möglich, wenn man geeignetes Zuchtmaterial beziehen kann, und in Seewiese hat man denn auch bereits erfreulicherweise alle Hände voll zu thun. Die Besitzer des Fischgutes, die Herren Oberstlieutenant v. Derschau und G. Schellhorn-Wallbillich, werden für ihre Mühen und ihre Opfer durch das ihnen aus allen Welttheilen entgegengebrachte Vertrauen reichlich belohnt, und wenn man, gleich mir, längere Zeit in Seewiese verbringt, dann bekommt man nicht bloß Visionen von blaugesottenen und gebackenen Flossern, man fühlt auch die Lust erwachen … Briefmarkensammler zu werden.

Aber nun zum Schluß, denn wir wollen ja nicht bloß Fische studieren, sondern auch Berge, Thäler, Menschen. Und so nehmen wir Abschied von dem Rieseln und Rauschen und steigen rhönaufwärts in die einsamen Wälder, wo in der Morgenstille noch der Auerhahn balzt. Und dann hinunter nach Kissingen, wo uns vielleicht wieder eine Forelle aus Seewiese begrüßt … blau gesotten natürlich!


Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Der Amateurphotograph.

Skizze aus dem Familienleben von Hans Arnold.


Wer kennt nicht die nützliche, bisweilen auch unbequeme Einrichtung der „Steckenpferde“? Ich meine nicht die langen Stäbe, an denen oben ein Pferdekopf edelster Rasse mit Zaumzeug und Zügel befestigt ist und auf denen unsere kleinen Kavalleristen unter dem zehnten Lebensjahr durch die Stuben zu toben lieben – ich meine die Steckenpferde, die auch von älteren und alten Leuten mit Vorliebe bestiegen und getummelt werden, die, kurz gesagt, eine etwas überwuchernde Leidenschaft für eine oder die andere Beschäftigung oder einen und den anderen Gegenstand bedeuten.

Es giebt Zeiten und Persönlichkeiten, denen gegenüber die Steckenpferde sich als geradezu unentbehrlich und unschätzbar erweisen – wer hätte es nicht schon gesegnet, wenn sein Junge in den Ferien auf den geräuschlosen Sport des Briefmarken- oder Siegelsammelns gerieth und dieses Pferdchen in allen Gangarten tummelte! Wer fühlte sich nicht zur Dankbarkeit gestimmt, wenn der Vater des Hauses in beschäftigungslosen Urlaubs- oder sonstigen Freizeiten auf das „Gärtnern“ verfällt und von früh bis abends stumm und krumm Unkraut ausjätet, Blumen gießt oder Obst abnimmt!

Die Familie des Landgerichtsraths Scharff hatte in ihrem Marstall für Steckenpferde bisher noch nicht viel Exemplare aufzuweisen gehabt. Daß die Frau des Hauses, trotz ihrer drei Kinder, unglaublich „thierlieb“ war und einen großen Hund sowie einen Papagei besaß, konnte freilich für eine Familienmutter als ungewöhnlicher Zug und somit als Steckenpferd bezeichnet werden. Die Neigung forderte diese Benennung um so gebieterischer heraus, als beide Hausthiere auf den Unparteiischen nicht den geringsten Zauber ausübten.

Der Hund, ein greulich dreinschauender Köter, der auch nicht die leiseste Andeutung irgend welcher Rasse besaß, war fast so lang wie ein Klavier und führte den süßen Namen „Darling“, der ihm als sechs Wochen altem Hundebaby sehr nett zu Gesicht gestanden haben mochte, mit seinem jetzigen Aeußern verglichen aber als der reine Hohn erschien. Rechnet man dazu, daß „Darling“ die berechtigte Eigenthümlichkeit hatte, alles, was ihm in den Weg kam, von dem Fuchsteppich im Wohnzimmer bis zu den Filzpantoffeln des Hausherrn, anzufressen und zu benagen, so wird man die Summe seiner geselligen Talente und Vorzüge etwa erschöpft haben.

Der Papagei entwickelte seinerseits eine hervorragende Anlage, sich in jeder denkbaren Lage verhaßt zu machen.

War er im Käfig, so schrie er so laut und eintönig nach Freiheit, daß man ihn schließlich vor Verzweiflung der Haft entließ. War er aber draußen, so wanderte er boshaft und krummbeinig an der Erde umher, hackte nach allem, was ihm in den Weg kam, kletterte mit Gewandtheit zur Essenszeit auf den gedeckten Tisch und stattete den einzelnen Tellern der Speisenden kleine, freundschaftliche Besuche ab, die man aus Angst vor seinen Schnabelhieben ertrug. Eine jeweilige Tracht Prügel mittels einer Federpose oder einer hölzernen Stricknadel brachte keine wesentliche Verbesserung seines Betragens hervor. Daß er sagte: „Gieb einen Kuß!“ und sich bei guter Stimmung etwa vierzig Mal in der Minute krächzend erkundigte: „Bist Du mir gut?“ stand zu seinen übrigen Charaktereigenschaften in zu grellem Gegensatz, um besondere Rührung hervorzurufen, besonders da diese Worte die einzigen in seinem Sprachschatze blieben und den Reiz der Neuheit bereits verloren hatten.

Der Landgerichtsrath befand sich denn auch, was ihm niemand verdenken wird, in einem Zustand gereizter Gegnerschaft gegen den Krummschnäbler und versicherte öfters, er könnte sich ihn allerliebst in gebratenem oder ausgestopftem Zustand denken. Der Papagei erwiderte diese Empfindung insofern von Herzen, als er entschieden sich als Hausherr fühlte und den Vater im besten Falle mit überlegener Miene duldete – im schlechteren Falle aber in die Finger biß und ihm die Federhalter an- und auffraß.

Um den braven Mann zu beschwichtigen, hatte seine Frau ihm denn seinerseits ein Steckenpferd beizubringen versucht, und zwar, indem sie ihm zum Geburtstag einen photographischen Apparat nebst allen dazugehörigen Chemikalien und sonstigen Verschmitztheiten schenkte. Der diplomatische Schachzug glückte über Erwarten. Der glückliche Besitzer des Apparates warf sich mit einer Leidenschaft aufs Photographieren, die es zweifelhaft

[597]

Am Schächenbach.
Nach einem Gemälde von J. G. Steffan.

[598] erscheinen ließ, ob er nicht eigentlich seinen Beruf verfehlt habe und bei der Wiederholung der bekannten Wendung: „Bitte, recht freundlich!“ sich bedeutend wohler gefühlt hätte als beim Studium der Rechte.

Selbst die anfänglichen Mißerfolge, die er zu verzeichnen hatte, vermochten ihn nicht zu entmuthigen. Nachdem er durch etliche Handgreiflichkeiten seinen heranwachsenden Kindern die Lehre: „Alles ansehen, nicht anfassen!“ im wahrsten Sinne des Wortes „einverleibt“ und ihnen das mit einem alten türkischen Shawl der Mutter verhangene Stativ so unheimlich gemacht hatte wie das hochselige verschleierte Bild von Sais, begann der Amateurphotograph die Welt nur noch von seinem besonderen und augenblicklich vorherrschenden Gesichtspunkt aus zu betrachten.

Er verwandelte die ganze Häuslichkeit von Stund’ an in sein Atelier. Ein schwacher, aus Chlor, Terpentin und Kollodium zusammengesetzter Wohlgeruch schwebte jetzt beständig durch alle Räume, und nur der Landgerichtsrath selber merkte nichts davon, trotzdem er gemeinhin für die leisesten Ahnungen des Begriffs „angebrannt“ mit einer wunderbaren Spürnase gesegnet war, die seine Frau schon oft beseufzt hatte.

Das Wohnzimmer mußte zuerst photographiert werden. Der Vater zog mit dem Stativ in allen Ecken herum, um den Fleck zu entdecken, von wo aus sich der Raum am malerischsten ausnähme. Leider ergaben diese Rundreisen fast ausnahmslos, daß die Ecken, wo das Klavier oder der centnerschwere Schrank standen, die geeignetsten Punkte zur Aufstellung des Apparats boten, und die verhängnißvolle Aufforderung an den ältesten Jungen: „Faß’ mal an, Franz!“ gab durchschnittlich vier Mal des Tages das Zeichen zu einer so gänzlichen Umwälzung des Mobiliars, wie sie sonst nur bei Umzügen stattzufinden pflegt.

Die erste Aufnahme war denn aber doch endlich gemacht; im Weinkeller, der zur Dunkelkammer umgewandelt war, hatte man die Platte entwickelt, und der Landgerichtsrath, von seinen staunenden Kindern gefolgt, stieg triumphierend aus der Unterwelt empor und zog sich mit der ersten Frucht seines Fleißes in das Fremdenzimmer zurück, das sein Atelier war. Nach wenigen Stunden trat er zu seiner Gattin und legte mit stolzem Lächeln ein etwas schattenhaftes Blättchen vor sie hin: „Da, Elise – was meinst Du dazu?“

Elise bemühte sich redlich, in dem Dämmer die Umrisse des Wohnzimmers zu entdecken, und erklärte schließlich, mehr höflich als wahrheitsliebend: „Es scheint ja sehr scharf geworden zu sein!“

Nachdem die Gefahr, daß die Kinder das Blättchen in der Gier des „Laß mich sehn!“ zerreißen würden, glücklich abgewendet war, legte die Mutter das Kunstblatt auf ihren Nähtisch.

Da lag es allerdings am nächsten Morgen noch – aber die Sonne oder die Luft oder sonst ein boshaftes Element hatten jede Spur eines Bildes davon abgeleckt, und eine glatte, bräunliche Fläche ließ der Phantasie des Beschauers einen recht weiten Spielraum in Betreff dessen, was einmal darauf gewesen sein konnte. Dies Naturspiel wiederholte sich durch etwa acht Tage, während deren die geduldige Wohnstube immer wieder dem unermüdlichen Photographen „saß“, auf der Platte erschien und über Nacht verschwand, so daß in der Seele des Hausherrn schon die düstere Sorge auftauchte, daß Dilettanten am Ende immer nur diese höchst vorübergehende Freude an ihren selbstgefertigten Bildern hätten.

Aber die Ausdauer wurde belohnt! Ein Wink von sachverständiger Seite klärte den begangenen Fehler und damit zugleich den räthselhaften Vorgang auf, und der Landgerichtsrath erlebte den Triumph, daß seine Frau, die Jungen, das Töchterchen Hermine, ja sogar der Papagei und „Darling“ der Reihe nach von ihm photographiert und dauerhaft auf das Papier gebannt wurden.

Von diesem Augenblick an stieg die Leidenschaft des Hausherrn für seinen Apparat aufs höchste. Er verlor das Interesse für alles andere, und seine Familie sah ihn überhaupt nur noch in den seltensten Augenblicken, da er immer entweder mit dem Kopfe unter dem bewußten türkischen Tuch steckte und Aufnahmen machte, oder im stockfinstern Keller saß und Platten entwickelte. Er beobachtete die Seinen jetzt naturgemäß mit Falkenblicken auf Photographiermomente, und sowie seine Frau oder eins der Kinder sich ahnungslos in einer Stellung befanden, die der Vater für „malerisch“ erachtete, rief er plötzlich mit Donnerstimme: „Halt!“ und photographierte sie meuchlings. Viele seiner Bilder zeigten infolgedessen einen entsetzten Ausdruck, da die Betreffenden, so angeschrien, vor Angst nicht mehr eine Miene zu verziehen wagten, bis der Künstler sie aus ihrer Starrheit erlöste.

Selbst die Gesetze der Gastfreundschaft litten unter der alles beherrschenden Leidenschaft, denn die Besuche wurden nur noch daraufhin betrachtet, ob sie sich zu „Aufnahmen“ eigneten, und meist sofort nach ihrem Erscheinen für diesen Zweck eingefangen. Da die Vorbereitungen noch etwas lange dauerten und der Landgerichtsrath grob wurde, sowie sein Opfer sich rührte, so konnte es geschehen, daß ein Gast, der sich zu einem „Plauderstündchen“ eingefunden hatte, zwanzig Minuten in einer ihm gewaltsam aufgezwungenen Stellung vor dem Apparat saß, dann seine Zeit abgelaufen fand und nach Hause gehen mußte, ohne ein Wort außer „Guten Tag“ und „Adieu“ gesprochen zu haben.

Innerhalb der Familie legten sich freilich dem künstlerischen Schaffen manchmal Hindernisse in den Weg.

Es war beschlossen worden, ein wirkungsvolles Bild zusammenzustellen, welches alle Mitglieder des Hauses in einer strahlenden Einigkeitsgruppe verewigen sollte.

Da der Hausherr auf diesem Bilde, der Vollständigkeit halber, nicht fehlen durfte, aber doch unmöglich sich selbst photographieren konnte, so war die vielseitige Köchin des Hauses als vorübergehender Assistent für diese Aufgabe gewonnen und zum rechtzeitigen Entfernen und Wiederaufsetzen der Kapsel schon tagelang abgerichtet worden.

Mit der selbst bei kleineren Familien unvermeidlichen Schwierigkeit war alles versammelt worden. Die Mutter hatte „nur noch“ eine Speise auf den Herd stellen wollen – Franz und Anton mußten, wie gewöhnlich, aus allen Ecken zusammengesucht werden, da sie sich immer in den Augenblicken verkrümelten, wo sie gebraucht wurden, und ebenso unfehlbar mit größter Pflichttreue und Pünktlichkeit erschienen, wenn sie recht überflüssig und unerwünscht waren.

Hermine zeigte sich auch beschäftigt. Sie gehörte zu der Gattung der alles aufbewahrenden Menschen, deren rührende Anhänglichkeit an Gegenstände von zweifelhaftem Werthe und Geschmack ebenso berüchtigt ist wie ihre Leidenschaft, die Entstehungsgeschichte ihrer Besitzthümer bis in die Steinzeit zurück sich zu merken und dieselbe mit allen Einzelheiten in grauenhafter Ausführlichkeit irgend einem vor Ungeduld vergehenden Mitmenschen vorzutragen – selbstredend immer in den ungeeignetsten Augenblicken!

So war ihren Händen kürzlich ein weißes Zucker-Ei entglitten, das infolge seiner jahrelangen Aufbewahrung schon „in Ehren grau“ geworden war und sich nun noch eine Ecke abgeschlagen hatte. Diese Ecke suchte Hermine seit drei Tagen unter allen Möbeln, wühlend und weinend, trotzdem man ihr erstens mit allen naturwissenschaftlichen Gründen bewies, daß Zuckerstücke sich nie wieder ankleben lassen, und trotzdem zweitens Anton das fragliche Objekt schon längst gefunden und aufgegessen hatte. Diese Leistung war jedenfalls bewundernswerth, da der Leckerbissen nicht viel jünger war als er selbst.

Aber wie gesagt, Hermine suchte mit zäher Beharrlichkeit nach wie vor und stak eben wieder mit dem Kopfe unter dem Kleiderschrank, unter dem sie hervorgezogen werden mußte, um in der zu photographierenden Familiengruppe nicht zu fehlen.

Endlich war man vollzählig versammelt, der Vater gruppierte die Seinen mit Sachverständniß, und alles saß regungslos und holdselig lächelnd nebeneinander. Die Köchin zückte eben die Kapsel – da ertönte aus der nahen Küche ein zischendes Geräusch – und die Hausfrau, über der rauhen Wirklichkeit die Idealwelt der Kunst vergessend, erhob sich und stürzte mit dem Rufe. „Die Milch brennt an!“ davon, die wirkungsvolle Gruppe solchergestalt ihres Mittelpunktes beraubend.

Das Bild, welches doch „geworden“ war, zeigte an Stelle der Mutter ein leeres Stück Hintergrund, das von den Jungen mit den Worten: „Das ist die Mama!“ noch lange unter Freudengelächter gezeigt wurde.

Der Vater gab es nach diesem verunglückten Versuch zunächst mißmuthig auf, die Häupter seiner Lieben vollzählig zu [599] fixieren, und unternahm es, Hermine und Franz als inniges Geschwisterpaar in einer etwas gefühlvollen Stellung, die Köpfe aneinandergelehnt, zu photographieren.

Für Geschwister im Alter von acht bis fünfzehn Jahren giebt es nun erfahrungsgemäß keine furchtbarere Zumuthung als die, sich zu umschlingen, und so stieß der Vater auf lebhaften Widerstand, als er die beiden „stellte“.

Es half ihnen aber nichts, sie mußten sich unter Androhung der schwersten Strafen widerwillig aneinanderschmiegen und eine ganze Weile so stehen, bis der Vater die Vorbereitungen beendet hatte. Wie aber zärtliche Empfindungen sich nicht im Augenblick erzwingen lassen, das zeigte sich auch hier.

Das aneinander geschmiegte Geschwisterpaar begann sich sofort gegenseitig zu beschuldigen: „Du zwickst mich!“ „Du kitzelst mich!“ Sie wagten sich dabei zwar nicht loszulassen, standen aber im entscheidenden Augenblick mit einem so wenig liebreizenden Gesichtsausdruck nebeneinander, daß sie mehr an die Laokoongruppe mit den Schlangen als an ein Genrebild aus dem Familienleben gemahnten – nur daß weder Laokoon noch die Schlangen so wüthende Grimassen schnitten.

Der Vater jagte sie denn auch beide zornentbrannt vom Orte seiner Kunstbestrebungen fort und erklärte, er würde seine Kinder nur noch zankend photographieren, da dies ihr ungezwungenster Zustand zu sein scheine.

Wirkte der Apparat, wie wir hier sahen, nicht immer heilsam auf den häuslichen Frieden, so mußte er andererseits sogar der geselligen Lüge dienen.

Es fand sich eines Abends eine bewährte, aber als tödlich langweilig bekannte Freundin des Hauses zum Thee ein, ein Ereigniß, das sich durchschnittlich drei-, viermal im Jahre wiederholte und bei dessen jedesmaligem Eintritt der Landgerichtsrath nur mühsam die Ausbrüche seines Ingrimms zu gastlicher Höflichkeit herabmilderte.

Auch heute fesselte ihn die angeregte Unterhaltung nicht besonders. Die brave Dame erzählte allerdings mit erbarmungsloser Ausführlichkeit die genaue Lebensgeschichte ihres „Graukarrierten“, das sie eines Kaffeefleckes halber, den ihm die „liebe Schröder“ beigebracht, zertrennt hatte, chemisch reinigen ließ, dann wendete und mit schwarzem Kaschmir zusammen aufarbeitete – „und jetzt ist es wieder wie neu!“ versicherte sie den Hausherrn, der mit steigender Empörung auf das Schlußkapitel des aufregenden Romans gewartet hatte.

Bei diesem Wendepunkt der Unterhaltung stand der Landgerichtsrath auf.

„Ich habe noch ein paar Platten zu entwickeln,“ sagte er mit beängstigender Höflichkeit und Sanftmuth. „Sie entschuldigen mich wohl auf eine halbe Stunde, Fräulein Pauline!“

Und ohne die vorwurfsvollen Blicke seiner Frau zu beachten, begab sich der Hausherr ins Nebenzimmer, verwandelte es durch Schließen der Fensterläden in eine improvisierte „Camera obscura“ und legte sich behaglich aufs Sofa, um ein bißchen zu schlafen.

Die Damen „plauderten“ indes in der vorhin angedeuteten Weise weiter, und der Landgerichtsrath, von der halb durch die Thür vernommenen Beschreibung eines „Hellblauen vom vorigen Jahre“ in Schlaf gewiegt, schnarchte bald so laut und nachdrücklich, daß seine Gattin in ihrer tödlichen Verlegenheit sich zu der Versicherung hinreißen ließ, „Platten entwickelten sich immer so hörbar!“

Ob Fräulein Pauline dieses Naturspiel infolge ihrer mangelhaften photographischen Kenntnisse für bare Münze nahm, muß dahingestellt bleiben. Die Jungen behaupteten jedenfalls, sie wäre sehr beleidigt gewesen und hätte, nach ihrem kühnen Vergleich, dagesessen wie ein „säuerliches Stearinlicht“.

Man sieht, daß der Apparat ein vielseitiges Möbel war! Kleine häusliche Störungen und Leiden blieben dem Besitzer freilich nach dem Gesetz „Wo viel Licht ist, ist starker Schatten“ nicht ganz erspart.

Einmal benutzten Franz und Anton die Abwesenheit des Vaters, um sich gegenseitig zu photographieren, und zwängten, als der Landgerichtsrath überraschend an der Thür klinkte, die Platte in solch angstvoller Hast in den Kasten, daß sie nur mit größter Kraftanstrengung vermittelst der Kneifzange wieder zu entfernen war. Außerdem rannte der oben erwähnte Hund „Darling“ den Kasten einmal prasselnd um. Der Papagei wollte auch nicht zurückbleiben, sondern knabberte das eine Bein des Stativs an, bei welcher Gelegenheit er fast zum Heile des ganzen Hauses vom Landgerichtsrath zertreten worden wäre, aber wie alle unerwünschten Besitzthümer unverletzt aus der drohenden Gefahr hervorging. Seine in der Seelenangst sofort hervorgestoßene Gewohnheitsfrage: „Bist Du mir gut?“ erfuhr allerdings seitens des Vaters die ingrimmige und niederschmetternde Erwiderung: „Nein, ich kann Dich nicht ausstehen!“ Aber es ist zu befürchten, daß dies auf den Papagei wenig Eindruck machte.

Ob es die gänzliche Inanspruchnahme der väterlichen Seele durch das Photographieren war, was in der nächsten Zeit eine betrübende Rückwirkung auf die pädagogischen Leistungen in der Familie ausübte, das mag dahingestellt bleiben! Sicher ist nur das eine, daß die Kinder des Hauses neuerdings eine wahrhaft greuliche Ungezogenheit an den Tag legten. Jedes betrieb dieses angenehme Geschäft nach seiner Anlage und Fertigkeit – aber jedes war unerträglich.

Zum Theil stand die Bethätigung dieses erfreulichen Umstandes auch mit dem Photographieren im unmittelbaren Zusammenhang.

Bei Hermine, der zwölfjährigen, äußerte sich das Bestreben, unausstehlich zu sein, in beständigen Thränenströmen, ohne welche Backfische erfahrungsmäßig so wenig gedeihen wie eine Pflanze ohne Sonnenlicht. Hermine fühlte sich ohne Aufhören in ihren heiligsten Rechten und Gefühlen gekränkt, mißverstanden und moralisch getreten und hatte es darin zu einer bemerkenswerthen Fertigkeit gebracht. So war es geschehen, daß sie und die Mutter neulich im Keller dem Vater bei seinen photographischen Versuchen hatten Hilfe leisten müssen. Beide standen und wiegten im Stockdunkeln die Platten in ihren Alaunbädern etwa dreiviertel Stunden lang sanft hin und her – ein Zeitvertreib, der jetzt keineswegs zu den Seltenheiten gehörte.

Da brach Hermine plötzlich in ein geräuschvolles Schluchzen aus.

„Was hast Du denn?“ rief die Mutter erschrocken, während der Vater in selbstsüchtiger Sorge die Hand vorhielt: „Daß Du mir nicht etwa auf meine Platten weinst!“

Eine genaue Nachfrage ergab, daß Hermine im Stockfinstern der Mutter genickt hatte, und der Umstand, daß diese das begreiflicherweise nicht gesehen und nicht erwidert hatte, wurde ihr von der gefühlvollen Tochter als Herzlosigkeit ausgelegt und schwer verübelt.

Der nachdrückliche Rath: „Binde Dir ein andermal eine Glocke um den Hals, wenn Du mir im Finstern nicken willst, da werde ich’s hören, und im übrigen sei nicht verdreht!“ wirkte übrigens so beruhigend wie ein niederschlagendes Pulver – ganz abgesehen von der Drohung, daß demnächst eine Momentaufnahme von der heulenden Hermine gemacht werden sollte.

Die Jungen leisteten auch das Ihrige in Ungezogenheit. Der Landgerichtsrath, dessen Mußestunden jetzt fast ausschließlich durch Photographieren ausgefüllt waren, konnte sich nicht um die Schularbeiten seiner Söhne kümmern und beautragte den vierzehnjährigen Franz, er solle Anton, der eben zehn Jahre alt war, im Latein unterweisen, wobei er ihm für jede ertheilte Stunde ein Zehnpfennigstück in Aussicht stellte.

Dieses glänzende Honorar entflammte in Franzens Brust einen wahrhaft verzehrenden Lehreifer, und er wollte, um sich schnell zu bereichern, dem armen Anton mindestens sechs Stunden des Tages geben, was von diesem mit begreiflicher Entrüstung aufgenommen und durch beständige Fluchtversuche, durch Verstecken und Zetergeschrei vereitelt wurde.

Da in den Stunden die dem Lehrer geziemende, sanfte Geduld von Franz auch nicht immer beobachtet wurde, so knatterte es gewöhnlich dabei von Ohrfeigen wie Kleingewehrfeuer, und das Ende des Unterrichts bestand meistentheils darin, daß Lehrer und Schüler, sich balgend und kratzend, unter dem Tisch lagen, was den Kleidern ebenso förderlich war wie dem Latein.

Das Sehnen nach einem besonders schweren Verbrechen, anläßlich dessen ein Exempel statuiert werden könnte, hatte sich daher schon unbewußt der Familie des Landgerichtsraths bemächtigt.

Unter solch gewitterschwülen Stimmungen kam wieder der Geburtstag des Vaters heran, der in der Höhe des Sommers lag und rücksichtsvollerweise auf einen Sonnabend fiel, weshalb ein Unternehmen mit den Kindern nicht ausgeschlossen schien.

[600] Man plante denn auch einen Ausflug nach einer schön gelegenen Försterei, etwa anderthalb Stunden vor der Stadt, und ein wohl zubereitetes Abendbrot, als dessen krönendes Mittelstück eine süße Speise, mit Früchten belegt, prangte, wurde vom landgerichtlichen Kassenboten der Familie voraus in den Wald gefahren.

Diese süße Speise, von Anton fälschlich „die Torte“ benannt, hatte schon seit Tagen, während deren sie erst verheißen, dann zubereitet worden war, die fieberhafteste Aufregung bei den Kindern hervorgerufen.

Die erste Hälfte des Geburtstags war programmmäßig verlaufen, und Eltern und Kinder fanden sich in der vierten Nachmittagsstunde vor der Thür zusammen, zum Abwandern gerüstet. Der Apparat, als liebstes Familienmitglied, mußte natürlich mit, da der Hausherr schöne Punkte im Walde aufzunehmen beabsichtigte, und das Stativ war „mit dem Anstand, den es hatte“, sammt der süßen Speise und den Weinflaschen schon vorausgefahren.

Der schwere Kasten mit den Platten und sonstigem Zubehör wurde auf Antons Rücken geschnallt, der diese Inanspruchnahme seiner Gefälligkeit mit der ganzen Unausstehlichkeit begrüßte, deren zehnjährige Jungen in solchem Falle fähig sind.

Anton hatte sich schon von früh an in dem Zustand befunden, der auch artige Knaben bisweilen befällt – in einer grundlosen, aber sichtlichen Uebellaune, die ihn veranlaßte, jeden, der ihn ansah, je nach Stand und Alter, mit wüthenden Blicken zu bedenken oder ihm Püffe anzubieten, günstigen Falls sie auch auszutheilen.

Erst hatten die Eltern in der gehobenen Festesstimmung die Pöbelhaftigkeit ihres Jüngstgeborenen mit liebevoller Nachsicht übersehen. Als Anton aber, kaum daß der Kasten, den er tragen sollte, seinen Rücken berührte, unter sichtlichen Qualen zusammenbrechen wollte, hob sich die Hand des Vaters schon in vielversprechender Weise.

Die Mutter mischte sich ein.

„Bei der Hitze wird ihm der Kasten wirklich etwas schwer sein!“ meinte sie halblaut.

„Soll ich ihn etwa tragen, Elise?“ fragte der Vater scharf.

Die Mutter verstummte, denn da sie ihren „Darling“ mitnehmen wollte, durfte sie nichts gegen den Apparat sagen. Alle beglückwünschten sich im stillen, daß nicht noch der Papagei als angenehmer Zuwachs zu den geselligen Freuden sich dem Ausflug anschloß.

Die Familie setzte sich in Bewegung, ohne sehr rasch vorwärts zu kommen.

„Darling“, durch das seltene Vergnügen merklich aufgeregt, drückte seine Freude in sehr unbequemer Weise aus, indem er unaufhörlich an jedem einzelnen Theilnehmer des Spaziergangs in die Höhe sprang, heulte und bellte und dies nur unterbrach, wenn er irgend einem Huhne nachjagte; durch langgezogene, gellende Rufe: „Da–a–a–arling!“ mußte er dann zum Ergötzen der Vorübergehenden und zur schäumenden Wuth des Vaters wieder herbeigeholt und seinem ungesetzlichen Genuß entzogen werden. Anton, sonst durch Natur und Anlage sein berufener Wächter, konnte ihm heute wegen des schweren Apparats nicht nachjagen, wie jedermann begreifen mußte.

Anton fuhr inzwischen fort, sich unangenehm zu machen.

Er setzte sich alle fünf Schritt, anscheinend zum Tode erschöpft, an den Weg, obwohl der Kasten nicht ein Gramm schwerer war als der Tornister, den er täglich zur Schule trug, trabte dann wieder verdrossen weiter und wies jede Aufforderung, sich an der allgemeinen Unterhaltung zu betheiligen, ab. „Ich muß ja den alten Kasten tragen!“ murrte er, wobei ihm die Mutter durch vorwurfsvolles Mienenspiel und Seufzen recht gab.

Nach einiger Zeit schnallte er übrigens den Kasten los und machte unaufhörlich Versuche, ihn seinen Geschwistern hinterrücks aufzubürden – ja, als diese mißlangen und er vom Vater „nun gerade“ zum alleinigen Tragen der süßen Last verdammt wurde, blieb er mit „Darling“ zurück und befestigte den Kasten auf dessen Rücken. „Darling“, mit Recht empört über diese Zumuthung, rannte drei Schritt weit, um seinem Schicksal zu entgehen, und wälzte sich dann mit dem Kasten im Grase umher, ein Vorgang, der vom Vater bemerkt und mit einer leider etwas schwächlichen und daher ungenügenden Ohrfeige an Anton quittiert wurde. Außerdem verkündete das Familienoberhaupt dem unglückseligen Lastträger, daß er nicht mit den übrigen am Tische Kaffee trinken dürfe.

Die beiden anderen Kinder legten selbstverständlich eine herausfordernde, tugendhafte Artigkeit und Liebenswürdigkeit an den Tag, wie das Geschwister eines Verbrechers gerne thun – ein Verhalten, das den pharisäischen Wappenspruch: „Ich bin nicht so!“ deutlich an der Stirn trägt, und das die Abscheulichkeit des augenblicklich Ungezogenen noch schwärzer erscheinen läßt.

An der Försterei angelangt, ließ man sich fröhlich am Kaffeetisch nieder. Anton wurde sein Theil mit moralischer Verachtung an einen anderen Platz gestellt, und er durfte sich nicht an dem ungewohnten Genuß des Honigs betheiligen, so daß er sich mit einigem Rechte als der Elendeste aller Sterblichen erschien und die finstersten Pläne in seinem Innern wälzte.

Zu dem unbehaglichen Schatten, den es stets wirft, wenn ein Mitglied der Familie „in Ungnade“ ist, trat noch ein kleiner, betrübender Zwischenfall, wie er auf den wenigsten Familienlandpartien zu fehlen pflegt.

Der Förster, der unsere Freunde in seinem Besitzthum umherführte und dem Landgerichtsrath das Versprechen entlockte, seine Försterei auf photographischem Wege der Nachwelt zu überliefern, zeigte mit gerechtem Stolze seine Bienenstöcke.

Er ermuthigte die etwas schüchtern nähertretenden Fremden durch die heitere Zusicherung: „Kommen Sie nur ruhig dicht heran, meine Herrschaften – das sind italienische Bienen – die stechen nicht!“

Leider strafte im selben Augenblick ein gellendes Wehgeschrei Herminens den braven Bienenbesitzer Lügen – eines der nicht stechenden „Muster des Fleißes“ hatte seinen Stachel, ohne jede ästhetische Rücksichtnahme, in die harmlos emporguckende Stumpfnase der jungen Dame versenkt. Es blieb angesichts dieser schmerzlichen Thatsache nur die Annahme übrig, daß eine der italienischen Bienen einen Ausländer geheirathet habe, der die übeln Gewohnheiten seiner Landsleute noch nicht ganz abgelegt hatte.

Die Mutter, die solche Wuthblicke nach dem Förster schoß, als wenn nicht seine Biene, sondern er selber ihr Kind in die Nase gestochen hätte, ließ sich von der Försterin immer ein Hausmittel über das andere empfehlen. Der Tochter Thränen über ihr schwer geschädigtes Profil wurden endlich durch die Erlaubniß getrocknet, den Tisch zum Abendbrot mit decken helfen zu dürfen – ein Unternehmen, bei welchem Eile Noth that, da der Vater noch photographische Aufnahmen davon machen wollte, ehe die Sonne unterging.

Er beschäftigte sich mit Franz bereits mit den Vorbereitungen dazu, während Anton sich, noch immer mürrisch, in den Gebüschen umhertrieb und auf eigene Hand Zerstreuung suchte. Eine davon bestand darin, daß er mit „Darling“ „spielte“, eine Liebenswürdigkeit, über die der arme Hund von Zeit zu Zeit durch ein wüthendes Geheul quittierte, wenn Anton alle erziehliche Strenge, die an ihm selbst zu wenig ausgeübt wurde, an „Darling“ zur Anwendung brachte.

Der Abendtisch war bald gedeckt – zierliche Schüsseln mit Leckerbissen standen in reicher Abwechslung bereit, und die süße Speise lächelte als verlockendes Mittelstück durch die Waldesstille.

Der Vater rief jetzt alles zusammen, damit man ihm beim Aufstellen des Apparats behilflich sei, und die Aufmerksamkeit der ganzen Familie wurde naturgemäß durch diesen wichtigen Vorgang so sehr gefesselt, daß Antons Fehlen nicht weiter bemerkt wurde.

Eine hübsche Baumgruppe, der gedeckten Tafel zunächst, war als erstes Bild in Angriff genommen worden, und der Vater stieß die in solchen Augenblicken üblichen Verwünschungen gegen jeden aus, der dem Stativ zu nahe käme und die Situation verschöbe.

Die zweibeinigen Mitglieder der Familie umschlichen denn auch das Gerüst in scheuer Hochachtung – nur „Darling“, mit dem ihm eigenen Talent, sich nützlich zu machen, stürzte im letzten Augenblick, mit der ebenso erheiternden als erfolglosen Jagd auf seinen eigenen Schwanz beschäftigt, aus dem Dickicht und rannte mit fröhlicher Hast an den Apparat –

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Kasperletheater.
Nach einem Gemälde von Th. Pixis.

[602] gerade in der verhängnißvollen Sekunde, als der Vater die Kapsel abhob.

Merkwürdigerweise war das Stativ so freundlich, nicht umzufallen, sondern nur etwas zur Seite zu rutschen, so daß die Hoffnung nicht ausgeschlossen schien, es möchte ein, wenn auch etwas anderes, so doch brauchbares Bild entstanden sein.

Grimme Zweifel über den Ausgang des Unternehmens durchwühlten allerdings die Brust des ausübenden Künstlers, der nur noch mit geballten Fäusten einherging, sowie er „Darlings“ ansichtig wurde, und jeden Haselnußstrauch auf eine geeignete Gerte für den Vierfüßler ansah.

Die Stimmung des Vaters wurde etwas besänftigt dadurch, daß Anton inzwischen zur Einkehr in sich selbst gelangt schien und als sanftes, artiges Kind sich wieder zu den anderen gesellte.

Wie viel die Nähe des Abendbrots zu diesem innerlichen Vorgang beigetragen hatte, wollen wir nicht untersuchen, in jedem Falle nahm man ihn als vollendete Thatsache dankbar hin und enthielt sich wohlweislich jeder anerkennenden Bemerkung, die nach alter Erfahrung tobende Rückfälle in die kaum überwundene Ungezogenheit herbeizuführen pflegt.

Nach einem braven Spaziergang durch den Wald schien es an der Zeit, sich den Freuden der Tafel hinzugeben, die zugleich den Schluß der heutigen Vergnügungen bedeuteten.

Die Mutter schritt mit Feldherrnmiene voran, um einen letzten Blick über den lockenden Tisch zu werfen – prallte aber entsetzt zurück, denn ein unerfreuliches Bild bot sich ihren Augen dar!

Die Symmetrie der „süßen Speise“ war durch einen frevelhaften „Eingriff“ im vollsten Sinne des Wortes zerstört – eine unverkennbare Menschenhand hatte sich – vielleicht in der Absicht, eine der obenauf liegenden Früchte zu mausen, der glatten Oberfläche anvertraut und war, wie in zu dünnem Eise, bis über die Knöchel in dem weichen Element eingebrochen.

Ein allgemeiner Sturm der Entrüstung erhob sich, dem natürlich ein hochnothpeinliches Verhör folgte – aber ohne Erfolg!

Die an alle der Reihe nach gerichtete drohende Frage „Hast Du von der süßen Speise gegessen?“ begegnete allseitig und ausnahmslos einem höchst entschiedenen und überzeugungstreuen „Nein!“, und man sah sich starr und rathlos gegenseitig an.

Ein Vorschlag von Franz, die Hände sämmtlicher Kinder zur Probe in die zurückgelassenen Merkmale einzupassen, wurde als zwar zweckmäßig, aber unappetitlich mit großer Empörung zurückgewiesen. Die Familie konnte sich nur mit der Annahme trösten, daß irgend ein umherstreifender Unhold ihr diesen Schmerz angethan habe.

Wie man begreifen wird, litt die Stimmung beträchtlich unter diesem betrübenden Vorfall, und der einzige, der daraus Vortheil zog, war „Darling“. Man opferte ihm nämlich das geschädigte Mittelstück, und er hatte sonach alle Ursache, den Räuber als seinen ungenannten Wohlthäter hoch zu verehren.

Inzwischen dämmerte der Abend herauf, und man begab sich heimwärts.

Der Apparat wurde diesmal, um der Gerechtigkeit nicht ins Antlitz zu schlagen, von Franz übernommen, trotzdem Anton, der im Gegensatz zu seiner bisherigen Laune eine wahrhaft beängstigende Artigkeit an den Tag legte, sich freiwillig erbot, ihn auch zurückzuschleppen.

Der Rest der süßen Speise war den Förstersleuten zurückgelassen worden, da keines mehr Appetit darauf verspürte. Selbst Anton hatte nichts dagegen einzuwenden, obwohl er sonst die bekannte Redensart an sich rechtfertigte: „Der Junge muß Doktor werden – der graut sich vor nichts!“

Im ganzen konnte man übrigens den Ausflug, von diesem Speiseabenteuer abgesehen, doch für ein gelungenes Unternehmen erklären. Herminens Bienenstich schwoll schon ab, Franz trug ohne Geknurr den Kasten, Anton war artig geworden, und einige Platten brachten besonders hübsche Momente des Tages mit heim, die im Weinkeller ihrer Auferstehung entgegen harrten.

Da der nächste Tag ein Sonntag war, so konnte nach der Kirchzeit, von Berufsgeschäften ungehindert, das Entwickeln der Platten vor sich gehen.

Anton und Franz wurden zum Helfen befohlen und standen mit dem Hausherrn beim rothen Lichte der kleinen Laterne im Keller – nicht nebeneinander, sondern durch den Vater getrennt, da die unausbleiblichen gegenseitigen Püffe das Gleichgewicht der Schalen, in denen die Platten lagen, nicht unerheblich bedroht hätten.

Der Vater als der, „der all dies Herrliche vollendet“, behielt sich das reizvolle Geschäft des ersten Hervorrufens seiner Bilder vor und schaukelte emsig.

Die Jungen sahen zu.

„Ich bin neugierig, wie es geworden ist,“ bemerkte der Amateur, „das Unthier, der ‚Darling‘, hat mir ja das Stativ im entscheidenden Augenblick verschoben – wer weiß, ob überhaupt etwas herauskommt!“

„O ja!“ rief Franz, „da sind schon Bäume!“

„Ja, ja!“ bestätigte der Vater, „aber das ist ein anderer Vordergrund – was wird denn das?“

Anton drängte sich ungeduldig näher. „Zeig’ doch!“ bat er fröhlich und unbefangen – um aber im nächsten Augenblick ungefähr die Empfindung der beiden Uebelthäter zu theilen, die sich durch die Kraniche des Ibykus verrathen fühlten.

Auf der Platte erschielt nämlich mit erbarmungsloser Deutlichkeit der gedeckte Abendtisch, die „süße Speise“, und – darüber schwebend – das sprechend ähnliche, gierige Gesicht Antons nebst seiner eben in die Speise versinkenden kleinen Pfote!

Der Apparat hatte sich in allen unerwarteter und für Anton geradezu vernichtender Weise als Detektiv benommen – und der Stoß, der ihn aus seiner Lage brachte, sollte für den Speiseattentäter die betrübendsten, wenn auch pädagogisch segensreichsten Folgen haben.

Der Vater fand zuerst die Sprache wieder. Er faßte seinen Sohn voll gerechtfertigter Empörung am Ohrläppchen und riß tüchtig drauf los.

„Was ist denn das?“ rief er zornig.

„Mein Ohr!“ winselte Anton in nicht ganz logischer, aber erklärlicher Beantwortung dieser Frage und versuchte der väterlichen Hand zu entfliehen.

Aber wieder erwies sich die photographische Kunst als wirksame Unterstützerin erziehlicher Grundsätze – der Keller war, um jeden Lichtstrahl zu vermeiden, zugeschlossen, und nach einer wilden Treibjagd, an der sich übrigens Franz anständigerweise nicht betheiligte, erwischte der Vater das photographierte moralische Ungeheuerchen und verabfolgte ihm eine eindringliche und heilsame Erläuterung zu den verschiedenen Gesetzen, die er freventlich übertreten hatte.

Anton hatte übrigens den einen schwachen Rechtfertigungsgrund für sich anzuführen, daß er nicht geradezu „geschwindelt“ hatte, denn sein „Nein!“ auf die Frage: „Hast Du von der Speise gegessen?“ entsprach den Thatsachen.

Er hatte im Schrecke über sein Mißgeschick seinen Vortheil nicht wahrgenommen und nichts von dem Raube gekostet! Aber der in dieser ausweichenden Erwiderung liegende Sophismus verlangte, verdiente und erhielt die bewußte „Jacke voll“, die zum Heile unserer heranwachsenden Jugend noch nicht ganz aus der Mode gekommen ist und sich wohl auch noch so lange erhalten wird, wie es unartige Jungen und – vernünftige Väter giebt!

Daß dieser spezielle Vater nach dem erzählten Erlebniß aber seinen Apparat als moralischen Erzieher noch einmal so hoch hielt wie früher, versteht sich von selbst. Es läßt sich ja auch gar nicht leugnen, daß er sich in diesem Falle als ungewöhnlich praktisch bewiesen hatte.

Der Landgerichtsrath verfertigte von der verhängnißvollen Platte denn sofort mehrere Abzüge mit der furchtbaren Drohung, bei der nächsten Ungezogenheit einen davon in Glas und Rahmen an Antons Klassenlehrer zu schenken – und bei hartnäckiger Nichtsnutzigkeit Antons dereinstige Braut auch mit diesem verewigten Bubenstreich zu bedenken.

Wenn Anton nun kein Musterknabe wird, kann niemand etwas dafür – und besonders nicht der Vater und der Amateurphotograph!


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Eine klassische Pflanzstätte der Musik.

Im südwestlichen Stadttheil Leipzigs, auf dem Grund und Boden des ehemaligen Botanischen Gartens, hat seit einigen Jahren das königliche Konservatorium der Musik ein neues Heim gefunden. In unmittelbarer Nähe vom „Neuen Gewandhaus“, dem musengeweihten Tempel edelster Instrumental- und Vokalkunst, nicht weit vom künftigen Reichsgerichtsgebäude, steht nunmehr die Musikanstalt, von der man mit einer Stelle aus Mendelssohns „Paulus“ singen kann: „in alle Lande ist ausgegangen ihr Schall.“ Apollo, der Gott mit der Leier, und die blind abwägende Göttin Themis, so wettig sie gemeinhin voneinander sich angezogen fühlen, haben hier fast nebeneinander ihre Altäre aufgeschlagen, bahnen ein friednachbarliches Verhältniß im buchstäblichsten Sinne an und bringen den Hauptruhm Leipzigs, eine Hochburg deutscher Kunst und Wissenschaft zu sein, nicht bloß zu heißen, aufs handgreiflichste zur Anschauung. Spricht der pleißathenische Volksmund von einem „Musikantenviertel“ und meint damit den Stadttheil, wo die Straßen getauft sind mit den Namen eines Sebastian Bach, Adam Hiller, Moscheles, David, Marschner, so lag es nahe, Leipzigs berühmtes Kunstinstitut in deren Nähe zu verlegen und beziehungsreich genug ist es die geweihte Klassikertrias Haydn, Mozart, Beethoven, die mit den nach ihnen benannten Prachtstraßen um das Konservatorium sich gruppiert und es mit schützendem Auge bewacht. Wer da weiß, mit welch bescheidenen, fast dürftigen Räumen sich diese musikalische Hochschnle vom Tage ihrer Begründung ab länger als vierzig Jahre behelfen mußte, wer das frühere Gewand, die unfreundlichen Lehrzimmer, die zum Theile recht schadhaft gewordenen Uebungsinstrumente und wenig ausreichenden Lehrmittel des alten Konservatoriums sich vergegenwärtigt und ihnen die neue Verfassung gegenüberstellt, der darf einer freudigen Ueberraschung Raum geben. Ein Gang vom alten Hause (im Hofe des alten Gewandhauses am Neumarkt und an der Universitätsstraße) in das neue Gebäude in der Grassistraße ist gleichbedeutend mit einem plötzlichen Schritte aus der Armuth zum Reichthum: dort die unscheinbare Hütte, hier ein stattlicher Palast; dort die Abwesenheit jeglichen verschönenden Ausschmuckes, hier die Gegenwart von allem, was die Musen anlocken kann, sich dauernd niederzulassen in ihrer würdigen Räumen; dort alles eng, luftarm, hier eitel Licht und Sonnenschein; dort die Anstalt inmitten des Getöses der Handelsstadt, hier ihrem Lärme entrückt und im Sommer gegrüßt von den Lerchen der Felder und dem Nachtigallenlaut eines nahen Haines. Wohl hat sich trotz ärmlicher Anfangsverhältnisse das Leipziger Konservatorium einen Weltruf zu verschaffen gewußt; ihn sich zu bewahren, muß ihm um so leichter gelingen, als es jetzt auch in seiner äußeren Erscheinung vollständig auf der Höhe der Zeit steht.

Mit gerechtem Stolze betrachtet nicht allein der Leipziger, sondern überhaupt jeder Kunstfreund das Prachtgebäude und preist den Hochsinn jenes Gönners, der durch ein großartiges Vermächtniß das Entstehen desselben ermöglicht hat.

Lange vor der Zeit, ehe von irgend welcher Seite an die Begründung einer musikalischen Akademie gedacht wurde, war Leipzig bereits eine hochangesehene musikalische Bildungsstätte. Die altehrwürdige Thomasschule, deren Mauern leider bald vom Erdboden verschwinden werden, wie viele gewaltige Lehrmeister der Tonkunst hat sie in ihren Kantoren aufzuweisen und wie groß ist die Zahl ihrer Schüler, die in der Kunstgeschichte einen glanzvollen Namen sich errungen haben! Wo ein Johann Sebastian Bach nicht nur seine Söhne unterrichtet, sondern noch manchen anderen strebenden Musiker freudig gefördert und damit einen Samen ausgestreut hat, der für die deutsche Kunst herrliche Früchte ersprießen ließ, da war in gewissem Sinne bereits ein Konservatorium erbaut, wie es in der Folgezeit, als der Kantor der Kantoren seine Augen für immer geschlossen hatte, nirgends wieder ins Leben treten konnte, einfach deshalb nicht, weil keiner wiederkam, der mit ihm sich messen durfte an Geistestiefe, Arbeitskraft und schöpferischer Urgewalt.

Der Umschwung der Zeiten brachte auch für die musikalische Erziehung nach und nach einen Wechsel in der Lehrmethode mit sich. Je mehr sich seit Beginn unseres Jahrhunderts die Herrschaft der Musik in Deutschland erweiterte, desto mehr wuchs das Verlangen nach musikalischen Anstalten, in welchen die Kunst in gleicher Vielseitigkeit gepflegt würde wie auf den Universitäten die Wissenschaft. In Italien hatte man schon in früheren Jahrhunderten ein ähnliches Bedürfniß empfunden. Die Musikschulen zu Neapel, Venedig, Bologna suchten es bestmöglich zu befriedigen. Auf den Konservatorien zu Paris und Prag begann man am frühesten, neuen Gesichtspunkten in Leitung und Lehrfächern Rechnung zu tragen. Im zweiten und dritten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts erfreute sich in Norddeutschland die von Friedrich Schneider, dem Schbpfer des „Weltgerichtes“, in Desau begründete Musikschule großen Ansehens, und es gereicht ihr gewiß zur besten Empfehlung, daß aus ihr einer unserer edelsten und geschätztesten Lyriker, Robert Franz, hervorgegangen ist. Trotz alledem konnte sie aus mancherlei Gründen nicht so voll und ausgiebig sich entfalten, wie es im Interesse der Kunstjünger wünschenswerth sein mochte. Eine Kunst- und Universitätsstadt von dem hohen Rufe Leipzigs erfüllte doch besser die Voraussetzungen, mit denen eine Musikakademie zu rechnen hat.

Mendelssohn hatte bereits seinen „Paulus“ geschrieben und sich als Komponist viele glänzende Ruhmeskränze errungen, als er im Jahre 1837 auf Anregung seines Freundes Conrad Schleinitz, Rechtsanwaltes in Leipzig, sich zum ersten Male mit dem Gedanken befaßte, eine Musikschule größeren Stiles in Leipzig zu gründen. Er stand auf der vollen Höhe seines Ruhmes, als er im Jahr 1843 den Plan zur Ausführung bringen konnte. Es scheint uns dieser Umstand bemerkenswerth, weil daraus ersichtlich ist, daß es ihm bei dieser That am allerwenigsten um Befriedigung persönlichen Ehrgeizes, sondern lediglich darum zu thun war, den werdenden Fachmusiker aus dem seitherigen Unterrichtsschlendrian herauszureißen und ihn den Segen einer anregenden Methode kosten zu lassen. In einer Bittschrift, die darauf abzielt, dem noch ungeborenen Kunstinstitut die Zuwendung eines für Kunstzwecke im allgemeinen von Dr. Heinrich Blumer ausgesetzten Legates von 20000 Thalern zu sichern, eröffnet er die Gesichtspunkte, von denen aus er die hochwichtige Angelegenheit betrachtet wissen will: „Bei der vorherrschend positiven, technisch materiellen Richtung der Zeit wird die Erhaltung echten Kunstsinnes und seinen Fortpflanzung zwar eine doppelt wichtige, aber auch doppelt schwere Aufgabe. Nur von Grund aus scheint die Erreichung dieses Zweckes erzielt werden zu können, und wie für jede Art geistiger Bildung die Verbreitung gründlichen Unterrichts das beste Erhaltungsmittel ist, so auch gewiß für die Musik. ... Durch eine gute Musikschule, die alle verschiedenen Zweige der Kunst umfassen könnte und sie alle nur aus einem einzigen Gesichtspunkte als Mittel zu einem höheren Zwecke lehrte, auf diesen Zweck alle ihre Schüler möglichst hinführte, wäre jener praktisch materiellen Tedenz, die ja leider auch unter den Künstlern selbst viele und einflußreiche Anhänger zählt, jetzt noch mit sicherem Erfolg vorzubauen.“

An einer anderen Stelle gedenkt er der vortheilhaften Einflüsse, die von Leipzigs wissenschaftlichen Bildungsstätten und vor allem von der Universität für die geplante Anstalt mit Sicherheit zu erwarten seien und betont außerdem: „Leipzig hat gerade für den Zweig der Kunst, der immer eine Hauptgrundlage des musikalischen Studiums bleiben wird, für höhere Instrumental- und geistliche Kompositionen, in seinen sehr zahlreichen Konzerten und Kirchenmusiken ein Bildungsmittel für angehende Tonkünstler, wie es wenig andere deutsche Städte in dem Maße aufzuweisen haben.“

Diesen Ausführungen hatte Mendelssohn noch den Grundriß eines Organisationsplanes beigefügt; am 16. Januar 1843 konnte das erste Programm der neuen, auf den Namen „Konservatorium der Musik“ getauften Musikschule der Oeffentlichkeit übergeben werden. Ohne das außerordentliche organisatorische Geschick und ohne die Ausdauer, die Mendelssohn besaß, würde das Unternehmen schwerlich zu erwünschtem Gedeihen gelangt sein. Mit scharfem Auge für alles Erlernenswerthe bewaffnet, war er keinen Augenblick über die Gestaltung und den Umfang seines Lehrplanes im Zweifel; um so sicherer durfte er auf eine durchgreifende Ausführung seiner pädagogischen Ideen rechnen, als ein günstiger Zufall ihm für die Hauptfächer eine Anzahl hervorragender Lehrkräfte in unmittelbarster Nähe zur Verfügung stellte.

Indem er sich selbst den Unterricht im höheren Klavierspiel, in Komposition und Sologesang vorbehielt, widmete er sich der [604] neuen Thätigkeit mit rühmenswerthester Gewissenhaftigkeit und großem Erfolg und trachtete nie nach der Würde eines Direktors, die man ihm nur zu gern übertragen hätte; er wollte nur als Künstler eingreifen und sich in keiner Weise einengen lassen vom geschäftlichen Drum und Dran. In Moritz Hauptmann, der auf Mendelssohns Befürwortung seit kurzem als Thomaskantor angestellt worden, war für die theoretischen Zweige, Harmonielehre Kontrapunkt, ein Mann gefunden, der in der Musikwissenschaft mit dem epochemachenden Werke „Natur der Harmonik und Metrik“ unvergängliche Verdienste sich erworben und mit seinen gemüthvollen Motetten und anderen geistlichen wie weltlichen Chorsätzen sich auch als Komponist ausgezeichnet hat.

Mendelssohns vertrautester Haus- und Jugendfreund, Ferdinand David, der das Amt eines ersten Konzertmeisters am Theater- und Gewandhausorchester bekleidete, übernahm den Unterricht im höheren Violinspiel; bis zu seinem am 19. Juli 1873 plötzlich erfolgten Tode ging er auf in seinem pädagogischen Beruf; nahezu die ganze musikalische Welt hat er versorgt mit ausgezeichneten Violinisten, unter denen sich Virtuosen ersten Ranges wie Joachim, Wilhelmj etc. befinden.

C. F. Becker, Organist an der Nikolaikirche, war mit dem Orgelspiel, Ferdinand Böhme mit den Gesang- und Chorübungen betraut, Moritz Klengel mit Violinspiel zweiter Klasse; Louis Plaidy, dessen „Technische Studien“ für Klavier noch heute in ihrer Art unübertroffen sind, Ernst Ferdinand Wenzel, ein sehr eigenartiger, im Aeußern stark an Beethoven erinnernder Musiker von wissenschaftlicher Durchbildung, hatten den minder Vorgerückten Klavierunterricht zu erteilen, während Robert Schumann, obgleich er längst infolge einer Fingerverstümmelung auf die Lorbeeren des Virtuosen Verzicht geleistet hatte, sich an der Leitung der ersten Klavierklasse betheiligte; außerdem lag ihm ob die Durchsicht von Privatarbeiten in der Komposition. Wenn der große Tondichter auf diesem Felde der Wirksamkeit ebensowenig wie als Dirigent Lorbeeren zu pflücken vermochte, so kann das keinen überraschen der Schumanns Eigenart näher kennt. Nichtsdestoweniger darf Leipzigs Konservatorium stolz darauf sein, einen so glanzvollen Namen auf der Liste seines ersten Lehrpersonals zu finden. Frau Bünau-Grabau, einst eine sehr geschätzte Konzert- und Oratoriensängerin, fand Anstellung als Gesangslehrerin.

Das königliche Konservatorium der Musik zu Leipzig.

So beschaffen war das erste Lehrerkollegium des Leipziger Konservatoriums. Mit dem Eintritt des damaligen Universitätsmusikdirektors und späteren Professors und Thomaskantors Ernst Friedrich Richter war ihm vom zweiten Semester ab eine weitere Lehrkraft ersten Ranges geworden, die sich denn auch in der Folge so nachhaltig bewährte, daß jeder seiner Schüler dem unvergeßlichen, am 9. April 1879 verstorbenen Manne liebevolles und treues Gedächtniß weiht.

Mendelssohn, der im November 1843 nach Berlin übergesiedelt, 1845 aber bereits wieder nach Leipzig zurückgekehrt war, ließ nichts unversucht, der neuen, fröhlich gedeihenden Anstalt einen Klaviervirtuosen von Weltruf als Lehrer zuzuführen; sein Augenmerk hatte er stets gerichtet auf Ignaz Moscheles, der damals in England ungetheilten Beifall genoß und wie ein König das dortige Musikleben beherrschte.

Aus dem Briefwechsel zwischen Mendelssohn und Moscheles wissen wir Näheres über die in dieser Angelegenheit gepflogenen Unterhandlungen, und als diese zu einem günstigen Abschluß führten und Moscheles 1846 sein neues Amt antrat, da war niemand glücklicher als Mendelssohn. Moscheles übte namentlich auf die musikstudierenden Jünglinge Albions und zugleich auf alle diejenigen eine starke Anziehungskraft aus, die in ihm den vorzüglichsten Vertreter aus der guten alten Zeit der Klaviervirtuosität erblickten. Er blieb bis zu seinem am 10. März 1870 erfolgten Tode eine leuchtende Zierde des Konservatoriums, bis zur Stunde noch wirkt er fort in einer Reihe trefflicher, seiner Schule entstammenden Pianisten.

Nach anderer Richtung griff Dr. Franz Brendel durch als Nachfolger C. F. Beckers auf dem Lehrstuhl für Musikgeschichte. Aus seinen von 1846 bis 1868 gehaltenen Vorlesungen entwickelte sich eine „Geschichte der Musik“, die, indem sie dem modernen Kunstgeist in liebevollster Betrachtung Gerechtigkeit widerfahren ließ, eine zeitgemäße Würdigung der Werke eines Wagner, Liszt, Berlioz vorbereiten half.

Als Mendelssohn 1847 starb, hatte das junge Konservatorium bereits so feste Wurzeln im Musikleben Leipzigs gefaßt und nach innen und außen ein solches Ansehen sich erworben, daß seine Entwicklung in keine Gefahr gerieth. Die Nachfolger Ferdinand Hiller, N. W. Gade, Julius Rietz, Karl Reinecke hüteten aufs treulichste das Mendelssohnsche Erbe; am längsten, nach 1860 bis heute, trägt Professor Dr. Karl Reinecke die schweren Lasten, die ihm das Amt der künstlerischen Oberleitung auferlegt.

Das stetige Wachsthum der Zöglingszahl bezeugt am klarsten den nachhaltigen Aufschwung der Anstalt. Bei der für den 2. April 1843 angesetzten Aufnahmeprüfung konnten von 46 angemeldeten Schülern 22 als Zöglinge eintreten, darunter ein Engländer, ein Amerikaner, zwei Holländer; Ende Dezember belief sich die Schülerzahl bereits auf 63, und im Jahre 1850 war sie schon auf 321 gestiegen, 1860 auf 871, zehn Jahre später auf 1697, im Jahre 1880 auf 3276, 1888 bei der Uebersiedlung ins neue Gebäude auf 4870 und heute beträgt sie noch mehr. Seit die Lehrfächer Erweiterung erfuhren, wuchs die Anziehungskraft des Konservatoriums außerordentlich. Nicht nur Klavier, Orgel, Violine und Violoncello, sondern jedes Instrument, das im modernen Orchester Verwendung findet, wird von ausgezeichneten Fachkünstlern gelehrt. Letzterem Umstand hat das Konservatorinm den Gewinn eines Zöglingsorchesters zu danken, das seit mehreren Jahren eine hervorragende Leistungsfähigkeit erklommen und sich mit der Wiedergabe klassischer Meisterwerke aus älterer und neuerer Zeit allgemeine Bewunderung erspielt hat. Auch Solo- und Chorgesang erfreuen sich einer Pflege, die hinter den Ergebnissen der Instrumentalklasse nicht zurücksteht. Den rastlosen Bemühungen der Direktion ist es nun auch gelungen, eine Opernschule zu begründen die Neuschöpfung hat sich bewährt, und wenn es sich auch nicht darum handeln kann, den Schwerpunkt des Wirkens in der Pflege des dramatischen Gesanges zu suchen, so war durch diesen bedeutsamen Schritt doch die letzte Lücke im Lehrplan ausgefüllt.

Dem guten Geschick, innerhalb von nahezu fünf Jahrzehnten nur zwei technische Direktoren kennengelernt zu haben – Conrad Schleinitz von 1843 bis 13. Mai 1881, Dr. Otto Günther

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Der große Musiksaal im Konservatorium zu Leipzig.

von da ab bis heute – verdankt die Anstalt zum großen Theile die Stetigkeit ihrer Entwicklung. Treues Festhalten an den künstlerischen Grundsätzen seines Begründers Mendelssohn, der tüchtige, theilweise sogar vorzügliche Lehrerbestand, die nahen Beziehungen zwischen dem neuen Gewandhaus und dem Konservatorium, die zu einander in dem Verhältniß wie Mutter und Tochter stehen, die thatkräftige Unterstützung kunstsinniger Gönner und Freunde, das königliche Protektorat bilden die sichersten Bürgschaften für ein ferneres Gedeihen und fröhliches Weiterblühen des Leipziger Konservatoriums. Bernhard Vogel.     


Tragödien und Komödien des Aberglaubens.

Das Traumbuch.
Von Rudolf Kleinpaul.

In Schillers „Braut von Messina“ finden sich zwei Träume. Den einen hatte der Vater der unglückseligen Braut: er sah aus seinem Ehebett zwei Lorbeerbäume und zwischen ihnen eine Lilie erwachsen, die sich in eine Flamme verwandelte und das Haus verschlang. Den anderen hatte Donna Isabella: ihr deuchte, ein Löwe komme und lege einem engelschönen Kinde ein Lamm in den Schoß. Hierauf kam ein Adler geflogen, der ließ demselben Kinde ein Reh in den Schoß fallen, dann legten sich Löwe und Adler dem Kinde zu Füßen. Die Fürstin schloß, daß sich ihre Söhne in der Liebe zu ihrer Tochter begegnen würden – sie begegneten sich auch wirklich, aber anders als sie dachte. Daher ereifert sie sich nun über die Falschheit der Orakel und ruft zornig aus:

Vermauert ist dem sterblichen die Zukunft,
Und kein Gebet durchbohrt den ehrnen Himmel.
Ob rechts die Vögel fliegen oder links,
Die Sterne so sich oder anders fügen,
Nicht Sinn ist in dem Buche der Natur,
Die Traumkunst träumt, und alle Zeichen trügen.

Der Hang, über das Schicksal zu grübeln, in den tausend Zufälligkeiten des Lebens den vorausgeworfenen Schatten der Ereignisse zu sehen, die Dinge als Boten des heranziehenden Verhängnisses aufzunehmen – die Sucht, im Weltlauf Aehnlichkeiten, Beziehungen, eine unmittelbare Harmonie und Wechselwirkung zu entdecken, ist den Völkern angeboren und im allgemeinen ein Ausfluß ihrer Frömmigkeit und ihrer Eitelkeit. Sie leben der gewissen Zuversicht, daß sie unter der besonderen Obhut ihres Gottes stehen und daß ihnen derselbe Gott anzeige, was sie betreffen soll, und sie sinnbildlich, aber treulich über ihre Zukunft, namentlich wenn dieselbe trüb ist, unterrichte. In der Bewegung eines Kometen, in einem Regenbogen, einer Fluth, einem angetriebenen Walfisch; in dem Eintritt einer Sonnenfinsterniß, in dem Flug eines weisenden Vogels, in dem Angang eines Wolfes, eines Schweines, eines Heerwurms, eines alten Weibes; in ganz persönlichen kleinen Geschehnissen, sofern sie vom Willen unabhängig sind, zum Beispiel im Niesen, in alledem erblicken sie Gottes Finger, hören sie Gottes Stimme, er winkt ihnen, er ruft ihnen, er schickt ihnen diese Warnung. Als die Franzosen nach Rußland zogen und etwas Furchtbares in der Luft lag, da hieß es, sonst hätten die Rosse gewiehert, wenn sie aus dem Stalle kamen, damals hätten sie die Köpfe hängen lassen; sonst wären ihnen die Raben entgegengeflogen, jetzt begleiteten sie die große Armee nach Osten über den Niemen, den Leichengeruch witternd …

Wir sind nicht mehr in dem Grade darauf erpicht, die Zukunft abzulesen, wie es die Alten waren; aber stille Gemüther, tiefe [606] Gemüther, Frauengemüther spinnen sich noch heute in ihre Ahnungen und Vorgefühle ein – wie Tacitus von den alten Deutschen berichtete: Sie glauben auch, daß den Frauen etwas Heiliges und Zukunftvoraussehendes innewohne, darum verschmähen sie niemals ihren Rath und fügen sich ihren Bescheiden. Mag es eine Thüringerin oder eine Preußin sein, sie hat den Kopf voll Weissagungen; sie fährt bei keiner Schafherde vorüber, ohne nachzusehen, auf welcher Seite:

Schäfchen zur Linken, wird Freude ihr winken;
Schäfchen zur Rechten, giebt’s was zu fechten –

sie wird kein Spinnlein sehen können, ohne sich das durch die ganze Welt gehende Sprüchlein vorzusagen:

Spinne am Morgen, Gram und Sorgen;
Spinne am Mittag, Glück für den andern Tag;
Spinne am Abend, süß und labend –

sie hält strenge darauf, daß das Vieh nicht mit einem Besen geschlagen wird, weil es sonst nicht gedeiht; sie wird sich hüten, ihrem Freunde etwas Spitziges zu geben, weil das die Liebe tötet; wenn sie ihm eine Haarlocke schenken würde, so sähe sie ihn nie wieder, denn Haare scheiden; sie ist sicher überaus unglücklich, wenn sie zum Neujahr das Fenster öffnet und eine alte Hexe grüßt herauf, oder wenn sie eines schönen Morgens drei schwarze Hühner auf einer Stange sieht – und wenn sie einmal nüchtern Atzi macht, so weiß sie ganz genau, weiß sie aus Erfahrung, daß das Sonntags: angenehme Gesellschaft, Montags: beschenkt, Dienstags: gekränkt, Mittwochs: geliebt, Donnerstags: einen Brief, Freitags: viel Erdenglück und Sonnabends: gehen alle, aber auch alle Wünsche zurück – bedeutet. Aber nüchtern muß sie niesen, wie auch in der Frühe, bevor sich der Osten färbt, die Träume prophetisch sind.

Daß es etwas zu bedeuten habe, wenn einer nüchtern und frühmorgens beim ersten Ausgang niesen muß, ist eine alte Sache. Natürlich, daß die Menschen den Anfang des Tages, wie den des Jahres und des Lebens, mit ihrer Geheimnißkrämerei umgaben, und daß hier der geringste Umstand vorbedeutend wurde. Wenn man mit dem linken Fuße zuerst aufsteht, wenn man den linken Schuh eher als den rechten anzieht, wenn man einen Schuh an den falschen Fuß zieht, so dringt einem der kleine Mißgriff, am frühen Morgen begangen, eine Kette von Mißhelligkeiten und endlosen Aerger ein. Man soll auch das linke Ohr nicht vor dem rechten und die linke Hand nicht vor der rechten waschen, sonst ist man den Tag über schlechter Laune, und man soll ein neugebornes Kind nicht auf die linke Seite legen, sonst bleibt es sein Lebtag linkisch. Dem Hindu ist die ganze linke Hand für unrein; beim Essen hält er sie hinter sich oder stützt sie auf. Wenn man in die Kirche geht, soll man nicht mit dem linken Fuße zuerst hineintreten. Wenn man aber im Frühling die erste Schwalbe sieht, so soll man stehen bleiben und mit einem Messer in die Erde stechen, und zwar unter dem linken Fuße: dort findet man, so heißt es im Volksaberglauben, eine Kohle, die ist gut gegen das kalte Fieber.

Aller Anfang ist wichtig und bedeutsam; auf dem Garne, das ein noch nicht sieben Jahre altes Mädchen gesponnen hat, zu schlafen, bringt der Mutter Glück; und was man träumt, wenn man die erste Nacht unter einem fremden Dache ruht, das geht in Erfüllung.

Die Geister, die uns in der Nacht während des Schlafes besuchen, sind nämlich in den Augen des Volkes, gleich den weisenden Vögeln und den Thieren, die uns den Tag über vorbedeutend begegnen, Gottes Boten und Himmelsoffenbarungen. Den Menschen, die gewohnt sind, ihre Zustände und ihre Krankheiten wie Personen leibhaft vor sich hinzustellen, die von der stillen, geheimnißvollen Thätigkeit der Seele gar keine Ahnung haben und es nicht anders wissen, als daß jedes Ding seine Ursache haben müsse, werden natürlich auch die Bilder, die ihnen die Phantasie der Nacht vorgaukelt, wie etwas Selbständiges, außer ihnen Lebendes vorkommen, etwa wie die Seelen Verstorbener, die auch so huschen und auch nicht festzuhalten sind. Wer mag denn auch die reinen Hirngespinste von begründeten Vorstellungen immer unterscheiden? Wer vermag denn recht anzugeben, ob er wirktich wach sei? Wie sagt doch gleich Calderon?

Ja, der Mensch, das seh’ ich nun,
Träumt sein ganzes Sein und Thun,
Bis zuletzt die Träum’ entschweben.
Wenig kann das Glück uns geben,
Denn ein Traum ist alles Leben …

ein rechter langer räthselhafter Traum, voller Gesichte wie der Traum, voll poetischer Vergleiche wie ein Traumbuch. Daß das Ausziehen eines Zahnes den Tod eines Familiengliedes bedeute, liest man in jedem Traumbuch: der Mund bedeutet das Haus, die Zähne sind die Insassen des Hauses, rechts die männlichen und links die weiblichen; am Rheine setzen sie hinzu, daß der ausgezogene Zahn bluten müsse, wenn er den Verlust eines Verwandten bedeuten solle. Thränen werden im Traume am liebsten durch Perlen angedeutet, wie schon Emilia Galotti weiß. Sie konnte ihm gram sein, dem Geschmeide, denn dreimal hat es ihr geträumt, als ob sich jeder Stein desselben in eine Perle verwandelte; „Perlen aber, meine Mutter, Perlen bedeuten Thränen!“ Das ist ganz dichterisch; die Dichter vergleichen die Thränen wie die Zähne überall mit Perlen. Emilia Galotti stammt aus Italien; einer Landsmännin, der Königin von Frankreich, Maria von Medici, wird ein ähnlicher Traum von den Historikern zugeschrieben. In einer Mainacht des Jahres 1610, vor der Ermordung des Königs Heinrich IV., soll sie geträumt haben, daß sich die zwei großen Diamanten, die sie dem Juwelier zum Einsetzen in ihre Krone gegeben hatte, in Perlen verwandelt hätten.

In der That sind es nicht selten die Geschichtschreiber, die nachträglich für ihre Helden träumen und einen Traum erfinden, der ihnen in den Kram paßt. So erzählt Fredegar einen schönen Traum des fränkischen Königs Childerich, den dieser in der Hochzeitsnacht gehabt und der ihm die Größe seines Sohnes Chlodwig und die Leiden seiner Nachkommen vorausverkündigt haben soll. Childerich träumte, er gehe in den Hof und finde ihn voller Löwen, Leoparden und Einhörner. Er sah abermals hinein, da liefen Bären und Wölfe durch den Hof. Er sah zum dritten Male hinein, da balgten sich die Hunde und die Katzen. Basina, seine Braut, eine Thüringerin, gab dem Traume die Deutung: er hatte die Zukunft der Merowinger, des ersten fränkischen Konigshauses, erschaut. Zuerst, meinte sie, werden die Konige mit den Großen allein sein. Dann wird der Mittelstand regieren. Endlich wird das kleine Volk regieren.

Es giebt überhaupt kaum irgend einen bedeutenden Mann in der Weltgeschichte, vor dessen Geburt nicht irgend etwas geträumt worden wäre, sei es nun von der Mutter oder vom Vater oder vom Großvater oder eben von der Sage, die in solchen Fällen geschäftig ist.

Indessen, wie zweifelnd man sich auch den sogenannten „historischen“ Träumen gegenüber verhalten mag, man würde doch zu weit gehen, wenn man alle Träume ohne Unterschied für müßige Erfindungen halten wollte; und zwar läßt sich ein vorsichtiger Glaube daran recht wohl mit einer kühlen naturwissenschaftlichen Betrachtung vereinigen. Es unterliegt ja gar keinem Zweifel, daß die Traumbilder so wenig wie die Blitze und die weisenden Vögel von einem Gotte gesendet werden, sondern in der geheimen Werkstatt des Gehirns, auch des thierischen, zubereitet werden – denn auch die Thiere, z. B. die Hunde, träumen. Die Traumbilder haben insofern etwas Verständigeres, als hier in der That bisweilen eine noch unerforschte Seelenkraft, eine Art Prophetengabe zu Tage zu treten scheint. Die Vorzeichen können nicht anders als zufällig sein sie haben mit dem berechnenden Verstande nichts zu thun, der Zusammenhang, in den sie mit den Schicksalen der Menschen gebracht werden, besteht ausschließlich in der Einbildung der letzteren. Die Traumbilder sind im allgemeinen auch nur zufällig, blinde Nachwirkungen der Tageseindrücke und der Tagesereignisse, erfahrungsgemäß beschäftigt sich der Träumende am häufigsten und liebsten mit den Dingen, die ihn während des wachen Zustandes in Anspruch nahmen; in einzelnen Fällen aber, wenn die Saiten der Seele abgespannt und die Nerven entlastet sind, stellen sich ganz neue, deutlich umschriebene, unvorhergesehene Bilder ein, die man aus der bisherigen Richtung der Phantasie nicht, sondern nur aus stillen Beobachtungen, heimlichen Schlüssen und aus den verborgenen Tiefen des Denkorganes erklären kann. Nicht nur neu sind die Traumbilder dann und wann, auch alte bekannte Vorstellungen drängen sich überraschend auf, ohne daß es bei eifrigstem Nachdenken gelänge, eine Vermittlung nachzuweisen. Daß wir plötzlich von Dingen und Personen träumen, an die wir vorher nicht im mindesten gedacht haben, welcher von den Lesern könnte das nicht aus eigener Erfahrung bestätigen? – Im Traume thun die [607] Menschen tiefe Blicke in ihr eignes Innere und sehen es mit Dichteraugen an.

Alle Vorbedeutungen, Zeichen sowohl als Träume, wurden von den Vorfahren in ein System gebracht; es entstand die krause Kunst der Zeichendeuter, die Mantik oder die Divination, eine Wissenschaft, die man studierte, gleichsam eine Sprache, die man trieb wie Hebräisch oder Sanskrit. Wer sie innehatte, wurde zum Professor für sie ernannt, zum Hofwahrsager oder zum offiziellen Augur, als welcher er seine gründlichen Kenntnisse freilich mitunter dem Staatswohl unterordnen mußte. Und da nun „die Wissenschaft“ entdeckt und ein guter Grund gelegt war, so folgten bald auch schöne schriftliche Aufzeichnungen, Hand- und Lehrbücher der Kunst, kurzgefaßte Kompendien, Anleitungen zum Verständniß der göttlichen Zeichensprache, was um so willkommener war, als sich doch nicht jeder kleine Mann den Luxus eines eigenen Zeichendeuters gestatten konnte. Die Träume insbesondere wurden gesammelt und erklärt, wie schwierige Wörter in einem Wörterbuch, so daß Hinz und Kunz nachsehen und das Nöthige finden konnte, und aus diesen Sammlungen erwuchsen die Traumbücher, die gleich den Punktierbüchern eine eigene Gattung der Litteratur darstellen, auf Jahrmärkten und auf den Bänken der fliegenden Buchhändler aufliegen heute wie vor Jahrhunderten, die heute wie vor Jahrhunderten vom Volke, von Christen, Juden und Mohammedanern gekauft und gelesen werden.

Das älteste Traumbuch hat man bruchstückweise auf Ziegelsteinen in der Bibliolhek von Ninive gefunden. Im klassischen Alterthum erfreute sich des höchsten Ansehens das Traumbuch des Artemidorus, eines Ephesers, der zu Anfang des zweiten Jahrhunderts n. Chr. lebte, sein Fach gründlich verstand und in „spekulativen“ und „allegorischen“ Träumen bewandert war wie einer; sein griechisch geschriebenes Buch ist in der That sehr merkwürdig zu lesen. Im Jahre 1563 erschien zu Basel ein lateinisches Traumbuch von dem berühmten Sonderling Cardanus, das im selben Jahre ins Deutsche übersetzt ward. Seitdem schossen diese nützlichen Schmöker, meist schlecht gedruckt und ärmlich ausgestattet, aber „nach Erfahrungen eines alten Traumdeuters zusammengestellt“, auf wie die Pilze; es giebt ihrer fast in allen Sprachen. In Italien riß mit dem Aufkommen der Lotterie die Sitte ein, alle Traumbilder in Ziffern zu übersetzen und in den Traumbüchern Aufschlüsse über Glücksnummern zu geben und zu suchen, daher die italienischen Traumbücher gewöhnlich pomphafte Nebentitel wie „Echo des Glückes“, „Hafen der Fortuna“ tragen. Der Italiener, dieser Zahlenmensch, dieser moderne Pythagoras, nimmt jedes Tagesereigniß und was seine Vorfahren als ein Augurium angesehen hätten, für eine verhüllte Ziffer, jedes durchgehende Pferd, jeder zerbrochene Krug verwandelt sich ihm in eine Zahl; es ist also nur folgerichtig, wenn er diese Spielerei auch auf die Träume ausdehnt. Mit seiner Zahlenwuth hat er Oesterreich angesteckt, wo in unserem Jahrhundert den Lottokollekteuren der Traumbuchhandel verboten ward, aber das kleine Zahlenlotto noch immer seine guten Tage hat, so oft eine hervorragende Persönlichkeit stirbt. Mit Hilfe der Traumbücher benutzt man die wichtigsten Ereignisse im Lebenslaufe des Verstorbenen zu Kombinationen, die stets großen Anklang finden. So wurden in Rom, als Papst Pius IX. starb, die sogenannten Papstnummern, in Ungarn vor einigen Jahren die Nummern der deutschen Kaiserin Augusta massenhaft gesetzt. Aus der Summe der Lebensjahre (78), dem Geburtsjahr (1811), dem Alter der Braut bei der Vermählung (18) stellten die Sternseher, die Wahrsager und die Weisen in Oesterreich-Ungarn eine Terne zusammen, und die Einnehmer konnten nicht genug Riscontri über die Nummern 11, 18 und 78 schreiben. Und was das Sonderbarste war: in Ofen wurden die Nummern 11, 18, 78 thatsächlich gezogen.

So schreiben sich die Gefangenen in Wien die Nummern ihrer Zelle auf, um darauf zu setzen und wenn Pater Abraham in der Predigt den Leuten ins Gewissen redet: „Ja, so seid Ihr! Da sieht einer im Traume die Nummer 45 oder die Nummer 46, gleich läuft er hin und spielt sie, seine paar Kreuzer zu verthun!“ – so kann er sicher sein, vertraulich befragt zu werden: „Pater Abraham, wie waren die beiden Nummern?“

Nicht ohne Vorbedacht haben wir das Traumbuch mit einem Wörterbuch verglichen. Denn es geht von der Voraussetzung aus, daß im Traume eine Art Natursprache gegeben sei, die der Verfasser gewissermaßen in die Landessprache übersetze, und daß diese Natursprache, geringe Verschiebungen abgerechnet, in allen Ländern und zu allen Zeiten dieselbe sei. In diesem Falle hätte ein gutes Traumbuch freilich noch mehr Werth als ein Weltsprachewörterbuch. Leider ist die umlaufende Ware aller tieferen Beziehungen, ja jedes Nachklangs aller dichterischer Vorstellungen völlig bar. Am ehesten findet man dergleichen noch in der mündlichen Ueberlieferung des Volkes.

Unglück, Trauer, Krankheit, Tod, tausendfältiges Herzeleid, dergleichen Jammer wird mit Vorliebe prophezeit; das Leben ist ja auch danach! Was bedeuten kleine Kinder? – Nichts als Unangenehmes, Schererei und Sorge. – Was bedeuten Eier im Traume? – Fürchterlichen Aerger oder gar einen Todesfall. Eier sind, namentlich in der Mehrzahl, kein guter Traum. Zwar ist es eine bekannte Geschichte, die Johannes Pauli in dem beliebten Volksbuch „Schimpff und Ernst“ dem alten Cicero nacherzählt, daß einer einmal im Traume ein rohes Ei ausgeschlürft und daß ihm das Eiweiß Silber, das Eidotter rothes Gold bedeutet habe. Er machte eine Erbschaft und schenkte dem Tranmdeuter zwanzig Pfennige, worauf der meinte, ob es nicht für das Dotter auch was gebe! – Hilft nichts, Eier taugen nun einmal nichts, und wenn’s frischgelegte Straußeneier wären; das Volk sagt sprichwörtlich: „He drömt vun gele Eiern“, um auszudrücken, er sei irre.

Die Traumdeutung hat gelegentlich eine förmliche Kultur der Träume nach sich gezogen: sie wurden nicht mehr abgewartet und hingenommen wie sie kamen, sondern angebaut wie Getreide, gezüchtet wie die fetten Kühe im Traume Pharaos. Man suchte sie zu bekommen, man legte sich an geweihter Stätte nieder, um im Tempelschlaf Besuche aus dem Jenseits zu empfangen. Es gab eine Zeit, wo die Götter den Kranken oder ihren Angehörigen im Traume erschienen und Rezepte verschrieben, die nicht so viel kosteten wie heute. Ein Soldat der Kaisergarde im alten Rom war von einem tollen Hunde gebissen worden – flugs träumte seiner Mutter in Spanien von einem unschätzbaren Mittel gegen die Hundswuth, das noch Plinius erwähnt. Der Feldherr Ptolemäus hatte eine gefährliche Schußwunde, Alexander der Große erfuhr im Traume, was für ein Pflaster aufzulegen sei. Der Architekt Mnesikles war beim Baue der Propyläen vom Gerüst gefallen, da erschien Pallas Athene dem Perikles im Traume und sagte: nimm das Kräutlein Ehrenpreis. Noch Kaiser Karl dem Großen bezeichnete ein Engel im Traume die Eberwurz als das untrügliche Mittel gegen die Pest, daher auch die Pflanze ihm zu Ehren „Carlina“ heißt. Es handelte sich nun darum, sich die nützlichen Anweisungen methodisch zu verschaffen; die Kranken wurden zu dem Ende feierlich in den Tempel des Aeskulap gebracht, um hier auf dem Felle eines frischgeschlachteten Opferthieres eine Nacht zuzubringen und so zum Gotte der Heilkunde gleichsam in die Sprechstunde zu gehen. Man nannte das „Inkubation“ – sie fand auch in Apollotempeln und Serapistempeln statt; Blinde gingen gewöhnlich in einen Isistempel. Die Priester, welche den Tempelschlaf einleiteten und die Träume der Kranken auslegten, träumten die specifischen Heilmittel wohl auch selbst für ihre Patienten.

So sehen wir, wie die räthselhafte Erscheinung der Träume den Menschen auf die seltsamsten Wege und Abwege leitete; die natürliche Erklärung der Gebilde, welche vor dem Schlafenden auftauchte, entzog sich dem Geiste des Wachenden. Doch nur der Weise übt in diesem Falle bescheidene Entsagung; die unkritische Menge aber bleibt vor der offenen Frage nicht stehen. Weil sie das Woher? nicht ergründen konnte, so verlangte sie wenigstens nach einem Wozu? Was ihr Verstand nicht zu begreifen vermochte, das deutete die Phantasie aus; und um diesen Ausdeutungen den Schein des Willkürlichen zu nehmen, um sie gleichsam mit Gesetzeskraft zu umkleiden, wurden sie aufgeschrieben, kodifiziert! Das ist der Entstehungsweg jener unscheinbaren Hefte, die auf den Gemüthszustand weiter Kreise auch heute noch von wesentlichem und leider selten glücklichem Einfluß sind.


[608]
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Der „blinde Passagier“.

Die fürstlich Thurn und Taxissche Post! Aechzend folgt der orange-gelbe Marterkasten den wegemüden Gäulen, die in den ausgewaschenen Geleisen des steilen Hohlweges dahinkriechen wie die Schnecken – kaum ein wenig schneller als der verwetterte Wanderbursch daneben, welchem die jahrelange Last des Felleisens und ein unstetes Straßen- und Pennenleben vorzeitig die Haare gebleicht hat. Lang war der Winter – schier allzulang für den alten Nassauer; aber der Odem des Frühlings zieht durch das Land und erweckt unwiderstehlich die Wanderlust; fast heiß sendet die Sonne ihre Strahlen herab; die Lerche wiegt sich jubelnd im blauen Aethermeer und unablässig wiederholt der Fink seinen lockenden Werbegesang. Auch der Schwager hoch oben auf dem Bocke wird von der Frühlingsstimmung ergriffen; er setzt das gelbe Horn an den Mund und schmettert manch’ altes Lied in die Welt hinaus: „Schier dreißig Jahre bist du alt“ und: „Als ich auf meiner Bleiche“, „Muß i denn, muß i denn“ und so weiter, so daß selbst die beiden trübseligen Reiseonkel drinnen im dumpfen Kasten das Schiebefenster niederlassen und andächtig zuhören. Endlich ist die Höhe erklommen; instinktmäßig greifen die Pferde aus und schlagen einen gelinden Trab an – aber was ist das? Das Horn giebt einen grellen Mißton von sich und fällt schnellend auf seinen Platz an der Mantelseite, und zu gleicher Zeit saust blitzschnell und mehrmals hintereinander die Peitsche über das Verdeck hinüber nach dem Wagenkasten. Klingt das nicht wie ein dumpfes Schmerzensgeheul? Schadenfroh schaut der Schwager nach hinten aus, und richtig! dicht hinter dem Wagen kommt unser alter Wandergeselle wieder in Sicht, indem er mörderlich fluchend mit dem Knotenstock droht. Der Hieb hat gesessen.

„Warte, Kerl, ich werde Dir das Blindenspielen austreiben!“ brummt der Rosselenker und treibt die Pferde zur Eile an. „Dachte mir doch gleich, daß der alte Fuchs die schöne Gelegenheit zum Aufsitzen nicht verpassen würde!“ Und im nächsten Wirthshaus erzählt er bei einer Halben echt Bayerisch den Reiseonkeln das Ereigniß des Tages.

O diese gute alte Zeit!

Die Drahtseilbahn in der „Neuen Welt“ zu Berlin.
Originalzeichnung von Willy Stöwer.

Die Gegenwart mit ihren großartigen Fortbewegungsmaschinen und ihrem Massenverkehr läßt die Spezies der blinden Passagiere aller Orten und Enden wie Pilze emporschießen. Der Zielpunkt aller geldarmen Menschenkinder, die mit ein wenig Fixigkeit für ihr „Fortkommen“ sorgen wollen, ist vor allem die Eisenbahn. Die große Masse dieser Leute verfährt ungeheuer einfach: sie lösen überhaupt keine Karte, sondern fahren eben drauf los. Andere wissen durch allerlei Schliche und Ränke die Beamten zu täuschen; die Art der Ausführung richtet sich natürlich nach den Umständen und den Verhältnissen. Einen Begriff, welche Ausdehnung ein solches unehrliches Thun annehmen kann, giebt uns die statistische Aufzeichnung einer der größeren englischen Eisenbahnen, der Nordbahn. Dort wurden im Jahre 1890 von den Kontrollbeamten nicht weniger als 27 101 blinde Reisende gemeldet, denen an Straf- und Fahrgeldern 14 290 Mark abgenommen wurden. Vergleicht man damit die Anzahl der von der genannten Bahn überhaupt beförderten Personen, die sich auf 31 Millionen belaufen, so kommen allerdings nur neun hundertstel Prozent der Reisenden auf die „Blinden“. Das ist indessen immer noch genug!

Aber es giebt auch Leute, die es verschmähen, auf ausgetretenen Wegen zu wandeln, Pfadfinder der Zunft, welche auch als „Blinde“ ihrem eigenartigen Geschmack folgen. Ein Ritt auf den Wagenpuffern oder auf schwankender Kettenunterlage zwischen Himmel und Erde in sausendem Fluge ist z. B. nicht jedermanns Sache. Dazu gehören unstreitig sehr abgehärtete Nerven.

Besser schon ist’s, in irgend einem Schlupfwinkel drinnen im Wagen selbst. Ein junger reisedurstiger Mann kampierte, wie er nachträglich selbst gestand, während zweier Nächte auf der Strecke von Dresden nach Erfurt im – Bremshäuschen eines Güterzuges, ohne entdeckt zu werden. Verschmitzter verfuhr ein anderer. Auf einer Reise von Halle nach Magdeburg belästigte uns ungemein ein großer unter der Bank lang hingestreckter Hund, der gar nicht weichen wollte. Auf allseitig erhobene Beschwerde, und da niemand des Hundes Herr sein wollte, mußte der Schaffner einschreiten; unser vermeintlicher Nero aber entpuppte sich als ein junger Mensch, der – es war spät abends – ein Fell über sich gezogen hatte. Er wurde trotz Zeter- und Mordiogeschrei hervorgezogen und auf der nächsten Station der Polizei übergeben.

Daß man einen ausgewachsenen Menschen als Handgepäck bei sich führt, dürfte zum mindesten auf einen hervorragend ausgebildeten Sparsamkeitssinn schließen lassen. Zu der Zeit, da der Zonentarif noch nicht eingeführt war, geschah es, daß auf einer kleinen, von Handelsleuten viel besuchten Station der ungarischen Tiefebene, des „Alföld“, ein Reisender einen schweren Sack mühsam nach einem Coupé dritter Klasse schleppte, wo er denselben aufrecht neben sich an die Bank stellte. Vergebens verlangte der Schaffner, daß er den Sack wenigstens unter die Bank lege – „Isten örizzen!“ (Gott bewahre!) Der Reisende und seine Gefährten erhoben hiergegen den lebhaftesten Widerspruch, bis der Beamte die Geduld verlor, selbst Hand anlegte und den Sack auf den Boden warf. Darauf allgemeines Gezeter sämmtlicher Insassen, übertönt durch einen gellenden Wehschrei, der aus dem Sacke selbst kam. Man öffnete diesen – und heraus schaute, von schallendem Gelächter begrüßt, ein mit Hobelspänen bepuderter Krauskopf. Er gehörte dem hoffnungsvollen Sprößling unseres Reisenden, der sich mit Mühe aus seiner seltsamen Umhüllung herausschälte.

Eine in der neueren Zeit durch einen Wiener in Aufnahme gekommene, früher schon in Rußland und Amerika gepflegte besondere Abart des „Blinden“ ist der „Kistenreisende“. Jener Mann, Namens Hermann Zeitung, baute sich in der schönen Donaustadt einen Bretterkasten, groß genug, um seine eigene Person und ein wenig Proviant aufzunehmen, bezeichnete diese „Sendung“ als Holzfigur und schickte sich so durch Vermittlung eines Spediteurs an seine eigene Adresse als Eilgut bahnlagernd [609] nach Paris, nachdem er sich vorher mit einer Flasche Wein, einem Gefäß mit Wasser und ein wenig Brot versehen hatte. Er kam nach zweiundsechzigstündiger Fahrt auch richtig in Paris an, wurde aber, als er seinem freiwilligen Gefängniß heimlich entschlüpfen wollte, bemerkt, verhaftet und späterhin als eine Art Sehenswürdigkeit öffentlich gezeigt. Schlimmer erging es der Sennorita Flora Angulora aus Barcelona und dem Neger Perrez, die sich gleichfalls in einer großen Kiste nach der Weltstadt an der Seine befördern ließen. Sie wurden wegen Betrugs – Hinterziehung des Fahrgeldes – und wegen Landstreicherei eingesperrt, weil die Orleansbahn und die französische Polizei kein Verständniß für diesen Spaß hatten. Trotzdem sind seitdem wiederholt Kistenreisen gemacht worden.

Andere Länder, andere Sitten! Drüben über dem „großen Teiche“, insbesondere in dem menschenarmen Gebiet des westlichen Nordamerikas giebt es zuweilen ebenfalls Reisende, die keinen Cent in der Tasche haben. Aber das thut nichts. Der richtige „Tramp“ (Landstreicher) setzt sich einfach in den Wagen und fährt mit, unbekümmert um den ihn scheu umkreisenden Zugführer; denn dieser wagt es nur selten, ihn zweimal nach dem „Ticket“ zu fragen, aus Furcht vor der unfehlbaren Rache des Menschen; nicht wenige der vielen Eisenbahnunfälle in den Vereinigten Staaten sind auf die Urheberschaft jener geächteten Menschenklasse zurückzuführen. Im schlimmsten Falle wird der Mann eben ausgesetzt und beginnt auf der nächsten Station das Spiel von neuem.

Weitaus die größte Menge „blinder Passagiere“ fährt aber ungesehen und unerkannt in den leeren Wagen der amerikanischen Güterzüge. Am 17. November 1888 kam aus diesem Anlaß in dem Staate Massachusetts ein Gewaltstreich vor, der selbst für Amerikaner unerhört ist. Eine Gruppe von nicht weniger als 22 Landstreichern hatte in einem Güterwagen der „Boston- und Albanybahn“ Platz genommen. Als die Bande durch den Stations- und die Zugbeamten daraus vertrieben werden sollte, leistete sie thätlichen Widerstand und bedrohte jene mit dem Tode. Es gelang zwar nach einiger Zeit, die Unholde von der Weiterfahrt abzuhalten, und der Zug fuhr ab; aber nun machten die Kerls kehrt und wandten sich gegen den völlig wehrlos zurückgebliebenen Stationsbeamten. Glücklicherweise fand dieser noch Zeit, um Hilfe zu telegraphieren, von der Station Springfield aus wurde alsbald auch ein Sonderzug mit sieben bewaffneten Polizisten abgelassen, und es glückte, sechs der Uebelthäter dingfest zu machen; ein siebenter wurde durch die sich zufällig entladende Schußwaffe eines Policeman getötet und sieben andere faßte man anderen Tages in dem benachbarten Orte Palmer ab. – Kein Zusammenstoß vergeht, ohne daß nicht auch der Tod verschiedener Unbekannter gemeldet wird: es sind häufig „blinde Passagiere“, die auf diese Weise in ein schreckliches Los mit hineingerissen wurden.

Am schlimmsten aber ergeht es dem „Blinden“, der sich gelüsten läßt, gratis eine Oceanfahrt auf einem Seedampfer machen zu wollen. Gelingt es ihm, bei den verschiedenen Musterungen des Schiffes unentdeckt zu bleiben, so treibt ihn schließlich der Hunger aus seinem Versteck und er wird – Kohlenzieher. In den Vorhöfen der Hölle mag ungefähr dieselbe Temperatur herrschen wie in dem Heizraum eines großen Seeschiffes; lebendigen Leibes wird solch ein armer Teufel geröstet! Und dazu wird ihm nicht einmal ein erfrischender Trank gereicht, immer nur Kaffee und Thee. Wer diese Qualen einmal durchgekostet hat, der ist gewiß für sein ganzes Leben geheilt. „Blinder Passagier“ einmal und nie wieder! B. Reinhold.     



Blätter und Blüthen

Das Denkmal Hoffmanns von Fallersleben auf Helgoland. (Mit Abbildung.) Wieder ist der 26. August herangekommen, der Tag, der für Helgoland nun schon fast zu einer Art nationalen Festtags geworden ist. Vor Jahresfrist die Grundsteinlegung zum Denkmal des Sängers von „Deutschland, Deutschland über Alles“ – heute die feierliche Enthüllung des fertigen Werkes! Auf hohem Sockel steht die Büste, welche, ein Meisterwerk Fritz Schapers, die kraftvollen, willensstarken Züge des vaterländischen Dichters so prächtig hervortreten läßt, da schaut sie hin über das Meer, von einem deutschen Strande zum andern! Was aber deutsche Herzen an solchem Tage bewegt, dem hat Emil Rittershaus den hohen dichterischen Ausdruck geliehen; in seinen schwungvollen Versen, welche der Leser auf der Seite 592 abgedruckt findet, weht ein Hauch jener Begeisterung, die einst vor einundfünfzig Jahren jenes Lied von „Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland“ auf dem einsamen Felseneiland der Nordsee entstehen ließ.

Das Denkmal für Hoffmann von Fallersleben auf Helgoland.
Von Fritz Schaper.

Auf dem Platze, welchen das Denkmal schmückt, steht auch das neue Konversationshaus, welches die Gemeindevertretung von Helgoland diesen Sommer durch den Hamburger Architekten F. H. Schmidt hat errichten lassen. Die gefälligen Formen dieses Bauwerks geben einen hübschen Hintergrund für das Denkmal des Dichters, und der Fremde, welcher Helgoland betritt, lernt die Insel sofort von ihrer gewinnendsten Seite kennen.

Die Drahtseilbahn. (Mit Abbildung S. 608.) In ihrer ursprünglichen Form dienten die Drahtseilbahnen fast ausschließlich zum Bergabfördern von Erzen, Erdreich und dergleichen; allmählich ist aber die Verwendung derselben mannigfacher und ihre Einrichtung vollkommener geworden. Früher war einfach ein mit den Enden aneinandergespleißtes Seil über zwei Endrollen geschlungen, von welchen aus es in seiner Längsrichtung voran bewegt wurde; an dieses Seil wurden die Förderwagen einfach aufgehängt, und wenn dann die vollen zu Thal fuhren, zogen sie zugleich die leeren zu Berg. Jetzt hat man die Einrichtung verbessert; man verwendet verschiedenartige Seile, deren eines, das schwerere Tragseil, doppelt vorhanden und auf Pfosten hoch in der Luft dauernd gelagert ist. Diese Seile dienen ausschließlich zum Tragen der Förderwagen, während einem zweiten, leichteren Seile, dem Zugseile, ausschließlich die Ertheilung der Vorwärtsbewegung zufällt. Dieses ist um zwei wagerecht stehende Rollen geschlungen und stets in Bewegung den Tragseilen entlang. Letztere sind mit dem einem Ende fest mit dem Gerüste verbunden; das andere Ende ruht in einer elastischen Spannvorrichtung, damit die erforderliche Nachgiebigkeit gesichert sei.

Während die Seilbahnen bisher nur zur Güterbeförderung bestimmt waren, hat ein Berliner Vergnügungslokal, „Die neue Welt“, zur Unterhaltung und zur Beförderung seiner Gäste eine Drahtseilbahn angelegt. In einer kühnen, nahezu 120 Meter langen Spannung vermittelt diese Bahn zwischen zwei Stationsthürmen den Verkehr über den „See“ hinüber. Unsere Abbildung zeigt, wie die leichten zierlichen, für je zehn Personen bestimmten Wagen hoch oben durch die Luft schweben. Die Stelle der üblichen Räder wird hier durch je zwei Paare von Rollen vertreten, welche am Rande passend zur Seildicke ausgedreht sind. Diese Rollen sind in eisernen Rahmen gelagert und laufen über die Tragseile, während die Voranbewegung von dem dünnen Zugseil bewirkt wird, an welches der Rollenrahmen angeschlossen wird. Nunmehr geht gleichzeitig ein Wagen hinüber und herüber. Die hierzu erforderliche Kraft wird von einem Gasmotor geliefert.

In der links befindlichen Nebenzeichnung sieht man den in einem der Stationsthürme untergebrachten Maschinisten, wie er als „Direktor von’s Janze“ die Bremse handhabt, mit der „Halt“ kommandiert wird, sobald die Wagen an ihren Stationen angekommen sind.

Die Seilbahn dient hier dem Vergnügen; sie liefert aber auch den Beweis für die praktische Brauchbarkeit solcher Anlagen für das Verkehrswesen. Zur Ueberbrückung von Flüssen, Thälern, Schluchten, insbesondere auch für militärische Zwecke, soll die Seilbahn außerordentlich geeignet sein, da ihr Bau schnell und billig fertigzustellen ist und die Ueberwindung von Schwierigkeiten in der Bodengestaltung hier nur eine untergeordnete Rolle spielt. Man vermuthet, daß ähnliche Bahnen bald in größerer Zahl eingerichtet werden; unter anderem sind solche Anlagen geplant über den Rhein bei Düsseldorf und über die Aare bei Bern.

[610] Schutz für die Zwergtrappe! Als im Jahre 1875 die in Asien und Südeuropa heimische Zwergtrappe plötzlich in unseren deutschen Fluren erschien, erließ ein begeisterter Vogelfreund, der verstorbene Pfarrer Thienemann zu Gangloffsömmern in Thüringen einen Aufruf zu ihrem Schutze, zuerst in der Fachzeitschrift „Die gefiederte Welt“ und sodann namentlich auch in der „Gartenlaube“. Dank dieser Fürsorge hat jener gefiederte Fremdling in Thüringen eine neue Heimstätte gefunden und sich soweit eingebürgert, daß dort in jedem Jahre Bruten aufkommen und in gutem Gedeihen beobachtet werden können. Und noch im Spätherbst 1891 teilte mir Präparator Otto Bock in Berlin mit, daß ihm Zwergtrappen, welche auf der Jagd beiläufig geschossen waren, nun auch aus mehreren anderen Gegenden Deutschlands, so aus der nächsten Umgebung von Berlin und aus der Mark Brandenburg, aus Schlesien, ferner aus verschiedenen Strichen Oesterreich-Ungarns zum Ausstopfen zugesandt worden seien. Es ergiebt sich hieraus der Beweis, daß die Zwergtrappe nicht bloß in Thüringen heimisch geworden ist, sondern auch anderweit auftritt, und daß diese schönen, anmuthigen und nützlichen Vögel sich wohl über unser ganzes deutsches Vaterland und Mitteleuropa überhaupt verbreiten könnten.

Angesichts dieser Thatsache wende ich mich nun an alle Jäger und Jagdliebhaber, an alle Sonntagsjäger mit der dringenden Bitte, sie möchten sich die Schonung und Hegung dieses Vogels angelegen sein lassen, soweit es irgend möglich ist.

Es ist ja eine leidige Thatsache, daß, wer einmal eine Flinte unter dem Arme trägt, gar zu leicht der Versuchung unterliegt, jeden ihm unbekannten Vogel herunterzuschießen, und wäre es auch nur aus Neugierde, bloß, um ihn sich anzusehen und ihn dann fortzuwerfen. Würde es nicht dem Menschenherzen ungleich mehr Ehre machen und zugleich dem Menschenvortheil angemessener sein, wenn man solche fremden Vögel zunächst schonen und hegen möchte, um sie anzulocken und wenn möglich heimisch werden zu lassen und sie dann erst, wenn sie sich eingebürgert und vermehrt haben, als Wildbret auszunutzen? Zum Kennenlernen würde sich inzwischen immerhin Gelegenheit genug finden. Wenn nichts anderes, so verhelfen uns dazu die leider zahlreichen Unglücksfälle der Vögel, für welche Leuchtthürme, Telegraphen- und Telephondrähte nur zu oft verhängnißvoll werden. und nicht bloß für die Zwergtrappe möchte ich mich verwenden, auch für die anderen Gäste, die von Zeit zu Zeit auf unseren Fluren auftauchen: Steppenhuhn, Tannenhäher, Rosenstar, fremde Drosseln, Kreuzschnäbel u. a. m.

Also nochmals. Schutz und Schonung für sie alle! Auch die etwa schädlichen unter ihnen sollten nur von Sachverständigen abgeschossen werden. Dr. Karl Ruß.     

Einquartierung. (Zu dem Bilde S. 584 und 585.) Mit getheilten Empfindungen hat der Bauer den unfreiwilligen Gästen entgegengesehen, welche ihm das Manöver auf seinen Hof führt. Die Hopfenernte ist da und sie braucht viele Hände – da hat man keine Zeit, sich um Fremde zu kümmern, Frau und Kinder, Knechte und Mägde, alles muß mit anfassen, damit der reiche Segen rasch geborgen werde. Nun, so schlimm, wie er sich’s ausgemalt, verläuft die Sache nicht: die Leute nehmen vorlieb – und sobald sie des Dienstes ledig sind, setzen sie sich behaglich zu dem Quartierwirth und seinem Gesinde, um mitzuhelfen am emsigen Werke des „Hopfenzopfens“. Freilich, ganz ohne Störung geht es doch nicht ab: der schmucke Unteroffizier im Hintergrund unseres Bildes hat mit Kennerblicken von den Dirnen des Hofs die sauberste herausgefunden – und er hat seinen Kopf drauf gesetzt, von ihr einen Kuß zu kriegen, mit List oder Gewalt. Allzuviel Widerstand scheint ihm auch nicht entgegengesetzt zu werden; die übrigen schauen belustigt auf das fröhliche Ringen der beiden, und nur dem jungen Knechte ist nicht ganz wohl bei der Sache. Die Wünsche theilt er wohl, doch nicht die Keckheit seines Nebenbuhlers, und nur die gegründete Aussicht auf dessen rasches Verschwinden vermag ihn soweit zu trösten, daß er mit sauersüßem Gesicht „Fünfe grad’ sein läßt“. Bei der Bäurin hat sich der am meisten eingeschmeichelt, der sich als Kinderfreund ihres Kleinen angenommen und dessen Zutrauen durch willige Kindsmagddienste erobert hat. Sorgsam giebt er ihm Löffel für Löffel sein Abendsüppchen ein unter Beihilfe des älteren Schwesterchens – im Augenblick aber nehmen die im Hintergrund sich abspielenden Ereignisse nicht bloß seine, sondern auch der Bäurin Aufmerksamkeit allzustark in Anspruch, und der kleine Pfiffikus benutzt die Gelegenheit, einen längst gehegten Plan zur schleunigen Ausführung zu bringen und mit dem Fingerchen in den Löffel zu tippen.

Mark Twain und die nordamerikanischen Humoristen. Die Schriftsteller Nordamerikas sind, wie auch ein großer Theil der berühmtesten Staatsmänner dieses Landes, aus dem praktischen Leben hervorgegangen und haben sich oft von ganz untergeordneten Stellungen zu anerkannter Bedeutung emporgeschwungen. Daher kommt es, daß ihre Werke frisch aus dem Leben schöpfen und durchaus nicht angekränkelt sind von des Gedankens Blässe. Ihr Humor mag uns bisweilen etwas breitspurig, etwas handgreiflich erscheinen, doch hat er gleichsam eine sehr gesunde, von der frischen Luft gebräunte Gesichtsfarbe. Das gilt besonders auch von Mark Twain, der unter den amerikanischen Humoristen eine hervorragende Stelle einnimmt. Wenn man die Lebensbeschreibung eines deutschen Dichters liest, so erfährt man zuerst, welche Schulen, welche Universitäten er besucht hat. Davon ist bei den Amerikanern meist gar nicht die Rede. Mark Twain hat keine Prüfungsdiplome aufzuweisen; er ist als Samuel L. Clemens – den Namen „Mark Twain“ hat er sich erst als Schriftsteller beigelegt – am 30. November 1835 in dem Staate Florida geboren, kam aber bald in das Städtchen Hannibal am Mississippi, wo sein Vater starb.

Mark Twain wurde nun Lehrling in einer Buchdruckerei und machte seine Lehr- und Wanderjahre durch als Setzer und Drucker; dann aber zog ihn der heimathliche Strom mächtig an; er wurde mit siebzehn Jahren Lotse auf dem Mississippi und seine Erlebnisse auf dem Riesenstrom hat er in seiner Schrift. „Leben auf dem Mississippi“ geschildert. Mark Twain kannte den Strom gleichsam inwendig und auswendig und hatte das erstaunliche Gedächtniß, das ein Lotse haben muß, allerdings nur in den Dingen, in denen es täglich geübt wird. Jede geringfügige Einzelheit muß der Lotse mit unbedingter Genauigkeit kennen, und zwar an einem Strome, der zwölfhundert Meilen lang ist! „Ich glaube,“ sagt Mark Twain, „das Gedächtniß eines Lotsen ist so ziemlich das Wunderbarste in der Welt. Das Alte und Neue Testament auswendig wissen und vorwärts und rückwärts fließend hersagen oder irgendwo in der Bibel aufs Gerathewohl anfangen und sie nach beiden Richtungen hersagen zu können, ohne je zu stocken oder einen Irrthum zu begehen, ist kein übertrieben großes Maß von Wissen, verglichen mit dem aufgespeicherten Wissen eines Lotsen vom Mississippi und seiner merkwürdigen Leichtigkeit in der Behandlung desselben.“ Hierzu kommt, daß der Strom oft seine Ufer verwüstet, sich neue Wege bahnt, neue Inseln bildet. Von einem Lotsen, der sich in diese unberechenbaren Launen des Riesenstroms finden soll, wird daher erstaunlich viel verlangt. Dafür ist er auch die angesehenste Person auf dem Schiffe, der Kapitän muß sich nach ihm richten und nicht umgekehrt. Auch das Gehalt ist sehr bedeutend: ein Steuermann erhält hundertfünfzig bis zweihundertfünfzig Dollar im Monat und alles frei.

Wie Mark Twain nun den Mississippi mit seinen Inseln, Ufervorsprüngen, seinen Sandriffen und Windriffen, den weißen und dunkeln Baumstämmen und hundert Merkzeichen der Fluth und des Wetters lesen lernte, das berichtet er in jener ausführlichen Schilderung seiner Lehrjahre, und eine Ergänzung derselben findet sich in der Erzählung „Huckleberry Finn“, in welcher der Held mit einem flüchtigen Neger zusammen die Mississippireise macht und die merkwürdigsten Abenteuer auf Flößen und Booten, bei Tag und Nacht, in Windstille und Sturm erlebt und schildert, unter denen besonders die Robinsonaden auf den mit Wald bewachsenen Inseln des Stroms unsre Theilnahme erregen. Mark Twain hatte die Stellung eines Lotsen erreicht, da kam der Krieg, Handel und Verkehr stockten; der Schiffer mußte sich einen andern Nahrungszweig suchen, wurde Silbergräber in Nevada, dann Zeitungsreporter, dann Goldgräber in Kalifornien, dann Berichterstatter in San Francisko und später auf den Sandwichinseln, dann Wanderkorrespondent in Europa. In der Sammlung „Unterwegs und daheim“ sind, außer einigen höchst eigenartigen Humoresken wie z. B. „Der gestohlene weiße Elefant“, in welcher die nordamerikanische Polizei in grausamer Weise verspottet wird, auch allerlei Reisebilder aus Europa enthalten, unter denen eine „Besteigung des Rigi mit Hindernissen“ am ergötzlichsten ist, während der Aufsatz „Die Schrecken der deutschen Sprache“ Bemerkungen enthält, die für uns Deutsche wenig angenehm und schmeichelhaft sind. Mark Twain nennt die deutsche Sprache verzwickt, zu schlüpfrig und aalglatt, um sie zu greifen. „Man treibt darin umher wie in einem brandenden Meere, bald hierhin, bald dorthin, in der elendesten Hilflosigkeit, und wenn man einmal glaubt, eine Regel gefunden zu haben, welche festen Grund bietet, um einen Augenblick in dem allgemeinen Wirrwarr und Tumult der zehn Redetheile auszuruhen, so vernimmt man in der Grammatik: ‚Der Schüler gebe acht auf folgende Ausnahmen‘. Ein Blick auf diese zeigt ihm, daß deren mehr sind als Beispiele für die Regel selbst.“ Er beschwert sich über die männlichen, weiblichen und sächlichen Artikel, in deren Anwendung gar kein Sinn und kein System sei, über die Wortungeheuer bei Zusammensetzungen und kommt zum Schlusse: „Nach meiner Erfahrung braucht man zum Erlernen des Englischen 30 Stunden, des Französischen 30 Tage, des Deutschen 30 Jahre.“

Mark Twain hat seinen festen Wohnsitz in Hartford im Staate Connecticut, den er nur verläßt, um Vorlesungen in nordamerikanischen Städten zu halten oder ab und zu eine größere Reise zu machen. Im Sommer lebt er mit seiner Frau und seinen drei kleinen Töchtern in Elmira (Staat New-York), wo die Familie ein Sommerhaus bewohnt, das auf einer Bergspitze 600 Fuß über dem Thalgrund steht. Das Gebäude ist nach dem Muster der Lotsenbehausung eines Mississippidampfers fast durchweg aus Glas erbaut. Der Sommer ist Mark Twains Arbeitszeit, hier lebt er abgeschlossen von allem Verkehr mit der Außenwelt. Im September kehrt er nach Hartford zurück, und dort versammelt er zahlreiche litterarische Freunde um sich; er ist ein leidenschaftlicher Billardspieler, Radfahrer, ja er ist auch ein Erfinder. In ganz Amerika beliebt sind seine Taschenbücher zum Aufzeichnen von Notizen und Einfällen, „Scrap-book“ und „Note-book“. Er fand niemals ihm passende derartige Bücher und ließ sich solche daher nach eigenen Angaben herstellen. Alle vorhandenen Notizbücher pflegten an der falschen Stelle aufzuklappen; sein Notizbuch schlägt sich vermöge einer einfachen Vorrichtung stets an der rechten Stelle auf, an der zuletzt beschriebenen Seite. Ferner hat sich Mark Twain eine Weste erdacht, welche die Hosenträger überflüssig macht, ein Hemd mit Kragen und Manschetten, in denen man keinerlei Knöpfe braucht, einen immerwährenden Kalender, an die Uhr zu hängen, und ein Brettspiel, eine Art Geschichtslotto, durch das sich die Jahreszahlen dem Gedächtniß einprägen sollen.

Mark Twain hat sich durch seine ausgeprägte Eigenart auch in der für warmherzigen Humor so empfänglichen deutschen Leserwelt einen guten Boden erobert, und viele seiner Werke sind in deutschen Uebersetzungen vorhanden. Auch wo seine Muse sich für unser Gefühl etwas allzu ausgelassen gebärdet, verfällt er doch selten in seichtes Witzeln und wahrt stets einen tieferen Sinn. †      

Am Schächenbach. (Zu dem Bilde S. 597.) Der durch großartige Naturschönheit ausgezeichnete Schächenbach im schweizer Kanton Uri, der, vom Klausenpasse herab das wildromantische Schächenthal durchrauschend, bei Altdorf in die Reuß mündet, ruft zugleich dem Freunde der Dichtung die Sage vom Schützen Tell ins Gedächtniß. Nicht zufrieden, diese mit der Entstehungsgeschichte der eidgenössischen Bünde verkettet zu haben, hat der dichtende Volksgeist, allerdings erst in sehr später Zeit, den Heros der Schweizerfreiheit bei der Rettung eines Kindes [611] im wilden Schächenbach untergehen lassen. Uhland hat diesem Zuge der Sage Worte geliehen in der schönen Romanze „Tells Tod“.

„Doch als nun ausgestoßen
Die Fluth den toten Leib,
Da stehn um ihn, ergossen
In Jammer, Mann und Weib;

Als kracht in seinem Grunde
Des Rothstocks Felsgestell,
Erschallt's aus einem Munde:
„Der Tell ist tot, der Tell!“

H. a. Rh. 

Die Kriegergräber bei Metz. Jetzt, da die Tage der großen Schlachten um Metz wieder sich gejährt haben, möge auch wieder auf die verdienstvolle „Vereinigung zur Schmückung und fortdauernden Erhaltung der Kriegergräber und Denkmäler bei Metz“ das Augenmerk gelenkt werden! Wie wir bereits früher mitgetheilt, hat sie neben der in ihrem Namen ausgedrückten Aufgabe auch die Pflicht übernommen, alle auf die Kämpfe um Metz bezüglichen Erinnerungen, welche zur Bereicherung der Kriegsgeschichte dienen können, zu sammeln und aufzuzeichnen, sowie darauf hinzuwirken, daß alle über jene entscheidenden Ereignisse um die lothringische Feste erschienenen und noch erscheinenden Werke, Abhandlungen etc. der Stadtbibliothek Metz einverleibt und daß Fundsachen und sonstige Erinnerungszeichen aus dem Kriege dem städtischen Museum Metz zugewendet werden.

Insbesondere soll zunächst die Sammlung der über die Kämpfe um Metz erschienenen Werke in Angriff genommen werden, und es ergeht deshalb an alle, die hierzu in der Lage sind, namentlich an Verfasser, Herausgeber und Verleger seitens des Vorstandes der obengenannten Vereinigung die Bitte, ihn bei diesem Vorhaben mit Rath und That unterstützen zu wollen.

Die dem Andenken an die großen Kriegsereignisse gewidmete Litteratur, an historischer Stätte zu einem Ganzen vereinigt, soll auf diese Weise als dauerndes Denkmal der Nachwelt überliefert werden.

Erdbebenschrift. Japan zählt zu den Ländern, in denen Erdbeben häufig vorkommen. Seitdem die alte „Goldinsel“ der europäischen Kultur Thür und Thor geöffnet hat, zählt sie auch zu den Gebieten, in welchen das furchtbare Naturereigniß von europäischen und einheimischen Forschern mit Hilfe sinnreicher Apparate ständig beobachtet wird. So geschah es auch, daß Japan das erste Land war, welches einige auf Papier gezeichnete Striche vorlegen konnte, die von des Erdbebens eigener Hand niedergeschrieben worden waren!

In Tokio wurde nämlich vor einem Dutzend Jahre ein Wagnerscher Erdbebenmesser aufgestellt. Derselbe zeichnet sich vor anderen dadurch aus, daß er nicht nur die Zeit und die Richtung des Stoßes selbstthätig mit einem Stifte auf Papier niederschreibt, sondern auch in etwas vergrößertem Maßstabe die Größe der Bewegung angiebt, welche die Erdoberfläche erleidet.

Die erste Erdbebenschrift, welche auf diesem Wege am 25. Juli 1880 in Tokio erhalten wurde, stellt obenstebendes Autograph dar. – Melchior Neumayr erklärt diese Schriftzüge in seiner trefflichen „Erdgeschichte“ mit folgenden Worten:

„Wir sehen um 2 Uhr 31/10 Minuten die Erschütterung mit einigen leisen Zuckungen beginnen und einen etwas stärkeren Stoß folgen, bei dem die Horizontalbewegung der Erdoberfläche 1/2 mm betrug. Nach wenigen leichten Schwingungen folgte wieder ein merklicher Stoß mit 1 mm Erdbewegung, der 1/2 Minute nach Beginn der Erschütterung eintrat, dann 48 Sekunden hindurch nur leichte Schwingungen, auf welche der stärkste Stoß mit 1,67 mm Bodenbewegung erfolgte. Ihm schlossen sich wieder lebhafte Vibrationen an, mit deren Einschlusse das ganze Erdbeben gerade 2 Minuten dauerte, wie es obenstehend von des Erdbebens eigener Hand geschrieben zu sehen ist.“ *      

Ein Knabe als Erfinder. Es ist eine durch mannigfache Beispiele belegte Thatsache, daß große Erfindungen sehr häufig nicht das Ergebniß sorgfältiger, von Stufe zu Stufe fortschreitender Forschung waren, sondern der Welt durch einen Zufall gleichsam in den Schoß geworfen wurden. Man kennt die Geschichte von den zuckenden Froschschenkeln an den Drahthaken Luigi Galvanis, welche zur Entdeckung des galvanischen Stromes führten. Daß aber ein Knabe infolge natürlicher Unlust an mechanischer Beschäftigung und ebenso natürlicher Lust an kindlichem Spiel eine weltbewegende Erfindung macht, das dürfte in der Geschichte der Entdeckungen doch einzig dastehen. Der Knabe, dem dies gelang, hieß Humphrey Potter.

Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts waren in den Bergwerken von Cornwallis in England bereits Dampfmaschinen zum Heben von Wasser in Gebrauch. Es waren dies die Newcomenschen atmosphärischen Motoren. Der Dampf trat durch Oeffnen eines Hahnes von unten her in einen senkrecht stehenden, oben offenen Cylinder und hob den darin befindlichen Kolben. Dieser stand durch eine Kette in Verbindung mit dem einen Ende eines Wagebalkens, an dessen anderem Ende das schwere Pumpengestänge hing. Beim Steigen des Kolbens sank das Gestänge in den Schacht herab, und das Wasser trat schließlich über die Klappen des Pumpenstiefels. Nun wurde aus einem Behälter durch Oeffnen eines zweiten Hahnes kaltes Wasser in den Cylinder eingelassen, infolge dessen hier eine Verdichtung des Dampfes zu Wasser eintrat und die Atmosphäre den Kolben in den luftleeren Cylinder hineindrückte, während auf der andern Seite das Gestänge mit dem über der Pumpe befindlichen Wasser emporgehoben wurde. Sobald der Kolben am untersten Ende des Cylinders anlangte, wurde ein dritter Hahn geöffnet zum Ablassen des im Cylinder angesammelten Wassers, wonach wieder das Oeffnen des Dampfhahnes erfolgte und das Spiel von neuem begann. Für das rechtzeitige Oeffnen und Schließen der drei Hähne war ein Wärter angestellt, welcher vermittelst eines Hebelwerks diese Aufgabe mit großer Sorgfalt und Aufmerksamkeit zu besorgen hatte.

Auch der kleine Potter war gegen einen bescheidenen Tageslohn als Hahndreher an einer Newcomenschen Dampfmaschine angestellt, indessen wurde ihm bald die geisttötende Beschäftigung zum Ueberdruß, und es erwachte in ihm der Wunsch, die Maschine sich selbst bedienen zu lassen, um inzwischen ohne Pflichtverletzung den Spielen seiner Kameraden nachgehen zu können. Sein aufgeweckter Geist ließ ihn bald ein Mittel ausfindig machen, den angestrebten Zweck zu erreichen. Eines Tages versah er sich mit einer Anzahl starker Stricke, und während er einen Freund für kurze Zeit das Drehen der Hähne besorgen ließ, kletterte er zum Wagebalken hinauf, befestigte an angemessenen Stellen der beiden Balkenhälften die Stricke und umschlang dann mit deren unteren Enden die Hebel, mittels deren die drei Hähne, jeder zu seiner Zeit, in Bewegung gesetzt wurden. Und siehe da, die Maschine arbeitete mit früher nie erreichter Regelmäßigkeit, und Humphrey Potter konnte sich nun mit viel angenehmeren Dingen, vornehmlich mit Murmelspielen, beschäftigen.

Die Ingenieure, welche bald darauf die neue selbstthätige Vorrichtung in Augenschein nahmen, waren über die geniale Anordnung aufs höchste erstaunt; sie ersetzten alsbald die verschiedenen Stricke durch metallene Zugstangen, und der wichtigste Schritt in der Vervollkommnung der Dampfmaschinen, die selbstthätige Steuerung, war gelungen. Die später von James Watt ersonnenen Vorrichtungen für die Dampfvertheilung, sowie die neueren Expansionssteuerungen sind nur Weiterbildungen der Idee, welche im Jahre 1718 dem Kopfe eines Knaben entsprang. M. P.     

Kasperletheater. (Zu dem Bilde S. 601.) Draußen auf den Wiesen vor dem Thore des alten Städtchens ist heute fröhliches Kinderfest, und in hellen Scharen tummelt sich die Jugend beiderlei Geschlechts. Mancherlei zieht sie an, Wettspiele mit Preisvertheilung, Kunstreiter und Karussell, Musik und fliegende Luftballons in allen Größen. Am meisten aber doch immer wieder das schmale bescheidene Zelt mit seinem Orgelwagen und dem grinsenden Affen davor. Es ist das Kasperletheater. In athemlosem Entzücken lauschen sie den bombastischen Reden des bösen Ritters Bodo, der die schöne Prinzessin Iselgunde rauben wollte, es aber nicht fertig brachte, weil Kasperle, der Treue, im richtigen Augenblick noch mit seinem Prügel und seinen Späßen dazwischen fuhr. Das Spiel ist so fesselnd und belustigend, daß auch manches der Herren Eltern nicht ungern vor der Bude des Kasperle ausharrt und in selbstvergessener Aufmerksamkeit mit dem eigenen Sprößling wetteifert.

Von der Geburtsstätte des Champagners. Die 500000 Teufel, von denen Oettinger in seinem bekannten Champagnerlied singt, werden nicht durch einen leichten und bequemen Zauberspruch in die Flaschen gebannt: es bedarf dazu sehr vieler Mühe und Arbeit in den unterirdischen Räumen, die gleichsam die Geburtsstätte des weltberühmten Weines sind.

Der Most der rothen und weißen Trauben wird, nach der Ausquetschung durch eiserne Pressen, in Fässer gefüllt, wobei seine Gährung sorgsam überwacht wird. Dann bleiben die geschlossenen Fässer bis zum Sommer liegen, worauf die eigentliche Bereitung des Champagners beginnt.

In den Kreidehügeln von Châlons, Epernay, Rheims ziehen sich meilenweit die Kellereien hin, oft in drei unterirdischen Stockwerken übereinander mit verschiedenen Temperaturgraden; Treppen, Fahrstühle, Aufzüge, schiefe Ebenen verbinden diese fast durchweg mit elektrischem Lichte beleuchteten Stockwerke. In diesen Kellern beginnt das Verstechen und Verschneiden, die Vermischung verschiedener Lagen und Rebensorten. Davon hängt besonders die Güte des Champagners und der Unterschied der verschiedenen Marken ab. Diese Mischungen sind ein streng bewahrtes Geschäftsgeheimniß. Dann werden sie mittels Hausenblase geklärt; der geklärte Wein wird in frische Fässer geschüttet und im April oder Mai auf Flaschen gezogen mit einem kleinen Zuckerzusatz.

Nun beginnen die Teufelchen erst ihr Höllenwerk! Die Gährung ist im Fasse nicht vollendet, sie vollendet sich erst in den Flaschen; doch so sorgfältig diese auf ihre Stärke geprüft werden: der gährende Wein zersprengt acht bis sechzehn Prozent der Flaschen, die wagerecht nebeneinander gelagert sind. In schlechten Kellereien sind die Geister des Weins noch ungebärdiger und es zerplatzt oft die Hälfte aller Flaschen. Aber der ausfließende Wein wird durch wasserdichte schiefe Rinnen in ein großes Faß geleitet, aus dessen Inhalt ein ausgezeichneter Weinessig fabriziert wird, wenn man ihn nicht zur Auffüllung geringerer Champagnersorten benutzt.

Die Flaschen selbst, die auf einer Art von Pult mit dem Kopfe nach unten aufgestellt werden, schüttelt ein von Gestell zu Gestell gehender Arbeiter zweimal jeden Tag, wobei sich Hefe und Unreinigkeiten auf dem Pfropfen ablagern.

Nach zehn bis zwölf Monaten werden die Flaschen entkorkt, wobei die Kohlensäure alle Unreinigkeiten mit sich fortnimmt, dann rasch wieder geschlossen, noch einmal geöffnet, damit ein Likör eingefüllt werden kann, der dem Weine seine Süßigkeit, Schwere und Färbung giebt und dessen Beschaffenheit zu den Geheimnissen der einzelnen Firmen gehört – meistens besteht er aus einer Zuckerauflösung mit Cognak und altem Weine – dann erst wird mit der Stöpselmaschine ein neuer dichter, mit dem Brandzeichen der Firma versehener Kork in die Flasche eingetrieben und mit Bindfaden und geglühtem Eisendraht verschnürt, worauf Kopf und Hals mit Stanniol überzogen und die Etiketten aufgeklebt werden. Jetzt erst sind die Teufelchen des Champagners fest eingekerkert, bis man ihnen erlaubt, den Pfropfen zu sprengen, lustig schäumend die Gläser zu füllen und mit ihrem Sprühfeuer die Geister anzuregen.  

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Allerlei Kurzweil.


Schachaufgabe Nr. 7.
Vierter Preis im 7. Aufgabenturnier des Deutschen Schachbundes. (Dresden 1892.)
Von E. Palkoska in Wien.
SCHWARZ

WEISS
Weiß zieht und setzt mit dem dritten Zuge matt.

Gedenkfeierräthsel „Der Indianer“
von Al. Weixelbaum.


 Logogriph.

Du kannst mit i mein Wort
Als Menschen stets begrüßen,
Wiewohl von Ort zu Ort
Es eilet auf vier Füßen.

Hat es statt i sodann
Ein t zu sich genommen,
So ist es jedermann
In Angst und Noth willkommen.


 Räthsel.

Mit e: den Körper streckt es;
Mit o: den Körper deckt es.


Auflösung der Anagrammaufgabe auf S. 580.

„Der Habermeister“


Skataufgabe Nr. 6.
Von K. Buhle.

Mit folgenden Karten wollte die Hinterhand Schellen (car.)-Solo spielen:

(p.As.) (c.As.) (c.K.) (c.B.) (car.B.) (car.As) (car.K.) (car.D.) (car.Z.) (car.9.)

Die Mittelhand behielt aber das Spiel, sagte Null ouvert an und deckte diese Karten auf:

(tr.7.) (tr.8.) (tr.9.) (tr.B.) (p.7.) (p.8.) (p.9.) (c.7.) (c.8.) (car.8.)

mußte aber den 10. Stich auf s (car.)8 nehmen. Vorhand hatte ebensoviel Angen in ihrer Karte als die Hinterhand.

Was lag im Skat und wie war der Gang des Spiels?


Auflösung der Verwandlungsaufgabe auf S. 580.

Auflösung der arithmetischen Aufgabe auf S. 580:
Man erhält den 25. August 1744, an welchem Tage Herder in Mohrungen geboren wurde.


Auflösung der Damespielaufgabe auf S. 580:

1. c 3 – d 4   2. D a 3 – e 7 †
2. i 7 – h 8   2. D b 8 – g 7 † † †

Schwarz muß e 5, i 3 und b 6 schlagen, weil nur in diesem Falle 3 Stück geschlagen werden.

3 n 8 – k 10 † † † † † schlägt die Steine g 9, e 9, D e 7, D g 7, endlich den Stein i 9 und gewinnt.


Auflösung des Doppelräthsels auf S. 580:

a.

Rom.
Ute.
Ale.
Ger.
Itz.
Bor.
Eis.

b.

Strom.
Meute.
Thale.
Neger.
Fritz.
Tabor.
Gneis.

Die zweiten Buchstaben der b-Reihe bilden den Namen Teheran.




Soeben ist erschienen und durch die meisten Buchhandlungen zu beziehen:

Gartenlaube-Kalender
für das Jahr 1893.
Achter Jahrgang. Mit zahlreichen Illustrationen.
Preis in elegantem Ganzleinenband 1 Mark.

Als gern gesehener, treuer Begleiter für das kommende Jahr stellt sich auch diesmal der Gartenlaube-Kalender rechtzeitig ein. Geschmackvolle Ausstattung und reicher, gediegener Inhalt zeichnen den neuen Jahrgang wiederum vorteilhaft aus. Derselbe bringt u. a. einen größeren Beitrag der gefeierten Gartenlaube-Erzählerin W. Heimburg, mit Illustrationen von W. Claudius, ansprechende und humorvolle Erzählungen von Hermann Ferschke und Oskar Justinus, unterhaltende und belehrende Aufsätze von allgemeinstem Interesse wie: Die Influenza von Dr. med. A. Ripperger und Der Kreislauf des Jahres und die Gesundheit des Kindes von Sanitätsrath Dr. Fürst, ferner zahlreiche Illustrationen von hervorragenden Künstlern. Humoristisches in Wort und Bild und viele praktische und wertvolle Kalender-Notizen und Tabellen zum Nachschlagen bei Fragen des täglichen Lebens. Zu ganz besonderer Zierde werden dem neuen Jahrgang die mit köstlichem Humor ausgeführten neuen Monatsvignetten von E. Unger gereichen.

Bestellungen auf den Gartenlaube-Kalender 1893 nimmt die Buchhandlung entgegen, welche die „Gartenlaube“ liefert. Post-Abonnenten können den Kalender durch jede Buchhandlung beziehen oder gegen Einsendung von 1 Mark und 20 Pf. (für Porto) in Briefmarken direkt franko von der Verlagshandlung: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.     


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.

  1. Reines Muskelfleisch besteht durchschnittlich aus 76% Wasser und 24%, festen Bestandtheilen, darunter 20% Eiweißstoffe.