Die Gartenlaube (1889)/Heft 1
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No. 1. | 1889. | |
Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.
Lore von Tollen. |
Nachdruck verboten. Alle Rechte vorbehalten. | |
Roman von W. Heimburg. |
Die Herbstsonne warf ihren fröhlichen Schein in die kleine Logirstube der Frau Majorin von Tollen, blitzte aus dem einfachen Spiegel an der sonst kahlen Wand zurück und ließ die Spitze eines Infanteriehelmes funkeln, der, aus dem geöffneten Futterale hervorsehend, neben allerhand Toilettengegenständen auf dem einzigen, etwas altmodischen Tische des Stübchens lag. Der vorschriftsmäßige Offizierskoffer stand am Boden, theilweise der Uniformstücke entleert, die auf dem Bette und den Stühlen umherlagen und hingen. Auf einem der birkenen Holzstühle saß ein junger schlanker Mann, unschwer als der Eigenthümer dieser Siebensachen zu erkennen. Er hatte ein hübsches intelligentes Gesicht, braunes dichtes Haar und über der Oberlippe ein keckes Schnurrbärtchen. In diesem Augenblick besah er mit verdrießlicher Miene einen Stiefel von höchst eleganter Façon.
„Verfluchte Wirthschaft!“ murmelte er, „mein einziges Paar Lackstiefel – Rechnung noch längst nicht bezahlt – und das Kamel von Dienstmädchen hat sie mit ordinärer Wichse – – unglaublich!“
Aergerlich warf er den Stiefel zu Boden, stellte sich, die Hände in den Taschen seiner Beinkleider vergrabend, an das einzige Fenster des schmalen weißgetünchten Raumes und betrachtete das kleine längliche Stückchen Erde dort unten, welches den stolzen Namen „Garten“ führte und in dessen engen Wegen der laue Herbstwind jetzt die ersten gelben Blättchen der alten Linde, seiner einzigen Zierde, umhertrieb. Um den dicken Stamm der Linde schlang eben ein junges Mädchen eine Waschleine; sie trat zu diesem Zweck auf die Bank, die den Baum umkreiste, und reckte sich auf den Zehen empor, um das Ende des Taues über einen Ast zu werfen. Es war eine wunderschöne schlanke Gestalt in einem sehr einfachen grauwollenen Morgenkleide. Die zurückgestreiften Aermel ließen ein Paar fein modellirter Arme sehen; das Haar lag in dichten schweren Flechten am Hinterkopfe und schimmerte wie mattes Gold unter dem einfachen Strohhut hervor. Ihr Thun hatte nichts Rasches an sich; es war eine ausgesprochen vornehme Art, mit der sie sich bewegte.
Ueber den Rasenplatz kam eine ältere Frau; sie trug, mühsam schleppend, mit dem Dienstmädchen, einem kleinen rothhaarigen schwächlichen Geschöpfe, einen Korb voll nasser Wäsche; ihre blaue leinene Schürze zeigte die feuchten Spuren des Waschfasses. Sie setzte den Korb hin und nickte dem jungen Mädchen zu, das von der Bank herabgesprungen war und eifrig begann, die Zeugstücke auf die Leine zu hängen.
Die ältere Dame blieb, tief athemholend, ein Weilchen stehen und wischte die Stirn; dann folgte sie dem Dienstmädchen wieder in das Haus zurück.
Das Gesicht des jungen Offiziers färbte plötzlich eine dunkle Röthe, während er
[2] diese einfachen Vorgänge beobachtete. Und just in diesem Moment flog der Blick des Mädchens seinem Fenster zu. Sie hielt in ihrer Beschäftigung inne und kam herüber.
„Bist Du schon aufgestanden?“ scholl ihre helle Stimme fröhlich zu ihm hinauf. „Warte nur einen Augenblick, Rudolf, Du sollst sofort den Kaffee haben.“ Sie band die Klammerschürze ab, warf sie zur Erde und schritt eilig in das Haus.
Er wandte sich um und verließ das Zimmer; auf dem engen Flur scholl ihm das Klappern von Tassen und Tellern aus der im Erdgeschoß befindlichen Küche entgegen. Er stieg das schmale ächzende Treppchen hinunter und wurde am Fuße derselben von seiner Mutter empfangen. Ihr vergrämtes, von der Anstrengung der Arbeit geröthetes Gesicht hing mit aufleuchtenden Augen an den seinen.
„Guten Morgen, Rudi,“ sagte sie freundlich, „Du mußt nun auf den Kaffee warten, wer konnte denn auch ahnen, daß Du schon so früh aus den Federn sein würdest! Hast Du gut geschlafen, Herzensjunge?“
Sie streckte ihm die noch vom Waschen faltige Hand entgegen. „Komm in die Eßstube,“ bat sie, „Lore ist gleich fertig mit dem Frühstück.“
Er folgte stumm und verlegen; seine hohe Gestalt in eleganter Joppe mußte sich bücken unter der niedern Thür. Er sah sich in dem kleinen Zimmer, dessen blau und grau gemusterte Tapete die Spuren langjähriger Dienste trug, mit einem unbehaglichen Ausdruck um, und an dem sauber gedeckten Tische vor dem Sofa, auf welchem die Mutter bereits Platz genommen, stehen bleibend, fragte er verdrießlich:
„Warum wäschst Du denn selbst, Mutter?“
„Aber, Rudi!“ gab die alte Dame zurück, während sie hastig eine Semmel mit Butter bestrich. „Weil – nun – weil es mir Vergnügen macht, und der Lore auch.“
„Schönes Vergnügen! Langt’s denn nicht mal mehr zu einer Waschfrau?“
Die Majorin war roth geworden. Es langte in der That nicht mehr, seitdem die Zinsen des kleinen Kapitals fehlten, das im vorigen Jahre für Rudi „in einem dringenden Falle“ geopfert wurde, aber sie begnügte sich mit einem leisen Kopfschütteln. „Laß Dich doch das nicht kümmern, sagte die Dame, „es ist wirklich nicht schlimm. Setze Dich her, siehst Du, da kommt Lore mit dem Kaffee.“
Das junge Mädchen hatte eben die Kanne auf den Tisch gestellt und faßte nun den lockigen Kopf des Bruders mit beiden Händen. Guten Morgen, Du!“ rief sie lachend. „Was machst Du denn für ein Gesicht, Du Brummbär? Wie hast Du geschlafen?“
„Schauderhaftes Lokal, diese sogenannte Logirstube,“ erwiderte er, das schöne Mädchen etwas freundlicher betrachtend, „überhaupt ein nettes Unkenloch, diese neue Wohnung, die vorherige war wenigstens einigermaßen präsentabel, aber –“
„Aber diese kostet achtzig Thaler weniger!“ rief Lenore von Tollen, „und hier hast Du Sahne und Zucker; nimm recht viel davon, damit Du etwas weniger bittere Reden führst.“ Sie setzte ihm, noch immer lächelnd, die Unterschale näher und verließ das Zimmer. „Mama,“ rief sie, noch einmal zurückkommend, „nun bleib’ ganz ruhig sitzen und erzähle Dir etwas mit Rudi, ich besorge draußen schon alles, Papas Kakao steht auf dem Herde, wenn Du ihn suchst.“
Die Mutter betrachtete zunächst in stummer Bewunderung den ihr gegenübersitzenden Sohn. Dann aber begann der lange mühsam zurückgehaltene Redestrom. Jetzt hatte sie ihn ja endlich allein und konnte, wozu gestern abend nach seiner Ankunft keine Zeit mehr gewesen war, nach all den tausend Dingen fragen, die das Mutterherz zu wissen wünschte. „Der Vater freut sich so sehr, Rudi,“ schloß sie endlich, „Du mußt ihm recht viel erzählen; ich bin so glücklich, daß Du vier Wochen Urlaub hast, schon Lorchens wegen. Du lieber Himmel, sie hat wirklich nichts von ihrem jungen Leben!“
„Na, in diesem Neste –“ meinte der Sohn und brannte sich eine Cigarre an, und die ersten Züge thuend, fragte er: „Hat sie denn die Unglücksidee immer noch, den blutarmen Kerl, den Doktor Dingsda, zu heirathen?“
„Da fragst Du mich zu viel, Rudi, ich weiß es nicht. Daß sich die jungen Leute für einander interessiren, ist mir nicht verborgen geblieben, aber zu einer Aussprache zwischen mir und Lore ist es bis jetzt nicht gekommen, und ich hüte mich, daran zu rühren.“
„Wird ja wohl endlich vernünftig geworden sein,“ murmelte er; „aber hörst Du? Eben ist Vater erwacht.“
Ueber ihnen waren drei dumpfe Schläge erklungen, als werde mit einem Stock auf die Dielen gepocht. Frau von Tollen ließ ihre halb geleerte Tasse stehen und lief eilig aus dem Zimmer. Verstimmt blickte Rudi ihr nach. „Wo brennt’s denn?“ sagte er halblaut, setzte sich rittlings auf den Stuhl, die Arme auf die Lehne desselben gestützt, und blaue Ringel in die Luft blasend, dachte er darüber nach, wie er „dem Alten“ am besten eine höchst unangenehme Mittheilung machen könne, nämlich die, daß er einige Moneten brauche, um – na, natürlich um Schulden zu bezahlen. „Herr Gott, das wird wieder mal ein schönes Lamento geben! Aber es ist ja geradezu himmelschreiend, daß man mit der Lumpenzulage ausreichen soll! Und wenn man noch obendrein das schreckliche Pech hat –“
Er stockte in seinem Selbstgespräch, denn die Schwester kam herein. Sie hatte anstatt der großen Arbeitsschürze eine zierliche weiße umgebunden, die Aermel heruntergestreift und setzte sich mit einer Schüssel voll Bohnen dem Bruder gegenüber an das Fenster.
„So,“ sagte sie, „und nun erzähle mir auch etwas, Rudi; wir haben uns lange nicht gesehen; Stoff genug wirst Du haben.“ Sie begann dabei mit flinken Fingern die Bohnen zu schneiden und sah erst nach einem Weilchen, als keine Antwort kam, in das Gesicht des Bruders. Sie mußte diesen verdrießlichen, sorgenvollen Ausdruck kennen, mit dem er an ihr vorüberschaute; ihre schönen bräunlichen Augen öffneten sich plötzlich schreckhaft. „Um Gotteswillen, Rudi, Du hast doch keine Unannehmlichkeiten gehabt?“
„Ah! Bah! Es ist nicht von Bedeutung – aber – ich wollte, Papa wüßte es erst!“
Aus ihrem blühenden Antlitz wich jede Spur von Farbe, eine peinliche Angst malte sich in den weichen Augen. „Rudolf, wenn es Papa betrüben könnte, so verschweige es ihm – er ist so elend, so aufgeregt – ich bitte Dich!“
Er zuckte die Schultern und rauchte weiter.
„Was ist’s denn?“ drängte sie. „Du brauchst doch nicht etwa Geld, Rudolf?“
„Allerdings! Der ‚Isidor‘ ist mir gefallen; ich wollte ihn ja verkaufen, weißt Du, um damit Löwenthal zu befriedigen – kriegt das Beest die Kolik und ist in drei Stunden lebendig und todt!“ „Löwenthal? Wer ist Löwenthal und was verlangt er? Du hast im vorigen Jahre nichts gesagt von ihm –.“
„Geld verlangt er!“ klang es ärgerlich zurück, „und seines Zeichens ist er Pferdehändler, den ich angepumpt habe; voilà tout –.“ Das junge blonde Geschöpf senkte den Kopf wie unter einem schweren Schlag. Sie hatte es geahnt, als der Brief kam mit der Meldung seines Besuches: er kommt, um neue Sorge zu schaffen, umsonst würde er sich nicht in dieses „Wurstnest“, wie er es zu nennen pflegte, hinsetzen; umsonst nicht die tödliche Langweile des „theuren Vaterhauses“ vier Wochen lang genießen wollen – und ihr Ahnen war jetzt plötzlich zur Gewißheit geworden. Da saß er und rauchte von den Cigarren, die sie angeschafft mit ihren ersparten Groschen, und draußen mühte sich die Mutter in der Küche, um das Leibgericht ihres Lieblings zu kochen. Tagelang hatte die alte Frau von weiter nichts gesprochen, als - „wenn Rudi erst da ist - wenn Rudi kommt –.“
Ja, nun saß er da, und mit ihm war die Sorge in das bescheidene Haus geschlichen, um sich abermals an das Krankenbette des gelähmten Vaters zu setzen und neben der bekümmerten Mutter zu stehen, wenn sie ungewohnte harte Arbeit that – damit sie ihr noch schwerer werde.
Lenore von Tollen war keine von den jungen Damen, die mit großen Erwartungen in die Zukunft blicken, aber ein bißchen Sonnenschein mitunter, so meinte sie bescheiden, wäre wohl nothwendig zum Leben. Ach, und die Sonne schien selten in dies junge Herz, und wenn ihre Strahlen wirklich einmal so recht goldig blinkten, dann kam immer und immer wieder eine dunkle Wolke und verhüllte sie. – Die dumpfen Wochen des vergangenen Jahres stiegen in ihrer Erinnerung auf, die einem ähnlichen Bekenntniß des Bruders gefolgt waren; die Bewegungen der kleinen sonst so flinken Hände verlangsamten bei der Aussicht auf eine erneute Katastrophe, auf abermalige Kummerthränen der Mutter, [3] da die ersten kaum getrocknet; auf frischen Gram und Groll des kranken Vaters, der den alten noch lange nicht verwunden, und lähmten sie förmlich.
„Sag’s ihm heute nicht!“ preßte sie endlich hervor, „schweige bis nach seinem Geburtstage, Rudolf.“ Und als er eine ungeduldige Bewegung machte, setzte sie leise hinzu: „Helfen kann er Dir ja doch nicht mehr.“
„Den Kuckuck auch!“ murmelte der Lieutenant, „wer soll es sonst? Mein Herr Bruder läßt mich abfallen, der Onkel schützt Müdigkeit vor –“
„Du hast an Viktor geschrieben?“ fuhr das junge Mädchen auf, und eine flammende Röthe goß sich über ihr Gesicht. „Rudolf, wie konntest Du das thun, wie ist es Dir möglich gewesen?“
„Ich habe nicht geschrieben, ich war persönlich bei ihm,“ erwiderte er gelassen und strich die Asche seiner Cigarre vorsichtig an der Stuhllehne ab. „Ich bin in D. vorgefahren gestern und wurde sehr liebenswürdig empfangen. Sie hatten just große Mittagsgesellschaft und luden mich ein, da zu bleiben; es waren verschiedene höhere Offiziere nebst Familie anwesend und einige von Frau Klothildens Verwandtschaft, vor jedem Gedeck standen sechs verschiedene Gläser, die Sache fing an mit Austern und zum Schluß floß der Sekt in Strömen. Aber Viktor, den ich nach Tische sprach in der bewußten Angelegenheit, erklärte mir sehr freundlich und verbindlich, daß er leider nicht in der Lage sei, meinen Wünschen zu entsprechen. Er habe den Grundsatz, aus den Mitteln seiner Frau Gemahlin nicht einen Dreier herauszuziehen, um ihn in seinem oder seiner Familie Interesse zu verwenden; er selbst aber verfüge über gar nichts weiter, als sein bescheidenes Rittmeistergehalt, das wisse ich jawohl auch, es thue ihm so leid – so leid –. Wir drückten uns zärtlich die Hände, ich saß noch ein Stündchen in Frau Klothildens Salon und ließ mich dann von ihr zu allerhand Ritterdiensten kommandiren, empfahl mich noch vor den übrigen Gästen und gab dem in lila Sammetlivree gesteckten Diener meinen letzten Thaler als Trinkgeld. Das Eisenbahnbillet bis Wellenberg hatte ich, Gott sei Dank, in der Tasche und durch die Liebenswürdigkeit meiner Schwägerin so außerordentlich dinirt, daß ich die fünf Stunden Coupefahrt von Berlin bis hier aushielt, ohne hungrig zu werden, – und soweit wären wir ja denn glücklich, meine liebste Lore.“
„Gott sei Dank – Du hast wenigstens sie nicht – angesprochen!“ kam es über des Mädchens blasse Lippen.
„Genire Dich doch nicht, sag’s nur heraus – ‚angebettelt‘,“ fiel er ein. „Nein, ich habe nicht mündlich gebettelt, aber vielleicht schreibe ich noch an sie.“
„Rudolf! Die Frau, die uns alle so kränkend behandelt, die unserer Schwester in ihrem Hause eine Stellung zuweisen wollte, welche noch unter dem Niveau einer ‚Bonne‘ war – an die wolltest Du Dich wenden, damit sie weiter erzählen kann, die ganze Familie ihres Mannes liege ihr zur Last?“
„Ah, bah! Helene hat das übertrieben; sie ist zimperlich und nervös geworden durch ihren ewigen Brautstand und hat die Manieren einer alten Jungfer angenommen. Es wird Zeit, daß ihr geliebter Franz sie unter die Haube bringt,“ erwiderte er. „Klothilde hat nicht allein über sie geklagt,“ fuhr er fort, „der Onkel auch. Der alte Geck kann übrigens meinetwegen nach Borneo gehen; ich werde ihn nicht mehr inkommodiren. Schreibt mir auf meinen sehr höflichen Brief, er sei im Begriff, eine größere Reise zu machen und habe dazu seine paar Kröten selbst nöthig; ich solle dach endlich ernstlich daran denken, mit meinen Mitteln auszukommen. Ein jeder müsse sich nach seiner Decke strecken. Es ist zu angenehm, wenn die Leute so ein bißchen armselig thun können, sie kommen damit so hübsch weit. Der hat sein Schäfchen im Trocknen auf der Reichsbank, aber – nur nichts hergeben!“
„Verzeihe, Rudi, der Onkel hat kein Vermögen; er besitzt weiter nichts, wie seine Pension als Generallieutenant, und davon giebt er redlich ab,“ versicherte Lore. „Er bezahlt ja doch das Schulgeld für Käthe und giebt mir und Helene ein kleines Taschengeld. Und an Papa schickt er Wein und Tabak, und –“
„Ja, an Euch Mädchen hat er einen Narren gefressen; unsereiner aber –“
„Er hat, weiß Gott, das Mögliche gethan, sollte ich denken,“ sagte leise das junge Mädchen.
„Ja, außerordentlich opulenter Weise,“ spottete der junge Mann und griff nach einer frischen Cigarre, „aber, was hilft alles Gekolke, ich muß das Geld schaffen, das ist ein Faktum.“
„Nein, nein, sage es nicht zu Vater!“ rief Lore und sprang auf, „heute nicht, und die nächsten Tage nicht. Ich will mit der Mutter reden, vielleicht weiß Franz Rath.“
„Helenes Bräutigam, der seit fünf Jahren auf Königszulage wartet, um heirathen zu können? Gutes Kind!“ Er sah sie bedauernd an und fuhr sich mit den schlanken weißen Fingern über die Stirn, warf die eben angezündete Cigarre fort und erhob sich. „Meinetwegen warten wir,“ gab er zu, „drei Wochen hat’s ja noch Zeit. – Was in aller Welt soll man nun den ganzen Tag anfangen?“ fuhr er fort und sah hinaus in den kleinen stillen Garten, wo die Wäsche lustig im Winde flatterte. „In diesem Krähwinkel giebt’s ja nicht einmal eine anständige Kneipe. Ist hier immer noch das alte Vergnügungsprogramm?“ fragte er dann, „der nachmittägliche Spaziergang? Mamas Whistpartie? Dein englisches Kränzchen und, wenn der Mond zuweilen scheint, um den auswärtigen Herrschaften die Landstraße zu erhellen, ein Klubabend mit Kälberbraten und Tanz?“
Das junge Mädchen hatte die Arbeit vollendet und räumte die gebrauchten Tassen auf dem Tische zusammen. Sie nickte leise auf des Bruders ironische Fragen.
„Nächsten Montag sind wir, auch Du, von Beckers zu einem Ball geladen.“
„Was?“ rief der Lieutenant, „mit denen verkehrt Ihr jetzt? Wie ist denn das gekommen? Papa schwur doch Stein und Bein, daß er mit diesen Geldsäcken nichts zu thun haben wollte?“
„Sie machten hier Visite,“ erklärte Lore, „erst der Sohn –“
„Adalbertchen Becker? Ei sieh, sieh!“
„Und dann die Mutter,“ fuhr Lore fort. „Der Kreis ist hier so klein, und Mama meinte, man könne sich nicht ausschließen, die andern verkehren alle mit ihnen, sie sind auch in den Klub aufgenommen.“
„Also Adalbertchen als Löwe der Westenberger Gesellschaft?“
„Ja!“ rief jetzt eine frische Stimme, „und unserer Lore macht er den Hof!“
Ein junges Mädchen zwischen sechzehn und siebzehn Jahren war hereingekommen, hing sich an des Bruders Hals und, ihn ansehend, bog sie den Kopf zurück, daß die langen dunkeln Zöpfe bis auf den Boden herunter hingen.
„Hast Du mir die Photographien vom Kaiser und von den Prinzen Wilhelm und Heinrich mitgebracht? Und –“
„Ratzibus vergessen, Backfisch!“ betheuerte der Bruder, „aber wenn ich wiederkomme –“
„Das sagst Du schon zum siebenten Mal. Wenn Du nicht willst, so laß es!“ war die Antwort. Sie setzte sich schmollend an den Kaffeetisch und schenkte ihre Tasse voll.
Sie war ein schlankes biegsames Geschöpf mit einem blassen Gesicht, das etwas ganz Fremdartiges hatte. Mitunter konnte man meinen, es sei geradezu unschön. Der Mund, obgleich klein, schien zu üppig, das kurze Stumpfnäschen allzu keck, der bräunliche Teint beinah fahl, aber dann brauchte sie nur die Augen aufzuschlagen, und alles war vergessen. Geradezu wunderbar waren diese großen, dunkeln, von langen Wimpern umschatteten Augen, aus welchen bald ein schwermüthiges Sehnen, bald übermüthige Lebenslust schaute; es wechselte beständig. Und diese Augen bestimmten den Ausdruck des ganzen Gesichtes, das einen Moment dem einer heimathskranken Spanierin, im nächsten wieder dem eines schelmischen Kobolds glich. Und natürlich war auch ihr ganzes Wesen diesem Augenwechsel entsprechend. Sie war mitunter der Sonnenschein des Hauses, ihr hellklingendes Lachen erfüllte es förmlich mit Lebenslust, aber sie konnte es auch finster machen, denn für Gelegenheit zum Aerger sorgte sie reichlich. Sie war die personifizierte Opposition gegen alle Hausordnung, wollte niemals helfen und verstand es meisterlich, sich von jeder Arbeit zu drücken, um sich mit einem Romane in irgend welchen unauffindbaren Winkel zurückzuziehen. In diesem Nesthäkchen schien sich der Feudalismus des ganzen Geschlechtes derer von Tollen konzentriert zu haben; sie hätte am liebsten einen Zelter bestiegen, den Falken auf den Handschuh gesetzt und wäre als Ritterfräulein in Wald und Heide auf die Beize geritten, so und soviel ihr huldigende Ritter im Gefolge. Wie die Sachen aber leider standen, mußte sie sich begnügen, anstatt einer stolzen Ritterburg ein sehr bescheidenes Miethshäuschen am Ende einer stillen Gasse der guten Stadt Westenberg zu bewohnen und in der Clematislaube des
[4][5] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [6] Gärtchens von künftigen glänzenden Tagen zu träumen. Indessen sammelte sie eifrig Wappen, wußte die Stammbäume aller namhaften Geschlechter auswendig und gerieth über die immer häufiger werdenden Mesalliancen in hellen Zorn. Zur Hochzeit ihres ältesten Bruders simulirte die damals achtjährige Krabbe eine Halsentzündung und blieb daheim; sie hätte es nicht mit ansehen können, daß Viktor von Tollen, dem stattlichen Kürassier, ein simples Fräulein Lange angetraut wurde, und wären die Geldsäcke der niedlichen Braut noch zwanzigmal größer gewesen. Käthchen hätte am liebsten zu Zeiten der Raubritter leben mögen, damit Viktor den Herrn Kommerzienrath Lange ausplündern konnte, anstatt die Tochter zu freien. Dies alles hinderte sie aber durchaus nicht, mit wahrer Hingebung für Herrn Doktor Schönberg zu schwärmen, der die Litteraturstunden in der Selecta der Töchterschule übernommen hatte, welche Klasse Käthe besuchte, um das Erzieherinexamen zu machen. Sie suchte sich über diese „Verirrung“ mit den wunderlichsten Romanen zu trösten, in denen „Er“ jedesmal „von Schönberg“ hieß, der, nur durch die Noth gezwungen, seinen Adel einstweilen bei Seite legte. – –
Lore hatte die Schwester traurig angesehen. „Wie spät Du wieder aufgestanden bist,“ sagte sie vorwurfsvoll, „und konntest doch so gut etwas helfen, denn Deine Klasse beginnt heute erst um zehn Uhr.“
Käthe schnitt ein unbehagliches Gesicht, warf zwei große Stücke Zucker in den Milchkaffee und sprach von etwas anderem.
„Rudi! Rudi! ertönte jetzt die Stimme der Mutter draußen, „der Vater fragt nach Dir!“
Ein trauriger bittender Blick Lores folgte dem Hinausgehenden.
Lore war noch ein Weilchen in der Küche thätig gewesen,
hatte ein zweites Frühstück in der Eßstube auf den Tisch gestellt,
nach der Wäsche gesehen und sich dann in ihr eigenes Stübchen
hinauf begeben, um Toilette zu machen. Es befand sich im Bodengeschoß
und war eine sogenannte Mansarde; aber wie anmuthig
sah es hier aus! Das schmale Bettchen unter dem schrägen Dach
verdeckten duftige weiße Mullvorhänge, in denen die vielen Stopfen
so fein ausgeführt waren, daß man meinen konnte, sie gehörten
zu dem Blumenmuster. An dem niedrigen Fenster stand ein kleiner
wunderlicher Schreibtisch, eine Art Rokokomöbel mit erblindeter
Politur und allerhand Schäden, das eine der verschnörkelten Beine
fehlte ganz und war in sehr primitiver Weise ersetzt worden.
Aber dieser Schreibtisch war „historisch“; Frau von Tollen auf
Donnerstadt nannte ihn einst ihr eigen, und Prinz Louis Ferdinand
hatte, während er in Donnerstadt bei Gelegenheit eines Manövers
zwei Wochen Quartier genommen, seine Briefe an diesem Tischchen
geschrieben. Auf der oberen Platte standen nun die kleinen Nippessachen
der jetzigen Eigenthümerin, bescheidene Blumenvasen, die
stets gefüllt waren mit frischen Blüthen, wenn die Jahreszeit es
erlaubte; Nadelkißchen, eine Kabinettphotographie des Kaisers, und
als Pendant ein Bild der Königin Luise; kleine unbedeutende
Kotillongeschenke, ein Kästchen mit Messingbeschlag zum Aufbewahren
von Schmuck, das aber nur ein welkes Sträußchen in seinem
dunkelrothen Atlaspolster barg. Auf der untern Platte lag die
Schreibmappe, ein Geschenk Käthes; sie zeigte auf der Holzplatte in
möglichster Größe, aber etwas primitiver Malerei das Tollensche
Wappen, den silbernen Hund auf goldener Mauer im blauen Felde,
und darunter den Wahlspruch: „Treu und fest.“ Der kleine
Spiegel über der Kommode an der Längswand des Kämmerchens
trug in der Ecke ebenfalls das Wappen; es wollte gar nicht zu
der einfachen Holzleiste passen, die es umrahmte, so wenig, wie
das schöne Mädchen in diesen niedrigen Raum zu gehören schien,
in den es eben eingetreten war und wo es so unbeweglich stehen
blieb mit tief gesenktem Haupt.
Endlich fuhr sie sich mit der Hand über die Stirn, durch das geöffnete Fenster waren lärmende, lachende Stimmen erklungen. Sie spähte hinter den Blumenstöcken hervor zu dem Nachbargrundstück hinüber. Ein großes altersgraues Gebäude lag dort im klaren Sonnenschein, und auf dem weiten kiesbestreuten Platz davor tummelten sich ein paar hundert Knaben in diesem Augenblick. Ehemals ein Kloster, diente es jetzt dem Städtchen als Gymnasium.
Die Augen Lores irrten über die spielende bewegte Menge und blieben endlich mit beredtem Ausdruck an einem jungen Manne haften, der mitten durch das Getümmel über den Platz der Mauer zu schritt. Er trug einen dunkelblauen gut sitzenden Civilanzug und einen Filzhut von gleicher Farbe. Näher kommend, faßte er das Giebelfensterchen ins Auge und nahm grüßend den Hut ab. Rosig erglühend neigte Lore von Tollen den Kopf und trat zurück, während er, als geschehe es nur der warmen Sonnenstrahlen wegen, seine Kopfbedeckung in der Hand barhaupt weiterschritt.
Das junge Mädchen hatte sich auf den Stuhl gesetzt, der vor ihrem Bette stand, sie konnte von dort aus seine Schritte verfolgen. Ein strahlendes Lächeln war über ihr Gesicht verbreitet, und so lächelnd wandte sie noch den Kopf zurück. als ihre Mutter eintrat.
„Lore,“ begann die alte Dame verlegen, „wenn es Dir keine Unbequemlichkeit macht – der Schuster – weißt Du, die Stiefel für Käthe und einige Reparaturen – er hat die Rechnung zum dritten Male geschickt und gleich quittiert. Die Frau wartet unten – und – ich bin – es ist der siebenundzwanzigste, Lore.“
Das junge Mädchen war aufgesprungen und an die Kommode geeilt. „Wie viel, Mama?“ fragte sie fröhlich, indem sie aus dem obersten Schub ein Kästchen hervorlangte und es vor dem Ohre der Mutter leise klappern ließ.
„Zwölf Mark. Lorchen – wenn es nicht zu viel?“
Vier blanke Thaler verschwanden in der Hand der alten Dame und vier Lippen preßten sich innig aufeinander. „Nächsten Ersten. Lore.“
„Mach’ Dir keine Sorgen, Herzensmutter!“
Als sie gleich darauf wieder allein war, überzählte sie ihren kleinen Schatz. Noch zwölf Thaler; davon würden drei für des Vaters Geburtstagsgeschenk sein, und das Uebrige – sie lächelte wieder und dachte an das hellblaue Tüllkleid, das sie so gern, so lebensgern zum ersten Winterklubabend sich kaufen wollte. Aber – Weihnacht? Nun, bis Weihnacht war schon längst wieder ihr Geburtstag gewesen und der Onkel hat die bewußten zwanzig Mark gespendet; bis dahin hatte sie auch aus dem Berliner Stickereigeschäft – sie sah sich unwillkürlich scheu um: das durfte ja niemand ahnen, daß sie heimlich für Geld arbeitete! Der Vater würde schelten, die Mutter weinen und Käthe außer sich sein. Und gar Rudi – ach, Rudi! –
Ihr sonniges Lächeln verschwand, wie hatte sie das nur einen Augenblick vergessen können? Still beendete sie ihre einfache Toilette und nahm, bevor sie das Zimmer verließ, von dem Bücherband eine Spruchsammlung, steckte den schlanken Finger zwischen die Seiten und las die Stelle, die seine Spitze berührte. Sie pflegte es jeden Morgen zu thun und den kleinen Wegweiser für den Tag in der zufällig bezeichneten Stelle zu suchen.
„Sorg’! Aber sorge nicht zu viel;
Es geht doch, wie Gott haben will.“
las sie.
Und noch einmal:
„Kein süßer Leid, denn Hoffen.“
Sie sprach es leise und wie fragend vor sich hin. Dann flog ihr Blick durch das Fenster zu dem Gymnasium hinüber, und wie Rosengluth ergoß es sich wieder über das schöne Gesicht. Hastig, als habe sie ein Geheimniß verrathen, schloß sie das Buch und lief hinunter zum Vater.
Der alte gelähmte Herr saß in seinem Rollstuhl, von blauen Tabakswolken umhüllt, und plauderte mit dem Sohne. Als er Lore gewahrte, flog ein ungeduldiger Zug über sein vergrämtes Gesicht. „Lore, wie tausendmal habe ich Dir schon gesagt, Du sollst Taubenfedern besorgen und die Pfeifen reinigen, sie sind kaum noch zu rauchen.“
„Papa, ich habe sie vor zwei Tagen alle gereinigt bis auf diese; Du rauchtest gerade daraus.“
„Ausreden giebt’s immer,“ polterte der alte Herr. – „Was sagte denn nun der freche Dachs von Fähnrich?“ wandte er sich, im Gespräch fortfahrend, an seinen Sohn. „Zu meiner Zeit hätte ich den Patron achtundvierzig Stunden eingelocht, aber –“
„Ist auch geschehen, Papa.“
„Lore!“ rief der Major.
Das Mädchen kam aus der Nebenstube zurück.
„Schließ die Fenster! Himmelsakrament, Junge, hör’ diesen Spektakel da draußen an! Was, ist’s denn schon Zwölf? Ach so – heute ist die Schule eine Stunde früher aus als gewöhnlich. Ich sage Dir, zum Verrücktwerden ist diese Wohnung; am Alltag der Schullärm und Sonntags drüben im sogenannten Hellmannschen Gartensaal die Tanzmusik“ – er verbeugte sich ironisch gegen Lore, die noch am Fenster stand – „alles haben wir den Damen [7] zu verdanken; sie fanden diese Bude idyllisch, gesund, allerliebst – ich weiß nicht, was noch! Und herein mußte ich!“
Lore antwortete nicht, sie putzte eben mit dem Staubtuche die Kommode, auf welcher der große Tabakskasten seinen Platz hatte. Rudolf war aufgestanden und ans Fenster getreten.
„Der Tausend,“ sagte er, „da kommt ja Herr Adalbert Becker zu Pferde. Gilt die Parade Dir, Lore?“ Er verbeugte sich dabei, einen Gruß erwidernd. „Donnerwetter, famoser Gaul!“
„Seine Mittel erlauben ihm das,“ brummte der Major, „und dabei hat er so viel Pferdeverstand, daß er kaum einen Percheron von einem Ziegenbock unterscheidet. Sieh ihn Dir an, der Kerl hängt wie eine Klammer auf der Waschleine.“
Das junge Mädchen war niedergekniet und befreite die geschweiften Füße des Sofatisches vom Staube.
„Ihr habt ja wohl Verkehr?“ fragte der Lieutenant.
„Wer unter Wölfen ist, muß mit ihnen heulen,“ erwiderte der alte Herr ungemüthlich, und als ob er möglichst von etwas anderem reden wollte, sprach er: „Gehst Du nicht einen Frühschoppen trinken? Du findest just die ganze Crême der Westenberger jeunesse dorée bei Kramer – am Markt, weißt Du?“
„Je nun, ja! Ich könnte es thun,“ war die Antwort.
Lore hatte eben, mit der Wasserflasche in der Hand, die Stube verlassen, als der Bruder ihr folgte. „Erlaube,“ sagte er galant, ihr die Karaffe abnehmend, „wolltest Du an die Pumpe?“
Sie nickte und ging neben ihm die Treppe hinunter.
„Papa scheint in etwas gereizter Stimmung,“ bemerkte er.
Sie blickte ihn ruhig an. „Nicht anders wie sonst. Er fühlt sich elend, die Gicht plagt ihn wieder; man muß Geduld haben, er meint es nicht so böse.“
Sie standen am Brunnen in der Nähe der alten Mauer. „Höre, Lore,“ sagte der Lieutenant, ihr die jetzt gefüllte Flasche reichend, „ich tränke ganz gern einen Schoppen bei Kramers – aber – Du weißt, in Berlin ist alles drauf gegangen, könntest Du mir, bis der Zahlmeister mein Gehalt schickt – Ich habe faktisch keinen Dreier mehr –“
„Aber natürlich, Rudolf!“ Unmerklich spielte ein Lächeln um den reizenden Mund. „Wie viel?“
„Wie viel kannst Du entbehren, Lore? Ich habe – ich muß nämlich auch eine kleine Rechnung abmachen. Würdest Du mir zehn Thaler geben?“
„Gewiß!“ Sie lief eilends die Treppe hinauf in ihr Stübchen und entleerte den Pappkasten seines Inhaltes. Ein paar Minuten später ging der Herr Lieutenant zu Kramer, und als er das Lokal wieder verließ, hatte er zwei Kaviarschnitten, ein Ragout fin und verschiedene Seidel Echtes genossen und für den andern Tag eine Reitpartie nach Demnitz verabredet mit Adalbert Becker und dem Bezirksadjutanten, um im dortigen Offizierskasino des Dragonerregimentes eine Pfirsichbowle mit auszutrinken, die Becker infolge einer Wette zu geben hatte. Er kam daher weniger gelangweilt nach Hause, als er fortgegangen war, neckte sich in liebenswürdigster Weise mit Käthe und erzählte Schnurren aus der Garnison, die den Major so heiter stimmten, daß er ein übriges that. Lore mußte in den Keller steigen und eine Flasche Rüdesheimer heraufholen.
„Ich trinke auf Se. Majestät unsern Kaiser!“ rief Käthe, mit dem Bruder anstoßend, und trank ihr Glas mit einer allerliebst burschikosen Manier auf einen Zug aus. Und dann flüsterte sie Lore mit leuchtenden Augen zu. „Du, Doktor Schönberg hat bei Beckers doch keinen Besuch gemacht, er hat gesagt, es passe ihm nun mal nicht.“
Lore antwortete nicht, sie bückte sich rasch nach ihrer Serviette.
„Du sollst heute zum Wachtelhündchen kommen, Lore,“ sprach Fräulein Käthe nun laut.
„Käthe!“ sagte vorwurfsvoll die Mutter, während der Lieutenant lachte. „Ich will es nie wieder hören, Käthe!“ fuhr die alte Dame fort, „Du hast ‚Tante Melitta‘ zu sagen und nicht anders – verstehst Du?“
„Wie? Sitzt Ihr noch immer so zu Füßen von Tante?“ fragte Rudolf.
„Sie hat ja sonst niemand,“ entschuldigte Lore. „Sagte sie, wann ich kommen soll, Käthe?“
„Nun, jedenfalls doch zum Kaffee,“ schmollte die Kleine; „sie rief es mir aus dem Fenster zu, sie müßte Dich nothwendig sprechen.“
„Verschrobenes Frauenzimmer!“ schalt leise der Major seine leibliche Schwester; „hätte heirathen sollen!“
„Sie hat ja eine unglückliche Liebe gehabt,“ erklärte Käthe.
„Nun ja, ja, das wissen wir,“ knurrte der alte Herr.
„Tante Melitta sagte neulich, sie bedauere es recht sehr, nicht doch noch geheirathet zu haben; es sei nun einmal das Richtige für die Frau, und –“
„Sei ruhig; Deine Weisheit kennen wir zur Genüge! Wenn drei Frauenzimmer zusammenkommen, sprechen sie vom Heirathen. Sie hätte ihn nehmen sollen, dann hätte sie wenigstens was Gescheiteres gethan, als –“
„Aber Papa!“ rief Käthe im Tone tiefster Entrüstung, „es ist doch nur Euer Hauslehrer gewesen und, erinnere Dich, er hieß August Kiebitz! Denke Dir: ‚Melitta Kiebitz, geborene von Tollen‘!“
„Nun und was weiter?“ sagte die Mutter, „wenn er sonst ein braver Mann war?“
Käthe schlug die Hände zusammen und lachte silberhell. „Mama, das ist klassisch von Dir!“
Die gute Mama, deren gebeugter Gestalt und vergrämten Zügen man es nicht mehr ansah, daß sie einstmals die reizendste Erscheinung auf den Hofbällen der kleinen mitteldeutschen Residenz gewesen, sah bekümmert zu Lore hinüber. „Bleib’ nicht gar zu lange aus, Kind; Du weißt, die Wäsche ist zu legen und – so mancherlei –“
„Wenn Ihr nur waschen könnt!“ rief der Major und trank den Rest seines Weins aus. „Gesegnete Mahlzeit!“ Und er hinkte auf seiner Krücke zur Thür hinaus, um oben in seinem verräucherten Zimmerchen der Ruhe zu pflegen.
Fräulein Melitta von Tollen, die vor kurzem ihren sechzigsten
Geburtstag gefeiert hatte, bewohnte am entgegengesetzten Ende des
Städtchens in dem ehemaligen Zollhause, dicht vor dem Eingang
zum Thor, den ersten Stock. Es war das kein Luxus, denn derselbe
umfaßte nur drei Stuben und eine winzige Küche. Aber
die Miethe war billig und die Wohnung bot unschätzbare Vortheile; erstlich besaß sie einen Balkon, auf dem der Ständer des
Papageis und der Armstuhl des Fräuleins gerade Platz fanden,
und der überdies in den wundervollen, schattigen, parkartigen
Garten der Frau Ellfriede Becker hinabsah, und zweitens konnte
Tante Melitta jeden Wagen, jeden Spaziergänger und jede Landpartie
kontrolliren, denn nach dieser Seite befanden sich die Anlagen
des Städtchens mit dem üblichen Kriegerdenkmal, der Siegeseiche
und dem Schützengarten.
Tante Melitta lebte hier seit zwanzig Jahren. Als sie ihrem Vater die Augen zugedrückt hatte und sich auf eine schmale kleine Revenue, eine Familienstiftung, angewiesen sah, forschte sie überall nach einem Ort, wo man mit zweihundertfünfzig Thalern anständig leben könne. Aus Westenberg, allwo eine alte Freundin ihrer Mutter noch vegetirte, liefen die günstigsten Nachrichten ein, und so zog sie hierher mit ihrem Papagei, den Rokokomöbeln und dem Schmerz um ihre verlorene Liebe und war mittlerweile eine Merkwürdigkeit der Stadt geworden, erstlich durch die innige Theilnahme an dem Schicksale der gesammten Mitbürgerschaft, besonders wenn Ehen zu stiften waren, alsdann durch eine wunderliche Spielerei, der sie oblag. Sie besaß eine förmliche Puppenkolonie. Da gab es völlig eingerichtete Puppenhäuser, vom Keller bis zum Boden, Gärten, in denen Puppen spazierten, Waschhäuser, Plättküchen, Bäckereien. Jedes Geräth, jedes Möbelchen war zierlich durch ihre Finger hergestellt, so daß selbst Erwachsenen das Spielen mit diesen Miniaturpuppen manchmal eine Lust dünkte. Sie hatte Namen für diese verschiedenen Puppenfamilien, und man konnte nichts Eleganteres sehen, als das rosaseidene Boudoir der Frau Gräfin Adlerhorst, nichts Herzigeres als die Kinderstube im Puppenhause des Herrn Amtsrathes, in welcher sieben Puppenkinder mit steifen Armen um den winzigen Tisch saßen, und die Frau Puppenamtsrath vor der Kaffeekanne präsidirte. Nichts erfreute die alte Dame mehr als die Bewunderung, die ihre Gäste diesem Kunstwerk zollten.
Als ihr Bruder, der Major, den Abschied nehmen mußte und sich ebenfalls nach einem billigen Ort umsah, lobte und pries sie Westenberg bis in den Himmel; und richtig, die Familie zog her.
Die Wiege und das Grab der Hohenstaufen.
Als breiter, mäßig hoher Gebirgswall zieht sich durch das Schwabenland von Südwesten nach Nordosten die Schwäbische Alb, das Mittelglied jenes vom Rhonethal bis an das Fichtelgebirge in Bayern quer durch Mitteleuropa streichenden Kalksteingebirges, im Süden von der Donau, im Norden vom Neckar bespült. Es ist ein acht bis zehn Stunden breites Kalksteinplateau, von Höhlen durchlöchert, durchrissen von tiefen malerischen, mit prachtvollen Buchenwäldern bedeckten Felsthälern, im Süden sich sanft gegen die Donau senkend, am steilen gegen den Neckar abstürzenden Nordrand besäumt von frei vortretenden Bergen. Schon von ferne gesehen, giebt dieser Nordrand der Schwäbischen Alb landschaftlich einen schönen und bedeutsamen Hintergrund. Der von Thälern und Schluchten vielfach zernagte Steilrand ist mit Wald bedeckt oder kahl, nur mit magerer Heide; oben und in der Mitte der Abhänge steigen weiße weithin sichtbare Kalkfelsen, Ruinen gleichend, empor oder senkrechte Abstürze schauen wie Schneeflächen hinab in das Land. Auf all diesen seltsam schön geformten Vorsprüngen, sowie fast auf allen Vorbergen und Vorhügeln schuf sich der Mensch seit urältester Zeit feste Wohnsitze; es sind Berge von großer geschichtlicher Vergangenheit, zwei davon wirkten weit über Deutschland hinaus, der Hohenstaufen und der Hohenzollern, dieser näher dem Schwarzwald, jener mehr gegen Bayern zu gelegen.
Der Hohenstaufen ist nicht der höchste (sein Scheitel liegt 683 Meter über dem Meer), aber durch seine Lage weitaus der wichtigste Berg des Schwabenlandes; so recht im Herzen desselben steigt er auf, von seiner Stirn einen Umblick bis an die fernsten Gebirge gestattend, an den Odenwald, Schwarzwald, die Vogesen und bei ganz hellem Himmel an die Alpen, dazu aber über das ganze Berg- und Hügelgewirr des schwäbischen Landes. Zwei der begangensten Thäler, uralte Völkergassen, liegen ihm zu Füßen, im Norden das Remsthal, das ebenen Eintritt von Osten, vom Ries her ins Neckarthal gewährt, im Westen das Filsthal, als nächste Verbindung zur Donau.
Kein Wunder, daß schon die Römer, nachdem sie im ersten Jahrhundert n. Chr. das Schwabenland besetzt hatten, den bereits von den Urvölkern zum Opfer- und Vertheidigungsplatz erkorenen Berg Hohenstaufen (Staufen bedeutet soviel wie Becher: der Berg hat die Form eines umgestürzten Bechers), zum Angel- und Mittelpunkt ihrer großartigen Grenzwehren machten. Vom Staufen aus gehen beide Grenzwehren, die eine nordwärts über Odenwald, Taunus etc. bis Neuwied am Rhein, die andere ostwärts über Gunzenhausen bis Kellheim an der Donau, auf lange Strecken schnurgerade sich hinziehend. Man mag auf diesen beiden Linien noch so weit fortschreiten, immer wieder sieht man von ihnen aus des Hohenstaufens blaues Haupt am Himmel aufsteigen. Beide Grenzwehren sind in ihren Trümmern noch erhalten, mit Wachhäusern, Wachthürmen, Castellen und Burgställen und geben heute noch Zeugniß davon, wie gewaltig der Ansturm der Germanen und wie gewaltig und zäh die Vertheidigungskunst des Römerreiches gewesen.
Beide Grenzwehren beginnen in der Nähe des Nordfußes des Staufens; das nächste noch erhaltene römische Castell liegt nur eine halbe Stunde nördlich vom Staufen, der sogenannte Burglauch, und unweit östlich davon, vorgeschoben an den Rand einer Thalschlucht, liegt das Wäscherschloß – ein zwiefach mit Wall und Graben aus der tief unter dem Scheitel des Staufens liegenden Hochfläche herausgeschnittenes (ohne Zweifel auch römisches) Erdwerk, jetzt mit den uralten Mauern einer kleinen verlassenen Burg, fast verdeckt von den Bäumen des Waldes.
Hinter diesen Mauern saß im Anfang des elften Jahrhunderts Friedrich von Büren, ein freier Herr, dessen Besitz in engen Grenzen in der Nähe seiner Burg eingeschlossen sein mochte. Sein Vater hieß gleichfalls Friedrich und dessen Schwester Bertha war die Mutter des Grafen Berthold von Villingen in der Baar. Friedrich von Büren selbst war an die im Elsaß reich begüterte Hildegard verheirathet. Der Sohn beider, Friedrich von Büren, verlegte seine Burg auf den Scheitel des nahen Hohenstaufenbergs, sich Friedrich von Hohenstaufen nennend, und erhielt im Jahre 1079, an Ostern, von Kaiser Heinrich IV. das Herzogthum Schwaben, bald darauf die Hand der einzigen Tochter des Kaisers, Agnes. Damals habe der Kaiser, schreibt Otto von Freising, zu Friedrich also geredet:
„Wackerer Mann, den ich mir immer im Frieden als den treuesten, im Krieg als den tapfersten erprobt habe, du siehest, wie die heiligsten Rechte zu Boden getreten sind, wie durch des Teufels Eingebung empörerische Verbindungen eidlich beschworen werden, und weißt, daß alle Gewalt von Gott ist, und daß der göttlichen Ordnung widerstrebt, wer sich der obrigkeitlichen Gewalt widersetzt. Umgürte dich also mannlich zur Niederkämpfung der Reichsfeinde! Um dir zu zeigen, daß ich deiner Verdienste nicht uneingedenk bin und daß ich dir auch künftig dankbar sein will, gebe ich dir meine einzige Tochter Agnes zum Weibe und das Herzogthum Schwaben zur Mitgift.“
Achtundfünfzig Jahre, bevor ein Glied der Staufen deutscher König ward, wurden sie so unter die deutschen Fürstenstämme als ein neuer Sproß eingesetzt, hauptsächlich auf Kosten
[9][10] der Welfen, mit deren Vortheilen sich die der Hohenstaufen dermaßen kreuzten, daß dadurch der Knoten zu den verwickeltsten Kämpfen, welche lange Zeit den Vordergrund der deutschen Geschichte bilden, geschürzt wurde. Aus so kleinem Anfang, aus so bescheidenem Besitz erwuchs das berühmte Geschlecht. Seit Jahrhunderten schon saßen die großen alten alemannischen Fürstengeschlechter auf den Bergen und Burgen Schwabens, und seit Jahrhunderten schon gaben diese Fürstengeschlechter den deutschen Kaiserhäusern ihre Töchter, so besonders die Welfen – die Herren von Büren aber saßen fast in der Tiefe auf dem Rest einer römischen Erdverschanzung auf engen Burgmauern, sie werden in keiner Urkunde genannt. Das sind neue Männer gewesen, diese freien Herren von Büren, daher auch der ingrimmige Haß der alten Fürstengeschlechter, besonders der Welfen, auf die Emporkömmlinge, die so rasch und glänzend aufstiegen, freilich um nach beispiellosem Siegesgang jäh hinabzusinken und auszulöschen in der Nacht. – Aber die Gedanken der Hohenstaufen sind unsterblich; sie werden unsere Nation überdauern. Ihr Wesen wirkt fort, rein geistig – und damit stimmt wunderbar die jetzige Erscheinung des Hohenstaufenberges, von dem längst das letzte Mauerstück heruntergebröckelt. Durchaus kahl, aber in den edelsten Umrissen steigt der hünengrabähnliche Berg über die Wälder und Schluchten empor. Um sein weltgeschichtliches Haupt schweben die Wolken und schwirren die Lieder der schwäbischen Dichter in trüben und kühnen Accorden:
„Es steht in stiller Dämmerung
Der alte Fels, öd’ und beraubt,
Nachtvogel kreist in trägem Schwung
Wehklagend um sein moosig Haupt.“
Justinus Kerner.
In die alte Zeit sich zurückversetzend, singt Ludwig Uhland:
„O denk’ an jenen Berg, der hoch und schlank
Sich aufschwingt, aller schwäb’schen Berge schönster,
Und auf dem königlichen Gipfel kühn
Der Hohenstaufen alte Stammburg trägt!
Und weit umher, in milder Sonne Glanz,
Ein grünend fruchtbar Land, gewundne Thäler,
Von Strömen schimmernd, heerdenreiche Triften,
Jagdlustig Waldgebirg und aus der Tiefe
Des nahen Klosters abendlich Geläut.“
Hinter dem Staufen sind noch zwei freistehende Berge, der Rechberg und der Stuifen, letzterer ganz schmal und kahl und nie von einer Burg besetzt. Auf dem Hohenrechberg aber steht bei alten Linden eine Wallfahrtskirche und auf seinem felsigen gegen Westen heraustretenden Vorberge liegen die Trümmer der Burg Rechberg; – sie stand unversehrt bis zum 6. Januar 1865, damals fuhr ein Blitzstrahl in das Schloß, daß sein Holzwerk zusammenbrannte.
Von der herrlichen Kaiserburg des Hohenstaufen ist kein Stein übrig geblieben; kaum ein Baum wächst um den Gipfel, aber gerade deshalb steigt erhaben groß der Berg über das grüne Land, über die lachenden, mit Städten, Dörfern, Weilern, Kapellen, Schlössern und Kirchen besetzten vielgefächerten Obstbaumthäler. – Und in blauer Ferne hinter ihm und den andern großartigen Albbergen glänzt zackig die siebenthürmige Burg des neuen Kaisergeschlechtes – der Zollern – herauf.
Die Hohenstaufenburg stand aufrecht bis zum Jahre 1525, dem Jahre des Bauernkrieges. Damals kamen die aufrührerischen Ellwanger und Schenk-Limpurger Bauern das Remsthal herunter und lagerten am Fuße des Hohenstaufen. Die Besatzung desselben bestand nur aus 32 Mann. Die Zahl der Bauern war auch nicht groß, aber der Ueberfall geschah bei Nacht. Da warfen die Wächter die Schlüssel von der Zinne und verbargen sich dahin und dorthin. So ward die ehrwürdige Burg 450 Jahre nach ihrer Erbauung von den wilden Horden eingenommen, geplündert und verbrannt. Lange noch standen Trümmer davon. Der Tübinger Humanist Martin Crusius, der dieselben im Jahre 1588 besuchte, beschreibt sie folgendermaßen:
„Wenn man bei dem Thor hineingegangen ist, siehet man nun zwei Theile des Schlosses, den einen zur Rechten, den andern zur Linken. In dem zur Rechten ist heutiges Tages kein Gebäude, außer ein Stück von einer Mauer, deren Länge und Breite ungefähr 46 meiner Schritte. In dem Eck rechts vom Thor, das gegen das unten gelegene Dorf Staufen sieht, ist eine Kapelle gewesen. In dem Eck links, nicht weit vom Thor, steht ein Brunnen, jetzt mit Steinen gefüllt. Der andere Theil des Schlosses ist 60 Schritt lang und 40 breit. Also ist die Länge des ganzen Schlosses 106 meiner Schritte. Im zweiten Theil steht ein Thurm, welcher damals noch 52 Schuh hoch war und der Mannsthurm genannt ward, in welchen man die Gefangenen legte. Er hatte nur von oben, nicht von unten den Eingang. Neben war die Wohnung des Frauenzimmers. Allda war auch unter der absondernden Mauer ein Weinkeller, welcher mit Steinen schier angefüllt ist. Ich wollte hineinkriechen, konnte aber nicht. Es sind Bäume dabei. Ganz im Eck steht der Bubenthurm. Unten ist eine Höhle, das Heidenloch genannt. Die Mauer, welche das ganze Schloß umfaßt, ist beinahe 7 Schuh dick, an einem Ort höher, am andern niederer, weil viel davon eingefallen oder hinweggeführt worden. Das fürnehmste an der Mauer sind die Quadersteine, welche an allen vier Seiten behauen worden, sodaß das mittlere Viereck über die vier Nebenseiten hinfürgehet (sogenannte Buckelsteine). Die Steine sind noch roth von dem Brande, da die Bauern das Schloß angesteckt. Man kann auf der Mauer umher gehen, und wer ein scharf Gesichte hat, der sieht da bis an den Rhein. – In allen Theilen des Schlosses ist kein Bildniß, keine Inschrift, kein Wappen, keine Farbe mehr. Alles ist durch Feuer, Regen oder böse Zeiten ausgetilgt. Was ein schöner Körper war, ist jetzt nur ein Beingerippe. – Der Schultheiß ackert in dem inneren Hof und säet Frucht darauf.“
Auch das Dorf Staufen, das an der Südwestseite auf halber Höhe des Berges liegt, bewahrt nichts mehr aus der alten Kaiserzeit; das Kirchlein, in das Kaiser Barbarossa eingetreten sein soll, stammt höchstens noch in den Grundmauern aus dessen Zeit.
Das Kaiserschloß der Staufen ist von der Erde verschwunden, aber noch blüht das Land wie ehemals und auch vom nahen Kloster Lorch, der hohenstaufischen Grablege, stehen noch bedeutende Reste. Nur eine starke Stunde nördlich vom Fuß des Hohenstaufen, im grünen Remsthale, trägt heute noch der waldige Klosterberg auf seinem flach abgeschnittenen Scheitel die Mauern des vom Hohenstaufen Friedrich I., Herzog von Schwaben, im Jahre 1102 gestifteten Benediktinerklosters. Noch steht, jetzt wieder hergestellt, die alte Klosterkirche, in deren Felsengrüften Friedrich I., die griechische Kaiserstochter Irene und andere Mitglieder des staufischen Hauses ruhten. Wieder steigt jetzt einer der uralten Rundthürme der Kirche, bis zur Spitze seines Kegeldaches gediegen von Stein, hochauf, in unseren Tagen auf Staatskosten wieder hergestellt nach Entwürfen des Baurath Berner. Der andere Thurm stürzte schon im 15. Jahrhundert zusammen. Noch führt im Westen durch die starke Ringmauer das weite mit normannischem Zickzack umfaßte Rundbogenthor. Diese Grablege der Hohenstaufen ruht gleichfalls auf den Trümmern eines Römerkastells. Ueber das Westportal der Kirche legt sich heute noch als Oberschwelle ein langes antikes Gebälkstück mit einer jetzt ganz verwaschenen römischen Kaiserinschrift. Die Kirche selbst des ehemaligen Benediktinerklosters ward erbaut seit 1102 als schlichte dreischiffige, gegen Osten mit breitem Querschiff versehene [11] Pfeilerbasilika, im Westen, ähnlich wie an den uralten Kirchen des Sachsenlandes, woher ja die Kaisertochter Agnes stammte, mit einem sogenannten Westbau, einer Art Vorhalle mit zwei runden Thürmen neben sich, von denen einer heute noch steht. – Im Innern der Kirche hinwandelnd durch das flachgedeckte Mittelschiff über Grabplatten früherer Aebte, vorbei am spätgothischen Grabdenkmal der Hohenstaufen, halten wir unwillkürlich still vor dem Eintritt ins Kreuzschiff, denn hier sieht man breite Bündelpfeiler, die Kapitäle tragen, gewaltsam in die nüchternen Formen der Pfeilerbasilika hineingedrängt, mit langgeschwänzten Drachen und anderem wilden Gethier lebhaft geschmückt.
Diese vier Pfeiler trugen einst auf vier starken Spitzbögen einen Kuppelthurm, der nun auch verschwunden ist. Er ward errichtet von den späteren Hohenstaufen und verkündete schon von außen den Ruhm und die Macht der erlauchten, nunmehr Kaiser gewordenen Stifter.
Auf den viereckigen Pfeilern des Mittelschiffes sind die Bilder der Hohenstaufen gemalt, wenig bedeutende Arbeiten aus dem 17. Jahrhundert, doch mögen ältere Bilder darunter verborgen sein. Schön aber ist das spätgothische Grabdenkmal aus Sandstein, das Abt Nicolaus Schenk von Arberg im Jahre 1475 dem Andenken der Hohenstaufen errichten ließ. Im linken Arm des Querschiffes stehen sodann an den Wänden die Steinbilder der Wöllwarth, der Vorfahren eines heute noch blühenden schwäbischen Rittergeschlechtes. Von dem Kloster ist noch der Nordflügel erhalten mit einem Theil des gothischen Kreuzganges, sowie mit dem von geschnitzten Holzsäulen gestützten Refektorium, das durch große Wandbilder aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts geschmückt ist.
Im Bauernkriege ward das Kloster Lorch auch schwer mitgenommen. Am 26. April 1525 bemächtigten sich die Bauern der Ringmauer, verbrannten Kirche und Kloster, so viel daran von Holzwerk war, plünderten die Kleinodien und Kostbarkeiten, verwundeten den Abt Sebastian tödlich und erklärten alle Privilegien des Klosters für aufgehoben.
Von großem Werthe für das Kloster waren gerade die hier befindlich gewesenen vielen und seltenen Reliquien. Hoch bewundert war die tabula reliquiarum mit griechischer Schrift, welche Irene aus Griechenland erhalten und hierher gestiftet hatte. Von nah und fern kamen die Gläubigen, um die Kleinodien zu verehren, die meist von den Hohenstaufen auf ihren Fahrten durch das Morgenland erworben und um ihres Seelenheils willen in ihr Erbbegräbniß geschenkt worden waren.
Stälin zählt in seiner württembergischen Geschichte von Hohenstaufen, die in der Klosterkirche zu Lorch bestattet wurden (nur ihre glatten leeren Steinsärge sind noch erhalten), folgende auf: Herzog Friedrich der Stifter († 1105), Herzog Konrad, Sohn von Friedrich Barbarossa († 1196), den römischen König Heinrich; er starb 1150, zwei Jahre vor seinem Vater, dem Kaiser Konrad III., dreizehnjährig, und König Philipps Gemahlin, die griechische Kaiserstochter Irene, „die Rose ohne Dornen, die Taube sonder Galle“ († 1208), die nach ihres Mannes Ermordung durch Otto von Wittelsbach auf die Burg Hohenstaufen geflüchtet und dort wenige Wochen darauf vor Kummer gestorben war. Als man die Leiche in der Nacht bei Fackelschein herübertrug von der Kaiserburg durch das enge Seitenthal und hinauf in das Kloster Lorch, da stand schon jene Steinlinde, die heute noch draußen an der Nordostecke der Klostermauer emporsteigt, jetzt bis in die Wurzel gespalten. Die Krone des noch immer gewaltigen Baumes sank schon im Sturme des 1. November 1755, zu derselben Stunde, da Lissabon durch Erdbeben zerstört wurde, und wieder ein Hauptast fiel in dem großen Sturm des 1. November 1870, des Tages der Einnahme von Metz durch die Deutschen. Aber immer noch ist es ein riesiger Baum, breitet noch fröhlich grünend die Zweige aus und rauscht uns Erinnerungen in die Seele an das große, durch furchtbare Geschicke so früh zerbrochene Heldengeschlecht.
„Am Thor steht ein uralter Lindenbaum,
Mit weitem, sturmzerzaustem Blätterkranze,
Oft wenn er sich verklärt im Abendglanze,
Errauscht in ihm sein erster Jugendtraum:
‚Mir ist, es waren wenig Jahre kaum,
Daß man mich eingesetzt als junge Pflanze,
Da traten oft zu mir zum Reigentanze
Die Hohenstaufen aus dem Klosterraum.
Doch eine Nacht kam, nie vergeß ich jene,
Es ward ein schwarzer Sarg bergauf getragen,
Darinnen lag die Kaiserin Irene,
Die starb im Schmerz, weil ihr der Mann erschlagen, –
O welche Nacht, kein Aug’ war ohne Thräne,
Der ganze Berg erscholl von Weheklagen!‘“
Am Fuße des Klosterberges liegt das hübsche Städtchen Lorch, reizend umgeben von Wiesengrund und tief in die Berge hineinschneidenden Waldschluchten. In Lorch wurde 1762 geboren der schwäbische Dichter Karl Philipp Conz, der begeisterte Freund Friedrich Schillers, und Schiller selbst verbrachte einige Jahre seiner ersten Knabenzeit in Lorch bei dem damaligen Pfarrer Moser, demselben, den er später in seinen „Räubern“ als Pastor Moser mit liebender Anhänglichkeit geschildert hat. – In das Gemüth des frühreifen Kindes mag damals aus der schönen poesie- und geschichtevollen Landschaft von Lorch unbewußt, aber unvergänglich mancher Lichtstrahl gefallen sein.
Die Vermählung der Todten.
In der schönen Stadt Florenz stand um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts in der Nähe des Alten Markts die hochberühmte Loggia degli Agolanti. Dieser schöne gothische Bau, von dem jetzt nur noch schwache Spuren erhalten sind, gehörte einem streitbaren alten Ghibellinengeschlecht, das seit Jahrhunderten großes Ansehen in der Stadt genoß, und führte im Volk den bedeutungsvollen Namen „Loggia del Parentado“, weil sich dort die alten Florentiner Adelsfamilien gesellig zu versammeln pflegten und bei solcher Gelegenheit manche Verschwägerung zum Abschluß gebracht wurde. „Verschwägerungen“ nannte man nämlich damals die Eheschließungen zwischen den Großen, bei denen es nicht die Wahl der Herzen, sondern ein Schutz- und Trutzbündniß zweier
[12][13] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [14] Geschlechter auf Leben und Sterben galt, denn die Tüchtigkeit ihres Stammes, die Zahl und Waffenfähigkeit ihrer männlichen Anverwandten war die Mitgift, die man nebst einem unbescholtenen Namen von der Braut verlangte.
An die schöne Halle aber, in die wir unsere Leser führen wollen, knüpfte die Tradition eine glückliche Vorbedeutung für solche Bündnisse, und wer seinem Sohne eine würdige Lebensgefährtin suchen wollte, wandte sich gern an die Vermittlung Messer Baldassarres degli Agolanti, dem die Natur das klug aushorchende Wesen und das überzeugende Wort des echten Florentiners verliehen hatte.
Zwischen den beiden Männern jedoch, die an einem schönen Frühlingsabend bei einem Krug feurigen Chiantiweins in dieser Loggia beisammen am Schachbrett saßen, bedurfte es keines Vermittlers, denn einer von ihnen, der mit den schmalen blassen Zügen, war Messer Baldassarre selbst, sein Genosse aber mit dem aufgedunsenen alten Bacchuskopf und dem kriegerischen Eisenwams war Messer Cione degli Amieri, der alte Haudegen, den jedes Kind in Florenz als den unzertrennlichen, wenn auch sehr ungleichen Busenfreund Messer Baldassarres kannte. Messer Cione hatte in seinen jungen Jahren nach dem Sieg der guelfischen Partei an der Seite seines Vaters, des berühmten Kriegers Foglia degli Amieri, des „Ritters vom goldenen Sporn“, die Bitternisse des Exils gekostet und war viel mit den Deutschen in Italien herumgezogen; bei denen hatte er die Kunst des Trunkes erlernt. Als er nun mit den Seinigen in die Vaterstadt zurückgerufen und in alle Ehren wieder eingesetzt wurde, wandte er zwar seine Waffen wider Heinrich den Luxemburger, der neunzig Tage lang Florenz belagert hielt, aber der deutsche Durst war ihm geblieben. Und er, der vordem bei seinen germanischen Lagergenossen in der Kunst des Zechens nur für einen Stümper gegolten hatte, erreichte unter seinen minder vermögenden Landsleuten bald den Ruf der Meisterschaft. Wenn Messer Cione auf die alten Zeiten zu reden kam, so rühmte er sich auch gern, als grüner Junge in der Schlacht von Campaldino an der Seite des großen Dante Alighieri gefochten zu haben, aber das Göttliche Gedicht hatte er nicht gelesen, denn auf Reimereien hielt er nicht viel, war auch der Meinung, der tapfere Ghibelline hätte es füglich können ungeschrieben lassen. Aber sein Töchterlein, die blonde Ginevra, die mit den Jahren an Geist und Schönheit das Wunder ihrer Zeit werden sollte, konnte ganze Gesänge des „Inferno“ auswendig und hatte die traurige Geschichte der Francesca von Rimini und des unglücklichen Paolo mit wunderbarer Kunst in einen Teppich gestickt.
Auf dieses Mädchen, des alten Cione einziges Kind, hatte Ricciardo, Messer Baldassarres ältester Sohn, ein Auge geworfen, und der junge Ritter, der bisher den Banden des Ehestandes völlig abhold gewesen, hatte erklärt, keine andere als Ginevra zur Frau zu nehmen, und sollte er auch Gefahr laufen, sein Leben in ledigem Stande zu beschließen und ohne gesetzliche Erben aus der Welt zu gehen. Diese Drohung Ricciardos beunruhigte seine ganze Verwandtschaft, denn er war schon neunundzwanzig Jahre alt und es galt damals für unziemlich, wenn ein Mann unvermählt das dreißigste Lebensjahr überschritt.
Deshalb hatte Messer Baldassarre, dem die Tochter seines Freundes wohl anstand, versprochen, den Brautwerber diesmal in eigener Angelegenheit zu machen, und er suchte vorerst den Freund vorsichtig auszuhorchen.
Aber all seine Kunst war an dem ehrlichen Messer Cione verschwendet, der gar nicht begriff, worauf die verblümten Fragen seines Freundes abzielten, und der auf die Lobpreisungen seines Kindes nur mit zufriedenem Schmunzeln und einem zerstreuten „Hm“ und „Ja“ antwortete, denn seine ganze Aufmerksamkeit war einem Springer seines Gegners gewidmet, der Ciones Königin bedrohte. Er stützte den Kopf auf die Linke, die in seinem dichten, noch braunen Haar wühlte, und goß, ohne es zu merken, einen Becher Wein nach dem andern hinunter. Als Messer Baldassarre das Hinderniß seiner Brautwerbung erkannte, opferte er klug den Springer und verlor das Spiel. Messer Cione, durch die mehreren in der Zerstreuung geleerten Becher angeheitert, gerieth über seinen unverhofften Sieg in so rosige Laune, daß ihm die ganze Welt in einer abendröthlichen Verklärung erschien, und wollte eben mit schwerer Hand ein neues Spiel aufstellen, als sein Freund das Brett zurückschob und ohne weitere Umschweife die Werbung vorbrachte. Er erzählte mit eindringlichen Worten, wie Ricciardo beim Maienfest zum ersten Male die schöne Ginevra im Festgewand unter den tanzenden Jungfrauen gesehen habe, wie ihm seitdem ihr Bild nicht aus dem Herzen gewichen sei und er erkannt habe, daß er nur durch ihren Besitz seine Ruhe wiederfinden könne.
Cione streckte beide Füße aus, griff nach dem Becher, den er auf einen Zug leerte, strich sich dann den Bart und ließ die Faust langsam und gewichtig auf den Tisch fallen.
„Soll sie haben! Soll sie haben!“ rief er mit dröhnender Stimme, die von den Wänden der Loggia wiederhallte. – „Meiner Treu, das ist ein guter Gedanke. Ricciardo ist ein braver Junge und Deine Verwandtschaft ist mir lieb und werth.“
Hier besann er sich einen Augenblick, rieb sich die Stirn und fügte hinzu:
„Das heißt, wenn das Mädchen mit der Heirath zufrieden ist, denn sie hat einen eigenen Kopf, und ich habe ihrer Mutter – Gott schenke ihr das Paradies! – versprechen müssen, nichts gegen ihr Glück zu thun. Nicht daß ich fürchtete, Dein Ricciardo könne ihr zum Gemahl nicht anstehen,“ fuhr er fort, als er dem verwunderten Blick seines Freundes begegnete. „Aber das Kind ist noch nicht sechzehn Jahre alt und scheu wie ein Reh. Als vor sechs Wochen der Oheim des jungen Frescobaldi um ihre Hand für seinen Neffen anhielt, ließ sich das gute Kind so verzweifelt an, als sollte es in die Klauen eines Raubthieres ausgeliefert werden, und ich mußte ihr mit den heiligsten Schwüren geloben, sie noch nicht von mir zu stoßen in ein fremdes Haus.“
Messer Baldassarre sah während dieser Worte seinen Freund mit Augen an, die immer größer und erstaunter wurden. Endlich ließ er beide Arme sinken, und als Messer Cione geendigt hatte, rief er im Tone höchsten Verdrusses:
„Hat man denn je gehört, daß ein Vater seine Tochter zu befragen hat, wenn er eine Verschwägerung mit einem edeln Geschlecht schließen will? Oder hast Du vielleicht bei den Deutschen die kuriose Sitte gesehen, daß die Kinder ihren Eltern gebieten?“
Da begann Messer Cione heftig zu fluchen und verschwor sich hoch und theuer, daß er in seinem Hause Herr und Meister sei und daß er jederzeit über seine Tochter verfügen könne, wie es ihm beliebe. Aber Messer Baldassarre stachelte ihn durch spitzige Reden noch mehr auf, bis der alte Ritter auf seine Tochter schalt, als habe er sie schon auf offener Widersetzlichkeit gegen seine Befehle ertappt, und in höchstem Zorne endlich rief:
„Und wenn sich das Gänschen sperren und sträuben will, so sage ich: Marsch ins Kloster oder in des edlen Messer Ricciardo Haus! Hat man unsere Frauen vielleicht gefragt, ob sie uns wollten? Die meinige kam mir mit rothen Augen ins Brautgemach, aber sie mußte sich fügen, weil es unsern Vätern so beliebte. Und nachher wurde sie Dir so zahm wie ein Turteltäubchen, die anfangs nur mit gesträubten Federn umher gegangen war. Und die Deinige wird Dich gerade auch nicht mit Freuden genommen haben.“
Der andere lächelte säuerlich und sagte:
„Mein Ricciardo ist rauh von Sitten und versteht sich nicht aufs Schönthun wie die geputzten, gesalbten Bübchen, die am Maienfeste den Ringelreihen mit den Schönen tanzen. Aber er hat das Herz am rechten Fleck und wird jederzeit für seinen Schwäher eintreten wie ein eigener Sohn. Deshalb verlasse ich mich mehr auf Dein väterliches Wort als auf seine Eroberungskünste.“
Der alte Ritter schlug mit der Faust heftig auf den Tisch.
„Und ich sage, er soll sie haben! Das ist abgemacht!“ schrie er mit weinschwerer Zunge. „Schon zwei brave Jungen, die mir zu Schwiegersöhnen recht gewesen wären, habe ich mit langer Nase abziehen lassen, weil es dem gnädigen Fräulein so beliebte. Jetzt ist es Zeit, daß sie meinen Ernst kennen lernt. Die verdammten Weiber mit ihrem Geflenn! Aber sie soll mir nur wieder so kommen! Auf dem Sterbebett habe ich ihrer Mutter versprochen, sie glücklich zu machen, und jetzt will ich mein Wort halten, so wahr ich Cione degli Amieri heiße! Verlaß Dich auf mich, Du hast mein Versprechen.“
Messer Cione stieg sporenklirrend die Stufen hinunter und schritt auf die Straße hinaus, wo die Knechte mit einem gesattelten Pferd seiner warteten. Denn ob er gleich von der Loggia der Agolanti bis zu seinem Palast nur ein paar Schritte zurückzulegen hatte, hielt er es doch unter seiner Würde, auf der Straße anders als zu Roß gesehen zu werden.
[15] Während er heimritt, fühlte Messer Cione in der frischen Abendluft mit den Weindämpfen auch seinen Zorn verrauchen und damit schwand zugleich die Stärke der Tyrannei, in die er sich hinein geredet hatte. Und nun beunruhigte ihn der Gedanke, ein Machtwort aussprechen zu müssen, das seinem geliebten Kind vielleicht einen Strom von Thränen entlocken und ihm selber jedenfalls das Nachtessen verderben würde. Einen Augenblick dachte er daran, die Mittheilung seines Entschlusses noch um einen Tag zu verschieben, aber er erwog, daß die Zeit seine Stimmung noch mehr mildern und daß er alsdann gar nicht im Stande sein würde, seinen Vorsatz durchzuführen. Deshalb suchte er künstlich seinen schwindenden Zorn festzuhalten und seine Tochter als eine Undankbare anzusehen, die sich in so großer Jugend schon zweimal der väterlichen Autorität widersetzt und seine liebsten Wünsche durchkreuzt hatte. Daß er selber damals ihrer Weigerung von Herzen zugestimmt hatte und ganz zufrieden war, sein einziges Kind noch länger im Hause zu behalten, fiel ihm gar nicht mehr ein. Aber seine behagliche Natur, die gern allem Unangenehmen aus dem Wege ging, spielte ihm unbewußt einen Streich, und ohne daß er es merkte, war er plötzlich von seinem Wege abgebogen und ritt unter stillem Vorsichhinbrüten zum Verwundern seiner Knechte ganz langsam zum Thor hinaus und über die Arnobrücke.
Er erinnerte sich, wie Messer Baldassarre ihn gefragt hatte, ob vielleicht das Herz des Fräuleins von einem andern Bilde erfüllt sei, und wenn er sich ihre blühende Gestalt und ihr schwermüthiges Lächeln vorstellte, so mußte er sich sagen, daß sie doch das Kind nicht mehr sei, als das sie ihm noch vor kurzem erschienen, und daß besonders seit ein paar Wochen eine große Aenderung mit ihr vorgegangen war. Und woher schrieb sich diese Aenderung? Erst nachträglich fiel ihm auf, daß sie seit dem letzten Maienfest nicht mehr mit den Hunden spielte, noch ihn auf die Jagd begleitet hatte, sondern immer nachdenklich und still am Fenster über ihrem Stickrahmen gesessen war. Aber wen hatte sie auf dem Maienfest gesehen? Nun, er wußte es ja – wen anders als Messer Ricciardo?
Hier stieg ihm ein dämmernder Lichtschein auf, von dem er noch nicht wußte, wohin er ihn führen würde. Er legte die Hand an die Stirn und spann so weiter, denn wenn es dem alten Ritter gelungen war, eine Gedankenspule zu erhaschen, so ruhte er nicht, bis er sie völlig abgewunden hatte, mochte es auch noch so lange dauern. Und da stand es plötzlich sonnenhell vor seinem Geiste, daß die blonde Ginevra beim Maienfest auf dem Turnierplatz von Santa Croce zum ersten Mal Messer Ricciardo im ritterlichen Schmuck aus der Nähe gesehen, daß ein Liebespfeil beider Herzen entzündet hatte, und daß das Mädchen seine schüchterne Neigung nur durch den Abscheu gegen jedes andere Eheband zu äußern wagte. Freilich war Ricciardo der letzte, hinter dem er die Gabe gesucht hätte, ein Frauenherz im Sturm zu erobern – aber die Wege des kleinen Gottes sind ja immer dunkel für ein Vaterauge.
Wer konnte froher sein als Messer Cione? Er wandte sein Roß und trabte unter den fröhlichsten Gedanken der Stadt zu. Als er sich seinem Palast näherte, sah er einen schönen schlanken Jüngling in braunen Sammet gekleidet um die Ecke schlüpfen, der bei seinem Anblick betroffen zur Seite trat und mit dem Ausdruck tiefster Ehrerbietung die Mütze vom Kopf nahm. Es war ein langer Mann aus dem Geschlecht der Rondinelli, einer angesehenen reichen Popolanenfamilie, die vor wenigen Jahren dem alten Adel in blutigem Straßenkampf siegreich gegenüber gestanden. Messer Cione drehte brummend den Kopf zur Seite, denn diese Begegnung war ihm so widerlich, als sei ihm eine Katze über den Weg gesprungen, und er war fast geneigt, sie für eine üble Vorbedeutung zu halten.
Auf der Treppe hüpfte ihm sein Töchterlein leichtfüßig entgegen. Bei diesem Anblick schwanden die Wolken von des Ritters Stirn und es war ihm, als ob eine neue Sonne aufgehe. Er lächelte sie freundlich an und rief ihr schon von weitem zu:
„Nun rathe, mein gutes Kind, was ich Dir heute mitbringe!“
„Gewiß habt Ihr mir bei dem fränkischen Händler den Knäuel Goldfaden gekauft, um den ich Euch neulich bat.“ sagte Ginevra und schmiegte sich an den Vater, der ihr den Arm schwer auf die Schulter legte und von ihr unterstützt die Stufen hinaufkeuchte.
„Ach Firlefanz!“ sagte der Alte, „Du würdest ja mein ganzes Vermögen in Deinen Teppich hineinsticken. Etwas viel Besseres bringe ich Dir mit,“ setzte er schalkhaft geheimnißvoll hinzu, indem er in die Stube trat.
Da fühlte er aber, daß dies nicht die passendste Form sei, der Tochter seine Mittheilung zu machen, und schrie sie barsch an:
„So hilf mir doch das Eisenwams ablegen! Bist Du denn zu gar nichts zu gebrauchen?“
Ginevra flog und brachte den Hausrock, in welchen sie den Vater hüllte, nachdem sie ihm behilflich gewesen, mit großer Mühe das enge Wams über den Kopf auszuziehen und die schweren Sporen abzuschnallen. Dann legte sie Wams und Mütze sorgfältig in die große, reichverzierte eichene Lade, die unter dem Spiegel zwischen beiden Fenstern stand, das Prachtstück des ganzen Hausgeräths.
Messer Cione hatte sich unterdessen in dem großen geschnitzten Lehnstuhl niedergelassen und dachte auf eine geziemende Anrede, die sich für die feierliche Eröffnung schicken sollte.
„Du weißt,“ begann er nach einigem Räuspern, „daß ich Dir immer ein guter Vater gewesen bin. Ich habe es Dir nie zum Vorwurf gemacht, daß Du als Mädchen zur Welt gekommen bist, obgleich Du dadurch meine liebsten Hoffnungen zerstört hast. Weder Dich noch Deine selige Matter habe ich es entgelten lassen, was doch jeder andere an meiner Stelle gethan hätte, sondern ich habe Dich lieb und werth gehalten, als wäre mir in Dir ein männlicher Sprosse und Erbe meines Namens geboren worden. Oder kannst Du es anders sagen?“
Sie stand vor ihm mit herabhängenden Armen, den schönen Kopf mit den blonden Flechten vorgeneigt, die braunen Taubenaugen zu Boden geschlagen, und ihr Herz klopfte in banger Erwartung, was auf diesen Eingang folgen würde.
„Nein, Vater,“ stammelte sie beklommen, „Ihr seid immer gut gegen mich gewesen.“
„Das will ich meinen und es ist mir lieb, daß Du es anerkennst,“ sagte er und strich sich mit der Hand über die Brust herunter. – „Und da ich immer gut gegen Dich gewesen bin und auch Deiner Mutter versprochen habe, für Dein Glück zu sorgen“ – da ihm aber keine schickliche Fortsetzung einfiel, brach er kurz ab und rief: „Zum Teufel mit den langen Reden! Kurz und gut, der Sinn ist der, daß Du jetzt einen Mann nimmst, denn ich will noch bei Lebzeiten Großvater werden.“
„Vater!“ rief sie erschrocken, mit einer Gebärde flehender Abwehr.
„Ach was, dummes Zeug!“ sagte er ärgerlich. „Ich weiß, wenn Deine Mutter noch lebte, so hätte sie Dir die Mittheilung in einer andern Form gemacht, aber es bliebe doch immer dasselbe. Einen Mann will ich Dir geben, der gut und tapfer und angesehen ist und nach dem eine andere alle zehn Finger ausstrecken würde. Und wenn Du erst seinen Namen hörst –“
„Ich will ihn nicht wissen, ich will ihn nicht wissen. Hattet Ihr mir nicht versprochen, mich bei Euch zu behalten bis ich noch ein paar Jahre älter wäre? Seid Ihr meiner überdrüssig? Habe ich etwas gethan, daß Ihr mich von Euch stoßen wollt?“ fragte sie schmeichelnd.
„Larifari! Das sind nur Zierereien,“ rief der Alte ärgerlich. „Bei mir bleiben! Willst Du eine alte Jungfer werden? Du bist sechzehn Jahre alt. Ich könnte wetten, daß Du Dich schon lange nach der Haube sehnst. Komm einmal her und gestehe, ob Du nicht nachts in Deinem Kämmerlein im Stillen nach Deinem Trauten schmachtest.“
„Vater, was sagt Ihr da?“ stammelte sie verwirrt. „Ich kenne ja gar keine jungen Männer.“
„So, Du kennst keine jungen Männer? Was hat man mir denn da eine Stunde lang vorgefaselt – wollte sagen vorgeredet von hoffnungsloser Liebesgluth und solchen Dummheiten und von Nächten, die man unter Deinem Fenster verseufzt?“ –
„Von wem redet Ihr?“ sagte sie athemlos.
Messer Cione weidete sich an ihrer Bestürzung. Er sah sie zärtlich und zugleich neckisch an und sagte, indem er ihr das Kinn aufrichtete:
„Wie hieß denn der artige Herr, mit dem man beim Maienfest auf Santa Croce Bekanntschaft gemacht hat?“
„Vater!“ rief sie und stürzte ihm zu Füßen.
Dem Ritter wurde es naß in den Augen.
„Siehst Du, thörichtes Kind.“ sagte er. „warum hast Du nicht gleich Vertrauen zu Deinem Vater gehabt?“
„O,“ schluchzte sie, „Ihr wißt alles und Eure Güte ist so groß.“
[16] „Sieh, Kind, so ist Dein Vater,“ sagte er gerührt. „Tag und Nacht denkt er nur daran, Dich glücklich zu machen, und ruht nicht, bis er das Rechte gefunden hat. Ich bin Dir Vater und Mutter zugleich gewesen und habe es Dir nie nachgetragen, daß Du mir schon in der Geburt die liebsten Wünsche durchkreuzt hast und daß durch Deine Schuld mit mir das alte Geschlecht der Amieri zu Grabe geht.“
„O Vater, ich habe sehr gesündigt, daß ich Eurer unendlichen Güte nicht vertraute. Mein Glück ist so groß, daß ich es noch nicht fassen kann. Sagt es noch einmal, daß Ihr mir ihn geben wollt, daß ich seine Frau werden soll!“ –
Er richtete die selig Weinende auf, streichelte ihr Gesicht und sagte: „Ja, ja, Du sollst ihn haben, obgleich ich manches dagegen einwenden könnte und auch, offen gesagt, gar nicht so viel Schönes an ihm sehen kann.“
„Also habt Ihr ihm verziehen und wollt ihn empfangen wie einen Sohn? O, auch Leonardo wird Euch lieben wie einen zweiten Vater und wenn er Euer Mißfallen verdient hat, so wird er suchen, es tausendfach gut zu machen durch sein ganzes Leben.“
„Schon gut, schon gut,“ sagte der Alte, der nicht wußte, was er verziehen haben sollte. – „Aber er heißt nicht Leonardo, sondern Ricciardo,“ fuhr er lächelnd fort. „Du mußt Dir diese Untugend abgewöhnen, die Namen zu verwechseln, Deine Mutter – Gott schenke ihr den ewigen Frieden! – war gerade so. Nie konnte sie sich in den ersten Jahren unseres Ehestands überzeugen, daß ich Cione und nicht Lorenzo heiße.“
„Wenn Ihr es befehlt,“ sagte Ginevra an seine Brust geschmiegt, „so will ich ihn mein Leben lang Ricciardo nennen, obgleich ich Euch schwören kann, daß er in der hl. Taufe den Namen Leonardo erhalten hat. Leonardo! sagt selber, ob es einen wohlklingenderen Namen geben kann. Leonardo de’ Rondinelli! und künftig Ginevra Rondinelli!“
„Bist Du toll!“ schrie der Vater und fuhr auf. „Ricciardo! Ricciardo degli Agolanti! Ginevra Agolanti, wenn Dir’s beliebt! Wie kommst Du auf den Namen Rondinelli? Was hast Du mit dem Gesindel zu schaffen? Sprich, rede, ich will’s wissen!“
Er packte die Bestürzte und schüttelte sie heftig, während sie entfärbt, keines Wortes mächtig mit aufgerissenen Augen vor ihm stand.
„Was hatte der junge Rondinelli in meinem Haus verloren? Ich habe ihn eben wie einen Dieb um die Ecke schleichen sehen. Weh Dir, wenn Du Dich mit dem Popolanenpack gemein machst! Räuber und Mordbrenner, die uns die Häuser über dem Kopf anzünden und ausplündern! Gesindel, das uns aussaugt und an unsern Gütern fett wird, während wir verarmen! Was hat der Bursch vor meiner Thür zu thun? Gilt sein Herumschleichen Dir? Willst Du gleich reden!“
Aber der jähe Umschlag hatte das Mädchen völlig betäubt, und der Alte mußte dieselbe Frage noch oft wiederholen und zwar immer lauter und zorniger, bis Ginevra sich etwas gesammelt hatte und mit Würde antworten konnte:
„Vater, er hat seinen Fuß ja nicht über die Schwelle gesetzt. Nur auf der Straße ist er vorübergegangen, während ich am Fenster saß.“
„Also geäugelt hast Du mit ihm! Ist es nicht eine Schande! Du, die Enkelin Messer Foglias, eines Ritters vom Goldenen Sporn, und dazu die Braut eines Agolanti! Aber gieb nur Acht! Wenn Dein Vater Dich verzogen hat, Dein Gatte wird Dir die Grillen schon austreiben. Einen Rondinelli! Und was hast Du mit ihm? Ist es beim Ansehen geblieben oder –?“
„Wir lieben uns, Vater,“ sagte Ginevra fest, „da Ihr es doch schon wißt, da Eure gütigen Worte mir mein Geheimniß entlockt haben. Wir lieben uns und nie werde ich einwilligen, die Braut eines andern zu werden – auch nicht Messer Ricciardos.“
Messer Cione hob die Hand auf, um sie zu Boden zu schmettern, aber er begnügte sich, sie in eine Ecke zu schleudern, wo sie mit der Schulter hart an einem Pfosten aufstieß.
Er ging ihr mit geballter Faust nach. „Wo hast Du den Schurken kennen gelernt? Wie bist Du zu dieser Bekanntschaft gekommen?“
Das nervöse Herz.
Das wunderbare kleine Ding, das, so lange wir leben, ohne Unterlaß in unserer Brust hämmert, rastlos Tag und Nacht das Getriebe erhält, welches unsere Adern mit Blut versorgt – unser Herz vermag sich nicht dem mächtigen Zuge der Zeit zu entziehen, es wird auch gar häufig nervös.
Ein so feines und kompliziertes mechanisches Meisterwerk, wie es das Herz ist, wird von so vielen bewunderungswürdig in einander greifenden nervösen Apparaten beherrscht, die Nervenbahnen, welche Hirn und Herz verbinden sind so bedeutungsvolle, daß es wohl leicht verständlich ist, wie jede Veränderung im Nervensysteme überhaupt sich alsbald durch Störung der normalen Herzarbeit kund giebt, wie Seelenleben und Herzthätigkeit in inniger Wechselwirkung stehen. Es ist so eine allbekannte, auch dem Laien wohl bewußte Thatsache, daß die psychischen Zustände des Menschen einflußreich auf das Herz und seine Bewegung wirken, namentlich die letztere theils zu beschleunigen, theils zu verlangsamen im Stande sind. Es ist erwiesen, daß Lustgefühle und freudige Erregung den Rhythmus des Herzschlages schneller gestalten, daß hingegen Unlustgefühle, unangenehme Empfindungen und Trauer die Herzthätigkeit herabsetzen, verlangsamen; so daß außerordentlich heftige, plötzlich auf das Gemüth hereinbrechende Empfindungen hoher Freude oder tiefen Wehs augenblicklichen Herzstillstand und damit raschen Tod herbeizuführen vermögen.
Wie schlägt das Herz hoch in Erwartung freudiger Botschaft, wie pocht es stürmisch in den Minuten wonniger Empfindung, wie droht es still zu stehen, wenn Schreck und Furcht gewaltsam über uns hereinbrechen, wie feinfühlig macht es alle Vibrationen mit, die unser Gemüth durchziehen! Was Wunder, daß dies zarte und wichtige Organ bei dem Gedränge der Arbeit und in der Ueberanstrengung des Hastens, wodurch sich die Gegenwart auszeichnet, auch oft genug – nervös wird!
Die erhöhte Erregbarkeit der Herznerven giebt sich vorzugsweise durch Herzklopfen kund, das heißt durch beschleunigten und vermehrten Herzschlag, zuweilen aber auch ohne solche nachweisbare gesteigerte Herzthätigkeit durch das bloße Gefühl solcher Herzerregung, durch die lästige Empfindung derselben. Während im normalen Zustande die Zahl der Herzschläge beim erwachsenen Menschen mit ungefähr 70 in der Minute angenommen wird, findet bei dem als Herzklopfen bezeichneten Erregungszustande eine Vermehrung der Herzschläge um das Doppelte, so sogar um das Dreifache statt; es wurden in solchen Fällen auch schon 250 Schläge gezählt. Diese Steigerung wird hier zumeist auf eine Reizung der im Herzmuskel selbst befindlichen Bewegungscentren, der Herzganglien, sowie auf Erregung der beschleunigenden Herznerven bezogen.
Während solcher Anfälle von Herzklopfen arbeitet das sonst so regelmäßige Schlagwerk mit großer Hast, das Herz bewegt sich stürmisch und erschüttert, da sich die Bewegungen des Herzens auf die nachgiebigen Theile der Brustwandung übertragen, den Brustkorb; die Schlagadern klopfen ungewöhnlich stark, das Gesicht ist geröthet, die Athmung wird beschleunigt. Dabei wird an der Herzgegend ein eigenthümliches Wogen und Drängen empfunden, begleitet zuweilen von schmerzhaften Gefühlen in der Magengegend, Schmerzen im Halse und in den Armen. Gleichzeitig bekunden die Befallenen eine große allgemeine Erregung, sie sind sehr ängstlich, fühlen sich beklommen, klagen über Kopfweh, Ohrensausen, Schwindel, werden auch zuweilen ohnmächtig. Die Anfälle selbst dauern verschieden lange, manchmal durch einige Minuten in anderen Fällen mehrere Stunden, sie können auch durch Tage anhalten.
Der leichteste Reiz, welcher das nervöse Herz trifft, genügt, die Anfälle von Herzklopfen auszulösen. Eine laute Ansprache, ein unerwartetes Begegnen vermag diesen Erregungszustand hervorzurufen, stärkere körperliche Bewegung bringt Herzklopfen zu Stande, oder dieses tritt nach einer reichlicheren Mahlzeit ein, oder es macht sich beim Zubettegehen in unangenehmer Weise fühlbar. Auf jede ungewöhnliche Empfindung, ja auf jede erregende Vorstellung reagirt das Herz, dessen Nerven krankhaft reizbar sind, durch Herzklopfen.
[17] Die verschiedenen physiologischen Entwicklungsvorgänge des Körpers, welche einen gewissen Sturm im ganzen Nervensystem hervorrufen, gehen auch mit größerer Reizbarkeit der Herznerven einher und geben sich in den Nervenbahnen, welche die Bewegung des Herzens beeinflussen, durch Beschleunigung oder Verlangsamung der Herzthätigkeit kund. So ist Herzklopfen eine häufige Erscheinung bei dem Jünglinge, wenn der erste Flaum auf seiner Oberlippe sprießt, ebenso bei dem zur Jungfrau heranreifenden Mädchen, wie auch bei der alternden Frau, welche in die Matronenjahre tritt.
Zu den veranlassenden Momenten, welche das Herz „nervös“ zu machen geeignet sind, gehören ferner lange andauernde, das Nervensystem ungünstig beeinflussende Affekte: Aerger, Kummer, Sorgen. Infolge dessen ist Herzklopfen ein häufiges Leiden jener Stände, Berufsgenossen und Personen, welche sich geistig überanstrengen, deren Thätigkeit viel Nachdenken erfordert, überhaupt die mit dem Kopfe viel arbeiten. Der Student, welcher vor der Prüfung steht und das Gehirn in außergewöhnlicher Weise anstrengt, der Börsenmann, dem aufregende Spekulationen bei Tag und Nacht im Kopfe herumschwirren, der Dichter und Künstler, dessen lebhafte Phantasie das ganze Nervensystem in steter Spannung hält, sie alle leiden häufig an Herzklopfen, nicht minder wie das arme Mädchen, das bis in die Nächte hinein über der Nähmaschine gebückt sitzt, oder die gefeierte Ballschönheit, der ihre Triumphe im Tanzsaale nicht gestatten, die Nacht der Ruhe zu widmen.
Auch der übermäßige Gebrauch reizender Genußmittel, wie Trinken vieler schwerer Weine, starken Kaffees und Thees, sowie starkes Tabakrauchen sind Veranlassungen, um verschiedenartige Zustände von Erregbarkeit der Herznerven, darunter Herzklopfen, zu Wege zu bringen. Eine starke Cigarre ist in dieser Richtung ebenso ein Herzgift wie ein starker Mokka.
Sache des Arztes ist es, in jedem Einzelfalle nach genauer sorgfältiger Untersuchung feststellen, ob das Herzklopfen in einer organischen Veränderung des Herzmuskels, in Klappenfehlern, Veränderungen der Blutgefäße des Herzens begründet oder ob es nervöser Natur ist. Im letzteren Falle kommt der Arzt in die erfreuliche Lage, Personen, welche durch die so lange belästigende Empfindung des Herzklopfens in ihrer Gemüthsstimmung verdüstert sind, von der Furcht, ein unheilbares Herzleiden zu besitzen, gemartert werden und denen das Gespenst unrettbaren Siechthums jede Lebensfreude benimmt – mit aller Bestimmtheit Trost zu spenden und mit voller Gewißheit jede ernstliche Besorgniß bannen zu können. Der Arzt muß dann durch sein persönliches Ansehen das ganze Vertrauen des angeblichen Herzkranken gewinnen, um diesen von seiner falschen Meinung abzubringen und so zur Gesundung des betreffenden Individuums beizutragen. Denn das sei hier hervorgehoben, die stete Beobachtung der vom Herzen ausgehenden Erscheinungen, die dem Pulse und seinen Veränderungen zugewendete besondere Aufmerksamkeit ist gerade geeignet, die Herzerregbarkeit zu steigern und die quälenden Symptome zu vermehren. Ist es doch ein gewöhnliches Ereigniß, daß Studenten der Medizin, welche die Vorlesungen über Herzkrankheiten hören und dadurch Veranlassung finden, ihrem eigenen Herzen erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken, durch diese Selbstbeobachtung Herzklopfen bekommen und sich die „schönsten Fälle“ der seltensten Herzleiden einreden.
Also erstes Erforderniß, um einen Kranken vom nervösen Herzklopfen zu befreien, ist, ihm die Ueberzeugung beizubringen, daß sein Leiden kein schweres, daß es ein heilbares ist. Dann
[18] wird aber nöthig sein, die allgemeine Nervenschwäche, durch welche die Nervosität des Herzens verschuldet wird, zu bekämpfen, für verbesserte Ernährung des Nervensystems zu sorgen, jeden Anlaß zur Ueberreizung und Erregung der Nerven zu meiden, die Ansprüche an die Nerventhätigkeit auf das möglich geringste Maß herabzumindern, die Nervenkraft zu heben und zu stärken. Es muß für kräftige Ernährung des Körpers Sorge getragen werden, für ausreichende körperliche Bewegung, für hinlänglichen Genuß frischer Luft, für zweckentsprechenden Wechsel von Arbeit und Ruhe, für genügende Dauer des Schlafes. Hier kommen alle jene Maßnahmen in Betracht, welche ich in dem Artikel über Nervenschwäche in der „Gartenlaube“ Nr. 1, 1887 erörtert habe. Speciell in den Entwickelungsjahren, da nervöses Herzklopfen am häufigsten vorkommt, ist alles anzuwenden, was die Widerstandsfähigkeit der Nerven zu steigern, der Hinfälligkeit derselben entgegenzuarbeiten vermag. Dazu gehört, neben kräftigender Kost, systematische Uebung der gesammten Muskeln des Körpers durch zweckmäßige Gymnastik, Abhärtung der Haut durch kalte Waschungen und Bäder, Stärkung des Organismus durch zeitweiligen Aufenthalt in Wald und Berg, Entziehung von herzerregenden Genußmitteln, Abhalten der Jünglinge von dem verderblichen Kneipen und Tabakqualmen.
In Anfällen von nervösem Herzklopfen trägt die Anwendung von Kälte in der Gegend des Herzens in Form von kalten Ueberschlägen, Tüchern in eiskaltes Wasser getaucht, ausgerungen und aufgelegt, oder das Auflegen eines mit kleinen Eisstückchen gefüllten Kautschukbeutels zur Beruhigung der Herznerven bei. Zuweilen sind ableitende Mittel auf die Haut, welche eine starke örtlich reizende Wirkung üben, von Nutzen, so Senfteige, Senfpapier auf die Herzgegend, auf die Waden, warme Fußbäder, Handbäder. Inwiefern Arzneimittel, welche entschiedene Wirkung auf die Herzthätigkeit üben (wie Kirschlorbeertropfen, Fingerhut), zur Erleichterung der Beschwerden anzuwenden sind, muß der Arzt entscheiden; keineswegs soll der Laie solche Mittel auf eigene Faust anwenden, denn ihr Gebrauch ist niemals eine gleichgültige Sache.
Besondere Sorgfalt ist dem Zustande der Verdauungsorgane zuzuwenden, denn nicht selten sind Störung der normalen Verdauung, Schwäche des Magens, abnorme Gasbildung in demselben, Trägheit des Darmes, Stuhlverstopfung die Veranlassung des nervösen Herzklopfens, da eine innige Verbindung zwischen den die Unterleibsorgane und das Herz versorgenden Nervenfasern. besteht. In solchen Fällen muß zunächst das Magenleiden behandelt und die Funktion des Darmes angeregt werden. Eine sorgfältige Diät, Auswahl leicht verdaulicher, dabei nahrhafter Speisen, Trinken lösender Mineralwässer sind hier geeignete Heilmittel, welche zugleich auf Ursache und Folge, Magenleiden und Herzklopfen, günstig einwirken.
Die Nervosität des Herzens giebt sich außer durch Beschleunigung der Herzthätigkeit und die subjektive Empfindung des Herzklopfens zuweilen auch durch Verlangsamung der Herzschläge und ihrer Reihenfolge kund. Oder es tritt durch nervöse Einflüsse eine Veränderung der Herzschläge in der Art ein, daß ihre rhythmische Folge beeinträchtigt wird, die regelmäßige Herzthätigkeit eine Störung erfährt, wie sich dies durch Beobachtung des Pulses erweisen läßt. So kommt es vor, daß der Puls plötzlich „aussetzt“, das heißt, daß in einer Reihe normaler Pulsschläge plötzlich einer ausfällt. Dieses Symptom, welches den Kranken, wenn er es selbst empfindet oder wenn er darauf aufmerksam gemacht wird, außerordentlich beängstigt, hat seinen Grund darin, daß in jenem Momente das Herz keine Zusammenziehung ausführte ober daß die Herzbewegung so schwach war, daß sie keine deutliche Pulswelle in den Schlagadern hervorbrachte. Die Herzschläge können auch ungleich kräftig erfolgen, so daß einem normalen großen Schlage eine ganze Reihe kleiner werdender Schläge folgt, oder es wechselt immer ein kräftiger und ein schwacher Schlag.
In nervösen Herzleiden ist zuweilen auch der Grund jener mit schweren Störungen des Gesammtbefindens einhergehenden Anfälle gelegen, welche als Brustbräune (Angina pectoris) bezeichnet werden. – Allerdings ist dieses Leiden in der Mehrzahl der Fälle durch organische Erkrankungen des Herzmuskels, Verfettung desselben, Verknöcherung der Blutschlagadern des Herzens, Herzklappenfehler etc. veranlaßt; allein manchmal ist dasselbe eine reine Herzneurose (Nervenleiden des Herzens) und bietet dann selbstverständlich günstigere Aussichten für Besserung und Heilung. Bei bleichsüchtigen, blutarmen, mit verschiedenen anderweitigen nervösen Erscheinungen behafteten Personen, sowie bei jugendlichen Rauchern schwerer Cigarrensorten, bei Gewohnheitstrinkern von starkem Thee und Kaffee, bei Männern, welche mit wissenschaftlichen Arbeiten die Nächte verbringen, sind solche nervöse Brustbeklemmungsanfälle beobachtet worden. Der Anfall selbst bietet einen unsagbar qualvollen Zustand, es bemächtigt sich des Kranken das Gefühl großer Angst und Beklemmung, dabei ein sehr heftiger bohrender oder brennender Schmerz in der Herzgegend, der sich bis in die Schulterblätter und unter das Brustbein hin erstreckt. Die Herzthätigkeit ist beschleunigt, die Zahl der Pulsschläge vermehrt oder verlangsamt und herabgesetzt, der Pulsschlag zuweilen aussetzend. Die Athmung gestaltet sich beschwerlich und unregelmäßig. Die Haut ist blaß und kühl, später mit reichlichem Schweiße bedeckt. In solchem Anfalle erweisen sich Reizmittel, welche die Herzthätigkeit in flüchtiger Weise beleben, zur Linderung nutzbringend; äußerliche Hautreize durch Senfpapier, kalte Umschläge, innerlich der Genuß von etwas Wein. Ein Arzt muß rasch herbeigeholt werden, um die nothwendigen ernstlicheren Maßnahmen zu treffen.
Noch wäre der nervösen Schwäche des Herzens zu erwähnen, eines Zustandes, in dem es dem Herzmuskel an der zur gehörigen Erfüllung seines wichtigen Amtes nöthigen Kraft fehlt, und der (im Gegensatze zu der organisch bedingten Herzschwäche) in allgemeiner Nervenschwäche seinen Grund hat. Wenn das Nervensystem durch Ueberanstrengung und Ueberreizung sich erschöpft zeigt, so erweisen sich auch die Nerven, welche das Herz versorgen, seine Bewegungen beschleunigen und hemmen, ihrer Aufgabe nicht mehr gewachsen. Das Herz arbeitet gleich dem Schiffe, das im Sturme sein Steuer verloren hat und nun von den Wellen hin und her geworfen wird; die geringste Erregung führt eine riesige Beschleunigung der Herzschläge herbei und dann wiederum folgt auffällige Verlangsamung; bald treibt das Herz heftig den Blutstrom durch das Geäder, bald wiederum erlahmt es und kann den Herzstoß kaum fühlbar fortpflanzen. So folgt auch im raschen Wechsel Röthe und Blässe des Gesichtes, Heißwerden von Händen und Füßen und Abkühlung der Extremitäten, das Gefühl mächtiger Erregung der Nerven und die Empfindung des Vergehens, vollständiger Vernichtung, Herzklopfen und Athemnoth, Angstgefühl und Schlaflosigkeit, Schmerz in der Herzgegend und Schwindel.
Es sind vorzugsweise schwächliche, in ihrer Blutbildung beeinträchtigte, in ihrem Nervenleben, herabgebrachte Individuen, junge Mädchen und Jünglinge, welche an diesen zuweilen recht bedrohlichen Erscheinungen von nervöser Herzschwäche leiden; sie treten aber auch bei ganz kräftig und blühend aussehenden Personen auf, wenn diese schädlichen Einflüssen ausgesetzt sind, welche Ueberreizung und Erschöpfung des Nervensystems herbeiführen.
Zur Heilung der nervösen Herzschwäche muß Kräftigung des gesammten Organismus durch Regelung der Lebensweise, der Ernährung wie der Beschäftigung und Vermeidung aller Schädlichkeiten erzielt werden.
Durch Reizmittel wird man die Herzthätigkeit anspornen, durch allmählich gesteigerte körperliche Bewegung die Muskeln beleben, durch häufige, aber kleine Mahlzeiten kräftigster Speisen die Blutbereitung fördern, durch frische Luft auf den Stoffwechsel anregend wirken.
Wenn die Herzschwäche bedrohlich wird, ist es auch nöthig, kräftigen Portwein, alten Tokayer, guten Cognac, ein Glas guten Champagners zu verabreichen. Wo es die Verhältnisse gestatten, schicke man solche nervöse Personen mit schwachem Herzen in Sommerfrischen und Kurorte, welche, günstig im Gebirge und waldreicher Umgebung gelegen, den Genuß einer reinen ozonreichen Luft zugleich mit bequemer Gelegenheit zu abgestufter körperlicher Bewegung bieten. In der freien Natur unter dem verjüngenden Einflusse neuer erfrischender Eindrücke, im behaglichen Gleichgewichte von Thätigkeit und Zerstreuung, in der Harmonie des Gemüthes beim Genusse stiller, friedlicher Freuden finden auch die Nerven des Herzens neue Kraft zu ihrer Stärkung, und es gesundet dann auch das nervöse Herz.
Der Eissport.
Jedes Jahr, wenn die Stürme des Spätherbstes über Wald und Flur brausen und ungestüm in den Kronen der Bäume wüthen, daß diese ihnen willig ihren Blätterschmuck als Spielzeug überlassen; wenn die Sonne tiefer und tiefer sinkt und die Tage immer kürzer werden; wenn Frau Holle die ersten Flocken auf die von aller Schaffenslust müde Erde herabsendet und der alte Hausfreund während der rauhen Jahreszeit, der Ofen, wieder zu Ehren kommt – jedes Jahr um diese Zeit vernimmt man von schwächlichen Naturen immer wieder den klagenden Wunsch: ach, wäre doch der Winter erst vorbei! Und doch hat auch diese Jahreszeit ihre Freuden und Vorzüge, und unser herrliches deutsches Weihnachten mit seinem strahlenden Lichterbaum würde den größten Theil seiner Poesie, seines geheimnisvollen Reizes einbüßen, wenn es mitten in den Sommer fiele. So oft auch die Vorzüge eines frischen fröhlichen Winters mit seinen Schlittenpartien für Kinder und Erwachsene, seinen herrlichen Schneeballkämpfen und seinen Eisbahnen gerühmt worden sind – immer wieder möchte man auf diese Geist und Körper kräftigenden Freuden zur Ehrenrettung des vielgeschmähten Winters hinweisen.
Ganz besonders ist es das Schlittschuhlaufen, das in dieser Beziehung eine Wirkung ausübt wie kein anderes Bewegungsspiel. Weder der Tanz noch das Turnen reichen in ihrem wohlthätigen Einfluß auf den menschlichen Organismus an dieses winterliche Vergnügen heran, denn der Tanz im staubigen, nicht selten überhitzten Saale dürfte für die Gesundheit schwerlich von großem Nutzen sein und das Turnen im Winter geschieht ebenfalls fast ausschließlich im geschlossenen Raum; es entbehrt also wie das Tanzen des wichtigsten Erfordernisses, der reinen frischen Luft, die der Schlittschuhläufer im vollsten Maße genießt.
Der Ruhm dessen, der dem Fuße Flügel gab – wie Klopstock in seiner Ode „Der Eislauf“[WS 1] sich ausdrückt – ist vergangen und verloren, denn der Erfinder des Schlittschuhs, oder nach der Schreibweise desselben Dichters: Schrittschuhs, ist unbekannt geblieben bis auf den heutigen Tag. Gewiß ist nur, daß schon in grauer Vorzeit die Skandinavier dem Eislaufe huldigten, und bereits in der „Edda“ wird der nordische Wintergott Uller als gewandter Schlittschuhläufer gerühmt. Die ersten Schlittschuhe bestanden aus Knochen von Renthieren, Pferden und Rindern und noch heutigen Tages bedient man sich in Island und einem Theile Norwegens dieses Materials, während die übrige eislaufende Welt bis zu hoher Vollkommenheit ausgebildete Stahlschienen benutzt. Die besten Schlittschuhläufer der Welt sind bekanntlich die Niederländer, für welche der eiserne Schuh ein unentbehrliches Verkehrsmittel bildet. Aber auch die übrigen Nationen, und die Deutschen nicht zuletzt, vervollkommnen sich immer mehr in dieser Kunst, soweit die klimatischen Verhältnisse ihnen dies ermöglichen, namentlich nimmt auch das weibliche Geschlecht mehr und mehr an diesem gesundheitsfördernden Sport theil.
Das Schlittschuhlaufen hat seine Lobredner in allen Ständen gefunden und selbst die gefeiertsten Dichter verschmähten es nicht, ihm zu Ehren den Pegasus zu besteigen. Klopstock gehörte zu den begeistertsten Anhängern des Eislaufes; seine Oden „Braga“, „die Kunst Tialfs“ und die bereits erwähnte Dichtung sind diesem Vergnügen gewidmet und noch in seinem dreiundsiebzigsten Jahre sang er:
„Wasserkothurn, Du warst mir der heilenden Einer; ich hätte
Unbeseelet von Dir weniger Sonnen gesehn!“
Der Etatrath Peter Sturz in Oldenburg, welcher mit Klopstock persönlich und brieflich verkehrte, schreibt über den Dichter: „Die Holländer schätzt er gleich nach den Deutschen, weil sie die Tyrannen verjagten und – die besten Eisläufer sind. Einst traf ich ihn bei einer Landkarte in tiefem Nachsinnen; er zog Linien, maß und theilte. ‚Sehen Sie,‘ rief er dann ‚man vereinigt Meere; wenn man diese Flüsse verbände, hier einen Kanal zöge, dort noch einen, das wäre doch unserer Fürsten noch würdig, denn so hätte man Deutschland durch eine herrliche Eisbahn vereinigt.‘ Er hat Gesetze gegeben für den Eislauf mit einem solonischen Ernste.“
Altmeister Goethe war bereits ziemlich hoch bei Jahren, als er noch immer das Schlittschuhlaufen mit jugendlicher Kraft übte. In seiner Selbstbiographie „Aus meinem Leben“ äußert er sich über dieses Vergnügen folgendermaßen: „Bei eintretendem Winter that sich eine neue Welt vor uns auf, indem ich mich zum Schlittschuhfahren, welches ich nie versucht hatte, rasch entschloß. Diese neue frohe Thätigkeit waren wir denn auch Klopstocken schuldig, seinem Enthusiasmus für diese glückliche Bewegung. Ich erinnere mich ganz genau, daß an einem heiteren Frostmorgen ich, aus dem Bette springend, mir jene Stelle zurief: ‚Schon von dem Gefühle der Gesundheit froh, hab’ ich, weit hinab, weiß an dem Gestade gemacht den bedeckenden Kristall.‘ Mein zaudernder und schwankender Entschluß war sogleich bestimmt, und ich flog sträcklings dem Orte zu, wo ein so alter Anfänger mit einiger Schicklichkeit seine ersten Uebungen anstellen konnte. Und fürwahr, diese Kraftäußerung verdiente wohl von Klopstock empfohlen zu werden, die uns mit der frischesten Kindheit in Berührung setzt, den Jüngling seiner Gelenkheit ganz zu genießen aufruft und ein stockendes Alter abzuwehren geeignet ist. Auch hingen wir dieser Lust unmäßig nach. Einen herrlichen Sonnentag so auf dem Eise zu verbringen, genügte uns nicht; wir setzten unsere Bewegung bis spät in die Nacht fort. Denn wie andere Anstrengungen den Leib ermüden, so verleiht ihm diese eine immer neue Schwungkraft.“
Chamisso, Seume, Wilhelm Müller und andere besingen ebenfalls dieses Wintervergnügen in zum Theil begeisterten Dithyramben; der alte Pädagog Salzmann, der Begründer der berühmten Erziehungsanstalt Schnepfenthal, ließ seine Zöglinge täglich, so lange das Eis hielt, Schlittschuh laufen, und Hufeland, Hahnemann, der seiner Zeit hochgefeierte Professor Heim und viele andere hervorragende Aerzte empfahlen diese Art von Bewegung im Freien als das beste Vorbeugungsmittel gegen Krankheiten aller Art. Die vortrefflichen sanitären Wirkungen dieses Sports, wenn man diese Bezeichnung anwenden darf, stehen längst so unumstößlich fest, daß dem kein vernünftiger Mensch widersprechen wird, kaum irgend ein Anhänger aber hat in so schwungvollen Worten das Lob des Schlittschuhvergnügens verkündet wie der treffliche Jugenderzieher und Mitbegründer der Turnkunst, Christoph Friedrich Guts Muths, wenn er in seiner „Gymnastik für die Jugend“ sagt: „Ich kenne keine schönere Uebung als den Eislauf, diese bezaubernde Bewegung, die uns von dem Gesetze der Gravitation gleichsam entfesselt. Sie führt ein so göttliches Vergnügen mit sich, daß unser großer Klopstock ihr zum Lobe mehrmals in seine nie entweihte Harfe griff. Reine Luft, durchdringende, stärkende Kälte, Beschleunigung des Umlaufs der Körpersäfte, Anstrengung der Muskeln, Uebung in so mannigfaltigen geschickten Bewegungen, reines Vergnügen u. s. w. müssen nicht nur auf die körperliche Maschine des Menschen, sondern auch auf seinen Geist einen sehr mächtigen Einfluß üben.“
Gegenüber solchen Zeugnissen müßte auch das letzte Bedenken überängstlicher Eltern schwinden!
Blätter und Blüthen.
Wohnungsnoth der Arbeiterinnen. Arbeiterwohnungen bilden längst eine der brennendsten socialen Fragen und hier und dort sind bereits segensreiche Anfänge zur Lösung derselben gemacht worden. In erster Linie wurde jedoch dabei nur an die verheiratheten oder ledigen männlichen Arbeiter gedacht; die Arbeiterinnen oder Fabrikmädchen sind dabei, von sehr geringen und durchaus vereinzelten Ausnahmen abgesehen, unberücksichtigt geblieben; und doch ist die Wohnungsnoth derselben dringender als die irgend einer anderen Arbeiterklasse. Die Lohnstatistik weist uns nach, daß ein sehr großer Theil der Arbeiterinnen unserer Großstädte Löhne erhält, welche nicht hinreichen, die nothwendigsten Bedürfnisse des Lebens zu befriedigen, und ebenso steht es fest, daß die Mehrzahl der unverheiratheten Arbeiterinnen sich nicht in der Lage befindet, im elterlichen Hause oder bei Verwandten Wohnung zu nehmen, sondern genöthigt ist, bei fremden Leuten ein Unterkommen zu suchen. Dadurch kommt es, daß gerade die Arbeiterinnen von allen Schattenseiten der Arbeiterwohnungen am empfindlichsten getroffen werden.
Es ist hier nicht der Ort, auf die bedenklichen Unzuträglichkeiten hinzuweisen, welche das Schlafstellenwesen in gesundheitlicher und sittlicher Beziehung mit sich bringt. In einer Broschüre „Die Lage der Arbeiterinnen in den deutschen Großstädten“ von Dr. Kuno Frankenstein (Leipzig, Duncker und Humblot) sind die Ergebnisse verschiedenartiger Nachforschungen zu einem wahrhaft düsteren und abschreckenden Bilde zusammengestellt und jene Broschüre veranlaßt uns, auch für die Bestrebungen einzutreten, welche geeignet sind, jener Wohnungsnoth abzuhelfen.
Am besten ist die Arbeiterin geborgen, wenn sie einen engeren Anschluß an eine solide Arbeiterfamilie findet; aber bei der in den ärmeren Klassen bestehenden Wohnungsnoth ist dieses Mittel nur in den wenigsten Fällen zu erreichen, und daraus folgt auch, daß für die Arbeiterinnen besondere Logirhäuser geschaffen werden sollten. Dieselben gehören keineswegs in das Reich der Utopien. Aehnliche Anstalten sind für unverheirathete Arbeiter bereits ins Leben gerufen worden und haben sich trefflich bewährt. Als Beispiel wollen wir nur das vom Bochumer Verein für Bergbau und Gußstahlfabrikation im Jahre 1873 errichtete für 1500 unverheirathete Arbeiter ausreichende Kost- und Logirhaus in der Nähe der Kolonie Stahlhausen anführen. In diesem erhält der Arbeiter für den sehr mäßigen Preis von 80 Pfg. im Winter und 75 Pfg. im Sommer täglich Wohnung nebst einem guten Mittag- und Abendessen.
Das Logirhaus liefert den Arbeitern sogar Bettwäsche nebst Handtücher und das Essen ist wirklich gut zu nennen; denn das Mittagessen besteht aus einer kräftigen Suppe, Gemüse und Fleisch, je nach der Jahreszeit, und das Abendbrot aus warmen Kartoffeln mit Sauce und Braten oder einem andern Stücke Fleisch. Die Portionen sind sehr reichlich; außerdem kann aber ohne Mehrkosten von dem betreffenden Arbeiter noch nachverlangt werden. Brot und Kaffee sind im Hause zu Einkaufspreisen, außerdem aber heißes Kaffeewasser unentgeltlich zu haben.
Sollte es nicht möglich sein, ähnliche Kost- und Logirhäuser für die Arbeiterinnen zu errichten? Die Frage ist ohne Zweifel zu bejahen. Man sollte nur den Anfang machen und für die allgemeine Frauenfrage wird die Gründung eines ersten solchen Hauses im größeren Maßstabe viel wichtiger sein als die Erlangung so manchen Rechtes, nach dem sich viele Frauen so sehr sehnen. Ein Daheim für einige wenige Arbeiterinnen, wie es hier und dort vielleicht zu finden ist, genügt der großen Noth gegenüber keineswegs. Die Hilfe muß eine weitreichende werden; und wir glauben, diese Hilfe wird kein Almosen sein. Frauen sind zum Wirthschaften geboren, und ein Logirhaus für Arbeiterinnen wird mit geringeren Kosten zu erhalten sein, als die Logirhäuser für Arbeiter. So wird es sich eigentlich nur um ein Gründungskapital handeln, das zu beschaffen sein wird.
Und welchen unermeßlichen Nutzen würden solche Logirhäuser in moralischer und wirthschaftlicher Beziehung bringen! In richtigen Händen, unter sorgsamer sachverständiger Leitung könnten dieselben zu wahren Pflanzstätten der Zucht und besonders für jüngere Arbeiterinnen zu Erziehungsanstalten und Fortbildungsschulen fürs praktische Leben werden.
[20] Gefangennahme Thusneldas durch Germanicus. (Mit Illustration S. 4 und 5.) Unter allen Frauengestalten der deutschen Geschichte ist keine größer und edler als Thusnelda, die Tochter des Segest und Gattin Hermanns, des Cheruskers. Mit kurzen ehernen Worten schildert der römische Geschichtschreiber Tacitus im ersten Buche seiner „Annalen“ ihr tragisches Geschick. Thusnelda war von ihrem Vater verlobt worden; aber Hermann hatte sie dem Vaterhause und dem Verlobten entführt. Dies und politische Gegensätze begründeten jenen Haß zwischen Segest und Hermann, dem die Einheit der niederdeutschen Stämme, das Glück Hermanns und seiner Gattin und die Ehre des Segest zum Opfer fielen. Segest wollte den Römern die versprochene Treue halten, Hermann die Eindringlinge vom germanischen Boden vertreiben. Segest warnte die römischen Feldherren; Hermann schlug sie mit eisernem Arm. Während Cäsar Germanicus, der Römer Heerführer, von einem siegreichen Zuge ins Land der Chatten zurückkehrte, kamen Boten des Segest mit dessen Sohn Siegmund zu ihm und baten um seine Hilfe. Segest meldete, er sei von seinen Landsleuten belagert; Germanicus möge ihn entsetzen. Und Germanicus fand es der Mühe werth, dieser Bitte zu willfahren; er schlug die Belagerer und befreite den gefährdeten Segest. Da fand er edle Frauen, unter ihnen Hermanns Gattin, die Tochter des Segest, mehr dem Manne, als dem Vater geistesverwandt, welche von ihrem eigenen Vater bei einem Ueberfalle zur Gefangenen gemacht worden war. Zu keiner Thräne, zu keinem bittenden Worte sich erniedrigend, stand sie vor dem Römerfeldherrn.
So der römische Geschichtschreiber. Dunkel liegt es über jenen Tagen und die kargen Worte des Römers lassen manchen Zweifel aufkommen über die Frage, wie weit des Segestes Verschuldung ging. Eins nur scheint unanfechtbar: daß die edle Thusnelda ein Opfer ihrer Liebe und Treue ward.
Und so ward sie auch immer von Dichtern und Künstlern
aufgefaßt. So führt sie auch der Künstler auf unserem
Bilde, welches unter vielen Darstellungen desselben Vorganges
den ersten Platz einnimmt, vor Augen: schön wie eine Göttin
und in fürstlicher Würde steht sie vor dem Römerfeldherrn,
der gekommen ist, um sie gefangen zu nehmen, geführt von
ihrem eigenen Vater. Bewundernd schauen die Augen der
in Schlachten hart gewordenen Römer nach dem herrlichen
Weibe. Der alte Segestes ist dargestellt, wie ihn Tacitus
schildert: „mächtig von Gestalt und furchtlos im Bewußtsein
wohl bewahrter Bundesgenossenschaft.“ – Es ist bekannt, daß
die unglückliche Thusnelda als
Gefangene nach Italien abgeführt ward und daß sie zu Ravenna Hermanns
einzigen Sohn, den Thumelicus, gebar. Der Cheruskerfürst sah Weib und
Kind nie wieder. Aber wie er zum deutschen Volkshelden ward, dessen
Name durch alle Jahrhunderte fortlebt, so wurde Thusnelda – Thurishild
mag wohl ihr heimathlicher Name gewesen sein – zum glanzumwobenen
Vorbilde deutscher Frauengröße. M. H.
Ein Gnadengesuch. (Mit Illustration S. 12 und 13.) Heiterer
Sonnenschein fällt in die mit aller üppigen Pracht des Rokoko ausgestatteten
Gemächer des Fürstenschlosses, einladend grüßen die schattigen Laubhallen
des ausgedehnten Parkes zu den hohen schimmernden Fenstern des Schlosses
hinauf und ein glückliches Fürstenpaar rüstet sich, dem Winken und Locken
der strahlenden Natur zu folgen. Ein Diener nimmt schützende Tücher
auf den Arm und in die Hand die allmorgendliche duftende Blumengabe
des jungen Fürsten an seine Gemahlin – dann schreitet das glückliche
Paar mit kleinem Gefolge heiter plaudernd die Treppe hinab zu dem
bereits harrenden Wagen. Doch was ist das? Am Fuße der breiten,
teppichbelegten Treppe kniet eine alte Dame, silberweiß ist ihr Haar, tiefschwarz
die Kleidung. Ihr zur Seite steht eine leicht gebeugte, doch
blühende Frauengestalt und etwas zurück schüchtern ein Knabe. Flehend
faltet die Greisin die Hände, bittend richtet sich ihr Blick auf den vor ihr
stehenden Fürsten, um ihren Mund zuckt ein herber Schmerz. Sie vermag
kein Wort zu sprechen, es ist ihr, als ob die Zunge gelähmt sei. Da
erklärt das Schriftstück in der Hand des Kammerherrn, was die ergreifende
Scene zu bedeuten hat. Ein Gnadengesuch! Für den Sohn bittet die
Mutter, für den Gatten ihrer Begleiterin, für den Vater des Knaben.
Und dann findet sie auch Worte, glühende Worte der Mutterliebe und
der Verzweiflung. Theilnehmend, von sichtlichem Wohlwollen getragen,
ruht der Blick des Fürsten auf der edlen Bittstellerin, und aus den Zügen
seiner Gemahlin spricht inniges Mitgefühl. Er kann dem Gesuch nicht
augenblicklich willfahren, er muß untersuchen und dann entscheiden. Doch
die Gnade liegt in seiner Hand und sie walten zu lassen, wenn es irgend
geht, ist sein fester Entschluß. Er sagte es der gebeugten Greisin, und
zagend, hoffend mag sie das Schloß verlassen. **
Amor und Psyche. (Mit Illustration.) Die liebliche spätgriechische Sage von der Liebe Amors und Psyches hat jederzeit die Phantasie der Dichter wie der Künstler in gleichem Maße beschäftigt.
Psyche, eines Königs Tochter und von so wunderbarer Schönheit, daß um ihretwillen die Altäre der Venus verlassen standen, sollte auf Anstiften der grollenden Göttin dem verworfensten aller Sterblichen ihre Liebe schenken. Amor, der mit dem Rachewerk betraut war, verliebte sich selbst in die Schöne und entführte sie in einen Zauberpalast inmitten blühender Gärten, wo er sich heimlich mit ihr verband. Doch durfte sie sein Antlitz niemals sehen, da er sie nur des Nachts besuchte und ihr aufs strengste verboten hatte, zu forschen, wer er sei. Durch ihre eifersüchtigen Schwestern, die Amor auf ihr Verlangen herbeigeholt hatte, ließ sie sich zum Ungehorsam aufreizen; sie nahte mit einer Lampe dem schlafenden Gott und der Anblick seiner Schönheit verwirrte sie so, daß sie einen Tropfen glühenden Oels auf die Schulter des Schläfers schüttete. Erzürnt verließ Amor sie und Psyche durchwanderte nun trostlos die ganze Erde, ihn zu suchen, und kam endlich an den Hof der Venus. Von der göttlichen Schwiegermutter aufs ungnädigste aufgenommen, hat sie die bittersten Mißhandlungen zu erdulden und sich den gefährlichsten Dienstleistungen zu unterziehen; aber Psyche, stark durch die Liebe, überwindet jede Prüfung. Endlich schickt Venus sie zur Unterwelt, um einen Schönheitsbalsam zu holen. Auch dies gelingt, weil Amor ungesehen Hilfe leistet; aber auf dem Rückweg öffnet Psyche, welche nach all ihren Leiden des Schönheitsbalsams wohl bedürftiger war als die Göttin, die verhängnißvolle Büchse. So hat es Venus gewollt – tödliche Dämpfe quellen heraus, und die Unglückliche sinkt entseelt zu Boden. Doch schon ist der Geliebte nah und haucht ihr mit Göttermund neues Leben ein. Diesen Augenblick hat Canova aufgefaßt: die Stellung des Körpers, die noch entfalteten Flügel zeigen, daß der Gott eben im Schwung herangestürmt ist; er umschlingt die Geliebte, die noch bewußtlos, aber schon von traumhaftem Glück umdämmert sich an dem Wiedergeschenkten emporrankt.
Der Groll der Göttin ist endlich versöhnt; durch ein glänzendes Vermählungsfest, das ihrer im Olymp wartet, wird jetzt Psyche dem Geliebten auf immer vereinigt und tritt in die Zahl der Unsterblichen ein.
Unsere Gruppe, deren Original die Villa Carlotta in Menaggio am
Comersee schmückt, ist Canovas gefeiertste Schöpfung, eine rührende Verkörperung der schwergeprüften und endlich belohnten Liebe.
J. K.
Porträt Kaiser Wilhelms II. (Zu unserer Kunstbeilage.) Das
Dreikaiserjahr 1888 mit seinen Trauerklängen ist in den Schoß der Vergangenheit
hinabgesunken. Wilhelm I. und Friedrich III. haben ihre Bahn
vollendet, kraftvoll trat Wilhelm II. in die seine ein, und gehört den beiden
ruhmreichen ersten Führern des neugeeinten Deutschen Reiches unsere dankgeweihte
Erinnerung, so unsere Hoffnung Wilhelm II. Wiederholt schon
haben wir die Züge des jungen Herrschers in unseren Bildern wiedergegeben,
diese festen, Vertrauen erweckenden Züge, die uns aus dem lebenstreuen
Porträt entgegenblicken, welches wir nun heute noch in einer besonderen
Kunstbeilage unseren Lesern darbieten. **
Inhalt: Lore von Tollen. Roman von W. Heimburg. S. 1. – Es schläft. Illustration. S. 1. – Die Wiege und das Grab der Hohenstaufen. Von Eduard Paulus. S. 8. Mit Illustrationen S. 8, 9, 10 und 11. – Die Vermählung der Todten. Von Isolde Kurz. S. 11. – Das nervöse Herz. Von Professor Dr. E. Heinrich Kisch. S. 16. – Ein kleiner Musikschwärmer. Illustration. S. 17. – Der Eissport. S. 19. – Blätter und Blüthen: Wohnungsnoth der Arbeiterinnen. Von C. Falkenhorst. S. 19. – Gefangennahme Thusneldas durch Germanicus. S. 20. Mit Illustration S. 4 und 5. – Ein Gnadengesuch. S. 20. Mit Illustration S. 12 und 13. – Amor und Psyche. Mit Illustration. S. 20. – Porträt Kaiser Wilhelms II. S. 20. Mit Kunstbeilage.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ vgl. Oden, Hamburg 1771, S. 151 Deutsches Textarchiv