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Die Gartenlaube (1887)/Heft 46

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1887
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[757]

No. 46.   1887.
      Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.



Die Geheimräthin.

Novelle von Hieronymus Lorm.
(Fortsetzung.)


Malköhne erzählte Brigitta, daß, nicht weit vom Gute Glowerstone’s entfernt, in der Nähe von Wiesbaden ein seltsamer Fremder lebte, anscheinend ein Lord, der in diesem schön gelegenen Theile des Landes einfach seine Renten verzehrte, in Wahrheit aber einer der durchtriebensten politischen Agenten fremder Regierungen war. Er war wirklich ein Engländer, und Glowerstone, sein Landsmann, kannte ihn sehr gut. Ja, sie waren so intim, daß man viel aus Glowerstone herauszubekommen hoffte, als er wegen einer persönlichen Angelegenheit mit dem Ministerium verkehrte.

Malköhne setzte der Geheimräthin, die stets großes Interesse und große Klugheit bei den diplomatischen Geschäften ihres geliebten Freundes an den Tag gelegt hatte, jetzt erst die politische Wichtigkeit der Affaire aus einander, um die es sich handelte.

Sie begreifen nun meine Aufregung,“ fuhr er fort, „und auch mein bisheriges Schweigen, so lange ich nur Vermuthungen hatte. Ich mußte darauf bedacht sein, mich persönlich von Glowerstone ferne zu halten, weil ich den Plan nicht aufgeben wollte, ihn einmal als ein Fremder, vielleicht sogar unter falschem Namen, am Rheine aufzusuchen. Um einige Anhaltspunkte zu gewinnen, forschte ich nach den Personen, die er hier besuchte. Da fand ich denn zuletzt, daß er am häufigsten bei der Gräfin Surville vorsprach. Der Name ist Ihnen bekannt?"

„Gräfin Surville?" sagte Brigitta nachdenkend, „ich erinnere mich. Ich habe sie in der Oper gesehen; sie war in der Loge des französischen Botschafters, und ich habe nach ihr gefragt, weil mir der grandiose Schmuck der ältlichen Dame auffiel.“

„Ihr verstorbener Mann,“ ergänzte der Legationsrath, „war der Oheim des Botschafters. So kommt sie oft in sein Haus, wohnt aber selbst in einer prächtigen Villa vor der Stadt. Der Zutritt war mir natürlich leicht; ich bin mehrmals bei ihr gewesen, kam aber dabei in meiner Sache nicht vorwärts. Ich erfuhr bloß, daß sie eine Verwandte von Glowerstone ist. Sie soll im Hause seines Vaters erzogen worden sein, ist in England geboren, aber in Deutschland, sogar hier in dieser Stadt, aufgewachsen. In ihren alten verwitterten Zügen liegt ein seltsames Gemisch voll Stolz und Trauer. Für politische Dinge ist sie ganz ohne Interesse und Verständniß. Abende hindurch habe ich mich umsonst bemüht, in der hier einzig möglichen Form der geselligen Konversation, der Einkleidung des Wichtigen in das Nichtige, meinem Ziel näher zu kommen. Alles, was ich erreichte, war die Mittheilung, daß sie mit dem Lord in Wiesbaden ganz


Euridice amor ti rende. atto II Sec. II …

Titelbild der ersten Ausgabe von Gluck’s „Orfeo“, Paris 1764, gezeichnet von Monnet-Dufac,
gestochen von Le Mire. (In zinkographischer Verkleinerung).


[758] gut bekannt ist, wobei sie keine Ahnung von seiner politischen Bedeutung hat.“

Während dieser Unterhaltung hatte die Seele Brigitta’s die Last der Angst und der Zweifel abgeworfen. Niemals hatte ihr Siegfried eine Unwahrheit gesagt und die Versicherung, daß Glowerstone allein, also ohne seine Tochter in der Hauptstadt gewohnt, hatte der gequälten Frau vollkommen genügt, um die Besorgnisse der vorhergegangenen schlaflosen Nacht zu zerstreuen. Der politische Fall, in den sie jetzt erst Einblick gewonnen, erklärte vollkommen den großen Eindruck, den die Anwesenheit Glowerstone’s auf den Legationsrath geübt hatte. Brigitta schämte sich fast ihres Verdachtes, und wie um Versäumtes nachzuholen, wandte sie sich jetzt den mitgebrachten kleinen Geschenken zu. Die Freude darüber, das Lachen, die geistreiche oder komische Bedeutung, die sie jedem einzelnen Stück beilegte, hätten ein entzückender Lohn für Siegfried sein müssen, und einige Wochen früher wäre er darüber in Enthusiasmus gerathen und hätte mit der Versicherung nicht zurückgehalten, daß er den schwebenden Zustand des Verhältnisses nicht länger ertrüge und endlich Alles dransetzen wolle, sein Glück zu verwirklichen. Jetzt aber begnügte er sich, zu lächeln, den Geist Brigitta’s zu bewundern und über ihre Befriedigung Freude zu äußern. Brigitta, in der bescheidenen Unbewußtheit ihres geistigen Reizes, vermißte in diesem Augenblicke Nichts in der Haltung des Geliebten; sie schwamm noch selig in dem Gefühle, ihre Zweifel und Besorgnisse verscheucht zu wissen.

Während Brigitta hin und her ging, um die passenden Stellen für die Etablirung der neuen Nippessachen zu wählen und jene, die in den großen Salon kommen sollten, bei Seite zu stellen, sagte Siegfried:

„Das Schönste an der Geschichte ist, daß ich dabei selbst etwas geschenkt bekam, wofür ich jeden Preis bezahlt hätte. Ich habe nämlich gestern bei Carmisoli, wo ich die Dinge auswählte, die Gräfin Surville getroffen. Sie sagte mir in ihrer harmlosen Art, die Wichtigkeit nicht ahnend, daß sie in den nächsten Tagen ihren Verwandten Glowerstone besuchen werde, und da ich so großes Interesse an ihm gezeigt hätte, so wolle sie mich vorstellen, wenn ich die Reise dahin nicht scheute. Es gehört zu den wenigen diplomatischen Vorzügen, die ich besitze, die ganze Tragweite, das Vollgewicht einer zufälligen, anscheinend ganz unbedeutenden Situation sogleich zu überblicken. Mir ist es natürlich nur um den Lord zu thun. Da die Gräfin sehr vertraut mit ihm ist, so sagte ich ihr, ich würde gern nach Wiesbaden gehen und ihren Freund dort kennen lernen, nur möchte ich nicht, daß er glaube, ich sei zu diesem Zweck dahin gekommen, es müßte sich wie zufällig machen. Die Gräfin ist sehr naiv, sehr unfähig in diplomatischen Geschäften, zu einer Intrige ganz unbrauchbar. Ich mußte ihr daher meine politische Absicht wie bei den Besuchen in ihrem Hause auch jetzt noch ganz verborgen halten. Mein Bischen Diplomatie ließ mich aber nicht im Stich und ich improvisirte, in Wiesbaden könnte ich die Angelegenheit ihres Vetters Glowerstone zu einem erwünschten Ende bringen, brauchte dazu ihre Hilfe, falls sie ihn mit der Erledigung der Sache überraschen wollte. Darauf ist sie freudig eingegangen, versprach, mir in Allem zur Seite zu stehen, was ich in der Sache für nothwendig halte. Sie können sich denken, theure Freundin, daß ich Alles für nothwendig halten werde, was mich dem unzugänglichen Lord näher bringen kann. So reise ich denn gegen Ende dieser Woche ab.“

Brigitta wäre zu jeder andern Zeit mehr erschrocken über diese Ankündigung, als diesmal. Das Glück, sich wieder im ungestörten Einklang mit dem geliebten Manne zu fühlen, hob sie über den Schmerz der ersten Trennung von ihm hinweg. Das Weib, das sie im Spiele geglaubt, erkannte sie als Hirngespinst, und dann war Alles gut. Auch wollte er ja nicht zu Glowerstone, sondern nach Wiesbaden gehen, wäre aber auch das Erstere der Fall gewesen, sie war nicht so thöricht, ihn vor jeder neuen Bekanntschaft mit einem Weibe bewahren zu wollen. Glowerstone’s Tochter war ihr nur so lange ein Gegenstand der Besorgniß gewesen, als sie Siegfried’s verändertes Verhalten in jüngster Zeit mit jenem unbekannten Mädchen in Verbindung brachte, das er aber, wie sich jetzt herausstellte, gar nicht gesehen hatte, von dem er nichts wußte.

So beschränkte denn die schöne Frau den Ausdruck des Leids über seine bevorstehende Abreise auf die sorgliche Erkundigung nach dem Tage seiner Wiederkehr. Ihre Gelassenheit in solchem Falle würde auch Malköhne seinerseits noch einige Wochen früher anders aufgenommen haben als diesmal. Jetzt fiel es ihm nicht einmal ein, nach dem Grunde zu fragen; er hatte eine Scene gefürchtet, einen Schmerz, der ihn früher beglückt hätte und dessen Ausbleiben ihn jetzt gewissermaßen von einer Angst befreite. Fröhlichen Sinnes sprach er von den Vorbereitungen zur Reise, vom Wegfallen lästiger Abschiedsbesuche, weil seine Entfernung vom Amte gleichsam eine heimliche wäre, obgleich sie im Dienste desselben geschehe, und als er endlich seinen Hut nahm, kündigte er Brigitta an, daß er beim Wiederkommen am nächsten Tage ihren Rath und ihre Hilfe in einer Sache in Anspruch nehmen werde, die nothwendig zur Reise gehöre.

Brigitta blieb allein, und zufällig in den großen Stehspiegel blickend, erstaunte sie selbst, wie sich ihr Aussehen seit den Morgenstunden verändert hatte. Der rosige Anhauch ihrer Wangen war zurückgekehrt, ihre üppige Gestalt stand wieder schwungvoll aufrecht, und die weißen Zähne verriethen sich wieder beim unwillkürlichen Lächeln. Sie war so heiter, daß sie über die Maßen lachte, als Elise ihr in einem fast kummervollen Tone berichtete, wie armselig die Ausstattung war, die der neue Miethsherr für die schöne Wohnung mitgebracht hatte.




6.

Die Gräfin Surville befand sich in einem großen Salon, von mehreren Damen umgeben, die, nach ihrer Toilette zu schließen, nicht Besucherinnen waren, sondern zum Hause gehörten.

Mit dem Gleichmuth der Gewohnheit nahm die Gräfin die Karte von der ihr dargereichten silbernen Platte auf, beugte aber, nachdem sie gelesen hatte, das Haupt betroffen zurück und ließ die Hand, welche die Karte hielt, in den Schoß sinken.

Ein Lebenstraum, den sie nie vergessen, wenn sie ihn auch immer zu verhüllen, ja gänzlich zu verwischen gesucht, stieg plötzlich vor ihr auf: Ludwig von Perser! Ihre erste und einzige Liebe! Aber dahin auf immerdar!

Großer Verstand in ihren eigenen Angelegenheiten, während sie sich absichtlich von Intrigen und politischen Fragen fern hielt, hatte sie von jeher ausgezeichnet. Darum hatte sie im Bewußtsein ihrer erreichten Jahre längst mit jenem Traum abgeschlossen. Sie war sich ebenso klar, daß das Gefühl für Perser immer in ihr rege bleiben würde, sowie daß Zeit und Umstände, die harte Wirklichkeit ohne Zweifel einen ganz andern Mann aus ihm gemacht hatten als Derjenige war, welchen sie geliebt hatte.

Was wollte er jetzt bei ihr? Gleichviel! Ansprüche sollte er nicht erheben können, und das Geheimniß ihrer ersten Beziehung zu ihm mußte dadurch seine Bedeutung verlieren, daß sie es offen vor aller Welt erzählte. Das war das beste Mittel, die Vergangenheit abzuthun. Unbefangen reichte die Gräfin Perser die Hand und erzählte dann den Damen eine kleine romantische Geschichte, deren Inhalt ihre erste Begegnung mit Perser in ferner Jugendzeit war.

Es lag für Perser bei aller Anmuth in ihrer Unbefangenheit doch etwas beinahe Schauerliches in der objektiven Kälte und Gelassenheit, womit die Gräfin einen so wichtigen Theil seines und ihres Lebens behandelte. Er war darauf gefaßt gewesen, Umschweife machen zu müssen, damit sie den Zusammenhang, der so weit zurücklag, und die Gefühle, die so lange Zeit daran geknüpft waren, ganz begreife, und nun erzählte sie selbst dies Alles, aber wie eine Begebenheit aus einem eben gelesenen Roman. War damit nicht vielleicht angedeutet, daß sie die Vergangenheit als völlig abgethan betrachte und keine Konsequenzen daraus für die Gegenwart werde dulden wollen?

Die Gräfin war verblüht und keine Spur des Liebreizes, der den Jüngling hingerissen hatte, war zurückgeblieben. Nur wenn sie lachte und ihre Züge sich belebten, wie es in diesem Momente der Fall war, erweckte ihr Wesen Sympathie. Erst nachdem sie ihren Vortrag den Damen gegenüber geschlossen hatte, stellte sie ihnen den Baron mit aller Förmlichkeit vor. Die Damen waren Kousinen des Hauses Glowerstone aus England, zwei schon ältere Frauen, die, zum Besuche der Gräfin gekommen, bei ihr wohnten, eine Gesellschafterin, eine Deutsche mit ziemlich mürrischem Gesichtsausdruck, und endlich ein junges Mädchen von [759] so großer Schönheit, daß sie Perser selbst jetzt aufgefallen war, da er auf nichts als auf die Gräfin seine Aufmerksamkeit gerichtet hatte. Das junge Mädchen an sich ziehend, sagte die Gräfin:

„Das ist die Tochter meines Vetters Albert Glowerstone, Miß Edith – Pardon, mein Kind – Fräulein Edith, sie will durchaus eine Deutsche sein. Sie ist seit einem Monat bei mir; ich muß sie aber in einigen Tagen selbst ihrem Vater zurückbringen. Das war die Bedingung, unter welcher er mir sie ließ.“

Die Damen entfernten sich allmählich, sie hielten es für passend, die beiden Menschen, die sich so spät wiedergefunden hatten, allein zu lassen. Gleichgültig wie früher setzte die Gräfin das Gespräch fort, immer nur auf den Aufenthalt Perser’s in Paris Bezug nehmend, nachdem er sie dafür lebhaft genug zu interessiren gewußt hatte.

Da sich wieder der Zug in ihrem Wesen geltend machte, welcher zu einem freundschaftlichen Vertrauen aufforderte, so kam es, daß Perser, ohne im Entferntesten daran zu denken, hier eine Hilfe finden zu wollen, bloß aus entgegenkommendem Gefühle und nur in zarter Andeutung und Umschreibung ein Bild seiner gegenwärtigen Lage entwarf. Die Gräfin hörte ihn sehr aufmerksam an; ihre Augen ruhten theilnehmend auf ihm und sie äußerte endlich mit dem Ausdruck tiefen Bedauerns:

„Wie schade, daß wir uns schon wieder trennen müssen! Ich bleibe einige Zeit auf dem Gute Albert’s und gehe dann für den Winter nach Italien. Wir hätten sonst Vieles besprechen können, und es hätte sich Gelegenheit gefunden, um Sie in meine Verhältnisse blicken zu lassen. Da wären Ihnen vielleicht Aufgaben sichtbar geworden, die nur ein Freund lösen kann. Wie hätte mich dies gefreut! Kommen Sie aber wenigstens bis zu meiner Abreise alle Tage!“

Er folgte diesem Rathe, es ergab sich jedoch daraus kein Anknüpfungspunkt für seine Zukunft. Da kam ihm plötzlich, natürlich und doch überraschend, das Schicksal zu Hilfe.

Eines Abends, als sich die Gräfin bereits verabschiedet hatte, saß er enttäuscht und herabgestimmt in seinem Zimmer und grübelte, was er ferner anzufangen hätte, um durchs Leben zu kommen.

Dabei war es charakteristisch für ihn, daß seine Gedanken bald an dem Vorsatze haften blieben, der am wenigsten praktische Bedeutung hatte, an dem Vorsatze, endlich die Geheimräthin zu besuchen, an die er unaufhörlich dachte und die ihm stets in größere Ferne zu rücken schien, je mehr seine Lage ihn peinigte. Jetzt konnte er ihr doch gleichsam etwas mitbringen, sagte er sich, ein Erlebniß, die Bekanntschaft mit der Gräfin Surville. Diplomaten und Officiere, denen er dort begegnet war, konnte er der Geheimräthin so zu sagen vorstellen, Interessantes aus ihren Verhältnissen erzählen.

Er hatte auch an einem Tage, an welchem große Gesellschaft bei der Gräfin war, den Legationsrath Siegfried Malköhne dort angetroffen und es absichtlich vermieden, sich ihm vorstellen zu lassen! denn er hegte unaussprechlichen Neid gegen den, wie er nach und nach erfahren hatte, begünstigten Freund der Geheimräthin, der vor ihr im vollen Glanz einer großartigen Existenz zu erscheinen vermochte. Aber Perser hatte die Verehrung, ja den Kultus beobachtet, womit man den Legationsrath von allen Seiten umgab, und diese Mittheilung aus einem fremden Munde müßte ja Brigitta entzücken. So hoffte er, der schönen Frau selbst zu einer bedeutenden Persönlichkeit zu werden.

Was aber war damit geholfen? Um sich in dieser Bedeutung zu behaupten, mußte er eine Stellung gewinnen, das Leben führen, das seinem Rang gebührte. Er entschloß sich, noch an diesem Abend einen alten, halb vergessenen Freund seines verstorbenen Vaters aufzusuchen.

Schon hatte er die Lampe gelöscht und den Schlüssel abgezogen, um seine Wohnung während seiner Abwesenheit versperrt zu halten, als an seiner Thür geklingelt wurde. Er öffnete und die Beleuchtung der Treppe ließ ihn den Legationsrath Malköhne erkennen, der, höflich den Hut ziehend, um die Erlaubniß bat, dem Baron Perser einige Augenblicke rauben zu dürfen. Dieser, höchlich überrascht, antwortete gleichwohl mit der schicklichen Ruhe und den herkömmlichen Redensarten. Die Lampe wurde wieder angezündet, die Herren nahmen Platz und der Legationsrath sprach zuerst im Allgemeinen von der Schwierigkeit, wirklich gebildete und zugleich mit den Formen der höheren Gesellschaft vertraute Personen für bloß vorübergehende diplomatische Geschäfte zu gewinnen. Dann theilte er mit, daß er noch im Laufe dieser Nacht abreise, und weil sich die Angelegenheiten so sehr gedrängt hätten, wäre er nicht zum Wichtigsten gekommen, zum Engagement eines brauchbaren Mannes, eines Begleiters und Sekretärs, kurz eines Vertrauensmannes.

Perser, obgleich ihm das Herz in ahnungsvoller Hoffnung schlug, zwang sich zu einem vornehmen und fast stolzen Gleichmuth, schweigend das Weitere erwartend. Malköhne fuhr fort:

„Zufällig habe ich heute Ihre Hauswirthin besucht, die Frau Geheimräthin Forstjung, und sie hat mir zum ersten Male von der Vermiethung gesprochen. Kaum hatte sie Ihren Namen genannt, Herr Baron, so war es mir, als hätte ich das Geeignete plötzlich gefunden; denn Ihr Name ist in unseren Kreisen wohl bekannt. freilich war dies nur ein abenteuerlicher Einfall von mir, denn ich habe ja nicht die Ehre, über Ihre Person und Ihre Verhältnisse im Geringsten unterrichtet zu sein. Die Geheimräthin erwähnte jedoch, daß Sie ein vorzüglicher Briefsteller seien, was ich am meisten brauche. Auch meinte sie, daß Sie erst vor einigen Tagen aus Paris gekommen, daß Sie folglich hier vielleicht noch nicht durch Ihre Konnexionen so gebunden seien –“

Der Legationsrath zögerte und stockte; der fast hochmüthige Gesichtsausdruck Perser’s ließ befürchten, es sei ein falscher Schritt geschehen. Die Zurückhaltung Malköhne’s ließ aber wiederum den Baron befürchten, er könnte durch allzu große Reserve eine günstige Wendung verscherzen. Darum erwiederte er freundlicher:

„Ich bin allerdings in mancherlei Beziehungen getreten, so kurz auch mein Aufenthalt ist, allein was an die Diplomatie streift, hat mich von jeher gereizt! ich habe eine wahre Passion, mich in solche Dinge zu mischen, und habe meinen Beruf verfehlt, daß ich nicht Noten und Depeschen schreibe. Aber was wollen Sie, Herr Legationsrath? Wir sind von Geburt Müßiggänger, und wenn nicht gerade pekuniäre Verhältnisse drängen, was bei mir natürlich nicht der Fall ist, so kommen wir zu nichts Ernsthaftem.“

Perser glaubte, versteckte Geister in seinem Innern kichern zu hören. Auch über des Andern Lippen flog eine Sekunde lang ein Schmunzeln! die Geheimräthin mochte ihm die Lage des hier so stolz aufgerichteten Mannes angedeutet haben. Indessen nahm der Legationsrath den Faden der Unterhaltung mit aller Gemessenheit wieder auf.

„Diplomatisch ist die Angelegenheit eben nicht; sie bedarf nur eines Helfers, der, wie Sie, Herr Baron, mit dem Tone, der Haltung der höheren Kreise vertraut ist und eine gebildete Feder führt. Wenn Sie nun sich dazu herbeilassen könnten, in dieser Jahreszeit zu reisen und einige Zeit von hier entfernt zu bleiben, so würden Sie vielleicht Ihre eigene Liebhaberei für das politische Getriebe einigermaßen befriedigen können. Natürlich müßten Sie es sich gefallen lassen, Herr Baron, daß wir Ihre Dienste nicht als ein Geschenk betrachten, welches Sie dem Ministerium machen würden, Sie müßten zustimmen, daß wir Ihre Zeit, Ihre Mühe vergelten, als ob Sie dessen wirklich bedürften.“

Perser strich sich mit der Hand nachdenkend das Kinn und zog die Augenbrauen finster zusammen, als ob die letzte Andeutung des Legationsrathes ihn eigentlich tief verwundete. Doch schien er zur Verzeihung geneigt zu sein, denn mit mildem Lächeln gab er den Bescheid:

„Ich habe nicht das Recht, Ihnen Herr Legationsrath, oder dem Staate Freundesdienste zu erweisen, und würde mich aus Liebe zur Sache auch mit der herkömmlichen Entlohnung verstehen; die Form muß ja überall gewahrt werden.“

Malköhne beeilte sich aus einander zu setzen, was man von Perser verlangte, und dieser erklärte sich damit außerordentlich zufrieden. Er sollte auf ein Telegramm, welches in zwei bis drei Tagen eintreffen werde, nach Wiesbaden abreisen, wohin der Legationsrath, wie erwähnt, schon in wenigen Stunden abzureisen gedachte. Am nächsten Tage werde ein Beamter aus dem bezüglichen Ressort beim Baron erscheinen, um die unleidlichen Formalitäten, das Reisepauschale und die Diäten zu erledigen. Der Baron reichte mit einer Gebärde, die eben so wohl Freundschaft wie Herablassung ausdrückte, dem Legationsrath die Hand, und Beide schieden sehr befriedigt von einander.

[760] In der That hatte Brigitta, als Malköhne soeben den letzten Abschied vor seiner Reise von ihr genommen, mit klarem Verstande eingesehen, daß Niemand für die momentane Sachlage geeigneter war, als Perser. Man brauchte nur einen Mann aus dem höheren Adelsstande und von tadellosen Umgangsformen, schöner Handschrift und gewandtem Stil, und wenn der Mann außerdem in der Hauptstadt noch ein Fremdling war, Nichts über die politischen Verhältnisse ausschwatzen konnte, die in der Heimath herrschten, so diente ihm dies nur um so mehr zur Empfehlung. Aus den alten Briefen Perser’s an Johanna wußte Brigitta, daß er für den schriftlichen Dienst vollkommen geeignet war; sein Charakter aber, den sie nicht kannte, kam hier überhaupt nicht in Betracht.

Perser wußte sich nach der Entfernung seines Besuchers vor Freude kaum zu lassen. Ein Lebensziel war allerdings nicht erreicht, aber er war von jeher darauf angewiesen, nur erträglich von Station zu Station zu kommen. Jetzt war wenigstens für einige Zeit gesorgt. Gern wäre er augenblicklich bei der Geheimräthin eingetreten; allein der Abend war zu weit vorgerückt; auch wollte er sich erst durch den angekündigten Besuch des Beamten volle Gewißheit verschaffen, daß die Sache nicht eine Täuschung war, ehe er der Geheimräthin seinen Dank darbrachte, daß sie in der Angelegenheit an ihn gedacht hatte.

Am nächsten Tage erschien der angekündigte Beamte. Die Besprechung betraf das Reisepauschale und die Diäten, worüber Perser nach Eintreffen des Telegramms sollte verfügen können. Daß dieses nicht ausbleiben werde, versicherte der Beamte. Perser sah die Stunde gekommen, in der es möglich war, der Geheimräthin einen Besuch abzustatten. Er zog die Klingel.




7.

Jetzt sah Perser die Geheimräthin zum ersten Male bei hellem Tageslichte, und während der Anblick der Züge, die sich ihm tief in die Seele geprägt hatten, ihm wohlthat, überraschte ihn zugleich ein neuer Ausdruck der Milde, der Freundlichkeit, deren er sich früher nicht zu erfreuen gehabt hatte. Man ist immer gewissermaßen Denjenigen dankbar, die man zu Dank verpflichtet hat: eine instinktive Andeutung der Psyche, daß die menschliche Bestimmung wäre, Andere zu beglücken. Als ob die Geheimräthin einer Entschuldigung bedürfte, daß sie einen Mann, der ihr so fremd war, in Amtsgeschäfte verwickelt hatte, äußerte sie, daß sie sich seiner Abkunft aus den Rheingegenden erinnert hätte.

„Sie haben zwar von Wiesbaden aus noch einen Weg nach Biebrich zurückzulegen; aber man fühlt dort überall, daß man am Rheine ist; Sie werden sich also in der Heimath wissen.“

Er sprach dagegen von seinen vielen in Paris nutzlos verlebten Jahren, und aus der Wehmuth, die ihn bei diesen Erinnerungen erfaßte, sprang er zum Ausdruck einer Hoffnung über, die ihn erst in der unmittelbarsten Gegenwart überkommen hätte. Seine Worte waren räthselhaft; seine Stimme zitterte, er wagte keine deutliche Bezeichnung; aber das feinere Gefühl einer Frau, wenn es auch nicht immer die volle Klarheit hat, ahnt in der Form eines unerklärlichen Unbehagens, daß eine Flamme lodert, deren wirkliches Aufleuchten sie nicht erblicken möchte; um davon abzulenken, fragte die Geheimräthin, ob Perser nicht seinen alten Freund Albert Glowerstone aufsuchen werde.

„Ich weiß nicht einmal, wo er jetzt haust,“ war die Antwort. „Eigentlich sollte uns der gemeinsame Verkehr unserer Jugend zu Freunden machen, wenn zwischen unseren Charakteren keine Gemeinsamkeit ist. Ich will dies nicht einmal erproben; ich sehne mich nach nichts mehr, als wieder hierher zurückzukehren, und es giebt nur einen einzigen Gegenstand, der mich in Wiesbaden interessiren wird: die Gräfin Surville.“

„Sie kennen die Gräfin?“ sagte Brigitta überrascht; „ja, wenn ich nicht irre, hat sie eine Beziehung zu Ihrer Jünglingszeit. Aber haben Sie die Gräfin seitdem wiedergesehen?“

Perser erzählte, auf welche Weise er sie aufgesucht und wie er von der Geschicklichkeit überrascht war, von dem Takte, womit sie der ersten Wiederbegegnung jeden Anschein von Verlegenheit entzog.

„Die Gräfin ist für mich eine höchst anziehende Erscheinung,“ erwiederte Brigitta; „nach Allem, was ich von ihr gehört und obgleich ich sie nur aus der Ferne gesehen habe. Sie muß eine von den seltenen Personen sein, die, begünstigt durch äußere Lebenslage, nicht nur über allem unedlen, auch über allem gewöhnlichen Treiben der Welt, das uns Andern so wichtig erscheint, gleichmüthig dahinschweben, als ob es so tief unter ihnen läge, daß sie unmöglich einen Blick dafür haben können.“

Perser war entzückt von dieser Bemerkung und verfiel wieder in die Wärme, die Brigitta mit einem leisen Zusammenziehen ihrer dunklen Brauen und mit dem Ausdrucke eines heimlichen Unbehagens erwiederte.

Abermals suchte sie abzulenken:

„Albert Glowerstone wohnt nicht weit von Mainz, so viel ich weiß, und schon um sich zu überzeugen, ob die Tochter schön ist – Sie sagten mir ja, wie ich glaube, daß er Vater einer Tochter – um diese zu sehen, müßten Sie ihn besuchen.“

„Das wäre überflüssig,“ sagte Perser arglos; „die Tochter Glowerstone’s habe ich bei der Gräfin Surville gesehen, wo sie sich längere Zeit aufgehalten; sie ist erst vor einigen Tagen mit der Gräfin zugleich abgereist.“

Die Geheimräthin, die den Kopf von dem Sprechenden, so lange er sich in Reden erging, die ihr nicht lieb waren, halb abgewendet hatte, sah ihm jetzt plötzlich voll und ganz ins Gesicht. Die Rosenfarbe ihrer Wangen war verschwunden; ihr Blick war fast starr, und einige Sekunden verharrte sie schweigend. Es schien, als könnte sie ihren heftig fliegenden Athem nicht sogleich zu den Worten bringen:

„Sie haben die Tochter Albert Glowerstone’s hier gesehen? Hier, und in diesem Monat?“

„Ein auffallend schönes Mädchen,“ fuhr Perser fort, „so schön, daß ich, obgleich ich an ganz andere Dinge zu denken hatte, einige Augenblicke regungslos stand, bevor ich mich vor Miß Edith auch nur verbeugen konnte.“

„Miß Edith, sagen Sie,“ stammelte Brigitta mehr als sie sprach, „Miß Edith, habe ich recht verstanden, wer führt diesen Namen?“

„Die Tochter Albert Glowerstone’s,“ wiederholte Perser, ein wenig erstaunt.

Brigitta sammelte ihre Kräfte, um dem Fremden gegenüber die gebührende Haltung der Salondame nicht aufgeben zu müssen. Doch war sie zerstreut, hielt ihre Lippen auf einander gepreßt und verstand offenbar nicht Alles, was Perser noch vorbrachte. Er fühlte, daß er sich verabschieden mußte, und er that es mit gedrückter Seele, weil die Milde, die Freundlichkeit, die ihn am Anfange der Unterredung entzückt hatten, völlig verschwunden waren.

(Fortsetzung folgt.)




Vom Nordpol bis zum Aequator.

Populäre Vorträge aus dem Nachlaß von Alfred Edmund Brehm.
Land und Leute zwischen den Stromschnellen des Nil.
(Fortsetzung.)

Die Nubier oder, wie sie sich selbst nennen, die Barabra, sind mittelgroße, schlanke, ebenmäßig gebaute Leute, mit verhältnißmäßig kleinen, wohlgebildeten Händen und Füßen, meist angenehmen Gesichtern, denen die mandelförmigen Augen, die hohe, gerade oder gebogene, nur an den Flügeln etwas verbreiterte Nase, der schmale Mund, die fleischigen Lippen, die gewölbte Stirn und das längliche Kinn ein ansprechendes Gepräge aufdrücken, feinen leicht gekräuselten, aber nicht wolligen Haaren und verschiedener, vom Erzbraun bis ins Dunkelbraune spielender Hautfärbung. Sie halten sich gut, gehen leicht, gleichsam schwebend, bewegen sich auch sonst gewandt und anmuthig, unterscheiden sich daher sehr zu ihrem Vortheile von den Negern der oberen Nilländer, selbst von den Fungis des Ostsudan. Die Männer scheren ihr Haupthaar entweder gänzlich oder bis auf

[761]

Der Liebesbote.
Nach dem Oelgemälde von Josef Weiser.

[762] einen Schopf am Scheitel und bekleiden den Kopf mit einem enganschließenden weißen Mützchen, der Takhïe, über welche an Feiertagen vielleicht auch ein weißes Tuch turbanähnlich gewunden wird. Ein sechs bis neun Meter langes Umschlagetuch dient zur Bekleidung des Oberkörpers, kurze Beinkleider und Sandalen, an Feiertagen ein blaues oder weißes talarähnliches Gewand bilden die übrigen Kleidungsstücke; ein am linken Arme getragenes Dolchmesser und auf Reisen die Lanze die Waffen; Lederrollen, in denen Amulette enthalten sein sollen, und an den Schnüren um den Hals gehängte Täschchen den einzigen Zierat des Mannes. Die Frauen ordnen ihr Haar in hundert kleine, dünne Zöpfe und salben diese reichlich mit Hammelfett, Butter oder Ricinusöl, verbreiten daher auf weithin einen für uns geradezu unerträglichen Geruch, tätowiren verschiedene Theile ihres Gesichtes und Leibes mit Indigo, färben oft die Lippe blau und stets die Handteller roth, zieren den Hals mit Glasperlen-, Bernsteinketten, Amulettäschchen und dergleichen, die Knöchel mit zinnernen, elfenbeinernen, hörnernen, Ohrläppchen, Nasenflügel und Finger mit silbernen Ringen, schlagen an Stelle der Beinkleider einen bis zu den Knöcheln herabreichenden Schurz um die Lenden und werfen das Umschlagetuch in malerischen Falten über Brust und Schultern. Knaben gehen bis ins sechste oder achte Jahr nackt; Mädchen tragen vom vierten Jahre an die ungemein kleidsame, aus feinen Lederstreifen bestehende, oft mit Glasperlen oder Muscheln verzierte Troddelschürze.

Alle im Stromthale seßhaften Nubier hausen in viereckigen, beziehentlich mehr oder weniger würfeligen Gebäuden, welche entweder aus lufttrockenen Ziegeln errichtet und dann nach oben zu abgeschrägt sind, oder aber aus einem mit Stroh überkleideten leichten Holzgerüst bestehen, gewöhnlich bloß einen Wohnraum darstellen, eine niedrige Thür und an Stelle der Fenster oft nur Luftlöcher haben, auch die denkbar einfachste Einrichtung zeigen. Ein erhöhtes, mit verflochtenen Lederstreifen oder Baststricken überspanntes Lagergestell, das Ankareb, einfache Kisten, vortrefflich gearbeitete, selbst wasserdichte Körbe, Lederschläuche, Urnen, zur Aufbewahrung des Wassers, Durrabieres und Palmweines, Handmühlen oder Reibsteine zum Zerkleinern des Getreides, eiserne oder thönerne flachmuldige Platten zum Brotbacken, Kürbisschalen, ein Beil, ein Bohrer, einige Hacken etc. bilden den Hausrath, Matten, Vorhänge, Scheidewände und Lagerdecken die Einrichtungsgegenstände, Mulden, flache, geflochtene Teller und dazu gehörige Deckel die nicht in jeder Hütte vorhandenen Eßgeschirre. Die Nahrung unserer Leute besteht vorwiegend, hier und da fast ausschließlich, in Pflanzenstoffen, Milch, Butter und Eiern. Das häufiger zerriebene als gemahlene Getreide wird zu einem Teige verarbeitet und dieser zu schliefigem Brote gebacken, letzteres aber entweder ohne alle Zuthaten oder mit Milch oder mit dickschleimigen Brühen aus verschiedenen Pflanzen, günstigsten Falles auch darunter gemischten Fleischfasern aus vorher an der Sonne getrockneten Streifen, und viel und scharfem Gewürz genossen. Begehrlicher als hinsichtlich der Speisen zeigt sich der Nubier, wenn es sich ums Trinken handelt; denn jedes berauschende Getränk, sei es heimischen oder fremden Ursprungs, findet an ihm jederzeit einen eifrigen Verehrer, um nicht zu sagen unmäßigen Zecher.

Sitten und Gewohnheiten der Bewohner des mittleren Nilthals bekunden gegenwärtig eine absonderliche Verquickung von ererbten und angenommenen Gebräuchlichkeiten. Schmiegsam und leichtfertig fügt er sich ebenso willig in das ihm Fremde, wie er das ursprünglich Heimische zu vergessen scheint. Bekenner des Islam ist er mehr dem Namen als der That nach; strenges Festhalten an Glaubenssatzungen kennt er eben so wenig wie Unduldsamkeit gegen Andersgläubige. Bevor er ins reifere Mannes- oder ins Greisenalter getreten, übt er die Gebote des Propheten selten und wohl niemals mit dem Pflichteifer der arabischen oder türkischen Stämme, glaubt vielmehr vollständig genug zu thun, wenn er den äußerlichen Vorschriften seines Glaubens nachkommt. Gesang und Tanz, heitere Unterhaltungen, Scherze und Trinkgelage gefallen ihm besser als die Lehren und Gebote des Koran, als die auf mönchische Auslegung der letzteren zurückführenden Glaubensübungen und Bußermahnungen oder das von anderen Mohammedanern für so heilig erachtete Fasten.

Gleichwohl wird ihn Niemand als willenlosen, wankelmüthigen, unselbständigen, unverläßlichen oder treulosen, kurz schlechten Menschen bezeichnen können. Im unteren Nubien, wo er alljährlich mit Hunderten, in seinen Augen reichen und freigebigen Fremden verkehrt, wird er freilich oft zum unverschämten, ja selbst unerträglichen Bettler, und die Fremde, welche er aufsuchen muß, weil sein armes Land ihn nicht ernähren kann, trägt auch nicht dazu bei, ihn zu veredeln: im Allgemeinen aber darf man ihn mit Fug und Recht einen braven Gesellen nennen. Wohl vermißt man heut zu Tage an ihm oft die Willenskraft der Väter, keineswegs aber auch deren Muth und Tapferkeit; wohl erscheint er bei Weitem sanfter und gutmüthiger als der Aegypter, erweist sich jedoch nicht minder verläßlich und ausdauernd als dieser, wenn es sich um schwierige oder gefahrdrohende Unternehmungen handelt. Sein armes, unergiebiges Land, an welchem er mit ganzer Seele hängt, dessen er in der Fremde mit rührender Anhänglichkeit gedenkt, für welches er arbeitet, darbt und spart, da sein einziges Streben dahin geht, die Mannes- und Greisenjahre in ihm zu verleben, legt ihm unablässigen Kampf um das Dasein auf und stählt seine leiblichen wie geistigen Kräfte; der tosende Strom, mit welchem er nicht minder beharrlich kämpft wie mit dem felsenstarrenden Lande, weckt und erhält in ihm Muth und Selbstvertrauen, eben so wie er kühle Würdigung der Gefahr in ihm erzeugte und befestigte. Dank den so erworbenen Eigenschaften wird der Nubier zum treuen Diener, verläßlichen Reisebegleiter, wanderlustigen Djellabi oder Kaufmann und vor Allem zum unternehmenden, unerschrockenen Schiffer.

Fast gewinnt es den Anschein, als ob die Eltern ihre Söhne von frühester Jugend an auf alle Dienste, welche sie später als Erwachsene leisten, regelrecht vorbereiteten. Wie in Aegypten werden in Nubien die Kinder des armen Mannes kaum erzogen, höchstens zur Arbeit angehalten, richtiger vielleicht: nach Maßgabe ihrer Kräfte ausgenutzt.

So klein der Knabe sein mag: einen Dienst muß er leisten, ein Aemtchen verwalten; so schwach das Mädchen: der Mutter muß es helfen bei allen Verrichtungen, welche den Frauen des Landes obliegen. Aber während man in Aegypten den Kindern kaum Erholung gönnt, begünstigt man in Nubien fröhliches Spiel der Kleinen nach Möglichkeit. In Aegypten wird der Knabe zum Knechte, das Mädchen zur Sklavin dieses Knechtes, ohne daß es eine freudige Kindheit durchlebte; in Nubien sind mehr als Halberwachsene oft noch immer Kinder in Sein und Wesen. Daher erscheinen uns jene unnatürlich ernst wie ihre Väter, diese heiter wie ihre Mütter. Ein allgemein beliebtes Kinderspiel wird jeder Reisende kennen lernen und mit Wohlgefallen beobachten, weil es Gewandtheit und Anmuth der Bewegung, Ausdauer und Unternehmungsmuth vereinigt wie kaum anderswo: ich meine das in der ganzen Welt gebräuchliche „Haschen“ oder „Fliehen und Verfolgen“. Nach geschehener Arbeit vereinigen sich Knaben und Mädchen. Jene lassen das Schöpfrad, dessen Zugochsen sie antreiben mußten vom frühen Morgen, bis die Sonne zum Untergange sich neigt, das Feld, in welchem sie dem Vater behilflich waren, das junge Kamel, welches sie traben lehrten, diese die jüngeren Geschwister, welche sie eher schleppten als trugen, den Brotteig, dessen Gährung sie zu überwachen hatten, den Reibstein, an welchem sie ihre jungen Kräfte übten: und alle eilen zum Ufer des Stromes. Lachend und plaudernd zieht die Gesellschaft dahin; wie dunkle Ameisen wimmelt es im goldgelben Sande, zwischen und auf den schwarzen Felsen. Bunt durch einander gemischt ordnen sich die Verfolger, welche den Flüchtling zu fangen haben. Letzterer, dem einiger Vorsprung gegönnt wird, giebt das Zeichen zum Beginn der Jagd, und alle heften sich an seine Fersen. Wie eine Gazelle läuft er über die sandige Ebene den nächsten Felsen zu und wie hetzende Windhunde jagt die lärmende Rotte hinter ihm drein; einer Gemse vergleichbar klettert er an den Felsen empor, und nicht minder gewandt strebt die gelenkige Gesellschaft der Spielgenossen nach der Höhe; wie ein erschreckter Biber stürzt er sich in den Strom, um tauchend sich zu bergen, schwimmend zu entrinnen: aber auch in das nasse Element folgen ihm die beherzten Mitspieler, Knaben wie Mädchen, strampelnd wie schwimmende Hunde, rufend und schreiend, schwatzend und kichernd wie sich treibende, schnatternde Enten. Lange schwankt das Zünglein der Wage, und gar nicht selten geschieht es, daß der breite Nilstrom überschwommen wird, bevor der kühne Vorspieler in die Hände [763] seiner Kameraden fällt. Die Eltern der munteren Schar aber stehen, zuschauend am Ufer und freuen sich über die Gewandtheit, den Muth und die Ausdauer ihres Nachwuchses, und auch der Europäer muß zugestehen, daß er nirgends lebensfrohere, munterere Wesen gesehen hat, als diese schlanken, schönen, duftigbraunen, glänzenden Kinder.

Aus den in solcher Weise spielenden Knaben werden die Männer, welche es wagen, zwischen den Stromschnellen Schifffahrt zu treiben, im Boote über die thalabeilenden, hier und da förmlich jagenden, wirbelnden, tosenden und brausenden Wogen zu steuern, diesen sogar entgegenzusegeln, welche zu vielen ihrer Schwimmfahrten nicht einmal des Bootes bedürfen, sondern dreist auf kleinen, erbärmlichen, aus Durrastengeln zusammengefügten Flößen oder luftdichten, aufgeblasenen Schläuchen tagelang währende Reisen unternehmen. So klar und fest schauen diese nubischen Schiffer und Schwimmer der Gefahr ins Auge, daß ihnen die Wellen des Stromes weder Märchen noch Sagen in das Ohr geflüstert haben. Sie kennen weder Nixen noch andere Wassergeister, weder gute noch böse Genien, und ihre Schutzheiligen, deren Hilfe sie vor und während gefährlicher Fahrten zu erflehen pflegen, wehren nur der Macht des Geschickes, nicht aber dem bösen Willen tückischer Geister. Die Sage ist stumm geblieben in den Stromschnellen, im „Bauche der Felsen“ wie in den Stürzen und Strudeln der „Mutter der Steine“, der „Erschütternden“, des „Kamelhalses“, der „Koralle“ und wie die Namen der Schnellen sonst noch lauten, obwohl das ganze Gebiet die herrlichsten Wohnsitze für Märchengestalten in sich faßt und der es befahrende Schiffer nur zu oft zum Glauben an die Wirksamkeit menschenfeindlicher Geister verleitet werden mag.

(Fortsetzung folgt.)


Was sollen unsere Kinder lesen?

Wenn wir eine Zeit suchen wollen, in welcher an guten Kinderbüchern noch ein empfindlicher Mangel war, so müssen wir einige Jahrzehnte zurückblicken: heute herrscht an Stelle des ehemaligen Mangels eine reiche Fülle, und es ist erfreulich, daß die Zahl werthvoller Jugendschriften noch von Jahr zu Jahr im Wachsen ist. Mit der Zunahme guter Jugendbücher hat aber auch die Erkenntniß Schritt gehalten, eine wie große erzieherische Bedeutung diesen beizulegen ist, und wenn jetzt noch eine Frage bezüglich der Jugendschriften aufgeworfen wird, so ist es nicht die, ob unsere Kinder überhaupt lesen sollen, sondern die: was sollen sie lesen? Diese Frage wird aber häufig ausgesprochen, und sie wiederholt sich um so öfter, je weniger die Jahreszeit den Spielen der Kinder im Freien günstig ist, je mehr diese also auf die Unterhaltung am Familientische angewiesen sind. Auch jetzt wieder heißt es: die langen Winterabende sind eingekehrt, welche Bücher sollen wir unsern Kindern zum Lesen geben? Und die Wahl ist eine um so schwierigere, als es nicht nur nothwendig ist, die verschiedenen Altersstufen zu berücksichtigen, sondern auch gefordert werden muß, daß auf die individuelle Veranlagung eines jeden einzelnen Kindes sorgfältig Acht gegeben werde. Ja, Altersstufe und Veranlagung – diese beiden Faktoren sind es, welche besorgten Eltern das meiste Kopfzerbrechen verursachen, und wir glauben uns den Dank unserer Leser zu verdienen, wenn wir ihnen mit Winken an die Hand gehen, die geeignet sein dürften, in dieser Beziehung einige Klarheit zu geben und so die richtige Wahl zu erleichtern.

Da ist zuerst ein kleiner Bursche, der noch nicht fünf Jahre zählt, aber doch sein gut Stück an der Unterhaltung Theil haben will. Mit lebhaften großen Augen mustert er Alles, was um ihn ist, verweilt bald bei dem einen, bald bei dem andern Gegenstande und bestürmt einmal den Vater und ein andermal die Mutter mit Fragen. Er ist unruhig, sinnt und frägt, so lange er wach ist, und seinem lebhaften Geiste eine gesunde Nahrung zu bieten, ist eine der schwierigsten, aber auch zugleich eine der dankbarsten Aufgaben. Lesen kann er nicht und soll er nicht; dennoch enthält die Jugendlitteratur auch für ihn Manches, das sein Wissen und sein Gemüth zu bereichern geeignet ist. Es muß sich nur der rechte Dolmetsch finden, der das, was in den Büchern niedergelegt ist, seiner Fassungskraft anzupassen versteht – und dieser Dolmetsch ist die Mutter. Sie möge nach Büchern Ausschau halten, welche für das zarte Kindesalter geschrieben sind, möge für sich die einfachen Geschichten lesen und dann aus dem Gedächtniß und mit der trauten Sprache des eigenen Herzens sie ihrem Kinde wiedererzählen. Das haftet in der Kindesseele und reift zu köstlicher Frucht heran. Und wenn die Bücher erschöpft sind, dann ruhig zur Seite damit. Die Mutter hat gelernt, wie sie erzählen soll, und kann nun um Stoff nicht mehr in Verlegenheit kommen: Zimmer, Küche und Keller erweisen sich als Fundgruben; jedes einzelne Hausthier hat seine Geschichte; die schneebedeckten Bäume im Garten und die hungernden Vögel vor den Fenstern bieten Stoff; die Fülle und Pracht des Sommers in Gärten und Wiesen, in Feldern und Wäldern wird in der Erinnerung des Kindes wachgerufen. Erinnerungen aus der eigenen goldenen Jugend leben auf; an Beobachtungen und Erfahrungen im täglichen Leben wird angeknüpft! Der Unterhaltungsstoff für ein Kind ist unerschöpflich; Alles ist ihm neu, für Alles zeigt es Interesse. Und es ist so anspruchslos! Da ist keine große Erfindung nöthig, bedarf es keiner komplicirten Schürzung des Knotens: eine einfache Pointe, und sei sie auch noch so schlicht, erfüllt es mit dankbarer Freude. Solche einfache Pointen finden sich zuweilen in guten Bilderbüchern und diese geben dann ein schätzenswerthes Unterhaltungsmittel, welches auch noch seinen Werth behält, wenn das Kind in die Schule eingetreten ist und die Befähigung erlangt hat, selbst den Text zu lesen und ihn prüfend mit den Bildern zu vergleichen.

In den ersten Schuljahren mag das Kind ähnliche Geschichten lesen, wie sie ihm die Mutter früher erzählt hat, alle einfach und alle – das ist von der höchsten Wichtigkeit: – mit edlem und erfreulichem Inhalt! Ich halte es für einen der unverzeihlichsten und verderblichsten Fehler, die reine Kindesseele mit Bildern zu trüben, an die es nicht denkt, die in ihrer Häßlichkeit ihm so fern liegen, daß es ihre Existenz nicht ahnt. Nicht durch Abschreckung sollen Triumphe erzielt werden, sondern durch Anziehung. Das gilt für jedes Kind und für jedes Alter. Füllt die Seele des Kindes mit Eindrücken und Vorstellungen des Guten, Schönen, Großen, lehrt es das Erhabene kennen – und es wird sich mit Abscheu abwenden von Allem, was niedrig ist!

Der Werth sinnreicher Märchen ist auch für das zartere Alter nicht zu verkennen. Sie verleihen der Phantasie einen freieren Flug und wirken belebend auf den Sinn für das Schöne und Poetische. Kurze Fabeln prägen sich dem Gedächtnisse oft mit wunderbarer Schärfe ein und bilden einen Erfahrungsschatz, der dem Kinde um so theurer ist und um so nachhaltiger wirkt, als es der erste ist, den es sich selber angeeignet hat.

Ueberaus dankbar ist die Wahl der Lektüre für Kinder im Alter von etwa neun bis zwölf Jahren. Ich schenkte einem kleinen zehnjährigen Freunde ein Buch mit Erzählungen der trefflichen Ottilie Wildermuth. Da ich mehrere Tage keine Zeit hatte, mich um den kleinen Leselustigen und sein Präsent zu kümmern, hatte er sich allein über das Buch hergemacht, obwohl er sonst stets zu bitten pflegte, ich möchte ihm vorlesen. Aber letzteres war mir deßhalb nicht erlassen. An meinem ersten freien Abend brachte er mir das Buch, lachte mich an und bat: „Jetzt lies!“ Und da saß er dann und lauschte und freute sich. Ich wollte sein Gedächtniß auf die Probe stellen und las scheinbar ruhig fort, wich aber in der That in freier Erzählung vom Texte ab. Erst wurde er unruhig; hierauf kam er an meinen Stuhl, um aus unmittelbarer Nähe beobachten zu können, ob ich auch wirklich läse, und dann meinte er: „Zeig’ mal her, steht das da?“ Er hatte die Erzählung so gründlich und aufmerksam gelesen, daß er die kleine Abweichung sofort bemerkte.

Auch geschichtliche Erzählungen, anziehende Schilderungen aus dem Thier- und Pflanzenleben, sowie aus der Länder- und Völkerkunde werden gern gelesen, und zwar nicht allein von Knaben, sondern eben so von Mädchen, deren Lektüre überhaupt bis gegen Schluß der Schulzeit von derjenigen der Knaben kaum abweichen sollte. Für Märchen und Sagen ist das mittlere Jugendalter das empfänglichste.

Einen schwereren Lesestoff wird man erst der Jugend vom zwölften Jahre aufwärts zumuthen. Dann aber möge man sich Mühe geben, beim Knaben wie beim Mädchen Interesse und Verständniß für alle Gebiete des Wissens zu erwecken und sie so unmerklich auf das spätere Leben vorzubereiten. Erzählungen aus dem Leben großer Männer und Frauen, aus Sage, Geschichte und Litteratur, ethnographische Schilderungen und naturwissenschaftliche Plaudereien etc. leisten vorzügliche Dienste.

Ein bereitwilliger Führer und Rathgeber ist den jugendlichen Lesern unter allen Umständen dringend zu wünschen; stets sollte man auf ihre Fragen eingehen und sich bemühen, ihnen eine richtige und möglichst erschöpfende Antwort zu geben. Das spornt den Eifer an und fördert das Wissen ungemein. Und die Mühe der Antwort ist oft eine so kleine! Man lege nur einen Augenblick die Zeitung aus der Hand, unterbreche nur eine Minute die häusliche Beschäftigung oder allgemeine Unterhaltung, und die gewonnene Pause reicht in den meisten Fällen vollauf hin, den kleinen Fragesteller zu befriedigen.

Ist das Alter des Kindes gebührend berücksichtigt, so lenke man seine Aufmerksamkeit auf die individuelle Veranlagung desselben, und wenn man auch hier das Richtige trifft, so wird man oft erstaunt sein, welchen außerordentlichen Einfluß die Lektüre auf den Entwickelungsgang des Kindes auszuüben vermag. Ein Beispiel möge zeigen, in welcher Art ich mir die ersprießliche Berücksichtigung der Individualität denke.

In meiner Nachbarschaft lebte vor Jahren eine Familie, deren einziger Sohn ihr herbe Sorgen bereitete und sie nur mit Bangen in die Zukunft schauen ließ. Der Knabe war ein so unstäter Geist, wie ich ihn ähnlich selten kennen gelernt habe; er schweifte durch Feld und Wald, sah flüchtig den Arbeitern zu, durchstöberte die entlegensten Winkel des Hauses und war überall zu finden, nur nicht bei Büchern und bei der Arbeit, welche ihm die Schule aufgab. Seine Schulzeugnisse waren die denkbar schlechtesten, und alle Mahnungen und Strafen blieben erfolglos. Plötzlich ging eine seltsame und überraschende Wandlung mit ihm vor. Aus einer Kiste mit altem Gerümpel waren ihm Bruchtheile eines Maschinenmodells in die Hände gefallen, und nun saß er stunden- und tagelang auf dem halbdunklen Dachboden des Hauses und war unermüdlich damit beschäftigt, die Theile wieder zu einem Ganzen zusammenzufügen. Der Vater beobachtete erfreut das emsige Treiben seines Knaben und ließ die Hoffnung aufkommen, es möchte sich endlich ein Gegenstand gefunden haben, der das Interesse desselben ernst zu fesseln vermöchte. Er kaufte ein Buch mit Beschreibungen von Erfindungen und Entdeckungen und legte dieses unbemerkt neben das alte verrostete Modell. Den Deckel des Buches schmückte die farbig ausgeführte Abbildung einer Maschine, [764] und diese war es, welche zuerst die Aufmerksamkeit des Knaben auf sich zog. Er nahm das Buch, blätterte darin und besah die Illustrationen. Dann begann er zu lesen, und als er eines Mittags vergeblich zum Essen gerufen worden war, fand ihn der Vater dicht an einem der kleinen, lichtspendenden Dachfenster eifrig in das Buch vertieft. Er las die Lebensgeschichte von James Watt, dem Erfinder der Dampfmaschine, und diese brachte in seinem Wesen einen vollkommenen Umschwung hervor. Er hatte den Gegenstand gefunden, nach welchem er sich unbewußt gesehnt, und mit eiserner Energie arbeitete er fortan an der Erwerbung und Erweiterung aller bezüglichen Kenntnisse. Die Ruhelosigkeit war verschwunden, an ihre Stelle ein zielbewußtes Streben getreten, und in den leicht faßlich geschriebenen Jugendbüchern boten sich ihm die ersten fördernden Helfer.

So sollten stets die individuellen Neigungen unserer Kinder in ihren Anfängen sorgsam beachtet und in ihrer weiteren Entwickelung verständig geleitet, gefördert oder, wenn nöthig, gehemmt werden. Wünscht man ihre Förderung, so gebe man ihnen Bücher, welche den Gegenstand ihrer Neigung in anziehender Darstellung behandeln und so diese Neigung immer mehr beleben und kräftigen; scheint es aber geboten, einer individuellen Veranlagung entgegen zu treten, so suche man durch abweichende Lektüre zunächst einer schädlichen Weiterentwickelung derselben vorzubeugen und dann durch zweckmäßig gewählten Unterhaltungs- und Bildungsstoff allmählich die Begabung und das Interesse des Kindes in andere Bahnen und einem anderen Ziele zuzulenken. In beiden Fällen bewährt sich die Jugendlitteratur als ein vorzügliches Erziehungsmittel, dessen gewissenhafter Anwendung man nur das Wort reden kann. Allerdings muß dieses „gewissenhaft“ nachdrücklich betont werden, und man darf sich noch nicht damit begnügen, dem Kinde eine seinem Alter und seiner Individualität einigermaßen angemessene Lektüre zu verschaffen, sondern muß durchaus auch des Wahrspruchs eingedenk bleiben, daß für die Jugend nur das Beste gut genug ist. Dietrich Theden.     



Christoph Willibald Ritter von Gluck.

Ein Gedenkblatt zum 100jährigen Todestage (15. November 1787) des Reformators der Oper.
Von Ernst Pasqué.

Reformator der Oper! Ein schwerwiegendes Wort. – Schon der Beginn, die Geburt der Kunstgattung, welche wir Oper nennen, war eine Reform. In Peri’s „Daphne“ und „Eurydice“, den ersten nur gesungenen musikalischen Dramen, welche in den Jahren 1597 und 1600 entstanden, wird das „Madrigal“, der mehrstimmige Gesang, durch die „Monodie“, den Einzelgesang, im „Stile rappresentativo“ ersetzt, und heute, ein Jahrhundert nach Gluck, hat Richard Wagner eine weit vollständigere Umgestaltung der Oper bewerkstelligt. Gluck aber hat das Verdienst, die dramatische Musik mit den zu seiner Zeit beschränkten Orchestermitteln zu größtmöglicher Vollendung geführt und dadurch den Grund gelegt zu haben, auf dem die ihm nachfolgenden Meister mit immer mehr vervollkommneten Mitteln weiter zu bauen vermochten. Somit verdient er, unbeschadet seines italienischen Vorgängers, der den Weg eröffnete, und seines machtvollen deutschen Nachfolgers, mit Recht den Namen eines „Reformators der Oper“.

Christoph Willibald Gluck.

Gluck wurde geboren am 2. Juli 1714 zu Weidenwang [1], einem Dörfchen in der bayerischen Oberpfalz, wo ihm später ein Denkmal errichtet wurde. Der Vater war Förster; er trat 1717, drei Jahre nach der Geburt seines ältesten Sohnes Christoph, in gleicher Eigenschaft in fürstlich Lobkowitz’sche Dienste und siedelte nach Komotau in Böhmen über, wo dann der junge Gluck seine Schul- und musikalische Bildung erhielt. Letztere vervollständigte er später in Mailand bei dem Organisten Sammartino und brachte auch dort, 1741, seine erste Oper „Artaserse“ zur Aufführung. Schon bei diesem Erstlingswerke zeigte sich das Bestreben des jungen sechsundzwanzigjährigen Tonkünstlers, von den ausgetretenen Bahnen der italienischen Oper abzuweichen. Nur eine Arie im althergebrachten Stile hatte er auf den Proben eingefügt, wohl um zu zeigen, daß er auch in dieser Weise komponiren könne. Das Werk erregte anfänglich Staunen, theilweise Mißfallen; nur die eine eingelegte Arie gefiel. Doch bald änderte sich dies und zwar vollständig. Das Publikum fand immer mehr Gefallen an der eigen- und fremdartigen musikalischen Form der Oper, und schließlich sogar, daß die verschnörkelte Arie nicht hineinpasse, welche denn auch weggelassen werden mußte. Dies war der erste, aus innerem Triebe, nicht mit berechnender Absicht unternommene Schritt auf neuer Bahn – und zugleich ein erster Erfolg. – Noch zwei Jahrzehnte sollte es dauern, bis Gluck sich seines Strebens vollständig bewußt war, bis das in der Jugend nur geahnte Ziel sich klar und bestimmt seinem geistigen Auge zeigte. Dies Streben und Ringen läßt sich in den zahlreichen Werken, die er von 1741 bis 1762 für London, Italien und Wien schrieb, deutlich erkennen. Einen der überzeugendsten Belege dafür bildet ein Ausspruch des großen neapolitanischen Tonmeisters Durante. Im Jahre 1751 schrieb Gluck für Neapel die Oper „La Clemenza di Tito“ von Metastasio, in welcher der Kastrat Caffarelli, einer der berühmtesten Sänger seiner Zeit, die Hauptrolle sang. Für diesen komponirte Gluck eine Arie (eines der bedeutsamsten Musikstücke des Meisters), die einen wahren Aufruhr unter den neapolitanischen Musikern hervorrief. An einer Stelle der Arie, wo Caffarelli einen Halt mit Koloraturen und Trillern auszuführen hatte, ließ Gluck das Orchester eigene, ganz ungewohnte Wege gehen, und die Widersacher des kühnen deutschen Meisters klagten ihn bei Durante der Verletzung des reinen Satzes an. Nachdem dieser die betreffende Stelle der Partitur lange und ernst geprüft hatte, sprach er Folgendes zu den Musikern: „Ich mag nicht entscheiden, ob diese Stelle den Regeln der Komposition so streng gemäß sei; allein das vermag ich Euch zu sagen, daß wir Alle, bei mir angefangen, uns sehr rühmen dürften, eine solche Stelle gedacht und geschrieben zu haben.“

Außer dem tief eingewurzelten Geschmack des Publikums standen Gluck zwei große Hindernisse im Wege, das, was in ihm lebte, zu verwirklichen: die süßlichen Verse, die wenig dramatische Form der italienischen Libretti des nun einmal maßgebenden, auf diesem Gebiet unumschränkt herrschenden Abbate Metastasio, sodann die unmännliche leidenschaftslose Gesangs- und Darstellungsweise der italienischen Sopran- und Altsänger. Er konnte nur mit solchen experimentiren – eine deutsche Oper gab es zur Zeit noch nicht, und die Pforten der französischen, wo nur [765] wirkliche Tenore und Bässe sangen, waren ihm bis jetzt verschlossen. Dennoch überwand Gluck diese Schwierigkeiten. In dem Livorneser Calzabigi fand er einen Dichter, der auf seine Ideen einzugehen vermochte, und so entstand denn, mit der vorher klug eingeholten Billigung Metastasio’s, Gluck’s erste und wirkliche Reform-Oper „Orfeo ed Euridice“, die er mit kühnem Muthe als „Dramma per Musica“ bezeichnete.

Gluck’s Denkmal in Weidenwang.

Am 5. Oktober 1762 erlebte dieser „Orfeo“ seine erste Aufführung im Theater der Hofburg zu Wien, und die ungeheure Ueberraschung, das fast zürnende Staunen, welche das Werk in seiner durchaus neuen Form an den ersten Abenden erregte, wandelten sich nach und nach in Bewunderung, Entzücken und weithin tönenden Beifall. Die Oper erschien als Partitur bereits 1764 in Paris, 13 Jahre früher, als das Werk selbst auf der dortigen Opernbühne. Favart, der bekannte Bühnendichter, besorgte die Herstellung, welche eine Prachtausgabe genannt werden darf und heute zu den größten Seltenheiten gehört. Zwei berühmte Künstler, der Maler Monnet und der Kupferstecher Le Mire, lieferten dazu eine blattgroße Vignette, die auf der ersten Seite dieser Nummer in verkleinertem Maßstabe unsern Lesern vorgeführt wird: ein Dokument der Operngeschichte. Sie stellt die Scene am Schluß des 2. Aktes in den Gefilden der Seligen dar, wo Eurydice ihrem Gatten wiedergegeben wird und dieser sie, nach Amor’s Gebot, mit abgewendetem Antlitz, unter den Gesängen der Seligen: „Amor giebt sie dir wieder!“ auf die Oberwelt zurückführt. Gluck hatte von seinem Dichter wirkliche dramatische Situationen und Verse erhalten und seinen Orpheus, den Kastraten Guadagni, dahingebracht, allen Schnörkeleien und Trillern zu entsagen und sich für die schlichten, aber seelenvollen und dramatisch wirksamen Gesänge der Hauptrolle zu begeistern. Der kühne Versuch war gelungen, die alte italienische Oper in ihrem eigenen Reich durch den feurigen deutschen Meister besiegt und die wirkliche Reform der Oper eine nicht mehr zu beseitigende Thatsache geworden.

Eine auffallende, sogar höchst merkwürdige Erscheinung, die uns beweist, daß die drei Reformatoren der Oper zum Theil mit ganz entgegengesetzten Mitteln ihr künstlerisches Ziel erstrebten und auch erreichten, tritt hier zu Tage.

Peri, der Schöpfer des ersten gesungenen Dramas, bewirkte seine folgewichtige Neuerung dadurch, daß er den mehrstimmigen Gesang zu Gunsten des Einzelgesangs gleichsam verbannte, wodurch auch für die Folge der Chor in der italienischen Oper entweder gar nicht oder nur in untergeordneter Weise thätig war. Gluck’s Reform bestand mit darin, daß er den Chor, der einundeinhalbes Jahrhundert vernachlässigt gewesen, wieder in die Oper einführte und ihm einen bedeutenden Antheil an der Handlung zuerkannte. Hundert Jahre später ist es der neueste Reformator der Oper, Richard Wagner, der in seinem Hauptwerk: „Der Ring des Nibelungen“ den Chor abermals von der Bühne verbannt und nur die Monodie gelten läßt. (Daß die „Götterdämmerung“ Chöre enthält, ist hier nicht maßgebend, da dieser letzte Theil der Tetralogie zuerst entstand. Vor mir liegt ein Brief Richard Wagner’s vom Jahre 1851, der darthut, daß schon damals „Siegfried’s Tod“ bühnenreif gewesen sein muß, indem der Meister die Aufführung dieses Werkes nicht eher gestatten will, bis er vorher ein heiteres Musikdrama „Der junge Siegfried“ fertiggestellt habe, was bis zum Juli 1852 geschehen sein sollte.)

Gluck’s Geburtshaus in Weidenwang.

Fünf Jahre dauerte es, bis Gluck sein zweites Hauptwerk: „Alceste“ zur Aufführung brachte (am 5. December 1767 und ebenfalls in Wien), in welchem er seine kühnen Neuerungen noch schärfer hervortreten ließ. Bekannt ist, daß er diese Oper in Form einer Zuschrift, die sein künstlerisches Glaubensbekenntniß bildete, dem Großherzog von Toscana widmete, und wiederum vergingen sieben Jahre, bis es ihm endlich vergönnt war, dasselbe durch die Aufführung seiner „Iphigenie in Aulis“, am 19. April 1774 in Paris, in möglichster Vollständigkeit verwirklicht zu sehen. Von diesem Zeitpunkt datirt die weittragende Wirkung der Opernreform des bereits sechzig Jahre alt gewordenen Meisters: einer Reform, deren Einfluß sich fortan kein Bühnenkomponist mehr entziehen konnte. – Am 15. November sind hundert Jahre verflossen, seit unser großer deutscher Tonmeister Gluck, der Reformator der Oper, in Wien aus dem Leben schied, doch – „in seinen Werken lebt er fort!“ Dies oft citirte Wort klingt schön, doch noch schöner wäre es, wenn die deutschen Opernbühnen es zur Wahrheit werden ließen.


[766]
Das erste Jahr im neuen Haushalt.
Eine Geschichte in Briefen. 0 Von R. Artaria.
XI.
Neustadt, den 9. April 188 . 

Das war die schwerste Woche meines Lebens, liebste Marie, eine Woche im Fegefeuer und in stäter Todesangst! Wenn es draußen klingelte, fuhr ich zusammen; so lange Hugo mich sah, suchte ich heiter zu scheinen; wenn er fort war, rang ich die Hände und dachte nach, was nun kommen werde. Jedes Wort, das ich gesagt hatte, brannte mir immer stärker ins Gewissen, wenn ich aber gar daran dachte, daß man für so Etwas verklagt werden kann, vor Gericht kommen – vielleicht säße auch noch Hugo unter den Richtern – es wurde mir fast ohnmächtig vom bloßen Gedanken und die Angst folterte mich unablässig. Ich hatte wohl Rike Ordre gegeben, keinen Besuch anzunehmen, wenn ich allein sei, ich fürchtete mich zu gräßlich! Allein auf die Länge konnte das ja nicht fortgehen – Fräulein Berghaus war schon zweimal umsonst dagewesen – sie würde am Ende Hugo auf der Straße abpassen und ihm Alles erzählen; also faßte ich den schweren Entschluß, es ihm lieber selbst zu sagen, Samstag Nachmittag, wenn er vom Spaziergang zurückkäme. Das Essen wollte ich ihm nicht verderben. Ich selbst brachte kaum einen Bissen hinunter.

Als es vier Uhr wurde und er nun jeden Augenblick kommen konnte, stellte ich mich ans Fenster und sah die lange Gasse hinauf, indem ich mir fortwährend die Anfangsworte vorsagte: Hugo, ich habe etwas Schreckliches gethan, verzeihe mir, aber ich bin so unglücklich. Das mußte ihn doch rühren und das Weitere würde dann nicht mehr so schwer sein.

Plötzlich sah ich ihn von fern um den Brunnen biegen, aber er war nicht allein; ein Herr ging mit ihm; ich sah blankes Metall, einen Säbel – es war der Major! Mein Herz stand einen Augenblick vor Schrecken still, dann aber faßte mich eine solche Todesangst, daß ich fühlte, ich könne nicht bleiben. Ich sah jetzt ganz deutlich des Majors schwarzen Schnurrbart und seine kurzen Beine, sie kamen immer näher – da rannte ich hinaus, riß Hut und Jacke vom Nagel und stürzte durch die Hinterthür und den Garten fort, wie gejagt, nur immer weiter, um dem schrecklichen Major zu entrinnen. Wenn er mich nicht fand, konnte er sich doch nicht gleich mit Hugo duelliren!

Als ich endlich in meinem Rennen still hielt, weil mir der Athem ausging, befand ich mich in der Brückenstraße unter den Fenstern der Oberstin Baer und sah ihr weißes Häubchen dahinter schimmern. Das war mir ein Hoffnungsstrahl – sie ist so gut und so klug! Ehe ich es noch recht überlegt hatte, stand ich schon oben, klopfte und eilte hinein:

„Ach, liebe Mama Baer, helfen Sie mir; ich bin in einer schrecklichen Lage!“

„Nun, nun,“ sagte sie und legte die Brille in ihr Buch zusammen, „das wird ja wohl so schlimm nicht sein. Setzen Sie sich einmal und erzählen Sie.“

Ja, da kam’s denn heraus, Eins nach dem Andern, ich sagte Alles und schonte mich nicht. Aber ich kann Dir sagen, Marie, es war mir nicht leicht, das zu thun, unter dem Blick ihrer klaren braunen Augen und in der stillen friedlichen, ja man kann sagen, edlen Umgebung der alten Frau. Ich kam mir plotzlich so gemein vor! Und ihr immer ernsthafter werdendes Gesicht deprimirte mich so, daß ich kaum zu Ende reden konnte.

Sie schüttelte den Kopf.

„Wieder eine von den häßlichen Geschichten, ohne welche die Frauen, wie es scheint, nicht mit einander leben können. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie es mich immer betrübt und beschämt, wenn so Etwas neu entbrannt ist. Und daß nun gar Sie es sind, die es gestiftet hat –“

„Schelten Sie mich nur tüchtig aus, liebe Mama Baer, ich habe es verdient.“

„Ja, liebes Kind, Sie haben Schelte verdient, nicht so sehr dafür, daß Sie die gewöhnliche Klugheit außer Augen ließen und Namen nannten, als dafür, daß Sie auf das Niveau der gewöhnlichen Klatschschwestern herabgestiegen sind. Sie, mit Ihrer guten Bildung, Ihren hübschen Talenten, wissen auch Sie denn nichts Besseres zu thun, als hinter der Kaffeekanne den Nebenmenschen die Ehre abzuschneiden?"

„Ich gehe ja so ungern zu solch einem Kaffee, gerade nur, wenn ich muß –“

Muß man jemals Etwas, was gegen die Ueberzeugung geht? Mir ist das in meinem langen Leben nicht vorgekommen. Ihr fechtet doch Alle gelegentlich für Eure Gleichberechtigung mit den Männern, Ihr jungen Frauen. Warum fühlt Ihr Euch denn nicht mit ihnen gleich verpflichtet? Wer giebt Euch das Recht, während sie arbeiten, Feierabend zu machen und die Zeit im eigentlichsten Sinn todt zu schlagen, statt sie gut und nützlich zu verwenden? Sehen Sie, mein liebes Kind, das ist es, worauf eine Frau wie diese im Uebrigen wenig preiswürdige Russin mit Recht herabsieht: die freiwillige Enthaltung so vieler deutschen Frauen von geistigen Interessen. Mögen sie pflichtgetreu und tüchtig, wie bisher, weiter arbeiten, Vormittags und meinetwegen auch Nachmittags, wenn die Geschäfte drängen. Giebt es aber eine freie Stunde, dann sollten sie sich erinnern, daß auch der Geist seine Nahrung will, und sollten sich die Kenntnisse zu erhalten suchen, die bei den Meisten so rettungslos verfliegen, während sie mit eiserner Ausdauer zwei- und dreimal die Woche an den Gesellschaften theilnehmen, aus welchen man höchstens um ein Kochrecept bereichert nach Hause geht, im Uebrigen aber weder klüger noch besser als vorher und in den meisten Fällen mit der Erinnerung, Etwas gesagt zu haben, was man besser bei sich behalten hätte.“

„Sie haben tausendmal Recht,“ sagte ich. „O wie bereue ich jenen Nachmittag jetzt!“

„Lassen Sie die Reue fruchtbar werden, meine liebe junge Frau,“ sagte sie freundlich, „dann werden Sie später den schlimmen Tag noch segnen. Sehen Sie, ich könnte es Ihnen jetzt leicht machen, könnte Sie zu trösten suchen, allein das will ich nicht. Ich möchte, daß Sie einen tiefen, unauslöschlichen Eindruck bewahrten, wie schmählich es ist, als erwachsener Mensch dastehen zu müssen wie ein kleines Kind und zu bekennen: ich hätte das nicht sagen sollen! Werden Sie strenge gegen sich und gewissenhaft in Ihren Aussagen über Andere! Man weiß ja alles Das nicht gewiß, was man so leichtsinnig nacherzählt, und wüßte man es gewiß, wäre es nicht besser, darüber zu schweigen? Erniedrigt man sich nicht selbst durch solche Schadenfreude? Und außerdem – wie uninteressant sind alle diese Klatschereien, wie klein gegen die großen Weltverhältnisse, gegen geschichtliche Thatsachen, Kunst und Poesie, die alle, alle einer Frau zu Gebote stehen, eben so wie den Männern, wenn sie sich nur darum kümmern will. Die Dinge sind ja so viel interessanter als die Personen! und warum sollen Frauen unter einander nicht von diesen Dingen reden –“

„Wenn aber die Andern sich nicht darum bekümmern?“

„So fragen Sie sie über ihren Haushalt, dabei ist immer noch Etwas zu lernen. Und wenn denn doch von Zeit zu Zeit Kaffeegesellschaft sein muß – würde dann nicht eine gemeinsame Thätigkeit für Arme, Kinder und Kranke ausgiebigen Unterhaltungsstoff genug bieten, daß man die Vergangenheit seiner Nebenmenschen ruhen lassen kann? So habe ich es mit meinen Bekannten gehalten, und wir sind uns von Herzen gut dabei geblieben.“

Ich fiel ihr um den Hals, der lieben alten Frau. „Verlieren Sie die Geduld nicht mit mir, ich will suchen, gut zu werden, wenn nur diese entsetzliche Geschichte vorüber ist. Was soll ich denn jetzt thun, rathen Sie mir, ich bitte Sie!“

„Sie können nichts Anderes thun, als direkt heimgehen und Alles auf sich nehmen, was Sie dort finden. Muth, Frauchen! Ein junger Ehemann ist doch kein so furchtbarer Richter. Und er muß sich ja dessen auch erinnern, was ich vorhin in meiner Strafpredigt absichtlich bei Seite ließ: daß das Gemeinste und Häßlichste an der ganzen Geschichte, das eigentliche Wiedersagen – einer Andern zur Last fällt.“

„Ach, liebste Mama Baer, gehen Sie mit mir heim, Sie wissen Alles so viel besser zu sagen, als ich!“

„Nein, mein Kind, in solchem Fall ist jeder Dritte zwischen Eheleuten zu viel. Höchstens Hugo’s Mutter könnte bei Eurer Aussprache sein."

„Wo denken Sie hin? Die würde mich ja in den tiefsten Abgrund verdammen!“

„Sie kennen Ihre Schwiegermutter noch nicht recht, liebe Emmy. Sie ist gut, wahr und gerecht; aber sie hat viel Unglück erlebt, und deßwegen würde ihr ein wenig warme Liebe, statt des kalten Respekts, wohlthun.“

Wir standen am Fenster, ich band gerade meinen Hut zurecht und wollte gehen. Auf einmal sah ich eine Gestalt die Straße herabkommen, die niemand Anderes sein konnte als Hugo. Er ging auf der andern Seite; nun streiften seine Augen das Fenster und augenblicklich kam er herüber und herauf. „O Gott,“ betete ich, „laß es gnädig abgehen!“ Da machte er schon die Thür auf.

„Hier findet man Dich, Emmy?“

„O Hugo, Hugo,“ schluchzte ich und fiel ihm um den Hals, „sei nicht böse, ich bitte Dich!“

Gleichzeitig sagte Mama Baer. „Herr Assessor, bedenken Sie, daß Ihre Frau jung und unerfahren ist. Und was Frau von Kolotschine betrifft –“

„Schon wieder Frau von Kolotschine,“ fuhr er ungeduldig auf. „Willst Du mir jetzt gleich genau sagen, Emmy, was es mit Dir und ihr gegeben hat?“

Ja, das wollte ich, der Muth war mir plötzlich erwacht, und ich erzählte Alles, aber natürlich von meinem Standpunkte aus.

„Eine schöne Geschichte,“ sagte er mit unheimlicher Ruhe, als ich fertig war. „Die Hälfte von dem, was Du gesagt hast, reicht vollständig zu einer Ehrenkränkungsklage. Und den Wahrheitsbeweis würdest Du, glaube ich, nicht antreten wollen?!“

„O Hugo,“ schluchzte ich, „rette mich, laß mich nicht vor Gericht kommen!“

„Tröste Dich!" sagte er. „Diesmal ist es noch gut ausgegangen, Frau von Kolotschine hat Neustadt schon vor drei Tagen verlassen, ‚plötzlicher Familienangelegenheiten wegen‘, wie es heißt.“

„Wer hat Dir das gesagt?“ rief ich athemlos.

„Ihr Schwager, der Major.“

„Und er hat Dich nicht gefordert? Er kam nicht von ihr gesendet?“

„Nicht im Mindesten, er schien überhaupt ganz ahnungslos und erzählte mir nur beiläufig von ihrer Abreise, deren wahren Grund ich nun zu verstehen glaube.“

O Gott! Mir fiel eine Bergeslast vom Herzen, ich konnte gar nicht anders, als Hugo umfassen und lachend mit ihm im Zimmer herumtanzen. Plötzlich hielt ich inne:

„Aber was wollte der Major denn überhaupt bei uns?“

„Um Dein Bowlenrecept bitten, die Bowle habe ihnen neulich so gut geschmeckt.“

[767] Mir fielen die Hände glatt herunter. Also darum so viel Aufregung und Todesangst! …. Ich konnte es gar nicht fassen und sah Hugo so verblüfft an, daß er laut auflachen mußte. Er zog mich an sich:

„Nun, kleiner Schatz, die Predigt will ich Dir ersparen; es scheint mir, Du hast heute schon genug ausgestanden …“

Wir verabschiedeten uns von der guten alten Frau, die sich herzlich über uns freute, und gingen heim. O Marie, und als wir nun zusammen saßen am Abend in unserem lieben heimlichen Stübchen und alles Schreckliche verschwunden, Alles wieder gerade so schön und glücklich war wie vor dieser fürchterlichen Woche, als mich Hugo in den Arm faßte und sagte, es sei unrecht gewesen, mich so einsam abzuquälen, ob ich denn kein Vertrauen zu ihm habe? – da kam es über mich wie eine Fluth von stürmischer Wonne; ich lehnte meinen Kopf an ihn und da – endlich, vertraute ich ihm das, was uns Beide zu glückseligen Menschen macht. O Marie, freue Dich mit mir, wie will ich jetzt gut sein und es verdienen, daß ich so namenlos glücklich bin! Emmy. 


Der Unfried.

Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer.
(Fortsetzung.)


11.

Längst waren die Schläge der Feuerglocke schon verstummt; doch immer noch eilten neue Gruppen von Leuten und Kindern nach dem Binderholze hinaus. Aber nur Schreck und Neugier trieb sie, nicht das Mitleid; denn von Jenen, welche bereits zum Dorfe zurückkehrten, konnten sie erfahren, daß es da draußen Nichts mehr zu helfen und zu retten gab.

Das Bygotterhäuschen lag in sich zusammengestürzt, ein glostender Trümmerhaufen, dessen strahlende Hitze kaum ein Nähertreten gestattete. Der dünne, immer wieder versiegende Wasserstrahl, den die verrostete Spritze zwischen die wirr durch einander glühenden Balkentrümmer schickte, verpuffte wirkungslos zu weißem Dampfe. Schreiend und kreischend eilten Männer, Weiber und Kinder, Eines das Andere hindernd, mit den ledernen Wasserkübeln hin und her. Als aber der Maurer-Hans meinte: „Ich mag nimmer, es is ja dengerst Alles umsonst,“ – da redete ihm Eines ums Andere diese Meinung nach, warf den Kübel bei Seite und schob die nassen Hände in die trockenen Taschen. Sie Alle hatten es überhaupt mit dem Reden nöthiger gehabt als mit dem Wassertragen und Löschen. In Schreck und Jammer hatte man hin und her gestritten, ob der Bygotter mit seinem Kinde verbrannt wäre oder ob er nicht etwa schon vor Ausbruch des Brandes mit Sanni das Haus verlassen hätte. Nur Wenige waren dieser letzteren Ansicht. Die Meisten glaubten, daß Vater und Tochter unter dem glühenden Gebälk verkohlt und begraben lägen. Und während diese das entsetzliche Schicksal des lieben Mädchens beklagten, sprachen sie mit Bezug auf den Alten von einem „Gericht Gottes“ – und sie äußerten diese Meinung besonders laut in der Nähe des Pfarrers, der im Kreise der Gemeinderäthe stand, finsteren Blickes auf die rauchenden Trümmer starrte und keine Silbe verlauten ließ.

Während so geredet, gestritten und gejammert wurde, hatte ein Einziger immer wieder die Schreier zum Zugreifen angetrieben und dabei selbst mit verzweifelter Hartnäckigkeit gegen das Feuer gekämpft, um wenigstens die Gluth jener Balken zu ersticken, die über Kammer und Stube niedergestürzt waren. Schließlich aber hatte auch er seine kühne Mühe als erfolglos aufgeben müssen. Die stäubenden Funken hatten faserige Löcher in seine durchnäßten Kleider gebrannt, sein Haar und Bart war angesengt, und sein Gesicht und seine Hände waren schwarz von Ruß und Rauch. Alle Glieder zitterten an ihm, während er sich dem Brunnen näherte, um sich zu waschen. Es war der Götz. Schwerathmend richtete er sich auf, schleuderte das Wasser von den Händen und fuhr sich durch die Haare. Ihm fehlte sein Hut. Wo aber hätte er den wohl suchen und finden mögen? Seufzend schüttelte er den Kopf, drängte sich durch die schreienden Leute, nickte dem Lehrer und seiner Frau, welche mit blassen Gesichtern Seite an Seite standen einen wortlosen Gruß zu und verließ das Gehöft.

Als er eine halbe Stunde später den Pointnerhof erreichte, hörte er aus der Stube die zornig keifende Stimme des Bauern, welcher in kurzen Zwischenräumen von der jungen Bäuerin mit erregten Worten unterbrochen wurde.

Ein bitteres Lächeln irrte über seine Lippen. „A guter Anfang – das muß ich sagen!“

Zögernd betrat er die Stube; da humpelte der Pointner gerade in die Kammer hinaus, und während er hinter sich die Thür zuwetterte, rief ihm Kuni mit bebender Stimme nach:

„Mußt ihn halt an anders Mal an Dein’ Bettfuß anbinden! Oder hätt’ ich ’leicht in aller Fruh schon vor seiner Thür stehen sollen und aufpassen, wo er hinrennt?“

„Wann der Bauer wissen möcht’, wo der Karli is,“ ließ sich Götz von der Schwelle her vernehmen, „am Sonnberg is er droben bei der Holzarbeit.“

„So? Und wer hat’s ihm denn ang’schafft?“ fuhr Kuni zornig auf.

„Ich, Kuni – oder – ah ja – von heut’ an muß ich ja Bäuerin sagen – ich werd’ mich schwer d’ran g’wöhnen. Ich also, Bäuerin – ich hab’s ihm g’rathen – und daß er über die ersten Tag’ leichter wegkommt, hab’ ich g’meint.“

Auf Kuni’s Lippen schien ein heftiges Wort zu liegen; aber es wurde nicht laut; denn als sie das Aussehen des Knechtes gewahrte, stammelte sie erschrocken:

„Ja lieber Herrgott – Götz, wie hast denn Du Dich zurichten lassen! Es wird Dir ja doch am End’ nix g’schehen sein?“ Sie wollte ihm entgegen eilen, doch hielt sie inmitten der Stube wieder inne.

Es mochte sie die abweisende Handbewegung verdrossen haben, mit welcher Götz erwiederte:

„Was soll mir denn g’schehen sein! A paar Löcher hat’s mir halt in d’ Joppen brennt – aber viel weiter als bis auf d’ Haut ’nein, mein’ ich, is ’s net ’gangen!“

„Aber – draußen nachher – wie steht’s denn draußen?“

„Da is Alles hin – Alles! Und wann der Bygotter net selber an’zündt hat und is mit sei’m Deandl auf und davon, vor ’s Feuer zum Dach ’naus g’schlagen hat – so mein’ ich, er halt’ den Bauern so bald kein’ Predigt nimmer – und – und ’s Deandl, das arme, wird auch lang ausg’schnauft haben. Gelt – ja – da kann Ein’ d’ Sprach’ verlassen. Aber weißt denn auch, wer d’ Sanni g’wesen is?“

Die Stimme zu zitterndem Flüstern dämpfend, war er Schritt um Schritt auf Kuni zugetreten. Den Hals gestreckt, mit zuckenden Lippen und Wimpern, als wären ihm die Thränen nahe, schaute er ihr in die Augen. Kuni erwiederte diesen Blick, den Oberkörper wie in Scheu und Furcht ein wenig zurückgeneigt, den Kopf zwischen die aufgezogenen Schultern geduckt, mit einem blassen, von scharfen Zügen durchschnittenen Gesichte, das während eines Tages und einer Nacht um Jahre gealtert schien.

Wäre Karli jetzt vor diesen Beiden gestanden, so hätte er bei der Erinnerung an jenen seltsamen Schatten wohl kaum mehr die Klugheit seines Schutzengels in Rechnung ziehen mögen; er hätte die Erklärung in der erschreckenden Aehnlichkeit gefunden, welche nun so jählings in den Gesichtern dieser Beiden zu Tage trat.

Und während sie vor einander standen, wiederholte Götz mit zitterndem Flüstern:

„Weißt auch, wer d’ Sanni g’wesen is? – Dem Karli sein Schatz!“

Sie hatte es gewußt – wenigstens hatte sie es geahnt, seit jenem ersten Tage schon, an welchem sie den Pointnerhof betreten. War es doch diese Ahnung gewesen, die ihren Uebermuth gereizt hatte. Und der Kampf mit jenem kleinen, blassen, schwächlichen Ding, das sie auf der Straße draußen hatte vorübergehen sehen, war ihr als ein gar leichter erschienen, als einer, den man spielend gewann. Und wie war sie unterlegen! Wie übel war ihr das gefährliche Spiel gerathen!

Daran aber dachte sie in diesem Augenblick mit keinem Gedanken. Nur Mitgefühl und tiefe Erschütterung sprachen aus ihren Zügen, während sie die Hände in einander schlug, während Thränen ihre großen Augen füllten und ihre blassen Lippen sich wortlos bewegten.

[768] „Und – ob jetzt ’s Unglück g’wiß oder ung’wiß – es wär’ mir leid, wann’s der Karli von weiß Gott wem so g’radweg hören müßt’. Drum wirst wohl nix dagegen haben, Bäuerin, wann ich ’naufspring’ zu der Holzerhütten?“

„Ja, Götz – ja – schau nur gleich, daß ’naufkommst – und sag’s ihm fein net z’ gach ins G’sicht!“

Mit verwunderten Augen schaute Götz die Bäuerin an, und ein weicher, freundlicher Ausdruck erschien in seinen Zügen.

„Hätt’s net ’denkt, daß Dich Dei’m Bauern sein Bua so jammern könnt’!“ Er hob die Hand, wie um sie auf Kuni’s Schulter zu legen, und sagte in einem Tone, als hätte er vergessen, daß er, der Knecht, vor seiner Bäuerin stehe: „Dich lernt sobald auch Keiner aus! Und schau – oft schon hab’ ich mir’s g’sagt – dengerst is ’s schad’ um Dich! Aus Dir hätt’ amal was werden können!“

„So – geh’, geh’!“ lachte Kuni bitter auf, während ein finsterer Schatten über ihre Züge huschte. „Und was nachher meinst denn, das werden hätt’ können aus mir?“

„Was anders, als aus Dir ’worden is!“ erwiederte Götz mit trockener Härte, zog die Schultern auf, nickte und verließ die Stube.

Als er den Flur betrat, hörte er über den gepflasterten Vorplatz langsame Schritte näherkommen. Dieser Schritt war ihm unbekannt. Kopfschüttelnd trat er unter die Hausthür und sah vor sich einen Fremden stehen, in schwarz und grün gewürfeltem Anzug, den zerknüllten grauen Filzhut schief über den schwarzen, ölig glänzenden Haaren. Götz hatte diesen Menschen niemals noch gesehen, und dennoch meinte er zu wissen, wer vor ihm stehe – der bewußte „Bruder“. Mit scharfen Blicken maß er den Fremden von den Füßen bis zum Kopfe, und das Resultat dieser Musterung schien kein sonderlich beruhigendes für ihn zu sein. Tiefer und tiefer furchten sich seine Brauen, während sich seine Blicke in das blasse, spöttische Gesicht und in die grauen, halb zugekniffenen Augen des Fremden bohrten.

Der stand, mit der Hüfte auf den Stock gelehnt, und ließ sich diesen nicht gerade schmeichelhaften Empfang eine Weile gefallen. Dann plötzlich kreuzte er den Rock über die Schenkel, blies gleich einem Raucher seitwärts durch die geschlossenen Lippen, und aus seinen grauen Augen blitzte ein tückischer Blick, während er mit gedehnten Worten frug: „Is die Bäuerin daheim?“

„Mir scheint!“

„No also – siehst net, daß ich ’nein will – Lackl! Geh’ halt auf d’ Seiten!“

„Die Lackeln sind bei uns net daheim – wir kriegen s’ allweil von draußen ’rein,“ erwiederte Götz mit trockenen Worten und stieg von der Schwelle, um die Thür freizugeben.

Trägen Schrittes ging der Fremde an ihm vorüber. Noch einmal kreuzten sich ihre Augen; es war das ein Blick, in welchem es die Beiden offen gestanden, daß sie sich haßten.

Götz schaute dem Andern nach, bis er ihn in der Stube verschwinden sah. Dann warf er mit einem kurzen, zornigen Lachen die Schultern auf und ging, um seine durchnäßten und verdorbenen Kleider gegen andere umzutauschen.

Als er einige Minuten später das Gesindehaus verließ, um den Weg zur Holzerhütte auf dem Sonnberg einzuschlagen, hörte er von einem der Fenster her die jammernde Stimme des Pointner’s. Er sah auch gleich, mit wem der Bauer sprach – draußen vor dem Zaune stand der Lehrer mit seiner Frau.

Götz näherte sich den Beiden. Doch hatte er den Zaun noch nicht erreicht, als er die lange Straße einher ein wirres Lärmen und Schreien tönen hörte. Erschrocken sprang er dem Gatter zu. Hier sah er, wie aus der Höhe des Dorfes sich ein dichter Menschenknäuel, der sich vor jedem Hause durch neuen Zulauf vergrößerte, dem Pointnerhof entgegenwälzte.

„Ja was is denn – was hat’s denn jetzt da schon wieder ’geben?“ greinte der Pointner, der mit müdem Gesicht und schweren Augen im offenen Fenster lag.

Der Lehrer zuckte die Achseln und schaute kopfschüttelnd dem lärmenden Trupp entgegen.

Götz aber schrie mit heiserer Stimme:

„Bauer – Bauer – da muß ’was g’schehen sein! Dein Karli is voran – und tragen thut er ’was – auf seine Arm’!“

„Ja lieber Herrgott – es wird doch ihm nix –“ Die Stimme des Pointner’s erlosch, und sein Kopf verschwand. Doch schon nach wenigen Sekunden erschien der Alte mit verstörtem Gesicht in der Hausthür, und unter stotternden Worten humpelte er der Thür zu. „Jesus Maria – ja Bua – ja Bua – ja was is denn?“ kreischte er und starrte, die Hände ringend, auf Karli, der seinem Vater entgegenwankte, von einer schreienden, wild erregten Schar umdrängt, bleich bis in die Lippen, naß von Schweiß, zu Tod erschöpft, eine seltsame Last auf den zitternden Armen. Der Pointner erkannte an dieser Last die braune Kreisterkotze, die er im Frühjahr erst für seine Holzerhütte gekauft hatte; sie war zu einem schweren Pack gerollt, mit Riemen verschnürt – und aus dem unteren Ende sah er zwei nackte, zarte Füße schwanken, während auf Karli’s rechtem Arme mit geschlossenen Augen ein blasses Mädchenhaupt gebettet lag, von welchem das gelöste schwarze Haar in langen, feuchten Strähnen niederfloß.

„Vater – da – da schau her!“ stammelte der Bursche, dessen heiße Augen keine Thränen mehr hatten. „Da schau – d’ Sanni – dem Bygotter sein’ Sanni –“

Weiter brachte er kein Wort hervor, die Erschöpfung lähmte ihm die Zunge. Keuchend drängte er sich dem Hofe zu. Während sich ihm die ganze Schar der Schreier und Gaffer nachschob, erfuhr der Pointner von den drei Holzknechten, was droben auf der Sonnbergplatte vorgefallen wäre. Noch hatten sie ihren wirren Bericht nicht zu Ende gebracht, als Karli mit wankenden Knieen innehielt. Angstvollen Blickes starrte er um sich und keuchte:

„An Doktor – g’rad betteln thu’ ich – schaut’s um an Doktor! ’s Deandl kennt mich schon nimmer – aus ei’m Fieber fallt’s ins andere.“

Ein paar Burschen lösten sich aus dem schreienden Kreise, aber ihnen voraus hatte Götz schon die Straße erreicht und rannte hastigen Laufes davon.

Auf Karli’s Arm aber legte sich eine zitternde Hand, und als der Bursche das verstörte, schweißberonnene Gesicht erhob, schaute er in die blassen erregten Züge der jungen Pointnerin.

„Mach’ weiter, Karli, und ’nein ins Haus! Da is kein’ Zeit net zum verlieren! Und in mein’ Kammer ’nauf! Mach’ weiter, geh’!“ so hörte er sie mit fliegenden Worten sagen, und willenlos folgte er, während sie ihn am Arme nach der Thür zog. Den Beiden schloß sich die Frau des Lehrers an, und so erreichten sie den Flur und stiegen die Treppe hinauf. Droben in dem Stübchen, welches Kuni bis zum verwichenen Tage bewohnt hatte, hoben die zwei Frauen das bewußtlose, im Fieber lallende Mädchen von Karli’s Armen auf das Bett, und während Kuni schon die Riemen löste, mit denen die wollene Decke um Sanni’s Körper geschnürt war, schob die Lehrerin den Burschen über die Schwelle und schloß hinter ihm die Thür.

Draußen taumelte Karli in die Arme des Vaters. Der zog ihn unter Stottern und Jammern mit fort und stützte ihn beim Niedersteigen über die Treppe gleich einem Kranken. In der Stube drückte er ihn auf den Lehnstuhl nieder, rannte nach frischem Wasser, und während er ihm aus einem Glase zu trinken gab, strich er ihm die klebrigen Haare aus der nassen, bleichen Stirn.

Inzwischen stand der Lehrer draußen unter der Hausthür und vertheidigte dieselbe gegen die Schreier und Dränger, die am liebsten den Pointnerhof gestürmt hätten – weßhalb, das wußten sie selbst nicht recht. Dabei hatten sie auch von dem Vorgange auf dem Sonnberg droben nur unklare Begriffe, und eigentlich wußten und verstanden sie nur das Eine, daß der Bygotter sein Kind hätte tödten und verbrennen wollen. Da kamen sie nun gleich überein, daß Einer, vor dem das Leben seines eigenen Kindes nicht sicher wäre, eine Gefahr für das ganze Dorf bedeute. Die Frage aber, wie dieser Gefahr zu begegnen wäre, theilte die Schreier sofort in zwei Parteien. Die älteren Männer und die Weiber wollten vor Allem die Meinung und den Rath des Pfarrers hören; die Burschen aber hielten hartnäckig an der Ueberzeugung, daß hier das einzig Richtige eine rasche Selbsthilfe wäre. Was mit dem Bygotter zu geschehen hätte, das sei die zweite Frage; vorerst komme es darauf an, daß man den „g’spaßigen Heiligen“ hinter Schloß und Riegel bringe. Da die beiden Parteien sich nicht einigen konnten, setzte jede einzelne für sich ihren Willen durch. Ein Häuflein machte sich nach dem Pfarrhofe auf, die Burschen aber zogen in lärmender Schar zum Binderholze, um von dort aus über die Gehänge des Sonnberges eine Streife nach dem Bygotter zu unternehmen. Doch wurde deßhalb der Hof vor dem Pointnerhause nicht leer. Es verblieben neben

[769]

Treibjagd im Walde.
Originalzeichnung von Chr. Kröner.

[770] der lieben Jugend all die männlichen und weiblichen Diplomaten, welche nicht so und nicht so sagen wollten, damit es schließlich nicht hieße, sie hätten so oder so gesagt, und welche bei nichts dabei sein wollten, als höchstens beim Schreien und Maulaufreißen.

Und während nun diese Verbliebenen mit kreischenden Stimmen ihre diplomatischen Meinungen tauschten, erzählte Karli in der Stube drinnen mit müden tonlosen Worten dem Vater die Geschichte dieses Morgens, soweit er sie selbst erlebt und begriffen, und er fügte aus früheren Tagen bei, was nöthig war, damit der Pointner den Inhalt dieser vergangenen Stunden verstehen konnte. In Starren und Staunen hörte der Alte zu, und immer wieder schlug er unter Anrufung Gottes und aller Heiligen die Hände über dem Kopfe zusammen. Als Karli mit versagender Stimme von den Empfindungen sprach, die ihn beim Anblick des armen, gequälten Mädchens überkommen hätten, und wie ihm vor Angst und Leid schier das Herz zersprungen wäre, da brach dem Pointner die Rührung in dicken Zähren aus den Augen. Mit beiden Händen faßte er den Burschen am Kopfe und schluchzte ihn an: „Sag’s ’raus, Karli, – sag’s ’raus – brauchst Dich net scheuen vor Dei’m Vater! Sag’s ’raus, daß d’ Sanni gern hast!“

Schwerathmend nickte der Bursche vor sich hin.

„Und wie lang’ denn schon – wie lang’ denn, Karli? Sag’s!“

„Mein – seit ich halt denk’! Und – und g’wiß weiß ich’s, seit ich ’s erstmal in Urlaub heimkommen bin.“

Da mischte sich ein zorniger Ton in die Stimme des Pointner’s. „Jesses na – und warum hast denn net g’redt – net lang schon g’redt! Tausendmal für einmal hätt’ ich Dir mein Jawort g’sagt – und übergeben hätt’ ich Dir – ja – und heirathen hättst können – ja – und Alles wär’ anders jetzt – Alles – Alles –“

Jählings verstummte der Alte; es war ihm gewesen, als hätte er in der Stube irgend ein Geräusch vernommen; hastig richtete er sich auf, schaute mit ängstlichen Augen umher und fuhr erschrocken zusammen, als seine Blicke auf das Ledersofa im Ofenwinkel fielen. Dort in der hintersten Ecke saß Kuni’s Bruder regungslos ausgestreckt, mit zwinkerndem Lächeln, einen erloschenen Cigarrenstummel zwischen den gelben Zähnen.

Der Pointner kraute sich die Haare und stotterte: „Jetzt – g’wiß wahr – jetzt hab’ ich ganz vergessen –“

„Macht nix! Nur net scheniren wegen meiner,“ lächelte der Gast. „Ich mach’s g’rad so, ich schenir’ mich auch net.“

Mit betroffenem Gesichte war Karli aufgesprungen. Er war am verwichenen Nachmittag von seinem heimlichen Gange gerade noch rechtzeitig zurückgekommen, um sich dem Zuge anschließen zu können, in welchem dem Pointner und seiner jungen Bäuerin „heimgeblasen“ wurde; so wußte er noch nichts von dem Besuche, der sich da ins Haus gebeten; doch erkannte er auf den ersten Blick jenen spöttischen Fragesteller aus dem Binderholze.

Der kam ihm mit ausgestreckter Hand entgegen und lächelte: „Jetzt weiß ich net – wir zwei, mein’ ich, wir müßten uns schon amal wo g’sehen haben?“

Karli schwieg, rührte keinen Finger und schaute nur mit verdutzten Augen den Vater an.

„Ja, da schau, Bua – der Herr da – der hat uns halt jetzt amal b’sucht – weißt – a Bruder is er von meiner … von – von der Kuni – ja!“ stotterte der Pointner. „Gregor heißt er, und a Metzger is er – und jetzt hat er sein’ Schwester b’sucht – und da wird er halt jetzt a paar Tag bei uns da bleiben –“

„No – wer weiß – wann’s mir g’fallt, bleib’ ich länger auch,“ meinte Gregor.

„No ja – natürlich – so lang’s der Schwager halt aushalt’,“ verbesserte sich der Pointner mit verzagter Stimme, „das is ja g’wiß – und natürlich – ja –“

Da gingen ihm die Worte aus, und weder Karli, noch der Schwager wollte ihm weiter helfen. Ein unbehagliches Schweigen folgte, welches schließlich von Karli gebrochen wurde, der nach kurzem Aufhorchen in zitternder Erregung der Thür zueilte. „Der Götz! Der Götz kommt mit’m Doktor!“

Aufathmend humpelte der Pointner seinem Buben nach, welcher draußen im Flur schon mit überstürzten Worten auf den bejahrten, ruhig horchenden Doktor einsprach. Der nickte bedächtig mit dem Kopfe und schob die Brille höher. Gemächlichen Schrittes stieg er die Treppe hinauf. Karli und der Pointner folgten, doch durften sie die Krankenstube nicht betreten. Nur die Frau des Lehrers verblieb bei dem Doktor. Kuni kam in den Flur heraus. Wie auf geheime Verabredung traten diese Drei in Karli’s Kammer; hier setzte sich der Pointner seufzend auf das Bett, und während sich Karli bleich, wortlos und zitternd an die weiße Kalkwand lehnte, trat Kuni, die Arme hinter dem Rücken verschränkend, vor das kleine Fenster und schaute mit starren, finsteren Blicken durch die trüben Scheiben.

Eine bange Viertelstunde verging. Dann hörte man nebenan die Thür gehen, hörte eine schluchzende Stimme und die knarrenden Stiefel des Doktors.

Nun erschien der alte Herr über der Schwelle. Sein Votum lautete: „Ein schweres Nervenfieber im Anzug – und das Schlimmste zu befürchten.“

Dem Pointner kam ein Zittern in die Kniee; Karli aber griff mit den Händen in die Luft, und er wäre zu Boden gestürzt, hätte ihn Kuni nicht mit raschen Armen aufgefangen. –


(Fortsetzung folgt.)




Broterwerb durch die Massage.

Eine Warnung für Viele.

Seitdem die Massage auch in Deutschland immer mehr von den Aerzten angewandt wurde und überraschende Erfolge bei vielfachen Leiden erzielt hat, faßten viele Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen den Entschluß, diese Kunst zu erlernen, und manche, deren Existenz im Leben nicht genügend gefestigt war, glaubten, durch die Ausübung der Massage ihren Lebensunterhalt erwerben zu können. An unsere Redaktion ergingen in letzter Zeit zahlreiche Anfragen, wo man die Massage lernen könne, und wir haben darum Herrn Dr. Zabludowski in Berlin, eine Autorität auf diesem Gebiete, um sachkundige Auskunft gebeten. Wir erhielten hierauf die nachfolgenden dankenswerthen Mittheilungen, welche wir im gemeinnützigen Interesse veröffentlichen. Der Brief lautet:

„Hochgeehrter Herr Redakteur!

Auf Ihre gefällige Anfrage vom 17. d. Mts., betreffend die Angabe, wo eine Frau das Massiren erlernen könnte, um sich später durch Ausübung von Massage ihr tägliches Brot zu erwerben, beehre ich mich, Nachstehendes zu erwiedern:

In öffentlichen Blättern, in Berlin z. B. auch in Fachzeitungen, werden im Inseratentheil regelmäßig Annoncen über Massage-Lehrkurse veröffentlicht, welche für Laien beiderlei Geschlechts gehalten werden. Solche Lehrkurse dauern gewöhnlich 3½ Wochen. Sie bestehen hauptsächlich darin, daß einerseits die wenigen Hauptmanipulationen der Massage: Kneten, Streichen und Klopfen, andererseits einige heilgymnastische Bewegungen, wie sie in dem Schreber’schen[WS 1] Buche über Zimmergymnastik zum Selbststudium angegeben sind, an einer gesunden Person gezeigt werden. Das Lehrhonorar beträgt gewöhnlich 100 Mark.

Anstalten, wo Laien zum Zwecke des Unterrichts die Möglichkeit gegeben wird, die Behandlung Kranker durch Massage zu beobachten und systematisch zu erlernen, giebt es nicht und darf es auch aus folgenden Gründen nicht geben:

Die Ausübung der Massage durch Laien ist durchaus nicht geeignet, das Ansehen der massirenden Personen an ihrem Wirkungsorte zu heben. Vereinzelte Ausnahmen können dabei nicht in Betracht kommen; denn nur vermöge der durch jahrelanges ärztliches Studium erworbenen Kenntnisse kann man in jedem gegebenen Falle die nöthigen Angriffspunkte bei der Massage wie auch die dabei anzuwendenden Kraft richtig bemessen. Die tägliche Erfahrung lehrt jetzt, daß durch die Massage von Laien gerade in den dankbarsten Fällen, zu welchen besonders die chirurgischen und diejenigen der Nervenleiden gehören, öfter Schaden als Nutzen für die Patienten entsteht. Eine zu starke Bewegung im entzündeten Gelenk läßt eine akute Entzündung zu einer chronischen werden, während hingegen eine zu schwache Massage da ganz resultatlos bleibt, wo ein energisches Eingreifen am Platze wäre. Das Massiren unter sogenannter ärztlicher Leitung schafft absolut keine Abhilfe für die angeführten Mängel der Massage durch Laien; denn es wird dem Arzte immer unmöglich bleiben, die von einer mit der Heilkunde nicht vertrauten Person ausgeübten Massagemanipulationen an einem kranken Organe jeden Augenblick gehörig zu beherrschen.

Anders verhält es sich mit der allgemeinen Massage (Massage des ganzen Körpers), welche, wie etwa auch ein gewöhnliches Bad, lediglich hygienischen Zwecken dienen kann. Diese wird in Rußland und in der Türkei z. B., wo Bäder von Jedermann in regelmäßigen Zwischenräumen von einer Woche genommen werden, fast an jedem Badenden von den Badedienern ausgeübt, was jetzt auch in Deutschland in den meisten Bade-Orten geschieht. Zur Erlernung dieser allgemeinen Massage, deren Manipulationen dieselben sind wie diejenigen bei den Einreibungen gegen Muskelschmerzen (Rheumatismus), bedarf man aber überhaupt keiner Lehrkurse, und die dafür vorhandenen Kurse dienen natürlich nur dem materiellen Nutzen der sich Massagelehrer nennenden Personen. [771] Es genügt vollkommen, nur einmal gesehen zu haben, wie die Ausübung der allgemeinen Massage geschieht. Gelegenheit aber zum Sehen hat doch Jeder, da man sich hierzu nur einmal von einem Masseur oder einer Masseuse in einem römischen Bade etc. massiren zu lassen braucht.

Gewöhnlich wollen Personen, die irgendwie ihren Beruf verfehlt zu haben glauben, durch die Erlernung der Massage einen leichten und einträglichen Erwerbszweig erringen; sie hoffen dabei, auf bequeme Art zum Prakticiren, eigentlich Kurpfuschen, zu gelangen. Kommen Einem doch hin und wieder Zeitungsnotizen zu Gesicht über Personen niederen Standes, welche durch die Ausübung der Massage bei hochgestellten Persönlichkeiten Eingang fanden. Durch solche Nachrichten verleitet, geben nun Viele für die Erlernung der Massage ihre letzten mühsam erworbenen Ersparnisse aus und warten dann auf Praxis. Auf diese Art haben wir in Berlin schon einige hundert Masseure und Masseusen. Hierbei ist noch zu bemerken, daß in den letzten Jahren in dem Maße, wie die Zahl der ihre Dienste anbietenden Masseure und Masseusen zunimmt, die Zahl der Kranken, welche die Dienste Jener beanspruchen, sich vermindert; denn die Massage als Heilmittel für Kranke wird immer mehr und mehr in ihrem wahren Werthe und ihrer richtigen Beschaffenheit von Aerzten erkannt, wodurch dann selbstverständlich ihre Ausübung durch Nichtärzte mehr und mehr als unstatthaft verworfen wird.

Es würde mich freuen, Herr Redakteur, wenn diese meine Zeilen vielleicht dazu dienen würden, irgend Jemand vor Enttäuschungen zu bewahren. Nur zu oft kommen zu mir ‚ausgelernte Masseusen‘, Arbeit suchend, welche nach zwei bis drei Jahren noch nicht den für das Lehrgeld ausgegebenen Betrag durch Ausübung der Massage wieder erworben haben.
Dr. Zabludowski.“


Blätter und Blüthen.

Richard Böhm. Nach dem Tode dieses tüchtigen Afrikareisenden sind seine Briefe aus Ostafrika unter dem Titel „Von Sansibar zum Tanganyika“ von Hermann Schalow (Leipzig, F. A. Brockhaus) herausgegeben worden, der diesen Briefen eine dankenswerthe biographische Skizze vorausgeschickt.

Richard Böhm war am 1. Oktober 1854 in Berlin geboren, ein Sohn des bekannten Arztes, Geheimen Medicinalrathes Böhm, dessen plötzlicher, durch eine Blutvergiftung herbeigeführter Tod in Berlin die weitestgehende Theilnahme wachgerufen. Im Jahre 1874 verließ Richard Böhm mit dem Zeugniß der Reife nach einem glänzenden Examen das Wilhelmsgymnasium. Schon von der frühesten Jugend an hatte er sich zur Thierwelt hingezogen gefühlt, namentlich zu den höher organisirten Thieren, die er in ihrem ganzen Leben und Treiben beobachtete: er liebte es, in Wald, Feld und Bruch in den märkischen Heiden umherzuschweifen, und war glücklich, wenn er irgend eine neue Entdeckung in Bezug auf das Leben der Thierwelt machen konnte. Auch war er leidenschaftlicher Jäger und konnte dieser Passion auf den ausgedehnten Gütern seines Onkels, des Grafen Plessen auf Ivenack, welche viele wildreiche Gefilde enthielten, in vollem Maße fröhnen.

Zuerst studirte er an der Akademie zu Lausanne, dann in Jena, wo er ein begeisterter Jünger Häckel’s wurde, dessen Lehren er mit einer Fülle von Scharfsinn gegen die Gegner des Darwinismus zu vertheidigen suchte.

Während seiner Studienzeit arbeitete Böhm sehr fleißig; an dem studentischen Leben und Treiben fand er keinen Gefallen. In Berlin setzte er seine Studien fort, besonders auf dem Gebiete der Zoologie und vergleichenden Anatomie. Im Jahre 1877 promovirte er in Jena und beschäftigte sich auf Häckel’s Anregung vorzugsweise mit den Medusen, jenen niedern gallertartigen Meerthieren, wozu er auch in Helgoland Studien machte. In Berlin bereitete er sich für die afrikanischen Reisen vor, die er schon früher geplant hatte, indem er die Erforschung der afrikanischen Thierwelt zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Seine Erholung bestand in Zeichnung und Aquarellmalerei, wofür er eine hervorragende Befähigung besaß; noch sind Mappen und Bände voll unzähliger Skizzen und Entwürfe von ihm vorhanden. Ein Vortrag, den er 1880 im Stettiner ornithologischen Verein hielt, enthält köstliche Schilderungen der Eigenthümlichkeit der so oft mit Unrecht geschmähten Mark Brandenburg.

Anfangs beabsichtigte Böhm, mit dem Major von Mechow nach Westafrika zu gehen; später aber entschloß er sich, einem Rufe der Deutschen afrikanischen Gesellschaft zu folgen und sich zur Gründung von Stationen nach Ostafrika zu begeben. Er lernte vor der Abreise noch mit großem Eifer Arabisch und die Suahelisprache. Seine Lehrerin in der letzteren war Frau Ruete, die bekannte Prinzessin Salima von Sansibar, die damals in Berlin lebte.

Im April 1880 verließ Böhm mit seinen Begleitern Berlin, um eine Reise anzutreten, auf der ihn größere Unglücksfälle heimsuchten, als sie die meisten Afrikareisenden erlebten. In Sansibar angekommen, traf er die nöthigen Vorbereitungen für den Marsch in das Innere. Während die Karavanen organisirt wurden, machte Böhm Ausflüge, um die Insel Sansibar sowie einige Theile des gegenüberliegenden Küstenstrichs kennen zu lernen: er entwarf von diesem Gebiet die reizendsten Schilderungen. Am 27. Juli erfolgte der Aufbruch von Bagamojo zur Abreise in das Innere. Nach einer anstrengenden Wanderung von zwei und einem halben Monat traf man in Tabora ein; das weiter nach dem Tanganyikasee hin gelegene Kakama wurde dann zur Station gewählt und diente ein Jahr hindurch den Reisenden als Aufenthaltsort. Von hier aus besuchte Böhm vorzugsweise den Ugellafluß zur Erforschung des dortigen Thierlebens. Sein Begleiter, der Ingenieur Reichard, hatte ihm eine Jagdhütte, Weidmannsheil, errichtet und ein Kanoe gezimmert. Hier bearbeitete Böhm seine Sammlungen und schrieb seine Briefe, hier war seine eigentliche Station. Einer Einladung der Sultanin von Ugunda, Discha, folgend, siedelten die Genossen nach des Landes Hauptort, Igonda, über. Böhm unternahm, während Reichard die Uebersiedelung leitete, eine Reise nach dem Tanganyikasee und erreichte Karema, wo sich die belgischen Reisenden niedergelassen, auf einem bisher noch ganz unbekannten Wege. Böhm hatte ein heftiges Fieber durchzumachen; die Rückreise ging über unebene Wege, oft durch strudelndes, bis zum Gürtel reichendes Wasser.

In Igonda entwarfen die Reisenden Pläne für den weiteren Vormarsch ins Innere; Böhm widmete sich inzwischen den gewohnten Studien in Weidmannsheil. Da brach plötzlich ein furchtbares Unglück über ihn herein: von einigen seiner Leute war das Gras in der Nähe des Lagers angezündet worden. Die Flamme griff plötzlich um sich, die Hütten fingen an zu brennen und in kurzer Zeit war Weidmannsheil ein schwarzer, rauchender Schutthaufen. Böhm hatte Alles verloren, was er besaß, mit Ausnahme des Wenigen, was er gerade auf dem Leibe hatte. Verbrannt waren nicht nur seine gesammte Ausrüstung, nicht nur alles Material zum Sammeln, Präpariren und Konserviren, sondern auch alle seine schriftlichen Aufzeichnungen, seine in Europa gemachten faunistischen Zusammenstellungen, seine Excerpte, Notizen, Abbildungen, alle seine Tagebücher, seine zoologischen Journale und Sammlungen, botanischen Notizen, über 90 Blatt große Aquarelle und die vor Kurzem zu Ende geführten Arbeiten. Eben so waren der Expedition die ganze Munition für die Gewehre, das Archiv, die Kopirbücher durch den Brand geraubt worden.

Es bedurfte längerer Zeit, ehe die Expedition den Weg ins Innere antrat. Denn wiederum war Böhm verhindert, den Tanganyikasee zu überschreiten, da er bei der Erstürmung des Wawendeortes Katakwa eine schwere Wunde erhalten. Am Lufuko, im Lande der wilden Warungu, vereinigte er sich dann jenseit des Sees mit dem vorausgegangenen Reichard. Seitdem fehlten lange Zeit alle Nachrichten. Erst im Mai 1885 kam ein Brief von Reichard an, der berichtet, daß Böhm am 27. März 1884 am Fieber nach zehntägigem schweren Krankenlager, während der Belagerung von Katapaena, drei Tagereisen südlich von dem Upämbesee, den die Reisenden zuerst entdeckt, gestorben sei.

Böhm hatte ein Alter von noch nicht 30 Jahren erreicht; wie Wenige hatte er sich wissenschaftlich auf seine große Reise vorbereitet; er war ein junger Gelehrter, der sich schon einen Ruf in seinem Fach verschafft hatte. So haben wir ein Recht, diesem tapfern und edeln Märtyrer wissenschaftlicher Forschung ein ehrendes Angedenken zu weihen.

Die Lastträger in Konstantinopel. Es trägt zwar jeder Sterbliche sein Päckchen mit sich; aber in allen Ländern giebt es eine Menschenklasse, die zu den unfigürlichen Lastträgern der Erde gehört und Hab und Gut der andern auf ihrem Rücken zu schleppen verdammt ist. Diese Klasse ist in manchen Ländern sehr gering geschätzt – wir erinnern nur an die chinesischen Kuli. Anders ist’s in der Türkei. A. E. Lux theilt uns in seiner Schrift über die „Balkanhalbinsel“ (Freiburg, Herder) mit, daß die Lastträger in Konstantinopel, Hamals genannt, eine eigene Zunft bilden, deren Ehrenmitglied der Großvezier als Hamal des Reichs ist. Bei den jetzigen türkischen Zuständen hat der Großvezier allerdings eine Riesenlast zu tragen und verdient es in der That, ein Ehrenmitglied der Zunft zu sein. Die Zahl der Hamals in Konstantinopel beläuft sich aus 10 000; das würde schon die Einwohnerzahl einer ansehnlichen deutschen Stadt sein. Dies ist begreiflich bei dem Mangel an Lastwagen sowie bei dem Umstande, daß dieselben wegen der engen, oft auf- und absteigenden Gassen nur selten gebraucht werden. Der Transport der Waaren geschieht daher meist durch Menschenkraft.

Die Hamals sind durchweg wettergebräunte, athletische Männer; sie befördern die Lasten ausschließlich auf dem Rücken, auf welchem sie als Unterlage ein gutgepolstertes Kissen tragen. Den Oberleib stark nach vorn geneigt, tragen sie auf diese Weise auch Kisten von bedeutender Größe, Lasten von fast unglaublichem Gewicht (5 bis 6 Centner). Oft ragt die Last weit über den Kopf hervor; dann ist es für den Hamal unmöglich, nach vorn zu sehen, geschweige denn auszuweichen. Er ruft alsdann unter seiner Last nur das warnende varda! und Jedermann, der nicht unsanft mit den Kisten und Kasten in Berührung kommen will, beeilt sich, dem Rufe Folge zu leisten und bei Seite zu springen. Und nicht allein Fußgänger, auch Reiter und Wagen müssen dasselbe thun. Konstantinopel sich ohne Hamals zu denken, ist absolut unmöglich; ja, kommt man bei schlechtem Wetter an eine von Koth und Schmutz starrende Stelle, so ist es wieder der rettende Hamal, welcher Mann und Frau um ein geringes Entgelt darüber hinwegträgt. Er ist Lastträger und Kommissionär zugleich und, was die Hauptsache ist, vollkommen zuverlässig und ehrlich.

Treibjagd im Walde. (Mit Illustration auf S. 769.) Auf einer Waldtreibjagd bin ich auf einem Felsen angestellt, der wie eine Warte die Dickung überragt, welche eben getrieben werden soll. Es ist ein schöner Stand hier oben. Die Bergwellen, Schluchten und Wiesengründe – der Buchenwald, dessen vergilbte Blätter die Sonne so goldig überstrahlt – wie hat heute gerade die Natur all ihren Zauber ausgegossen über die Waldlandschaft zu meinen Füßen und in der Ferne über die Ebene mit dem blinkenden Strome, den Dörfern, der Stadt und dem dunklen Gemäuer des in bläulichem Duft fast verschwindenden Klosters – aber das Alles vermag die Blicke nur so lange zu fesseln, bis ein Hornsignal das Echo und das Geklapper und Geschrei der Treiber weckt. Die gespannte Flinte ist ein eigen Ding – sie macht Gedanken und Augen zu willigen Sklaven.

Dieser Stand hat noch seinen besonderen Reiz. Von hier aus kann man jedes hochwerdende Wild auf den kleinen Blößen und Wegen in der [772] Dickung schon lange beobachten, bevor es einen der im Halbkreis um den Trieb angestellten Schützen anläuft.

Näher und näher kommen die Treiber. Alles Wild, das in der Dickung steckt, ist hoch. Hier und dort hoppelt ein Hase über eine Schleife oder dicht an der Treiberkette entlang, aber zu dem Hochwalde, in welchem die Schützen angestellt sind, hat Lampe noch kein rechtes Vertrauen. „Wehrt sie! wehrt sie! Rehe! Rehe! wehrt sie!“ schreit es jetzt in der Dickung, und in Bogenfluchten sieht man drei graue elegante Gestalten, die weißen „Spiegel“ (Haare auf den Keulen) weit aufgebläht, das Gebüsch überfliehen.

Da sind sie auch schon im höheren Rande der Dickung verschwunden – aber nur einen Augenblick – und pfeilgeschwind stürmen sie, eins hinter dem andern, am lichten Orte zwischen den Schützen hindurch. Wie das jetzt lustig knallt da unten! wie die Treiber schreien und klappern! wie die Teckelchen so munter jagen! Da hilft kein Widerstreben – Lampe muß heraus, und mit wahrer Todesverachtung jagt er auch, die „Löffel“ an den Hals gelegt, aus den Büschen ins Freie. Hier einer, dort einer, und dort an der Ecke zwei zugleich. „Tiro – die Schnepfe!“ Alle Blicke richten sich erwartungsvoll nach oben, aber der Langschnabel dreht den Schützen den Rücken zu und streicht zurück über die Treibwehr.

Da tritt ein Reh aus dem Gebüsch auf das breite Steingeröll unter der Wand – zwei Stück folgen ihm. Aengstlich stehen die drei schmucken Thiere in ihrem grauen Winterkleide da und lauschen hinunter in das Getümmel des Treibens; dann treten sie hin und her, unsicher, wohin sie sich wenden sollen. Jetzt knallt es da unten, und in voller Flucht geht’s dicht unter dem Felsen her auf mich zu. Das letzte Stück – ist’s nicht voller auf dem Kopf? Immer näher kommen sie heran – wahrhaftig, es trägt ein Gehörn – ein starkes – weit über die Lauscher blinken die Spitzen – welch lange Enden! – es ist ein kapitaler Bock. Jetzt verschwinden sie unter dem Felsen, der einen Bogen macht, meinen Blicken. Einige lange Sekunden verrinnen – ich höre Steinchen rollen; die Fluchten der Rehe und ein grauer Streifen, das Schmalreh, fällt unter dem Felsen vor der Spalte her, auf der ich nur schießen kann – noch ein grauer Streifen und gleichzeitig Flintenknall. Wenige Augenblicke später sehe ich das Schmalreh allein weit unter mir wieder in der Dickung verschwinden.

Der Trieb ist leer; es wird abgeblasen und das erlegte Wild zusammengetragen. Wieder wird eine Dickung umstellt, wieder klappern die Treiber, jagen die Hunde, wieder knallt es in der Schützenkette. So geht es von Trieb zu Trieb, bis es Abend wird und das letzte oder Schüsseltreiben beginnt, ein Treiben, das von vielen das Haupttreiben genannt wird und in der That auch ist; und wer im Forst den Hasen oder Rehbock nicht treffen kann, darf hier aus vollster Ueberzeugung einstimmen in das schöne Jägerlied:

„Gebraten auf dem Teller
Erlegen wir sie schneller;
Da schwillt uns hoch die Brust
Vor edler Weidmannslust!“

Karl Brandt.     

Das Oelen der See. Vor einigen Jahren wurde die Wirkung des Oels auf die Meereswogen der allgemeinen Beachtung empfohlen: eine Thatsache, welche seit uralten Zeiten den Menschen bekannt war, trotzdem aber nur wenig ausgenutzt wurde. Man hatte in Folge dessen von Neuem zahlreiche Versuche angestellt und fand in der That, daß sehr geringe Oelmengen genügen, um die Macht der Wogen zu brechen und die stürmische See so weit zu beruhigen, daß sie dem mit Wind und Wellen ringenden Schiffe nicht mehr gefährlich ist. Augenblicklich mehren sich in der Tagespresse Berichte über die großen Erfolge, welche durch das Oelen der See erzielt wurden, und bei dieser Gelegenheit möchten wir nicht nur auf einen früheren Artikel der „Gartenlaube“ über dieses Thema (vergl. „Die Besänftigung des ungestümen Meeres“, Jahrgang 1883, S. 68) hinweisen, sondern denselben noch durch einige überraschende Zahlen ergänzen. Ueber die Menge des Oels, welche nöthig ist, um die Wellen zu brechen und die aufgeregte See in eine Art Dünung in der unmittelbaren Nähe des Schiffes zu verwandeln, gingen die Ansichten ziemlich weit aus einander.

Eine Zusammenstellung von etwa 200 Berichten hat nunmehr ergeben, daß die Schiffe, welche das Oelen der See mit Erfolg anwandten, stündlich im Durchschnitt 2,20 Liter Oel verbrauchten. Aus diesen Angaben und aus der Geschwindigkeit, mit welcher ein Schiff sich mit dem Winde bewegt, versuchte der Viceadmiral G. Cloué die Dicke der Oelschicht zu berechnen, welche die Meereswellen zu besänftigen vermag. In einer Stunde durcheilt das Schiff nach seiner Annahme einen Weg von 18 250 Metern und das Oel, welches an dessen Seiten ausgetropft wird, bedeckt die See in einer Breite von etwa 10 Metern. Mit 2,20 Litern werden somit 182 500 Quadratmeter Meeresoberfläche geölt! Es läßt sich daraus leicht die „Dicke“ der Oelschicht berechnen; aber das Ergebniß ist so überraschend, daß man kaum wagt, es niederzuschreiben, denn die Dünnheit der Oelschicht übersteigt unsere Begriffe: sie beträgt ein Neunzigtausendstel (1/90000) eines Millimeters! Wir stehen hier einem jener Naturwunder gegenüber, auf welche das Sprichwort: „Kleine Ursachen, große Wirkungen“ die vollste Anwendung findet. *      


Skat-Aufgabe Nr. 16.
Von K. Buhle.

Der Spieler, welcher nach den ersten 4 Stichen:

1. V. M. H.   3. M. H. V.
(tr. 8.) (tr. As.) (tr. Z.) (c. 7.) (c. 9.) (c. 8.)
2. M. H. V. 4. H. V. M.
(p. B.) (p. Z.) (p. 9.) (c. Z.) (tr. K.) (c. B.)

keinen Stich mehr erhält, gewinnt das Spiel.

Welcher von den Dreien ist der Spieler? Was spielte er und wie sitzen die Karten?


Auflösung der Skat-Aufgabe Nr. 15 auf S. 724.

Die Hinterhand spielte Eichelsolo auf folgende Karte:

rW, sW, eD, eO, e9, gD, gZ, gO, sD

und hat das Spiel schon in den in der Aufgabe angegebenen ersten 4 Stichen verloren bei folgender Kartenvertheilung: Skat rD, sZ.

Vorhand: eZ, eK, e7, rZ, rO, sK, sO, s9, s8, s7.
Mittelhand: eW, gW, gK, g9, g8, g7, rK, r9, r8, r7.



Kleiner Briefkasten.
(Anonyme Anfragen werden nicht beantwortet.)

Abonnent an Rhein. Der Wunsch Ihres zwölfjährigen Sohnes, über die Heimath der vielen Fremden, welche er alljährlich am Rhein sieht, Näheres zu erfahren, entspringt einer edleren Wißbegierde, de Sie unterstützen sollten. Recht empfehlenswerth möchte es sein, Ihrem Sohne das eben erschienene Buch „Mit Ränzel und Stab“ von Frida Schanz (Leipzig, Verlag von Ambr. Abel) zu kaufen, in welchem von den verschiedenen Nationalitäten eine zwar kurze, aber treffende und fesselnd geschriebene Charakteristik gegeben und der Text durch gute, instruktive Farbdruckbilder unterstützt wird. Im Uebrigen verweisen wir Sie auf unseren die Jugendlitteratur betreffenden Artikel in der vorliegenden Nummer, der Ihre weiteren Fragen beantwortet.

G. in Pf. Wenden Sie sich an einen Specialarzt! Die Universität Heidelberg ist ja nicht so weit.

A. in M. Der Photograph der Kostümbilder in Nr. 42 unseres Blattes, welche August Junkermann in Fritz Reuter-Rollen darstellen, ist Heinrich Graß in Mannheim.

K. A. in M. „Chauvinismus“, ein erst neuerdings in Frankreich in Gebrauch gekommenes Wort, ist zurückzuführen auf einen Napoleonischen Soldaten, Namens Chauvin, der durch seine blinde Schwärmerei für den Kaiser bekannt war, und bezeichnet im Allgemeinen einen eitlen, prahlerischen und übertriebenen Patriotismus.

A. P. 1887. Besten Dank! Leider nicht geeignet!


Inhalt: Die Geheimräthin. Novelle von Hieronymus Lorm (Fortsetzung). S. 757. – Vom Nordpol bis zum Aequator. Populäre Vorträge aus dem Nachlaß von Alfred Edmund Brehm. Land und Leute zwischen den Stromschnellen des Nil (Fortsetzung). S. 760. – Der Liebesbote. Illustration. S. 761. – Was sollen unsere Kinder lesen? Von Dietrich Theden. S. 763. – Christoph Willibald Ritter v. Gluck. Ein Gedenkblatt zum 100jährigen Todestage (15. November 1787) des Reformators der Oper. Von Ernst Pasqué. S. 764. – Mit Portrait S. 764 und Illustrationen S. 757 und 765. – Das erste Jahr im neuen Haushalt. Eine Geschichte in Briefen. Von R. Artaria. XI S. 766. – Der Unfried. Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer (Fortsetzung). S. 767. – Broterwerb durch die Massage. Eine Warnung für Viele. Von Dr. Zabludowski. S. 770. – Blätter und Blüthen: Richard Böhm. S. 771. – Die Lastträger in Konstantinopel. S. 771. – Treibjagd im Walde. Von Karl Brandt. S. 771. Mit Illustration S. 769. – Das Oelen der See. S. 772. – Skat-Aufgabe Nr. 16. Von K. Buhle. S. 772. – Auflösung der Skat-Aufgabe Nr. 15 auf S. 724. S. 772. – Kleiner Briefkasten. S. 772.


Soeben erschienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen:

Herzenskrisen.
Roman in zwei Bänden
von
W. Heimburg.

Eleg. brosch. M. 6.–. Eleg. geb. M. 7.–.

W. Heimburg gehört längst zu den Lieblingen des deutschen Lesepublikums. Auch dieser ihr neuester, in der „Gartenlaube“ aufs beifälligste aufgenommene Roman wird von den zahlreichen Freunden der liebenswürdigen Verfasserin freudig begrüßt werden.

Nach dem Sturme.
Roman
von
B. Renz.

Eleg. brosch. M. 4.50, Eleg. geb. M. 5.50.

Der Verfasser hat sich durch seinen früher erschienenen Roman „Feurige Kohlen“ rasch den Ruf eines fesselnden Erzählers erworben. Der neue, in Hamburger Kaufmannskreisen spielende Roman wird diesen Ruf sicher befestigen.

Heimatklang.
Novelle
von
E. Werner.

Eleg. brosch. M. 4.–. Eleg. geb. M. 5.–.

Mit einem neuen Novellenband von E. Werner bringen wir immer einer großen Zahl von Liebbabern eine willkommene Gabe. Die beliebte Erzählerin bedarf keiner besonderen Empfehlung mehr.

Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.

Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig

  1. Urkundlich festgestellt durch den 1857 verstorbenen Kustos der k.k. Hofbibliothek Anton Schmid, in seinem 1854 erschienenen Buche: „C. W. Ritter von Gluck“.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Schröber’schen