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Die Gartenlaube (1887)/Heft 2

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1887
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[21]

No. 2.   1887.
      Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. — In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. — In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 25 Pfennig.



Herzenskrisen.
Roman von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Es war ein wunderliches Ding von einem Garten, in welchem Lucie und Tante Dettchen hin und her wanderten. Ein einziger Birnbaum stand inmitten des kleinen Geviertes, längs der Mauer lief der einzige Weg hin und mündete in der Laube, auf deren niedrigem Holzgestell wilder Wein üppig rankte. Sonst war, abgerechnet zwei Centifolienstöckchen, Alles zu Gemüseanlagen benutzt; Erbsen, Möhren, Zwiebeln und Salat standen in tadelloser Ordnung auf den Beeten, es war die reine Ironie, hier von einem Garten zu reden.

Hinter der mäßig hohen Mauer aber flüsterte der Westwind in den grünen Baumkronen, und die Abendsonne lag auf den Gipfeln mächtiger alter Linden und Ulmen. „Es gehört zu der Meerfeldt’schen Besitzung – der Großvater von Hortense von Löwen – weißt Du,“ erklärte Tante Dettchen hinausweisend.

Lucie schwieg. Die Wiederbegegnung mit Hortense berührte sie jetzt unsagbar peinlich. Sie saß still in der Laube neben der Tante und ihr war grenzenlos bang in diesem fremden Hause, das ihr die traute Häuslichkeit der Schwester ersetzen sollte. Instinktiv empörte sich ihr argloses Herz gegen das Wesen der Frau, welche die Mutter ihres Bräutigams war. Wenn er doch wenigstens erst käme! – Er wußte, in welch sonnigem Hause sie groß geworden, er kannte die Schwester, die trotz ihrer Leiden so sanft war, er kannte das frische derbe Wesen des Schwagers, dem die Gutmüthigkeit aus jeder Linie des Gesichtes sprach, und die Kinder mit ihrem Jauchzen und Spiel; er kannte die Linde vor der Hausthür, in der die Forsteleven für sie einen luftigen Sitz gebaut, und den weiten, weiten Wald und die Berge.

„Weinst Du?“ fragte Tante Dettchen.

„Sei nicht böse, Tante, ich dachte an den Abschied.“

„Ja, es ist schwer, aus der Heimath zu gehen,“ nickte das kleine gute Gesicht. „Wo hast Du denn Alfred kennen gelernt?“ erkundigte sie sich dann, in der Absicht, das Mädchen auf lichtere Gedanken zu bringen, und sie erreichte ihren Zweck vollkommen.

„O, er kam ja sechs Wochen lang täglich in unser Haus,“ berichtete Lucie, und ihr trauriges Gesicht hellte sich strahlend auf. „Meine Schwester war sehr krank – hat er es Euch denn nicht erzählt? Und einmal, da kam er erst gegen Abend; ich stand eben am Fenster meiner Stube, ich ging aber nicht zu Emmi hinunter – sie war eigentlich schon ganz gesund – weil ich mich vor ihm fürchtete; er sah mich immer so seltsam an, daß ich Herzklopfen bekam.“

Sie schwieg und wand ihr Taschentuch zu einem Knoten in der Hand. „Da, wie ich immer noch so stand – es war ein so wunderschöner Abend; am Himmel, der rosig erglühte, zogen lauter duftige Wölkchen, ich werde es nie vergessen und ich fühlte, daß mir etwas bevorstand – da kamen auf einmal die Kinder und holten mich jubelnd hinunter in die Wohnstube, und da – –.“

Sie brach ab, das liebe kluge Gesicht wie von Blut übergossen.

„Du hattest ihn also schon längst lieb, Kind?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht; mir ist’s, als hätte ich ihn schon immer


Mary Anne Fitzherbert.
Faksimile nach einem Kupferstich aus dem Werke „Memoirs of Mrs. Fitzherbert“.

[22] gern gehabt, aber daran, daß er mich heirathen wollte, dachte ich nie. Es ist ein so großes Glück für mich, sagen sie Alle,“ schloß sie.

„Da haben sie Alle Recht. Er ist eine Seele von einem Menschen, ganz wie sein Vater, sein guter Vater –.“

In diesem Moment fuhr Lucie empor, sie hatte das Rollen eines Wagens gehört.

„Das ist er! Das ist er!“ rief die Tante. „Da will ich doch gleich hin, damit er nicht erst nach oben geht.“ Und sie lief, so rasch es ihre Fülle gestattete, den Weg entlang. Aber ehe sie noch die Thür in der Mauer erreichte, ward sie aufgethan, und ein mittelgroßer untersetzter Mann schritt mit einem ruhigen „Guten Abend! – ich dachte es mir wohl,“ an ihr vorüber und kam gemessenen Ganges durch die leichte Dämmerung zu der Laube herüber, an deren Pfosten ein vor innerer Erregung blasses Mädchen lehnte, scheue Erwartung in den großen Augen.

Er ergriff herzlich ihre beiden Hände und bog sich etwas onkelhaft ehrbar zum Kuß hernieder. „Willkommen, Lucie, in der neuen Heimath!“ sagte er mit verhaltener Bewegung in der Stimme. „Wie gern hätte ich Dich auf dem Bahnhofe begrüßt, aber ein unaufschiebbarer Krankenbesuch – – wir Aerzte sind keinen Moment Herr unsrer Zeit.“

Sie saßen neben einander auf der Bank und hielten sich bei den Händen. „Wie gut, daß Du da bist,“ flüsterte sie und sah ihm in das ernste Gesicht, das von einem röthlich blonden Barte umrahmt war und unverkennbar an die Mutter erinnerte mit der geraden Nase, der hohen Stirn und den hellen Augen, nur daß hier keine Spur jener Verbissenheit zu finden war, welche der Mutter Züge völlig beherrschte. Die Augen blickten treuherzig zu der jungen Braut hinunter.

„Der Abschied wurde Dir sehr schwer, nicht wahr?“ sprach er weich. „Aber es mußte sein, Lucie! Wir kennen uns noch so wenig, und ich will doch nicht, daß Du mit einem wildfremden Menschen vor den Altar treten sollst, nicht wahr, Kleine?“

„O – deßhalb – –.“ Sie schwieg.

„Ich habe es Deiner Schwester versprochen, und sie hat Recht.“

Sie saßen wieder still neben einander; Lucie hatte Thränen in den Augen. Es war wohl richtig; sie kannte ihn noch so wenig, immer nur flüchtige Minuten hatten sie sich gesehen am Krankenbette der Schwester; nachdem er an jenem Abend das Jawort erhalten, war er nicht einmal zu Tische geblieben, weil ein Schwerkranker auf ihn wartete. Und dieser Kranke hatte ihn in der nächsten Zeit ebenfalls von der Oberförsterei fern gehalten, und als er endlich eines Sonntags Mittags kam, da theilte er den Erstaunten mit, daß er sich in seiner Vaterstadt als Arzt niederzulassen gedenke, und zwar in allernächster Zeit, um, wie er sagte, seiner kleinen Frau ein behagliches Heim zu bereiten.

Es wäre eine gute Idee, hatte der Schwager gemeint, es sei da viel Landbevölkerung in der Umgegend, und die Bauern bezahlten gleich baar. Die Doktoren würden in der Gegend immer reiche Leute –. „Meine Mutter hat mich auf den Gedanken gebracht,“ hatte er erwidert, „sie ist eine praktische Frau.“ Dann waren sie Beide nach dem Essen in den Wald gegangen; der erste junge Frühlingsschimmer hatte über den Bäumen gehangen und Anemonen und Himmelsschlüsselchen am Boden erblüht. Sie waren Hand in Hand auf dem feuchten Waldpfad geschritten, und er hatte von seiner Mutter gesprochen und von seinem verstorbenen Vater, und wie er sich freue, in dem alten Städtchen zu wirken und zu schaffen, in dem er seine Kinderjahre verbrachte. Sein ganzes Leben lag vor ihren Augen, jedes Wort drang ihr ins Herz, und am Abend, als er längst Abschied genommen mit einem „Auf Wiedersehen in Hohenberg!“ da hielt sie noch beim Einschlafen den blühenden Haselnußzweig in der Hand, den er ihr gepflückt. Es that ihr weh, daß er jetzt von einem „Kennenlernen“ sprach, sie wußte nicht weßhalb.

„Und wenn wir uns nun kennen lernen, Alfred, und Du oder ich finden uns getäuscht in unseren Erwartungen – was dann? Sollen wir dann von einander gehen?“

„Das möge Gott verhüten,“ sagte er erschrocken und drückte ihre Hand. „Es wird nicht sein!“

Nun ging die Gartenthür, und mit langsamen bedächtigen Schritten kam die Mutter den Weg entlang, hinter ihr trippelte Tante Dettchen. Beide Damen waren mit Handarbeiten beschäftigt; Frau Räthin strickte sogar im Gehen; sie setzte sich dem jungen Paare gegenüber, ohne einen Augenblick die Arbeit zu unterbrechen. „Guten Abend, Alfred!“ sagte sie, seinen Gruß erwidernd.

„Hat Dir Deine Braut schon von ihrer Reisegesellschaft erzählt?“ fragte sie nach einer Pause.

„Ich fuhr mit Frau von Löwen,“ sagte das Mädchen ruhig; „sie war so liebenswürdig, mir aus einer großen Verlegenheit zu helfen; ich habe nämlich in H. mein Portemonnaie mit dem Billet verloren, und sie – –.“

„Verloren?“ rief die alte Dame empört. „Und das sagst Du erst jetzt? Du hättest sofort an die Direktion der Eisenbahn schreiben müssen! Nein, Alfred, wie ist’s möglich!“

„Und sie war Dir behilflich, ein anderes Billet zu lösen?“ erkundigte er sich, ohne auf die Mutter zu achten.

„Ja! – und ich möchte Dich fragen, auf welche Weise ich das Geliehene am besten zurückerstatte?“ fuhr Lucie fort. „Wir haben als Kinder mit einander gespielt,“ setzte sie noch hinzu.

„Du trägst es ihr selbst hinüber,“ sagte er ruhig.

„Ich danke Dir, Alfred.“

Die Frau Steuerräthin strickte noch eifriger als vorher.

„Du findest es doch auch so am schicklichsten, Mutter,“ wandte sich der Sohn zu ihr, „zumal ich im Meerfeldt’schen Hause Arzt bin? Kollege Mostner wird leider nicht im Stande sein, die Praxis wieder aufzunehmen.“

„Große Ehre!“ klang es durch die Dämmerung.

„Der Arzt muß gehen, wohin er gerufen wird, Mutter!“

„Meinetwegen,“ seufzte sie, „er bezahlt wenigstens, und auf solche Kundschaft mußt Du sehen, wenn Du heirathen willst. Von Haus aus hast Du kein Vermögen.“

Er überhörte diese Anspielung auf die arme Braut, die er sich erwählt, vollständig.

„Uebrigens,“ fuhr die Mutter fort, „mußt Du doch zugeben, daß die Erneuerung dieser Bekanntschaft nicht angemessen ist für Deine Braut, und wirst die Fortsetzung derselben nicht wünschen.“

„Allerdings nicht, weil für meine Lucie der Verkehr mit einer Dame der großen Welt nicht durchführbar und vielleicht sogar nachtheilig sein dürfte. Aber aus einer einfachen Gefälligkeit erfolgt doch noch kein unauflösliches Freundschaftsverhältniß, Mutter.“

„Du hättest nur Lucie sehen sollen, wie entzückt sie von dieser Begegnung sprach.“

„Ich ward so an mein Elternhaus und meine Kinderzeit erinnert,“ entschuldigte sich das junge Mädchen. Es klang, als spreche sie durch Thränen.

„Bist Du nicht müde?“ fragte der Bräutigam rasch. „Ich meine, die Fahrt bei dem warmen Wetter hätte Dich angegriffen? Gehen wir hinauf, ich werde Dir unser Gaststübchen zeigen. Versuche einmal, wie es sich in demselben schläft.“

„Ach ja!“ sagte sie aus vollstem Herzen. Als sie sich bald darauf in ihrem Stübchen allein befand, legte sie die Hände vor die Augen und weinte leise, vor Heimweh, wie sie meinte.




Am anderen Nachmittag gegen fünf Uhr kleidete sich Lucie für den Besuch an. Sie hatte den ganzen Morgen über beim großen Pfingstreinemachen helfen müssen, und dabei war unaufhörlich die Stimme der alten Dame erklungen wie Signale auf dem Manöverfelde. „Bei mir wird das so gemacht, liebes Kind! – Ich halte es für praktischer, wenn man diese Messinggriffe mit Kreide reinigt, wegen des weißen Lackes der Thüren. Aber, Kind, ich bitte, in welcher Wirthschaft hast Du gelernt, die Stühle so auf einander zu schachteln? Meine Möbel haben nicht eine Schramme und sind achtunddreißig Jahre im Gebrauch! Was soll das denn werden, wenn Du mit Deinen Sachen künftig so umgehst?“

Tante Dettchen hatte dazu gelächelt und Lucie zugeflüstert: „Sie meint’s nicht so böse.“ Und Lucie lächelte mit, sie war ja seine Mutter! Sollte es denn so schwer sein, ihr Herz zu gewinnen, wenn sie sah, wie Lucie Alles that, den Sohn glücklich zu machen?

So kam sie denn in ihrem besten Anzug aus grauer Beige, der so kleidsam die schlank aufgebaute Gestalt umschloß, in die Wohnstube, in der sich Scheuergeruch mit den Fliederdüften vermengte, die reichlich aus allen Porcellanvasen aufstiegen, und sagte Mutter und Tante, die strickend an den Fenstern sich gegenübersaßen, „adieu“.

[23] „Eine merkwürdige Visitenzeit!“ meinte die Mutter.

„Aber es ist vollständig guter Ton,“ wandte Lucie ein und knöpfte ihre Handschuhe.

„Auf dem Lande vielleicht oder unter sehr intimen Freunden – sonst geht man hier Punkt Schlag zwölf Uhr.“

Lucie zögerte noch ein Weilchen in der Hoffnung auf ein freundliches Wort, als aber nur Tante Dettchen verstohlen nickte und die Schwiegermama mit ihrem unbeweglichen Antlitz so emsig weiter strickte, als gelte es das tägliche Brot zu verdienen, sagte sie noch einmal „Adieu!“ und ging. Sie hatte keinen weiten Weg längs der hohen Mauer, welche an das Haus grenzte, das die Schwiegermutter miethweise bewohnte. An dem großen Thore, das in die Mitte dieser Mauer eingesägt war, zog sie die Klingel, auf deren Porcellangriff zu lesen stand: „Alexander von Meerfeldt.“ Ein alter Diener öffnete die kleine Thür in dem mächtigen Thorflügel und ließ sie eintreten. Kühler Schatten umfing sie und eine tiefe Stille, selbst die Schritte des alten Mannes verklangen auf dem Grase, das üppig zwischen den Pflastersteinen des Hofes wuchs. Vor ihr lag das zweistöckige Haus mit den unregelmäßigen Fensterreihen und dem Treppenthurm, dessen spitzes Ziegeldach eine reich verzierte Wetterfahne schmückte. Rechter Hand ein Gebäude, das Stallungen und Dienerwohnung zu enthalten schien, links, nur durch ein Staket abgegrenzt, befand sich die grüne Wildniß eines Gartens, dem anscheinend lange die Scheere des Gärtners ferngeblieben war. Lucie sah mit Entzücken die dämmerigen Laubgänge und üppigen Boskets, es erinnerte sie an den Wald daheim. Sie war dem Diener gefolgt, dem sie ihre Karte eingehändigt, und stand nun im weiten Hausflur, während er leise an eine Thür pochte und dann eintrat.

Nach einigen Minuten erschien eine kleine, unendlich korpulente Dame auf der Schwelle, in braunem Wollkleide, dessen Machart an eine Kapuzinerkutte erinnerte, sie trug eine schwarze Spitzenhaube mit mächtiger hochrother Schleife auf dem stark ergrauten Haar, das ihr nach neuester Mode in die Stirn hing, und streckte dem Mädchen beide Hände entgegen.

„Lucie, mon ange! Welche Ueberraschung!“ rief sie exaltirt. „Wie ist es möglich! Sie hier? – Entrez! Wie schön sind Sie geworden! – Und Sie erinnern sich unser noch? Wie kommen Sie hieher? Das müssen Sie mir erzählen!“

Und im nächsten Augenblick befand sich Lucie im Zimmer der Mademoiselle Bertin und in ihren Armen.

„Zu Hortense wollen Sie?“ schluchzte die lebhafte kleine Person. „O Lucie, vielleicht ist es ein Wink vom Himmel! – Sie will Niemand sehen, sie hat mich förmlich davon gejagt, sie – o, ich kann Ihnen nicht sagen – sie hat Kummer, großen Kummer, aber sie ist noch immer so unnahbar wie früher. Noch eben hat sie mir das Versprechen abgenommen, sie nicht zu stören in den nächsten drei Stunden, und ich vergehe hier unten vor Todesangst.“

Lucie hatte sich während dieses Jammerns auf einen Stuhl gesetzt, und Mademoiselle hatte ihr am Theetischchen ein Glas Orangewasser gemischt und ein Biscuit gebracht. „Kind, Sie sehen mich staunend an? Ich bin alt geworden, Lucie, o ja. Ach! ich weiß es, der viele Kummer! Solche Aufregungen, wie ich sie hier erlebe mit Hortense – –“ Sie drückte das Tuch vor die Augen, warf sich in einen der tiefen mit geblümtem Kattun bezogenen Lehnstühle und schluchzte zum Erbarmen.

„Was ist’s mit Frau von Löwen?“ fragte erschreckt das junge Mädchen.

O ciel! Wenn ich es sagen dürfte!“ klagte die alte Dame, „aber ich kann nicht; vielleicht erzählt sie es Ihnen. Thun Sie mir die Liebe, gehen Sie zu ihr, es wäre möglich, daß Sie, wie schon als Kind, einen guten Einfluß auf sie hätten. O, ich weiß noch, Mademoiselle Lucie, sie hatte Sie gern, sie hatte ein tendre für Sie und wird liebenswürdig sein, wenn Sie kommen. Gehen Sie hinauf, ich bitte Sie darum!“

„Aber wenn Frau von Löwen allein sein will?“ wandte Lucie peinlich berührt ein.

„O, sie hat entsetzliche Kapricen; sie ängstigt mich halb zu Tode zuweilen, sie will mich nicht sehen und den Baron nicht – aber Sie, wer weiß das? – Denken Sie,“ fuhr Mademoiselle Bertin fort, „seit gestern Abend hielt sie sich eingeschlossen. Heute Mittag, nachdem ich alle halbe Stunden oben war, treffe ich sie endlich im Wohnzimmer; sie sieht aus wie der Tod, hat Schatten unter den Augen so groß, und zerreißt da alte Briefe; sie war so eifrig, daß sie mich nicht gewahrte und auch nicht merkte, daß ich den Schlüssel abzog von ihrer Thür, – vous comprenez – es ist so gräßlich, wenn man nicht eingelassen wird. Ich versuchte mit ihr zu reden, da sagte sie aigrirt: ‚Lassen Sie mich allein, Mademoiselle, ich bitte, daß Sie nicht vor heute Abend mein Zimmer wieder betreten. Dieses ewige Nachfragen regt mich auf! Sagen Sie das auch dem Großpapa!‘ – Que faire? Ich mußte sie verlassen!“

Lucie versprach hinauf zu gehen. Vorher aber mußte sie noch erzählen, wie sie nach dem „ganz miserablen Ort“, dem Hohenberg, verschlagen sei, und die exaltirtesten Glückwünsche zu ihrer Verlobung über sich ergehen lassen, immer unterbrochen durch Klagen und Weinen. „O Mademoiselle, welches Leben führe ich, ich, die ich in Paris geboren bin! Sehen Sie diese Aussicht auf den stillen Hof, der Blick von meinem Schlafzimmer in den verwilderten todeseinsamen Garten hinein ist noch trister; hier geht doch wenigstens einmal der Stallknecht über die Bühne oder der Briefträger. Da wohne ich hinter diesen Mauern wie in einem Kloster; auf die Straße gehe ich nicht gern, sie ist so entsetzlich schmutzig, und von einem Verkehr ist keine Rede. Die Leute sind alle so plump, so wenig chic. Mein einziger Trost war noch immer Monsieur le docteur; nun ist er krank, hoffnungslos, wie es heißt, und zu dem jungen Mann, Ihrem Bräutigam, habe ich mich immer noch nicht entschließen können. Es ist sehr peinlich, wenn der Arzt so jung – es ist genant. Aber, mille pardon, der Baron wartet!“ Sie warf einen Blick auf die Uhr vor dem Spiegel und sprang auf. „Die Schachpartie, ma petite; ich muß Sie bitten, mich zu verlassen; er ist mauvaise humeur, wenn er warten muß.“

Sie hatte während dieses Sprechens eifrig die Nägel ihrer wirklich gut gepflegten Hände betrachtet. Nun reichte sie die Rechte dem jungen Mädchen: „Gehen Sie zu ihr, Lucie!“

„Und Sie meinen, ich soll gegen alle Erlaubniß bei Frau von Löwen eindringen?“ fragte Lucie noch einmal.

„Sie thun ein Werk der Barmherzigkeit, je vous en prie –. Bitte, diese Treppe hinauf,“ flüsterte sie im Hausflur, „dann links den Korridor entlang die vorletzte Thür. Treten Sie gleich ein, sie antwortet nicht auf ein Klopfen.“

Lucie stieg zögernd die breiten Stufen empor, während Mademoiselle durch den Flur in das Zimmer des alten Herrn eilte. Ihr war ganz und gar nicht behaglich zu Muthe, die Rolle eines Eindringlings hatte sie noch nicht gespielt; sie war ihrem schüchternen bescheidenen Wesen völlig fremd. Trotzdem trieb es sie vorwärts, sie wußte selbst nicht warum? War es das Verlangen, der Jugendgespielin zu danken? Oder die unbestimmte Besorgniß, welche die wunderliche Französin in ihr wachgerufen? Oder die Opposition gegen ihre Schwiegermutter und das doppelte Interesse, das sie für die so geschmähte Gefährtin einer glücklichen Spanne Zeit empfand? – Sie stand eben vor der bezeichneten Thür, drückte die Klinke und trat ein.

Ein brenzlicher Geruch wie von verbranntem Papier, verbunden mit einem leichten Rauch, füllte das weite behagliche Gemach. Hortense war nicht darin. Lucie sah zum ersten Male das Zimmer einer vornehmen Dame, und im ersten Augenblick fesselten sie die tausend eleganten Dinge, die es schmückten. Statuetten, Majoliken, wunderliche kleine Möbel, schwere Vorhänge, der weiche Smyrnateppich, der den ganzen Boden bedeckte, auf welchem Fauteuils von allen Formen umher standen; das kostbare persische Gewebe, das nachlässig über die Chaiselongue geworfen war, die getrockneten Palmenwedel in den Vasen, die zierlichen Nippes aus Terracotta und Vieux-Saxe, und über dem Schreibtische das lehensgroße Pastellbild einer blonden jungen Frau, an der Hauptwand, über dem behaglichen Arrangement von Sofa, Tischchen und Fauteuils, zwei große Oelbilder, Seestudien – einmal das empörte Meer in Gewittersturm, das andere Mal die stille See bei Sonnenuntergang.

Lucie stand während mehrerer Minuten regungslos und betrachtete dies Alles; dann wandte sie sich zum Gehen. – Ob sie wiederkommen durfte? dachte sie und nahm aus dem kleinen Notizbuch, das sie in der Hand trug, eine Visitenkarte, schrieb mit Bleistift: „Herzlichen Dank“ darauf, legte sie auf den Tisch und schob das Zwanzigmarkstück darunter. Nach einem Augenblick besann sie sich anders und trug es auf den Schreibtisch. Sie war jetzt nahe der Schlafzimmerthür, die nur angelehnt schien, [24] und nun hörte sie deutlich einen eigentümlich klagenden Laut, ängstlich und halb erstickt.

Sie lauschte mit verhaltenem Athem – wieder der Laut.

„Hortense!“ rief sie leise an der Thür.

Keine Antwort, aber das Stöhnen drang noch vernehmlicher an ihr Ohr.

Sie stieß die Thüre auf und trat in das verdunkelte Zimmer. Ein häßlicher starker Geruch quoll ihr entgegen, der sich betäubend auf ihre Sinne legte; sie kannte ihn wohl von der Krankheit ihrer Schwester her. „Chloroform!“ sagte sie halblaut und schlug die seidnen Vorhänge des Bettes zurück.

(Fortsetzung folgt.)




Die Frau eines Thronfolgers.
Von Arthur Kleinschmidt.
(Mit Portrait von Mary Anne Fitzherbert auf S. 21.)

In jedem Menschenleben tritt eine Stunde unwiderruflicher Entscheidung ein, sie schlägt klar vernehmlich für jeden aufmerksam Lauschenden. Hören wir aber nicht darauf und treffen unsere Wahl nicht bewußt, so haben wir unsern Kurs auf immer verloren und stranden. Freilich ist das Buch des Lebens für die Augen Zahlloser mit unleserlicher Schrift geschrieben; sie müssen erst die bittersten Erfahrungen durchkosten, ehe sie den Kreuzweg erkennen, an dem sie irre gingen, und ihr Herz wird zum Märtyrer ihres Aberglaubens.

Mary Anne Smythe, über deren wechselvolle Schicksale wir im Nachfolgenden berichten, wurde am 26. Juli 1756 als Tochter Walter’s Smythe, Esq. von Brambridge, geboren; die irische Familie Smythe, seit 1661 mit der Baronetswürde geziert, zählte zu den besten der Grafschaft Durham. Im Juli 1775 heirathete Mary Anne Edward Weld, den Oheim des 1837 verstorbenen Cardinals Thomas Weld, wurde aber noch in demselben Jahre zur Wittwe und beglückte 1778 mit ihrer Hand Thomas Fitzherbert, Esquire von Swinnerton in Staffordshire und von Norbury in Derbyshire; aber auch diese Ehe löste der unerbittliche Tod rasch, so glücklich auch die jungen Gatten waren, schon am 7. Mai 1781 starb Fitzherbert, und der Wittwe hinterblieb eine Rente von fast 2000 Pfund Sterling. In Richmond traf die jugendliche Frau, schon zweimal Wittwe, mit dem englischen Thronerben zusammen; sie zählte jetzt 28 Jahre, der Prinz von Wales erst 22.

Georg hatte eine schlechte Erziehung genossen, seine bedeutenden Geistesanlagen waren eher unterdrückt als gefördert worden. Der argwöhnische Vater, König Georg III., die dritte hannöverische Null dieses Namens auf dem britischen Throne, hielt den lebhaften Prinzen ängstlich vom öffentlichen Leben fern, und dieser vertrieb sich, sobald er mündig war, die Zeit mit allerlei noblen Passionen, durch seinen Oheim, den Herzog von Cumberland, darin unterrichtet.

Unter Liebeshändeln, Gelagen und Schlemmereien verbildete sich Georg’s Charakter mehr und mehr. Nach Tradition der britischen Thronfolger machte er der väterlichen Regierung lebhafte Opposition, stimmte mit den enragirten Whigs gegen die Tories, und dafür setzten seine politischen Freunde mehrmals eine Bill zur Zahlung seiner Schulden Seitens des Parlaments durch. Georg war unendlich populär, wie meist Kronprinzen sind; seine hohe anziehende Gestalt hatte etwas Imponirendes; er galt für den elegantesten Gentleman und für den schönsten Mann des vereinigten Königreichs, lebte lustig in den Tag hinein, nahm sich Shakespeare’s Prinz Heinrich zum Vorbilde, und die Nation hoffte, als Monarch werde er einst ein zweiter Heinrich V. werden. Auf seinen Geist und sein Wissen wirkte fördernd der intime Umgang mit den ersten Größen des Landes, James Fox, Edmund Burke und Richard Sheridan; aber auch manche Schattenseite war die Folge dieses Verkehrs, denn Sheridan führte ein Prasserleben, spielte und trank, bis er im Elend endete, und Fox scheute vor keiner Vergeudung an Kraft und Geld zurück, manchmal tausend Guineen am Spieltische verlierend.

Auf seiner Jagd nach Abenteuern begegnete der Prinz von Wales der Wittwe Fitzherbert, die alsbald tiefen Eindruck auf den verwöhnten Frauenkenner machte; sie konnte sich noch zu den schönsten Töchtern des durch Frauenreiz so hochbegnadeten Albion rechnen, und eine Volksballade besang sie eben als „das süße Mädchen von Richmond Hill“. Ihre Gestalt war von vollendeter Eleganz, schlank und doch voll, ihr reizendes Antlitz trug einen kindlich reinen Stempel, seelenvolle schwarze Augen strahlten in die Welt hinein, von hohen feinen Bogen überwölbt und von langen Wimpern beschattet, dem lieblichen Munde standen die schwellenden Lippen gar zu verführerisch, die Nase war wie nach einem griechischen Modelle geformt, und um diesen prächtigen Kopf fluthete die üppigste Lockenfülle. Mit Schönheit verband Mary Anne die feinsten Formen des Umgangs, eine seltene Bildung, und wer in eingehendem Gespräche das Glück genoß, in ihren Geist Einschau halten zu dürfen, gestand sich, sie sei ein auserwähltes Weib.

Rasch näherten sich Georg und Mrs. Fitzherbert, mächtig von einander angezogen. Ihr schmeichelte es, vom künftigen Könige all ihren Mitschwestern vorgezogen zu werden; ihr gefiel seine ritterliche Erscheinung, die Kunst, als vollendeter Kavalier die Welt zu blenden; und dieses Ideal schien nur für sie zu leben, deren Herz heiß für ihn glühte. Trotzdem wies sie alle Verführungskünste mit ungewöhnlicher Festigkeit zurück und ließ nicht einen Moment in der Verteidigung nach; mochte er seine beliebte Maske annehmen und sich als Schwerkranker einschließen oder mit Selbstmord drohen. Ihre Weigerungen brachten sein Blut zum Sieden; er setzte Himmel und Erde in Bewegung, sie zu besitzen, ohne jedoch seinem Ziele um einen Schritt näher zu rücken. Voll Verzweiflung sah er, wie Mrs. Fitzherbert auf den Kontinent abreiste, um seinen ungestümen Werbungen zu entrinnen; bei seinem Freunde Fox und dessen Freundin Miß Armitstead schüttete er das übervolle Herz aus und rief in hysterischer Anwandlung, er wolle England verlassen, der Krone entsagen, seine Juwelen und Besitzthümer verkaufen und aus dem Erlöse mit Mary Anne in Amerika leben.

Während der Reise blieb er in stetem Briefwechsel mit der Angebeteten, und kaum war sie Ende 1785 heimgekehrt, als er von neuem Sturm auf ihr Herz lief, wiederum aber mit derselben Standhaftigkeit der Tugend abgewiesen wurde. So erkannte er, daß er sie nur dann sein Eigen nennen dürfe, wenn er sie zu seiner Gemahlin erhebe. Dieser Möglichkeit aber stand das britische Gesetz entgegen. Georg durfte nur heirathen, wenn beide Häuser des Parlaments zustimmten, und erst mit 25 Jahren; eine Katholikin durfte er überhaupt nie wählen. Das Gerücht, Georg’s Leidenschaft setze sich über dies Alles hinaus, bewog Fox, ihm am 10. December 1785 in einem ausführlichen Mahnbriefe die traurigen Folgen eines verzweifelten Schrittes darzulegen. Fox erinnerte den Prinzen daran, daß ihn die Ehe mit einer Katholikin vom Throne ausschließe und sein Vater mit Freuden diese Gelegenheit ergreifen werde, um seinem Lieblingssohne Friedrich, Herzog von York, die Krone zu vererben; auch beleuchtete er den alteingewurzelten Volkshaß gegen den Katholicismus. Er stellte ihm vor, wie eine wirkliche Ehe somit unmöglich sei, und welche eigentümliche Lage geschaffen würde, wenn die Frage eine offene bleibe, ob der Prinz von Wales Ehemann sei oder nicht? Wie sehr aber, so meinte er, würde sich die Sache noch verschlimmern, wenn aus einer so zweifelreichen Ehe Kinder entsprössen! Fox wies darauf hin, von einer legalen Heirath könne überhaupt erst die Rede sein, wenn Georg 25 Jahre zähle – also in zwei Jahren, erst dann könne er dem Parlamente seinen Heirathsentschluß mittheilen, wäre er aber dann schon mit einer Dame ohne Parlamentskonsens vermählt, so entstünden hieraus Streitigkeiten und Verwicklungen ohne Zahl, zumal wenn etwa der Erstgeborene der vom parlamentarischen Gesichtspunkte aus ungesetzlichen Verbindung dem ältesten Sohne einer etwaigen zweiten Ehe die Erbfolge bestreiten würde, welche Verantwortung aber lade Georg auf sich, wenn er Frau und Kinder in eine so fragliche Stellung bringe und auf sie den Schatten der Illegitimität fallen lasse; darum möge er von einer Scheinehe abstehen, die keinem der beiden Kontrahenten Ehre machen könne. Der große Parlamentsredner schloß mit der Versicherung, Mrs. Fitzherbert sei nach einstimmigem Urtheile von unsträflichem Charakter und den einnehmendsten Manieren; während er aber sonst durchaus nicht gegen die Verbindung königlicher

[25]

Auf Posten.
Originalzeichnung von R. Warthmüller.

[26] Prinzen mit Unterthaninnen sei, sehe er jetzt in Georg’s Plan das ärgste Beginnen, das seine Feinde ersinnen könnten. Noch in der Nacht des 11. December beantwortete der Thronerbe den Brief des Freundes, indem er das Gerücht einer Heirath kecklich Lügen strafte. Ein langer heftiger Streit erhob sich, ob dennoch eine Vermählung stattfand oder nicht. Für Ersteres bürgt nicht allein der ehrenhafte, stolze Charakter der Mrs. Fitzherbert, sondern auch, neben anderen Zeugnissen, ein Geständniß auf dem Sterbebette. Ein Geistlicher der Hochkirche, Mr. Burt von Twickenham, erklärte seiner Familie, als er den Tod nahen fühlte, er habe Georg mit Mrs. Fitzherbert getraut und dafür 500 Pfund Sterling erhalten. Die Trauung fand in London am 21. December 1785 in Gegenwart zweier Zeugen katholischen Glaubens statt, der eine war der Bruder der Braut, John Smythe, der andere Mr. Harry Errington, ihr Verwandter aus der ersten Ehe; beide Zeugen unterzeichneten den Trauakt. Gewiß hat Mrs. Fitzherbert diese Ceremonie durch ihre Beharrlichkeit erlangt, und Lord Holland ist sehr im Irrthum, wenn er behauptet, Georg habe darauf bestanden, nicht sie. Die Ehe wurde geheim gehalten. War sie gültig und gesetzlich? Ein Prinz schloß sich vom britischen Throne aus, wenn er eine Katholikin heirathete: Mrs. Fitzherbert war eine Katholikin, eine strenge irische Katholikin, die um keine Krone ihrem Glauben entsagt hätte, ein englischer Prinz durfte nicht vor seinem fünfundzwanzigsten Jahre heirathen. Georg war dreiundzwanzig, er bedurfte der Einwilligung der Eltern und des Parlaments. Georg hatte sie nie eingeholt und hätte sie nie erlangt. Somit war die Ehe, die Mary Anne arglos eingegangen war, ungesetzlich und vom Standpunkte des britischen Rechtes verwerflich, hingegen in Mary Anne’s Augen und in denen der ganzen katholischen Kirche legitim. Bei dem zweifelhaften Charakter einer solchen Verbindung war es ein Glück zu nennen, daß sie kinderlos blieb. Der Prinz theilte den Vollzug der Heirath selbst seinen intimsten Vertrauten nicht mit. Aber unter das Volk schlichen sich Gerüchte, freilich nur um die Köpfe zu verwirren, und diese Unsicherheit des Urtheils fand in der Presse ein Echo; es tauchten Pamphlete auf, deren eines vom Radikalen Horne Tooke ausging und großes Aufsehen erregte: ohne Umschweife bezeichnete er die Ehe als legal und Mrs. Fitzherbert als Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin von Wales.

1787 fiel der erste Schatten auf Mary Anne’s junges Glück; es kam im Unterhause die Unordnung der Finanzen des Thronfolgers zur Sprache, seine Freunde beantragten abermalige Zahlung seiner Schulden durch das Parlament und Erhöhung seines Einkommens. Am 20. April brachte der Alderman Newnham, einer von Londons Repräsentanten, im Hause der Gemeinen den Antrag ein, Georg besser zu dotiren, wandte sich direkt an William Pitt als Kanzler der Schatzkammer und bat ihn, mitzutheilen, ob die Minister dazu geneigt seien. Pitt erwiderte, ohne Befehl des Königs könne er hierin nichts unternehmen, worauf der Alderman anzeigte, er werde am 4. Juni dem Hause in Hinsicht auf den Prinzen einen Antrag vorlegen. Georg’s Freunde arbeiteten mittlerweile für ihn. Gern hätte Pitt die Diskussion vermieden, um das Königshaus nicht zu kompromittiren, doch unterstützte Fox den Alderman von London. Da trat im Unterhause Pitt’s Anhänger, Mr. Rolle, am 27. April auf und spielte auf eine heimliche Ehe des Prinzen an, worauf sich in der Sitzung des 30. Fox erhob, um das Gerücht für „eine niedrige malitiöse und allen Grundes baare Verleumdung“ zu erklären, denn „unmöglich habe sich der Vorfall je ereignet, er werde nur verbreitet, um des Prinzen Charakter in der Meinung des Landes herabzusetzen“. Als Rolle zugab, die Ehe sei vom legalen Standpunkte aus unmöglich, könne aber doch in gewissen Formen stattgefunden haben, entgegnete Fox: „Ich leugne dies hinsichtlich des Faktums wie des Gesetzes. Das Faktum konnte nicht nur nie legal eintreten, sondern ereignete sich überhaupt niemals irgendwie; es war Alles von Anbeginn eine niedrige und bösartige Unwahrheit“. „Sprechen Sie auf Autorität hin?“ warf Rolle ein, und Fox stand nicht an, zu bekennen: „Ja, auf direkte Autorität hin“. Diese Erörterung im Parlamente war die tiefste Demüthigung, die Mrs. Fitzherbert treffen konnte, und sie war in der That wie geknickt. Der intimste Freund ihres Gatten hatte öffentlich in Abrede gestellt, daß sie sein Weib sei, ja er hatte erklärt, er sei zu dieser Behauptung von ihm direkt autorisirt. Ihre Freunde gaben sich edelsinnig alle erdenkliche Mühe, ihr den nagenden Schmerz zu verscheuchen, und nie war ihr Salon so besucht wie jetzt, aber sie ließ sich nicht betäuben. Fox war weit entfernt, absichtlich zu lügen, er war vielmehr selbst vom Prinzen belogen worden und wußte nichts von der Ehe; der Erzbischof Cantuar von Canterbury, der Primas des Reichs, schrieb dem Diplomaten Eden, Fox habe bei den Gemeinen mehr gesagt, als er verantworten könne. Mary Anne bestürmte ihren Gemahl, er müsse offen der Verleugnung von Fox entgegen treten, und ihn versetzte ihre Entschiedenheit in große Unruhe. Er ließ den Grafen Charles Grey rufen, bat ihn, im Parlamente Fox’ Aussage zu widerlegen und für Mary Anne zu reden, und beichtete ihm in heftiger Bewegung, er sei vermählt. Grey lehnte den Auftrag ab, worauf Georg ausrief: „Nun denn, will Niemand, so muß Sheridan dran!“ Dieser stotterte aber im Parlamente nur einige verlegene Worte des Respekts für Mary Anne, ohne Fox’ Darlegung irgendwie zu bestreiten. Der große Lustspieldichter war in solchen Verwicklungen nicht bewandert. Es wurde Georg herzlich schwer, seine Gattin von seiner Schuldlosigkeit an Fox’ Auftreten zu überzeugen, so meisterhaft sich auch „der erste Gentleman“ der Zeit aufs Lügen verstand und so hart er auch Fox bei ihr verurtheilte. Freilich wagte er es nicht, Fox selbst zu tadeln, und ließ feige nach wie vor den Ruf seiner Frau antasten. Fox verlor den Glauben an den Prinzen, der in solcher Weise Mary Anne, ihn und die Welt belog.

Mary Anne’s beleidigter Stolz bäumte sich gegen Fox auf, der doch unschuldig an Allem war; sie verzieh ihm bis zum Grabe nicht und würdigte ihn keines Wortes mehr. Der Prinz zeichnete indessen Mrs. Fitzherbert, um sie zu beruhigen, öffentlich noch mehr aus als bisher und fuhr fort, bei ihr so beharrlich den Freund zu desavouiren, daß sie, die bereits gesonnen war, mit ihm abzubrechen, ihm Glauben schenkte.

Gar manchen herben Schmerz bereitete ihr die Flatterhaftigkeit des Prinzen, der schon im Oktober 1788 den Spuren einer Mrs. Fitzgibbon folgte. Man sprach davon, er werde, sobald ihm die Regentschaft für den geisteskranken Vater zufalle, Mrs. Fitzherbert zur Herzogin machen und eine Prinzessin heirathen, und plötzlich erfuhr sie durch seinen Brief aus Brighton, daß er ohne ihr Wissen dorthin gereist sei; er lag eben im Banne einer ihrer Landsmänninnen, der schönen Gräfin Francis Jersey, Tochter des Bischofs von Raphoe. Was wollten aber diese vorübergehenden Neigungen des untreuen Gemahls gegen den Plan bedeuten, abermals eine Ehe einzugehen?

Dieser schwerste Schlag stand der Verlassenen noch bevor. Dem Prinzen war die Zahlung seiner ungeheuren Schulden unter der Bedingung versprochen worden, daß er sich bessere und heirathe, aus diesem einzigen Grunde erklärte er sich dazu bereit, hatte nichts gegen die Wahl seiner ihm völlig gleichgültigen Kousine Karoline von Braunschweig-Wolfenbüttel und kümmerte sich nicht weiter um Mary Anne. Karoline aber konnte ihr Schicksal aus dem brutalen Empfange entnehmen, den ihr Georg im St. James-Palaste bereitete; es war das Vorspiel zur Trauung, bei der er betrunken neben ihr stand, und das Wort, welches er seinem Freunde Lord Malmesbury bei der ersten Begegnung zurief: „Harry, ein Glas Brandy, mir wird übel!“ gellte ihr Tag und Nacht in den Ohren. Sie sollte beispiellos unglücklich werden. – Jetzt trat das Dilemma ein, vor dem Fox in seinem Mahnbriefe den Prinzen gewarnt hatte. In den Augen der Katholiken blieb Mrs. Fitzherbert Georg’s rechtmäßiges Weib, und Karoline wurde seine Geliebte; der König in spe ging eine Bigamie ein, denn er war verheirathet und konnte von einer Katholikin nicht geschieden werden. Seiner Nichtswürdigkeit gegenüber stach die Haltung der Majestäten und ihres Hofes eigenthümlich ab; Mrs. Fitzherbert’s edler Sinn, ihre Uneigennützigkeit und Liberalität, ihr ehrbarer Wandel, ihre liebenswerthen Manieren machten sie nicht nur in der Gesellschaft wie im Volke populär, sondern verschafften ihr auch die einmüthige Hochachtung des Königshauses, das ihr unbegrenzte Theilnahme widmete, die warme Zuneigung eines Thomas Moore, des Schöpfers von „Lalla Rookh“, und des gewaltigen Lord Brougham. Die unselige Ehe des Prinzen mit Karoline von Braunschweig-Wolfenbüttel wurde schon im Mai 1796 getrennt; in grausamer Selbstironie nannte die Prinzessin später ihre größte Schuld ihren Ehebruch mit dem Gemahle der Mrs. Fitzherbert. Mary Anne dagegen erhielt aus Rom die Erlaubniß, wieder mit ihm zu leben, und versöhnte sich mit ihm. Die nun folgenden Jahre waren nach ihrer Aussage ihre [27] glücklichsten, wenngleich die Finanzen des Prinzen wie die ihrigen oft höchst ungeordnete waren. Georg begegnete ihr voll Achtung, gab ihr freilich noch immer manchen Grund zur Eifersucht.

Ein Vorfall, der scheinbar keinen Bezug darauf haben konnte, trübte die guten Beziehungen; eine Freundin Mary Anne’s, Lady Horatia Seymour, ging nach Italien, um ihre gebrochene Gesundheit wieder herzustellen, und übergab ihre kleine Mary Georgiana der Obhut von Mary Anne. Die Oheime des Kindes forderten dasselbe, als es etwa sechs Jahre zählte, zurück, Mary Anne verweigerte die Auslieferung, aber die Oheime wurden im Mai 1806 in Folge einer Bill zu Vormündern bestellt. Man traute Mrs. Fitzherbert als Katholikin nicht, denn man fürchtete, sie würde dem Mädchen katholische Grundsätze beibringen. Sie wandte sich an das Oberhaus und verlangte die Vormundschaft nicht für sich, sondern für die nächsten Verwandten der Kleinen, die Familie Hertford, für die auch der von dem Kinde entzückte Prinz sprach, worauf die Peers auf Antrag des Kanzlers den Hertfords die Vormundschaft übertrugen. So kam Georg oft mit der Marquise Hertford zusammen, die auf ihn viel Einfluß gewann. Inzwischen begann die Gesundheit von Mrs. Fitzherbert zu leiden; der Prinz vernachlässigte sie und setzte sie bei Hoffesten und dergleichen hintan. Die königliche Familie verzögerte immerfort den Bruch, doch erfolgte er um 1806, und die Gatten sahen sich nie wieder. Mit welchen Gefühlen mag sie schon früher seine Thronbesteigung und den skandalösen Scheidungsproeeß gegen ihre Nachfolgerin verfolgt haben! Georg IV. gab sich jetzt alle Mühe, die Briefe und Papiere zurückzuerhalten, die in Mary Anne’s Händen lagen und die er als vernichtende Beweise seiner Schuld fürchtete. Einmal kam in seinem Auftrage Sir William Knighton zu ihr, den sie gar nicht kannte, sie lag krank darnieder, er erzwang den Zutritt, doch gelang es ihr, den Lästigen zu entfernen, ohne ihm die Papiere einzuhändigen. Als Georg IV. seine ruhmlose Regierung beschloß, sprach er im Todeskampfe viel von Mary Anne’s Bild; sie schrieb ihm, erhielt aber kein Gegenzeichen alter Gesinnungen.

Zum dritten Male Wittwe, siedelte sie nach Brighton über, wo der neue Monarch Wilhelm IV. sie alsbald besuchte. Diesem biederen Seemannskönige unterbreitete sie ihren Ehepakt und wichtige Briefe, ihn zu Thränen rührend. Wilhelm sprach ihr sein Erstaunen darüber aus, daß sie solche Dokumente besessen, aber trotz Demüthigung und Leid nicht benutzt habe, er bot ihr an, sie in jeder Weise zu unterstützen, und wollte ihr den Titel einer Herzogin verleihen, sie aber lehnte die Rangerhöhung mit dem stolzen Worte reinen Bewußtseins ab: „Ich will bis zum Grabe den fleckenlosen Namen Mrs. Fitzherbert führen.“ Der König bestand hingegen darauf, daß sie für seinen Vorgänger Trauer anlege, kam ihr, als sie ihren Gegenbesuch im Pavillon von Brighton abstattete, an den Wagen entgegen, war ihr bei dem Aussteigen selbst behilflich, führte sie bei seiner Familie ein und stellte ihr alle Mitglieder besonders vor. Er erwies ihr dauernd Aufmerksamkeiten wie keiner anderen Unterthanin, als sie von einer Pariser Reise zurückkehrte, schmückte er sie mit Juwelen; oft kam sie im vertrautesten Zirkel mit der Königsfamilie zusammen; diese Ehren wurden ihr erwiesen, weil Wilhelm und die Seinen in ihr die gekränkte Gemahlin und Wittwe Georg’s IV. erblickten. Ueber ihre Papiere verfügte sie für den Fall ihres Todes, denn sie fürchtete einen Mißbrauch derselben. Ihr hoher Sinn duldete nicht, daß fremde Blicke in ihr Allerheiligstes eindrängen; wie viel Tausende hätten die Papiere, untrügliche Beweisstücke, den Augen des neugierigen Publikums vorgelegt! Sie stand ehrenhaft davon ab.

Sie rief den Herzog von Wellington, Britanniens Wehr, und Lord Albemarle zu sich und verbrannte vor ihren Augen die Korrespondenz mit Georg und ihrem treuen Berather, dem Herzoge von York, behielt nur einen kleinen Theil ihrer Papiere, um ihren Ruf gegen Anfechtung schützen zu können, und versicherte den beiden Zeugen, weiter habe sie nun keine Briefe und Dokumente; was daher an solchen nach ihrem Tode auftauchen sollte, sei falsch und von ihnen als Fälschung zu bezeichnen. In Gegenwart Wellington’s und Sir William Knighton’s, welche die Nachlassenschaft Georg’s IV. vertraten, und der Lords Albemarle und Stourton[WS 1] legte sie die wenigen letzten Dokumente im Juni 1833 bei dem bekannten Banquier Coutts nieder, von dem sie später an Mr. Edward Southwell-Keppel gelangten; vergebens gab sich Lord William Stourton’s Bruder, Mr. Charles Langdale, Mühe, sie im seinen Besitz zu bringen, um durch ihre Veröffentlichung das Andenken einer theuren Freundin von den Verdächtigungen zu reinigen, welche Lord Holland in den 1854 erschienenen Memoiren der Whig-Partei auf sie wälzte.

Mrs. Fitzherbert lebte in Brighton in sehr guten Verhältnissen, von Seiten des Königs mit 6000 Pfund Sterling Jahresrente ausgestattet. In ihren letzten Jahren steigerten sich ihre körperlichen Leiden, sie suchte 1833 in Aachen Heilung, fand sie jedoch nicht und überwinterte in Paris. Sobald sie anlangte, begrüßte sie der Herzog von Orleans, durch seines Vaters, Ludwig Philipp’s, Hände war einst 1785 die Korrespondenz des Prinzen von Wales mit der seinen Huldigungen auf den Kontinent entfliehenden Mrs. Fitzherbert gegangen. König Ludwig Philipp und Königin Maria Amalie empfingen die alte Freundin mit aufrichtiger Herzlichkeit, sie lehnte alle Festlichkeiten ab, bewegte sich jedoch in der Königsfamilie, als sei es ihre eigene, und Ludwig Philipp überbot sich in Aufmerksamkeiten. Im Jahre 1834 kehrte sie nach England zurück, wo Wilhelm IV. seine Auszeichnungen in reichem Maße erneuerte. Sie sah viele Freunde und Freundinnen ins Grab sinken, längst waren die unglückliche Gemahlin ihres Gemahls und seine einzige Tochter dahin geschieden, als der Tod wie ein lange ersehnter Freund auch an sie herantrat und am 29. März 1837 im einundachtzigsten Jahre ihres Lebens ihre Leiden endete.

Nicht allein ihre Schönheit hatte auf Georg gewirkt; aus ihrem Geiste sprang auch mancher Gedanke in den seinen hinüber; sie gab ihm manchen Rath in der Politik, ohne je die Rolle einer leitenden Favoritin zu erzielen oder auch nur zu erstreben. Sie war das Opfer einer fürstlichen Laune, alle Blüthen ihres Lebens konnten die Dornen nicht verdecken, die in ihrem Wege lagen, und nie durfte sich Mary Anne, weder als junge Frau noch als Greisin, verhehlen, daß sie auf schwankendem Boden stand, ihre Stellung ungewöhnlich und der Mißdeutung ausgesetzt war. War auch die Royal Marriage Act nach Lord Brougham’s Ausspruch „die unseligste aller Akte, das schlechteste aller menschlichen Gesetze“, ja nach Wilberforce geradezu „verfassungswidrig und ein Hohn gegen die Majestät des britischen Reiches“, so bestand sie doch zu Kraft, und Englands Prinzen mußten ihre persönlichen Neigungen ihr zum Opfer bringen, thaten sie dies nicht, so handelten sie als Egoisten und versetzten ihre Gattin lebenslänglich in eine schiefe Stellung.

Ich will die Leser nun noch an zwei Gräber führen, welche zwei Wesen bergen, die das Leben einander feindlich gegenüberstellte und durch denselben charakterlosen Wüstling züchtigte, das eine liegt in England, das andere in der mütterlichen Erde Deutschlands. In der katholischen Kirche zu Brighton erhebt sich Mary Anne Fitzherbert’s Denkmal, gesetzt von jenem Kinde, das konfessioneller Haß von ihrem Herzen riß und das nun zu einer Mrs. Dawson Damer herangewachsen war; die bescheidene Inschrift lautet nur „Mary Fitzherbert“, aber die Hand der Statue trägt drei Ringe, um zu bezeugen, daß Mary Anne ebenso das Weib des Königs gewesen sei wie das ihrer ersten Gatten. Hier in Deutschland aber im Dome zu Braunschweig steht in der Welfengruft ein Sarg, mit verblichenem Purpur überzogen; die drinnen dem jüngsten Tage entgegenschläft, sprach als heißesten Scheidewunsch aus, sie ferne von England, daheim, zu bestatten und die Worte über ihre Hülle zu setzen: „Hier ruht Karoline von Braunschweig, die mißhandelte Königin von England.“ Lord Byron aber rief dem nichtswürdigen „ersten Gentleman“ Europas, als er in Windsor an der Asche Heinrich’s VIII. und Karl’s I. stand, die Georg überdauernden Verse, des Sängers Fluch, zu:

„Ein Heinrich seinem Weib, ein Karl der Nation,
Vereint er Beid’ in einziger Person.
Umsonst, daß sie Justiz und Tod zu Staub gemacht,
Ein Königsvampyr stirbt, ein anderer erwacht.
Was hilft das Grab? Der Beiden Blut und Staub spie’s aus
Und machte den Regenten Georg daraus.“



[28]

Der Herzensvertraute.
Nach dem Oelgemälde von Hermann Kaulbach.

[29]
Kleine Bilder aus der Gegenwart.

Wettfahrt von Segelschlitten auf dem Müggelsee bei Berlin.

Der Wassersport hat in Berlin in den letzten Jahren einen ganz bedeutenden Aufschwung genommen. Wie Pilze schießen immer neue Ruder- und Segelvereine empor. Das Wassergebiet der Oberspree eignet sich auch vortrefflich zur Ausübung dieses Sportes; die großen Seen und seeartigen Erweiterungen der Spree bieten die günstigsten Flächen dar, besonders für festliche Veranstaltungen der verschiedenen Klubs, in denen das Bootsmaterial in Konkurrenz treten kann. Selbst der Winter, welcher sonst diesen Vergnügungen ein Ziel setzte, wird jetzt verwerthet, um einem Sportzweige dieser Richtung: dem Segelschlittenfahren, zu dienen. Einige der letzten sehr strengen Winter, welche alle Wasserflächen stets mit etwa 18 Zoll starkem Eise bedeckten, führten diesem schon lange bekannten, aber wenig geübten Eissegeln neue zahlreiche Freunde zu, so daß sich die Anzahl der Schlitten sehr vermehrte. Besonders die mächtige Fläche des bei Köpenik gelegenen Müggelsees eignet sich vorzüglich zu dem gedachten Zwecke.

Hier entstand auch die Idee, Wettfahrten der Schlitten zu veranstalten, und da der Versuch im vorigen Jahre über Erwarten glückte, so wurden im laufenden Winter zahlreiche Fahrten beschlossen und werthvolle Preise für die schnellsten Segler ausgesetzt. Eine solche Wettfahrt giebt das obenstehende Bild wieder. Das Publikum ist in beträchtlicher Zahl aus Berlin herbeigeströmt, die Mehrzahl hat die Fahrt auf Schlittschuhen hinausgemacht. Viele begleiteten die Schlitten während der Wettfahrt, so gut es ihnen eben möglich war, denn der Wind wehte scharf, und die Eisjachten sausten pfeilgeschwind über die spiegelblanke Fläche. Die Bahn ist mit Strohwischen abgesteckt, um Unglücksfälle zu verhüten, da die Fischer zahlreiche Löcher in den See zu schlagen pflegen. Einigen Schlitten passirte es, daß sie umschlugen, zum großen Ergötzen des Publikums, da die Insassen einen Schaden nicht genommen hatten. Die Segelschlitten bestehen aus zwei über einander gesetzten, mit Stützen verbundenen viereckigen Gestellen, welche nach hinten spitz zulaufen. Sie ruhen auf drei Fußgestellen; die beiden vorderen sind unbeweglich, das Hintere dagegen, welches als Steuerung dient, kann nach verschiedenen Richtungen hin bewegt werden. An unsrer Ostseeküste, namentlich in Pommern, sind derartige Schlittenfahrten auf dem Eise längst bekannt, und sie dienen zum großen Theil praktischen Zwecken. Von manchen weht sogar die Regierungsflagge herab; es sind dies Zollschlitten, welche auf Schmuggler scharfe Jagd halten. Die „Gartenlaube“ hat schon einmal im Jahrg. 1880, S. 144, diese „Küstenfahrten auf dem Eise“ ihren Lesern geschildert.
E. Hosang.




Speranza.
Novelle von A. Schneegans.
(Fortsetzung.)


Nicht zu dem armen Hirtenknaben zogen Schwester Speranza’s Gedanken hin in dieser langen, langen Nacht; in andere Ferne schweifte ihre wache Seele. In ihrem jungfräulichen, sonnenbeleuchteten Gemach, wo an den Wänden die lachenden Himmelsstrahlen ein so fröhliches Licht über die auf schimmernden Goldgrund gemalten Märchenvögel und sarazenischen Wunderblumen warfen, trat jetzt der Vater wieder vor sie hin, und streng klang seine Stimme wie damals wieder: „Blandina! der Sohn des spanischen Herzogs von Gonzaga erdreistet sich, um die Hand einer sicilischen Fürstentochter zu werben. Deiner Einwilligung behauptet er sicher zu sein. Lüge ist des Spaniers Wort. Wisse, was ich ihm antwortete: ‚Den Namen ihres Vaters und Siciliens Ehre befleckt meine Tochter nicht, und mit dem Eroberer vermischt sich sicilisches Blut nur auf dem Schlachtfelde!‘ – Sprich, Blandina; hatte Dein Vater Unrecht?“

Des Vaters Kniee umklammerte laut weinend das Mädchen: „Vater! laß Dein Kind nicht wortbrüchig werden und in Jammer und Kummer vergehen! Meine Liebe schwur ich ihm zu. Nur ihm allein will ich angehören!“

Schwer aber legte sich des Vaters Hand auf ihre Schulter:

„Und einen Schwur that auch ich, und wortbrüchig wird ein sicilischer Fürst nimmermehr! Am Tage, als die Spanier dieses mein Land betraten und ein Spanier unsere Königskrone [30] auf sein Haupt setzte, da hab’ ich vor Gott und den Heiligen Haß bis zum Tode diesen Verfluchten geschworen! Den Schwur werd’ ich halten auch gegen mein eigen Geschlecht! In einem Kloster wirst Du morgen erwachen, Tochter, wo Keiner Dich finden wird – bis zu dem Tage, wo Du zurückkehren wirst in Deiner Ahnen Haus mit verändertem Sinne, und wo Du, zu meinen Fußen knieend, mir sagen wirst: Zu des Vaters Schwur schwört des Vaters Geschlecht!“

In derselben Nacht noch stand ihr jungfräuliches Gemach in Palermo verwaist, von vermummten Reitern wurde die Vermummte nach langem Ritt über Berg und Thal in eine weitentlegene Stadt gebracht, und die Thore eines Klosters fielen hinter ihr zu. Ach! hätte ihre Mutter, die längst Entschlafene, noch gelebt – so weit wäre es nicht gekommen! Wo sie war, sie konnte es nicht errathen, auf einen von hohen Mauern umschlossenen Garten sahen ihre Fenster hinaus, von fernher drang’s an ihr Ohr wie das dumpfe Getöse einer Hafenstadt. In einer weicheren, nur von Weitem an ihre eigene Sprache anklingenden Mundart redeten die Schwestern zu ihr, und auf ihre Fragen, wo sie sich befinde, was man mit ihr wolle, ertheilte ihr Niemand Antwort. Wie eine Verlassene, Verlorene kam sie sich vor in diesem Kloster. Gebrochen war aber weder ihr Muth noch ihre Liebe, und als am andern Morgen die Aebtissin in ihre Zelle trat und ihr freundlich zuredete und sie ermahnte, sich dem Willen des Vaters zu fügen, da brach wie ein wilder, lange zurückgedämmter Waldstrom der Stolz der geknechteten Fürstentochter durch, und wie eine Königin zu ihrer Dienerin, so sprach sie zu der Oberin:

„Ich kenne Dich nicht! Wer bist Du, daß Du Dich untermissest, Dich unaufgefordert der Tochter des Fürsten von Roccaguelfonia zu nähern? Oeffne mir diese Thür und laß mich meiner Wege ziehen!“

Einen andern Trotz aber erweckte in der Aebtissin Herz der Trotz dieses Kindes, und strengen Mundes herrschte sie die Verlassene an:

„Wer seinem Vater den Gehorsam weigert, der soll Buße thun in Sack und Asche. In die diesem Kloster angehörende Kirche im einsamen Felsenthale werde ich Dich heute bringen lassen, unter Schwester Josefa’s Hut wirst Du dort verbleiben, bis Dein Stolz gebrochen und Dein Herz sich des Vaters Befehlen gefügt. Und ich, von Gott und von Deinem Vater dazu ermächtigt, ich verfüge, daß von heute an die schwersten und niedrigsten Kirchen- und Klosterarbeiten dort draußen von Deiner Hand verrichtet werden sollen; wie eine Magd ihrem Herrn, so wirst Du der Kirche dienen!“ – Und: „Wehe! wenn unserer Väter Kinder den Feinden unseres Landes zu Willen sind!“ hatte sie beim Scheiden ausgerufen.

In dichtverschlossener Sänfte wurde Blandina hinausgetragen in jene Einöde. Wildzerrissen, klippenartig zum Himmel anstrebende Berge schlossen den engen Horizont ab. Aus dem schmalen Fenster ihrer Zelle schaute ihr Blick auf unwirthliche Felsgründe. Ringsum starrten steile, nackte Bergwände. Aus einer durch einen verwilderten Garten von dem Kloster getrennten Kluft schäumte, über Steingeröll, ein Waldbach hervor. Ueberall, ringsum die tiefe Stille der Bergeinsamkeit; – nur von Weitem brachte der Wind zuweilen das Klingen der Glocken einer hinter Höhenzügen verborgenen Stadt, und frische Lüfte kamen heraufgezogen, als öffne sich das Meer dort unten in weiter, weiter Ferne, und in der Nacht drang bis in die Klosterzelle das Heulen der Wölfe und der wilde Schrei der Adler über den Gipfeln.

Als am andern Morgen Schwester Josefa zu Blandina hereintrat, überreichte sie ihr das Nonnengewand, das sie von nun an tragen sollte, und mit einem andern Namen als dem ihrigen redete sie die Fürstentochter an. Schwester Speranza sollte die Verlorene heißen. „Speranza,“ sagte die Alte, „denn die Hoffnung, daß die stolze Magd von ihren sündigen Gedanken erlöst werde, befiehlt uns die heilige Mutter Gottes, die besondere Schutzpatronin dieses Klosters, nicht zu verlieren.“ Nur jenes Kreuz hatte sie ihr gelassen, welches das Mädchen am Halse trug, die Herzogskrone und das Wappen mit dem kastilischen Löwen hatte die der Welt unkundige Josefa nicht beachtet, und für ein Familienkleinod hatte Blandina dies Pfand irdischer Liebe ausgegeben. Das Kreuz solle sie behalten, hatte Josefa geantwortet, und Demuth und fromme Kindesergebung solle sie aus dessen reuiger Anbetung schöpfen.

Tage und Wochen und Monde waren verflossen. Schwester Speranza aber war geblieben wie Blandina gewesen. Von der Madonna, zu deren Dienste sie vom frühen Morgen bis zum späten Abend herangezogen war, flehte sie in inbrünstigem Beten nur Eines, daß sie nicht auf immer von ihrem Geliebten getrennt bleibe, daß des Vaters Herz sich erweiche, daß sie bald erlöst werde aus ihrem Kerker. Auf sich und auf ihre Hoffnung hatte sie den Namen, den man ihr beilegte, gedeutet. Speranza, ja! Speranza würde sie bleiben immerdar! Nur in dieser Hoffnung ihres bald wiedererstehenden Liebesglückes lebte sie, und wie diese Hoffnung sich tiefer und tiefer in ihr Herz eingrub, da zog auch allmählich ein ruhiges Ergeben in ihre Seele ein, es war, als schmölze der starre Sinn, den sie in den ersten Zeiten allen Befehlen und Zureden Josefa’s entgegengesetzt hatte. Ja, so stark, so unüberwindlich fest lag, wie auf Felsen gebaut, die Hoffnung auf ihre Erlösung, daß sie sich allmählich in allem Uebrigen geduldig dem Willen der Oberin fügte. Was die Oberin befahl, das war ja nur der heiligen Mutter Gottes Befehl!

„Barmherzige Madonna!“ betete Schwester Speranza Abends und Morgens vor dem Altar, wenn sie die schweren Kirchenarbeiten verrichtet hatte, „Dir gehorche ich gern, Dir folge ich willig, denn ich weiß, daß Du es gut meinst mit Deinem Kinde. Prüfen willst Du meine Liebe, ob sie Alles zu ertragen stark genug sei! Und Alles, Alles werde ich erdulden, o himmlische Dulderin, um Dir zu beweisen, daß ich die geschworene Treue immer und ewig halten kann!“

Keine lebende Seele verkehrte mit den Schwestern, außer dem alten Klosterbauer und seinem kaum fünfzehnjährigen Knaben. Letterio besorgte ihnen das Essen und überbrachte zweimal wöchentlich die Befehle der Oberin und die Berichte Josefa’s. Er wohnte in der Nähe der Kirche, in einem halbverfallenen Häuschen hinter dem Garten und dem Platanenwäldchen. Dort bebaute er den Rest der ehemaligen Klosterfelder. Nino hütete des Vaters Ziegen und führte die kleine Herde jeden Morgen die steilen Bergwände hinan, bis hoch hinauf auf die Höhen, wo fettes Gras und duftende Waldkräuter wuchsen. Zu der schönen, so lieblich und doch so traurig zu ihm herniederblickenden Schwester Speranza zog es den Knaben wie mit einer wunderbaren Verehrung und Anbetung hin.

Wie eine Heilige, wie die Himmelskönigin selber erschien sie ihm, so hehr, so königlich, und doch so wonniglich mild und hold dabei, daß es dem Hirtenknaben war, jedesmal wenn er sie wieder erblickte, als müsse er zu ihren Füßen hinsinken und als gäbe es kein größeres Glück auf Erden, als leben und sterben zu dürfen für sie.

Wie Josefa gewahr geworden, daß des Mädchens trotziger Sinn sich allmählich zu erweichen begann, hatte sie auch nachgelassen von ihrer ersten Strenge und Speranza erlaubt, sich unter den Bäumen bis zu der Quelle in der Felsenkluft zu ergehen. Von den Bergen zog da an jedem Abend der kleine Nino zu dem Waldbache herunter, zu Speranza’s Füßen setzte er sich, verloren in stiller Anbetung, und froher kehrte er zum Vater zurück, wenn bei seinem kindlichen Plaudern Schwester Speranza’s Traurigkeit, wie eine Wolke vor dem heitern Sonnenstrahle, gewichen und wenn in sein sehnendes Auge ein Lächeln ihres Blickes gefallen war. Von dem ahnungslosen Hirtenknaben hatte Speranza erfahren, wo sie sich befand, und daß die Stadt dort, hinter den Bergen, Messina war, und daß dort das Meer sich eröffnete, das weite, weite Meer, über dessen Rücken so viele Schiffe zogen mit ihren farbigen Wimpeln und ihren weißen Segeln. Das Meer! die Freiheit! Ach! wer bis zum Meeresufer hinunter käme, wer dem helfenden Winde die helfenden Segel öffnete! Ach, wer hinausflöge über die blaue, leuchtende Fläche, bis dorthin, zur großen Stadt im Westen, wo Marmortreppen hinunterzogen zur tosenden Fluth, wo der Geliebte sie erwartete, wo neu erblühen würde ihr Leben! – „Kennst Du Jemanden in der Stadt?“ hatte Speranza den Knaben gefragt; „giebt es spanische Ritter und Edelleute dort?“ – Aber was kümmerten den Hirtenknaben Ritter und spanische Edelleute? Der weidete seine Ziegen auf hohen Bergestriften und kaum einmal im Jahr, beim Feste der Madonna, durfte er mit seinem Vater nach Messina wandern. Wie durch ein Traumgesicht zog dann das flimmernde, tosende, rauschende Leben der großen Stadt an seinem Geiste vorbei, und wie aus einer beängstigenden und beklemmenden Fieberphantasie [31] drängte es ihn heraus aus dem Menschengewimmel, zu seinen Bergen, wo die goldene Sonne über alle Gipfel strahlte, wo die duftenden Blumen im Morgenthau erglänzten, wo er sein Lied aus voller Kehle über Klüfte und Höhen erschallen lassen konnte, daß es widerhallte in hundertfachem Echo – wo er am Waldquell, dort unten im kühlen Abendschatten, bei Schwester Speranza sitzen und den wunderbaren Märchen lauschen durfte, die sie ihm erzählt, von Rittern und Königinnen, von bösen Zauberern und verwunschenen Prinzessinnen! Saß sie nicht selber vor ihm wie solch eine verwunschene Prinzessin, in ihrer hohen, lieblichen Würde, mit ihrem Antlitz, drauf ein Schimmer von königlicher Hoheit zu ruhen und mit ihrem Auge, draus ein Strahl von himmlischer Liebe zu blitzen schien?

„O Schwester Speranza,“ hatte er einmal zu ihr gesagt, als sie sich erhoben und ihm zum Scheiden die Hand gereicht hatte; „bleib’ immer hier im Kloster und niemals denke daran, es zu verlassen; denn wo Du bist, ist Leben und Sonne, und solltest Du abziehen von hier, mir wäre es, als fiele der Deckel meines Sarges über mir zu!“

Mit stillem Sinnen war bei diesen Worten ihr Auge auf dem Knaben ruhen geblieben; liebkosend hatte ihre Hand in seinen Locken gespielt, und leise hatte sie vor sich hingeflüstert: „Armes Kind!“

Aber wild war da der Knabe aufgesprungen.

„Ein Kind?“ hatte er ausgerufen; „ein Kind bin ich nicht mehr! Und wollte es die Madonna, wohl würde ich Dir es beweisen!“

Bewiesen hatte er es an diesem Tage, wo er mit dem Feldsteine des Ungethüms Kopf zerschmettert hatte. Von oben, aus dem letzten Bergesvorsprung, hatte er Speranza’s Schrei gehört.

„Madonna!“ rief sie schreckensvoll, und ein anderer Name noch war ihren Lippen entflohen, ein Name, den er nicht kannte, nicht verstand. „Gonzaga, zu Hilfe!“

Und über das Felsengeröll war er geflogen, in wildem, jähem Sprunge – und ein Kind durfte Speranza ihren Retter nicht mehr nennen!

Auch Nino lauschte an diesem Abende in seines Vaters Hütte dem langen, langen Läuten der Ave Maria-Glocke, und andächtig betete er zur Madonna; denn besser als die Andern wußte er ja, warum Schwester Speranza das Glöcklein so lange ertönen ließ; sie dankte der heiligen Jungfrau für ihre wunderbare Errettung, und auch seiner gedachte sie in ihrem Gebet! Auf seine Lippen preßte Nino das goldene Kreuz; Thränen rollten aus seinen Augen auf die weißen Perlen, und still betete er zur Madonna: „Segne und beschütze auf immer die Schwester Speranza, mein einziges Heil und meine einzige Liebe!“

Als er aber am andern Morgen mit seinen Ziegen auszog und ihn sein Weg wie gewöhnlich vor der Klostermauer vorbei führte, und als er mit lauter Stimme Speranza’s Namen zum kleinen Fenster hinaufrief, da war es nicht Speranza, die ihm antwortete, sondern die alte Josefa:

„Ziehe Deine Wege, Nino,“ rief sie ihm durch ihren halb geöffneten Fensterladen herunter, „und laß mir Schwester Speranza in Ruhe! Zum spanischen Ritterspielen bist Du zu jung und gegen die reißenden Wölfe bedürfen wir Deiner nicht!“

Schmetternd fuhr der Fensterladen zu; Nino aber blieb stumm an der Mauer stehen. Was wollte die alte Josefa mit dem spanischen Ritterspielen meinen? Das seltsame Räthselwort vermochte er zuerst nicht zu verstehen; als er es aber zu deuten versuchte, da ward es ihm, als gerinne all sein Blut in seinen Adern und als wolle sein Herz zerspringen. Ein spanischer Name war es, der gestern hilferufend an sein Ohr geschlagen war!

Wie ein ängstliches Fragen klang’s an diesem Abend durch seine Stimme, als er unter dem jetzt geöffneten Fenster Speranza’s Namen hinaufrief. Von dort antwortete aber Niemand. Aus der Kirche tönte ein leises Beten. Bis zur Schwelle trat er zögernd; dann wandte er seine Schritte zu seines Vaters Haus. Einen Strauß von duftenden Thymianblumen, den er auf den Bergen gepflückt hatte, warf er aber durch das offene Fenster in Speranza’s Zelle.

Dem alten Letterio bedeutete am folgenden Morgen Schwester Josefa, sein Sohn thäte besser daran, seine Ziegen zu hüten, als den Klosterjungfrauen Blumen durchs Fenster zu werfen; was er thue, wisse er freilich nicht; Nino sei ja noch ein halbes Kind; der Vater aber verstehe schon, was sie meine, und die Schwestern wie gewöhnliche Mädchen zu behandeln, mit denen man verliebte Scherze treiben dürfe, das solle der Vater dem Knaben untersagen.

„Und wenn ich der Schwester Speranza Blumen bringen will, wer darf mir es wehren?“ erwiderte trotzig dem Vater der junge Hirt; „mit Blumen schmückt man auch den Altar der heiligen Jungfrau Maria; und was für die Madonna erlaubt, das wird doch wohl für Schwester Speranza nicht verboten sein! Und von der alten Josefa laß ich mir erst recht nichts verbieten!“

Und sie mochte es anfangen wie sie es auch wollte, jeden Morgen und jeden Abend lag ein Thymianstrauß auf Schwester Speranza’s Gesimse oder mitten in ihrer Zelle, auf dem Estrich; und gerade auf dem Berge, der dem Kloster gegenüberlag, weidete von nun an Nino seine Ziegen; unverwandten Blickes schaute er nach Speranza’s Fenster; mit lauter Stimme jubelte er ihr seinen Gruß zu, wenn er sie von weitem erblickte, und jubelnd zog sein Singen bis hinter die Mauern ihrer Zelle, wenn Josefa vor dem zudringlichen Sänger die Fensterläden schmetternd schloß. Speranza aber mußte traurig vor sich hinlächeln, wenn sie hörte, wie Nino ihren Namen in alle seine Lieder hineindichtete, und wie im wiederkehrenden Schlußverse des alten Volksliedes, das er jeden Abend wie einen Schlafgruß zu ihr hinauf sandte, immer und immer wieder ihr Name wiederklang:

„Sterb’ ich einmal, so kommen die Doktoren, und suchen, ob am gebrochenen Herzen ich starb. Und siehe! mit scharfen Messern öffnen sie meine Brust. Ein Herz aber finden sie nicht darin. Mein Herz, mein Herz, es liegt in Deiner Brust, Speranza! und zwei Herzen hast Du jetzt, Speranza! das Deinige und das meinige dazu!“

(Fortsetzung folgt.)




Sagen und Gebräuche aus dem Paznaunthal.
(Schluß.)


Wenn man erwägt, daß man sich in einem Hochthale befindet, dessen Hauptorte Ischgl 1442 Meter und Galthür 1537 Meter hoch liegen, und daß rechts und links vom Thale, das manchmal nur die Breite des Trisannabettes hat, mächtige Berge sich himmelhoch emporthürmen, dann kann man sich auch alle Fährlichkeiten vergegenwärtigen, welche ein solches Thal heimzusuchen pflegen. Wer aber noch keine Vorstellung von den Mühseligkeiten des Lebens in den Bergen oder von der Vorsicht hat, welche man gebrauchen muß, der mag sich von dem rührigen Postmeister in Ischgl in den Abendstunden bei einem Glas trefflichen Tirolerweins davon erzählen lassen. Aber trotz aller Vorsicht können nicht alle Unglücksfälle verhütet werden. Im menschlichen Leben geht es indeß so: von dem Unglück der Einen leben die Andern. So hat auch im Paznaun das Unglück eine eigenartige Kunst, freilich in der primitivsten Form, hervorgerufen, deren Vertreter der Tuifele-Maler ist. Einen solchen Kollegen, eine Charakterfigur des Thales, hat Mathias Schmied gezeichnet, wie er gerade mit den Werken seiner Kunst hinauswandert, um sie abzuliefern (vergl. S. 33). Reich, das sieht man ihm an, macht seine Kunst nicht, und kostbare Leistungen sind seine Werke auch nicht; aber er ist mit seinem Erwerbe zufrieden, denn er hat Absatz. Es sind zum Theil „Marteln“, welche an ein Unglück erinnern oder sich mit dem Jenseits beschäftigen, indem der Tuifele-Maler in der bekannten drastischen Weise „die armen Seelen im Fegfeuer“ anschaulich macht, um die Vorübergehenden sowohl zum Gebete für dieselben zu veranlassen, wie an ihr eigenes Seelenheil zu erinnern. Es kommt mir vor, wie wenn dieses Bild von einem eigenartigen Humor durchhaucht wäre. Und es kann in der That nicht anders sein. Ist es doch schon in hohem Grade drollig, wenn eine Geisterhand einen Tuifele-Maler sich zum Gegenstande nimmt und so vollendete Kunst und die Leistung eines Dorfpfuschers zugleich zur Darstellung bringt. Der Kontrast springt in die Augen und muß nothwendig erheiternd wirken. Hoffentlich ist aber der Tuifele-Maler kein verkanntes Genie, der es Mathias Schmid verübelt, seine bescheidene Wirksamkeit der großen Welt enthüllt zu haben, sondern freut sich herzlich, daß ihm dieses Glück widerfahren ist. Für die Paznauner ist auch er ein Bedürfniß und füllt seine Stelle aus. Ihr Thal kann wohl grosse Künstler hervorbringen, aber nicht beschäftigen.

[32]

Professionswallfahrerinnen.
Originalzeichnung von Mathias Schmid.


Uebrigens brauchen nicht einmal außerordentliche Unglücksfälle einzutreten, der Tod bringt schon gar Manches mit sich, wovon wir in der Ebene keine Ahnung haben. Die Paznauner Chronik merkt es daher wie einen wohltätigen Fortschritt und eine ungemeine Erleichterung an, daß Galthür seit 1383 einen eigenen Geistlichen erhielt und man von dieser Zeit an nicht mehr die im Winter Verstorbenen im Hause behalten und gefrieren lassen mußte, um sie erst im Längetes (Lenz, Frühjahr) nach dem Pfarrorte Steinsberg im Unterengadin zu bringen. Man kann sich denken, welche herzzerreißende Scenen da vorkommen mußten; denn auch der Bergbewohner hat ein Gemüth, und es ist in der Regel sogar weniger abgestumpft als das unserige. Mathias Schmid hat uns eine solche Scene geschildert. Der Tod hat eine Braut in der Jugendblüthe hinweggerafft. Dem Bräutigam hätte schon darüber das Herz brechen mögen; aber ihm ist es nicht einmal, wie Anderen, gegönnt, daß die Zeit den Schmerz heilt. Jeder Tag wühlt ihn aufs Neue auf; denn diejenige, welche er heimführen wollte, ist zwar noch im Elternhause; aber entseelt und zu Eis gefroren liegt ihr Körper dort oben auf dem Boden, an dem er täglich, ja stündlich vorbeikommt, den er stets vor Augen haben muß; und in der Einsamkeit des Winters bohrt sich der Schmerz immer tiefer in sein wundes Herz. Doch endlich schmilzt der Schnee unter dem warmen Strahl der Frühlingssonne – auf ihn aber, auf sein Herz

[33]

Der Tuifele-Maler.
Originalzeichnung von Mathias Schmid.

[34] wirkt er nur eisig kalt. Es ist für denselben ja der Tag gekommen, an dem seine Liebe hinausgetragen werden soll, um endlich in die Erde gebettet zu werden. Nochmals blickt er ihr ins Gesicht, und dann bricht er vor Schmerz an ihrem Sarge zusammen. Ja, das arme Menschenherz muß viel ertragen!

Die Leser der „Gartenlaube“ wissen schon, daß in Paznaun kein Reichthum zu suchen ist. Allein das Zeugnis muß man den Bewohnern doch geben, daß sie sich anständig ernähren. Man sieht keine Ruinen als Häuser, sondern überall ist Alles gut gehalten, herrscht Reinlichkeit und Sauberkeit, und wenn das Völklein „gesund und freßmunter“ ist, so kann es auch heiter und witzig sein. Was aber am allermeisten überrascht, das ist der gänzliche Mangel an Bettlern, im Lande Tirol gewiß eine kaum glaubliche Erscheinung. Doch eine typische Figur in Tirol, die ich sonst nur noch in der katholischen Schweiz gesehen, findet sich gleichwohl in Paznaun – die Professionswallfahrerin um Geld (vergl. S. 32). Sie ist ein altes Weib, das gerade ein junges Mädchen zurückhält, um noch ein Herzensgeheimniß, das der Gnadenmutter zur Erhörung vorgetragen werden soll, zu übernehmen. Der heilige Gang geht entweder nach Maria-Einsiedeln in der Schweiz oder nach Absam bei Hall, und das Geschäft besteht darin, daß das Weib kirchliche Uebungen um Geld für Andere übernimmt und besorgt. Der Bauer oder vielleicht auch der Schwärzer, die Mutter mit einem Haufen Kinder, die Söhne und Töchter haben nicht immer Zeit, Wallfahrten zu machen, an den berühmten Wallfahrtsorten Ablässe zu gewinnen, den dortigen Gnadenbildern ihre Anliegen vorzutragen und etwa an ihrem Altare auch Messen lesen zu lassen. Sie thäten es gern und haben es vielleicht auch gelobt; allein es will sich durchaus nicht schicken. Da tritt nun die Professionswallfahrerin als Vermittlerin ein. Wie eine Botengeherin nimmt sie die Aufträge entgegen oder fragt solchen nach. Sie treibt das Geschäft, das ihr selbst einen gewissen Heiligenschein verleiht, schon lange, und man war mit ihr stets zufrieden. Es fehlt ihr darum auch nie an Aufträgen aller Art, und wo sie einkehrt, sieht man sie gern und gewährt ihr Mittagessen und Nachtquartier. Kommt sie dann von dem Gnadenorte zurück, so bringt sie auch die Neuigkeiten von dort mit, namentlich allerlei Wundergeschichten, welche an solchen Orten ja nie ausgehen. Das Geschäft ist übrigens einträglich für die Professionswallfahrerin, um so weniger Vortheil haben davon die Auftraggeber, wenn jene, woran jedoch manche zweifeln, ihre Aufträge auch wirklich besorgt. Es ist aber einmal eine Tiroler Specialität, welche so schnell nicht verschwinden, sondern für das Land typisch bleiben wird. – –

Die gefrorene Braut.
Originalzeichnung von Mathias Schmid.

Nach einer Reihe genußreicher Tage, in welchen ich die oben mitgeteilten Studien gesammelt, nahm ich von Mathias Schmid wieder Abschied. Mit köstlichen Erinnerungen kam ich über Silz nach Kufstein zurück. Aber jetzt erst sollte ich innewerden, welch eine wunderbar kräftigende Luft man in Paznaun athmet. Kurz vorher höher als Brennerbad (1313 Meter) oder Schuls bei Tarasp (1215 Meter), war ich jetzt um beinahe 1000 Meter tiefer (Kufstein 487 Meter); ich glaubte es anfänglich hier nicht wieder aushalten zu können. Die Kufsteiner selbst aber, denen ich auf ihre neugierigen Fragen von der großartigen Schönheit ihres heimathlichen Thales Paznaun erzählte, wollten mir durchaus nicht glauben und werden es wohl nie glauben. Einen Abbruch thut das aber dem Paznaun nicht.

Prof. Dr. J. Friedrich.     

Buttersäure – Magensäure.

Es möge erlaubt sein, in dem verbreitetsten Familienblatt auch einmal ein Thema anzuregen, dessen Wichtigkeit viele Tausende im Magen spüren, ohne gewöhnlich sich recht klar darüber zu sein.

Graf Münster sagt in der Vorrede zu dem bekannten Kochbuch seiner Frau unter Anderem Folgendes:

„In deutschen Küchen ist man mit dem Fleisch gewöhnlich sehr sparsam, dagegen verschwenderisch mit Butter, und wenn man bedenkt, daß ein Pfund Butter ungefähr so viel kostet wie zwei Pfund Fleisch, so zeigt das deutlich, daß auch die Oekonomie eine nicht richtig verstandene ist.“

Wir möchten gegen diese Eigenart unsrer Küche durchaus nicht ankämpfen; denn frische Butter ist ein sehr gesundes Nahrungsmittel, und erst in neuester Zeit hat Professor Dr. von Krafft-Ebing in seinem Buch über „Gesunde und kranke Nerven“ nachgewiesen, daß der geistige Arbeiter in unserem Jahrhundert seine Leistungen nicht vollbringen kann ohne ausgiebige Fleisch- und Fettnahrung; ja der amerikanische Arzt Beard behauptet sogar, daß der geringe Fettreichthum der Nahrung bei der heutigen Generation mit eine Ursache ihrer zunehmenden Nervosität sei. „Thatsächlich,“ erklärt er, „haben unsere Vorfahren eine fettreichere Kost genossen, und zweifellos sind, neben dem Eiweiß, die Fettstoffe die wichtigsten Ingredienzien in dem chemischen Laboratorium unserer Gedanken – der Hirnrinde. Auch ist den Aerzten für Nervenkranke der wohlthätige Einfluß des Genusses von Fetten wohlbekannt und Leberthran für solche Kranke ein wichtiges Heilmittel, vielleicht viel wichtiger als für den Lungenkranken.“

Das Fett ist also in jedem Fall für uns ein sehr wichtiger Nahrungsstoff; leider ist es sehr wahr, daß die Durchschnittsküche, ganz besonders die Gasthofsküche, es mit der Gewissenhaftigkeit nicht sehr genau nimmt und von der Idee auszugehen scheint: Fett ist Fett!

Wie oft wird schlechte, ranzige Butter zur Bereitung von Speisen und zum Backen verwendet! Was aber jene Fetttöpfe in den Küchen verschulden, wo das überflüssige Fett immer wieder abgegossen wird zu erneuertem Gebrauche: das ist allgemeines Küchengeheimniß, und viel tausend verdorbene Mägen führen ihre Leiden zum großen Theil zurück auf diese Rücksichtslosigkeit, um keinen schlimmeren Ausdruck zu wählen.

Leider wird bei uns der Erzeugung von Butter im Großen und Ganzen noch zu wenig Aufmerksamkeit gezollt. Die Ursache davon liegt theils im Mangel an Verständniß, theils in jenem bei unseren Bauersfrauen althergebrachten Schlendrian, der zwischen Unwissenheit und Eigennutz die Mitte hält.

So begegnet man sehr oft dem landläufigen Gebrauch, die Butter nicht gehörig auszukneten, so daß viele wässerige Bestandtheile, Buttermilch, darin zurück bleiben: ein Umstand, der es ganz allein verschuldet, daß die Butter sich besonders im Sommer kaum ein paar Tage hält und dann ranzig wird.

Ist es aber nicht eine jämmerliche Kurzsichtigkeit, die Buttermilch bloß deshalb nicht gehörig aus der Butter herauszuschaffen, weil das Bischen Wasser mit ins Gewicht geht?

Glücklicher Weise haben bereits zahlreiche Molkereien angefangen, die Butter mit der Centrifugalmaschine zu bereiten, mittelst welcher auch das letzte Atom Wasser aus der Butter herausgeschleudert wird, wodurch diese viele Wochen sich hält, ohne ranzig zu werden.

Dennoch giebt es ein Mittel, um auch die ranzig gewordene Butter unschädlich und genießbar zu machen, und das ist das Auslassen derselben auf gelindem Feuer zu dem sogenannten Butterschmalz. Wir möchten namentlich die Gastwirthschaften auf die Vorzüge dieses Verfahrens aufmerksam machen; denn durch das Schmelzen der Butter werden alle Unreinigkeiten und sauren Bestandtheile auf dem Boden abgesetzt, so daß die überstehende klare, goldgelbe Flüssigkeit ein ganz neutrales, reines Fett repräsentirt, das sich über Jahr und Tag unverändert gut hält.

Allerdings ist es nicht rathsam, das Butterschmalz so ohne Weiteres fertig zu kaufen, wenn man nicht ganz zuverlässige Bezugsquellen zur Hand hat, da dasselbe vielfach mit Unschlitt untermischt wird. Wer also die allerdings etwas theurere Butter von der Centrifugalmaschine nicht haben kann, der thut besser, sich seinen Bedarf an Butter im Sommer fürs ganze Jahr auf dem Wochenmarkt zu kaufen und sie auf gelindem Feuer zu Butterschmalz selbst auszulassen; er ist dann wenigstens sicher, für das ganze kommende Jahr ein reines und gesundes Fett im Kasten zu haben, bei dem Niemand Gefahr läuft, sich den Magen zu verderben und das so überaus lästige Sodbrennen zu bekommen. E. B.     


[35]

Blätter und Blüthen.

Die Barbarina. Die hundertjährige Jubelfeier des Berliner Hoftheaters hat nicht nur zahlreiche Schriften über diese letzten hundert Jahre hervorgerufen, sondern auch die Blicke noch weiter zurück auf Berliner Theaterzustände im 18. Jahrhundert gelenkt, und da tritt die Italienische Oper mit ihrem Ballet und die gefeierte erste Tänzerin desselben, die Barbarina, in den Vordergrund.

Jede Zeit hat ihre Theaterberühmtheiten, und es ist nicht immer die künstlerische Begabung und Leistung, was solchen Ruhm verschafft; bisweilen trägt auch die Chronik der Erlebnisse und Abenteuer dazu bei, den Bühnengrößen ein so glänzendes Relief zu geben. So war’s auch mit der Barbarina; wir wissen wenig darüber, worin die Vorzüge ihres Tanzes bestanden haben; aber wir wissen, daß sie eines der wenigen weiblichen Wesen war, welche dem großen Friedrich ein mehr als vorübergehendes Interesse einflößten. Und der große Friedrich hatte mit Bezug hierauf nichts gemein mit dem großen Ludwig und seinen Nachfolgern; nicht die Arabesken einer Skandalchronik rankten sich um das Portrait des geschichtlichen Helden; er galt eher für einen Weiberfeind und nur sehr wenige hochgestellte Damen konnten seiner Gunst sich rühmen.

Lieblich und anmuthig war sie gewiß, diese Barbarina: das verrathen uns die wenigen Bilder, die wir noch von ihr besitzen. Eins ihrer Bilder, von Pèsue gemalt, hing im Schreibzimmer des Königs, ein anderes Bildniß, ein Pastellbild von Carriera Rosalba befindet sich in der Dresdener Galerie: es war jedenfalls eine sylphenhafte Erscheinung von gewinnender Grazie.

Signora Barbara de Campanini.
Aus dem Werke: „Geschichte der Oper und des königl. Opernhauses in Berlin“. (Verlag von Duncker und Humblot in Berlin.)

Schon ehe sie nach Berlin kam, hatte die Signora Barbara de Campanini – so war ihr eigentlicher Name – in Weltstädten wie Paris geglänzt und das Publikum der marmornen Meeresstadt Venedig bezaubert. Hier hatte sie der preußische Geschäftsträger 1744 für 8000 Thaler nach Berlin engagirt, und dies Engagement war durch einen feierlichen Kontrakt festgesetzt worden. Die Barbarina aber liebte einen Hochlandssohn, den Schottländer Mackenzie, und als dieser erklärte, sie heirathen zu wollen, da brach sie den Kontrakt und kümmerte sich nicht weiter um ihr Berliner Engagement. Es gab zwar damals keine Bühnenkartellvereine, welche widerspenstige Künstler zur Raison bringen konnten; aber der König von Preußen besaß Macht genug, um Kontrakte, die mit ihm abgeschlossen wurden, aufrechtzuhalten. Er verlangte vom Senat der Dogenstadt, daß er die Tänzerin zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeit zwingen solle, und als dieser sich in der Angelegenheit lässig und saumselig zeigte, ließ er das ganze Gepäck des für London bestimmten venetianischen Gesandten Campello mit Beschlag belegen. Nun mußte die Tänzerin die unfreiwillige Reise nach Berlin wie eine Staatsverbrecherin unter militärischer Eskorte antreten. Der Senat von Venedig ließ sie durch eine Wache bis an die österreichische Grenze begleiten; von Wien aus brachte sie eine österreichische Eskorte an die sächsische Grenze, von dort sächsische Soldaten an die preußische. Mackenzie folgte ihr überall wie ihr Schatten; aber in Berlin war seines Bleibens nicht; er mußte Preußen verlassen und nach London zurückkehren. Er war übrigens ein Freund und naher Verwandter Lord Bute’s und hat diesem ohne Zweifel seinen eigenen Haß gegen den großen König eingeflößt und demselben so eine einflußreiche erbitterte Gegnerschaft zugezogen. Die Barbarina gefiel dem König ungemein: er setzte ihr ein Gehalt von 12 000 Thaler aus, ein für jene Zeit ausnehmend hohes Gehalt, das auch noch heutigen Tages die kühnsten Wünsche der Jüngerinnen der Terpsichore befriedigen würde. Er sandte ihr zärtliche Briefe, in denen er sie seine charmante Barbarina nannte und ihre schönen Augen pries; er speiste oft mit ihr an der sogenannten Konfidenztafel, in vertraulicher Gesellschaft, zu Abend oder nahm bei Hofmaskenbällen den Thee mit ihr in ihrem Kabinett ein.

Die schöne Tänzerin hatte natürlich eine große Zahl von Anbetern, und darunter waren alle Nationen vertreten. Einer ihrer leidenschaftlichsten Verehrer war der junge Cocceji, der Sohn des Großkanzlers, eines würdigen Mannes, dessen Name noch heute von allen preußischen Juristen mit Andacht genannt wird, da er sich um die Reform des preußischen Justizwesens große Verdienste erworben. Der junge Cocceji war ein Riese von seltener Körperkraft und hatte seinen Platz dicht vor der Bühne. An seiner Seite saß ein Nebenbuhler, der sich auch um die Gunst der Barbarina bewarb. Cocceji glaubte eines Tags, 1778, zu bemerken, daß diese seinem Nachbar freundlichere Blicke zuwarf als ihm. Alsbald, von eifersüchtiger Wuth entbrannt, ergriff er diesen, hob ihn wie ein Kind in die Höhe und warf ihn der Signora auf die Bühne herab. Der König, der in seiner Loge saß, ließ trotz dieses merkwürdigen Skandals, der in der Theatergeschichte wohl kaum seinesgleichen haben dürfte, ruhig weiter spielen. Doch am nächsten Tage wurde der junge Schwärmer zum König gerufen und nach Glogau verbannt, und zwar, trotz seiner Jugend, schon mit dem Charakter eines Geheimen Justizrathes. Dem König hatte die Heldenthat des jungen Simson gefallen – weniger gefiel es ihm, daß dieser das Jahr darauf die Barbarina heirathete. Die Ehe dauerte vierzig Jahre und wurde erst nach dem Tode des Königs geschieden. Dann wurde die Tänzerin zur Gräfin Campanini erhoben. Sie besaß mehrere Güter in Schlesien, die sie einem Fräuleinsstift vermachte.

Eine Barbarina im neunzehnten Jahrhundert hätte gewiß wie die Sarah Bernhard ihre Denkwürdigkeiten verfaßt; was wir aber von jener gefeierten Theaterschönheit wissen, können wir uns nur aus den Werken ihrer Zeitgenossen zusammentragen. †     

Die Verdurstenden in der Wüste. Der jüngst verstorbene ausgezeichnete Reisende Nachtigal hat bei seinen afrikanischen Wanderungen oft die größten Beschwerden und Gefahren erduldet, wie sie seine soeben veröffentlichten Aufzeichnungen „Gustav Nachtigal’s Reisen in der Sahara und im Sudan“ (Leipzig, F. A. Brockhaus) in spannender Weise schildern. Als er von Tripolis aus seine Reise nach Bornu durch Gegenden antrat, die bisher selten eines Wanderers Fuß betreten, als er in das unbekannte Land Tibuti eingezogen war: da hatte sein Führer Kolokomi sich in der Berechnung der Entfernung bis zu einem Flußthal, wo die Wasservorräthe erneuert werden konnten, geirrt; das Wasser in den Schläuchen ging auf die Neige, und so rastlos die Wanderer mit ihren Kamelen vorwärts eilten, kein rettender Brunnen wollte sich zeigen. Hoch stieg die Sonne, der grausamste Feind der Verdurstenden, und sandte erbarmungslos ihre Strahlen auf die dunkelfarbigen Felsen am Ufer und den hellen Sand zwischen denselben, so daß durch Strahlung und Rückstrahlung ein Meer von Gluth entstand, in welcher alle vorübergehend aufgeflackerte Thatkraft wieder verschwinden mußte. Fürchterlich wurde der Durst. Mund, Nase, Hals und Kehlkopf verloren den letzten Rest von Feuchtigkeit; enger und enger schien sich um Schläfe und Stirn ein eiserner Ring zu legen; die Augen brannten schmerzhaft, die Ermattung war grenzenlos. Und zum Unglück standen auch hier und da im Flußsande einzelne Sejalakazien, mit deren Schatten die Kamele zu liebäugeln begannen, bis sich die Thiere in das stachelige Geäst niederlegten und durch nichts mehr bewegt werden konnten, ihren Platz aufzugeben. Der Führer Kolokomi war voraus geritten, um irgendwo Wasser aufzuspüren.

Nachtigal schildert uns seinen eigenen Zustand und den der Gefährten während des langen Harrens. Bei den zwei Negern stellte sich alsbald ein Zustand bedenklichen Delirirens ein, und besonders Sa’ad erging sich in bitteren Vorwürfen über die Reise in ein so gräßliches Land. Der Italiener Giuseppe aber erhob sich endlich aus dumpfem Brüten und stürzte mit geladenem Revolver und der Ankündigung fort, daß er nicht gewillt sei, so thatenlos seinen Untergang zu erwarten, sondern entweder Wasser finden oder mit diesem Irrführer Kolokomi abrechnen wolle. Nur der alte Mohammed blieb immer in derselben ruhigen Fassung und klammerte sich an seine fatalistische Weltanschauung. Als am späten Nachmittage noch immer kein Wasser sich zeigte, erlosch auch in Nachtigal die bisher aufrechterhaltene Hoffnung. Es war so still weit um ihn her, und nicht das leiseste Geräusch störte dieses Grabesschweigen der Natur; kein Windhauch bewegte die Blätter und Zweige der wenigen Bäume; keine Regung irgend eines Lebens milderte das starre todte Aussehen der düster aufragenden Felsen. Wie sehr er auch gegen den Gedanken eines so frühen Endes seiner innerafrikanischen Laufbahn sich Tage hindurch gewehrt hatte, überwältigte ihn doch endlich die Erschöpfung, und er verfiel in einen Zustand des Traumwachens, der in solcher Lage dem Ende vorherzugehen pflegt.

Da sah er in seinem Fieberzustand mit einem Male ganz deutlich eine mächtige Ziege auf die Akazie losspringen, und auf dem gewaltigen Thiere saß eine menschliche Gestalt. Ja, ein Mensch war es in der That, und zwar ein heißersehnter, kein anderer als der Abgesandte auf seinem Kamele – und das Kamel brachte Wasser, zwei Schläuche voll Wasser, dessen bloßer Anblick den verschmachtenden Menschen helle Thränen der tiefsten Rührung entlockte. Wie durch eine zauberhafte Berührung waren Nachtigal und Sa’ad sofort aus ihren Phantasien erwacht. Nachdem Mustapha ein Dutzend Zwieback in die Trinkgefäße gebrockt, da es zuträglicher war, nach langem Durste erst etwas feste Nahrung zu sich zu nehmen, sogen sich alle voll des „köstlichsten aller Getränke“, welches diesmal so schmutzig war, daß sie es an anderen Tagen nicht angerührt hätten. Alle bisherigen Körperleiden waren nach dem ersten ausgiebigen Trunke völlig verschwunden. †     

[36] Die Elektricität im Kleinen. Die Verwendung der Elektricität für technische Zwecke gewinnt eine unerwartet rasche Ausbreitung. Namentlich auf dem Gebiete der elektrischen Beleuchtung sind äußerst interessante und wichtige Thatsachen zu verzeichnen. Bis jetzt waren wir gewohnt, die Großstädte als Vorkämpferinnen des Fortschritts anzusehen, und die Annahme war auch allgemein verbreitet, daß das elektrische Licht in diesen zunächst seine glänzenden Triumphe feiern und erst von dort aus sich über die kleinen Städte und das platte Land verbreiten werde. Während jedoch die Centralbeleuchtung der Großstädte vermittelst der Elektricität, von wenigen Ausnahmen abgesehen, noch in den Kinderschuhen steckt, wußten bereits einige ganz kleine Ortschaften die neue Erfindung zu ihrem Nutzen zu verwenden. Die Stadt Darkehmen[WS 2], in welcher bis jetzt nur Petroleum brannte und für welche die Anlage einer Gasanstalt zu kostspielig erschien, beleuchtet seit Kurzem ihre Straßen mit elektrischen Bogenlampen und hat in einigen ihrer Fabrikanstalten das elektrische Glühlicht aufzuweisen. Die neue Beleuchtung stellt sich billiger als Gas, da die zur Erzeugung des lichtspendenden Stromes nöthige Kraft durch Turbinen geliefert wird, welche im Wasser aufgestellt sind. Einer ähnlichen Einrichtung erfreut sich das Städtchen La Roche sur Foron[WS 3] in Savoyen. Dort wird das elektrische Licht gegen ein bestimmtes Abonnement, wie anderwärts das Gas, ins Haus geliefert. Auch in diesem Städtchen konnte die Gemeinde die Kosten zur Errichtung einer Gasanstalt nicht erschwingen. Die Prophezeiung, daß durch die elektromotorischen Maschinen die zahllosen Wasserkräfte, welche in allen Ländern zum größten Theil unberücksichtigt geblieben sind, allgemein verwerthet werden, geht also in erfreulichster Weise in Erfüllung, und der Tag dürfte nicht mehr fern sein, wo auch die Kraft des Windes ausgenutzt wird und wir die überraschende Kunde erhalten, daß entlegene Dörfer und Weiler stromloser Gebiete Dank der Errichtung einiger Windmotoren elektrisch beleuchtet werden.

Andererseits suchen die scharfsinnigen Erfinder und Patentjäger der Neuzeit auch in den einfachen Privathäusern, Hôtels, kleineren Anstalten etc. der Elektricität zum Sieg zu verhelfen. Das Kapitel „die Elektricität im Haushalt“ wird in den großen Jahrbüchern der Kulturfortschritte immer umfangreicher, und wir sind in der Lage, von Zeit zu Zeit einige „Erfindungen“ zu verzeichnen, die von praktischem und dauerndem Werth sind. Das Meiste beruht allerdings noch auf nutzloser Spielerei oder übertriebener Reklame. Aber wie die elektrischen Klingeln sich eines guten Erfolgs rühmen können, so werden mit der Zeit auch andere elektrische Apparate sich in den Privathäusern einbürgern. In der Uebergangszeit, wo noch Gas gebrannt wird, werden diese Rolle z. B. die elektrischen Gasanzünder spielen. Dieselben waren schon seit Jahren in Gebrauch; sie hatten aber sämmtlich den Fehler, daß die kleinen galvanischen Batterien, welche in denselben enthalten waren, sich sehr rasch erschöpften und ihre Erneuerung nicht unerhebliche Kosten verursachte. Jetzt wurde durch Clarke die Reibungselektricität an Stelle der galvanischen Batterien gesetzt, und seine Apparate, die auch in Deutschland im Handel zu haben sind, sind fast unverwüstlich. Mit diesen Gasanzündern kann man täglich tausend Gasflammen anstecken, ohne die Elektricität auch nur im Geringsten zu erschöpfen. – Das Telephon, welches im Verkehr die größte Verbreitung erlangt und die Feuerprobe längst bestanden hat, soll gleichfalls in den Dienst der Hausfrau gestellt werden. H. Hannemann in Berlin konstruirt zu diesem Zwecke kleine Telephone, die er „Berliner Konversationskapsel“ nennt, und welche es der Hausfrau möglich machen sollen, von jedem Zimmer der Wohnung mit dem Mädchen in der Küche sprechen zu können. Ob die Dienstmädchen auch immer das hören und verstehen werden, was das Telephon so leise flüstert? Ueberlassen wir der Zukunft die Beantwortung dieser Frage! Gegenwärtig wissen wir ja, daß die kleinen Telephone in Gasthäusern und Pensionaten immer mehr Aufnahme finden und dort Zeit und Lauferei ersparen. Die Elektricität, im großen Maßstabe angewandt, wirkt technische Wunder; aber als echte Zauberin vermag sie auch im Kleinen dem Menschen Nutzen zu bringen. Den Erfindern steht somit in dieser Beziehung noch ein weites Feld offen. *

Auf Posten. (Mit Illustration S. 25.) Zum ersten Mal vielleicht stand er draußen, der junge Grenadier, dessen schlanke, hochgewachsene Gestalt den Schönen seines Dorfes nicht weniger in die Augen stach, als den Werbern des großen Kurfürsten, die ihn schließlich gewaltsam daraus entführt hatten. Wenn er früher einmal auf Posten gestanden, so war’s unter dem Fenster der Liebsten in kühler Mondnacht, so war’s im leichten Bauernwams, eine schwanke Gerte in der Hand. Heute aber haben sie ihn um die Mittagszeit eines heißen Sommertags vor das reich verschnörkelte Thor eines Palastes geführt; es muß wohl ein sehr hoher Herr sein, der da drinnen wohnt, den er bewachen soll.

Er betrachtet alle die fremden Wunder ringsum und gerade da, wo ihm die Instruktion ein strammes „Kehrt“ vorschreibt, lockt ihn ein eisernes Parkthor, dahinter dichtes Gebüsch, einsame schattige Pfade. Lange hat er der Lockung widerstanden, nur auf Augenblicke hat das Pendel gestockt; aber die Steinbank an der Mauer ruft gar so traute Erinnerungen in ihm wach. Er kann nicht anders, er muß sich einen Augenblick darauf setzen, die schwere Patrontasche thut noch ein Uebriges und „halb zieht sie ihn, halb sank er hin“. Die Bäume flüstern, die Wasser plätschern, sonst Alles still. Er entschlummert. Aber horch, was raschelt im Gebüsch, was knirscht auf dem Sandwege, wie der Tritt eines Raubthiers? Es ist der Herr Korporal; er hat den Schläfer entdeckt; lauernd beugt er sich über den Pflichtvergessenen und in Kurzem wird der Stock, den er noch hinter dem Rücken verbirgt, den schönen Traum des armen jungen Grenadiers ein unsanftes Ende bereiten.

Der Herzensvertraute. (Mit Illustration S. 28.) Das ist ein Beichteckchen, so recht nach dem Herzen unserer Stil-Schwärmer und Möbel-Romantiker! Und ein wunderliches Paar hat der Maler da neben einander gesetzt: das schöne, üppig blühende Fürstenkind neben den alten Hofnarren. Schön ist der alte Schalk wahrlich nicht, aber klug ist er; unter seinen Augen und Scherzen ist sie groß geworden: er, der schon der Vertraute ihrer kindlichen Sorgen und Wünsche war, ist nun der Vertraute ihrer jungfräulichen Herzensangelegenheiten. Er hat noch seine scharfe Zunge und seinen stacheligen Witz, aber nicht für sie; er zieht das alte Gesicht in die gefürchteten Falten, da sie ihm verschämt den neuesten, von glühender Liebe diktirten Brief zur Kenntnißnahme zusteckt, aber diesen Ausdruck mildert ein Zug guten Willens und herzlichen Antheils um die Mundwinkel. Und so studirt er denn die bilderreichen Zärtlichkeiten und Herzensnöthe des im schmerzlich-süßen Dienst der Königin Minne die Feder führenden jungen Helden, der sich schwerlich eines solchen Lesers versehen hat, und die junge Schöne träumt indeß bei Seite – was wird er sagen? Ja oder nein? Gefällt er ihm, gefällt er nicht? Soll sie aufmuntern oder abwehren? Ach, am Ende wird’s die alte Sache: neigt sich ihr Herzchen dem Briefschreiber zu, so mag die Weisheit und Erfahrung tausend Gegengründe haben: das Herz wird besten Falles überzeugt sein, daß es eine Thorheit begeht, und es wird sie doch begehen. Die Liebe ist immer thöricht, und sie kann nicht dafür, wenn sie nicht unglücklich deßhalb wird, auch nicht, wenn sie unglücklich wird. Das tiefste und leidenschaftlichste Glück ist keine Frucht der Weisheit, sondern der Einsatz des Schicksals für ein Würfelspiel.

Die Vergiftung in Folge übermäßigen Theegenusses bildete vor Kurzem eine lebhaft erörterte Streitfrage unter den Aerzten Nordamerikas und Englands. Zur Beruhigung aller Liebhaber des chinesischen Getränks können wir mittheilen, daß nähere Untersuchungen anscheinend eine fast absolute Unschädlichkeit des Theegenusses für den gesunden Menschen erwiesen haben. In den geringen Mengen, in welchen der Thee gewöhnlich getrunken wird, kann der wirksame Bestandtheil desselben, das Theïn, seine verderblichen Wirkungen nicht äußern. An und für sich in starken Gaben genommen ist dasselbe allerdings giftig, eben so wie das Koffeïn, ein Bestandtheil des Kaffees. Lange Zeit hielt man beide Substanzen für durchaus gleich in ihrer Zusammensetzung und Wirkung. Man hat jedoch gefunden, daß die physiologische Wirkung derselben durchaus verschieden ist. Das Koffeïn führt, in größeren Mengen genommen, schneller den Tod herbei, und so liegt der Schluß nahe, daß der Mißbrauch des Kaffeegenusses leichter schlimme Folgen nach sich ziehen kann, als ein übermäßiges Theetrinken. *

Der „Edelweißkönig“, die im vorigen Jahrgang der „Gartenlaube“ veröffentlichte fesselnde und farbenfrische Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer, ist jetzt im Verlage von Adolf Bonz u. Komp. in Stuttgart in Buchausgabe erschienen und dürfte dem Erzähler sicher auch in dieser Form zahlreiche neue Freunde gewinnen. **

Allerlei Kurzweil.
Skataufgabe Nr. 1.
Von S. und G. in Bremerhaven.

Nach folgenden 4 ersten Stichen:

1
(−21)   3
(−4)
(c. 7) (c. Z.) (c. As) (c. 8) (p. B.) (car. B.)
2
(+15)   4
(+11)
(car. As) (c. K.) (car. 7) (tr. 8) (tr. 9) (tr. As)

gewinnt die Vorhand Roth- (coeur) Solo mit Schneider, da sie nur noch einen Stich mit 4 Augen abgiebt. Wie sitzen die Karten und wie ist der weitere Verlauf des Spiels?[1]


Domino-Aufgabe.

Man nimmt aus einem Dominospiel zwei Steine, von denen der eine die Points 1 und 6, der andere die Points 2 und 6 hat, ferner sämmtliche 7 Steine, auf denen sich 0 befindet. Die Gesammtheit dieser 9 Steine soll in ein 9felderiges Quadrat so eingeordnet werden, daß die Summe der Ziffern jeder senkrechten, jeder wagerechten und auch der beiden diagonalen Felderreihen stets 12 beträgt.

Auflösung des Kegel-Problems auf S. 20: Um die richtige Lösung zu finden, müssen auf den ersten Schub alle jene Kegel fallen, an deren Basis die Buchstaben stehen, dagegen beim zweiten Schub jene Kegel, wo die Buchstaben sich am Kopfe der Kegel befinden. Die Lösung heißt dann: „Kegel-Club“.


Inhalt: Herzenskrisen. Roman von W. Heimburg (Fortsetzung). S. 21. – Die Frau eines Thronfolgers. Von Arthur Kleinschmidt. S. 24. Mit Portrait. S. 21. – Kleine Bilder aus der Gegenwart. Mit Illustration. S. 29. – Speranza. Novelle von A. Schneegans (Fortsetzung). S. 29. – Sagen und Gebräuche aus dem Paznaunthal. Von Professor Dr. J. Friedrich in München (Schluß). S. 31. Mit Illustrationen S. 32, 33 und 34. – Buttersäure – Magensäure. S. 34. – Blätter und Blüthen: Die Barbarina. Mit Illustration. S. 35. – Die Verdurstenden in der Wüste. S. 35. – Die Elektricität im Kleinen. S. 36. – Auf Posten. S. 36. Mit Illustration S. 25. – Der Herzensvertraute. S. 36. Mit Illustration S. 28. – Die Vergiftung in Folge übermäßigen Theegenusses. S. 36. – Der „Edelweißkönig“. S. 36. – Allerlei Kurzweil: Skataufgabe Nr. 1. S. 36. – Domino-Aufgabe. S. 36. – Auflösung des Kegel-Problems auf S. 20. S. 36.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.

  1. Abkürzungen: e., g., r., s. = Eicheln (tr.); Grün (p.); Roth (c.); Schellen (car.). W., D., Z., O., 9, 8, 7 = Wenzel (B.), Daus (As), Zehn, König, Ober (Dame) etc.

Anmerkungen (Wikisource)