Die Gartenlaube (1885)/Heft 19
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No. 19. | 1885. | |
Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.
Die Frau mit den Karfunkelsteinen.
Oben im Salon kreischte und schimpfte der Papagei beim Eintreten Margaretens; sie hatte von Kindheit an das boshafte, verhätschelte Thier nicht leiden können, und das wußte Papchen sehr gut.
„Sei artig, mein Liebling, mein Goldchen!“ schmeichelte die alte Dame. Sie reichte dem Schreier ein Biskuit und liebkoste ihn, dann nahm sie langsam und bedächtig die Kapotte von ihrem Spitzenhäubchen und den Umhang von den Schultern und legte Beides sorgfältig zusammen.
Margarete wurde bald roth, bald blaß vor innerer Unruhe und Aufregung; sie biß sich auf die Lippen, aber kein Wort entschlüpfte ihr; sie kannte ja diese fingirte Gelassenheit – die Großmama zeigte sich nie kälter und bedächtiger, als wenn sie innerlich erregt war.
„Nun, ich glaubte, Du habest mir wunder was für weltumstürzende Mittheilungen zu machen,“ sagte die alte Dame endlich über die Schulter nach ihr hin, während sie langsam den Kasten zuschob, in welchen sie Kapotte und Umhang gelegt hatte; „statt dessen stehst Du am Fenster und siehst über den Markt hin, als zähltest Du die Eiszapfen an den Dachrinnen.“
„Ich erwarte, daß Du mich fragst, Großmama,“ erwiderte das junge Mädchen ernst. „Wäre ich doch so ruhig, um mich so harmlos beschäftigen zu können, wie Du meinst! Aber an mir bebt jeder Nerv.“
Die Großmama zuckte die Achseln. „Das hast Du Dir selbst zuzuschreiben, Grete! Dein Vorwitz ist bestraft – Du hattest im Packhause nichts zu suchen ... Ich war auch erschrocken, als uns der Mensch mit seiner unerhörten Behauptung plötzlich wie vom Himmel herunter ins Haus fiel, aber in meinen Jahren geht der Kopf mit dem Schrecken nicht mehr durch. Ich erkannte sehr schnell den Schwindel und habe dem gewiegten Juristen, meinem Sohn, der sich merkwürdigerweise düpiren ließ, vorausgesagt, wie es kommen mußte. Der Alte kann seine Behauptung nicht aufrecht erhalten, weil ihm all und jede Begründung fehlt. Er hat sich auf den Nachlaß Deines seligen Vaters berufen – aber was brauche ich Dir das Alles zu sagen?“ unterbrach sie sich. „Da weißt es ja aus dem Munde Deines Protégés selbst; natürlicherweise unter der Beleuchtung, die er der Sache zu geben beliebt, denn sonst würdest Du vorhin nicht behauptet haben, seine Ansprüche seien gerecht.“
Margarete war lautlos über den Teppich hingeglitten, und jetzt stand sie ganz entfärbt vor innerer Erschütterung, wie ein Geist vor der alten Dame. „Daß jene Ansprüche vollkommen gerecht und begründet sind, weiß ich aus einem anderen Munde, Großmama – aus dem meines Vaters,“ sagte sie mit bebender Stimme.
Die Frau Amtsräthin prallte zurück. Im ersten Moment sprachlos vor Bestürzung, starrte sie die Enkelin mit weitoffenen, entsetzten Augen an.
„Bist Du von Sinnen?“ stieß sie endlich hervor. „Du wirst mir doch nicht Dinge weismachen wollen, die kein vernünftiger Mensch glauben kann? Dein Vater!
[306] Mein Gott, man muß ihn gekannt haben, den strengverschlossenen Mann, der sich mit einem einzigen zurückweisenden Blick unnahbar zu machen wußte, er sollte einem unmündigen Ding wie Dir ein solches Geheimniß mitgetheilt haben? Nein, meine liebe Grete, so alt war er noch lange nicht, um so kindisch geworden zu sein! Du maßest Dir da eine Mitwissenschaft an, über die ich lachen würde, wenn ich dabei nicht Deine Verblendung beklagen müßte. Wäre es denn wirklich so schön und beglückend, dieses Kukuksei im Lamprecht’schen Nest zu wissen? … Ich bitte Dich, stehe nicht gar so weise und überlegen vor mir – eine Haltung und Miene, die jeden Blutstropfen in mir zur Wallung bringt!“
Sie trat im heftigsten Unwillen um ein paar Schritte von dem jungen Mädchen weg, knüpfte mit unsicher tappenden Fingern die Haubenbänder fester unter dem Kinn und fuhr sich mit dem Taschentuch über die Stirn.
„Wenn Du Deiner Sache so gewiß bist und sie so energisch vertrittst,“ hob sie nach einem augenblicklichen Schweigen wieder an, „dann kann ich auch verlangen, daß Du mir Wort für Wort wiederholst, was Dein Vater gesagt haben soll.“
„Nein, Großmama, verzeihe, aber das kann ich nicht!“ entgegnete Margarete mit feuchten Augen. „Mir ist sein Vertrauen ein Heiligthum, das ich nie profaniren werde. Nur wo es gilt, für ihn zu handeln, da er es selbst nicht mehr kann, da werde ich rücksichtslos seinen letzten Willen zur Geltung zu bringen suchen. Gerade an seinem Todestag hat er den kleinen Bruder in alle ihm zukommenden Rechte einsetzen wollen –“
Sie hielt inne; die alte Dame hatte ein häßliches Hohngelächter aufgeschlagen. „‚Den kleinen Bruder!‘“ wiederholte sie zornbebend. „Du hast wirklich die Stirn, eine solche Ungeheuerlichkeit Deiner Großmutter gegenüber gelassen auszusprechen? … Aber den Wortlaut dessen, was Dir mitgetheilt worden sein soll, willst Du aus purer heiliger Scheu und Pietät nicht wiederholen? Ich will Dir sagen, weßhalb Du so rücksichtsvoll bist – weil Du nichts Positives weißt! Du hast läuten und nicht schlagen hören, hast hier und da ein vereinzeltes dunkles Wort Deines Vaters aufgefangen, und nun hältst Du diese Brocken neben die neue Wundergeschichte, und da es zu klappen scheint, fühlst Du Dich berufen, Dein Licht leuchten zu lassen! … Es ist ja auch gar schön, für die Verkannten und Verfolgten öffentlich in die Schranken zu treten! Und was kümmert es solch eine sensationsbedürftige Natur, wenn dabei ein seit Jahrhunderten respektirter Familienname in den Schmutz fällt?“
„‚Sensationsbedürftig‘?“ wiederholte das junge Mädchen mit finsterer Stirn, indem es stolz den Kopf zurückwarf. „Ich bin gewiß, daß dieser häßliche Zug unserer Zeit meine Seele auch nicht einmal gestreift hat; diese Beschuldigung darf ich mithin getrost zurückweisen … Und die Wiederverheirathung eines Mannes mit einem unbescholtenen Mädchen von feiner Bildung sollte seinem Familiennamen Unehre machen, das soll ich glauben?“ Sie schüttelte den Kopf. „Liebe Großmama, sei nicht böse; aber Du bist ja auch eine zweite Frau, und wie hochgeachtet stehen meine Großeltern da!“
„Unverschämt!“ brauste die alte Dame auf. „Wie kannst Du mich mit der ersten besten hergelaufenen Person vergleichen? Du – aber wofür ereifere ich mich denn!“ unterbrach sie sich, und reckte ihr zierliches Figürchen empor, um die verlorene würdevolle Haltung wieder herzustellen. „Die ganze Geschichte dreht sich ja doch nur um eine Beutelschneiderei, eine Erpressung von Seiten der Eltern; die verschollene Tochter kommt dabei kaum in Frage, wir thun ihr damit nur eine unverdiente Ehre an – wer weiß, wo sie sich herumtreibt!“
„Sie ist todt, Großmama! Schmähe sie nicht in der Erde!“ rief Margarete empört, „Du darfst es nicht, eben um unserer Familienehre willen; denn – Du magst Dich selbst täuschen wie Du willst – sie ist trotz alledem die zweite Frau meines Vaters gewesen!“
„Wirklich, Grete? – Nun, dann frage ich nur, wo sind denn die Dokumente, die es beweisen? … Gesetzt, es verhielte sich Alles genau so, wie die Leute im Packhause behaupten und Du es in Deiner unglaublichen Verblendung vertrittst – gesetzt, er sei in der That durch seinen jähen Tod verhindert worden, die geheime Ehe öffentlich anzuerkennen, dann, sage ich, müßte sich doch irgend ein darauf bezügliches Papier in seinem Nachlasse gefunden haben. Nichts von alledem! Nicht die kleinste eigenhändige Notiz, geschweige denn gerichtlich beglaubigte Atteste und Zeugnisse. Aber ich will noch weiter gehen. Ich will selbst annehmen, daß diese Dokumente in der That existirt haben“ – sie machte eine augenblickliche Pause – „so kämen wir dann nothwendig zu dem Schlusse, daß sie der Verstorbene selbst vernichtet hat, weil er nicht gewillt gewesen ist, die Sache an das Licht der Oeffentlichkeit zu bringen. … Und das, meine ich, sollte Dir genügen, die wahnsinnige Idee aufzugeben, in Folge deren Du Dich für die Vollstreckerin seines vermeintlichen letzten Willens hältst.“
Margarete war zurückgewichen, als sei sie auf eine Schlange getreten. „Das kann unmöglich Dein Ernst sein, Großmama! Was hat Dir mein Vater gethan, daß Du ihm einen solchen Schurkenstreich zutraust? … Ach, sein Zaudern, seine Furcht vor dem Urtheile der Welt, vor dem Standesvorurtheile, dem Moloch, der das Lebensglück Tausender verschlingt, wie hart strafen sie sich in diesem Augenblicke! Wie hat sich diese unselige Schwäche schon bei Lebzeiten gerächt durch die Qual inneren Zwiespaltes! … Und nun dieses Ende, dieser grauenvolle Abschluß, der ihm selbst kein Auslöschen seiner Verschuldung auf Erden gestattet hat! Aber ich weiß, was er gewollt hat – Gott sei Dank, daß ich das weiß, daß ich eine solche Verdächtigung, ein solches Brandmal von seinem Andenken abwehren –“
„Und damit einen Skandal an die große Glocke schlagen kann, gelt, Grete?“ ergänzte die Großmama hohnvoll. „O Du Verblendete! … Aber das ist dieser verrückte heutige Idealismus, der blind und taub gegen die Wände und Schranken rennt und nicht fragt, was dabei zusammenstürzt, wenn nur der falsche Wahn, die überspannte, schiefe und sentimentale Weltanschauung siegt! … Magst Du doch die Mittheilungen Deines Vaters verstanden haben wie Du willst, ich bleibe dabei, daß er selbst gewünscht hat, den Schleier über einer dunklen Stelle seines Lebens zu belassen. Und er hat es wünschen müssen, schon um unsertwillen – ich will sagen, der Familie Marschall wegen. Wir hätten es wahrlich nicht um ihn verdient, wenn durch seine Schuld auch ein Schatten auf unsern schönen, makellosen Namen fiele, wenn über uns gezischelt würde in der Stadt und bei Hofe, gerade jetzt, wo wir diesem erlauchten Kreise so nahe treten sollen! Ich sage, um jeden Preis muß es verhindert werden, daß von dem Erpressungsversuche des alten Lenz auch nur ein Laut in das Publikum dringt – die böse Welt glaubt gar zu gern das Schlimmste und munkelt weiter, auch wenn ihr sonnenklar bewiesen wird, daß sie sich irrt – und da hilft nur Eines: Geld! – Um ein paar tausend Thaler werdet Ihr freilich ärmer werden; aber mit dieser Abfindungssumme wird sich der alte Schwindler aus dem Staube machen und dahin zurückkehren, woher er unseliger Weise gekommen ist.“
„Und das Kind? Der Knabe, der dieselben Rechte hat wie Reinhold und ich, was soll aus ihm werden?“ rief Margarete mit flammenden Augen. „Soll er hinausziehen in die Welt, ohne das Erbe, das ihm von Gott und Rechtswegen zukommt, ohne den Namen, auf den er getauft worden ist? Und mir muthest Du zu, mit einer ungeheuren Lüge auf dem Gewissen durchs Leben zu gehen? Ich sollte je wieder einem ehrlichen Menschen ins Auge sehen können, wenn ich mir sagen müßte, daß ein großer Theil meines Erbes gestohlenes Gut sei, daß ich einen Menschen um sein kostbares Eigenthum, um den geachteten Namen seines Vaters betrogen habe? Und das forderst Du von mir, die Großmutter von der Enkelin?“
„Ueberspannte Närrin! Ich sage Dir, das würden alle Vernünftigen, Alle, die auf Ehre und Reputation ihres Hauses halten, von Dir fordern.“
„Herbert nicht!“ rief das junge Mädchen mit leidenschaftlichem Proteste.
„‚Herbert‘?“ rügte die Frau Amtsräthin scharf, mit hochmüthigem Befremden. „Trittst Du wieder in die Kinderschuhe zurück? ‚Der Onkel‘ willst Du sagen!“
Ein jäher Farbenwechsel fluthete über das Gesicht der Gemaßregelten. „Nun denn – der Onkel!“ verbesserte sie sich hastig. „Er wird nie zu jenen ‚gewissenlosen Vernünftigen‘ gehören, nie, niemals! Ich weiß es! Er soll entscheiden –“
„Gott bewahre! Du unterstehst Dich nicht, mit ihm darüber zu sprechen, bis –“
„Bis wann, Mama?“ fragte der Landrath plötzlich von seinem Zimmer her.
[307] Die alte Dame schrak zusammen, als sei ein jäher Donnerschlag ihr zu Häupten hingerollt. „Ah, bist Du schon so früh zurück, Herbert?“ stotterte sie verlegen sich umwendend. „Du kommst ja wie hereingeschneit!“
„Keineswegs. Ich bin zur gewohnten Zeit zurückgekehrt und stehe seit lange hier in der offenen Thür, allein ich fand keine Beachtung.“ Mit diesen Worten kam er herüber. Er sah ernst, ja finster aus, und doch war es dem jungen Mädchen, als leuchte sein Blick blitzartig auf, indem er ihr Gesicht streifte.
„Ich würde mich sofort diskret zurückgezogen haben,“ wandte er sich an seine Mutter, „wenn die leidenschaftliche Verhandlung zwischen Dir und Margarete nicht auch mich anginge – Du weißt, ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, Licht in die Angelegenheit zu bringen.“
„Auch jetzt noch, nachdem Du Dich hast überzeugen müssen, daß jeder gesetzliche Anhaltspunkt fehlt?“ fragte die alte Dame zitternd vor Aerger. Sie zuckte die Schultern. „Nun meinetwegen, steckt Fackeln an, um einen Schandfleck zu beleuchten – mehr werdet Ihr nicht erreichen! Dich, Herbert, begreife ich nicht! Es liegt doch auf der Hand, daß die Papiere – wenn sie je existirt haben, was ich durchaus bezweifle – aus gutem Gründen verschwunden sind. Sagst Du Dir nicht selbst, daß Du Dich mit diesem Aufbauschen des widerwärtigen Handels an Balduin schwer versündigst?“
„Wie – eine Versündigung nennst Du es, wenn ich mich bemühe, seine Schuld gut zu machen?“ zürnte ihr Sohn. „Uebrigens kommt es für mich gar nicht mehr in Frage, ob eine Vertuschung von Seiten des Verstorbenen stattgefunden oder nicht; ich vertrete hier das Recht des Lebenden, der nicht bestohlen werden darf. Ich weiß bereits zu viel, um es geschehen zu lassen, daß das Dunkel über dem ‚widerwärtigen Handel‘, wie Du die schwebende Frage nennst, verbleibt. Oder glaubst Du, ich würde mich je zum passiven Mitwisser einer verschwiegenen Schuld qualificiren? Margarete sagt, aus –“
„Komme mir nicht mit diesen Hirngespinsten!“ rief die Frau Amtsräthin, in erbitterter Abwehr beide Hände gegen ihn ausstreckend. „Man weiß zur Genüge, daß es für solch einen müßigen Mädchenkopf nur eines sehr geringen Anhaltes bedarf, um daran ein ganzes Gewebe von Phantastereien zu knüpfen.“
Der Landrath wandte den Kopf seitwärts nach dem jungen Mädchen. „Lasse es Dich nicht kränken, Margarete!“ sagte er.
„Was für ein liebevoll tröstender Ton!“ spottete seine Mutter. „Wirst Du mit einem Male ein zärtlicher Onkel, Du, der für Fanny’s Aelteste nie auch nur eine Spur von Sympathie gehabt hat? … Immerhin! Haltet zusammen gegen mich, die allein den Kopf oben behält! Mich werdet Ihr nicht überführen, es sei denn, daß ich’s Schwarz auf Weiß sähe!“
„Du wirst es Schwarz auf Weiß sehen, Mama!“ sprach Herbert ruhig und bestimmt. „Die Kirchenbücher in London werden nicht auch verbrannt sein.“
„O mein Gott! Damit sagst auch Du, Onkel, daß mein Vater die in seinen Händen befindlichen Papiere selbst vernichtet haben müsse?“ rief Margarete in einer Art von stiller Verzweiflung. „Es ist nicht wahr! Er hat es nicht gethan! Ich werde ihn vertheidigen und gegen diesen schmachvollen Verdacht ankämpfen, solange ich Athem in der Brust habe! … Ich bin der unerschütterlichen Ueberzeugung, daß es keiner Reise nach London bedarf; die Papiere müssen sich hier finden, wir müssen besser suchen.“
„In dieser Illusion kann ich Dich leider nicht bestärken,“ entgegnete Herbert. „Der ganze schriftliche Nachlaß, alle Dokumente, selbst die Geschäftsbücher sind auf das Gewissenhafteste durchsucht worden, auch nicht das kleinste Briefblatt ist unseren Augen und Händen entgangen. Ich habe die ganze Beletage durchforscht, auch alle Fächer und Kasten der unbenutzten Möbel in den Gesellschaftsräumen.“
„In den Gesellschaftsräumen der Beletage, sagtest Du?“ fragte sie wie mit zurückgehaltenem Athem. „Und die Zimmer im Seitenflügel?“
Der Landrath sah sie groß an. „Wie hätte mir auch nur der Gedanke kommen können, dort zu suchen?“
„Im Spukzimmer der schönen Dore, das seit Jahren kein Menschenfuß betreten hat!“ setzte die Frau Amtsräthin mit Hohnlächeln hinzu. „Da siehst Du ja, Herbert, wie logisch es in solch einem kunterbunten Mädchengehirn zugeht!“
„Ich habe den Papa kurz vor seinem Tode hineingehen sehen,“ sagte Margarete scheinbar ruhig, aber ihre Stimme wankte vor innerer Bewegung. „Er hat sich damals eingeschlossen.“
„So gehen wir unverzüglich!“ rief der Landrath überrascht.
Sie flog hinunter, um die Schlüssel zu holen. Nach wenigen Minuten kehrte sie zurück und traf mit Herbert an der Thür des Flursaales zusammen; aber er war nicht allein; seine Mutter, in dicke, warme Shawls und Tücher gewickelt, ging an seinem Arme. Sie müsse doch auch dabei sein, wenn der Schatz gehoben werde, sagte sie mit einem spöttischen Seitenblicke auf die Enkelin.
Margarete eilte voraus und schloß die Thür des Zimmers auf. – Zum ersten Male in ihrem Leben trat sie auf diese Schwelle, hatte sie das wundervolle Deckengemälde zu Häupten. Eine mit dem schwachen Hauche verdorrter Blumenreste gemischte, röthlich durchschimmerte Luft schlug ihr entgegen – die tiefstehende Nachmittagssonne fiel durch die rothen Klatschblumen der zermürbten, aber in den Farben ziemlich erhaltenen Brokatgardinen. Ueber diese Schwelle sollte die weiße Frau schlüpfen, und manche der Gespensterseher hatten auch die spinnwebige, furienhafte Frau Judith hinzu gedichtet; über diese Schwelle waren aber auch die Füßchen in den Hackenschuhen gehuscht, aus dem Prunkgemache nach dem Dachboden des Packhauses, und hatten die Leute im Hause erschreckt und die Sage von der wandelnden schönen Dore neu aufleben gemacht.
Die Frau Amtsräthin fuhr beim Eintreten mit dem Taschentuche durch die Luft. „Puh, was für eine häßliche Atmosphäre! Und diese Staubmassen!“ rief sie ganz empört und zeigte über die Möbel hin. – Da blinzelten allerdings Sammet- und Seidenschimmer und der Glanz der Vergoldung, die herrlichen Spiegelscheiben nur schwach durch den weißgrauen Staubschleier. „Und da willst Du uns weismachen, Dein Vater habe hier in seinen letzten Lebenstagen verkehrt, Grete? … Ich sage Dir, seit Jahren ist diese Thür nicht aufgemacht worden! … Nun, ein Wunder ist’s freilich nicht, wenn Du in dem Gange draußen alle möglichen Visionen gehabt hast – da ist’s ja zum Fürchten schrecklich!“
Margarete schwieg. Sie sah den Landrath bedeutungsvoll an und zeigte auf eine Fußspur, die über das staubige Parkett hinweg direkt nach dem Schreibtische am Fenster lief.
Herbert zog die Fenstergardinen aus einander, und der abgesperrte Sonnenschein kam breit herein und ließ in seinem blassen Golde die köstlichen Perlmutter- und Metallarabesken an dem Schreibtische matt aufleuchten. … Es war ein herrliches Stück Möbel mit geschweifter Tischplatte und einem mächtigen Aufsatze, dessen Mitte eine Schrankthür, zu beiden Seiten flankirt von einer Unzahl kleiner Schiebekasten, breit einnahm.
Die Frau Amtsräthin hatte ihren Kleidersaum aufgenommen und war, sichtlich betroffen, auch der Fußspur nachgegangen. Nun stand sie mit langem Halse hinter Sohn und Enkelin und konnte eine nervöse Spannung nicht verbergen.
Der Schrankschlüssel drehte sich leicht und willig unter Herbert’s Hand, und die Thür sprang auf. Der Landrath fuhr zurück, und die alte Dame stieß einen schwachen Schrei aus; über Margaretens Gesicht aber flog verklärend ein Gemisch von freudiger Ueberraschung und tiefer Wehmuth. „Da ist sie!“ rief sie wie erlöst von Angst und Spannung.
Ja, das war der herrliche Frauenkopf, wie ihn einst die Aristolochiabogen umrahmt hatten! Das war der unvergleichliche lilienhafte Schimmer der Haut, der die Mädchenstirn so unschuldsvoll leuchten gemacht, das waren die in tiefem Blau funkelnden Augensterne, über denen sich feine, dunkle Brauen wölbten! Nur die blonden, einst über Brust und Nacken hinabfallenden Mädchenzöpfe fehlten – das Haar thürmte sich wellig gelockt hoch über der Stirn, und in der matten Goldfluth glitzerten die Rubinsterne der schönen Dore. … Ah, deßhalb sollten diese Steine „nie wieder ein Frauenhaar schmücken, so lange er lebe“, wie der Verstorbene an jenem Gesellschaftsabend in so leidenschaftlicher Aufregung erklärt hatte! – Ja, diese Frau mit den Karfunkelsteinen war ebenso geliebt und beweint worden wie die erste, die wandelnde weiße Frau des Lamprecht’schen Hauses! Der alte Justus hatte sich nie wieder verheirathet und war ein finsterer,
[308][309] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [310] verbitterter Mann bis an sein Lebensende verblieben, wie sein Nachkomme, der vielbeneidete Balduin Lamprecht auch. … Was für ein dämonischer Zug der Seelen mochte die schöne Blanka wohl veranlaßt haben, sich genau so zu kostümiren wie ihre unglückliche Vorgängerin, die den gleichen verhängnißvollen Schritt wie sie gethan und ihn mit ihrem Leben gebüßt hatte? –
Ein betäubender Duft entquoll dem Schranke; rings um das Bild waren Rosen aufgehäuft, Rosenmumien, die wie Weihopfer hier hatten welken müssen. Vor dem Bilde lag auch der letzte kleine Strauß, den Margarete an jenem Nachmittage in der Hand ihres Vaters gesehen – die schöne Blanka mußte Rosen und Rosenduft sehr geliebt haben.
„Nun, das Bild beweist noch nichts!“ rief die Frau Amtsräthin mit vibrirender Stimme in das plötzlich eingetretene Schweigen der Ueberraschung, der Erschütterung hinein. „Es wird so sein, wie ich Dir sagte, Herbert! Bewiesen ist in der That nur, daß der Schwächling allerdings für eine Zeit, in die Netze der Kokette gefallen ist.“
Ohne zu antworten, zog der Landrath an einem der kleinen Schiebekasten, allein derselbe gab nicht nach.
„Der Schrank wird ähnlich konstruirt sein wie Tante Sophiens Schreibtisch in der Hofstube,“ sagte Margarete. Sie griff in das Innere des Schrankes und zog an einer schmalen, vorspringenden Holzleiste; mit diesem einen Ruck waren alle Kasten zur Linken erschlossen.
In den unteren Fächern lagen viele moderne Schmuckstücke, vermischt mit bunten Bandschleifen, jedenfalls lauter Reliquien für den verwaisten Mann; dann kam aber ein mit Papieren gefüllter Kasten an die Reihe. Margarete hörte, wie plötzlich die Athemzüge der jetzt dicht hinter ihr stehenden Großmama tief und schwer gingen; das alte, feine Frauenprofil erschien über ihrer Schulter – es war vollständig entfärbt, und die Augen bohrten sich förmlich in den Kasteninhalt. Nur einige mit schwarzem Band umwickelte Briefpakete machten diesen Inhalt aus; obenauf aber lag ein einzelnes Kouvert mit Aufschrift von der Hand des Verstorbenen.
„‚Dokumente, meine zweite Ehe betreffend!‘“ las der Landrath laut.
Die Frau Amtsräthin stieß einen Aufschrei der Entrüstung aus. „Also doch!“ rief sie, die Hände zusammenschlagend.
„Großmama, sei barmherzig!“ bat Margarete innig flehend.
„Es bedarf keiner Barmherzigkeit, Margarete,“ sprach der Landrath stirnrunzelnd. „Ich begreife nicht, Mama, wie es Dir überhaupt möglich gewesen ist, die Nichtbestätigung zu wünschen. Das sonnenklare Recht des Knaben wäre auch ohne diese Papiere zur Geltung gekommen, und die Welt hätte in der Kürze erfahren müssen, daß ein nachgeborener Sohn aus zweiter Ehe existire. Das Auffinden dieser Dokumente hier hat mithin nur insofern Werth, als es uns, den Nächststehenden, beweist, daß Balduin nicht beabsichtigt hat, die Ehre seines todten Weibes, seines Kindes um des Anathema der vornehmen Welt willen zu schädigen.“
„Das habe ich gewußt!“ rief Margarete mit aufstrahlenden Augen. „Nun bin ich ruhig!“
„Ich aber nicht!“ zürnte die alte Dame. „Mir vergällt dieser Skandal meine letzten Lebensjahre. Schande über ihn, der uns eine so empörende Komödie hat mitspielen lassen! Ich habe bei Hofe sein Lob gesungen, so viel ich konnte. Sein Ansehen bei den höchsten Herrschaften verdankte er mir, mir allein. Wie wird man zischeln und spotten über die ‚blödsichtige Marschall‘, die ahnungslos den Schwiegersohn des alten Lenz in die höchsten Kreise eingeführt hat! … Ich bin blamirt für alle Zeiten! Ich bin unmöglich geworden bei Hofe! … O, hätte ich mich doch nie herbeigelassen, in das Krämerhaus zu ziehen! Jetzt wird man mit Fingern auf dieses Haus zeigen, und wir, die Marschalls, wohnen drin, und Du, der erste Beamte der Stadt – ich bitte Dich, Herbert, nur nicht diese gelassene Miene!“ unterbrach sie sich mit großer Heftigkeit. „Dieser Gleichmuth kann Dir theuer zu stehen kommen! Auch für Dich wird die schmutzige Geschichte möglicher Weise Folgen haben, die –“
„Ich werde sie zu tragen wissen, Mama,“ fiel er mit unerschütterlicher Ruhe ein. „Balduin –“
„Still! Wenn Du noch einen Funken von Sohnesliebe in Dir hast, so nenne diesen Namen nicht! Ich will ihn nie wieder hören, mit keinem Laute will ich je wieder an ihn erinnert sein, welcher uns belogen und betrogen hat, den Meineidigen –“
„Halt!“ rief Herbert, indem er stützend seinen Arm um Margarete legte, die todtenblaß und zitternd sich an der Tischkante festhielt. Die Adern schwollen ihm auf der Stirn. „Keinen Schritt weiter, Mutter!“ protestirte er heftig zürnend, es klang aber auch ein tiefschmerzlicher Ton mit. „Sagst Du Dich so schonungslos, so unglaublich selbstisch los von Balduin und mithin auch von seiner Waise, so stehe ich zu ihr! Ich dulde es nicht, daß noch ein einziges böses Wort fällt, unter welchem sie leiden muß, die ohnehin noch schwer am Trennungsschmerze trägt! … Aber auch Balduin lasse ich nicht länger schmähen! – Wohl, er ist schwach gewesen, und mir ist sein unmännliches Schwanken unfaßlich; allein es liegen Milderungsgründe für seine Handlungsweise vor. … Du selbst beweisest in diesem Augenblicke am schlagendsten, was für Stürme ihn umtobt haben würden, wenn er zur rechten Zeit männlich offen gesprochen hätte. … Er hat sich bethören lassen durch die Lockung, der gesuchte Mann eines exklusiven Kreises zu sein; er hat sich Schritt um Schritt tiefer verstrickt in einem Netze der unnatürlichsten Widersprüche, und ich sage selbst, Dir und allen Denen gegenüber, die so denken wie Du, Mama, hat ein gewisser Muth dazu gehört, plötzlich als ein Mann aufzutreten, der sich von all Euren Vorurtheilen losgesagt hat und dem natürlichen Zuge seines Herzens gefolgt ist. … Dieser Fall in der eigenen Familie sollte Dir doch die Augen öffnen und Dir zeigen, wohin diese geschraubten Ansichten, dieses Verleugnen der Natur, des gesund und richtig empfindenden Menschenherzens führen muß: zu verschwiegenen, entnervenden Seelenqualen, zu Lug und Trug, und gar oft zum Verbrechen. Ein Theil von Balduin’s Schuld fällt auch auf die heutige Gesellschaft, ihn trifft nicht allein der Vorwurf, eine Komödie aufgeführt zu haben!“
Die Frau Amtsräthin hatte sich immer weiter von Herbert entfernt, während er sprach; es war, als wolle sie die Kluft, die sich plötzlich durch den Kontrast der Ansichten zwischen Mutter und Sohn aufthat, auch räumlich erweitern. Mit fest zusammengepreßten Lippen schritt sie zur Thür – dort wandte sie sich noch einmal um.
„Auf Alles, was Du mir eben gesagt hast, habe ich selbstverständlich kein Wort der Erwiderung,“ rief sie mit zornbebender Stimme in das Zimmer zurück. „Ich sollte meinen, mit meinen Principien sei ich bisher ganz leidlich durch die Welt gekommen; sie sind der beste Theil meines Ich, sie sind mein Stolz, mit ihnen stehe und falle ich! … Du aber sieh Dich vor! Dieses Liebäugeln mit dem grundsatzlosen modernen Liberalismus verträgt sich nie und nimmer mit Deiner Stellung! … Doch was rede ich da! Ich bin viel zu taktvoll, um Dir gute Rathschläge geben zu wollen. Draußen im Prinzenhofe und vor den Ohren unserer allerhöchsten Herrschaften wirst Du Dich ohnehin wohlweislich hüten, solche Ansichten laut werden zu lassen.“
„Mit den Damen im Prinzenhofe politisire ich grundsätzlich nicht; der Herzog aber kennt meine Gesinnungen bis auf den Grund, ich habe ihn darüber nie im Zweifel gelassen,“ versetzte der Landrath sehr ruhig.
Sie sagte nichts mehr. Mit einem ungläubigen Auflachen überschritt sie die Schwelle und drückte die Thür hinter sich zu.
Margarete hatte sich währenddem in die nächste Fensterecke zurückgezogen; sie war vorhin erschreckt dem stützenden Arme sofort entschlüpft.
„Du hast Dich mit ihr entzweit um unsertwillen,“ klagte sie jetzt mit schmerzhaft zuckenden Lippen.
„Das darfst Du Dir nicht so zu Herzen nehmen,“ erwiderte er, noch mit der Aufregung kämpfend, die ihn so heftig durchschüttert hatte. „Sei Du ganz ruhig!“ setzte er sanft begütigend hinzu. „Der Riß heilt wieder zu. Meine Mutter wird sich besinnen; sie wird sich erinnern, daß ich ihr immer ein guter Sohn gewesen bin, trotzdem ich mit meinen Lebensanschauungen auf eigenen Füßen stehe.“
Er prüfte die Dokumente und nahm sie an sich.
„Ich gehe jetzt ins Packhaus,“ sagte er. „Jede Verzögerung ist eine Sünde den alten Leuten gegenüber … Das ist ein Weg, um welchen mich alle guten Menschen beneiden müssen! Aber noch Eines: Bist Du Dir auch völlig klar darüber, wie es sein wird, wenn ein Dritter neben Euch, den verwöhnten ‚beiden Einzigen‘ in gleiche Rechte tritt? Wenn der Knabe aus dem Packhause plötzlich zu Denen zählt, die von den Wänden Eures [311] Hauses niedersehen und auf welche Du so stolz bist? … Du hast heute die Aufklärung aus allen Kräften erstrebt, um einen entehrenden Verdacht von dem Andenken Deines Vaters zu nehmen –“
„Gewiß! Aber ich habe auch zugleich für das Recht des kleinen Bruders gekämpft. Mir soll er tausendmal willkommen sein – ich werde ihn mit offenen Armen empfangen! Giebt er doch auch meinem Dasein einen neuen Werth. Ich werde für ihn denken und sorgen dürfen; ich will ihn bewachen, als ein Kleinod, das mir mein Vater anvertraut hat. Und eine solche Aufgabe ist wohl des Lebens werth!“
„Bist Du so arm an Hoffnungen für Dein eigenes junges Leben, Margarete?“
Ein finsterer Blick traf ihn.
„Dein Beileid brauche ich nicht – bemitleidenswerth arm ist man nur, wenn man sich mit seinem Schicksal nicht abzufinden weiß,“ versetzte sie schroff.
„Nun, da behüte Dich Gott, daß Dir nicht einmal dieses schöne, thönerne Piedestal unter den Füßen zusammenbricht!“ – Ein leises Lächeln stahl sich um seine Lippen; sie bemerkte es nicht, weil sie über die Schulter weg in den Hof hinaussah. – „Aber ich will Dich ja nicht kränken, Gott soll mich bewahren! Wir sind heute so hübsch in ‚gleichem Schritt und Tritt‘ gegangenen – wer weiß, was uns das ‚Morgen‘ bringt! Drum gieb mir eine Hand, eine Freundeshand!“
Er hielt ihr seine Rechte hin, und sie legte die ihre hinein, ohne Druck, ohne die geringste Bewegung auch nur der Fingerspitzen.
„Hu, wie kalt, wie beleidigend kalt! … Nun, ein alter Onkel muß auch eine Unfreundlichkeit hinnehmen können; dafür hat er ja die Last der Jahre und die Weisheit voraus,“ setzte er mit gutem Humor hinzu und entließ die Hand aus der seinen.
Er schob die Holzleiste an ihren alten Platz, verschloß den Schrank und nahm den Schlüssel an sich.
„Den Zimmerschlüssel werde ich mir in diesen Tagen noch einmal ausbitten,“ sagte er. „Ich bin gewiß, daß der Schreibtisch noch Manches enthält, was uns die Regulirung der ganzen Angelegenheit erleichtern wird … Und nun halte Dich hier nicht länger auf, Margarete! Ich habe es empfinden müssen, daß Du bis ins Herz hinein frierst.“
Gleich darauf hatte er das Zimmer verlassen. Margarete aber ging noch nicht. Sie stand in der Fensterecke und blickte über den Hof hin. Sie fror nicht; die Zimmerkälte kühlte ihr wohlthätig die pochenden Schläfen.
Drunten am Brunnen stand Bärbe und ließ Wasser in ihren blanken Eimer laufen. Die abergläubische Alte ahnte noch nicht, daß die Rolle ihrer „Frau mit den Karfunkelsteinen“ ausgespielt war für immer … Ja, nun war das Räthsel gelöst, das jahrelang verdunkelnd über dem Lamprechtshause geschwebt hatte!
Margarete sah hinüber nach den schneebeladenen Linden vor dem Weberhause. Dort hatte einst „die wilde Hummel“ gesessen und die sogenannte „Vision“ von der schneeweißen Stirn zwischen den buntseidenen Fenstergardinen gehabt. Und jetzt stand sie selbst hier oben und wußte, daß es die schöne Blanka gewesen war, die schleierverhüllt als weiße Frau gespukt hatte … Welch ein Zauber war von dieser Gestalt ausgegangen, von diesem rosenduftenden Mädchen, das selbst den gereiften älteren Mann, den stolzen Chef ihres Vaters zu ihren Füßen gezwungen! … Neben ihm hatte freilich der damalige hochaufgeschossene Primaner mit dem rothwangigen Jünglingsgesicht gar nicht in Frage kommen können. Jetzt allerdings war das anders, o, so ganz anders! Er war der Vielumworbene, dem sich selbst die stolze Schönheit, die herzogliche Nichte, zu eigen geben wollte – Margarete schrak zusammen, denn da kam er eben über den Hof her und schritt rasch nach dem Packhause.
Er winkte grüßend herauf. Bärbe’s Kopf fuhr herum; der Eimer entglitt ihren Händen, und das verschüttete Wasser strömte über die schützende Holzdecke des Brunnenbassins. Die alte Köchin stand, zur Salzsäule geworden, unter dem spukhaften Fenster, aus welchem das junge Menschenkind von Fleisch und Bein auf sie herniedersah.
Margarete trat zurück und zog die Vorhänge zusammen. Nun herrschte wieder jenes Dämmerlicht, das die Wände röthlich überhauchte und den spielenden Amoretten an der Zimmerdecke ein geheimnißvolles Leben verlieh. Diese bausbäckigen Lockenköpfchen da oben hatten zu verschiedenen Zeiten auf zwei schöne junge Frauen des Lamprechtshauses so schalkhaft herabgelugt, wie sie auch heute noch, unter Blumengewinden und Schleierwolken hervor, dem druntenstehenden, tiefbewegten Mädchen zublinzelten. Die dunkelhaarige Frau hatte ihren Liebestraum hier beschlossen, die mit den goldigen Mädchenzöpfen ihn aber begonnen. Beide hatten früh sterben müssen. Ein Jahr, ein kurzes Jahr des Glückes war ihnen vergönnt gewesen; aber wog diese Spanne Zeit nicht ein ganzes Leben voll Entsagung auf? – Das junge Mädchen ballte die Hände und biß die Zähne zusammen – waren sie schon wieder da, diese qualvollen Gedanken und Empfindungen, mit denen sie rang auf Tod und Leben? Sie hatte sich gerühmt, ihr bester Helfer sei der Kopf, und dieses Wort durfte nicht zu Schanden werden, sie mußte daran festhalten, und wenn sie dabei zu Grunde gehen sollte. Sie übernahm jetzt neue ernste Pflichten – genügte nicht auch treue Pflichterfüllung, um das Leben liebenswerth zu machen? Mußte es durchaus ein überschwengliches Glück sein?
Sie trat hinaus in den Gang und verschloß die Zimmerthür …
Und als bald darauf der Abend hereinbrach und es dunkel wurde in allen Gängen und Winkeln des Hauses, da hatten die Hausgeisterchen viel mit einander zu flüstern. Das alte Geschlecht der „Thüringer Fugger“ stand nicht mehr allein auf zwei Augen – ein prächtiger, kraftstrotzender kleiner Nachkomme trat neben den ärmlichen, dahinwelkenden Sproß, den der alte Stamm zuletzt getrieben, und die Kauf- und Handelsherren, die noch im Konterfei, in Reih und Glied an den Wänden des dunklem Ganges lehnten, konnten stolz sein; denn der kleine Bursche war wirklich und leibhaftig einer der Ihren, wie sie ja auch im Leben sammt und sonders schöne, intelligente Leute voll Kraft und Körperstärke gewesen waren.
Und im Packhause saß dieser hoffnungsvolle Erbe auf den alten Knieen seines Großvaters, neben dem Bett der genesenden Frau, und aus den Augen der alten Leute strahlte das Glück. Nun waren Kummer und Seelenpein überwunden; und ob auch draußen am niederen Dach die Eiszapfen blinkten und ein dickes Schneepolster gegen die Scheiben drückte, hier innen ging ein belebender Frühlingsodem durch die Räume. Im Kachelofen knisterte das Feuer, und der sanfte Lampenschein breitete sich über jedes liebe Stück der altgewohnten Einrichtung, und zum erstenmal wieder überkam das traute Heimgefühl die alten Leute, die ja bereits mit einem Fuß in der weiten Welt gestanden und nicht gewußt hatten, wohin sie mit dem ausgestoßenen Enkel ihre müden Schritte lenken sollten …
Im Vorderhause aber legten sich die Wogen, die der ereignißvolle Tag aufgestürmt hatte, nicht so bald. Die Frau Amtsräthin hatte sich in ihr Zimmer eingeschlossen und ließ Niemand vor. Ihre Leute schüttelten verwundert die Köpfe über das Gebahren der alten Dame, die „so voll Gift und Galle und bis in den Grund der Seele hinein geärgert“ herauf gekommen war. Sie hatte befohlen, daß das Abendbrot dem Herrn Landrath allein servirt werde, und nachdem sie Papchen einen widerwärtigen Schreier gescholten, war sie in ihr Schlafzimmer gegangen und hatte innen den Riegel vorgeschoben …
Und Bärbe hätte auch nie gedacht, daß sie das erleben werde, was ihr der heutige Tag gebracht hatte: die Erkenntniß, daß sie ein ganz nichtsnutziges Frauenzimmer und nicht werth sei, daß die Sonne sie bescheine … Sie war vor einer Stunde ganz entsetzt vom Brunnen gekommen und hatte Tante Sophie zugeraunt, daß sie Fräulein Gretchen leibhaftig und mutterseelenallein am Fenster der Spukstube gesehen habe. Aber da war endlich ein schweres Gericht über sie und ihren unseligen Aberglauben ergangen! Es hatte von Seiten der Tante Sophie eine „Kopfwäsche“ gegeben, an die sie denken mußte, so lange ihr ein Auge im Kopfe stand … O, über die dumme, blinde, alte Person, die Bärbe! Sie hatte ja das liebe Gretchen für die Frau mit den Karfunkelsteinen angesehen, hatte mit ihrem Geschrei das ganze Haus auf die Beine gebracht und den bösen Gestrengen aus der Schreibstube auf die Schwester gehetzt – ach, und da sollten böse, böse Reden gefallen sein … Nein, sie war wirklich nicht werth, daß der liebe Herrgott seine Sonne über sie scheinen ließ, und eher wollte sie sich die Zunge abbeißen, als daß ihr je wieder ein Wort über das Unwesen droben im Gange [312] entschlüpfte! … Und so saß sie auf der Küchenbank und weinte herzbrechend in ihre Schürze hinein.
Währenddem gingen Margarete und die Tante Sophie in der Wohnstube auf und ab. Das junge Mädchen hatte den Arm um die Tante gelegt und ihr den gewaltigen Umschwung im väterlichen Hause mitgetheilt … Es war dunkel in der Stube; die brennende Lampe war sofort wieder hinausgeschickt worden – es brauchte Niemand zu sehen, daß die Tante geweint hatte; eine solche Weichmüthigkeit gestattete sie sich nur äußerst selten. Aber war es nicht ein Jammer, daß der Mann neun volle Jahre mit seinen verschwiegenen Seelenqualen neben ihr gegangen war? Und sie hatte sich harmlos ihres Lebens gefreut und nicht geahnt, daß sich rund um sie her ein solches Drama abspiele! … Und das Kind, der liebe, prächtige Junge, er hatte nicht das väterliche Haus betreten, nicht an seines Vaters Tische essen dürfen – das Herz hätte sich ja doch dem Balduin im Leibe umwenden müssen! … „Du lieber Gott, was sich doch die Menschen Alles anthun um ein bischen mehr oder weniger, höher oder niedriger willen!“ sagte sie zum Schluß und wischte sich die letzte Thränenspur vom Gesicht. „Unser Herrgott hat sie geschaffen, ohne Wehr und Waffen als ein friedliches Geschlecht; aber da schärfen sie sich die Zunge zum Messer und schmieden sich selber eiserne Panzer um die Herzen, auf daß nur ja niemals Friede sei auf Erden!“
An der Schreibstube ging der Sturm heute noch ungehört vorüber. Der junge „Gestrenge“ saß hinter seinen Büchern und kalkulirte. Er ließ sich nicht träumen, daß er falsch rechne, daß mit nächstem ein Fingerchen an dieser Schreibstube anpochen und der kleine Verhaßte aus dem Packhause Einlaß, Sitz und Stimme fordern werde – von Rechtswegen!
Auf Isola Bella.
(Mit Illustrationen S. 308 und 309.)
Habt ihr einmal von Stresa oder Baveno aus euch den Lago Maggiore betrachtet? Dann habt ihr eine blaue Fläche gesehen, über welcher in fernem Hintergrunde die weißen Gipfel des Strahl- und Mischabel-Hornes aufragen. Ganz im Vordergrunde habt ihr eine Anzahl Inseln wahrgenommen, um welche sich die Fluth ausbreitet. Einige davon gleichen einem großen Blumenstrauße, der auf dem Wasser schwimmt. Wenn ihr es gesehen habt – desto besser für mich. Denn Worte geben, wenn ihnen nicht von Seiten des Hörers viel Einbildungskraft entgegengebracht wird, ein sehr unzureichendes Bild von großen und farbenreichen Landschaften.
Die beste Vorstellung hat derjenige, dem es nicht vergönnt war, die Alpen oder den Apennin zu überschreiten, sich vielleicht in seiner Jugend angeeignet, als er sein Vergnügen an den Erzählungen unserer Romantiker fand. Er gedenke der Gräfin Dolores des Achim von Arnim. Dann gemahnt es ihn wie ein Bild von Piniengärten, aus deren Grün die weißen Marmorhallen hervorblinken. Es rauschen die Brunnen, es duften die Magnolien und die Rosen. Auch Eichendorff hat von solchen Palästen erzählt, die unter Blumen versteckt sind wie das Dornröschen unter Waldzweigen, und Jean Paul führt uns gar in seinem Titan leibhaftig auf jene Insel hinüber und nennt sie den geschmückten Thron des Frühlings.
Wir werden sehen, wie es damit bestellt ist. Mittlerweile lassen wir die Gaststätte des anspruchsvollen Stresa mit ihren langweiligen Engländern hinter uns, steigen in ein Boot und rudern hinüber nach Isola Bella, der nächsten dieser Inseln, die weit und breit unter dem Namen der Borromäischen Inseln bekannt sind. Der Lago Maggiore ist im Ganzen und Großen gerade nicht der schönste See Oberitaliens, ihn übertrifft der Garda-See an Gewaltigkeit der Ufer und an Mannigfaltigkeit der Hochgebirge und Hügel. Gerade aber diese Bucht, an deren Eingang die Inseln hingelagert sind, gewährt einen weiten Rundblick auf Wasser und auf jene weißen glänzenden Wälle, die dem Lande Italien das Schneegefunkel ihres Winters zeigen. Dort ist der See so schön, daß man kaum irgend ein Gestade des Garda-Sees ihm für ebenbürtig erklären möchte. Ja, dieser Einschnitt in die gartenreiche Landschaft, dieses Vordringen des hellen Gewässers in die geschmückten Ufer hinein, wird allenthalben Lobredner und Schwärmer finden. Selbst erfahrenen Kennern der Oberfläche unseres Planeten ist es so ergangen. In dem Reisebüchlein des guten, alten Schubert, welches ich auf meinen Wanderungen gerne mit mir trage, findet sich eine anmuthige Stelle, welche dem ersten Eindrucke der Inseln gilt. Ist es doch, so erzählt uns der gemüthvolle Wanderer, als webte hier im Schatten der Pinien und der jungen Cedern noch der edle Geist der Borromäer, so klar und still und tief, wie der See am Fuß des Orangenhains; der See, in dem sich neben dem Blau des Himmels die Stirn des Alpengebirges spiegelt.
Um dieses zu verstehen, muß man wissen, daß gegen das Ende des 16. Jahrhunderts hin es dem Grafen Vitaliano Borromeo beifiel, einen nackten Felsen, welcher den Schiffern zum Trocknen ihrer Netze und zu anderer Hantirung diente, in diesen Garten umzuwandeln. Darum ist der Name jener Grafen an den Inseln haften geblieben. Diejenige, an der wir soeben gelandet, hieß früher Isola inferiore und wurde im Jahre 1671, als die Gärten und Prachtbauten vollendet wurden, „Isabella“ genannt, der Mutter des Grafen Vitaliano zu Ehren. Als aber später die Leute herbeiströmten, um dieses „schönste Reich Italiens“ zu schauen und zu bewundern, da erlitt der neue Name eine Wandlung, es entstand im Volksmunde aus ihm „Isola Bella“ – der richtigste Name für diese „schöne Insel“. Ja, schön ist sie nach dem Geschmack der Südländer nicht allein dnrch ihre Zaubergärten, sondern auch durch die Werke der Baukunst, die aus dem Pflanzengrün emporragen, denn der Italiener vermag sich keinen großen Garten vorzustellen, ohne einen Palast, der prächtiger und anspruchsvoller ist als die Pflanzungen. So ist es auch hier geworden. Die Gebäude und das Mauerwerk nehmen mehr Raum ein als der Baumschatten.
Wir landen an einer weißen Steintreppe. Alsbald gelangen wir in den großen Hof des Borromäischen Palastes. Von drei Seiten her schlägt die Welle des Sees an seine Mauern. Hier giebt es alles, was man in Wälschland zusammen zu schleppen pflegt, um den Prunk der Familie und den Glanz des eigenen Hauses zu zeigen. Da begrüßen sich in kühlen unterirdischen Räumen Thetis und Galathea neben Muschelschalen, in welche es silberhell hineinsprudelt. Oben glänzen an den Wänden die Meisterwerke eines Caravaggio oder Paolo Veronese. Der Fuß schreitet bald auf Marmor, bald auf Mosaik. Sehenswürdigkeiten, vor welchen stehen zu bleiben den Wanderer der seinem Handbuche schuldige Frohndienst zwingt, giebt es eine Menge. Wir können ein juwelengeziertes Weihwasserbecken und ein Bett anschauen, in welchem Napoleon I. geschlafen hat. Ein Führer wird die allerhöchsten Herrschaften herzählen, mit deren Besuch das Eiland in diesem Jahrhundert beehrt worden ist.
Viel schöner ist es gegen Osten hin. Dort erhebt sich ein Baumdickicht, welchem auch im Winter das grüne Gewand nicht fehlt, weil es aus Cedern und Lorbeeren, aus Cypressen und Kampherbäumen besteht. Dort erhebt sich die Pinie und verkündet Italien.
„Es stehen so ruhig die Cypressen,
So himmelträumend, so weltvergessen.“
Bildsäulen und Gemälde sind überall zu finden. Derjenige aber, der von Norden kommt, wird ihnen gerne den Rücken kehren, um durch die Zwischenräume des dunkeln Laubwerkes auf die Fluth und die weißen Hochgipfel zu schauen. Vielleicht noch mehr als das Gesicht wird der Geruchssinn angeregt, denn dem Lorbeerhauch kommt eine seltsame Wirkung zu. Im Frühling gesellen sich dazu die Düfte zahlloser Blumenkelche, welche die meisten Wanderer nie gesehen haben. Spärlich sind die Stimmen der Vögel, weil die Sänger von den Einwohnern gegessen werden. Kühl ist der Hauch des Sees, glänzend das glatte Blatt des Lorbeers, aber ein akademischer Linear-Geist hat sich mit Richtschnur und Senkel des Hesperidengartens bemächtigt. Schmeichelud weht die Luft [313]
vom Wasser her, doch sie bringt deinem Ohr keinen Jauchzer.
Die Leute, die außerhalb des Marmors wohnen, sammeln sich
am schmutzigen Strand vor ihren Hütten, um deine Rückkehr aus
dem Zauberhaine der Armida zu erwarten und dich anzubetteln.
Daß allenthalben Marmorbilder in den Nischen, in den Sälen, in den Wölbungen der Laubengänge, an Brunnen, auf herbeigeschleppten Felsstücken stehen, weiß Jeder, der im südlichen Lande solch einen Prunkpalast gesehen hat. Schon Mignon thut ihrer Erwähnung. Es ist da eine absonderliche steinerne Gesellschaft zusammengekommen. Venus und Flora, unter dem Meißel Monti’s entstanden, schauen den Bildnissen von Menschengestalten unserer Tage in die Augen. Mancher von den Schwärmern hat auch der schwebenden Gärten von Isola Bella Erwähnung gethan. Es sind dies treppenförmige Absätze, zehn an der Zahl, einer über dem anderen. Auf ihnen stehen ebenso viele schmale Obelisken, Pyramiden und Bildsäulen, als Bäume. Man möchte das Ganze, durch welches sich die Marmortreppen hinaufziehen, mit einem jener breitwuchtigen Pagodenthürme vergleichen, wie sie an den Ufern indischer Ströme in die Höhe steigen. Zu oberst auf dem ausgedehnten Steinwerke erhebt sich das geflügelte Einhorn, das Wappenthier der Borromäer.
Unverständlich bleibt es den Italienern, begreiflich aber den Nordländern, daß es immer Leute gegeben hat, welche von der steinernen Mosaikherrlichkeit solcher Gärten nicht viel wissen wollen. Unter diesen Sonderlingen befinden sich zwei, denen die Welt ein feines Gefühl für die Gestaltungen der Natur zuerkennt, Rousseau und Saussure. Manchem Leser ist jene Stelle der „Geständnisse“ erinnerlich, in welcher der Genfer Philosoph behauptet, die Kunst habe hier auf Kosten des Naturschönen zu viel gethan. Was jedoch Saussure anbelangt, so ist dieser noch weiter gegangen, indem er sagte, daß er sein Leben lieber in einem weltvergessenen Felsenthale, zwischen Wäldern und Wasserfällen zubringen wolle, als immerfort auf diesen geradlinigen Terrassen zwischen den Obelisken, den steinernen Drachen, Tritonen und Meerungeheuern herumzugehen. Gleichwohl gesteht auch er zu, daß es ein großer Gedanke war, einen nackten Felsen in einen Garten zu verwandeln, in welchem den Blumen und Gewächsen verschiedener Zonen ein Stelldichein gegeben wurde. In dieser Hinsicht freilich wird Isola Bella weit von der benachbarten Isola Madre übertroffen. Dort glüht es allenthalben im Vorfrühlinge von Kamelien, im Hochsommer von Granatblüthen und von den Blumenkelchen der haushohen Oleander. Der Garten dort ist weniger abgemessen, weniger beschnitten, mehr von Ziererei und Schnörkeln verschont geblieben.
Nur an den Seen Oberitaliens, welche noch im Schutze der Alpen liegen, kann der Fremdling sich eine Vorstellung von jenem Pflanzenwuchse machen, der erst weiter südlich, jenseit des Apennin, beginnt, von jenem Pflanzenwuchse, den man die Vegetation des Mittelmeerbeckens nennt. Weiter draußen, in der lombardischen oder venetianischen Ebene, ist von dieser nur wenig mehr zu verspüren. Aber an den felsgeschützten Gestaden der Seen giebt es manches Bild von Wachsthum, welches an die Gärten von Pegli oder Bordighera gemahnt. Man sieht das [314] Vorherrschen holzstengliger Pflanzen mit lederartigen Blättern. Die Pflanzen sind reich an flüchtigen Oelen, unter den wildwachsenden machen sich besonders die nelkenähnlichen und die lippenblumigen breit. Der Oelbaum, die Zwergpalmen, die Opuntien, welche schön gedeihen, deuten auf noch wärmere Länder hin, während nicht weniger Pflanzen aus dem Norden sich angesiedelt haben und es an jenen Seen gar nichts Seltenes ist, neben der Zwergpalme die Alpenrose zu erblicken.
Diese Art von Flora erinnert an zwei andere Pflanzengebiete, in welchen ebenfalls kältere und wärmere Einflüsse sich so nahe berührt haben wie in den Uferländern des Mittelmeeres. Es ist dies der Pflanzenwuchs des heutigen Japan, welches noch immer viele Eigenthümlichkeiten zur Schau trägt, insbesondere aber jene Pflanzendecke, welche in der tertiären Periode der Geschichte unserer Erdrinde über dem Festland grünte. Auch dort stand Lorbeer und Myrthe neben Weißdorn und Kornelkirsche. Heidelbeeren und Haidekraut gediehen unter Storaxbäumen, von welchen balsamduftiges Harz abtrieft. In Japan überzieht sich an Wintertagen das Wasser mit Eis, während seine sommerliche Gluth auch am Mittelmeer nicht ihres Gleichen hat.
Der Dichter hat vom geschmückten Throne des Frühlings gesprochen. Wenn der Letztere über unseren Erdtheil eingezogen ist, weilt er allerdings hier in besonderer Pracht und Herrlichkeit. Ist aber der Sommer hinabgeflohen weit übers Meer, den Ländern der Sonne und der Palmen entgegen, dann wird es hier so winterlich still, wie nur irgendwo in den mittleren Ländern unseres Erdtheils. Die Räder des Dampfers, welche die Fluth theilen, belegen sich mit dicken Eiskrusten. Viele der Baumstämme, aus deren Kronen es jetzt so süß herabduftet, sind dicht mit Stroh umwickelt. Unheimlich schimmert der weiße Schnee durch die Lichtfluth der Mondnacht von den nächsten Hügeln herüber. Weit hinaus in den See schwimmen die Eisschollen, welche der Ticino mit herabbringt. Das schmutzige Wintergrün der Olive über dem Schnee sieht aus wie eine sorgenvolle Erinnerung an die vergangenen Sommertage.
Es ist, wie wenn alljährlich über diese Seen eine Ahnung ihres Ursprunges hinzöge. Dort, wo im Sommer vor schützenden Mauern unter der obwaltenden Sorgfalt des Menschen die Orange ihren Duft aushaucht, tritt um ein halbes Jahr später der Winter herein wie eine schauerliche Gestalt verklungener Märchen und alter Sagen. Demjenigen, der für Solches Ohren hat, erzählt er von den Tagen, in welchen der See geboren wurde. Damals, als die großen Gletscher sich zurückzogen, klaffte hier ein tiefer Schlund. Draußen, weit südlich vom See, liegen noch die Stirnmoränen jener Gletscher, jetzt grüne Hügel, von Oelbäumen und Reben bedeckt und von manchem Heiligthume gekrönt. Dort, wo keine Kluft, kein Schlund war, blieben nur der Schlamm der Gletscher, ihr Geröll, ihre Seiten- und Mittelmoränen auf dem nassen Boden zurück, um alsdann von Wasserrinnsalen durchwaschen und ausgefurcht zu werden. Hierüber, im tiefen Felsabgrunde, hielt sich das Eis aufgetürmt. Lange Zeitläufte hindurch gelangte deßhalb das Geschiebe der einmündenden Wasser nicht auf den Grund. Endlich lösten sich auch diese Eismassen in Wasser, es entstand der See. Am See aber erhoben sich Jahrtausende später die Paläste mit Werken hoher Kunst geschmückt. Hier sieht man die wundervolle Entwicklung des Geistes in der Natur und den Sieg der Götter über die Titanen.
Unter der Ehrenpforte.
(Fortsetzung.)
Der junge Fürst zog am nächsten Morgen weiter, seinem Vater und dem fürstlichen Brautzuge entgegen, mit dem er eine halbe Tagereise von der Stadt zusammentreffen sollte. Das letzte Nachtquartier wurde von den hohen Reisenden im ehemaligen Kloster zum weißen Stein, kaum eine Stunde westlich vor der Stadt, genommen, damit am nächsten Morgen Pferde und Reiter frisch und ausgeruht, und ohne den Staub der Landstraße auf den Festgewändern, beim Einzuge erscheinen konnten.
Hierher hatte sich der Bürgermeister Herr Jakob Tiedemars zur ersten, man hätte sagen können vertraulichen Begrüßung seines fürstlichen Herrn begeben, denn hier erschien er gewissermaßen nur in eigner, privater Person, noch nicht in Vertretung seiner Stadt, nicht als Bürgermeister.
Der Landgraf hatte den ihm vertrauten Mann noch zu ziemlich später Stunde, nachdem der Hof die Nachtkost bereits eingenommen hatte, allein in seinem Gemache empfangen. Es war mancherlei, was den morgenden Tag betraf, zur Sprache gekommen, und der Doktor hatte nur Günstiges zu berichten gehabt, so daß der Fürst, nach seiner ernsthaften, etwas wortkargen Art, zufrieden und in behaglicher Laune erschien. Als ihm der Schlaftrunk in silberner Kanne gebracht wurde, schenkte er dem Bürgermeister eigenhändig ein und sagte dann, indem er seinen Becher zum Munde hob.
„Das bringt Euch Euer wohlgewogener Herr, Bürgermeister ... sprecht, kann ich Euch noch irgend was zu Liebe thun?“
Jetzt war der Augenblick gekommen, auf den der kluge Mann seit so manchem Tage unverrückt den Blick gerichtet hielt. Er gestattete es seinen beherrschten Zügen, einen sorgenvollen Ausdruck anzunehmen, während er begann: „Fast möcht’ ich sagen: leider ja ... Landgräfliche Gnaden, und nur Sie allein, können einem besorgten Vater das Herz erleichtern, wenn anders es Ihr fürstlicher Wille ist.“
Der Herr zog die buschigen Brauen in die Höhe. „Wie wäre das?“ fragte er in seiner kurzen Weise.
„Ich habe einen ungehorsamen Sohn, gnädiger Herr,“ sagte Tiedemars und seufzte. – „Nicht daß ich bisher über ihn zu klagen gehabt hätte. Eure Gnaden erinnern sich des Jünglings wohl, der vor drei Jahren am St. Michaelistage bei dem Festspiel aus Eurer hohen Hand selber den Preis für das Ringelstechen empfing und Eures fürstlichen Lobes vor Andern sich zu erfreuen hatte?“
Der Landgraf nickte bedächtig mit dem Kopfe. „Er hat seitdem gehalten, was er damals versprach,“ fuhr der Bürgermeister fort, „und auf den Schulen von Padua und Bologna gutes Lob davon getragen. Seit Kurzem ist er heimgekehrt, und ich dachte nun meines Alters Freude an ihm zu erleben. Denn der Bursche kann sich sehen lassen! Seinem Jus habe ich auf den Zahn gefühlt und mich schier verwundert ... er wird überall seinen Mann stehen. Aber ich dachte ihn als Adjunkten bei mir zu behalten und meinem gnädigen Herrn einen tüchtigen Diener an ihm zu ziehen, welcher dero Rechtssachen im Kopfe und am Herzen trüge ...“
„Nun?“ fragte der Landgraf, als Tiedemars eine Pause machte.
„Verzeihen Eure fürstlichen Gnaden, wenn ich zu breit werde. Aber Alles, was ich bisher vorgebracht habe, möge meinem gnädigen Herrn darthun, wie hart es mich ankommen muß, solche Hoffnungen sämmtlich in die Brüche gehen zu sehen. Ich will mich kurz fassen. Wir Alten sahen schon runde Enkel um uns herum ... seit Jahren ist es zwischen meinem und dem Hause eines achtbaren Bürgers und meines Gevatters, des Herrn Peter Külwetter, abgesprochen, daß unsere Kinder, mein Sohn – alles was ich von Nachkommen habe – und seine einzige Tochter, ein Paar werden sollten. Die Jungfer Külwetter ist unter unsern Augen aufgewachsen, ein Mädchen wie Milch und Blut und dem Georg von ganzer Seele ergeben. Er aber weigert sich jetzt, seines Vaters Wort einzulösen. Ich wußte nicht anders, als daß er der Dirne herzlich gut sei ... die Aussteuer liegt bereit, die Truhen sind gepackt, sozusagen, und das Kränzel gewunden – denn noch vor dem Herbste sollte die Hochzeit sein. Da läßt zur elften Stunde noch mein sauberer Patron von Sohn die Augen umherschweifen und siehe da, er entdeckt eine Andere, welche ihm besser als der alte Schatz gefällt ... und all das Hoffen der Alten – der Mutter auf die Herzensfreude an dem jungen Hausstand, des Vaters auf die Stütze, die er an dem ansässigen, als ehrbarer Bürger und geschickter Jurist neben ihm lebenden Sohn haben werde – das Alles bläst der frevle Eigenwille des Burschen wie ein Kartenhaus über den Haufen!“
[315] Es grollte so viel verhaltener Unwille und bitterer Verdruß in der Stimme des Bürgermeisters, als der Respekt vor der landesherrlichen Gegenwart nur irgend gestattete. Und wenn der Doktor, dem fürstlichen Herrn hiervon nur genau so viel zumaß, als, wie er wußte, an diesem Orte zulässig war, so spielte er damit keineswegs etwa nur eine Rolle, sondern sprach ziemlich genau aus, was er wirklich empfand. Denn allzu schwer kam es dem an das Befehlen gewöhnten, sich seiner guten oder doch wenigstens immer klugen Absichten bewußten Mann an, die althergebrachten Zukunftspläne für den Sohn von diesem so jäh durchkreuzt zu sehen.
Der Landgraf hatte aufmerksam zugehört und wiederholt den Kopf geschüttelt. Jetzt richtete er denselben in die Höhe, sah den Doktor eine Weile an und sagte dann mit starker Stimme: „Daraus wird nichts!“ und noch einmal „daraus wird nichts!“ während er nach dem Stock griff, der neben ihm lehnte, und denselben mehrmals heftig auf den Boden stieß.
Der Bürgermeister begriff, daß die Sache für ihn günstig stand. Er wartete noch eine Weile, ob von den landesherrlichen Lippen eine weitere Meinungsäußerung fallen werde. Diese erfolgte nach einer ziemlich langen Pause und zwar in Gestalt der kurzen Frage: „Und wer ist das Weibsstück?“
Der Bürgermeister wußte auf die Art des Herrn zu laufen. Er antwortete ohne Zögern: „Ein Mädchen geringen Standes, Euer fürstliche Gnaden … brav und unbescholten, so viel ich weiß, aber nicht einmal eine Bürgerstochter, und ihrer Herkunft nach zur Frau eines ansehnlichen Bürgersohnes wenig geeignet.“
„Und er will sie heirathen?“ fragte der Landgraf, ohne das Haupt, welches er mit dem Kinn auf seinen Stock gestützt hatte, zu erheben.
Doktor Tiedemars zuckte mit vielsagender Miene die Achseln.
„Er soll es bleiben lassen,“ fuhr der fürstliche Herr auf, um aber sogleich wieder in sein Schweigen zu verfallen.
Der Bürgermeister begann nach respektvoller Pause:
„Jedenfalls aber steht der thörichte Handel zwischen meinem Sohne und demjenigen, was, ihn betreffend, seiner Eltern wohlmeinender Wille ist. Nun begeb’ ich mich aber nicht ganz der Hoffnung, mit der Zeit den Trotz des Thunichtguts zu beugen, ihn auch, durch Anwendung väterlichen Zuspruchs wie väterlicher Strenge, wieder auf den Weg des Gehorsams zu bringen. Zu dem Ende aber, und damit er nicht etwa, was Gott verhüten möge, hinter meinem Rücken uns einen Streich spiele und sein Freien nach eigener, frevler Willkür durchsetze, möchte ich ihn auf eine Zeitlang entfernt wissen, und dazu wage ich um die Mitwirkung meines gnädigen Herrn Landgrafen zu bitten. Wollte ich, aus eigener Autorität, ihn gerade jetzt fortschicken, wer weiß, ob der Trotzkopf mir nicht den Gehorsam weigerte. Einem Befehle seines landgräflichen Herrn aber wird er folgen, um so eher“ – hier blickte der Bürgermeister den Fürsten mit seinem klugen Lächeln bedeutsam an – „je weniger er ahnt, daß hochfürstliche Gnaden von seinen Streichen unterrichtet sind.“
Der Landgraf nickte nur, und Tiedemars fuhr fort:
„Wohin wir ihn senden können, wollte ich mich ebenfalls unterfangen vorzuschlagen. So wie so werden Euer Gnaden nunmehr einen zuverlässigen Mann, im Aufsetzen von Urkunden und allen juristischen Bräuchen wohl erfahren, hinüber ins Schmalkaldische zu schicken haben, da Euer Gnaden Mitherr der nunmehr zurückgefallenen Rothenbüheler Lehen seid. Mein Sohn wäre dazu der rechte Mann, daher mein unterthäniges Anliegen ist, selbigen mit den nöthigen Vollmachten versehen in allernächster Zeit – und heute lieber als morgen – dorthin abfertigen zu wollen.“
Der Bürgermeister hatte wohl wahrnehmen können, wie der Landgraf auf seiner Seite war, und versah sich daher alles Anderen eher, als daß der fürstliche Herr jetzt mit einem Male wohlbedächtig und mit aller Entschiedenheit den Kopf schütteln würde. Das aber geschah zum Schrecken des Bürgermeisters – der Landgraf schüttelte das Haupt, und zwar zu wiederholten Malen, was bei ihm eben so gut war, als habe er die verschiedensten Gegengründe vorgebracht. Endlich sprach er: „Das wollen wir anders machen, Bürgermeister … das wollen wir besser machen. Fortschicken? wozu … daß er sich anderswo wieder in eine Andere vergafft? Nein ... Dein Sohn heirathet die Jungfer Külwetter – ich kenne den Alten wohl – so was von einem Pfennigfuchser, wie?“ – dabei nickte der Herr gutlaunig zu dem Doktor hinüber – „führt das knappste Ellenmaß in der Stadt und hat keinen schlechten Haufen Batzen zusammengebracht? Nun, um so besser für Dich – ich freie dem Burschen die Braut, und das morgen … laß mich nur machen ... laß mich nur machen! Wollen doch sehen, ob er dann noch aufsässig ist … Hübsch ist die Dirne, sagt Ihr? die Jungfer Külwetter mein’ ich … hübsch und sauber? ja, hübsch müssen die Weiber sein, das kann ein ordentlicher Kerl von Seiner verlangen. Und von gutem Hause, und reich? was will der Schelm mehr? Morgen Abend ist die Sache richtig, und gleich nach der unsern richtest Du die Hochzeit zu. Und wir sammt der Gräfin Sabine, alsdann unserem lieben Gemahl, bitten uns hiermit dazu bei Dir zu Gaste.“
Dem Bürgermeister war es heiß geworden, und der Kopf fing an ihm zu schwirren ob dieser kurzen, fürstlichen Art, mit seinem Handel umzuspringen. Aber er wußte, daß, wenn der Herr gerade in solchen Dingen, wo er es gut meinte, seinen Kopf aufgesetzt hatte, seinen fürstlichen Willen, um nicht zu sagen Eigenwillen, zur Geltung zu bringen, an keine Einrede zu denken war. Es half nichts, er mußte sich für die landgräfliche Huld bedanken und morgen dem Schicksal seinen Lauf lassen. – Und nun war der Tag endlich da, an dem schon seit Wochen die Gedanken von Tausenden voreilend gehangen hatten. Die Sonne selber, die von einem blauen, nur leicht und unmuthig bewölkten Himmel schien, lachte heller als sonst von den unzähligen bunten Wimpeln, den Teppichen und Tüchern nieder, durch welche die Gassen in oben offene Säle umgewandelt worden waren; sie küßte überall die warmen Farben noch wärmer, und selbst das graue Gestein verwitterter Mauern, ja verräucherte Dächer und Schornsteine überzog sie für heute mit einem goldenen Farbentone, sodaß sie aufs Beste in das prächtige Bild paßten.
Und unter diesem Himmel und umweht vom leisesten, frischesten Windhauch, der die Düfte der in den Kranzgewinden prangenden Blumen weit umhertrug, ging der Einzug des landgräflichen Herrn und der künftigen Landesmutter in die getreue Stadt, ging ferner Scene um Scene der längst vorbereiteten Feierlichkeiten unaufhaltsam von Statten, zog Schauspiel auf Schauspiel vorüber, um nicht mehr der Zukunft, nicht mehr der kurzen, für das gierige Schauen viel zu kurzen Gegenwart, dem flüchtigen Jetzt, sondern um von nun an der Vergangenheit und Erinnerung anzugehören und damit den Menschen eigentlich erst wirklich eigen zu werden.
Alles gerieth aufs Beste, nichts schlug fehl. Schon vom ersten Blicke auf das fürstliche Paar an hatte sich ein wahrer Taumel loyaler Erregung der sonst ziemlich hausbackenen Städter bemächtigt. That es doch schon jedem getreuen Herzen gut, die wohlbekannte Gestalt des allverehrten Landesherrn einmal wieder zu sehen, das biedere breite Gesicht, die kräftigen Schultern des ehrenwerthen, wenn auch etwas trockenen Herrn in der an ihm ganz ungewohnten Festtracht zu bewundern, mit den um den Werth eines Herzogthums nicht zu kaufenden Perlenschnüren am Hut und der Kette des goldenen Vließes auf der Brust. Freute man sich aber hier über das was man kannte, so war es wahrlich nichts Geringeres um das frohe Staunen, die befriedigte Neugier und die unbegrenzte Bewunderung, mit der aller Blicke alsbald an der neben dem Herrn reitenden hohen Frauengestalt hingen.
Das war sie also, das dunkelhaarige Weib in prächtiger Haltung, mit dem etwas vollen und stark gefärbten, aber doch nobelen und zugleich freundlichen Angesicht, den Augen voll Lebenslust und Heiterkeit, dem gutmüthigen, etwas spöttischen Munde! Ja, so sah eine echte Fürstin aus. Und wie sie auf dem Pferde saß und das feurige Thier ohne alle Anstrengung zügelte und regierte, nur nebenher, wie sich’s gehörte, und als ob sie davon nichts wisse!
„Ob die wohl spinnen kann?“ entfuhr es einem dürren, allzu bedenklichen Männchen. Hui, wie dem von den Danebenstehenden über den Mund gefahren wurde! „Unsere Landgräfin braucht nicht in der Stube zu sitzen! Die soll dem Herrn seinen Hof und sein Land wieder lieb machen, daß er sich nicht länger trübsinnig in seine ältesten Nester von Schlössern verhockt! Laß sie jagen und reiten, um so besser! Da kommen sie auf die Dörfer und sehen, wie der arme Mann wohnt und wie sein Getreide steht, und ob er auch den Zehnten zu erschwingen vermag! Und auch der Bürger kann ihnen eher einmal nahen und ein Anliegen vorbringen, als wenn sie kaum und nur zum Kirchgang an das Tageslicht kämen.“
[316] Hingen nun aller Blicke an dem Fürsten mit Vertrauen und Neigung, mit bewundernder Lust aber an der glänzenden neuen Erscheinung neben ihm, so war es ein ganz eigenes Hochgefühl, dem sich bei jedem Einzelnen etwas wie zärtlicher Stolz beimischte, mit welchem Alt und Jung den dem Fürstenpaare zur Seite reitenden Knaben, den „Sohn des Landes“ betrachtete. Der schien einem Jeden von ihnen anzugehören: Einer zeigte dem Anderen den herrlichen Jungen; man freute sich, wie er dem Vater und, nach der Behauptung der ältesten Leute, auch seinem kräftigen Ahn, dem Freunde des Doktor Martin Luther, wie aus dem Gesicht geschnitten war. Die Luft erbebte von dem immer erneuten Jubelgeschrei, mit dem die Menge den fürstlichen Zug begleitete, bis derselbe bei der am Eingange der Schloßgasse errichteten Ehrenpforte zuerst Halt machte.
Hilfe bei Ohnmachten.
Unter einer Ohnmacht versteht man einen Schwächezustand, der
mehr oder weniger schnell und unerwartet eintritt. Alle
schwächenden Einflüsse, Blutverluste, Schrecken, Ueberreizung der
Nerven etc. können eine Ohnmacht hervorrufen. Bei Ohnmachten
tritt immer eine Blutarmuth im Gehirne auf, und wenn jener
Centralnervenapparat, welcher im Hinterkopfe liegt, nicht mehr
genügend mit Blut versorgt wird, so erlischt die Funktion der
Lunge und des Herzens, worin auch bei starken Ohnmachten die
Gefahr liegt. Wenn eine Ohnmacht naht, wird plötzlich das
vorher vielleicht recht frisch geröthete Gesicht ganz blaß, die Lippen.
werden weiß, die Augen verlieren ihren Glanz, die Pupillen
werden weit, und obwohl die Augen noch offen stehen, wird den
Erkrankten Alles schwarz vor den Augen, nachdem sich das ganze
Zimmer um sie herum zu drehen schien. Alsbald verschwindet
das Sehen gänzlich. Die hervorragenden Körpertheile: Nasenspitze,
Stirn, Ohren, Hände und Füße werden kalt. Im Gesichte
und dann auch auf der ganzen Körperoberfläche tritt kalter Schweiß
aus, während die Erkrankten manchmal tief gähnen. Endlich
geht die Kraft, sich aufrecht zu erhalten, verloren, sie sinken auf
ein Sofa hin oder stürzen plötzlich auf dem Boden zusammen.[1]
Je nach dem Grade der Ohnmacht verschwinden mehrere, ja sogar alle fünf Sinne, sodaß auch die Gefühlsnerven gelähmt sind und ein absichtlich auf die Haut angebrachter Reiz keinen Schmerz mehr hervorruft. Das Gehör bleibt manchmal allein recht lange erhalten, sodaß die Kranken nach ihrem Erwachen manches Gesprochene erzählen können. In schweren Fällen geht das Bewußtsein gänzlich verloren.
Wenn aber auch das Athmen aufhört und der Puls am Vorderarme nicht mehr fühlbar ist, dann hat die Ohnmacht einen sehr hohen Grad erreicht, und wenn der Puls sogar an den großen Halsgefäßen nicht mehr gefunden und beim Anlegen des Ohres an die linke Brust der Herzschlag nicht mehr gehört wird, dann ist der Zustand jedenfalls ein bedenklicher, gleichgültig, was die Veranlassung zur Ohnmacht war.
Man liest oft lustige Geschichten, daß boshafte Damen, um irgend einen Effekt zu erhaschen oder um sich aus einer Verlegenheit zu ziehen, in Ohnmacht zu fallen verstehen und unwissende und verstandesarme Männer damit einschüchtern. Erreichen solche Damen das Beabsichtigte nicht, so beenden sie meist schnell ihr garstiges Spiel. Wer nur einigen gesunden Hausverstand besitzt und ein einziges Mal eine wahre Ohnmacht sah oder auch nur die Beschreibung einer solchen las, wird Verstellung von Wahrheit sehr leicht unterscheiden. Stürzt Jemand auch noch so geschickt zusammen und verdreht Jemand die Augen noch so schauerlich, es fehlt doch die Blässe des Gesichtes und der Lippen, die von kaltem Schweiße bedeckte Stirn, die gefühllose Haut, der schwache Athem und Herzschlag.
Das Bild einer wahren Ohnmacht ist ein so ernstes und macht einen solchen Eindruck, daß es nicht schnell vergessen und nicht leicht verwechselt wird. Je länger eine Ohnmacht dauert, desto höher steigt die Gefahr, und gerade deßhalb ist es recht nützlich, daß auch Laien wissen, welche Hilfe bei Ohnmachten die beste und nöthigste ist, denn bis ein herbeigeholter Arzt erscheint, dürfte es manchmal schon zu spät sein. Man hört oft die Behauptung aussprechen, die gütige Natur habe in jede Krankheit auch schon das Heilmittel gelegt, und für viele Zustände läßt sich dieser Satz recht gut aufrecht erhalten. Die Indigestion bringt z. B. Erbrechen und Appetitlosigkeit, was gewiß auch für dieselbe schon die besten Heilmittel sind; denn wenn das Unverdaute aus dem Magen weggeschafft und einige Tage recht wenig gegessen wird, so erholt sich der erkrankte Magen schnell wieder.
Ein anderes Beispiel bildet eine Blutung. Verletzt sich Jemand die Blutgefäße des Vorderarmes und der Blutverlust wird bedenklich groß, so tritt Schwäche des Herzens ein und die Blutung steht still, weil ein geschwächtes Herz das Blut nicht mehr bis zum Vorderarme hinaustreibt. Noch manches Beispiel könnte man diesen beiden anreihen, und auch die Ohnmacht bildet keine Ausnahme. Der Ohnmächtige stürzt zusammen, kann nicht mehr aufrecht stehen und sitzen. Gerade aber die tiefere Lage seines Kopfes ist das beste Rettungsmittel aus Gefahren. Der mangelnde Puls und die unterdrückte Athmung sind bei Ohnmachten die zwei ernstesten Symptome und können, wenn sie lange andauern, das Leben in Gefahr bringen. Durch das Niedersinken der Ohnmächtigen wird aber der Kopf meist so tief gelegt, daß nach dem Gesetze der Schwere das belebende Blut wieder zu dem wichtigsten Centralnervenapparate in das Gehirn läuft und die Lebensgefahr beseitigt. Man sieht also auch hier, daß das Heilmittel in der Krankheit verborgen liegt.
Leider reicht aber die Lage der Ohnmächtigen nicht immer aus, um einen genügenden Blutzufluß zu den wichtigen Hirntheilen hervorzurufen.
Jeder Laie, der darüber unterrichtet ist, kann aber bei diesem ernsten Zustande Hilfe bringen und soll sie auch bringen, denn Alles hängt davon ab, daß die Funktion des Herzens und der Lunge nicht ganz erlischt.
Das Gefäßspstem im Körper gleicht einem Röhrennetze, dessen Inhalt das belebende Blut ist und welches, sobald die pumpende und saugende Kraft des Herzens erlahmt, nur mehr dem Gesetze der Schwere unterliegt und der tiefsten Stelle zufließt. Deßhalb sei die erste Sorge der Umstehenden, an den bereits gekennzeichneten wichtigsten Hirntheil möglichst rasch wieder belebendes Blut hinzuleiten. Man lege den Kopf recht tief und halte die Füße recht hoch, sodaß das im Körper vorhandene Blut gemäß dem Gesetze der Schwere nach dem Kopfe hinunter gedrängt wird. Legt man Ohnmächtige auf den Boden und hebt ihre beiden Füße in die Höhe, so tritt meist augenblicklich die erwünschte Wiederbelebung ein.
Ich erinnere mich an viele Fälle, wo ohnmächtige Frauen, die bereits alle Zeichen des Scheintodes boten, weder Puls noch Athem hatten und das brennende Siegellack auf der zarten Brusthaut nicht mehr fühlten, sofort die Augen aufschlugen, erstaunt um sich sahen, gähnten und zu athmen anfingen, als ich sie auf den Boden gelegt und ihre Füße hoch in die Höhe gehalten hatte. Freilich darf ich nicht zu erzählen vergessen, daß diese hoffnungsvollen Erscheinungen sogleich wieder aufhörten, als ich die Füße wieder auf den Boden niederlegte.
Der berühmte französische Chirurg Nelaton ließ ohnmächtige Kranke vollständig stürzenu, daß die Füße den höchsten, der Kopf den niedrigsten Punkt bildete. Man nennt dies heute noch Nelatonisiren, und es giebt wohl nichts, was rascher hilft.
Interessant ist, daß Nelaton durch ein Spiel seines siebenjährigen Knaben auf dieses Stürzen geführt wurde. Nelaton wohnte am Quai der Seine in Paris, und sein Haus war mit unzähligen Ratten geplagt. Dem siebenjährigen Knaben kam es zu grausam vor, daß jeden Morgen die in der Falle gefangenen Ratten von den Bedienten erschlagen wurden; er bereitete den Ratten einen sanfteren Tod, indem er über die Rattenfalle ein dickes Tuch legte, welches er ganz mit Chloroform benetzt
[317][318] hatte. Alsbald lagen täglich die Ratten todt am Boden. Der Knabe hielt nun mehrmals eine der Ratteu beim Schweife in die Höhe, um sie näher zu betrachten und war nicht wenig erstaunt, als diese Ratte nach und nach wieder zu athmen anfing und lebendig wurde, während alle anderen todt liegen blieben. Er zeigte dies seinem berühmten Vater, welcher das Experiment mehrere Tage hinter einander wiederholte, immer mit dem gleichen Effekte. Jedesmal kamen jene Ratten, welche am Schweife in die Höhe gehalten wurden, nach einigen Minuten wieder zum Leben, während alle anderen todt liegen blieben. Diese Erfahrung brachte Nelaton auf den Gedanken, auch ohnmächtige, scheintodte Menschen vollständig zu stürzen.
Bei Ohnmachten, die keinen sehr ernsten Charakter annehmen, wobei Puls und Respiration nicht aufhören, genügt es, die Kranken auf einen Tisch oder ein Bett zu legen und dabei den Kopf etwas tiefer zu lagern als den übrigen Körper. Wenn aber im Gegentheile die Ohnmacht eine sehr ernste ist, sodaß die Tieflagerung des Kopfes und das Erheben der Füße den Puls und die Athmung nicht bringen, vielleicht weil es schon etwas zu lange gedauert hatte, bis die richtige Hilfe kam, so besitzen wir ein zweites großes Mittel, das ebenfalls jeder Laie in Anwendung bringen kann. Es ist dies die künstliche Respiration und die Reizung des Herzens. Legt man die flachen Hände links und rechts auf die Brust des Ohnmächtigen und preßt so alle zwei bis drei Sekunden den Brustkorb fest zusammen, so drückt man die in den Lungen angesammelte Luft heraus; entfernt man nun die Hände rasch, so dehnt sich der elastische Rippenkorb sofort von selbst wieder aus und saugt unwillkürlich durch Nase und Mund frische Luft in die Lungen ein. Meist hat man es kaum zehn oder zwölf Mal nach einander so gemacht, so sieht man mit großer Freude, daß die Kranken selbst schon wieder zu athmen beginnen.
Die nämlichen Bewegungen des Brustkorbes reizen aber auch das Herz zur Funktion; denn jene flache Hand, welche auf die linke Brustseite aufdrückt, stößt die Rippen an das Herz hin, und wenn man das Herz stößt, fängt es meist rasch wieder zu schlagen an. Sogar ein Herz, welches einem soeben getödteten Thiere herausgenommen und auf einen Teller gelegt wurde, fängt nochmals für einige Sekunden zu schlagen an, wenn man darauf hinstößt. Es giebt verschiedene Methoden: Athmung und Herzschlag künstlich wieder hervorzurufen, aber die eben beschriebene scheint mir die am leichtesten nachahmbare zu sein, und ich verdanke ihr viele herrliche Erfolge.
Wie es mit der tiefen Lagerung ist, so verhält es sich auch mit der künstlichen Respiration; man darf damit nicht zu früh aufhören, weil sonst die Kranken wieder in Ohnmacht zurücksinken. Am besten thut man, die tiefe Lage, und wenn die künstliche Respiration nöthig ist, auch diese so lange fortzusetzen, bis die Kranken zu vollständigem Bewußtsein kommen. Dann ist aber auch nichts mehr zu befürchten.
Einige Kranke erbrechen, sobald sie zum Bewußtsein kommen, namentlich wenn der Ohnmacht eine Indigestion voraus ging. Andere bekommen einen kleinen Frostanfall und haben die größte Neigung, gut zugedeckt ein Schläfchen zu machen. Die ernstesten Fälle sind immer jene, wo ein starker Blutverlust die Ohnmacht hervorrief. Solche Fälle kommen dem Scheintode am nächsten, und die Betroffenen sind am schwersten zu beleben, weil die durch einfache Tieflagerung des Kopfes an die wichtigsten Hirntheile hingeleitete Blutquantität vielleicht nicht ausreicht, Herz und Lungen wieder in Funktion zu setzen.
Bei solchen Fällen muß vor Allem dafür gesorgt werden, daß die Quelle der Blutung verstopft wird, denn jeder Belebungsversuch ist illusorisch, so lang aus irgend einer Wunde oder Körperhöhle Blut herauslaufen kann. Deßhalb muß in solchen Fällen die Blutstillung allem Anderen vorangehen.
Ganz gewöhnlich ist es eine sehr kleine Oeffnung, aus welcher das Blut herausläuft, und wenn sich Jemand die Mühe giebt, mit der Fingerspitze die kleine Oeffnung zuzuhalten, oder etwas Impermeables, z. B. ein Stückchen rohes Fleisch, ein Geldstück, ein Korkstück etc., darauf zu binden, so ist die Blutung sicher gestillt, während das Hinüberwickeln von Tüchern, die alle Blut einsaugen, schlechter ist als Nichts. Ich sah manche Leiche auf dem Sektionstische liegen, die sich aus einer stecknadelkopfgroßen Oeffnung einer aufgesprungenen Krampfader der Wade verblutet hatte.
Ist die Blutung sicher gestillt, sind Kopf und Füße richtig gelagert und das Leben kehrt doch nicht wieder zurück, so ist vielleicht die verloren Masse Blut absolut zu groß gewesen, und wir müssen dann das im Fleische der Arme und Füße noch vorhandene Blut herauspressen und zu dem tiefgelegten Kopfe hinlaufen lassen. Dies erreichen wir dadurch, daß wir die Arme von den Fingern angefangen und die Füße von den Zehen angefangen bis zum Stamme hin kräfag einwickeln, das Blut der vier Extremitäten also gegen den Stamm hindrängen und durch Tieflagerung des Kopfes das gesammelte Blut vom Stamme zu dem wichtigsten Hirntheile hinlaufen lassen.
Stehen uns hierfür elastische Binden zu Gebote, so sind sie den Leinwandstreifen, die wir uns aus jedem Leintuch schnell schneiden können, vorzuziehen. Ist so das gesammte Blut gegen den tiefgelegten Kopf gedrängt und wird der Brustkorb rhythmisch tüchtig bearbeitet, so wird der glückliche Erfolg nicht leicht ausbleiben. Jedenfalls kann man sich mit dem Gedanken beruhigen, daß das Beste geschehen ist, denn alle weiteren Mittel darf man nur eine kleine Zugabe nennen. Das Oeffnen des Fensters, das Benützen des Fächers, das Anspritzen mit kaltem Wasser, das Schlagen mit nassen kalten Tüchern, das Bürsten der Hand- und Fußteller, das Einhüllen des Stammes und der Glieder mit trocknen heißen Tüchern ist allerdings eine nicht werthlose Beihilfe, aber doch ist von allen den letztgenannten Mitteln keines so lebensrettend zu nennen, wie die Tieflage des Kopfes und die künstliche Respiration.
Scharfe Riechmittel: das englische Riechsalz oder der englische Riechessig, das Kitzeln der Nasenschleimhaut mit einer feinen Feder, das Hervorziehen der Zunge, das Herauswischen von Schleim aus dem Rachen, ein Löffel Kognak, Whisky, schwarzen Kaffee oder frischen Wassers – solche Restaurationsbemühungen passen erst, wenn die Kranken zum Bewußtsein kommen und schlucken. Dann aber beschleunigen sie die Besserung oft sichtlich.
Der Arzt kennt noch andere Mittel, mit denen er besonders schwere Ohnmachten zu heben vermag. Hätte er z. B. einen Elektrisirapparat, einen Induktions- oder Rotationsapparat, bei der Hand, so könnte die Thätigkeit der Lungen und des Herzens durch rhythmisches Berühren des Brustkorbes und Halses mit beiden Polen vielleicht rascher wieder gewonnen werden als durch das Pressen mit den flachen Händen. Ja, wenn in manchen Fällen Alles vergeblich und das Leben unwiederbringlich verloren erscheint, dann wird manchmal die Rettung noch erreicht, wenn der galvanische Strom, durch Einstechen einer Nadel zwischen fünfter und sechster Rippe in die Herzspitze, die größtmögliche Reizung des Herzmuskels erzeugt.
Auch die Transfusion von Menschenblut oder die Infusion von Salzwasser, wie man sie unlängst gegen den Choleratod so sehr empfohlen hat, wäre vielleicht manchmal lebensrettend, wenn die Ohnmacht durch übergroße Blutverluste erzeugt war. Ich mochte diese Mittel nicht verschweigen, aber eine große Bedeutung gewannen dieselben nie, weil sie gewöhnlich in solchen Momenten unerreichbar und dem Laien nie geläufig sind.
Als besonders werthvoll und auch für den Laien anwendbar wiederhole ich also: Das Wirksamfte bei einer Ohnmacht ist und bleibt: die tiefe Lagerung des Kopfes, das Hochhalten der Füße, die künstliche Respiration und Reizung des Herzens durch rhythmisches Zusammenpressen des Brustkorbes. Stehen noch weitere Kräfte zu Gebote, so kann man Hand- und Fußteller bürsten, das Gesicht mit naßkalten Tüchern schlagen, den Stamm mit trocknen, heißen Tüchern wärmen, die Fenster öffnen und mit dem Fächer Luft zutreiben lassen.
Kehrt das Bewußtsein zurück, so passen Riech- und Restaurationsmittel.
Sind Blutungen dabei im Spiele, so soll vor Allem die Quelle derselbeu gesucht und solide verstopft werden.
Diesem Wenigen möchte ich nur noch eine einzige Bemerkung beifügen, welche freilich für die Aerzte besser paßt, als für die Laien, nämlich, daß jene gefährlichen Ohnmachten die manchmal während Chloroform-Narkosen entstehen, zwar die ganz gleiche Behandlung erheischen, nur soll der Ohnmächtige sofort in ein anderes Zimmer gebracht werden, wo die umgebende Luft gar keine Chloroform-Dämpfe enthält, denn die erwünschte Ausscheidung des Chloroform aus dem Körper beginnt um so rascher und ergiebiger, je chloroformfreier die umgebende Atmosphäre ist.
Die Doggen.
Unsere Vorfahren kannten einen Hund, dem seltene Stärke, verwegener Muth und große Bissigkeit nachgerühmt wurden und der diesen seinen Eigenschaften gemäß zu verschiedenen wenig lobenswerthen Zwecken verwendet wurde. Es war dies der Canis molossus, eine jetzt ausgestorbene Rasse. Ueber seiner Herkunft schwebt ein Dunkel, das die Wissenschaft nicht
zu lichten vermochte, aber die Geschichte seiner Thaten ist desto genauer in vielen Büchern verzeichnet.
Die Römer sollen ihn in England kennen gelernt haben und ließen ihn in großen Massen nach Rom bringen, damit er dort in den blutigen Cirkusspielen mit wilden Thieren kämpfte. Der Canis molossus eignete sich vorzüglich zu diesem Zwecke. Drei dieser Hunde genügten, um einen Bären zu bewältigen, vier trieben selbst den Löwen in die Enge. Die damaligen Weltbeherrscher legten auf jene Spiele einen so großen Werth, daß sie in ihrer britannischen Provinz sogar besondere Beamte anstellten, die sich mit der Auswahl und Erziehung der nach Rom zu versendenden Molosser-Hunde zu befassen hatten.
Später ahmten die christlichen Könige die Sitten der heidnischen Cäsaren nach, und an den Höfen der Großen wurden auch nach dem Verfalle des römischen Reiches diese Hunde gegen wilde Thiere gehetzt – freilich mit dem Unterschiede, daß später, als die Beschaffung der Löwen immer schwieriger und auch der Bestand an Bären gelichtet wurde, der Stier den vornehmsten Partner in diesen Kämpfen abgeben mußte.
Jedoch nicht allein gegen Thiere wurde der Canis molossus losgelassen, man wußte ihn auch gegen den Menschen abzurichten, und die Geschichte erzählt leider von vielen scheußlichen Thaten, die durch ihn vollbracht wurden. Eine Abart des Molossus waren gewiß auch jene Bluthunde, mit welchen Spanier und Engländer die farbigen Rassen Amerikas bekriegten. Namentlich bei der Eroberung Mexikos und der angrenzenden Länder spielten jene Bestien eine hervorragende Rolle, und die damaligen Chronisten schrieben sogar ausführliche Biographien „berühmter“ Hunde. Am Anfange des 16. Jahrhunderts gab es keinen Pflanzer in Westindien, der den „Bezerillo“ nicht gekannt hätte, den berüchtigten Bluthund, dessen Leben ein vergifteter Indianerpfeil bei der Eroberung von Puerto Rico im Jahre 1514 ein wohlverdientes Ende bereitete. Er war der Stammvater würdiger Nachkommen unter denen der Hund Balboa’s, Leoncico, eine besondere Erwähnung verdient, da er auf einer einzigen Expedition so viele Indianer zerrissen hatte, daß auf ihn allein ein Bette-Antheil von 6000 Mark entfiel.
Vero Shaw hat in seinem großen Werke „Das illustrirte Buch vom Hunde“ nach alten im British Museum befindlichen Vorlagen zwei Abbildungen eines echten Molossus gebracht, von denen Wir eine diesem Artikel beifügen.[2]
Von diesen Hunden stammen, wie allgemein angenommen wird, die englischen Doggen ab, und wir sind darum etwas ausführlicher auf die Schilderung ihres Charakters eingegangen, um dem Leser den großen Gegensatz zwischen den beiden Rassen klar vor Augen zu führen. In der That hat der Mensch durch Kreuzung und Erziehung den Molossus im vollsten Sinne des Wortes civilisirt, denn unsere heutige hochedle englische Dogge zeichnet sich trotz ihres ernsten, Respekt einflößenden Aussehens durch eine so große Sanftmuth aus, daß ihr selbst hier und dort die Rolle der Kinderfrau anvertraut wird.
Auf unserem naturgetreu für die „Gartenlaube“ von Schroetter gezeichneten Gruppenbilde (S. 317) sehen wir zwei vorzügliche Exemplare dieser Rasse. Da ist zunächst die gewaltige englische Dogge „Boatswain“ von M. Hartenstein in Plauen i. V., welche in London 1883 den ersten Preis erhielt. Wie gemüthlich lehnt das Prachtthier seinen Kopf auf den rechten Schenkel des vor ihm sitzenden Züchters, wie klug und verständig schauen die Augen in die Ferne, in denen man vergeblich nach einem Ausdruck der Wildheit oder Grausamkeit forschen würde!
Dicht daneben sitzt gravitätisch die breitspurige, berühmte „Schönheit“, gerufen Ilford Baroneß, Eigenthum der Frau Carlslake in Greenfield. Sehen wir uns die beiden Doggen genauer an, so treten uns die charakteristischen Merkmale dieser Rasse deutlich entgegen. Der Mastiff, so nennt der Engländer seine Dogge, ist gewöhnlich nicht auffallend hoch von Gestalt, von Farbe gelb mit schwarzer etwas gedrungener Schnauze und schwärzlichen Ohren, seltener gestromt und sehr selten schwarz. Er trägt einen mächtigen Kopf mit flacher, faltiger Stirn, unter der nußbraune, ernste Augen hervorschauen. Ein wahrer Stiernacken, die breite Brust und die starken grobknochigen Füße verleihen dem Thier eine kraftvolle, imposante Erscheinung.
Bei den berühmtesten englischen Doggen sucht man die Abstammung von Lyme Hall nachzuweisen, wo eine alte Familie Legh sie schon im Jahre 1435 gezüchtet haben soll. Man berichtet; Sir Percy Legh sei nach der Schlacht von Azincourt, als er blutend auf dem Schlachtfelde lag, von einer solchen Dogge vor den anstürmenden Feinden beschützt worden, bis ihm endlich Hilfe gebracht wurde, er starb jedoch und seine Leiche wurde nach Hause geschafft, wohin die treue Dogge sie begleitete. Bis heute nun soll diese Rasse erhalten und mit ängstlicher Sorgfalt gepflegt worden sein!
Doch kehren wir zu unserem Hauptbilde zurück! Neben Ilford Baroneß sehen wir einen eleganten Hund, der gar selbstbewußt dreinschaut. Er ist auch ein Musterexemplar, wo er bis jetzt in ausgewähltester Hundegesellschaft erschienen war, auf allen Hunde-Ausstellungen trug er Preise davon. „Leo“ ist sein Name und sein glücklicher Besitzer Dr. Caster in Winkel im Rheingau. Ilford Baroneß, die auf einen respektablen Stammbaum zurückschauen kann, scheint ihm auf unserem Bilde absichtlich den Rücken zu kehren, als ob sie wüßte, daß Leo in Sportkreisen doch als ein Proletarier gelten muß, da nicht einmal seine Eltern bekannt sind und sein Geburtsjahr (1880) nur gerathen wird. Das schadet aber nichts, Leo wird mit der Zeit ohne Zweifel Vater eines berühmten Geschlechts werden. Für uns ist er jedoch besonders interessant, denn er bildet einen vorzüglichen Repräsentanten der Hunderasse, die in kurzer Zeit unter dem Namen „deutsche Doggen“ berühmt wurde.
Mancher unserer Leser wird wohl auf den ersten Blick Leo für eine Ulmer oder eine dänische Dogge gehalten haben. Fehlgeschossen hat er dabei nicht, denn die Benennung dieser Rasse hatte lange in Deutschland geschwankt, man sprach von Ulmer und dänischen Doggen, obwohl Niemand die besonderen Eigenschaften, durch die sich dieselben von einander unterscheiden sollten, genau anzugeben vermochte. Um diesem Wirrwarr ein Ende zu bereiten, wurden von den deutschen Vereinen zur Veredelung der Hunderassen auf der Ausstellung in Berlin im Jahre 1880 die genauen Merkmale dieser Rasse, wie sie in vorzüglichster Vollkommenheit sein soll, festgestellt und der einheitliche Name „deutsche Dogge“ für dieselbe vereinbart. Das große Publikum mag diesem Vorgange folgen und von dänischen und Ulmer Doggen nicht mehr reden. Es kann dies mit vollem Rechte und ohne Gewissensbisse thun, denn die dänische Dogge ist in Dänemark so zu sagen auf den Hund gekommen, während sie in Deutschland wirklich veredelt wurde. Sie ist ein Produkt deutscher Zucht und darf mit Fug und Recht den deutschen Namen tragen.
Wir wollen hier einen Auszug aus der Zusammenstellung der Rassenmerkmale, oder wie der Züchter sagt: aus der Pointirungsskala, unserer Dogge geben.
Sie muß von möglichst hoher Gestalt sein, ohne daß die schöne Symmetrie der Körperform dadurch leidet, denn im Gegensatz zu dem [320] englischen Mastiff ist sie schlank; ihre Bewegungen sind leicht und graziös. Ihr Fell muß weich und fein sein wie Sammet; ihre Farbe erscheint bald stahl- oder silbergrau, bald tiefschwarz oder goldgelb gestreift wie der Tiger, auch weiß mit schwarzen oder grauen Flecken. Die Ohren werden fein zugeschnitten, und obgleich Manche gegen diese Operation eifern, so wird sie doch kaum allgemein abgeschafft werden, weil gut gestutzte Ohren dem Hunde ein sehr aufgewecktes Aussehen verleihen.
Außer dem Leo sehen wir noch zwei deutsche Doggen auf unserem Bilde. Neben dem Züchter liegt auf den Dielen die Tigerdogge von H. Müller in Berlin und oben in der Ecke im Vordergrunde erblicken wir gleichfalls eine Tigerdogge, Eigenthum von Max Hartenstein in Plauen im Voigtlande. Wer sich weiter über diese jetzt so beliebte Rasse unterrichten will, den verweisen wir auf das betreffende Kapitel in dem „Illustrirten Buche vom Hunde“ von Shaw. Dort sind auch Auszüge aus sehr interessanten Mittheilungen des deutschen Züchters G. Lang aus Stuttgart abgedruckt. Bemerkt sei nur noch, daß Württemberg die besten deutschen Doggen züchtet.
In den Kreis unserer Doggenfamilie haben sich noch einige kleinere Kerle eingeschlichen, die auf die Verwandtschaft mit den großen Mitgliedern derselben pochen. Da sitzt auf der Bank zunächst die Bulldogge, welche „die Ehre hat, der englische Nationalhuud zu sein“. In England wurde auch diese Rasse früher mit Vorliebe zu Stierhetzen verwandt und zwar nicht etwa ausnahmsweise, sondern häufig genug. Noch im vorigen Jahrhundert hatte nämlich John Bull die Sitte, jeden Stier zu hetzen, bevor er ihn schlachtete, denn er meinte, das Fleisch werde in dem gehetzten Thiere durch die Anstrengungen des Kampfes verbessert! Darum hetzt er auch heute Hasen und Hirsche mit so großer Passion.
Das Ensemble unserer Doggenfamilie wird endlich durch die beiden Möpse vervollständigt, die sich vor Leo niedergelassen haben. Es sind Bullenbeißer en miniature, über deren Ursprung die Gelehrten auch nicht einig sind, deren nahe Verwandtschaft mit Bullenbeißern jedoch Niemand leugnen kann. Man hält sie für dumm, und der Franzose hat auch diese Schwarzschnauzen „Carlins“ genannt, nach dem dummen Harlekin, der sein Gesicht zu den Vorstellungen schwarz bemalte und „Carlin“ hieß. Wir wollen mit seinen Liebhabern oder besser Liebhaberinnen – Brehm nennt ihn den „Altjungfernhund“ – um den Witz des Mopses nicht streiten, aber das muß ihm nachgesagt werden, daß er im Kampfe ums Dasein sich nicht zu behaupten weiß. Vor fünfzig Jahren dachte man schon, er würde aussterben, und Brehm sagte, es würde um ihn nicht schade sein. Aber der Mops that den Gelehrten den Gefallen nicht; und in letzter Zeit tauchte er sogar in großer Zahl wieder auf.
Allerdings so ein echtes Mopsgesicht aus guter alter Zeit, wie das auf Seite 319 abgebildete, findet man heute nicht wieder. Der Mops hat sich leider sehr verändert, die Schnauze ist spitzer, die Ohren sind länger geworden. Das that seiner Beliebtheit lange Abbruch, aber er kommt wieder in Mode, obwohl er noch mit einem anderen großen Fehler behaftet ist: mit gewaltiger Neigung zur Fettleibigkeit. Den Mopsfreunden müssen wir daher rathen, ihrem Liebling ein Regime vorzuschreiben, das sonst nur für fette Menschen gilt. Dieser Schoßhund muß vor Allem zur fleißigen Bewegung in frischer Luft angehalten werden, und Futter, das fett macht, sollte er niemals genießen. Beachtet man diese Regel nicht, so bekommt er bald Athemnoth, förmliches Asthma vor lauter Fett und wird dann durch fortwährendes Aechzen und Schnaufen lästig und widerwärtig.
Damit beschließen wir unsern flüchtigen Ueberblick einer der interessantesten Hunderassen. Hier und dort werden unsere Worte gewiß freundliche Aufnahme gefunden haben; ist doch das Interesse für den treuen Begleiter des Menschen so groß und allgemein, daß über ihn eine Litteratur vorhanden ist, wie wir sie oft über manchen interessanten Volksstamm vermissen. – i.
Blätter und Blüthen.
Ein „Gartenlaube“-Kalender für das Jahr 1886 wird schon im Laufe dieses Sommers im „Gartenlanbe“-Verlag (Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig) erscheinen. Neben dem üblichen Kalender-Inhalt, zahlreichen praktischen Nachweisen und Tabellen enthält derselbe insbesondere gute populär-wissenschaftliche und überhaupt belehrende Artikel, sowie Erzählungen, Gedichte etc. – Im Geiste der „Gartenlaube“, zumeist von Mitarbeitern derselben geschrieben, mit trefflichen Illustrationen versehen und hübsch ausgestattet, wird der mehrere hundert Seiten starke Band zu verhältnißmäßig billigem Preise (Mk. 1. 50) gewiß von vielen Lesern der „Gartenlaube“ als eine willkommene Ergänzung der letzteren begrüßt und allenthalben als ein nützliches und unterhaltendes Hausbuch angesehen werden. – Wir machen unseren Lesern diese Mittheilung schon jetzt, weil von anderer Seite ein sogenannter „Gartenlauben“-Kalender angekündigt wird, welcher in keinerlei Beziehung zu der „Gartenlaube“ steht und außer dem willkürlich angeeigneten Titel nichts mit derselben gemein hat.
Wir ersuchen diejenigen unserer Leser, welche den richtigen „Gartenlaube'-Kalender zu erhalten wünschen, bei ihren Bestellungen seiner Zeit auch die Verlagsfirma (Erust Keil’s Nachfolger in Leipzig) anzuführen. Sofort nach Fertigstellung des Druckes werden wir unseren Lesern weitere Mittheilung machen.
Sonntag in Holland. (Mit Illustration S. 313.) Der Künstler giebt in der Benennung seines Bildes gleichzeitig eine vollständige Erklärung desselben; aber auch ohne seine ausdrücklichen Angaben wäre eine Verkennnng insbesondere des Landes, dem er seine lebensvollen Figuren entnommen, wohl kaum möglich. Das Innere der Wohnung und die Kleidung der Personen weisen unzweifelhaft auf Holland hin. Daß es aber ein Sonntag war, an welchem allein der Künstler das anziehende Familienbild erfassen konnte, das dürfte ebenso wenig zweifelhaft sein. Nicht blos des aus der Bibel vorlesenden Mädchens wegen: an Werkeltagen, und besonders am hellen Nachmittage, wie er auf dem Bilde durch die lebhaft einfallenden Sonnenstrahlen angedeutet wird, hat der fleißige Holländer sicher keine Muße, sich festlich zu kleiden und im trauten Kreise der Angehörigen der Ruhe zu pflegen. Lebendig empfunden und zugleich echt holländisch ist übrigens auch die charakteristische phlegmatisch-fromme Andacht, mit welcher die Zuhörer vom Papa bis zum Brüderchen der seelenrnhigen Vorleserin lauschen.
Klaus Meyer, der treffliche Künstler unseres Bildes, von Geburt ein Hannoveraner, hat durch seine Schöpfungen vielfaches und berechtigtes Aufseheu erregt. Eigen ist namentlich allen seinen Bildern ein überaus lebhaftes Spiel des Tageslichtes und einfallender Sonnenstrahlen auf Wänden und Figuren. Wir hoffen, unseren Lesern mit der Zeit noch weitere Schöpfungen des Meisters vorführen zu können. –th.
Mehr Licht im dunklen Welttheil. Unter diesem Titel hat unser hochgeschätzter Mitarbeiter Dr. G. A. Fischer soeben eine Flugschrift herausgegeben, welche die allgemeinste Beachtung verdient. Der Verfasser selbst bezeichnet sie als ein Recept für die vielen Leute, die von einem bedenklichen Afrikafieber ergriffen sind. Die Freunde unserer Kolonialpolitik müssen die Ausführungen Dr. Fischer’s mit Freuden begrüßen, denn sie stammen von einem eifrigen Anhänger der Kultiviruug Afrikas und beabsichtigen keineswegs den dunklen Welttheil unseren Landsleuten zu verleiden, sondern sollen zur Verbreitung richtiger Ansichten beitragen.
Zwei Punkte werden namentlich in dem Buche, das bei L. Friedrichsen und Comp. in Hamburg erschienen ist, einer gründlichen Prüfung unterworfen: die für Afrika so brennend gewordene Arbeiterfrage und die Akklimatisation der Deutschen im tropischen Afrika.
Auf dem zuletzt genannten Gebiete muß Dr. G. A. Fischer als Autorität ersten Ranges anerkannt werden, da er mehrere Jahre hindurch als praktischer Arzt in Sansibar gewirkt hat. Dr. Fischer vertritt nach dieser Richtung hin denselben Standpunkt, den die „Gartenlaube“, auf Grund sorgfältiger Unterrichtung seitens anerkannter Autoritäten, von Anfang an eingenommen hat. Siegfried.
Etwas vom Spargel. Mitten in der Spargelsaison dürften folgende wenig bekannte Winke über die Zubereitung des Spargels unsern Hausfrauen willkommen sein. Der erste betrifft die Verwendung der Spargelschalen, jener scheinbar werthlosen Abfälle, die in den meisten Haushaltungen auf den Kehrichthaufen geworfen werden. Der bekannte Förderer der Gemüsezucht in Deutschland, Dr. Ed. Brinckmeier, räth in seinem vortrefflichen Werke „Braunschweiger Spargelbüchlein“, die abgeschnittenen Schalen in Sieben oder auf Tüchern dünn ausgebreitet an luftigen Stellen, womöglich in der Sonne, zu trocknen. Die so getrocknete Schale wird dann im Beutel aufgehangen und giebt, in der Bouillon gekocht oder zu Sauce verwendet, diesen den vollen Geschmack von frischem Spargel. Die Schale wird natürlich nicht mit gegessen, sondern man gießt die Bouillon durch ein Haarsieb ab, oder man thut die Schale vorher in einen reinen leinenen Beutel und steckt sie damit in den Topf.
Ferner möchten wir unsere Hausfrauen auf eine Novität aufmerksam machen, den Spargelkocher, den die Firma Bernhard Ebeliug in Bremen auf den heurigen Markt gebracht hat. Der Spargelkocher besteht aus einem länglich viereckigen blau glasirten eisernen Topfe, in den ein Einsatz mit durchlöchertem Boden hineingestellt wird. Auf diesen Einsatz legt man die Spargelstangen und zieht ihn, nachdem der Kochproceß vollendet, einfach heraus. Die Spargelstangen werden bei dieser Behandlung nicht beschädigt und können in unversehrtem Zustande servirt werden. Der Spargelkocher kann selbstverständlich auch zum Kochen anderer Speisen, die eine schonende Behandlung erfordern, verwendet werden und bildet somit in unserer Küche kein Luxusgeräth, das wir nur während einer kurzen Zeit des Jahres brauchen können. – i.
Kleiner Briefkasten.
W. R. in W. Gedicht nicht verwendbar. Die Novelle senden Sie uns gefälligst zur Prüfung ein.
E. P. in M., Michigan. Bei einem so kleinen Kinde dürfte sorgfältige Bewachung genügen.
J. B. O. Pr. Die betreffenden Mittel konnen wir Ihnen nicht empfehlen. Wenden Sie sich an einen Arzt.
Max N. in Alt-Chemnitz, W. H. in D. Sie müssen Ihren Hausarzt um Rath bitten.
W. M. in K. Ihre Adresse ist unleserlich
J. S. in Graz. Der Verfasser jenes Artikels lebt in Berlin.
E. H., St. Georgen. Den Rath, den Sie von uns verlangen, kann Ihnen nur der Arzt geben, der Ihre Krankheit genau kennt.
Inhalt: Die Frau mit den Karfunkelsteinen. Roman von E. Marlitt (Fortsetzung). S. 305. – Unser Junge. Illustration. S. 305. – Auf Isola Bella. Von Heinrich Noé. S. 312. Mit Illustrationen S. 308 und 309. – Unter der Ehrenpforte. Von Sophie Junghans (Fortsetzung). S. 314. – Hilfe bei Ohnmachten. Von Geheimrath von Nußbaum in München. S. 316. – Die Doggen. S. 319. Mit Abbildungen S. 317 und 319. – Blätter und Blüthen: Ein „Gartenlaube“-Kalender. S. 320. – Sonntag in Holland. S. 320. Mit Illustration S. 313. – Mehr Licht im dunklen Welttheil. – Etwas vom Spargel. – Kleiner Briefkasten. S. 320.
- ↑ Es kommt wohl vor, daß auch andere Kranke, Apoplektiker und Epileptiker, plötzlich zusammenstürzen, aber solche Kranke unterscheiden sich auf den ersten Blick durch ihr stark geröthetes Gesicht, ihr röchelndes Athmen und ihren starken Puls von Ohnmächtigen.
- ↑ Dieses berühmte Werk ist, mit werthvollen Zusätzen bereichert, in meisterhafter deutscher Bearbeitung von R. von Schmiedeberg bei E. Twietmeyer in Leipzig erschienen, und wir entnehmen demselben mit Zustimmung des Verlegers auch den nebenstehenden charakteristischen Kopf eines Mopses.