Die Gartenlaube (1880)/Heft 25
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No. 25. | 1880. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.
Baron Heideck fehlte bei dem Feste, zu dem man ihn, als den bisherigen Vormund, bestimmt erwartet hatte. Er gab seinen Standpunkt nicht so leicht auf wie die Gräfin, sondern beharrte in seinen exclusiven Ansichten. Zum Glücke hatte Edmund dafür gesorgt, daß der Onkel in der Residenz die Verlobung erst in dem Augenblicke erfuhr, wo sie veröffentlicht wurde. Die Gräfin konnte jetzt in keinem Falle mehr zurück, und das Eingreifen ihres Bruders kam zu spät. Trotzdem machte er seiner Schwester brieflich die heftigsten Vorwürfe über ihre Nachgiebigkeit und wollte nicht begreifen, wie man sich von der Erregung des Augenblicks so weit fortreißen lassen konnte, „Principien“ zu opfern. Er wußte nicht, wie sehr die Liebe zu dem Sohne jenem Augenblicke bereits vorgearbeitet hatte, jedenfalls aber war er im höchsten Grade gereizt darüber und ging so weit, seine Anwesenheit bei dem heutigen Feste zu versagen. Er hatte den Brief seines Neffen, in welchem ihn dieser auf ausdrücklichen Wunsch der Mutter um sein Kommen ersuchte, kurz und kühl mit der Erklärung beantwortet, seine Amtsgeschäfte erlaubten ihm jetzt nicht, die Residenz zu verlassen; er werde die Förmlichkeiten der Majoratserklärung schriftlich abmachen.
Edmund ertrug diesen Beschluß sehr leicht; um so verstimmter war die Gräfin darüber. Sie hatte von jeher unter dem Einflusse ihres Vetters gestanden und ertrug seinen Unwillen um so schwerer, als sie ja im Grunde mit ihm gleicher Meinung war. Trotzdem sah sie ein, daß jetzt, wo der Schritt einmal gethan war, der eingenommene Standpunkt vor der Welt behauptet werden mußte, und sie that dies mit so viel Tact und Liebenswürdigkeit, daß Jedermann überzeugt war, jene Einwilligung, zu der sie eigentlich nur die Verhältnisse gezwungen hatten, sei ihr freier Entschluß gewesen.
Ihren Sohn und dessen Braut zur Seite, empfing die Gräfin die ankommenden Gäste. Sie war in reichster und gewähltester Toilette, und daß sie in der That noch eine sehr schöne Frau war, hatte sich vielleicht noch nie so siegreich gezeigt, wie an dem heutigen Abende, wo ihre Erscheinung sich selbst neben der jugendlich blühenden und reizenden Gestalt ihrer künftigen Schwiegertochter behauptete, ohne irgendwie dabei zu verlieren. Edmund's Auge ruhte bisweilen mit einer förmlichen Begeisterung auf seiner schönen, stolzen Mutter, die ihn fast ebenso sehr an Anspruch zu nehmen schien, wie seine Braut.
„Die Gräfin sieht heute sehr imposant aus,“ sagte der Oberamtsrath, indem er zu seiner Cousine trat. „Wirklich höchst imposant, und Feste versteht sie anzuordnen – das muß man ihr lassen. Das hat Alles einen so vornehm großartigen Zuschnitt, und dabei besitzt die Frau ein bewunderungswürdiges Talent, sich zum Mittelpunkte des Ganze zu machen, Jeden anzuregen, Jedem etwas Angenehmes zu sagen – Hedwig kann in dieser Beziehung sehr viel von ihr lernen.“
„Sie scheinen die Extreme zu lieben,“ bemerkte Fräulein Lina, die sich auf einen Eckdivan zurückgezogen hatte und dort mehr die ruhige Beobachterin spielte. „Von Ihrer ganz unvernünftigen Abneigung gehen Sie zu einer schrankenlosen Bewunderung der Gräfin über. Sie haben ihr vorhin sogar die Hand geküßt.“
„Bin ich Ihnen etwa wieder nicht recht?“ fragte Rüstow beleidigt. „Sie haben mir das feierliche Versprechen abgenommen, heute Abend liebenswürdig zu sein, und nun ich auch ganz unglaubliche Anstrengungen dazu mache, erkennen Sie es nicht einmal an.“
Das Fräulein lächelte ein wenig boshaft. „O doch! Ich bewundere Ihre 'unglaublichen Anstrengungen' ebenso sehr wie die Gesellschaft, die sich vorläufig noch gar nicht darein finden kann. Man ist gewohnt, Sie immer in einer Art von Donnergewölk zu sehen, und kann sich diesen plötzlichen Sonnenschein gar nicht erklären. Aber noch eine Frage, Erich! Was hat Hedwig mit Oswald von Ettersberg? Sie vermeiden sich ja in einer beinahe auffallenden Weise.“
„Mit Edmund's Cousin? Gar nichts, so viel ich weiß. Hedwig kann ihn nicht leiden, und ich glaube, er macht sich auch nicht viel aus ihr.“
Die letzten Worte klangen sehr entrüstet. Der Oberamtsrath begriff es offenbar nicht, daß irgend Jemand sich nichts aus seiner Tochter machte.
„Diese gegenseitige Abneigung muß aber doch irgend einen Grund haben. Der junge Ettersberg besitzt allerdings keine hervorragende Liebenswürdigkeit.“
„Aber immense landwirthschaftliche Anlagen!“ sagte Rüstow enthusiastisch. „Wenn der das Majorat unter den Händen hätte, sähe es anders hier aus. Er durchschaut die Wirthschaft auf den Gütern ganz klar und hat mir neulich, als er mit in Brunneck war, Aufklärungen und Winke darüber gegeben, die mich denn doch veranlassen werden, einmal ernstlich dazwischen zu fahren, wenn Edmund es nicht thut. Wir sprachen sehr eingehend darüber.“
[398] „Ja, und sehr lange,“ warf das Fräulein hin. „Mir machte es fast den Eindruck, als wollte Herr von Ettersberg Sie um jeden Preis bei dem Gespräche festhalten, um die Zärtlichkeiten nicht mit anhören zu müssen, mit denen Edmund seine Braut überschüttete.“
„Ich fürchte, er hat aristokratische Mucken,“ sagte Rüstow. „Die Verlobung erfreut sich nicht seines hohen Beifalls, das habe ich gesehen, als er uns nach dem Unfall hier in Ettersberg empfing und Edmund seine Braut aus dem Wagen hob. Der junge Herr machte ein Gesicht, als sei urplötzlich der Himmel eingefallen, und schoß einen Blick auf die Beiden, der mir ganz und gar nicht gefiel. Zwar faßte er sich schon im nächsten Augenblicke wieder und war sehr höflich, aber das Bedauern über den Unfall seiner Tante und der Glückwunsch für seinen Vetter kamen so einsilbig und kühl heraus, daß man ihnen das Gezwungene anmerkte. Viel Herz scheint er nicht zu haben, aber er ist trotzdem ein landwirthschaftliches Genie.“
„Gilt dieses schmeichelhafte Compliment mir?“ fragte Edmund, der soeben mit seiner Braut herantrat und die letzten Worte hörte.
Rüstow wandte sich um. „Dir? Nein, wir sprachen von Deinem Vetter. Du hast leider gar keine praktischen Anlagen.“
„Nein, nicht die mindesten!“ versicherte Edmund lachend. „Das ist mir erst neulich in Brunneck klar geworden bei Euren endlosen Debatten über Forstcultur und Drainirung. Hedwig und ich haben nur hin und wieder ein Wort davon aufgefangen, aber es war schrecklich langweilig.“
„Das sind ja vielversprechende Ansichten für einen Gutsherrn!“ sagte der Oberamtsrath ärgerlich. „Also langweilig hast Du das gefunden? Du und Hedwig, Ihr habt allerdings kein vernünftiges Wort mit einander gesprochen; das war ein Lachen und Necken ohne Ende. Und doch hättest Du allen Grund gehabt, zuzuhören. Deine Waldungen –“
„Um des Himmelswillen, Papa, verschone mich heute mit solchen Dingen!“ unterbrach ihn Edmund. „Wenn Du durchaus landwirthschaftliche Gespräche führen mußt, werde ich Dir Dein vielbewundertes Genie herbeischaffen. Oswald ist im Stande, den ganzen Abend mit Dir von Forstcultur zu reden. Aber wo ist er denn eigentlich? Ich vermisse ihn schon seit einer Viertelstunde. Eberhard, haben Sie Herrn von Ettersberg nicht gesehen? Ist er vielleicht drüben im Tanzsaal?“
„Nein Herr Graf, ich komme eben von dort,“ erwiderte der alte Diener, der mit einem Präsentirbrett vorüberging.
„So werde ich wohl selbst nachsehen müssen. Auf Oswald ist in solchen Dingen nie zu rechnen; er läßt mir die ganze Last der Anordnung allein. Komm, Hedwig! Der Tanz soll bald beginnen; wir wollen uns überzeugen, ob die nöthigen Arrangements getroffen sind.“
Damit nahm der junge Graf den Arm seiner Braut und führte sie nach dem Tanzsaal, der auf der anderen Seite der Gesellschaftsräume lag.
Der Saal war augenblicklich noch ganz leer, ebenso wie das anstoßende Gewächshaus, und das mochte der Grund gewesen sein, weshalb Oswald sich dorthin zurückgezogen hatte. Seine frühere Absicht, Ettersberg sofort zu verlassen, war von allen Seiten bekämpft worden. Zunächst von Edmund, der leidenschaftlich auf dem Bleiben seines Vetters bestand und ihn unausgesetzt mit Bitten und Vorwürfen bestürmte. Aber auch die Gräfin und Baron Heideck hatten es für bedenklich erachtet, wenn der widerspenstige Neffe im vollen Bruche mit ihnen in die Welt hinausging, und widersetzten sich seiner Abreise. Die Differenz, die nun einmal nicht auszugleichen war, sollte wenigstens nicht unter die Leute kommen. Den Zukunftsplänen des jungen Mannes selbst wollte man kein ferneres Hinderniß in den Weg legen, und so hatte er denn halb gezwungen nachgegeben und eingewilligt, bis zum Herbste zu bleiben, wie es ursprünglich bestimmt war.
Oswald stand vor einer blühenden Cameliengruppe und schien in den Anblick derselben versunken zu sein, in Wirklichkeit aber sah er nichts von all der Blüthenpracht, nichts von der Umgebung überhaupt. Der Ausdruck seines Gesichtes paßte wenig zu dem Glanze und der Festlichkeit des Tages, der den jungen Majoratsherrn von Ettersberg in die unumschränkte Herrschaft seiner Güter einsetzte. Dieses finstere, drohende Gesicht hätte sich freilich nicht inmitten der Gesellschaft zeigen dürfen. Es war wieder einer jener Momente, wo die Maske ruhiger Gleichgültigkeit herabsank, welche jahrelange Gewöhnung und Selbstbeherrschung dem jungen Manne aufgezwungen hatten und die so wenig seiner wahren Natur entsprach. Man sah es an dieser schwerathmenden Brust, an diesen fest zusammengebissenen Zähnen, er hatte es nicht länger ausgehalten in dem glänzenden Gewühl, er hatte in die Einsamkeit flüchten müssen, um nur einmal aufzuathmen, um nicht zu ersticken an all den Gedanken, die jetzt so wild in ihm stürmten und wogten. War das wirklich nur der kleinliche, bittere Neid eines Undankbaren, der die empfangenen Wohlthaten mit Haß vergalt, und es nicht verschmerzen konnte, daß das Glück seinen Vetter reicher als ihn bedacht hatte? In der Haltung Oswald's lag etwas von dem stolzen Trotz des unterdrückten und zu Boden getretenen Rechtes, etwas wie ein unausgesprochener, aber drohender Protest gegen den Glanz dieses Festes.
„Also hier findet man Dich!“ tönte Edmund's Stimme.
Oswald fuhr auf und wandte sich um. In der Thür des Gewächshauses stand der junge Graf, der jetzt rasch näher trat und in vorwurfsvollem Tone fortfuhr:
„Du scheinst Dich heut ganz und gar als Gast zu betrachten. Du entziehst Dich der Gesellschaft und weilst in ruhiger Beschaulichkeit hier vor den Camelienbäumen, anstatt mir zu helfen, die Honneurs des Hauses zu machen.“
Oswald hatte nur eines Augenblickes bedurft, um seine gewöhnliche Ruhe wieder zu finden, aber es lag dennoch eine versteckte Bitterkeit in seinen Worten, als er entgegnete:
„Das ist wohl ausschließlich Deine Sache; Du bist ja der Held des heutigen Tages.“
„Ja, in doppelter Eigenschaft,“ scherzte Edmund. „Als Majoratsherr und als Bräutigam. In der letzteren Eigenschaft habe ich Dir übrigens den Text zu lesen. Du hast es versäumt, Dich um einen Tanz bei Hedwig zu bewerben, und Du konntest doch voraussehen, daß sie von allen Seiten bestürmt werden würde. Zum Glück bin ich für Dich eingetreten und habe Dir den einzigen Walzer gesichert, über den sie noch Verfügung hatte. Ich hoffe, daß Du meine Aufopferung gebührend anerkennst.“
Das schien leider nicht der Fall zu sein, wenigstens nicht in dem erwarteten Maße; denn Oswald's Antwort verrieth eine merkliche Kälte:
„Du bist sehr freundlich. Eigentlich war es meine Absicht, heut überhaupt nicht zu tanzen.“
„Nein, das ist zu arg,“ fuhr der junge Graf erzürnt auf. „Es wäre unverantwortlich, wenn Du Dich auch davon zurückziehen wolltest. Weshalb denn? Du hast ja sonst getanzt.“
„Weil mir die Tante das früher nicht erließ. Lästig ist es mir immer gewesen. Du weißt ja, wie wenig ich den Tanz liebe.“
Edmund zuckte die Achseln.
„Gleichviel! Den Walzer wirst Du unter allen Umständen tanzen müssen, da ich ihn ausdrücklich für Dich verlangt habe.“
„Wenn Fräulein Rüstow damit einverstanden ist.“
„Fräulein Rüstow! Genau derselbe Ton, mit dem Hedwig mir sagte: 'Wenn Herr von Ettersberg es wünscht!' Wie oft habe ich Euch schon gebeten, diese steifen Formen zu lassen und endlich der Verwandtschaft ihr Recht zu geben, aber Ihr werdet nur immer fremder und förmlicher bei jedem Zusammensein. Es ist kaum mehr auszuhalten.“
„Ich wüßte nicht, daß ich es jemals an der schuldigen Achtung gegen Deine Braut hätte fehlen lassen.“
„Ach nein, gewiß nicht! Ihr seid im Gegentheil so unglaublich hochachtungsvoll gegen einander, daß mir beim Zuhören oft ganz eisig zu Muthe wird. Ich begreife Dich nicht, Oswald, Du trägst gerade Hedwig gegenüber eine so absichtliche Zurückhaltung zur Schau, daß Du Dich wirklich nicht beklagen darfst, wenn Du von ihr bisweilen ein wenig – rücksichtslos behandelt wirst.“
Oswald nahm den Vorwurf sehr gleichgültig hin; seine Hand spielte, wie in halber Zerstreutheit, mit einem der Blüthenzweige, als er antwortete:
„Laß das gut sein, Edmund, und sei überzeugt, daß ich mit dieser Zurückhaltung nur den Wünschen Deiner Braut entgegenkomme! Da Du den Walzer in meinem Namen erbeten hast, so werde ich ihn natürlich tanzen, im Uebrigen aber mußt Du mir die Betheiligung an dem Balle erlassen. Es war wirklich meine Absicht, heute nicht zu tanzen.“
[399] „Nun meinetwegen,“ sagte Edmund, der ebenso leicht versöhnt als gereizt war, und dessen Unmuth nie lange Stand hielt. „Wenn Du durchaus unseren Damen den Tänzer entziehen willst – zwingen kann ich Dich nicht und ärgern will ich mich um keinen Preis. Das wäre wirklich undankbar an dem heutigen Tage, der mir jeden Wunsch erfüllt. Du siehst, Hedwig und ich hatten ganz Recht, die Hindernisse unserer Liebe nicht so tragisch zu nehmen, wenn auch Papa Rüstow's Heldenthat die Sache weit schneller in Ordnung gebracht hat, als wir zu hoffen wagten. Die feindlichen Häuser sind versöhnt, und unser Roman endigt mit einer fröhlichen Hochzeit. Ich wußte es ja.“
Der sorglose und siegesgewisse Uebermuth, der heute mehr als je in dem Wesen des jungen Grafen zum Ausdruck kann, bildete einen scharfen Contrast zu dem beinahe finsteren Ernste Oswald's, dessen Auge schwer und düster auf dem heiteren Antlitz seines Vetters haftete.
„Du bist eben ein Kind des Glückes,“ sagte er langsam. „Dir fällt Alles zu.“
„Alles?“ wiederholte Edmund neckend. „Nein, da bist Du doch im Irrthum. Die uneingeschränkte Bewunderung meines Schwiegervaters zum Beispiel fällt Dir zu. Er erklärt Dich geradezu für ein landwirthschaftliches Genie, schwärmt für Deine praktischen Ideen und bedauert es gewiß von ganzer Seele, daß Du nicht anstatt meiner sein Schwiegersohn geworden bist.“
So harmlos der Scherz auch hingeworfen wurde, er machte einen sichtlich peinlichen Eindruck. Oswald zog die Stirn finster zusammen und erwiderte in gereiztem Tone:
„Wie oft habe ich Dich schon gebeten, mich mit derartigen Neckereien zu verschonen! Kannst Du denn nie davon lassen?“
Graf Edmund, der sich an dem Aerger seines Vetters unendlich ergötzte, lachte ausgelassen.
„Nun, beruhige Dich nur! Gegen eine solche Stellvertretung würde ich am meisten protestiren, und auch Hedwig würde sehr wenig damit einverstanden sein. Ich beabsichtige durchaus nicht, Dir meine Rechte abzutreten. Aber jetzt komm! Es ist die höchste Zeit, daß wir zu der Gesellschaft zurückkehren.“
Oswald, der keinen Vorwand mehr hatte, zurück zu bleiben, folgte der Aufforderung, und die jungen Männer kehrten zusammen in die Gesellschaftsräume zurück. Hier war die Abwesenheit des Grafen bereits bemerkt worden. Die Augen der Gräfin suchten mit einiger Ungeduld ihren Sohn, da sie den Tanz beginnen lassen wollte, und auf das Gesicht Hedwig's, die neben ihr stand, legte sich eine Wolke, als die beiden Herren herantraten. Die junge Dame fand es sehr überflüssig, daß Edmund seinen ungeselligen Vetter eigens aufsuchte, und ganz unverzeihlich, daß er sie deswegen allein ließ. Sie liebte nun einmal nicht diesen neuen Verwandten mit seiner eisigen Zurückhaltung, der sich nie zu einem Worte der Schmeichelei oder Bewunderung verstieg, und gab sich sehr wenig Mühe, zu verbergen, daß die Zusage für den Walzer eine halb und halb erzwungene war. Oswald mußte nothgedrungen mit einigen Worten dafür danken und that dies auch, schien aber im Ganzen sehr unempfänglich für die ihm bewilligte Auszeichnung. Dafür ward ihm nun auch freilich keine besondere Rücksicht zu Theil. Hedwig studirte während ihrer kurzen, kalten Erwiderung angelegentlich die Zeichnung ihres Fächers und wandte sich dann sofort zu ihrem Bräutigam. Dieser machte wieder einmal die Erfahrung, daß seine Bemühungen, seine Braut und seinen Vetter einander zu nähern, bei Beiden stets die entgegengesetzte Wirkung hatten, und der halb scherzhafte, halb ernst gemeinte Versuch, sie zu einer Annäherung zu zwingen, scheiterte nun vollends.
Der Ball begann jetzt in der That und nahm bald den jüngeren Theil der Gesellschaft vollständig in Anspruch. Nur Oswald von Ettersberg machte eine Ausnahme. Er blieb seinem Vorsatze getreu und tanzte wirklich nicht, zum großen Mißfallen der Gräfin, die es gleichwohl seit jener letzten Unterredung aufgegeben hatte, auf ihren Neffen irgend einen Zwang auszuüben und ihn schweigend gewähren ließ. Um so lebhafter gaben sich Edmund und Hedwig dem Vergnügen des Tanzes hin, den sie beide leidenschaftlich liebten. Man konnte nicht leicht ein schöneres Paar sehen, als den jungen Majoratsherrn und seine Braut, wie sie so durch den Saal schwebten, beide strahlend von Jugend, Schönheit und Freude, beide umgeben von allem Glanze des Reichthums und des Glückes, das seine Gaben in unerschöpflicher Fülle über sie ausschüttete. Es trübte ja auch nicht eine einzige Wolke den sonnenhellen Horizont ihrer Zukunft.
Selbst Baron Heideck würde sich an dem heutigen Abend mit der Wahl seines Neffen ausgesöhnt haben – so reizend war die Erscheinung des jungen Mädchens in dem zartrosigen Seidenkleide, mit den duftigen, weißen Spitzen und den hier und da verstreuten Rosen. Das Haar, von keinem Netze mehr gefesselt, nur von einem Rosenzweige gehalten, wallte in seiner ganzen lockigen Fülle nieder, und aus dem schönen, von der Erregung des Tanzes höher gerötheten Antlitz, aus den strahlenden dunkelblauen Augen leuchtete viel Jugendlust und Jugendfreude, wenn auch freilich keine ganz unbefangene mehr; denn man sah es deutlich, wie sehr sich die junge Dame ihrer siegreichen Schönheit und ihrer Triumphe bewußt war.
Aber auch Edmund war keineswegs gleichgültig dagegen; die sichtliche Bewunderung, welche seine Braut überall fand, war ihm auf's Höchste schmeichelhaft. Er war voll zärtlicher Aufmerksamkeit gegen Hedwig und überhaupt von hinreißender Liebenswürdigkeit. Oswald hatte Recht, der junge Graf war in der That ein Kind des Glückes, das ihm zu Allem, was es ihm schon bei der Geburt gegeben, nun auch erlaubte, frei der Wahl seines Herzens zu folgen. Es fiel ihm Alles zu.
Drei oder vier Tänze waren bereits vorüber; jetzt begann der Walzer, den Edmund von seiner Braut für Oswald erbeten hatte, und dieser trat heran, um seiner Tänzerin mit gewohnter kühler Höflichkeit den Arm zu bieten.
„Sie haben ja heute noch gar nicht getanzt, Herr von Ettersberg,“ sagte Hedwig mit leisem Spott. „Wie es scheint, wird nur mir die Ehre einer Ausnahme zu Theil. Ist es wirklich wahr, was eine der Damen vorhin behauptete, daß Sie den Tanz überhaupt verabscheuen?“
„Wenigstens liebe ich ihn nicht,“ war die Antwort.
„O, dann bedaure ich aufrichtig, daß Sie sich meinetwegen ein solches Opfer auferlegen. Es war wohl Edmund's ausdrücklicher Wunsch, daß wir mit diesem Walzer die 'Etiquettenpflicht' erledigen sollten?“
Der Stich verfehlte seine Wirkung; denn Oswald blieb vollkommen ruhig, aber er umging die Antwort auf die allerdings verfängliche Frage und entgegnete doppelsinnig:
„Ich wußte nicht, ob ich Edmund's Zusage so ohne Weiteres annehmen durfte. Ich mußte mich doch erst Ihrer Zustimmung versichern, mein Fräulein.“
Hedwig biß sich auf die Lippen. Sie fand ihre Vermuthung bestätigt, aber dieser ungalante Verwandte machte gar nicht einmal den Versuch, zu leugnen, daß es sich bei diesem Arrangement um eine Art von Gewaltstreich ihres Bräutigams handelte, sondern ließ sie ruhig den Zusammenhang errathen. Es schien, als werde Edmund das zu büßen haben; denn auf dem Gesicht der jungen Dame erschien jener Ausdruck von Trotz, den auch er bereits kennen gelernt hatte. Indessen zurücknehmen ließ sich die einmal gegebene Zusage nicht ohne directe Beleidigung, um so weniger, als der Tanz bereits begonnen hatte.
„Wenn Sie befehlen,“ sagte Oswald, auf die vorüberfliegenden Paare deutend. Hedwig gab keine Antwort, aber sie legte mit resignirter Miene ihren Arm in den seinigen und in der nächsten Minute schwebten Beide durch den Saal.
Es war trotz alledem ein seltsamer Tanz, dieser Walzer, mit dem nur eine „Etiquettenpflicht“ erledigt wurde. Hedwig hatte sich vorgenommen, dies so kurz und förmlich wie nur möglich zu thun, und doch empfand sie etwas wie eine Beklemmung, als ihr Tänzer den Arm um sie legte. Sie hatten sich ja bisher noch nicht einmal die Hand gereicht; es war bei dem Gruße, bei den fremdesten Formen der Höflichkeit geblieben, und nun waren sie sich auf einmal so nahe. Vorher hatte Oswald kaum einen Blick gehabt für den Liebreiz seiner Tänzerin; er vermied es beinahe absichtlich, sie anzusehen, und sie hatte das als eine Art von Beleidigung empfunden; jetzt hafteten seine Augen wie festgebannt auf ihrem Antlitz, von dem sie sich nicht losreißen konnten. Seine Augen redeten eine ganz andere Sprache, als die so herb geschlossenen Lippen; seine Brust hob sich in kurzen, stürmischen Athemzügen, und der Arm, der sich um die schlanke Gestalt des jungen Mädchens legte, bebte.
Hedwig fühlte das; sie hob befremdet und fragend das Auge empor – da begegnete sie wieder demselben räthselhaften [400] Ausdruck, wie damals bei dem ersten Alleinsein auf der Waldhöhe. Damals hatte sie diesen so heiß und jäh aufflammenden Strahl nicht verstanden und oft genug darüber nachgegrübelt, was er bedeutete – viel öfter, als sie sich eingestand – jetzt begann ihr das Verständniß aufzudämmern. Es war noch kein klares Erkennen der Wahrheit; es tauchte nur dunkel und undeutlich auf wie ein Schatten, der erst allmählich Form und Gestalt gewann, aber er quälte und beängstigte dennoch. Mochte die Gefahr, die da heraufstieg, auch noch so fern drohen, sie übte bereits ihren magnetischen Reiz, der langsam, aber unwiderstehlich näher und näher zog.
Mechanisch, wie halb im Traume, folgte das junge Mädchen den Wendungen des Tanzes. Der hell erleuchtete Saal, die rauschende Musik, die tanzenden Paare, das alles verschwamm und wich zurück in weite Ferne. Es war Hedwig, als lege sich eine endlose Kluft zwischen sie und die ganze Umgebung, als sei sie allein mit dem Einen, der sie in den Armen hielt, allein unter dem Banne dieser Augen, dem sie zu entfliehen strebte, und der sie unwiderstehlich festhielt, und mitten durch dieses Wogen unklarer und unverstandener Gefühle fluthete es plötzlich voll und mächtig, wie die Ahnung eines bisher noch nicht gekannten, aber grenzenlosen Glückes.
Der Tanz war zu Ende. Er hatte kaum zehn Minuten gedauert und doch viel zu lange für die Beiden. Noch einmal begegneten sich ihre Augen und ruhten secundenlang in einander; dann verneigte sich Oswald tief und trat zurück.
„Ich danke, mein Fräulein,“ sagte er tonlos.
Hedwig erwiderte keine Silbe; sie neigte nur leise das Haupt. Es blieb ihr auch keine Zeit zur Antwort; denn Edmund stand bereits neben ihr, triumphirend darüber, daß er seinen Willen durchgesetzt hatte, und sehr geneigt, seinen Neckereien wieder freien Lauf zu lassen. Für diesmal kam es jedoch nicht dazu; denn bei dem Aufhören des Tanzes lösten sich die Paare, und mehrere Herren und Damen traten heran. Der Graf und seine Braut wurden umringt, wurden von allen Seiten in Anspruch genommen, und es begann ein äußerst lebhaftes Geplauder.
Edmund war in der sprudelndsten Laune und bildete sofort den Mittelpunkt der ganzen Gruppe. Auch Hedwig lächelte und antwortete, aber ihre Antworten waren eigenthümlich matt, ihr Lächeln höchst gezwungen. Die strahlende Heiterkeit, die sie während des ganzen Abends gezeigt, war plötzlich wie verwischt und ausgelöscht. Vorhin hatte sie sich mit voller Seele der Freude, dem Vergnügen hingegeben, hatte sich in diesem heiteren, glänzenden Gewühl wie in ihrem eigensten Elemente bewegt; jetzt war ihr das alles auf einmal so fremd und gleichgültig geworden. All die Scherze und Schmeicheleien schwirrten so völlig inhaltlos an ihrem Ohre vorüber. Es lag wie ein Schleier auf ihrer Seele und wie ein Schleier auf der Pracht des Festes; sie mußte sich förmlich zwingen, daran Theil zu nehmen.
Oswald hatte das Herantreten der Fremden benutzt, um sich unbemerkt zurückzuziehen und den Saal zu verlassen. Graf Edmund hätte doch besser gethan, seinen Willen nicht so übermüthig zur Geltung zu bringen. Er wußte freilich nicht, daß sein Vetter dem Tanze nur fern bleiben wollte, um der einen „Etiquettenpflicht“ zu entgehen, die er sonst nicht vermeiden konnte, und nun war ihm gerade diese eine aufgedrängt worden. Oswald mochte es wohl fühlen, daß er sich theilweise verrathen hatte, und es half nun nichts mehr, daß der Zorn über sich selbst heiß und wild in ihm aufloderte. Was er sich bisher immer noch abgeleugnet, was er sich um keinen Preis eingestehen wollte, das hatte ihm dieser unselige Tanz endlich klar gezeigt. Er wußte jetzt, wie es um ihn stand.
Das so sehnlich gesuchte Alleinsein sollte dem jungen Manne aber diesmal nicht zu Theil werden; denn in einem der Nebenzimmer traf er den Oberamtsrath Rüstow, der dort von den ebenso ungewohnten wie unerhörten Anstrengungen seiner Liebenswürdigkeit ausruhte. Er hatte sich heute Abend selbst übertroffen und förmliche Ritterdienste bei der Gräfin geleistet, aber schließlich war ihm dies doch etwas unbequem geworden, und er begrüßte mit Freuden die Gelegenheit, einmal wieder ein „vernünftiges“ Gespräch zu führen. Er bemächtigte sich sofort Oswald's, der ihm nothgedrungen Stand halten mußte.
„Sie hatten leider Recht!“ sagte Rüstow im Laufe des Gespräches. „Ich habe mir auf Ihre Eröffnungen hin die Ettersberg'schen Güter einmal gründlich angesehen. Das ist ja eine ganz heillose Wirthschaft! Die Beamten taugen sämmtlich nichts; der Administrator ist vollständig unfähig, und die Gräfin hat sich jahrelang auf ihn allein verlassen. Nun, von ihr kann man den Ueberblick nicht verlangen, aber meinen Herrn Schwiegersohn werde ich mir ernstlich vornehmen. Bisher war freilich nicht viel mit ihm anzufangen; er hatte nichts als seine Bräutigamständeleien im Kopfe, aber das muß jetzt aufhören. Der heutige Tag macht ihn zum wirklichen und alleinigen Herrn von Ettersberg, jetzt trägt er aber auch allein die Verantwortung und muß Ordnung schaffen.“
„Edmund wird nichts thun,“ erklärte Oswald. „Er wird alles Mögliche versprechen, sich auch alles Mögliche vornehmen, es wird aber nicht das Geringste geschehen. Verlassen Sie sich darauf!“
Rüstow stutzte bei dieser mit voller Bestimmtheit gegebenen Erklärung.
„Sie meinen, daß Edmund der Aufgabe nicht gewachsen ist?“ fragte er gedehnt.
„Nein! Er ist eine liebenswürdige, aber keine energische Natur, und hier ist volle Energie nothwendig. Sie werden selbst eingreifen müssen, Herr Oberamtsrath, wenn Sie ihm die Güter retten wollen.“
„Und weshalb haben Sie denn das nicht längst gethan?“ fragte Rüstow in vorwurfsvollem Tone. „Sie sahen ja doch bei Ihrer Rückkehr, wie die Sachen hier standen.“
„Ich habe kein Recht, mich in fremde Angelegenheiten zu mischen.“
„Fremde? Ich dächte, Sie wären gleichfalls der Sohn des Hauses, dessen Namen Sie tragen.“
Oswald schwieg; er konnte dem Oberamtsrath unmöglich auseinandersetzen, wie er mit seiner Tante stand, und wie wenig eine Einmischung von seiner Seite geduldet worden wäre. Er erwiderte deshalb ausweichend:
„Ich habe bereits im Frühjahre meinem Vetter rücksichtslos die Mängel der Verwaltung aufgedeckt und ihn zum Einschreiten aufgefordert, aber ohne jeden Erfolg. Ihnen steht jetzt die väterliche Autorität zur Seite; und Edmund wird sich Ihnen überhaupt sehr gern fügen, sobald Sie ihn nur der Nothwendigkeit überheben, selbst irgend etwas zu thun.“
Unter allen chronischen schweren Krankheiten kommt keine so häufig vor und keine rafft so viele Menschen, meist in der Blüthe ihres Lebens, hin, wie die Lungenschwindsucht. Diese Krankheit besteht bekanntlich in eigenthümlichen Veränderungen der Lungen, welche zu deren theilweiser Zerstörung führen und meist unter länger anhaltendem Fieber nach monate- oder jahrelangem Verlaufe den Menschen tödten.
Die Behandlung der Lungenschwindsucht hat sich in den letzten Jahrzehnten in mehreren wichtigen Punkten wesentlich geändert und – das darf man sicher behaupten – vervollkommnet. Vor zehn, zwanzig und dreißig Jahren hütete man solche Kranke, auch wenn sie noch nicht bettlägerig, noch nicht fieberhaft waren, in der ängstlichsten Weise vor jeder Erkältung; sie mußten ununterbrochen im warmen Zimmer bleiben oder durften nur bei sehr warmem Wetter in's Freie; sie wurden warm gekleidet; sie mußten jede Einathmung kalter oder kühler Luft vermeiden, wozu besonders der sogenannte Respirator diente (ein vor dem Munde und zum Theil vor der Nase angebrachtes mehrfaches Drahtgitter), u. dergl. m.
Die Aenderung dieses älteren Curverfahrens ging von Dr. med. Brehmer in Görbersdorf aus. Nach Brehmer ist die Lungenschwindsucht bedingt durch eine verminderte Ernährung der Lunge,
[401][402] in Folge von geringerer Energie des Herzens und dadurch verminderter Blutcirculation in den Lungen. Brehmer suchte demnach die Herzthätigkeit und den Lungenblutlauf in verschiedener Weise anzuregen. Mag diese Ansicht richtig sein oder nicht, jedenfalls hatte Brehmer Erfolge seiner Curmethode aufzuweisen, sodaß sich seine Heilanstalt Görbersdorf immer mehr vergrößerte und jetzt – etwa fünfundzwanzig Jahre nach der Gründung derselben – vielen Tausenden von Kranken aus allen Welttheilen Besserung und selbst Heilung brachte.
Görbersdorf liegt im Waldenburger Kreis des Regierungsbezirkes Breslau, in einem Thale, welches, nach Südwesten offen, von Osten nach Westen zieht, am Riesengebirge, nahe der Eisenbahnstation Friedland, an der böhmischen Grenze von Schlesien. Es liegt, worauf Brehmer wegen des verminderten Luftdrucks besonderes Gewicht legt, 1900 Fuß überm Meere, in der Zone, deren Bewohner von der Schwindsucht frei sind. Die angrenzenden dicht bewaldeten, bis 3000 Fuß hohen Berge haben die schönste Tannenluft und gleich den anmuthigen Gärten der Anstalt ausgedehnte und mit vielen Ruhesitzen versehene Promenaden. Das Trinkwasser ist vorzüglich. Die Kranken wohnen meist in der Anstalt selbst, in ältern oder neuern stilvollen, höchst comfortabel eingerichteten Gebäuden: mehrere Hunderte finden gleichzeitig Aufnahme. Durch die Einrichtung der Häuser (Wasserheizung und dergl.), durch großartige Wintergärten etc. ist auch eine erfolgreiche Wintercur leicht durchführbar, und durch eigene Viehwirthschaft ist für gute Milch, von welcher jährlich über 50,000 Liter gebraucht werden, gesorgt.
Die Kranken stehen unter dem scharfen Regiment des für sein Curverfahren mit Recht begeisterten Directors Dr. Brehmer und seiner Assistenzärzte: und ein solches Regiment ist recht nöthig; ja in seiner strengen Durchführung, die aber nur in einer geschlossenen Heilanstalt, nicht im Curort möglich ist, liegt ein Haupttheil der Cur. Die Kost ist gut, verhältnißmäßig fettreich (letzteres aus Gründen, welche theoretisch und praktisch erprobt sind), reichlicher Milch- und mäßiger Weingenuß, besonders von Ungarwein, ist geboten. Die Kranken müssen systematisch tief athmen, vernünftig spazieren gehen und ihren Kräften entsprechend Berge steigen, was ohne die der Anstalt selbst gehörenden Berge mit ihren guten Promenaden und den vielen Ruhesitzen unbedingt nicht möglich wäre. Eine vernünftige Kaltwassercur (kalte Abreibungen, Regendouchen etc.) wird meist mit in Betracht gezogen.
Es konnte nicht fehlen, daß die Brehmer'schen Erfolge alsbald andere Aerzte zu gleichen Unternehmungen anregten. Unter den so entstandenen Curorten ist der wichtigste Davos in der Schweiz, das zuerst durch den dortigen Landschaftsarzt Dr. Spengler, dann durch den Dr. Unger, welcher früher als Kranker in Görbersdorf gewesen war, die Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Während Görbersdorf das ganze Jahr hindurch zur Cur geeignet ist, vorzugsweise aber vom Frühjahr bis Spätherbst frequentirt wird, ist Davos wesentlich Wintercurort, das heißt die Kranken bleiben hier vom October bis zum März.
Für die Benutzung von Davos sprach schon der Umstand, daß dort Lungenschwindsucht bei den Eingebornen fast noch nie beobachtet worden ist und daß die Davoser zwar im flachen Land nicht selten schwindsüchtig werden, jedoch meist mit dem Leben davonkommen, wenn sie zeitig genug in ihre Heimath zurückkehren. – Davos liegt in einem von Nordost nach Südwest liegenden Hochalpenthal, 5000 Fuß über dem Meere, von 3000 bis 4000 Fuß hohen, zum Theil bewaldeten Bergen umgeben. Es besteht aus den beiden eine halbe Stunde von einander entfernten Ortschaften Davos-Platz, welches mehrere große und kleine Hôtels und eine Anzahl Einzelhäuser hat, und aus dem kleinen Davos-Dörfli, welches fast nur das große Curhôtel besitzt. Die große Landstraße ist ausgezeichnet; die Promenadenwege sind gut, beides auch im Winter.
Die Luft in Davos ist sehr rein, vollkommen staubfrei, dünn, also sauerstoffarm, und trocken, wodurch eine stärkere Wasserausscheidung durch Haut und Lungen bedingt wird. Im Winter sind nur mäßige Winde vorhanden. Von Ende October an fällt in wenigen Tagen meist sehr reichlicher Schnee („Davos ist eingeschneit“) und bleibt häufig bis Ende März liegen. Die Winterkälte in Davos ist selbstverständlich größer als in der Ebene, aber es giebt viele Tage mit Sonnenschein, und an diesen können die Kranken von zehn oder elf Uhr Vormittags bis drei oder vier Uhr Nachmittags im Freien oder auf den offenen Veranden sitzen. Das ist dadurch möglich, daß (bei Nachttemperaturen von – 15 bis fast 30° C.) an den Tagesstunden bei Sonnenschein die Temperaturen + 25 bis 40° C. betragen. Davos vereinigt so gewissermaßen die Kälte des Nordens mit der Wärme des Südens. – Die zahlreichen Wohnungen sind zweckmäßig eingerichtet; die Kost ist gut; eine Anzahl von tüchtigen schweizer, deutschen und anderen Aerzten sorgt für die zu Ausschreitungen im Besserungsfall nur zu leicht geneigten Kranken. Ein Theil der ständigen Bewohner von Davos besteht aus Leuten, welche vor Jahren schwindsüchtig dorthin kamen und schließlich dort sich niederließen, weil sie in der Heimath wieder zu erkranken pflegten: mehrere Aerzte, Gastwirthe, Kaufleute, Buchhändler, Handwerker etc.
Eine Reihe anderer in die gleiche Kategorie gehörender Curorte erwähnen wir nur kurz: die Concurrenzanstalt des Dr. Rempler in Görbersdorf, die Heilanstalt Falkenstein im Taunus, den Ort St. Blasien im Schwarzwald und endlich mehrere Davos ähnliche Orte in der Schweiz. Wir wünschen auch ihnen allen ein rüstiges Weiterschreiten; bei der Häufigkeit der Lungenschwindsucht werden Kranke nicht ausbleiben, wenn die Anstalten der Mutteranstalt Görbersdorf, welche wir unseren Lesern im Bilde vorführen, ernstlich nacheifern.
Welche Kranke gehören nun in die oben beschriebenen Anstalten und Curorte? Diese Auswahl wird selbst den besten und erfahrensten Aerzten nicht immer leicht, und es kommen auch bei solchen hier und da Mißgriffe vor. Wir sind deshalb weit entfernt, für die Kranken, für Nichtärzte specielle Regeln aufstellen zu wollen. Die folgenden Zeilen geben nur ein ganz allgemeines Bild.
Obige Heilanstalten und Curorte müssen wenigstens Monate lang besucht werden; zunächst gehört dazu selbstverständlich Geld. – Geeignet sind dieselben in erster Linie für Alle, welche der Lungenschwindsucht vorbeugen wollen, vorzugsweise Menschen vom fünfzehnten Lebensjahre an, aber auch für noch jüngere, welche blutarm, muskelschwach, schmalbrüstig sind, häufig an Husten leiden, von schwindsüchtigen Eltern abstammen oder denen schon Geschwister an gleicher Krankheit starben, ferner für Leute, welche an gewissen Arten von Scrophulose, von allgemeiner Blutleere und Schwächlichkeit auch ohne nachweisbare Lungenerkrankung leiden, sowie für Reconvalescenten von Brustfell-Entzündungen.
Weiter findet man in jenen Curorten in größter Zahl Solche, welche an chronischer, das heißt langsam verlaufender Schwindsucht leiden, welche aber nicht besonders erregbar, womöglich nicht über vierzig Jahre alt sind, nicht fiebern, einen gesunden Kehlkopf, kein Herzleiden und gesunde Nieren haben. Alle anderen Formen der Schwindsucht erachten viele Aerzte als nicht geeignet für jene Orte. Auch manche Formen von chronischem Luftwegekatarrh, manche Arten von Brustbeklemmung (sogenanntes Asthma) werden, besonders in Davos, gebessert oder geheilt.
Manche Aehnlichkeit mit den genannten Curorten und nicht selten gleich guten Erfolg haben für Lungenkranke die monatelangen Fahrten zur See, während der Gebrauch der Seebäder oder der Aufenthalt am Meere fast immer nachtheilig auf dieselben wirkt.
Wann aber soll man die Curorte im Süden Europas, in Afrika aufsuchen? Welche Kranke gehören nach Ems, Soden, Lippspringe, Salzbrunn etc.? Welche in die Soolbäder? In die Molkencurorte? In die Sommerfrischen Thüringens, des Schwarzwaldes etc.? Hierauf Antwort zu geben ist recht schwer, und wir wollen das nicht einmal versuchen. Jeder dieser Orte kann geeigneten Falles ausgezeichnete Dienste leisten: man erwarte aber nur nicht, von einer langen Krankheit ernsterer Art in vier Wochen geheilt zu werden, und man besuche keinen dieser Orte und keine jener Heilanstalten, ehe man einen erprobten Arzt zu Rathe gezogen hat!
[403]
Einige magyarische[1] Terroristen haben bekanntlich vor Kurzem im Bunde mit deutschen Ueberläufern in der Pester Stadtverordnetenversammlung den Beschluß durchgesetzt, daß gegen alle Billigkeit, ja gegen verbrieftes Recht und geschriebenes Gesetz das deutsche Theater in Budapest gesperrt, das heißt für immer unterdrückt werde. Dieser Beschluß entfesselte in deutschen Kreisen allenthalben einen solchen Sturm von Unwillen, daß sich die Pester Stadtverwaltung genöthigt sah, von der augenblicklichen Durchführung desselben abzustehen und dem bedrohten Kunstinstitut eine Gnadenfrist zu gewähren. Dieser bezeichnende Zwischenfall hat die Augen der Welt wieder einmal auf die Zustände gelenkt, die sich in Ungarn und besonders in seiner Hauptstadt seit dem Anfange der neuesten magyarischen Aera herausgebildet haben. Man glaube ja nicht, daß der geplante schwere Gewaltact, den die magyarischen Chauvinisten angesichts der allgemeinen Entrüstung zu üben nicht den Muth gehabt, etwa eine vereinzelte Erscheinung sei; nein, er ist nur ein Glied in einer langen Kette von Bedrängnissen, welche die Deutschen in Ungarn seit dem Jahre 1861 zu tragen haben. Es ist Pflicht der deutschen Presse, einmal wieder auf diese ungewöhnlichen Vorgänge zurückzukommen, und sie kann um so unbefangener ihre warnende Stimme erheben, als in Deutschland nicht eine Spur von feindseliger Stimmung wider das Magyarenthum zu finden ist, die liberale Mehrheit der Nation vielmehr den Geschicken des schönen Landes stets eine aufrichtige und immer lebendige Theilnahme bewahrt.
Sagen es doch die Magyaren offen und ohne Scheu: das Ziel, nach dem sie streben, sei die Ausrottung des Deutschthums im Gebiete der Stephans-Krone, sei die, wenn nothwendig, auch mit offener Gewalt durchzusetzende Magyarisirung der ungarländischen Deutschen. Fragt man sie nach ihrem Rechte zu solchem Vorgehen, so antworten sie, die Deutschen seien „Fremde“ im Lande und der Hausherr habe ein Recht zu fordern, daß seine Gäste sich entweder seiner Hausordnung fügen oder – gehen. Sind die ungarländischen Deutschen wirklich „Fremde“ in Ungarn, denen man so ohne Weiteres vorhalten kann: „Entweder Ihr werdet Magyaren oder Ihr verlasset das Land!“? Die Geschichte mag auf diese Frage die Antwort geben.
Die westlichen Gegenden Ungarns waren von Franken und Bajuvaren besiedelt, als die Magyaren – im Jahre 884 – unter ihrem Führer Almos und dessen Sohne Arpad in Pannonien erobernd einbrachen. Diese deutschen Stämme, die noch heute die Grenzcomitate gegen Oesterreich hin – Preßburg, Eisenburg, Wieselburg, Oedenburg – bewohnen, wurden durch die asiatischen Eroberer niemals von ihren Sitzen verdrängt und sind somit eine mindestens ebenso alte, wahrscheinlich aber ältere Nationalität in Ungarn, wie die Magyaren. Als Herzog Gehza das Bedürfniß empfand, zum europäischen Westen in dauernde friedliche Beziehungen zu treten und aus seinen Magyaren ein anerkanntes Mitglied der europäischen Völkerfamilie zu machen, verheirathete er seinen Sohn, den nachmaligen König Stephan den Heiligen, mit Gisella, der Tochter des damaligen Baiernherzogs, und in ihrem Gefolge kamen zahlreiche deutsche Ritter (die Chronik nennt einige Grafen von Henneberg und Wasserburg aus Baiern, die Ritter Hunt und Poznam aus Schwaben, Tibolt von Tannberg etc.) in’s Land, welche die ersten Burgen bauten, deutsches Recht und deutsche Rittersitte einführten und Stammväter vornehmer Geschlechter wurden, die noch heute blühen und deren Namen die Liste der Mitglieder des ungarischen Oberhauses zur guten Hälfte ausfüllen. Stephan der Heilige befolgte das Beispiel seines Vaters und lud ebenfalls viele deutsche Edle und Bürger ein, sich in Ungarn niederzulassen, und in gleicher Weise sein Nachfolger Peter. König Andreas der Zweite rief 1143 niederrheinische Colonisten in sein Reich, die das damals wüst liegende Siebenbürgen und Oberungarn bevölkerten und von denen die heutigen Zipser und Sachsen abstammen. Diese Deutschen kamen nicht etwa als landflüchtige Abenteurer, auch nicht als rechtlose Bettler, sondern dictirten dem Könige, der sie in seinem Gebiete aufnehmen wollte, ihre Bedingungen, schlossen mit ihm rechtsgültigen Vertrag, forderten weitgehende Privilegien und nahmen von den ihnen angebotenen Landstrecken erst Besitz, als ihnen alle Forderungen feierlich zugestanden worden waren.
So oft in der Folge Kriege und Feindeseinfälle Ungarn verheerten und entvölkerten, nahm seine Regierung zu demselben erprobten Mittel ihre Zuflucht, um die menschenleeren Einöden mit blühenden Wohnstätten und civilisirter Bevölkerung zu beleben: sie rief deutsche Colonisten in’s Land und gewährte ihnen auszeichnende Vorrechte zum Dank und Lohn für ihre Culturthätigkeit. So that es Bela der Vierte nach den Mongolenzügen im Jahre 1268; so thaten es nach der endgültigen Vertreibung der Türken aus Ungarn Leopold der Erste, Karl der Sechste, Maria Theresia (die Deutschen des Banats und der Batschka sowie der ehemaligen Militärgrenze kamen damals nach Ungarn); so thaten es noch zuletzt die Regierungen Ferdinand’s und Franz Joseph’s, als es galt, das fiebererzeugenden durchaus werthlose Sumpfland die Temes und Bega entlang zu entwässern und in fruchtbarsten Weizenboden umzuzaubern. Die erste Bedingung, welche die deutschen Einwanderer immer stellten, war die, daß man ihnen ihre Sprache, ihr Volksthum unangetastet lasse. Wir haben historische Zeugnisse dafür, daß sie über dieses ihr heiligstes Kleinod mit einer Eifersucht wachten, gegen welche die Lauheit eines großen Theils ihrer Nachkommen kläglich absticht. Das berühmte Ofener Stadtrecht aus dem dreizehnten Jahrhundert (herausgegeben von Michnay und Lichner, Preßburg 1845) bestimmt, daß zum Stadtrichter nur ein Deutscher gewählt werden dürfe, der rein deutsche Ahnen Nachweisen könne. Der Rath bestand aus zwölf Mitgliedern, von denen zehn Deutsche sein mußten; der Rathsschreiber mußte ein Deutscher sein etc. Und dieses Ofener Stadtrecht, das durch Bela den Vierten im Jahre 1244 mittelst einer „goldenen Bulle“ neu bestärkt und bekräftigt wurde, galt auch in allen übrigen Städten Ungarns, die fast ausnahmslos von Deutschen gegründet, von Deutschen bewohnt waren.
Das sind die Rechtstitel der ungarländischen Deutschen, deren es dort nach einer magyarischen Quelle (Karl Keleti, „Hazánk és népe“, Pest 1873) 1,816,087 giebt, wobei man die 500,000 Juden, deren Muttersprache fast ausnahmslos deutsch ist, nicht mitrechnet und die Städter, die in der letzten Generation magyarisirt wurden, mit als Nationalmagyaren verzeichnet. Die Deutschen sind also zum Theil so alte oder ältere Landsassen in Ungarn als die Magyaren selbst, und sofern sie später als diese einwanderten, thaten sie es auf Grund rechtsgültiger Verträge; sie „Fremde“ zu nennen, heißt der Geschichte und dem öffentlichen Rechte in’s Antlitz schlagen; die Deutschen Ungarns sind in ihrem Vaterlande so wenig Fremde, wie die Deutsch-Oesterreicher in Oesterreich, die deutschen Schweizer in der Eidgenossenschaft oder die baltischen Deutschen in den Ostseeprovinzen.
Und sehen wir doch einmal, was diese „Fremden“ im Laufe der Geschichte ihrem ungarischen Vaterlande, ja dem magyarischen Stamme selbst geleistet haben! Deutsche Glaubensapostel, zuerst der Mönch Wolfgang von Einsiedeln in Schwaben, dann der Bischof Pilgrim von Lorch (979), zuletzt der Bischof Adalbert von Prag, predigten den heidnischen Magyaren das Christenthum und schlangen so das Band, welches die asiatischen Eroberer mit den Nationen Europas zu friedlicher Gemeinschaft verknüpfte; die deutschen Colonisten der Zips und Siebenbürgens lehrten die Magyaren den Bergbau und die Metallindustrien; sie bauten zuerst Burgen und Städte und gaben das Beispiel bürgerlicher Seßhaftigkeit, welche die Nomaden bis dahin kaum gekannt; aller Handel, alle Industrie ruhte im Mittelalter – wie ja zum großen Theil auch heute noch – in den Händen der Deutschen, die jedoch über diesen friedlichen Hantirungen ihre Wehrhaftigkeit nicht einbüßten und in den südlichen und östlichen Grenzprovinzen durch Jahrhunderte eine eherne Schutzmauer ihres ungarischen Vaterlandes waren. Christenthum, Städteleben, Bergbau, Handel, Industrie jenseits der Leitha, die ein seßhaftes Culturvolk von barbarischen Nomadenhorden unterscheiden, sind in Ungarn ziemlich ausschließlich deutschen Ursprungs, wir möchten sagen: deutsche Importartikel.
[404] Doch weshalb auf die fernen geschichtlichen Ursprünge der ungarischen Cultur zurückgehen? Weshalb dabei verweilen, daß Deutsche es waren, die nach dem Rückfluß der verheerenden Tataren- und Türkenfluthen wüste Gegenden in blühende Provinzen verwandelten? Betrachten wir doch einmal die Rolle, welche das deutsche Element in der zeitgenössischen ungarischen Cultur spielt, die sich gern als eine specifisch magyarische giebt! Auf allen Gebieten des Geisteslebens, in allen Wissenschaften und Künsten sind es Deutsche, die zum Bau der eigenen ungarischen Cultur den ersten Grundstein legten. Wer hat Ungarn zuerst geologisch durchforscht und die erste gute geologische Karte des Landes angefertigt? Der Deutsche Max von Hantken. Wer hat die wissenschaftliche Philologie der magyarischen Sprache geradezu geschaffen? Der Deutsche Budenz. Wer hat zuerst die Mythologie und die früheste Cultur der Magyaren erforscht? Der Deutsche Stummer, der sich hinter dem später angenommenen magyarischen Namen Ipolyi verbirgt. Wem verdanken die Magyaren die erste wissenschaftliche Bearbeitung ihrer alten Kunst- und Baudenkmäler? Dem Deutschen Emerich Henßlmann. Wer war der erste Ethnograph und Geograph Ungarns? Der Zipser Deutsche Hündsdorfer, jetzt Hunfalvy genannt. Die zwei besten Geschichtswerke über Ungarn stammen von den Deutschen Feßler und Engel, welche die Magyaren Horvath und Szalay nicht zu überbieten vermochten. Der beste Detailforscher ungarischer Geschichte ist der jüdische Deutsch-Ungar Frankl, heute als Fraknoi und Domherr ein doppelter Renegat. Die bisher beste Würdigung eines magyarischen Nationalschriftstellers im Zusammenhange mit seiner Culturepoche giebt die preisgekrönte Studie „Ueber Revai und seine Zeit“, vom jüdischen Deutsch-Ungar Weiß, heute Banoczi. Es thut uns leid, daß wir diese, wie wir fürchten, langweilige Liste noch immer nicht schließen können. Das einzige Werk über Ackerbau und Bodenkultur in Ungarn hat der Deutsche Heinrich Dietze geschrieben; der erste Meteorologe Ungarns ist der Deutsche Guido Schenzl, gleichwie der Schöpfer der magyarischen Nationalökonomie der Deutsche Kautz und der Begründer der ungarischen Statistik der jüdische Deutsch-Ungar Hajduska, jetzt Körösi, ist. Die erste – und eigentlich bisher einzige – Literaturgeschichte der Magyaren stammt aus der Feder des Deutschen Franz Schedel, welcher seinen Namen später in Toldy umgewandelt hat. Wir finden ferner, daß der erste Chemiker Ungarns, Than, deutschen Ursprungs, und der erste Erforscher der ungarischen Spinnenfauna, Otto Hermann, ein Deutscher ist. Jeder einzelne Professor der höheren Lehranstalten des Landes hat seine Ausbildung in Wien oder Deutschland erhalten, und sämmtliche Lehrbücher, die an höheren Lehranstalten im Gebrauch stehen, sind aus dem Deutschen übersetzt oder aus deutschen Werken compilirt worden.
Und wie in der Wissenschaft, so in der Kunst! Die besten Historienmaler Ungarns, Than und Lotz, sind Deutsche und Schüler Rahl’s; der gefeiertste Künstler, den Ungarn hervorgebracht, Michael Munkacsy, ein Mann, den die landläufige Fabel als Erz-Hunnen darstellt, heißt eigentlich Lieb, ist, wie dieser Name lehrt, deutschen Ursprungs und hat seine Ausbildung in Wien, München und Düsseldorf erhalten. Liezen-Mayer und Wagner, die gleichfalls obenan stehen, wenn die Glanznamen der ungarischen Kunst verzeichnet werden, sind Deutsche und fühlen sich als solche. Franz Liszt, diese rühmlichste Verkörperung der ungarischen Musik, ist ein Deutscher und kann noch heute kein Wort Magyarisch; dasselbe gilt von Franz Erkel, dem Schöpfer der magyarischen Nationaloper.
Daß die Magyaren heute überhaupt eine Literatur in ihrer Sprache besitzen, verdanken sie den Anregungen, welche ihre berühmten „Gardisten“ in Wien zur Zeit Maria Theresia’s durch die Berührung der deutschen Cultur empfingen, wie denn die ersten Werke dieser Regeneratoren ihres Stammes theils Uebersetzungen, theils Nachahmungen deutscher (und allerdings auch französischer) Originalwerke waren. Einer der größten Dichter der Magyaren, Kisfaludy, führte seine Privatcorrespondenz in deutscher Sprache; Szechenyi, den die Magyaren selbst „den größten Ungar“ nennen, der Begründer der ungarischen Akademie, schrieb seine Tagebücher deutsch, verfaßte deutsche Gedichte und gelangte niemals dahin, das Magyarische fließend zu sprechen.
Wohin wir also in der ungarischen Kunst und Wissenschaft immer blicken, sind es deutsche Namen, die uns entgegentreten, ist es deutsche Geistesarbeit, auf die wir stoßen.
Da wir einmal bei der Abrechnung sind, machen wir sie gleich gründlich: Das deutsche Element in Ungarn hat sich nicht damit begnügt, den magyarischen Nachbarn die höchsten Güter der Civilisation zu erwerben, es hat auch dafür gesorgt, daß das Ausland von der magyarischen Cultur Kenntniß erhalte. Bis vor einem Jahrzehnt gab es in ganz Europa wohl keinen einzigen Nichtungarn, der magyarisch verstand, und selbst heute, wo dank deutscher Apostelthätigkeit für Ungarn die Aufmerksamkeit des Auslandes mehr auf dieses Land gelenkt ist, kann man noch an den Fingern einer Hand die Franzosen und Engländer herzählen, die ein magyarisches Buch im Original lesen können. Wenn trotzdem der Name Petöfy’s durch die ganze gebildete Welt klingt, so ist es, weil Deutsch-Ungarn ihn aus dem Original in’s Deutsche übersetzten, worauf ihn die anderen Nationen aus diesen Uebersetzungen in ihre eigenen Literaturen verpflanzten. Dasselbe gilt von Moritz Jokai, dessen Romane nur darum in alle gebildetes Sprachen übertragen werden konnten, weil Deutsch-Ungarn sich’s angelegen sein ließen, sein unter dem magyarischen Scheffel verborgenes Licht auf den deutschen Weltleuchter zu setzen.
Alle Nationen außer der deutschen beziehen ihre Kenntniß Ungarns und magyarischer Geistesarbeit aus zweiter Hand; blos die Deutschen haben sie aus erster Hand, aus derjenigen der Deutsch-Ungarn, die des Magyarischen mächtig sind, dafür Interesse und Liebe haben und es für ihren patriotischen Beruf halten, zwischen Ungarn und der Außenwelt beständig und sympathisch zu vermitteln. Derjenige magyarische Schriftsteller, der keinen deutschen Uebersetzer, Lobredner, Würdiger findet, bleibt der Welt unbekannt und nähme er in seinem Vaterlande die allerbedeutendste Stellung ein; der unbedeutendste Magyare aber, den ein Deutscher an der Hand nimmt, tritt mit diesem Führer sofort in’s Licht des weltweiten Bekanntseins.
Und wenn man im Auslande für die Magyaren Sympathieen hat, wenn man sie für ein auserwählt ritterliches Volk hält, wenn ihren Namen ein gewisser romantischer Nimbus umgiebt – wem anders verdanken sie es als wieder den Deutschen, deren Dichter sie mit Begeisterung besangen? Schrieb nicht Heine in dem schönen Gedicht „Im Januar 1849“:
„Wenn ich den Namen Ungar hör’,
Wird mir das deutsche Wamms zu enge;
Es braust darunter wie ein Meer,
Mir ist, als grüßten mich Trompetenklänge.
Es klirrt mir wieder im Gemüth
Die Heldensage längst verklungen,
Das eisern wilde Kämpenlied –
Das Lied vom Untergang der Nibelungen.“
War es nicht ein deutscher Dichter, Moriz Hartmann, der für die ungarische Freiheitsbewegung die heißen Strophen des Gedichtes „Kossuth“ fand:
„So hat nicht Capistran,
Nicht Irlands Dan gesprochen.
Wie jener blasse Mann,
Von Kerkerpein gebrochen,
Mit blassem Angesicht,
Mit Augen, welche blauen
Im Schatten dunkler Brauen
Gleich Veilchen zarter Frauen
Wie der zum Volke spricht!“
Haben nicht die Deutsch-Ungarn Nikolaus Lenau und Karl Beck ihrem Vaterlande unter den Völkern des Westens mehr Freunde geworben, als alle magyarischen Schriftsteller zusammengenommen?
Und nun wollen wir sehen, wie die Magyaren – denen wir Deutschen, nebenbei bemerkt, noch im vorigen Jahre gelegentlich der Katastrophe von Szegedin vor andern Nationen die thatsächlichsten Beweise selbstloser Bruderliebe gaben – wir wollen sehen, wie diese Magyaren es den Deutschen vergolten haben, daß sie ihnen die Cultur brachten, daß sie ihnen eine Literatur, Kunst und Wissenschaft schufen und ihnen die Aufmerksamkeit, die Sympathieen der fremden Völker zuwandten.
Als im Jahre 1861 das österreichische Regiment in Ungarn ein Ende nahm, benützten die wieder zu einem Theil ihrer Macht gelangten Magyaren die ersten Anfänge ihrer Autonomie dazu, um einen Kampf gegen das Deutschthum im Lande zu beginnen, der seit 1867 mit größeren Mitteln weitergeführt wird. Das [405] Hauptangriffsobject war die Landeshauptstadt Budapest. Wir haben oben durch Anführung einzelner Bestimmungen des alten Ofener Stadtrechts dargethan, daß die Doppelstadt Ofen-Pest in alter wie in neuer Zeit specifisch deutsch und auf ihr Deutschthum eifersüchtig war. Dieser Charakter der Landeshauptstadt sollte nun gewaltsam umgewandelt werden. Im Jahre 1861 bestanden in Budapest zwei deutsche Gymnasien und eine deutsche Realschule, und die Elementarschulen waren sammt und sonders deutsch. Die neue Regierung magyarisirte sofort alle diese Lehranstalten, nöthigte die deutschen Lehrkräfte zum Abgang, welche zum Theil wissenschaftliche Autoritäten allerersten Ranges waren, und ersetzte sie durch junge Leute von zweifelhafter Moralität, die außerdem jeder wissenschaftlichen Vorbildung entbehrten, dafür aber die Garantie, daß sie blos magyarisch vortragen würden, um so sicherer boten, als sie keiner andern Sprache mächtig waren. Durch dieses Vorhaben wurde eine ganze Generation von zum Theil hochbegabten und vielversprechenden Schülern in Bildung, Fleiß und Disciplin zurückgebracht; alle Knaben und Jünglinge jener Epoche verloren in der Folge mehrere Jahre, da sie aus dem ihnen unverständlichen fremdsprachigen Unterricht nicht den Nutzen zogen, und es ist eine bemerkenswerthe Thatsache, daß aus jener Schülergeneration, welcher die Möglichkeit der Ausbildung geraubt wurde, bis zum heutigen Tage, also achtzehn Jahre später, nicht ein einziger halbwegs bedeutender oder nur irgendwie bemerkenswerther Mann hervorgegangen ist.
Auf diesen Angriff gegen die höchsten Bildungsinteressen einer ganzen Generation beschränkte man sich jedoch nicht. Ihr nächstes Object war ein anderer deutscher Culturfactor: das deutsche Theaterwesen der Hauptstadt. Im Jahre 1861 bestand in Budapest blos ein einziges Magyarisches Theater: die „Nationalbühne“, die trotz reicher Dotation jährlich ein kolossales Deficit zu verzeichnen hatte und im tiefsten Verfall begriffen war. Dagegen blühten zwei ständige deutsche Theater, das Ofener Festungs- und das Pester Stadttheater, und zwei deutsche Sommerbühnen in Ofen und Pest. Alle diese deutschen Anstalten standen unter städtischem Schutz und führten das Stadtwappen im Theaterzettel. Die erste Maßregel der neuen Stadtbehörde war, den deutschen Theatern den städtischen Schutz und das Recht, das Stadtwappen zu führen, zu entziehen. Dann wurde die Magyarisirung des Ofener Festungstheaters, hierauf die des Ofener Sommertheaters decretirt; ferner votirte die Stadtverordneten-Versammlung, zum guten Theil aus den Steuerpfennigen der deutschen Bevölkerung, eine riesige Summe zum Bau und zur Unterstützung eines magyarischen
[406] Volkstheaters, das hauptsächlich die Pariser Cancan-Operette cultivirt, und zuletzt suchte sie ihrem bisherigen neunzehnjährigen Zerstörungswerke die Krone aufzusetzen, indem sie, wie wir im Eingange gesehen, das nur noch als Privatinstitut bestehende deutsche Theater, das letzte überlebende von den vier früher vorhanden gewesenen, zu unterdrücken begann.
Obwohl das ungarische Nationalitätengesetz vom Jahre 1968 ausdrücklich bestimmt, daß jeder Bürger in den Stadtverordneten-Versammlungen sich seiner Muttersprache bedienen dürfe, sofern diese Sprache von mindestens einem Fünftel der Gemeindebevölkerung gesprochen wird, faßte die Pester Stadtverordneten-Versammlung dennoch den Beschluß, daß in ihr blos magyarisch gesprochen werden dürfte, was zur Folge hätte, daß sich die bewährtesten bürgerlichen Elemente aus ihr zurückziehen mußten und der Platz ziemlich ausschließlich besitz- und bildungslosen, aus der Provinz eingewanderten Magyaren überlassen blieb, welche nun bekanntlich in der vielfach erörterten und tief gemißbilligten Weise mit dem Vermögen der Stadt wirthschaften.
Der § 21 des angeführten Nationalitätengesetzes lautet: „Die Gemeindebeamten sind verpflichtet, in ihrem Verkehr mit den Gemeindebewohnern deren Sprachen zu gebrauchen“; dem ungeachtet wurden seit 1861 mit Vorliebe solche Beamten angestellt, die blos des Magyarischen kundig sind, sodaß der steuerzahlende Pester Bürger sich in seinem Verkehr mit den Beamten der eigenen Stadt eines Dolmetschers bedienen muß, und in neuester Zeit wurde sogar mit offener Verhöhnung des § 23, jenes mehrerwähnten Gesetzes die Verfügung getroffen, daß städtische Behörden schriftliche Eingaben blos in magyarischer Sprache annehmen dürfen.
Diese administratiyen Maßregelungen wurden und werden auch von einem socialen Terrorismus begleitet, der den deutschen Bürger auf Schritt und Tritt beunruhigt und quält. Heißspornige magyarische Blätter brachten täglich Proscriptionslisten jener Geschäftshäuser, welche sich erkühnten, deutsche Firmenschilder zu führen; dieselben Blätter denuncirten alle Vereine, ja sogar enge Familienkreise, in denen deutsch conversirt wurde, und beschimpften einzelne Individuen, die deutsche Gesinnung und Anhänglichkeit an ihre Muttersprache freimüthig bekundeten. Der Abgeordnete Mocsary that in offener Sitzung des ungarischen Abgeordnetenhauses den Ausspruch: „Die deutsche Sprache muß bei uns die Sprache der Kellner und Hausknechte werden,“ und in allen magyarischen Kneipen wurde unter rohem Jubel ein Spottlied gegen die Deutschen gesungen, dessen erster Vers lautet: „Mégis hunczúta német!“ („Der Deutsche ist doch ein Hundsfott!“) Es ist nicht der geringste Grund zu der Befürchtung vorhanden, durch solche Mittheilungen in Deutschland etwa einen Rassenhaß zu entzünden. Der deutsche Charakter neigt nicht dazu. Aber es liegen doch unabweisbare Anlässe vor, diese fast im Stillen sich vollziehenden, aber ganz notorischen zeitgeschichtlichen Thatsachen dem öffentlichen Urtheil vorzuführen. Viele Tausende von Zeugen erlebten und erleben sie stündlich. Es würde ein großer Muth der Lüge, oder ein sehr unkundiges Publicum dazu gehören, wenn man den Versuch machen wollte, sie abzuleugnen oder zu widerlegen.
Aehnlich wie in der Hauptstadt, ging es im ganzen Lande zu. Ueberall wurden die deutschen Schulen unterdrückt (mit offener Verletzung des Volksschulgesetzes vom Jahre 1868, welches bestimmt, daß jedes Kind in der Elementar- und Mittelschule in seiner Muttersprache unterrichtet werden müsse!) und man ersetzte sie durch magyarische. Die Verwaltung wurde ausschließlich magyarisch, selbst in reindeutschen Bezirken. Der magyarische Beamtenkörper wurde in jedem Orte ein Centrum der Propaganda, welche durch gesellschaftlichen und amtlichen Hochdruck den wohlhabenden und angesehenen Theil der Bevölkerung zum Magyarismus zu bekehren sucht.
Die deutschen Beamten des Staats und der Verkehrsanstalten, zum Theil alte Männer, die im Dienste des Landes und in redlicher Pflichterfüllung ergraut waren, wurden aus ihren Stellungen verdrängt; man machte ihr Verbleiben im Amte von der Erlernung der magyarischen Sprache abhängig, für die man ihnen eine Frist von sechs Monaten gewährte, welche einmal sogar gnädig um weitere sechs Monate verlängert wurde. Also ein Jahr zur Erlernung der schwersten europäischen Sprache, die in ihrem ural-altaischen turanischen Gefüge von allen iranischen Sprachen so urverschieden ist, daß ein indogermanischer Geist wenn er das Jugendalter überschritten hat, sich in ihre Eigenheiten überhaupt gar nicht mehr einleben kann. Solche Forderungen stellte man an alte Männer, die dabei von Amtsgeschäften fortwährend in Anspruch genommen waren und gar nicht die Zeit hatten, sich mit dem Erlernen eines fremden Idioms abzugeben. Natürlich war die Folge dieser Maßregel, daß neun Zehntel der deutschen Beamten entlassen wurden und am Abend ihres Lebens ihre Existenz vernichtet sahen.
So ging es in Ungarn, seit dem Jahre 1861 her. Heute nun liegen die Dinge so, daß die Deutschen, die 1861 bereits das Jünglingsalter erreicht hatten und nun das Magyarische nicht mehr erlernen konnten oder wollten, aus der Gemeinde- und Staatsverwaltung verdrängt wurden, daß ihnen Aemter und Ehrenstellen unzugänglich sind, daß die öffentlichen Laufbahnen für sie nicht existiren, daß sie im eigenen Vaterlande förmlich vaterlandslos dastehen. In der Hauptstadt, in reindeutschen Landbezirken giebt es keine einzige deutsche Volks- und Mittelschule mehr, und die Kinder werden in den Unterrichtsanstalten mit aller Macht magyarisirt. Das Gesetz schreibt wohl vor, daß Deutsch in den Schulen als obligater Lehrgegenstand vorgetragen werde, allein die oberen Schulbehörden geben den betreffenden Lehrern bei ihrer Ernennung zum Lehreramte den vertraulichen Wink, sich nicht allzu sehr anzustrengen, und wenn sie es trotzdem mit ihrem Berufe ernst nehmen und im Unterricht des Deutschen Eifer an den Tag legen, werden sie von ihren Collegen denuncirt und verlieren für immer die Aussicht auf Beförderung. Die Folge dieses Systems ist, daß die neue Generation, die seit 1861 erwächst, Deutsch nicht mehr als gebildete Sprache spricht, sondern als Küchenjargon radebricht, daß in vielen Fällen die Eltern sich mit den magyarisirten Kindern nicht mehr verständigen können.
Die allgemeine Cultur des Landes ist erschreckend zurückgegangen. Viele Orte, die früher ein gutes deutsches Theater, ja selbst eine Oper hatten, entbehren jetzt jeder Möglichkeit, sich bildende Genüsse zu verschaffen; deutsche Vereine, in denen edle Geselligkeit gepflegt wurde, haben sich aufgelöst und sind durch „Casinos“ ersetzt worden, in denen magyarische Beamten trinken und Karten spielen. Der Absatz guter Bücher hat abgenommen, das Land producirt nicht mehr Lehrkräfte genug für seinen Bedarf und muß für alle höheren Verwaltungszwecke, für alle technischen Aufgaben ausländische Fachmänner – meist doch wieder die verhaßten, aber unentbehrlichen „Schwaben“! – berufen.
Daß es so weit kommen konnte, ist allerdings zum Theil die Schuld jener zwei Millionen deutscher Bürger, die sich widerstandslos zu verachteten vaterlands- und rechtlosen Parias erniedrigen ließen. Die Deutschen Ungarns kamen eben anfangs der magyarischen Bewegung mit Sympathie entgegen, weil im Jahre 1861 Oesterreicherthum leider Ultramontanismus, Absolutismus und Reaction, der Magyarismus dagegen politische und religiöse Freiheit bedeutete; Freiheit allerdings nur für den magyarischen Stamm, nicht aber für die nichtmagyarischen Nationalitäten des Landes, was die guten für liberale Schlagworte schwärmenden Deutsch-Ungarn völlig übersahen. Als die Deutschen später erkannten, daß die neue Aera ihrer Sprache, ihrer Bildung, ihrem Volksthum an’s Leben gehe, waren sie schwach genug, Alles schweigend zu erdulden. Viele magyarisirten ihre Namen, gingen zur herrschenden Partei über, ließen sich mit Titeln und Aemtern dafür belohnen und suchen nun durch doppelten Eifer im Kampf gegen die Deutschen ihren eigenen deutschen Ursprung vergessen zu machen.
Ungarn hat eine weitverbreitete deutsche Presse. Zwei deutsche Blätter der Hauptstadt haben jedes für sich allein mehr Abonnenten als alle magyarischen Blätter zusammengenommen. Diese Zeitungen waren die natürlichen Anwälte und Vertheidiger des Deutschthums. Ein um so beklemmenderes Schauspiel gewährt es, täglich zu sehen, wie solche hervorragende Organe ganz offen mit ihrem deutschen Wort unter der Fahne der ausgesprochensten Deutschenverfolgung kämpfen. Wenn der einzelne Deutsche aber sieht, daß er bei der Regierung keinen Schutz findet, daß seine eigene einheimische Presse mit der Bekämpfung gemeinsame Sache macht und daß isolirtes Hervortreten mit seiner Gesinnung ihn allen Möglichen Verfolgungen und Unbilden aussetzt, so wagt er es nicht mehr, Farbe zu bekennen, und verschließt seinen Groll in’s Herz, wo er weiterfrißt.
Heute sind es die Deutschen Ungarns allein, die unter diesen Zuständen leiden, aber die Magyaren werden bald genug [407] erfahren, ja erfahren es zum Theil schon jetzt, was sie sich und ihrem Lande angerichtet haben, als sie ihren Krieg gegen das die Cultur ihres Landes repräsentirende Deutschthum begannen. Die Magyaren haben bisher noch nicht das Experiment gemacht, sich ganz in ihren Magyarismus einzuschließen; sie haben es bisher noch nicht versucht, ihre Cultur von der des Westens zu isoliren. Bis zum Jahre 1833 lernte jeder gebildete Magyare Deutsch und Lateinisch und hatte, wenn er schon das Deutsche verschmähte, in seiner, wenn auch noch so schlechten, Latinität eine Brücke zum Westen. Von da bis 1861 war die Sprache der Bildung in Ungarn noch immer die deutsche. Die jetzt heranwachsende Generation der Magyaren und selbst der von deutschen Eltern abstammenden Ungarn spricht, liest, schreibt nicht mehr deutsch, aber auch keine andere europäische Sprache; denn das Lateinisch der Schulen reicht nicht zu literarischen und wissenschaftlichen Zwecken, und der Unterricht im Französischen, der in den Mittelschulen obligat gemacht wurde, ist wahrlich ein bloßes Späßchen, einzig und allein dazu bestimmt, einen scheinbaren Beweis gegen Jene zu liefern, die den Krieg gegen das Deutschthum als einen Krieg gegen die westeuropäische Civilisation darstellen.
Diese Generation also wird im Ganzen außer dem Magyarischen keiner andern europäischen Sprache mächtig sein. In all ihren ökonomischen Interessen auf Oesterreich und Deutschland angewiesen, die dem industrielosen Ungarn seine sämmtlichen Industrie-Artikel liefern und ihm seine Naturprodukte abkaufen, wird sie in Folge ihrer Unkenntniß der deutschen Sprache hülflos dastehen und den ganzen internationalen Handel und Verkehr fremden Einwanderern überlassen müssen, die nicht etwa, wie die eingeborenen Deutschen Ungarns, für das Land ein Herz haben, sondern es als Colonie betrachten werden, die man auf jede Weise auspressen und aussaugen müsse. Noch schlimmer aber, als auf ökonomischem, wird es diesem Nachwuchs auf geistigem Gebiete ergehen.
Heute publicirt noch jeder magyarische Forscher seine Arbeiten nebenbei deutsch und bringt sie so zur Kenntniß der Welt. In zehn, fünfzehn Jahren wird dies nicht mehr geschehen können; denn die magyarischen Gelehrten der Zukunft werden des Deutschen nicht mehr mächtig sein, und auch die Ungarn deutschen Namens werden ihr bisheriges Vermittlergeschäft nicht fortsetzen können, weil sie in den Schulen nicht lernen, sich ihrer Muttersprache zu höheren Bildungszwecken literarisch zu bedienen. So würde, wenn die Dinge sich nicht wandeln, Ungarn als Culturvolk aus dem Gesichtskreise der Völker des Westens verschwinden müssen. Man würde von dieser Nation und ihrer etwaigen geistigen und wissenschaftlichen Thätigkeit nichts mehr hören. Eingeschlossen in ihre der Welt unbekannte Sprache wie in eine chinesische Mauer, würden die Magyaren losgeschnitten sein von der europäischen Gemeinschaft und ihre Ausweisung der europäischen Cultur mit dem Rückfall in den vollen Asiatismus bezahlen.
Das Land wird es sehr bald fühlen, daß die Zweisprachigkeit allein den magyarischen Stamm bisher in Europa erhalten hat, daß das Deutschthum in Ungarn ein Glück für denselben war, daß er in seiner exclusiven Einsprachigkeit verkommen muß; das Land wird zu spät erkennen, daß eine in Europa ohne jegliche Verwandtschaft dastehende, nur von einer kleinen Zähl Individuen gesprochene Sprache an sich keine Existenzfähigkeit habe und nur unter der Mithülfe einer Weltsprache dauern und gedeihen könne.
Dies sehen übrigens die denkfähigen Magyaren selbst ein, und es ist gewiß bezeichnend, daß der Ministerpräsident Tisza von der Nothwendigkeit deutscher Bildung so überzeugt ist, daß er seinen Sohn in Berlin erziehen, daß er ihm durch preußische Lehrer die „Sprache der Hausknechte“ beibringen läßt. Die Einzelnen blicken tiefer und wollen die sichtlichen Gefahren, welche die öffentlichen Maßnahmen zur Folge haben, wenigstens von ihren eigenen Familien abwenden.
Mit alle dem ist freilich den Deutschen in Ungarn nicht geholfen, die als hingebende Patrioten, begeistert für den Ruhm und die Blüthe ihres Vaterlandes, den verhängnißreichen Folgen einer aus irrender Leidenschaft entsprossenen Politik mit Bangigkeit entgegen sehen. Freilich haben sie bisher unterlassen, was sie hätten thun müssen. Wenn man ihnen ihre theuersten Güter raubt, durch Beschimpfung ihrer Sprache und ihres Volksthums ihnen blutige Schmach zufügt, ihnen die Möglichkeit nimmt, ihren Kindern deutsche Bildung zu geben, sie zu Heloten im Lande macht: so mögen sie sich aufraffen; sie mögen ihren Widersachern die Paragraphen des Volksschul- und Nationalitätengesetzes entgegenhalten und sich von ihren verbrieften Rechten nicht widerstandslos abdrängen lassen! Sie mögen ihnen die Worte zurufen, die einer der Ihrigen, der große magyarische Politiker Nikolaus Wesselenyi, im ungarischen Reichstag von 1830 sprach:
„Der Gebrauch der Muttersprache ist ein unbezweifelbares Recht jeder Nation. Wenn die Nation in der Ausübung dieses ihres natürlichen Rechts behindert wird, bricht sie in Klagen aus; wenn man in der Behinderung verharrt, erweckt man Bitterkeit im Busen der Nation; wenn die Behinderung aber sich zur Bedrückung steigert, erweckt sie eine Reaction, die für die Regierung ebenso gefährlich, wie in ihren Folgen verhängnißvoll ist!“[2]
- ↑ Bei dieser Gelegenheit wollen wir wiederholt das Unserige dazu beitragen, daß man „Magyar“ und „magyarisch“ richtig auszusprechen sich gewöhnt: man spreche „Madjar“ und „madjarisch“! D. Red.
- ↑ Wir sind in der Lage, diesen bezeichnenden Worten noch einen viel bedeutsameren Ausspruch anzuschließen, der im Hinblick auf die oben geschilderten Zustände unbedingt den Werth einer ernsten und gewichtvollen Mahnung erhält. Der Ausspruch ist das Product der Ueberzeugung eines Mannes, zu dem die Magyaren mit heiliger Verehrung aufschauen und der ihnen für alle Zukunft als die kühnste, gluthvollste und gewaltigste Ausprägung ihres Nationalbewußtseins und seiner Forderungen gelten wird. Freilich gehören seine Anschauungen noch einer Zeit an, die ihre Männer in der Schule der Humanität und in den Grundsätzen demokratischer Gleichberechtigung erzogen hatte. Der soeben erschienenen deutschen Ausgabe von Ludwig Kossuth’s Memoiren („Meine Schriften aus der Emigration“. Preßburg und Leipzig, C. Stampfel) ist folgende Stelle aus einem deutschgeschriebenen Briefe des berühmtesten Führers der ungarischen Sache vorausgeschickt:
„Ich fühle mich berechtigt, zu hoffen, daß im ungarischen Vaterlande ohne Unterschied der Sprache noch Millionen von Bürgerherzen schlagen, in denen der Klang der Saite, die meine Schriften berühren, wohl noch einen Widerhall erwecken mag, und unter diesen – deß’ bin ich gewiß – werden die deutschen Patrioten Ungarns weder die mindest zahlreichen, noch die letzten sein. Sie haben es thatsächlich bewiesen, daß, obschon die Kenntniß der Sprache, welche das typische Merkmal der staatlichen Individualität und des historischen Charakters einer Nation bildet, gewiß sehr wünschenswerth und sehr wichtig ist, dennoch die Einheit der Sprache weder das einzige, noch das stärkste Band der politischen Einheit ist. Die Weltgeschichte liefert viele Beispiele, daß, während Völker einer und derselben Nationalität in verschiedene Nationen getheilt sein können, anderntheils die Verschiedenheit der Sprache kein Hinderniß der Nationaleinheit ist. Denn Nationalitäten (Rassen) sind blos ein Zufall der Natur, Nationen hingegen sind eine Schöpfung der Geschichte, die, durch die Gemeinschaft der Gesinnungen in den Werkstätten der historischen Entwickelung von gemeinschaftlichen Interessen ausgebildet, die Bürger eines Landes ohne Unterschied der Sprache mit heiligen Banden an den heiligen Begriff des ‚Vaterlandes‘ knüpft.“
Wenn es möglich wäre, daß in Ungarn diese lichten, hohen und durchaus praktischen Ansichten des großen Patrioten wieder zur Geltung kämen, die in der That vollständig den neueren Erkenntnissen der Wissenschaft vom Völkerleben entsprechen, so würde dort aus dem Gefühle inniger Zusammengehörigkeit des magyarischen mit dem alteingeborenen und zweifellos hochpatriotischen deutschen Volkselement nur Heil und Gedeihen entsprießen, während die feindselige Abstoßung der beiden Elemente allerdings keine anderen als verwirrende und zerrüttende Folgen haben kann. Möchten wir es erleben, daß man sich wiederum verständnißvoll die Hände reichte! Es würden dadurch auch alle Trübungen schwinden, welche leider die alten Sympathien Deutschlands für das Magyarenthum im Angesicht des Kampfes wider unsere Stammesbrüder erfahren müssen.D. Red.
Von Gustav Schubert.
Mit Illustrationen von H. Lüders.
„Nehmen Sie den Ausdruck ‚Wasserflächen
bewirthschaften‘ gütigst in Ihren Sprachschatz auf
– er ist zeitgemäß.
Obige, vom Präsidenten des deutschen Fischereivereins im Festsaale des Berliner Rathhauses vor den Vertretern der verschiedensten Nationen gesprochenen Worte führen uns am schnellsten in die Bestrebungen einer Gesellschaft von Männern ein, deren ebenso selbstloses, wie erfolgreiches Wirken in der am 20. April in Berlin eröffneten internationalen Fischerei-Ausstellung zum lebendigen Ausdruck gekommen ist. Als sich vor zehn Jahren der [408]
deutsche Fischereiverein constituirte, fand er ein Arbeitsfeld vor sich, wie es schwieriger kaum gedacht werden kann. Unsere in früheren Jahrhunderten und noch vor Decennien so fischreichen Bäche, Flüsse und Seen waren durch Unwissenheit und Barbarei verödet und entvölkert; ohne von einem Natur- oder Staatsgesetz sich beschränkt zu wissen, suchte jeder Berechtigte oder Unberechtigte mit mörderischen Geräthen oder Werkzeugen zu allen Zeiten da zu ernten, wo er nicht gesäet, die Schätze der unsere Küsten umspülenden Meere blieben wegen ungenügender Fangmethoden ungehoben und wurden entweder von den besser ausgerüsteten Nachbarn entführt, oder konnten auf Grund eines mangelnden schnellen und guten Transportwesens nur einem kleinen Theile der Bevölkerung zugute kommen. Heute ist es, dank der Wirksamkeit des deutschen Fischereivereins, anders und besser geworden, wenn auch nach der Natur der Dinge noch viel zu thun übrig bleibt. Viele deutsche Gewässer werden jetzt regelrecht bewirthschaftet, aller Unkenntniß und Willkür auf dem Gebiete der Fischerei ist durch das Gesetz vom Mai 1874 und durch spätere Bestimmungen, aus der sachverständigen Vorprüfung des Vereins hervorgegangen, ein Damm gesetzt; Laich-Schonreviere und Schonzeiten werden respectirt; die Erforschung der Gewässer und ihrer Erzeugnisse, verbesserte Fang- und Beförderungsmethoden und nicht in letzter Stelle die künstliche Fischzucht haben einen vollständigen Umschwung herbeigeführt und das ganze Fischereiwesen in eine aufsteigende Bahn gelenkt, deren sicheres Endziel eine nicht unbeträchtliche Vermehrung unseres Nationalwohlstandes sein muß.
Als vor hundert Jahren der berühmte Fischkenner Bloch Friedrich den Großen bat, ihn bei den Vorarbeiten einer herauszugebenden Naturgeschichte über Fische durch die königlichen Behörden zu unterstützen, erledigte der große König das Gesuch mit der vielsagenden Randbemerkung:
„Was es für Fische in Meinem Lande giebt, weiß Ich: Hechte, Zander, Plötze, Barsche und Aale; will Er vielleicht die Gräten zählen?“
Welche Umwandlungen sich seit dieser spöttischen Zurückweisung vollzogen haben, erhellt aus der Thatsache, daß der deutsche Kronprinz jetzt Protector des Fischereivereins ist und mit Rath und That jene Arbeiten desselben hat fördern helfen, als deren glänzendes Resultat die in Berlin in's Leben gerufene internationale Ausstellung zu betrachten ist. Nicht minder charakteristisch ist, daß den auswärtigen deutschen Gesandten, Botschaftern, Geschäftsträgern, Marinebehörden etc. die Aufgabe zufiel, im Auslande überall das lebhafteste Interesse für die Ausstellung und ihre Beschickung zu erwecken, was ihnen, dank der veränderten politischen Stellung unsres Vaterlandes, auch in reichem Maße gelungen ist.
Das auch an größere Firmen, Privatpersonen und Specialvereine gerichtete Einladungsprogramm umfaßte: Wasserthiere im weitesten Sinne des Wortes, deren Producte, Fischerei mit den betreffenden Geräthen und Fahrzeugen, künstliche Zucht von Wasserthieren, Vorrichtungen zur Aufbewahrung und zum Versand frischer Wasserthiere, Veranschaulichung der Verarbeitung, Zubereitung oder Conservirung der Fischereiproducte, Modelle von Fischerhäusern, Untersuchung der Gewässer in Beziehung auf den Fischbestand, Geschichte der Fischerei, Literatur und Statistik.
Dem Rufe, sich an der Ausstellung zu betheiligen, folgte mit Freudigkeit in erster Linie Deutschland, ihm schlossen sich an: Oesterreich und Ungarn, Italien, die Schweiz, England, Schweden, Norwegen, Dänemark, die Niederlande, Rußland, die Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, Japan, China und Ostindien – Frankreich hatte sich dagegen nicht bewogen gefühlt, an dem friedlichen internationalen Wettkampfe theilzunehmen.
Durch Vermittelung des Protectors war die Direction der Ausstellung, bestehend aus dem Präsidenten Kammerherrn von Behr-Schmoldow, Director im Landwirthschaftlichen Museum Oberregierungsrath Marcard und einer Reihe von Gelehrten, Fachleuten und Verwaltungsbeamten, in der glücklichen Lage, das neue, prachtvolle Gebäude des Landwirthschaftlichen Museums (Invalidenstraße) benutzen zu können; an dasselbe wurden von den Bauräthen Heyden und Kyllmann Stein- und Holzbauten gefügt, sodaß sich die Ausstellungsgegenstände über eine Grundfläche von 14,000 Quadratmeter (einschließlich des Gartens mit seinen Weihern und Inseln) ausbreiten konnten. Bei der übergroßen Fülle des Gebotenen, bei der bunten und interessanten Mannigfaltigkeit der einzelnen Abtheilungen wird vielleicht Mancher dem Berichterstatter zuzurufen versucht sein: Will Er vielleicht die [409]
Gräten zählen? Das ist nun ebenso wenig möglich, wie eine genaue Beschreibung jedes ausgestellten Gegenstandes, der künstlerischen Schönheiten, der Gebäude und Grotten, die auf viele Besucher einen so tiefen und nachhaltigen Eindruck machten. Wir überlassen es der Hand des Zeichners, „Bilder aus der Ausstellung“ dem Leser vorzuführen, und glauben dem leitenden Gedanken des Unternehmens am nächsten zu treten, wenn wir die Frage aufwerfen: Welchen Nutzen kann uns die Ausstellung bringen?
Durchwandern wir die Gruppen Deutschland, Schweden, Norwegen, England und andere, so fällt uns ein bei allen Nationen hervortretendes, allerdings erklärliches Mißverhältniß zwischen dem Inhalt einzelner Abtheilungen auf. Kunstvolle Netze, sinnreiche, oft raffinirte Fangvorrichtungen stehen zahlreich gegenüber den wenigen Apparaten für die eigentliche Fischzucht. Alle ausgestellten Fangwerkzeuge, von den primitiven Angelhaken der Indianer, Grönländer und Eskimos, von den Fischfallen der Hindu bis zu den seidenen Netzen der Chinesen, den Reusen und Kanonenharpunen der Amerikaner und Engländer, sie alle predigen, daß die Menschen aller Zonen und Zeiten, unbekümmert um spätere Geschlechter, nur darauf bedacht gewesen sind, zu fangen und zu bergen.
Erst unser Jahrhundert hat den Anfang gemacht, auch das Gegentheil zu thun und wie auf dem landwirthschaftlichen Gebiete, so auch im Wasser das richtige Verhältniß zwischen Säen und Ernten herzustellen. Da die erstere Thätigkeit den Schwerpunkt des praktischen Interesses auf der Ausstellung bildet, so greifen wir dies Capitel aus dem überreichen Material zu allernächst heraus.
Unter allen Thieren ist der Fisch das fruchtbarste. Lachse und Forellen haben nur wenige Eier, das heißt immer noch Tausende, Schleie etwa 70,000, Hechte 100,000, Barsche 300,000, Karpfen 700,000, Welse und Störe Millionen. Alle Gewässer der Erde würden schließlich überfüllt werden, wenn die Vermehrung in den angegebenen Verhältnissen vor sich ginge, das heißt wenn sich aus jedem Ei ein Fisch entwickelte. Das ist aber nur zum kleinsten Theile der Fall.
Denken wir an das uns zunächst Liegende, die deutschen Flußfische, deren naturgemäßer Fortpflanzung sich unzählige vernichtende Einflüsse entgegen stellen. Alles stürzt über den Laich, die Eier, her: die eigenen Eltern und alle andern Fische fressen denselben mit Raubthierlust; Larven von Insecten, Frösche, Ratten, Mäuse und verschiedene Arten von Wasservögeln betheiligen sich an der Vertilgung; viele Eier bleiben unbefruchtet oder werden durch Pilze zerstört, und den wirklich ausgekrochenen Fischchen treten dieselben Feinde mit noch größerer Wuth entgegen. Wird hierzu noch der Mensch mit seinen verderblichen Einflüssen: dem rücksichtslosen Fischen mit kleinmaschigen Netzen, den Canälen der Städte, den Gräbenwässern, Fabrikabgängen, Drainagen, der Verminderung des Wassers, der Anlegung von Wehren und Turbinen, den Dampfschiffen, der Niederlegung von Wäldern etc. gerechnet, so ergiebt sich ein Resultat, welches die Entvölkerung unserer Flüsse und Bäche vollständig begreiflich erscheinen läßt. Gegen viele dieser hindernden Momente hat der deutsche Fischereiverein mit Erfolg den Kampf aufgenommen, und zu seinen Waffen gehört im erster Linie die von ihm angestrebte Verbreitung der künstlichen Fischzucht.
Die Grundlage aller künstlichen Fischzucht, wie wir sie in mustergültiger Weise auf der Ausstellung durch die Elsasser Fischzuchtanstalt Hüningen (Director Haack), den Oberbürgermeister Schuster in Freiburg-Breisgau, Rittergutsbesitzer Max von dem Borne aus Berneuchen bei Küstrin, Robert Eckardt zu Lübbinchen, die Stadt Köslin, die sächsische Forstakademie zu Tharand, die königlich württembergische Centralstelle für Landwirthschaft, den thüringischen und andere Fischereivereine vertreten finden, ist der sogenannte californische Bruttrog. Das Princip desselben ist uralt; die Chinesen und später die Römer kannten es; der Mönch Pinchon aus dem Kloster Rano soll um das Jahr 1420 Forellen künstlich gezüchtet haben; der Schwede Friedrich Lund, dessen Apparat, ein einfacher durchlöcherter Kasten, in der Abtheilung Schweden ausgestellt ist, und J. L. Jakobi, ein Westfale, beschäftigten sich im vorigen Jahrhundert, unabhängig von einander, mit der künstlichen Fischzucht, ohne indeß der Allgemeinheit zugute kommende Erfolge aufweisen zu können. Erst in der Mitte unseres Jahrhunderts ging von Frankreich, England und Amerika, in dessen Gruppe der zuerst 1851 gebrauchte Apparat im Modell, gewissermaßen als ein heiliges, nationales Erinnerungszeichen, vorgeführt wird, ein kräftiger, belebender [410] Strom aus. – Der gebräuchliche Apparat stellt einen Blechkasten dar, in welchen beständig Wasser herabstürzt, um durch einen Einsatz mit fein durchlöchertem Boden, auf dem sich fünf- bis achttausend Fischeier befinden, in einen zweiten ebensolchen, nur kleineren Apparat (Fangapparat) abzuströmen. Die Aufstellung des Troges kann überall da erfolgen, wo in einem geschlossenen, frostfreien Raume ein dauernder Strahl nicht verunreinigten Quell-, Bach- oder Flußwassers zur Verfügung steht. Die Zeit, welche die Eier von der Befruchtung bis zum Ausschlüpfen der jungen Fischchen brauchen, hängt von der Temperatur des Wassers ab. Die Forelle verläßt bei 8° Celsius nach 42 bis 48 Stunden die Eihülle, während es bei 1° Celsius wenigstens 100 Tage dauert; durch besondere Eisbrütapparate, die in voller Thätigkeit durch Haack-Hüningen und Schuster-Freiburg ausgestellt waren, kann das Ausschlüpfen monatelang verzögert werden, eine Entdeckung, die für die längeren Transportreisen von großer Wichtigkeit ist. Das ausgeschlüpfte Fischchen ist ein kleines unbeholfenes Wesen, dem die Natur einen ungeheuren, die Bewegung hindernden Speisesack in Form eines gelben Dotterbläschens mit auf den Lebensweg gegeben hat. Wehr- und schutzlos, ist es in Bach und Fluß auch jetzt noch ein wahrer Leckerbissen für die genannten Feinde; erst wenn es nach sechs bis sieben Wochen das ganze Säckchen aufgezehrt hat, kann es sich wenigstens den Angriffen durch die Flucht entziehen. Es ist deshalb geboten, die junge, selbstgezogene Brut erst dann in dem dazu geeigneten Wasser auszusetzen, wenn sie anfängt zu fressen, das heißt nach dem Schwinden des Dottersäckchens.
Eine leichte Beantwortung erfährt die Frage nach einer Bezugsquelle für Fischerei. Es sind die bereits genannten Fischzüchter respective Anstalten, welche ihre begehrte „Waare“ nach allen Theilen Deutschlands und Europas verschicken, und zwar eignen sich für den Versand bereits angebrütete Eier, d. h. solche, in welchen die Augen des Fischchens als schwarze Punkte erkennbar sind; das Ausschlüpfen der Thierchen geschieht, da die Entwickelung schon weit vorgeschritten, in acht bis vierzehn Tagen nach dem Einsetzen in den Trog und überhebt damit den kleineren Züchter einer längeren Beaufsichtigung.
Es würde uns zu weit führen, an dieser Stelle anzugeben, welche Arten von Fischen dem einzelnen Interessenten zu empfehlen sind (in erster Linie sind es die Forellen). Wir verweisen aber auf ein leichtverständliches Buch: „Die Fischzucht“ von dem tüchtigen Züchter und Landwirth Max von dem Borne (Berlin, Wiegandt, Hempel und Parey), sowie auf dessen für einige Pfennige zu beziehende „Kurze Anweisung“ (Berlin, W. Moser). Eine Anschauung von den Preisen mögen ein paar Angaben aus der Preisliste der Schuster’schen Fischzuchtanstalt Selzenhof bei Freiburg vermitteln. Tausend Stück angebrütete Eier kosten daselbst: Rheinlachs (Salmo salar) 6 Mark, Bachforelle (Trutta fario), Lachsforellen-Bastarde, Ritter oder Saibling (Salmo valvelinus) je 7 Mark, Seeforelle (Trutta lacustris) 8 Mark, Felchen (Coregonus Wartmanni) 2 Mark, Aesche (Thymallus vexillifer) 4 Mark. Stellen wir hierzu den auf der Ausstellung vielfach vertretenen, leicht zu beschaffenden Bruttrog (Bezugsquellen: Weinhold-Tharand; Mühlbach-Neudamm in der Neumark) im Preise von 6 bis 10 Mark, so ergiebt sich eine Rechnung, die manchen Wasserberechtigten oder Naturfreund veranlassen dürfte, sich der wenig Mühe verursachenden, aber großen Gewinn verheißenden Fischzüchterei zuzuwenden.
Die künstliche Befruchtung wird in der einfachsten Weise bewerkstelligt. Man nimmt einen laichfähigen weiblichen Fisch (Rogener), faßt ihn mit Daumen und Zeigefinger dicht hinter den Kiemen und streicht leise mit dem Mittelfinger den Bauch von oben nach unten; in Folge dieser Operation fließen die Eier aus und werden in einem flachen Gefäß aufgefangen. Auf gleiche Weise nöthigt man auch das Männchen, die Milch abzugeben; man vermischt dieselbe durch vorsichtiges Umrühren mittelst einer Federfahne mit dem Rogen, gießt nach einiger Zeit Wasser hinzu, und die Ausbrütung der nun befruchteten Eier (circa fünfundneunzig Procent) kann sofort in's Werk gesetzt werden.
Bemerkenswerth ist, daß Milch und Eier, getrennt, mehrere Tage ohne Schaden in Flaschen aufbewahrt werden können; auf der Ausstellung befanden sich sogar Meerforellen, deren Eltern als Leichen schon eine weite Reise gemacht hatten, um schließlich noch auf obige Art – fortgepflanzt zu werden. Die Bastardirung hat durch die geschilderte Methode die erfreulichsten Resultate aufzuweisen. So errangen sich die von der Hüninger Anstalt ausgestellten lebenden Bastarde von Saibling und Forelle und von Lachs und Forelle wegen ihrer vortrefflichen körperlichen Beschaffenheit den ungetheiltesten Beifall aller Züchter und Fischkenner. Einen lebhaften Versand unterhalten die genannten Firmen an Fischbrut (fressende, kleine Fische); dieselbe kostet circa dreimal so viel wie die Eier. Außer den Salmoniden (Forellen und Lachse) empfehlen sich vorzüglich junge Karpfen, deren Aufzucht wir, auf Grund des von M. v. d. Borne vorgeführten Modells, Privaten und Gemeinden, die irgend über einen nicht gerade verunreinigten Teich oder Tümpel verfügen, auf das Dringlichste anrathen. Eckardt in Lübbinchen und Andere versenden 1000 Stück Karpfenbrut für 5 Mark.
Der Versand junger Fische führt uns unmittelbar auf die eminent wichtige Frage der Transportgefäße für lebende Fische, an deren Lösung, wie die Ausstellung zeigt, viele Köpfe mit Erfolg gearbeitet haben. Alle suchen den in einem größeren oder kleineren Bottich (Faß) reisenden Fischen Sauerstoff und Kühlung zuzuführen, wobei Luftpumpe und Eis eine große Rolle spielen. Als „lebendige Beweise“ der Leistungsfähigkeit der verschiedenartig geformten Gefäße sehen wir muntere Forellen aus Süddeutschland und Thüringen, Huchen aus der Donau, Lachse aus allen Gegenden der Windrose, Sterlett von der Wolga, den so empfindlichen Hering aus der Nordsee und verschiedene Seethiere des Mittelmeeres. Letzteren diente ein von dem Director des Berliner Aquariums, Dr. Hermes, ausgestellter, sinnreich construirter Apparat mit beständig circulirendem (und dadurch luftzuführendem) Wasser, ohne Anwendung von Luftpumpen und Eis, als Transportmittel. Der Versand todter, in zerkleinertes Eis gepackter Fische wird uns auf der Ausstellung von den größeren Berliner Handlungen in den erprobtesten Methoden gezeigt; hoffentlich trägt dies dazu bei, die noch immer bei vielen Hausfrauen zu findenden Vorurtheile gegen „todte Fische“ zu zerstreuen.
Wie die genauere Kenntniß der Lebensgewohnheiten einzelner Fische die Vermehrung derselben begünstigen kann, beweist einer der wohlschmeckendsten und größten Gäste des deutschen Flußgebietes, der Lachs (Salmo salar). Alle Lachse wandern zur Laichzeit aus dem Meere in die Flüsse und Bäche, um sich hier fortzupflanzen, und zwar kehrt jeder einzelne Fisch wieder in denselben Fluß oder doch dasselbe Stromgebiet zurück, in welchem er geboren wurde. Der „Aufstieg“ wird von den Thieren mit einem wahrhaft todesverachtenden Eifer ausgeführt; Stromschnellen und kleinere Wasserfälle werden durch große Luftsprünge genommen, wobei sich der Lachs durch etwaige anfängliche Mißerfolge von seinem Vorhaben nicht zurückschrecken läßt. Senkrechte Wasserfälle und die in neuerer Zeit bei Stromregulirungen vielfach angelegten Wehre setzten aber leider den Lachsen ein oft unüberwindliches Hinderniß entgegen, sodaß der edle Fisch in Stromgebieten, wo er früher in Unmassen gefangen wurde, ausgestorben ist.
Dieser Schaden kann aber bei gutem Willen von Gemeinden respective Regierungen durch Anlegung von Lachsleitern leicht in das Gegentheil umgewandelt werden. Die Ausstellung bot eine überaus reiche Sammlung von Modellen, mit deren Construction sich viele Nationen beschäftigt haben. Es handelt sich dabei um die Aufgabe, dem Fisch eine „Treppe“ mit einzelnen Stufen beziehentlich Absätzen zu bauen, auf denen er sich ausruhen kann, um allmählich in die Höhe zu steigen. Bei einigen Leitern schwimmt er, stets durch vorspringende Holz- oder Eisenplatten gedeckt, im Zickzack nach oben; bei anderen wird auf seine Kunstfertigkeit im Springen gerechnet; ein Modell hat sogar das Princip der Wendeltreppe zur vollen Geltung gebracht.
Außerordentliches leistet auf diesem Gebiete England und Amerika, sowie Norwegen durch das kühne Bauwerk der Lachstreppe bei Sarpsborg, die in großem Zickzackweg aufsteigt; recht praktische Fischwege stellte auch der Fischzuchtverein Ohrdruf und der bereits genannte Fischzüchter M. v. d. Borne aus, auf die wir Interessenten, ohne anderen guten Quellen zu nahe treten zu wollen, hiermit verweisen.
Die Bemühungen des eifrigsten Fischzüchters können aber leicht zunichte gemacht werden, wenn er unterläßt, sein Augenmerk auf die Fischfeinde zu richten. Dieselben waren auf der Ausstellung in einer Menge zu bemerken, daß man sich eines [411] gewissen bänglichen Gefühles nicht erwehren konnte. Einige Oberfischermeister hatten sich begnügt, das räuberische Heer nur in ausgestopftem Zustande, in welchem es gewiß einem jeden Naturaliencabinet zu großer Zierde gereichen würde, zur Kenntniß zu bringen; andere Aussteller gingen aber weiter und zeigten, um zugleich die erprobteste Fangmethode vorzuführen, die gefräßigen Diebe in dem Augenblicke, wo ihnen das Eisen der Falle um Beine oder Hals schlägt.
Der grimmigste und unersättlichste Fischvertilger ist der Fischotter, welcher in einem Winter den wohlbesetztesten Teich vollständig auszuplündern vermag; ihm folgt in ebenbürtigster Weise der Fischreiher und ein kleiner Raubfischer, der zwar ein reizendes Gefieder hat, aber trotzdem nicht geschont werden darf: der Eisvogel. Indem wir von den verschiedenen Species der Seevögel, Möwen, Enten etc. absehen, nennen wir nur die actenmäßig festgestellte Beute, die M. v. d. Borne in dem kurzen Zeitraume von drei Jahren auf seinem inmitten Deutschlands gelegenen Grundstücke gemacht hat.
Es wurden gefangen: 45 Fischottern, 187 Reiher, 120 Eisvögel, 40 Taucher, 117 Bläßenten, 49 Raubvögel, 60 Grasenten, 5 Iltisse, 4 Füchse und 4 Kiebitze. Diese Angaben mögen zeigen, daß unsere Gewässer in viel höherem Maße bedroht sind, als wohl im Allgemeinen angenommen wird; wir verweisen deshalb auf die Firma J. Ravené Söhne in Berlin, welche nach Angabe des oben genannten Züchters Fallen für Fischfeinde anfertigt, desgleichen auf die Fabrik Pieper in Mörs, die außer den Geräthen eine illustrirte Broschüre: „Der Fang des Raubzeuges“, versendet.
Wenn es auch gelänge, die schädlichen Thiere von unseren Fischen fern zu halten, so gälte es doch noch, einen furchtbaren Feind zu besiegen; derselbe ist zwar ein Zeichen blühender Industrie und fleißigen Schaffens, aber auch tausendfacher Mörder der Wasserbewohner: wir meinen die Abflüsse aus Fabriken und volkreichen Orten. In richtiger Würdigung dieses Moments hat der König von Sachsen einen Ehrenpreis für die beste Lösung der Preisaufgabe bestimmt: „Genaue Darlegung eines für bestimmte, näher zu beschreibende Verhältnisse praktisch ausführbaren Planes beziehentlich Mittel, um die den natürlichen Wasserläufen und Gewässern zugeführten Abwässer der Fabriken und Auswürfe der Städte für den Fischbestand der gedachten Gewässer vollkommen unschädlich zu machen.“
Die internationale Fischerei-Ausstellung enthielt in Folge dieses Preisausschreibens einige recht bemerkenswerthe Modelle und Pläne; wir nennen die Arbeiten der Firma H. Alisch u. Comp. in Berlin und W. Knauer in Osmünde bei Halle. Das Verfahren des Letzteren hat sich bei einigen Fabriken praktisch bewährt und läßt die Möglichkeit erkennen, den verderblichsten aller Fischfeinde endgültig zu beseitigen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß bei planmäßigem Handeln und redlichem Willen der Behörden Gemeinden, Vereine und Privaten das große Ziel des deutschen Fischerei-Vereins erreicht werden wird, daß „an jeder Wassermühle ein Forellenbrutkasten“ zu finden und die Worte des Herrn von Behr-Schmoldow: „Ich strebe darnach, daß in jedes Wasserloch im deutschen Reiche der rechte Fisch gesetzt werde, um eine Massenproduction für die breiten Schichten des Volkes zu erzielen“, in Erfüllung gehen.
Es war in der stürmischen Nacht nach dem 6. März 1848, als ein Eilbote nach dem entlegenen Waldstädtchen Büdingen, am südwestlichen Hange des Vogels-Gebirges, kam und eine freudig erschreckende Nachricht brachte. Wir Gymnasiasten erfuhren dieselbe früh in der Schule. Der Director Thudichum berief uns am Morgen, anstatt in die Classenzimmer, sogleich in die Aula des Gymnasiums und verkündete in tiefer Erregung die nächtlich gekommene Botschaft: Großherzog Ludwig der Zweite habe in einem Edict seinem Lande eine neue Verfassung mit dem Rechte der freien Versammlung, der freien Schrift und Rede zugesagt, den Thronfolger Ludwig (den Dritten) zum Mit-Regenten ernannt und [[ADB:Gagern, Heinrich Freiherr von{Heinrich von Gagern]], den Führer der ständischen Opposition, zu seinem Minister erkoren. Zum Gedenken dieses hochsinnigen Actes sollten wir heute mit der Bürgerschaft gemeinsam ein Fest feiern und den Cicero wie Horaz einmal bei ihren Vätern ruhen lassen.
Am Nachmittage versammelte sich die Bürgerschaft vor dem alten Rathhause; ein paar bestäubte Fahnen wurden vom Rathssaale herab geholt, auch ein Dutzend alte Gewehre mit Feuersteinschlössern, dazu zwei Napoleonische Trommeln, welche die Franzosen in der Schlacht bei Hanau verloren hatten. Mit diesen Emblemen geschmückt, sieben Mann Stadtmusik voran, zog die Bürgerschaft mit ihren Beisassen, den Gymnasiasten, zum Thore hinaus über den Seemen-Bach nach dem „Wildenstein“, einem riesigen Basalt-Fels, der als revolutionäres Gestein durch das zahme Sandstein-Sediment hindurch gebrochen war – ein würdiges Vorbild des revolutionären Actes, der hier geschehen sollte.
Der Director hielt eine Rede, in der er den Bürgern die große Bedeutung des Tages erklärte, die Verdienste des neuen Ministers um die Rechte des Volkes darlegte, wie er seit Jahren in Wort und Schrift die Freiheit erkämpfte, die uns jetzt durch den Fürsten verkündet wurde. Er schloß mit einem Hoch auf Heinrich von Gagern, den Führer des hessischen Volkes, der uns bald zu herrlichen, glorreichen Tagen führen werde. Die Musik intonirte, aus Mangel an einem anderen patriotischen Gesang: „Heil, Ludwig, lange Dir!“ und der ganze Chor der Alten und Jungen sang den Weihesang, der mit mächtigem Schall in das Thal ertönte. Die Musik und die älteren Bürger zogen alsdann nach Haus, die jüngeren Bürger und die Gymnasiasten blieben zu einer Nachfeier zurück. Ein Polytechniker aus Karlsruhe sprang auf den „Wildenstein“ und hielt eine feurige Rede, in der er die großen Thaten erzählte, die in den letzten Wochen zu Paris geschehen waren, und von der weitgehenden Erregung der Bevölkerung am linken und rechten Rheinufer berichtete, wie die ganze Pfalz und Rheinhessen, ganz Baden bis in den innersten Schwarzwald hinein in fieberhafter Gährung begriffen sei, wie man in Mannheim, Heidelberg, Karlsruhe und Freiburg schon Volksversammlungen gehalten, die auf nichts Geringeres ausgingen, als auch diesseits des Rheines die Republik auszurufen. Er schloß mit einem Hoch auf die Führerin der europäischen Völker, die französische Republik!
Wir sangen die „Marseillaise“ und zogen triumphirend zum Städtchen hinein. Sofort ward eine Bürgerwehr gebildet, in die wir Gymnasiasten eintraten. Ein alter Officiersdegen, den mir meine Hauswirthin lieh, war meine Waffe; ein Anderer brachte einen langen Schleppsäbel, ein Dritter ein verborgen gehaltenes Rappier oder Schläger. Gewehre waren nur so viel vorhanden, wie die Wachen und Patrouillen brauchten; sie gingen leihweise von Schulter zu Schulter. Tag und Nacht wanderten wir durch die Straßen, um die alten Thore, durch den Park und die Weinberge und prüften, ob nichts sich zeige, was die Ruhe der Büdinger Bürgerschaft bedrohen könne. Denn die Rinderbücher, Düdelsheimer, Rohrbacher Bauern waren im Anzug, von dem Fürsten von Büdingen ihre Wald-, Hut-, Jagd- und Fischereirechte durch Deputationen zu verlangen und in Masse selber zu ertrotzen. Wir wollten ihnen dies nicht wehren; denn die Büdinger hatten selber von dem Fürsten diese Rechte erlangt, dazu auch das Recht auf Hochwild in und außer dem Park aus freier Entschließung sich angeeignet – mußten wir Gymnasiasten doch den ganzen Sommer von Hirsch- und Rehbraten leben! – nur sollten die Bauern eben ordnungsgemäß bei Tage kommen, und nicht, wie sie gedroht, das Städtlein nächtlicher Weile an vier Ecken anzünden.
Neben dieser allgemeinen Bürgerpflicht übten wir aber auch unsere besondere Gymnasiastenpflicht. Die Karlsruher und Stuttgarter Polytechniker, die Studenten von Heidelberg, Freiburg, Tübingen, Gießen, Marburg und München hielten Versammlungen und beriethen ihre Rechte. Wir, die wir lange schon Karl Heinzen's „Opposition“, Struve's „Deutschen Zuschauer“ und andere bei Gefängnißstrafe verbotene Zeitschriften gelesen, erkannten auch unsere Pflicht und beschlossen eine Adresse an den neuen Minister, den gloriosen Führer von Jung-Deutschland, von dem wir so viel Mannhaftes, Hochherziges und Ehrenfestes vernommen hatten. In die Schule gingen wir nicht mehr – das war der Beschluß des ersten Tages – wir hielten aber täglich Versammlungen zur Berathung der Adresse. Nach drei-, viertägigen Ausschußsitzungen und etlichen Plenarversammlungen kam die Adresse zu Stande. Eine Deputation von drei Primanern ward erwählt; sie sollte die Adresse eigenhändig dem Herrn von Gagern überbringen.
Die Deputation reiste ab. Eine Eisenbahn gab's noch nicht; die Post war zu theuer – Diäten wurden verschmäht; es war Ehrensache – so reiste die Deputation zu Fuß den ersten Tag bis Vilbel, zwei Stunden nördlich von Frankfurt, wo einer der Deputirten domicilirt war und die Genossen beherbergte. Am anderen Tage ging's zu Fuß weiter nach Frankfurt, um dann mit der Main-Neckar-Eisenbahn nach Darmstadt zu fahren.
Der ältere der drei Deputirten hatte sich, der höheren Festlichkeit wegen, in seines älteren Bruders Frack gesteckt; zwei lange spitze Zipfel reichten beinahe so weit hinab, wie die Hosen an den Stiefeln herauf gingen. Eine grüne Studentenkappe, eine mächtige Pfeife mit langem [412] Weichselrohr und schwarz-roth-goldenen Pfundquasten – aus dem Atelier von Meister Türk – waren die übrige Ornamentirung. Die beiden Anderen waren in schwarzem Sonntaganzug, das schwarz-roth-goldene Band über der Brust als einzige Auszeichnung.
Auf dem Weg nach Frankfurt ward nun berathen, wer die Anrede an den Herrn Minister sprechen sollte; denn zu dritt konnte man wohl in einer Volksversammlung reden, doch nicht vor dem Herrn Minister. Der Vilbeler Gastfreund sprach: „Daniel, Du beschämst uns; wir kommen spießbürgerlich in unseren Casino-Röcken; Du allein hast mit dem Frack den richtigen Tact gehabt. Du bist auch der Aeltere, hast einen stattlichen Bart und eine tiefe Baßstimme. Das wird dem Minister imponiren; Du mußt die Rede halten.“
Daniel lehnte schmunzelnd ab: „Mir geht’s wie Moses; ich habe eine schwere Zunge, seit drei Tagen auch einen mächtigen Katarrh. Du, Aaron, kannst die Rede fließender halten.“
Der Wettstreit ging so bis zur Vilbeler Warte, indeß jeder der Beiden das Thema variirte, was man dem Minister sagen müsse, bis der Spruch des jüngsten Deputirten, daß Daniel sich schämen müsse, wenn ein Jüngerer den Vortritt nähme, den Ausschlag gab.
Tief sinnend und schweigsam schritt nun Daniel einher; der Pfeife Qualm erlosch, und die starren Augen verkündeten, daß er inwendig heftig arbeitete. Die Deputation schritt zum Vilbeler Thor herein in dem Hochgefühl, daß Klein-Frankfurt mit Staunen auf sie schauen müsse. In der Friedberger Gasse kamen die Muster-Schüler eben aus der Schule; sie blieben verwunderungsvoll stehen und staunten den langen Deputirten an, noch mehr die langen Quasten. Am Dalles-Platz standen die Fulder; da mußte die Pfeife abermals Spießruthen laufen. Die Deputation zog durch die Faser-Gasse und hatte beinahe unangestaunt die Main-Brücke erreicht, als die Gymnasiasten aus der alten Pädagog-Gasse hervorkamen. Ein kecker Bursche stellte sich breitspurig an die Straße und rief seinen Cameraden zu:
„Habt Ihr’s denn schon gehört, die Schweizer wollen dem Arnold von Winkelried ein Denkmal setzen. Sie suchen ein Modell dazu.“
Daniel ward immer schweigsamer, immer blässer, und als die Deputirten am Sachsenhäuser Noth-Bahnhof ankamen – die Main-Neckar-Brücke war noch nicht gekrönt – da seufzte er ganz erschüttert:
„Ich kann die Rede nicht halten. Ich habe zu viel geraucht; da ist mir ganz schwindlig geworden. Du, Aaron, mußt sprechen.“
Nach langem Streit übernahm Aaron die Rolle. Die Deputation setzte sich in den lederverhüllten Waggon und fuhr gen Darmstadt. Eine knappe Stunde Zeit – nun galt’s kurzen Entschluß. Eine kühle Brise wehte durch die Ledervorhänge; der Ostwind sauste zwar „ohnmächtige Schauer körnigen Eises“, doch mächtig genug, die schweigsame Gesellschaft zu erkälten. Aaron ward, je näher gen Darmstadt, desto blässer, und als der Conducteur in Arheiligen die Billete nach Darmstadt abverlangte, war’s auch dem zweiten Deputirten so unheimlich, daß er auf die Ehre der Rede verzichtete und den jüngsten Deputirten haranguirte: „Du, Hanirek, warst Präsident von der Versammlung, Dein Name steht auch oben auf der Adresse. Der Herr Minister erwartet doch, daß, wer oben steht, auch die Anrede hält.“ Dieser Streit währte bis zum „Hôtel Köhler“, in dem die Gesellschaft mit einer Flasche Ungsteiner sich frischen Muth erholte und Hanirek sich entschloß, die Rede zu sprechen.
Die Deputation schritt die Rheinstraße hinauf. Die Darmstädter machten nicht viel Aufhebens; sie hatten der Deputationen schon mehrere gesehen. Die schwarz-roth-goldenen Pfundquasten sammt der Pfeife waren überdies im „Hôtel Köhler“ geblieben. Mit den Odenwälder Copulationsfräcken konnte sich Daniel’s Frack zum mindesten messen. So schritten die Deputirten, ernst und würdevoll, die breite Treppe zum Ministerium hinan. Auf der ersten Podeste erblickten sie den Herrn Minister, der zur Treppe herabstieg. Die hohe imposante Gestalt, das große, leuchtende Auge machten auf die Jünglinge einen mächtigen Eindruck, doch nicht niederschlagend, nein – wie das wahrhaft Große, erhebend, begeisternd. Da stand das gewaltige Bild vor ihnen, wie sie aus seinen Reden es sich aufgebaut, der Zeus mit der Donnerstimme, mit den Olymposbewegenden Brauen, dem Blick voll Hoheit und einem feinen, graziösen Lächeln, dem Ausdruck edler Herzensgüte.
Die Jünglinge verbeugten sich; mit rascher Wendung trat der Sprecher vor und bat den Herrn Minister um eine Audienz. Bereitwillig ward sie gewährt und die Deputation in das Empfangszimmer geführt. Der Sprecher hielt seine Anrede: „Herr Minister, wir sind gekommen als die Vertreter der Gymnasiasten von Büdingen, um Ihnen unsere Huldigung kund zu thun. Auch wir sind von der Bewegung ergriffen, die jetzt der Völker Europas sich bemeistert. Sind wir auch nicht in der Lage, in die Geschichte einzugreifen, so sind wir doch entschlossen, alles zu thun, was das Heil des Volkes verlangt. Durch Ihre hochherzigen Reden sind wir befeuert und begeistert worden, daß wir wagen, vor den Mann zu treten, an dessen Augen und Lippen die ganze deutsche Jugend, die gesammte deutsche Nation erwartungsvoll hängt. Wir wollen Ihnen sagen, daß, wo Sie die Hülfe der Nation brauchen, Sie auch auf die Jugend rechnen können. Wir wollen Sie aber auch bitten, der Schule zu gedenken, damit sie Männer erziehe, die fähig und geschickt seien, wenn die Nation einst mannhafte Thaten verlangt.“
Der Herr Minister dankte verbindlich lächelnd für die hohe Meinung, die wir von ihm hegten. „Ich freue mich, daß die Jugend in diesem Momente so rasch zur That drängt. Denn ihrer Mithülfe bedürfen die Aelteren, die wohl führen, doch allein nicht Alles zu vollbringen vermögen. Die Begeisterung der Jugend ist mir sogar ein Prüfstein für die Echtheit der Sache, der ich mein Leben geweiht habe. Mit gewandter Dialektik kann man die Aelteren auch für eine minder edle Sache gewinnen; die Begeisterung der Jugend wird nur durch Rechtes und Wahres entfacht.“
Dann flog er die Petition durch: „Naturwissenschaft, besseren Religionsunterricht, neuere Geschichte und Literatur, Turn- und Fechtübung verlangen Sie! Mit Ihren Lehrern sind Sie nicht zufrieden; Sie haben doch tüchtige Lehrer. Der Geist der Schrift läßt dies vermuthen.“
„Herr Minister, wir haben wackere Lehrer, die alles Große und Schöne uns lehren, was seit Homer und Sophokles bis zu Goethe und Schiller überliefert ist. Doch haben wir auch Einen, der die Teufel austreibt.“
„Nun,“ lächelte der Herr Minister, „Sie wissen doch, wie Faust sagt:
‚Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust‘ –
da wird es wohl nicht schaden, wenn der Teufelaustreiber der einen Seele etwas forthilft.“
„Nicht doch, Herr Minister,“ rief plötzlich Daniel, dessen Augen leuchteten, als Herr von Gagern „seinen Faust“ citirte, „die eine Seele ist doch
– ‚ein Theil der Kraft,
Die stets das Böse will und stets das Gute schafft‘ –
und ohne diese Kraft ständen wir heute nicht hier.“
Der Herr Minister freute sich, daß die Jünglinge nicht so leichten Kaufes sich drein gaben, reichte ihnen mit herzgewinnendem Lächeln die Hand und entließ sie mit dem Versprechen der baldigen Gewährung. Mit hohem Stolz verließen die Deputirten das Ministerium. Es war ihnen eine hehre Freude, mit dem hochverehrten Manne reden zu dürfen, ungezwungener, freier und herzlicher, als mit mancher der kleinen Größen, die ihnen vor- und nachher im Leben begegneten. Das war ihnen die beste Bürgschaft für die Willfahrung ihrer Bitte und die gute Erledigung ihrer Mission.
In der That kam auch nach wenigen Wochen schon eine Aufforderung an das Lehrercollegium, die Wünsche der Gymnasiasten zu hören und thunlichst ihnen zu willfahren. Der Herr Director Thudichum empfing sie ohne Vorwurf, doch mit bekümmertem Blick: „Habe ich das um Euch verdient, der stets so väterlich um Euch besorgt war?“ Der Blick traf tiefer als jeder Vorwurf. Wir fühlten, daß wir den alten Herrn unverdienter Weise gekränkt hatten, und nur das eine Bewußtsein mochte uns trösten: wir hatten mit dem Manne gesprochen, der wie ein heller Stern in finsterer Nacht vor unserer Seele schwebte; wir waren mit Achtung von ihm empfangen worden und wurden um deßwillen auch von den Männern geehrt, die vorher uns diese Achtung verweigerten.
„Der Abhülfe bedürftig,“ schreibt man uns, „ist ein Uebelstand, der sich immer fühlbar macht, wenn die Eisenbahnen ihre Fahrpläne verändern (meistens den 15. April und den 15. October); es ist, wie Ihnen ja bekannt, üblich, die Fahrpläne der Nachbarbahnen auf den Stationen auszuhängen. Nun sollte man doch glauben, daß diese Art der Bekanntmachung eines neuen Fahrplanes mindestens an dem Tage, an welchem die Veränderung eintritt, geschähe, dies ist jedoch nicht der Fall, und Sie können heute noch Fahrpläne vom Winterhalbjahr aushängen sehen. – Eine Entschuldigung, daß diese neuen Fahrpläne nicht zu rechter Zeit in den Besitz der Stationen gebracht werden können, ist nicht stichhaltig; mindestens müßten die alten, also falschen Fahrpläne entfernt werden, um nicht, wie es so vielfach vorkommt, bei Reisenden empfindlich schädigende Irrthümer hervorzurufen.“ Wir empfehlen diese, wie uns scheint, gerechtfertigte Beschwerde den Directionen der deutschen Eisenbahnen zur freundlichen Erwägung.
Eine Kaiser Joseph-Bibliothek. Der 29. November 1880 bezeichnet den hundertjährigen Gedenktag der Thronbesteigung Kaiser Joseph’s des Zweiten. Der deutsch-österreichische Leseverein der Wiener Hochschulen hat die Anlegung einer Bibliothek in Aussicht genommen, die ein Unicum zu werden verspricht; sie soll in möglichster Vollständigkeit alle Erscheinungen der Literatur enthalten, welche auf Joseph den Zweiten Bezug haben. Alle, die dieser Bibliothek einen Beitrag zuzuwenden gedenken, wollen denselben an den Ausschuß des deutsch-österreichischen Lesevereins (Wien, Bäckerstraße 20) adressiren.
Mit nächster Nummer schließt das zweite Quartal dieses Jahrgangs. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das dritte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.
Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen General-Postamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahrs aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig statt 1 Mark 60 Pfennig). Auch wird bei derartigen verspäteten Bestellungen die Nachlieferung der bereits erschienenen Nummern eine unsichere.
- ↑ Die Gestalt des Präsidenten der deutschen Nationalversammlung von 1848 gehört der Geschichte einer Zeit an, über die wir unsere Leser kaum mehr genauer zu orientiren brauchen. Die populärste Persönlichkeit des großen Bewegungsjahres und in den ersten fünfziger Jahren noch ein vielgenannter Mann, war Heinrich von Gagern schon den nächsten Generationen ein nahezu Vergessener, und erst die Kunde von seinem vor wenigen Wochen erfolgten Tode frischt im Gedächtniß der Nation das Bild dieses Kämpfers auf, den seine Partei nicht mit Unrecht den „Edlen“ nannte. So durfte auch obige heitere Episode aus dem Leben Gagern's heute nicht zur Unzeit kommen.D. Red.