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Die Gartenlaube (1880)/Heft 23

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1880
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[365]

No. 23.   1880.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Alle Rechte vorbehalten.
Frühlingsboten.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


„Edmund nennt Sie stets seinen Mentor,“ warf Hedwig mit unverkennbarer Gereiztheit hin. „Es scheint, als seine Braut genieße auch ich jetzt das Vorrecht, von Ihnen – erzogen zu werden.“

„Ich habe nur warnen, nicht verletzen wollen. Es steht ja bei Ihnen allein, wie Sie diese Warnung auffassen wollen.“

Sie gab keine Antwort. Der tiefe Ernst, mit dem die Worte gesprochen wurden, blieb nicht ohne Wirkung auf sie, wenn er ihre Gereiztheit auch nicht völlig besiegte.

Hedwig nahm ihren Hut auf, der noch unbeachtet am Boden lag, und ließ sich auf ihrem früheren Platze nieder, um die zerdrückten Blumen zu ordnen. Das zierliche Frühjahrshütchen hatte auf dem reif- und nebelfeuchten Grase doch etwas gelitten; es paßte überdies nicht recht zu dem rauhen Apriltage. Der Frühling kommt spät in den Bergen, und diesmal zeigte er überhaupt kein heiter lächelndes Antlitz. Er kam ziemlich ungestüm, mit Sturm und Regen, mit Nachtfrösten und Nebeltagen, kaum daß sich hin und wieder ein matter Sonnenblick hindurchstahl.

Auch heute war der Himmel dicht umzogen; die grauen Wolken ließen keinen einzigen Sonnenstrahl passiren; die Ferne umschleierte ein trüber Nebel, und die Luft lag schwer und regenfeucht über der Erde. Noch stand der Wald kahl und blattlos da, nur an den niederen Gesträuchen und am Boden sproßte schüchtern das erste Grün hervor. Jedes Blättchen, jede Knospe mußte ihr Dasein ja erst der rauhen Luft abringen und mühsam vertheidigen. Es war noch recht öde und leer ringsum.

Oswald hatte keinen Versuch gemacht, das Gespräch wieder anzuknüpfen; auch Hedwig zeigte wenig Neigung dazu, aber auf die Dauer wurde ihr das Schweigen doch peinlich, und sie warf die erste beste Bemerkung hin.

„Welch ein unfreundlicher April! Es ist, als ob wir mitten in den nebligen Herbsttagen wären und uns auf den Winter vorbereiten müßten. Wir werden diesmal um die ganze Frühlingsfreude betrogen.“

„Lieben Sie den Frühling so sehr?“ fragte Oswald.

„Ich möchte wissen, wer ihn nicht liebt! In der Jugend kann man nun vollends den Blüthenduft und Sonnenschein nicht entbehren. Oder sind Sie darin anderer Meinung?“

„Es kommt darauf an. Nicht jeder Frühling hat Blumen und Sonnenschein – und nicht jede Jugend.“

„Hat die Ihrige das nicht gehabt?“

„Nein!“

Es klang sehr hart und entschieden, dieses Nein. Hedwig's Blick streifte den Sprechenden; sie mochte wohl bei sich denken, er sei ebenso herb und unfreundlich, wie der Frühlingstag, der ihr Mißfallen erregte. Es war auch ein großer Gegensatz zwischen dieser Unterhaltung und dem muthwilligen Getändel, mit dem sich das junge Brautpaar noch vor Kurzem hier unterhalten hatte. Nicht ein einziges ernstes Wort war dabei gefallen; selbst der „Kriegsplan“ gegen die Eltern wurde unter allerlei Neckereien entworfen und jede Sorge um etwaige Hindernisse weggelacht und weggescherzt. Jetzt aber, wo dieser Oswald von Ettersberg dastand, in seiner starren Haltung, jetzt war nicht blos die Heiterkeit, sondern auch die Lust dazu wie fortgeweht; dieses verzweifelt ernste Gespräch erschien ganz selbstverständlich, und das junge Mädchen fand sogar einen gewissen Reiz darin, es fortzusetzen.

„Sie haben freilich Ihre Eltern sehr früh verloren. Ich weiß es durch Edmund. Aber Sie fanden ja doch in Ettersberg eine zweite Heimath und eine zweite Mutter.“

In dem Gesichte des jungen Mannes zeigte sich wieder jener herbe, feindselige Ausdruck, der für einige Zeit gewichen war, und seine Lippen zuckten fast unmerklich.

„Sie meinen meine Tante, die Gräfin?“

„Ja. Hat sie denn nicht Mutterstelle an Ihnen vertreten?“

Wieder erschien dieses leise Zucken des Mundes, das alles Andere, nur kein Lächeln war, aber Oswald's Stimme klang vollkommen ruhig, als er antwortete:

„O gewiß! Es ist aber doch ein Unterschied, ob man das einzige, geliebte Kind des Hauses ist, wie Sie und Edmund zum Beispiel, oder ob man als Fremder aufgenommen wird.“

„Edmund betrachtet Sie ganz als seinen Bruder,“ fiel das junge Mädchen ein. „Er empfindet es sehr schwer, daß Sie sich sobald schon von ihm trennen wollen.“

„Edmund scheint in Bezug auf mich sehr mittheilsam gewesen zu sein,“ sagte Oswald kalt. „Also auch das hat er Ihnen bereits erzählt.“

Hedwig erröthete leicht bei dieser Bemerkung.

„Es ist doch wohl natürlich, daß er mich mit allen Verhältnissen der Familie bekannt macht, in die ich später eintreten soll. In diesem Falle aber beklagte er sich, daß all seine Bemühungen, Sie zum Bleiben in Ettersberg zu bewegen, vergebens gewesen sind.“

„Zum Bleiben in Ettersberg?“ wiederholte Oswald mit unverstelltem Erstaunen. „Das kann mein Vetter unmöglich im Ernste gemeint haben. In welcher Eigenschaft hätte ich denn bleiben sollen?“

[366] „Nun, doch wohl in der bisherigen eines Freundes und Verwandten.“

Der junge Mann lächelte bitter.

„Mein Fräulein, Sie haben schwerlich eine Ahnung von der Stellung eines so vollständig überflüssigen Freundes und Verwandten; sonst würden Sie mir nicht zumuthen, länger darin auszuharren, als es die Nothwendigkeit gebietet. Es mag Naturen geben, die sich mit den Annehmlichkeiten und Bequemlichkeiten eines solchen Lebens über seine wahre Bedeutung hinwegtäuschen. Ich habe das nie vermocht. Es ist überhaupt niemals meine Absicht gewesen, dauernd in Ettersberg zu bleiben, und jetzt nun vollends nicht – um keinen Preis der Welt!“

Sein Blick flammte auf bei den letzten Worten. Es war ein seltsamer blitzähnlicher Strahl, den man in diesen kalten Augen für unmöglich gehalten hätte. Er traf das junge Mädchen nur einen Moment lang und erlosch dann sofort wieder, aber es war nicht möglich, zu sagen, was eigentlich darin stand. Jedenfalls nicht die zärtliche Bewunderung, die Hedwig gewohnt war, in einem anderen Blicke zu lesen; dieser blieb ihr völlig räthselhaft.

„Weshalb denn gerade jetzt nicht?“ fragte sie betreten. „Was meinen Sie damit?“

„O nichts, durchaus nichts – Familienbeziehungen, die Ihnen noch fremd sind,“ antwortete Oswald hastig.

Er bereute augenscheinlich seine Uebereilung und zerdrückte, wie im Zorne über sich selbst, einen Zweig, den er von dem nächsten Gebüsch abgerissen.

Hedwig schwieg, aber die Erklärung genügte ihr nicht. Sie fühlte, daß die jähe Heftigkeit und Bitterkeit, mit der er jene Worte hervorgestoßen, einen andern Grund haben mußte. Galten sie ihrem Eintritt in die Familie? Stellte auch dieser neue Verwandte sich ihr gleich im Anfange feindlich gegenüber? Und was sollte der räthselhafte Blick bedeuten? Sie dachte noch immer darüber nach, während Oswald sich abgewendet hatte und nach der entgegengesetzten Richtung blickte.

Da tönte aus der Höhe ein ferner, zarter Laut hernieder; es klang wie Vogelgezwitscher und war doch nur ein einziger, langgezogener Ton.

Hedwig und Oswald blickten gleichzeitig empor; hoch über ihnen flatterte eine Schwalbe, die sich jetzt niedersenkte und dicht über ihren Häuptern hinschoß, sie im pfeilschnellen Fluge fast berührend, um dann von Neuem emporzusteigen. Der ersten folgte die zweite und dritte, und jetzt tauchte aus dem Nebel der Ferne ein ganzer Schwarm hervor, der näher und immer näher heranzog. Sie strichen durch die feuchte, regenschwere Luft, umkreisten Berge und Wälder und flatterten dann nach allen Richtungen hin auseinander, als wollten sie ihre alte Heimath grüßeu – die ersten Boten des Frühlings!

Auf der einsamen Höhe war es plötzlich lebendig geworden. Unaufhörlich und ruhelos strichen die Schwalben darüber hin, bald hoch oben in unerreichbarer Ferne, bald dicht am Boden hinziehend. Mit leichtem Flügelschlage schossen die schlanken, zierlichen Geschöpfe hierhin und dorthin, so blitzschnell, daß das Auge kaum vermochte, ihnen zu folgen, und dabei schwirrte immer wieder jener leise grüßende Ton durch die Luft, der so ganz anders klingt als Nachtigallenschlag und Lerchenjubel, und doch süßer als beides, weil er der erste ist, der den nahenden Frühling verkündet, sein erster Gruß an die erwachende Natur.

Hedwig war aus ihrem Nachsinnen aufgefahren; alles Andere trat plötzlich in den Hintergrund. Weit vorgebeugt, mit strahlenden Augen, rief sie mit dem ganzen Jubel und dem ganzen Entzücken eines Kindes:

„Ach, die Schwalben!“

„Ja wirklich, es sind die Schwalben!“ bestätigte Oswald. „Sie können sich Glück wünschen, so freudig begrüßt zu werden.“

Die kühle Bemerkung fiel wie ein Reif auf die helle Freude des jungen Mädchens, das sich jetzt umwandte und den nüchternen Beobachter mit einem entrüsteten Blicke maß.

„Sie finden es wohl überhaupt unbegreiflich, Herr von Ettersberg, daß man sich über irgend etwas freuen kann. Sie machen sich dessen jedenfalls nicht schuldig, und den armen Schwalben haben Sie sicher nie die geringste Aufmerksamkeit geschenkt.“

„O doch! Ich habe sie stets beneidet um ihren Zug in's Weite, um den freien Flug, den nichts hemmt und fesselt. Es giebt ja doch nichts Höheres im Leben, als die Freiheit.“

„Gar nichts Höheres?“

Die Frage klang gereizt und unwillig. Um so kälter und entschiedener war die Antwort.

„Nein – wenigstens nicht für mich!“

„Das klingt ja, als hätten Sie bisher in Fesseln geschmachtet,“ sagte Hedwig mit unverhehltem Spotte.

„Muß man denn immer gerade in Kerkermauern athmen, um sich nach Freiheit zu sehnen?“ fragte Oswald in dem gleichen Tone, nur daß sich sein Spott bis zum Sarkasmus steigerte. „Das Leben schmiedet Ketten genug, die oft schwerer drücken, als die wirklichen Fesseln eines Gefangenen.“

„Nun, dann muß man diese Ketten abschütteln.“

„Ganz recht, man muß sie abschütteln. Nur ist das unendlich viel leichter gesagt, als gethan. Wer die Freiheit nie entbehrt hat, der begreift es freilich nicht, daß Andere jahrelang ringen und kämpfen, daß sie Alles einsetzen müssen für ein Gut, das sonst als selbstverständlich erachtet wird. Doch das ist im Grunde einerlei, wenn es nur überhaupt errungen wird.“

Er wandte sich ab und schien aufmerksam den Flug der Schwalben zu verfolgen. Es trat ein neues Schweigen ein, das diesmal länger dauerte und die Geduld Hedwig's auf eine noch härtere Probe stellte, als vorhin. Diese Pausen in der Unterhaltung waren ihr ebenso ungewohnt, wie unerträglich. Freilich, dieser Oswald von Ettersberg nahm sich ja alles Mögliche heraus. Zuerst erlaubte er sich eine förmliche Zurechtweisung über die Zusammenkunft mit Edmund; dann erklärte er in der schärfsten, fast beleidigenden Weise, daß er um keinen Preis der Welt im Hause seines Vetters bleiben werde; dann sprach er von den allerunerquicklichsten Dingen, wie Kerker und Ketten, und jetzt schwieg er und hing ganz ungestört seinen Gedanken nach, während sich doch eine junge Dame, die Braut seines nächsten Verwandten, in seiner Gesellschaft befand. Hedwig fand, daß das Maß der Rücksichtslosigkeit jetzt gefüllt sei, und erhob sich.

„Es ist wohl Zeit, daß ich den Rückweg antrete,“ bemerkte sie kurz.

„Wie Sie befehlen!“ Oswald machte Miene, sich ihr anzuschließen, wurde aber mit ungnädiger Handbewegung zurückgewiesen.

„Ich danke, Herr von Ettersberg; ich kenne den Weg ganz genau.“

„Edmund hat mir ausdrücklich aufgetragen, Sie zu begleiten,“ warf Oswald ein.

„Und ich erlasse es Ihnen,“ erklärte die junge Dame in einem Tone, der deutlich zeigte, daß sie die Anordnungen des Grafen nicht für maßgebend erachtete, wo ihr eigener Wille in Betracht kam. „Ich bin allein gekommen und werde auch allein zurückkehren.“

Oswald trat sofort zurück. „Dann werden Sie eilen müssen, nach Brunneck zu kommen,“ sagte er kühl. „Die Wolken dort ziehen immer näher heran, und in einer halben Stunde haben wir den Regen.“

Hedwig warf einen prüfenden Blick nach den drohenden Wolken. „Bis dahin bin ich längst zu Hause, und im schlimmsten Falle mache ich mir nichts daraus, von einem Frühlingsregen durchnäßt zu werden. Die Schwalben haben es uns ja jetzt verheißen – es wird doch endlich Frühling.“

Die letzten Worte klangen halb wie eine Herausforderung, doch der hingeworfene Fehdehandschuh wurde nicht aufgenommen. Oswald verneigte sich nur mit gemessener Artigkeit und verscherzte dadurch den letzten Rest von Nachsicht bei der jungen Dame, die sich nun auch ihrerseits bemühte, die möglichste Kälte in ihren Abschiedsgruß zu legen; dann eilte sie leicht und schnell wie ein Reh davon.

Diese Eile galt indessen nicht der Furcht vor dem Regen; denn sobald die Höhe hinter ihr lag, mäßigte Hedwig ihren Schritt. Sie wollte nur aus der Nähe dieses unerträglichen „Mentors“ kommen, der seine Erziehungsversuche auch auf sie ausdehnte und dabei von einer unerhörten Rücksichtslosigkeit war. Er hatte nicht einmal einen Einwand erhoben, als sie seine Begleitung ablehnte. Es war ihr freilich Ernst damit, aber die Rücksicht auf die einfachste Höflichkeit hätte doch einige Worte des Bedauerns verlangt. Doch nichts von alledem; er war augenscheinlich froh, des lästigen Ritterdienstes überhoben zu sein. Die junge, sehr verwöhnte Dame, die in Folge ihrer Schönheit und vielleicht auch ihres Reichthums überall mit Aufmerksamkeiten und Huldigungen

[367] überschüttet wurde, empfand eine derartige Gleichgültigkeit fast als Beleidigung, und sie war noch nicht mit ihrem Aerger darüber fertig geworden, als sie aus dem Walde trat und Brunneck dicht vor ihr lag.

Oswald war allein zurückgeblieben, aber er schien den heranziehenden Regen völlig vergessen zu haben; denn er lehnte unbeweglich, mit verschränkten Armen an dem Stamme eines Baumes und machte keine Anstalt zum Gehen.

Die Wolken senkten sich immer tiefer; der ganze Wald verschleierte sich im Nebel, und die Schwalben schossen jetzt dichter über den Boden hin, der noch hier und da die weißen Spuren des Nachtfrostes trug. Aber mitten unter Reif und Nebel keimte still und mächtig all das Leben, das noch in tausend Knospen schlummerte; es wartete auf den ersten warmen Hauch, auf den ersten Sonnenglanz, der es erwecken sollte. Es lag etwas wie Frühlingsathem in dieser herben Luft, und wie Frühlingswehen ging es durch den öden Wald. Es war, als rege sich ringsum ein geheimnißvolles Weben und Walten, lautlos und unsichtbar, aber es wurde doch gefühlt und verstanden, auch von dem einsamen Manne, der wie träumend in die umschleierte Ferne blickte.

Vorhin, als er auch einsam durch den Wald ging, da war das Alles so leer und todt gewesen, da vernahm er auch nicht einen einzigen Laut der Sprache, die jetzt so deutlich zu ihm redete. Er wußte nicht oder wollte nicht wissen, was ihm auf einmal das Verständniß erschlossen hatte, aber der herbe, feindselige Zug verschwand aus seinem Antlitz und mit ihm versank auch die Erinnerung an eine öde, freudlose Jugend ohne Liebe und Sonnenschein, versanken der Haß und die Bitterkeit, mit denen eine stolze energische Natur Abhängigkeit und Zurücksetzung ertrug. Jenes weiche, halb unbewußte Träumen, das Anderen so oft naht, hatte auch den starren kalten Oswald umsponnen, vielleicht zum ersten Male, aber es hielt ihn nur um so unwiderstehlicher fest. Ueber ihm schwebten die Schwalben noch immer rastlos auf und nieder in der regenschweren Luft; immer noch schwirrte ihr leise grüßender Laut herab, und dieser Gruß und das Frühlingsweben ringsum und die Stimme in der eigenen Brust wiederholten immer nur das Eine, das vorhin so triumphirend und siegesgewiß von anderen Lippen geklungen: Es wird doch endlich Frühling.




Im Laufe der nächsten Tage kam nun wirklich der „Kriegsplan“ zur Ausführung, den Edmund und Hedwig entworfen hatten. Die unumwundene Erklärung des jungen Paares den Eltern gegenüber hatte genau den erwarteten Effect, hochgradige Empörung in Brunneck, wie in Ettersberg, Vorwürfe, Bitten und Drohungen, schließlich ein bestimmtes und unwiderrufliches Nein von beiden Seiten. Der junge Graf und nunmehrige Majoratsherr hatte die entschiedene Erklärung seiner Mutter entgegen zu nehmen, daß sie ihre Einwilligung zu dieser Verbindung ein für alle Mal versage, und Fräulein Hedwig Rüstow hatte einen gelinden Wuthanfall ihres Vaters auszuhalten, der förmlich außer sich gerieth bei der Nachricht, daß ein Ettersberg, ein Mitglied der verhaßten Familie und sein Gegner in dem Processe um Dornau, ihm als Schwiegersohn präsentirt werden sollte. Der in der schärfsten Weise kundgegebene elterliche Unwille machte aber leider nur einen sehr geringen Eindruck auf die jungen Herrschaften, denen natürlich jeder fernere Verkehr verboten wurde, und die sich noch in derselben Stunde hinsetzten, um an einander zu schreiben; denn sie hatten, in weiser Voraussicht des Kommenden, bereits einen sicheren Weg für ihre Briefe verabredet.

In dem Balkonzimmer des Herrenhauses von Brunneck ging der Oberamtsrath mit großen Schritten auf und nieder. Hedwig hatte für gut befunden, nach den ersten heftigen Debatten sich zurückzuziehen und ihren wüthenden Papa sich selber zu überlassen. Dieser schüttete jetzt, da die Tochter ihm nicht erreichbar war, das ganze Maß des Zornes über seine Cousine aus, der er die heftigsten Vorwürfe machte, sie habe durch ihre unverzeihliche Nachgiebigkeit und Begünstigung dieser Bekanntschaft die ganze Sache verschuldet.

Fräulein Lina Rüstow saß auf ihrem gewöhnlichen Platz am Fenster und hörte zu, ohne sich im Geringsten bei der Handarbeit stören zu lassen, mit der sie beschäftigt war. Sie wartete geduldig, bis eine Pause eintrat und ihr aufgebrachter Cousin genöthigt war, Athem zu schöpfen; dann fragte sie in voller Seelenruhe:

„Vor allen Dingen, Erich, sagen Sie mir, was haben Sie eigentlich gegen diese Heirath einzuwenden?“

Der Gefragte blieb plötzlich stehen – das war ihm denn doch zu stark. Seit einer halbe Stunde bemühte er sich, seinem Aerger, seiner Wuth, seiner Empörung jeden nur möglichen Ausdruck zu geben, und jetzt fragte man ihn in aller Gemüthsruhe, was er denn eigentlich gegen diese Heirath einzuwenden habe. Die Frage brachte ihn so gänzlich aus der Fassung, daß er im Augenblicke gar keine Antwort darauf fand.

„Ich begreife Ihren Unwillen wirklich nicht,“ fuhr das Fräulein in dem gleichen Tone fort. „Es handelt sich hier um eine aufrichtige Herzensneigung von beiden Seiten; Graf Ettersberg ist eine höchst liebenswürdige Persönlichkeit. Der unselige Proceß, der Ihnen schon den ganzen Winter die Laune verdirbt, wird dadurch in der allereinfachsten Weise beendigt, und äußerlich betrachtet, ist diese Partie für Hedwig eine glänzende. Warum also sträuben Sie sich so dagegen?“

„Warum? warum?“ rief Rüstow, noch mehr gereizt durch diese Ruhe. „Weil ich es nicht leiden will, daß meine Tochter einen Ettersberg heirathet. Weil ich es ein für alle Mal verbiete.“

Fräulein Lina zuckte die Achseln.

„Ich glaube nicht, daß sich Hedwig diesen Gründen fügen wird. Sie wird sich einfach auf das Beispiel ihrer Eltern berufen, die ja auch ohne Zustimmung des Vaters –“

„Das war etwas Anderes,“ fiel Rüstow ungestüm ein, „etwas ganz Anderes!“

„Es war genau dasselbe, nur daß die Verhältnisse damals weit ungünstiger lagen als jetzt, wo wirklich nur Vorurtheil und Starrsinn dem Glücke des jungen Paares im Wege stehen.“

„Das sind ja sehr liebenswürdige Complimente, mit denen Sie mich überhäufen,“ rief der Oberamtsrath von Neuem in Wuth gerathend. „Vorurtheil! Starrsinn! Haben Sie nicht noch mehr dergleichen Schmeicheleien für mich in Bereitschaft? Geniren Sie sich nicht! Ich warte darauf.“

„Mit Ihnen ist heut wieder einmal nicht zu reden,“ bemerkte das Fräulein, gleichmüthig die Arbeit wieder aufnehmend, die während der letzten Minuten geruht hatte. „Wir wollen das später besprechen, wenn Sie ruhiger geworden sind.“

„Lina, Sie bringen mich um mit dieser entsetzlichen Gelassenheit,“ fuhr Rüstow auf. „Legen Sie wenigstens die verwünschte Näherei bei Seite! Ich halte es nicht aus, wenn Sie mit dieser unverwüstlichen Ruhe den Faden auf und nieder ziehen, während ich – ich –“

„Das ganze Haus umreißen möchte. Geben Sie sich keine Mühe – es bleibt doch stehen.“

„Jawohl, es bleibt schon, und wenn auch Alles gegen mich rebellirt, und wenn auch Sie in heller Opposition gegen mich stehen. Ich habe Gott sei Dank noch einen Bundesgenossen, die Gräfin Mutter in Ettersberg. Die wird noch mehr Starrsinn zeigen, als ich – darauf können Sie sich verlassen. Wir können uns zwar nicht leiden; wir thun uns in dem Processe alle nur möglichen Chicanen an, in diesem Punkte aber sind wir einmal ausnahmsweise einer Meinung. Sie wird ihrem Sohne schon den Kopf zurechtsetzen, und das freut mich; damit bin ich einverstanden; ich werde es gerade so mit meiner Tochter machen.“

„Ich glaube auch nicht, daß die Gräfin so schnell ihre Einwilligung ertheilen wird,“ sagte Lina in kühlem Tone. „Das zu erreichen ist eben Edmund's Sache.“

„Edmund!“ wiederholte Rüstow, der heut von einer Aufregung in die andere gerieth. „Das klingt ja schon recht vertraulich, recht verwandtschaftlich. Sie betrachten ihn wohl schon ganz und gar als Ihren Neffen? Aber daraus wird nichts. Ich sage Nein und nochmals Nein, und dabei bleibt es.“

Mit diesen Worten stürmte er aus dem Zimmer, und warf die Thür hinter sich zu, daß die Fenster klirrten. Fräulein Lina mußte sich wirklich „die Nerven“ abgewöhnt haben, denn sie fuhr nicht einmal zusammen bei dem Lärm, sondern sah dem heftigen Manne nur kopfschüttelnd nach und sagte halblaut:

„Ich möchte wissen, wie lange es dauert, bis er nachgiebt.“

In Ettersberg ging es nun allerdings etwas weniger stürmisch zu, aber die Aussichten für das junge Paar waren darum nicht hoffnungsreicher. Die Gräfin hielt die Sache für wichtig genug, [368] um ihren Bruder, den Baron Heideck, der in allen wichtigen Fällen ihr Rathgeber und ihre Stütze war, zu sich zu rufen. Er war auch sofort aus der Residenz eingetroffen, und Graf Edmund hatte nunmehr den Kampf mit der Mutter und dem Vormund zugleich aufzunehmen.

Der Letztere war erst vor einigen Stunden angelangt und befand sich jetzt mit der Gräfin allein im Zimmer. Er war um mehrere Jahre älter als seine Schwester, aber während sie sich eine noch beinahe jugendliche Erscheinung zu bewahren gewußt hatte, war bei ihm eher das Gegentheil der Fall. Kalt, ernst und sehr gemessen in Haltung und Sprache, verrieth er schon in seinem Aeußern den vornehmen Bureaukraten. Er hörte schweigend und aufmerksam der Gräfin zu, die soeben ihren Bericht schloß.

„Wie ich Dir bereits schieb, ist mit Edmund nichts anzufangen. Er besteht hartnäckig auf diesem Heirathsplane und bestürmt mich mit Bitten um meine Einwilligung dazu. Ich wußte mir schließlich nicht anders zu helfen, als indem ich Dich herbeirief.“

„Daran hast Du sehr recht gethan,“ sagte der Baron, „denn ich fürchte, Du allein hast nicht die nöthige Festigkeit, wenn es sich um einen Herzenswunsch Deines Lieblings handelt. Ich denke aber, wir sind darin einig, daß diese Verbindung unter allen Umständen verhindert werden muß.“

„Gewiß sind wir das,“ stimmte die Gräfin bei. „Es fragt sich nur, wie wir sie verhindern. Edmund wird in Kurzem mündig und ist dann unumschränkter Herr seines Willens.“

„Er hat sich bisher stets dem Deinigen gefügt,“ warf Heideck ein. „Er liebt Dich über alles.“

„Bisher!“ sagte die Gräfin mit aufquellender Bitterkeit. „Jetzt liebt er noch eine Andere außer seiner Mutter. Es muß sich erst zeigen, ob ich noch den alten Platz in seinem Herzen behaupte.“

„Laß Deine mütterliche Empfindlichkeit, Constanze!“ mahnte der Bruder, „sie allein hat das Ganze verschuldet. Du hast Deinen Sohn von jeher mit einer Ausschließlichkeit und Eifersucht geliebt, die Dir den Gedanken an seine Heirath unmöglich machte. Deshalb allein wiesest Du den Vorschlag zu einer standesgemäßen Verbindung zurück, den ich Dir im vorigen Jahre machte, und der damals leicht zu verwirklichen war. Du siehst, was daraus entstanden ist. Doch wir müssen jetzt Stellung zu der Sache nehmen. Dieser Rüstow ist sehr reich?“

„Wenigstens gilt er dafür in der ganzen Umgegend.“

„Auch in der Residenz! Er hat sich erst kürzlich bei einer unserer großen industriellen Unternehmungen mit ganz erstaunlichen Mitteln betheiligt. Ueberdies wird er von allen Seiten als eine Autorität in seinem Fache angesehen; sogar im Ministerium legt man Werth auf seine Meinung in wirthschaftlichen Fragen. Dazu kommt noch seine Verschwägerung mit der Ettersberg'schen Familie, welche trotz alledem doch nun einmal existirt – man kann die Sache nicht so ohne Weiteres als eine Mesalliance behandeln.“

„Nein, und ich glaube, darauf baut Edmund.“

„Er baut nur auf Deine grenzenlose Liebe für ihn, von der er Alles zu erreichen hofft und auch erreichen würde, wenn ich nicht dazwischen getreten wäre. Du hast aber hier das Andenken und den Namen Deines Gemahls zu repräsentiren, der eine derartige Verbindung nie geduldet haben würde. Erinnere Dich, wie scharf er damals die Heirath seiner Cousine mit Rüstow verurtheilte! Du mußt durchaus in seinem Sinne handeln.“

„Das habe ich ja bereits gethan,“ sagte die Gräfin ein wenig gereizt, „aber wenn Edmund nicht hören will – –“

„So wirst Du seinen Gehorsam zu erzwingen wissen, gleichviel auf welche Weise. Dieses bürgerliche Element darf sich nicht wieder in den Stammbaum der Ettersberg eindrängen – es war genug an dem einen Male.“

Er sprach langsam, mit schwerer Betonung, und die Gräfin erbleichte unter dem beinahe drohenden Blicke des Bruders.

„Armand, was soll das? Ich –“

„Ich sprach von der Heirath Rüstow's mit der Cousine Deines Gemahls,“ unterbrach sie der Baron kalt. „Aber ich glaube, die Erinnerung war nothwendig, um Dich daran zu mahnen, daß Du hier nicht schwach sein darfst. So wenig es Dir sonst an Energie fehlt: Deinem Edmund gegenüber bist Du stets eine allzu zärtliche Mutter gewesen.“

„Vielleicht!“ sagte die Gräfin mit schmerzlicher Bitterkeit. „Er ist ja das Einzige gewesen, was ich lieben durfte, seit – seit Du mich zwangest, dem Grafen die Hand zu reichen.“

„Nicht ich, die Verhältnisse haben Dich dazu gezwungen. Ich dächte, Du hättest in Deiner Jugend Armuth und Entbehrungen genug kennen gelernt, um die Hand des Bruders zu segnen, die Dich aus diesem Elend riß, um Dich auf die Höhen des Lebens zu führen.“

„Segnen?“ wiederholte die Gräfin leise, mit halb erstickter Stimme. „Nein, Armand, das habe ich nie gethan.“

Baron Heideck runzelte die Stirn.

„Ich habe damals nach Pflicht und Gewissen gehandelt. Es galt, unserem Vater eine letzte Lebensfreude, der Mutter eine sorgenfreie Zukunft und Dir selber eine glänzende, vielbeneidete Lebensstellung zu sichern. Wenn ich Dich dazu drängte, wenn ich Dich gewaltsam von einer Jugendschwärmerei losriss, so geschah es in der festen Ueberzeugung, daß die Vergangenheit für die Gräfin Ettersberg nicht mehr existiren werde. Ich konnte unmöglich voraussehen, daß ich meiner Schwester – zu viel getraut hatte.“

Die Gräfin zuckte zusammen bei den letzten Worten und wendete sich ab.

„Laß diese Erinnerungen, Armand! Ich ertrage sie nicht.“

„Du hast Recht,“ sagte Heideck abbrechend. „Wir wollen die Vergangenheit ruhen lassen; hier handelt es sich um die Gegenwart. – Edmund darf diesen romantischen Jugendstreich nicht ausführen. Ich habe nur erst flüchtig mit ihm gesprochen, auf dem Wege hierher, als er mich von der Bahnstation abholte. Ich vermied absichtlich, näher auf die Sache einzugehen, um erst Rücksprache mit Dir zu nehmen. Ich habe aber mit Bestimmtheit den Eindruck empfangen, daß es sich hier um keine tiefe und ernste Leidenschaft handelt, die alle Schranken niederwirft und Alles daran setzt, ihr Ziel zu erreichen – davon ist keine Rede. Er ist eben verliebt in ein junges und, wie es heißt, sehr schönes Mädchen und möchte nun gleich auf der Stelle heirathen. Wir werden aber dafür sorgen, daß das nicht geschieht. Gegen derartige tändelnde Gefühle haben wir noch Waffen genug.“

„Das hoffe ich auch,“ entgegnete die Gräfin, die sich augenscheinlich zwang, zu dem ruhigen Gesprächston zurückzukehren. „Eben deshalb bat ich Dich zu kommen. Du bist der Vormund.“

Heideck schüttelte den Kopf. „Meine Vormundschaft ist stets nur ein formelles Recht gewesen, und in wenigen Monaten erlischt es ganz. Dem wird sich Edmund schwerlich beugen, aber Dir beugt er sich; denn er ist es gewohnt, sich von Dir leiten zu lassen. Stelle ihm einmal die Wahl zwischen Dir und seiner Neigung, drohe ihm, Ettersberg zu verlassen, wenn er diese Braut hier einführt! Er hängt mit ganzer Seele an Dir; er wird seine Mutter nicht verlieren wollen.“

„Nein, das wird er nicht,“ fiel die Gräfin mit vollster Ueberzeugung ein. „Noch bin ich seiner Liebe sicher.“

„Du wirst es auch ferner sein, wenn Du es verstehst, Deine Macht über ihn zu gebrauchen und ich zweifle nicht, daß das im vollen Umfange geschehen wird. Du weißt es ja, Constanze, daß bei Deinem Sohne, gerade bei ihm, die Tradition der Familie um jeden Preis gewahrt werden muß. Bedenke das!“

„Ich weiß es,“ sagte die Gräfin tief aufathmend. „Sei ohne Sorge.“

Es trat eine kurze Pause ein; dann nahm Baron Heideck von Neuem das Wort.

„Und nun zu der andern unerquicklichen Angelegenheit! Willst Du Oswald rufen lassen? Ich möchte ihn doch über seine wunderbaren Zukunftspläne zur Rede stellen.“

Die Gräfin klingelte. „Melden Sie dem Herrn von Ettersberg, daß Baron Heideck ihn zu sprechen wünscht und ihn hier erwartet,“ befahl sie dem eintretenden Diener. Dieser entfernte sich mit der gegebenen Weisung, während der Baron sarkastisch fortfuhr:

„Das muß man zugestehen, Edmund und Oswald wetteifern förmlich darin, dem Ettersberg'schen Namen erhöhten Glanz zu verleihen. Der Eine will die Tochter eines ehemaligen Pächters heirathen und der Andere sich eine Advocatenpraxis gründen. Oswald kann doch nicht plötzlich auf diese Idee gekommen sein.“

„Ich glaube, er hat sie schon jahrelang mit sich herumgetragen und jahrelang darüber geschwiegen,“ sagte die Gräfin.

[369]

„Durch diese hohle Gasse muß er kommen.“
Nach seinem Gemälde auf Holz gezeichnet von Schladitz.


„Erst jetzt, wo er unmittelbar vor dem Examen steht, kommt er damit zum Vorschein. Ich habe ihm aber mit der größten Entschiedenheit erklärt, daß von Advocaturpraxis keine Rede sein könne, und daß er in den Staatsdienst treten werde.“

„Und was hat er Dir darauf erwidert?“

„Nichts – wie gewöhnlich! Du kennst ja dies starre, finstere Schweigen, das er schon als Knabe jedem Vorwurf und jeder Strafe entgegensetzte, diesen Blick voll unerträglichem Trotze, den er stets in Bereitschaft hat, wenn sein Mund schweigt. Ich bin überzeugt, er hält nur um so hartnäckiger fest an seinem unsinnigen Plane.“

„Das sieht ihm ähnlich, aber in diesem Falle wird er sich doch fügen müssen. Wer so gänzlich mittellos ist, wie Oswald, der ist in jeder Lebensstellung noch für’s Erste von der Beihülfe seiner Verwandten abhängig. Der Ungehorsam würde ihm doch allzu theuer zu stehen kommen.“

Das Gespräch hatte während der letzten Minuten einen ganz andern Ton angenommen. Vorhin, als von Edmund die Rede war, hatten die Gräfin und ihr Bruder wohl ernst und sorgenvoll gesprochen, aber jedes Wort zeugte doch von der höchsten Rücksicht für den eigensinnigen Sohn und Neffen. Sie wollten ihn nur leiten, nur zurückführen, und die Liebe zu seiner Mutter war das einzige Zwangsmittel, das überhaupt in Betracht kam. Von dem Augenblicke an aber, wo Oswald’s Name genannt wurde, gewann das Gespräch eine andere Färbung. Da wurde im herbsten Tone berichtet und mit der schärfsten Strenge abgeurtheilt; da war sofort von Zwangsmaßregeln gegen den Ungehorsamen die Rede. Baron Heideck theilte augenscheinlich die Abneigung seiner Schwester gegen den jungen Verwandten im vollsten Maße.

Der Gerufene trat jetzt, ein und begrüßte die Tante und den Vormund, den er bei der Ankunft nur flüchtig gesehen hatte, in der gewohnten ruhigen Haltung, aber ein schärferer Beobachter konnte bemerken, daß er sich für die kommende Scene gewaffnet hatte. Er stand wieder da mit dem „starren finsteren Schweigen“, mit jenem Blicke „unerträglichen Trotzes“, und wartete, was man ihm eröffnen werde.

(Fortsetzung folgt.)
[370]
Auf der Suche nach Nordenskjöld.
Tragisches Ende einer Dampferfahrt.
Von einem Augenzeugen.
(Schluss.)

Japan ist ein ungeheuer rasch sich entwickelndes Land; noch vor dreißig Jahren liefen Europäer im Fall eines Schiffbruchs an diesen ungastlichen Gestaden Gefahr, ihr Leben durch Henkershand zu verlieren oder Jahre lang, ängstlich bewacht, im Lande zurückgehalten zu werden, und jetzt wurden wir mit der ausgesuchtesten Höflichkeit aufgenommen, in einem für japanische Verhältnisse recht guten Gasthause untergebracht und täglich dreimal mit frischem, lachsartigem Fisch versehen; ja aus Besorgniß für unser kostbares Leben wurde es uns nicht einmal gestattet, den zahlreichen Bären, die das Reisen in der Nachtzeit dort sehr gefährlich machen, einige Denkzettel an unsern Aufenthalt zu geben. Nur heimlich gelang es einigen von uns, bis an die Zähne mit Messern, Revolvern und Flinten bewaffnet, sich eines schönen Tages aus dem Städtchen hinaus in's Freie zu stehlen, um eine frische, fröhliche Jagd auf die Ungethüme zu veranstalten. Unsere Jagdlust wurde aber nach fünfstündigem Herumirren in dem pfadlosen Urwald mit seinen mannshohen Gräsern und unpassirbaren Sümpfen bald bedenklich abgekühlt; das Gewirr der umgefallenen, halbvermoderten Baumriesen, in die man häufig beim Ueberklettern bis an den Leib hineinsank, das dichte Unterholz, durch welches man sich nur mit größter Mühe Schritt für Schritt einen Weg bahnen konnte, ließen es räthlich erscheinen, bei anbrechender Nacht die gastlichen Wohnstätten der Menschen wieder aufzusuchen, zumal Meister Petz, wie wir aus einigen aufgefundenen, aber leeren Lagern sahen, es vorgezogen hatte, vor unserer lärmenden Jagdgesellschaft einen schleunigen Rückzug anzutreten. Sehr ermüdet und verfolgt von den ironischen Blicken der Bewohner, kehrten wir am Abend in das Städtchen zurück, als einzige Jagdbeute einige unschuldige Raben mit uns führend, die so unvorsichtig gewesen waren, uns auf Schußweite herankommen zu lassen.

Wir hatten nun reichliche Muße, um uns das Städtchen genau anzusehen und alle Merkwürdigkeiten zu studiren. Wie im Abendlande die Kirchen zu den hervorragendsten Bauten in Dörfern und Städten gehören, so fallen auch in Japan in allen Ortschaften sofort gewisse Gebäude in's Auge, die religiösen Zwecken geweiht sind. Besonders bemerkenswerth sind die meist reich vergoldeten, mit wunderbarem Schnörkelwerk ausgestatteten Buddhatempel, die häufig inmitten oder in nächster Nähe eines aus hohen, uralten Bäumen gebildeten Haines liegen und mit den zu ihnen hinführenden Reihen von steinernen Laternensäulen nicht selten sehr malerische Bilder liefern, welche einen tiefen Frieden, eine heilige Stille athmen.

Der Buddhismus, obwohl nicht officielle Staatsreligion Japans, hat doch die meisten Anhänger unter den Landesbewohnern. Im Allgemeinen freilich ist der Japaner sehr indifferent; namentlich die gebildeten Stände lassen sich über religiöse Fragen nicht im Mindesten graue Haare wachsen und sehen besonders mitleidig auf das Thun der in allen Farbenschattirungen zahlreich vorhandenen Missionäre herab, deren Erfolge denn auch, trotz aller rosig gefärbten Berichte, so ziemlich gleich Null sind. Diesen Herren, unter denen sich übrigens einige sehr tüchtige Kenner japanischer Verhältnisse befinden, ist die Ausübung ihres Berufes im Innern des Landes untersagt, wohl im Hinblick auf einige Vorkommnisse sehr ärgerlicher Natur in früheren Jahrhunderten, wo die damals in Japan sehr zahlreich vorhandenen, von Jesuiten bekehrten Christen die Fahne des Aufruhrs gegen die Regierung erhoben, bis sie endlich gänzlich ausgerottet wurden. Heute ist es Jedermann gestattet, wenn er sich von dem Gesandten seines Heimathslandes mit einem Paß versehen läßt, ungehindert im ganzen Lande sich umzusehen; nur darf er sich's dabei nicht einfallen lassen, predigen zu wollen oder Tractätchen zu vertheilen.

Dem toleranten Charakter des Buddhismus entsprechend, war es für uns nicht schwer, Eintritt in den Tempel des Städtchens zu erhalten und Freundschaft mit den Priestern desselben zu schließen. Gern gestattete man uns, nachdem wir Buddha oder vielmehr seine Vertreter auf Erden mit einigen Kupfermünzen bereichert hatten, des öfteren dem Gottesdienst beizuwohnen, der durch die weißgekleideten, ganz glatt geschorenen Priester und die Knaben mit Räuchergefäßen und Lichtern, sowie durch das Knieen und Niederbeugen der andächtig Versammelten sehr an den Cultus in katholischen Kirchen erinnerte. Die Versammlung der Andächtigen bestand außer uns meistens aus Frauen und alten Männern. Zur Schonung der zarten Strohmatten, mit denen alle Gebäude ausgelegt sind, hatten wir die Fußbekleidung hübsch draußen vor der Thür stehen lassen müssen; dagegen brachte man uns, um uns der für Europäer doch recht beschwerlichen Landessitte zu überheben, nach Türken-Art oder auf den Hacken am Boden zu sitzen, einige Stühle, wahrscheinlich die einzigen im ganzen Orte.

Aber nicht allein mit den Buddhapriestern, sondern auch mit den übrigen Bewohnern standen wir auf gutem Fuße. Der eine oder andere lud uns dann wohl bei unserm Hindurchschlendern durch die Straßen ein, näher zu treten und in seinem Hause ein Täßchen Thee einzunehmen; besonders gern geschah dies von solchen Leuten, die schon einige Brocken Englisch sich angeeignet hatten und stolz darauf waren, diese Weltsprache verstehen zu können. Wenn der Stoff zu der mühsam geführten Conversation auszugehen drohte, wurde das Schreibzeug, bestehend aus einem Kasten mit Tusche und feinen Haarpinseln, herbei geholt, und wir mußten auf höfliches Ersuchen unsere Namen zu Papier bringen. Das höchst wichtige Actenstück wurde dann von den Herren in sorgsamen Verwahr genommen, und nun wurden auch wir von dem Namen unseres gütigen Wirthes in Kenntniß gesetzt.

Nach einem mehrwöchentlichen Aufenthalt beförderte uns endlich ein japanischer Regierungsdampfer nach der Stadt Hakodade, wo uns die Nachricht vom glücklichen Eintreffen der „Vega“ in Jokohama erreichte.

Sobald sich eine Schiffsgelegenheit bot, eilten wir dorthin, um Professor Nordenskjöld und seine muthigen Gefährten begrüßen zu können, und wenn auch unser Zusammentreffen unter gänzlich anderen Verhältnissen und an einer andern Stelle stattfand, als wir bei unserem Fortgange von Europa erwartet und gehofft hatten, so tröstete uns doch die Freude über das nunmehr glücklich von der „Vega“ vollendete Werk der Umschiffung des nördlichen Theiles der alten Welt über unser eigenes Unglück und wir waren neidlose Zeugen der allseitigen Bewunderung, welche der kühnen That Professor Nordenskjöld's und seiner Genossen von Seiten der in Japan lebenden Europäer und der gebildeten Japaner selbst gezollt wurde. Eine Festlichkeit reihte sich in jenen Septembertagen an die andere, alle aber wurden von dem Glanze eines Nachtfestes überstrahlt, welches in Tokio, der Hauptstadt Japans, von der englischen und deutschen ostasiatischen Gesellschaft und von dem erst kürzlich gegründeten, bisher nur geborene Japaner zu Mitgliedern zählenden geographischen Verein gegeben wurde; es wird sicherlich den Hunderten von Theilnehmern unvergeßlich bleiben.

Die Ehrengäste des Abends wurden mittelst Equipagen von dem Bahnhofe der Eisenbahn, welche Jokohama mit Tokio verbindet und auf der von früh Morgens bis spät in die Nacht hinein alle fünfviertel Stunden Züge zwischen beiden Städten verkehren, nach dem zum Festlocale auserkorenen Gebäude der polytechnischen Schule von Tokio übergeführt. Der Garten und das ganze stattliche Ziegelgebäude waren mit Hunderten der in Japan allgemein üblichen bunten Papierlaternen beleuchtet, und der ganze Saal mit schwedischen, englischen, deutschen, russischen und den weißen, mit einer rothen Sonne in der Mitte versehenen japanischen Flagge ausgeschmückt. Alles, was Japan an einheimischen und fremden politischen wie wissenschaftlichen Größen aufzuweisen hat, war hier versammelt. Es war Gelegenheit geboten, jene Männer kennen zu lernen, welchen das Land die Anregung zu den seit zehn Jahren in's Werk gesetzten großartigen Umgestaltungen seines socialen und politischen Lebens verdankt, durch deren Bemühungen Japan binnen zweier Decennien aus Verhältnissen, welche ungemein an unsere eigenen mittelalterlichen

[371] Zustände erinnern, herausgetreten ist und bald im Stande sein wird, in die Reihe moderner Culturstaaten einzugehen.

Kein leicht ausführbares Unternehmen ist dies gewesen; galt es doch für diese Reformatoren, sich selbst zunächst mit den Einrichtungen der civilisirten Staaten vertraut zu machen, zu einer Zeit, als noch für jeden Japaner eine Reise über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus gesetzlich als ein mit dem Tode zu bestrafendes Verbrechen galt. Nicht wenige von ihnen haben später, als es ihnen trotz aller Hemmnisse und Schranken gelungen war, Reformen einzuführen, die mit einem Schlag den Feudalismus und alle sonstigen einer weiteren Fortentwickeln entgegenstehenden Einrichtungen in Japan beseitigten, unter den Schwertern und Dolchen fanatisch conservativer Landsleute den Tod gefunden.

Neben jenen hervorragenden Männern Japans waren die in der Hauptstadt residirenden diplomatischen Vertreter der verschiedenen ausländischen Staaten und die zahlreichen, namentlich anglo-amerikanischen und deutschen Gelehrten, welche an den wissenschaftlichen Anstalten Tokios wirken, zugegen. Das Festbankett nahm einen sehr gelungenen Verlauf; die Tafelmusik, welche von der Capelle des kaiserlichen Garderegiments ausgeführt wurde, ließ nichts zu wünschen übrig, und es war ein deutscher Capellmeister, welcher diese, bei dem unglaublich geringen musikalischen Sinn, den die Japaner im Allgemeinen haben, geradezu ein Kunststück zu nennende Leistung durch seine Geduld und Ausdauer ermöglicht hatte. Die zahlreichen, auch in deutscher Sprache ausgebrachten Trinksprüche gaben den tröstlichen Beweis, daß der deutsche Einfluß dem englisch-amerikanischen an Reiche des Sonnenaufganges nicht nachsteht, das „sprechendste“ Zeugniß dafür aber lieferte der Toast, den Kita Schira Kawa-no-Miya, der Onkel des regierenden Mikado, in fließendem Deutsch auf den Helden des Tages, auf Professor Nordenskjöld, ausbrachte.

v. Danckelmann.




Luiz de Camoens.
Zur dreihundertjährigen Feier des Todestages von Portugals größtem Dichter.
Eine biographische Skizze von Leopold Katscher.

Am 10. Juni dieses Jahres begeht Portugal eine große nationale Feier: die dreihundertste Wiederkehr des mutmaßlichen Todestages seines hervorragendsten Poeten, des edlen Sängers der „Lusiaden“. Ist es nicht betrübend, daß Camoens (portugiesisch Camões), einer der größten und berühmtesten Dichter aller Zeiten und Völker, „arm und elend leben und arm und elend sterben mußte“, wie es in seiner Grabschrift hieß? Und ist es nicht merkwürdig, daß man über Geburts- und Sterbejahr dieses wichtigen Mannes keine absolut verläßliche Daten besitzt, daß man auch nicht genau weiß, in welcher Stadt er geboren wurde?

Bessere Kunde hat man von der Abkunft unseres Helden. Sein Ururgroßvater hieß Vasco Pires de Camoens, war ein trefflicher spanischer Dichter und wanderte von der Provinz Galicien nach Portugal aus, um an den Kämpfen gegen Heinrich den Zweiten von Castilien theilzunehmen. Die Literaturgeschichte kennt ihn als eines der Häupter jenes Dichterkreises, dem die poetische Wiedergeburt der genannten Provinz zu danken war. Der Urgroßvater kämpfte in Afrika; der Großvater war Marinehauptmann und mit dem berühmten Entdeckungsreisenden Vasco de Gama verschwägert; der Vater führte ein abenteuerliches Leben und dürfte unseres Dichters Mutter, Anna de Sá e Macedo, wahrscheinlich 1523 geheirathet haben. Ob Luiz 1517 oder 1524 das Licht der Welt erblickte, ist streitig; man hat sich jedoch ziemlich allgemein für 1524 entschieden. Mit Homer hat Camoens nicht nur hinsichtlich der Eigenschaften seines großen Epos Aehnlichkeit, sondern auch hinsichtlich des Umstandes, daß sich eine ganze Reihe von Städten für seine Geburtsorte ausgeben; da er jedoch nur in Einer Stadt geboren sein konnte, hat man sich auf Grund gewichtiger Anhaltspunkte zu Gunsten Lissabons geeinigt, sodaß Coimbra, Alemquer und Santarem in den Winkel gestellt sind.

Im Alter von etwa drei Jahren wurde Luiz nach der portugiesischen Universitätsstadt Coimbra gebracht, wo er, wie es in einer seiner Canzonen heißt, seine Kindheit „heiter und zufrieden für sich verlebte und sich des Lebens freute“. 1537 begann er daselbst seine Studien. Die Thatsache, daß seine Werke eine gründliche classische Bildung verrathen – dieselbe tritt dem Schwunge seiner Leier zuweilen sogar hemmend in den Weg – beweist, daß sein Fleiß kein geringer war; mit besonderer Vorliebe verlegte er sich auf die Weltgeschichte und die Literatur des Alterthums, dessen Mythologie ihn oft zur kühnsten poetischen Begeisterung entflammte. Aber auch die großen italienischen Dichter las er eifrig, und ihr Einfluß auf seine dichterische Entwickelung ist unverkennbar; derselbe tritt namentlich in seinen ersten Versuchen hervor, deren allererster eine an seinen Oheim Bento de Camoens gerichtete Elegie auf die Leiden Christi war.

Um 1542 nach der Hauptstadt zurückgekehrt, wurde er trotz seiner Armuth und seiner Jugendlichkeit bei Hofe eingeführt, weil er adelig war, noch mehr aber seiner umfassenden Kenntnisse halber. Bei Hofe waren damals classische Studien in der Mode; selbst die Damen sprachen und schrieben Latein. Kein Wunder daher, daß Camoens mit seiner klösterlichen Erziehung im königlichen Palast gern gesehen wurde. Er verfaßte Frauen zuliebe manche Gedichte in der Manier der französischen Liebeslieder, allein diese Tändeleien gingen an ihm ohne tieferen Eindruck vorüber.

Da machte er eines Tages die Bekanntschaft der schönen Catharina de Attayde, einer Ehrendame der Königin, und verliebte sich glühend in sie. Er feierte sie in zahlreichen Gedichten, unter denen die „siebente Canzone“ – eine der edelsten lyrische Perlen des Camoens – durch außerordentliche Gefühlsinnigkeit und Leidenschaftsgluth hervorragt. Catharinens Gegenliebe kann als der einzige eigentliche Lichtstrahl in dem sturmbewegten Leben unseres Helden gelten, aber das Glück dauerte nicht lange; denn der Ruhm, den sich der geniale Jüngling durch seine bisher noch ungedruckten Gedichte zu erwerben begann, erregte den Neid kleinlicher Geister, die seine Liebe zu Catharinen als Vorwand benutzten, um gegen ihn so lange zu intriguiren, bis er vom Hofe verwiesen wurde (1546). Beschleunigt wurde diese Maßregel dadurch, daß Camoens 1545 das Schauspiel „König Seleukus“ geschrieben hatte: eine Episode in demselben erinnerte an das Verfahren des regierenden Königs Manoel, der zur dritten Gemahlin die Braut seines eigenen Sohnes genommen.

Luiz hatte nun die Absicht, zunächst wieder nach Coimbra zu gehen, allein der Tod seines Oheims Bento vereitelte diesen Plan. Um eine seiner physischen Kraft und seiner warmen Vaterlandsliebe angemessene Beschäftigung zu wählen, vielleicht auch um seinen Kummer ob seiner Trennung von Catharinen zu betäuben, nahm er rasch entschlossen Seedienste und kämpfte mit seinen Landsleuten in Afrika gegen die Mauren, wobei er vor Ceuta durch ein feindliches Geschoß das rechte Auge verlor, ohne die Seelenruhe zu finden, deren Wiederkehr er von dem Schlachtgetöse erhofft hatte. In Ceuta verweilte er zwei volle Jahre, bis seine Lissaboner Freunde die Aufhebung seiner Verbannung vom Hofe durchsetzten, worauf er 1549 nach Lissabon zurückkehrte. Dort harrten seiner große Enttäuschungen; er begegnete dem alten Haß und Neid, und man verspottete den tapfern Mann, der für seine Nation geblutet, ob des Verlustes eines Auges. Er sah, daß er in der Heimath, wo bekanntlich Niemand als Prophet gilt, nichts zu erwarten habe; gleichwohl hielten ihn die Hoffnungen, die er hinsichtlich des Thronfolgers hegte, drei Jahre in der Hauptstadt zurück.

Wieder jedoch verdrängten ihn Verleumdungen aus der Nähe seines fürstlichen Gönners, der ihm nicht einmal eine Gelegenheit gab, sich gegen die meuchlerischen Einflüsterungen der feigen Ehrabschneider zu vertheidigen. Der Wunsch, sich zu zerstreuen, stürzte unsern Dichter in allerlei Abenteuer. Er übertäubte seine innere Unruhe, die Zerfahrenheit seines Gemüths durch einen zügellosen, ungestümen Muthwillen, den er häufig genug in nächtlichen Streifzügen mit Raufbolden und wüsten Gesellen bethätigte. Bald galt er als schlimmer Händelsucher, der ein sehr unordentliches Leben führte, und es ist bezeichnend genug, wenn er in seiner zweiten Ekloge von der Liebe behauptet, sie sei „keine Liebe, [372] wenn sie nicht auftritt mit Tollheiten, Unzukömmlichkeiten, Zwistigkeiten, Frieden und Krieg, Lust und Leid, Gefahren, bösen Zungen, Gemurre, Eifersucht, Zank, Mißtrauen, Furcht, Zorn, Tod und Verderben“. Sein ungestümes Treiben wurde ihm schließlich verhängnißvoll. Während der Frohnleichnamsprocession 1552 beleidigten zwei Masken den königlichen Stallmeister Borges und geriethen mit ihm in Streit. Zufällig kam Camoens herbei, erkannte in den Masken zwei seiner Freunde und prügelte Borges ohne weitere Untersuchung durch, was zur Folge hatte, daß er verhaftet und in Ketten gelegt wurde. Erst nach fast einem Jahre erhielt er die Freiheit wieder, doch unter der Bedingung, daß er als Soldat nach Ostindien gehen müsse. Am 7. März 1553 verließ er das Gefängniß, und schon zwei Wochen später schiffte er sich ein, um dieser Bedingung zu entsprechen.

Schweren Herzens trennte er sich von seinem trotz alledem und alledem geliebten Lissabon. Nach seiner eigenen Aussage murmelte er beim Betreten des Schiffes Scipio Afrikanus' Worte: „Undankbares Vaterland, du wirst meine Gebeine nicht besitzen.“ Von den vier bis fünf Schiffen, aus denen die betreffende Flotte bestand, erreichte nur dasjenige, auf welchem sich Camoens befand, den Bestimmungsort Goa; die übrigen gingen in Folge furchtbarer Stürme zu Grunde. Die Ankunft in Goa erfolgte Ende September nach mehr als sechsmonatlicher Fahrt. Trotz der traurigen Stimmung, die Camoens dort vorfand, und trotz der schändlichen Zustände, die in Indien herrschten, behagte es ihm anfänglich in seiner neuen Heimath recht gut; denn er traf hier viele Bekannte aus Portugal, sogar einige Verwandte, und sah sich geachteter und ruhiger als zu Hause. Bald jedoch wurde er der Ruhe überdrüssig und begann sich über den Mangel an Raufbolden und schönen Damen zu beklagen. Aber obgleich „hier alle Damen alt sind, ein elendes Portugiesisch sprechen und für Liebesabenteuer keinen Sinn haben“, verliebte er sich in eine Mulattin, deren schwarzem Teint er die schönsten Verse widmete.

Vier oder sechs Wochen nach seiner Ankunft in Goa schiffte er sich mit dem Vicekönig Alfonso de Noronha ein, um an dem zum Schutz des Königs von Cochin unternommenen Seekriegszuge theilzunehmen, von welchem die Lusitanen nach etwa einem Jahre als Sieger nach Goa zurückkehrten.

Wenige Monate später (1555) machte Camoens unter dem Admiral Manoel de Vasconcellos eine neue Flottenexpedition mit, die ihm so viele Widerwärtigkeiten eintrug, daß er sein Loos in einer Elegie als ein sehr bitteres beklagte. Nach seiner abermaligen Rückkunft schrieb er zur Feier des Amtsantrittes des neuen Vicekönigs das alsbald zur Aufführung gebrachte Schauspiel „Der Volksfreund“. Der Amtsantritt des neuen Vicekönigs Francisco Barreto führte indirect eine schmerzliche Wendung in des Dichters Leben herbei. Bei den nicht enden wollenden Festlichkeiten und Gelagen trat nämlich die Verderbtheit aller Stände so sehr zu Tage, daß Camoens die schreckliche Satire „Das Turnier“ schrieb und nach Lissabon schickte, wobei er den Wunsch äußerte, sie möge entweder gar nicht oder anonym veröffentlicht werden. Dennoch wurde die Sache ruchbar; der Verfasser machte sich Feinde, und der Vicekönig bestrafte ihn, indem er ihn als „Ober-Intendanten der Güter verstorbener und abwesender Landeskinder“ nach Macao versetzte – dem äußersten Punkte, den Europäer bislang im Osten besetzt hatten. Als Vorwand diente die angebliche Absicht, dem nothleidenden Camoens Gelegenheit zu Geldverdienst zu geben. Während der im März 1556 begonnenen Reise nach Macao litt er an der Küste von Cambodja Schiffbruch, rettete sich aber schwimmend und hielt dabei das Manuscript der bereits in Goa begonnenen „Lusiaden“ mit der Linken aus den Fluthen.

Trotz aller Fährlichkeiten wohlbehalten in Macao angelangt, hatte er alle Hände voll zu thun. Bei seiner Redlichkeit und seinem Muthe war er der richtige Mann, um den zahlreichen Unterschlagungen des Vermögens portugiesischer Kaufleute, die in der Fremde gestorben waren, Einhalt zu thun; als Baccalaureus besaß er auch die für sein Amt erforderlichen juristischen Kenntnisse. In Macao hatte er die ruhigste und materiell beste Zeit seines Lebens, und so konnte er sich denn freien Geistes dem Dienste der Muse widmen. In einer in der Nähe der Stadt liegenden Felsengrotte, welche die Portugiesen jener Colonie noch heute mit Stolz als „Camoens-Grotte“ zeigen, entstand der größte Theil der unsterblichen Heldendichtung „Os Lusiadas“ („Die Lusiaden“), in der er mit unvergleichlicher Schönheit die Größe seines Vaterslandes, die ruhmvollen Thaten seiner Nation verewigte – jenes poetische Monument, ohne das die portugiesische Literaturgeschichte keinen einzigen weltberühmten Namen aufzuweisen hätte.

Zwei Jahre verbrachte Luiz in Macao, und er wäre noch länger dort geblieben, hätte man nicht auf's Neue in Goa gegen ihn intriguirt; er wurde seines Amtes entsetzt und abberufen, um sich gegen die wider ihn erhobenen Beschuldigungen zu vertheidigen. Die über seine Verwaltung angestellte Untersuchung ergab seine Unschuld. Er kam nach Goa ebenso arm zurück wie er es verlassen hatte, und mußte wieder Schulden machen. Erschütternd wirkte auf ihn die Nachricht von dem Tode seiner noch immer heißgeliebten Catharina de Attayde.

Als sich ihm nach einiger Zeit Gelegenheit bot, nach Portugal zurückzukehren, ließ ihn einer seiner unbezahlt gebliebenen Gläubiger in's Gefängniß werfen, wo er seinen Trost in der Poesie suchte. Er wurde zwar bald in Freiheit gesetzt, allein die günstige Gelegenheit zur Heimkehr war versäumt. Den ihm zur Wiedererlangung der Freiheit gratulirenden Freunden gab er ein Banket, bei dem jeder Teller statt eines Gerichtes ein Gedicht enthielt – der unbemittelte Dichter konnte den Leuten eben nur geistige Nahrung bieten. Nun schien Camoens wieder einmal Glück haben zu sollen; den der 1561 ernannte Vicekönig Francisco Coutinho de Redondo, der ihn noch vom Lissaboner Hofe her kannte, that sehr viel für ihn, und der intime Umgang mit dem hervorragenden und edeln Dichter Heitor da Silveira bereitete ihm zahllose genußreiche Stunden. Allein schon nach zweieinhalb Jahren starb jener mächtige Gönner, und alsbald begann die dunkelste Periode in Camoens' Leben. Zwar war ihm auch der nächste Vicekönig, der schon in Ceuta mit ihm freudschaftlich verkehrt hatte, zugethan, und er versprach ihm eine ziemlich einträgliche Stelle in Chaul, die aber bis jetzt noch besetzt war. Allein drei Jahre wartete er vergebens auf das Freiwerden dieses Postens; die Zeit wurde ihm lang, und er fing an, sich ernstlich nach Portugal zurückzusehnen. 1567 erbot sich Pedro, der Neffe Francisco Barreto's, ihn mitzunehmen und lieh ihm zur Tilgung der dringlichsten Schulden eine größere Summe; aber während der Reise erzürnte sich Pedro gegen Camoens aus unaufgeklärten Gründen so sehr, daß er ihn, ohne sich weiter um ihn zu bekümmern, in Sofala (Mozambique) aussetzte, wo er zwei Jahre in größter Noth verlebte, auf die Unterstützung von Freunden angewiesen. Hier vollendete er die „Lusiaden“ und die aus einer langen Reihe kleinerer Gedichte bestehende Sammlung „Der Parnaß“. Im Winter 1569 sammelten einige Freunde das Geld und die Wäschstücke, deren er zur Abfahrt nach Lissabon bedurfte, welche im November erfolgte.

Am 7. April 1570 betrat Camoens nach siebenzehnjähriger Abwesenheit wieder den Boden seiner Heimath – „arm und verlassen, mit dem nackten Leben“, wie es bei Homer von Odysseus heißt. Ueberdies hatten Kerker und Ketten seinen Mannesmuth beträchlich gebeugt, und keine liebende Seele erwartete seine Heimkehr. Er mußte vom Mitleid Fremder leben; denn er besaß nichts, als sein „Lusiaden“-Manuscript. Und dennoch sind die schönsten Stellen dieses Epos diejenige, welche die Seligkeit des Gedankens an eine Heimkehr in's Vaterland behandeln. Wie verändert fand unser Patriot dieses Vaterland, und besonders die Hauptstadt! Die Pest hatte kurz vor seinem Eintreffen eine furchtbare Ernte gehalten; eine Geld- und Handelskrise war ausgebrochen; das Land wurde schlecht verwaltet; das frühere angenehme, ritterliche, literarische Hofleben hatte einem Getriebe religiöser Unduldsamkeit und politischer Ränke Platz gemacht. All diese Umstände erzeugten eine düstere Stimmung, die sich natürlich auch des warmfühlenden Camoens bemächtigte. Es stand zu befürchten, daß bei solchen Zuständen die „Lusiaden“ keine große Beachtung finden würden. Zum wenigsten hatte der Poet bei Hofe zwei Gönner, die ihm (September 1571) beim Könige das Druckprivilegium erwirkten, sodaß „Die Lusiaden“ im Juli 1572 in den Buchhandel kamen, und obschon sofort eine Anzahl Gegner über ihn herfielen, indem sie ihm den Vorwurf machten, er habe zahlreiche neue Wörter und Formen geschaffen, erzielte das Werk einen riesigen Erfolg. Noch in demselben Jahre wurde eine zweite Auflage nöthig, und Pedro da Alcazova Carneiro beantwortete die Frage, welchen Hauptfehler er an den „Lusiaden“ zu tadeln finde, mit dem hübschen Worte: „Den sehr großen, daß [373] sie zu lang sind, um auswendig gelernt, und zu kurz, um ewig gelesen zu werden.“

Des Dichters Ruhm stieg sehr hoch; Tasso bezeichnete ihn als den Einzigen, der in jenem Jahrhundert ihm die Palme streitig machen könne. Dennoch blieb seine Person selbst ziemlich unbeachtet. Der König hatte zwar die Widmung der „Lusiaden“ angenommen, ließ sich den Autor jedoch nicht vorstellen, sondern speiste ihn mit einer auf drei Jahre berechneten und nachträglich auf weitere drei Jahre verlängerten Rente von 15,000 Reis (66 Mark) ab, die aber sehr unregelmäßig, zuweilen gar nicht ausgezahlt wurde und ihren Empfänger auch im günstigsten Falle nicht hätte ernähren können. Für die „Lusiaden“ erhielt er nichts; das Manuscript des „Parnaß“ war ihm von Neidern gestohlen worden – der arme Mann litt also die bitterste Noth, und sein treuer javanesischer Sclave Antonio, der ihm in Macao beigegeben worden war und ihn seither nicht wieder verlassen hatte, soll des Nachts für ihn betteln gegangen sein. „Mein Antonio,“ sagte er einmal zu einem Edelmann, „verlangt zwanzig Reis (circa neun Pfennig) für Kohlen von mir, und ich kann sie ihm nicht geben. Ich sehe mich in großem Elend und habe für nichts mehr Sinn, zu nichts mehr Lust.“

Die wenigen Gedichte, die er noch schrieb, enthielten lauter bittere Klagen. Bald starb auch der wackere Antonio, sodaß der kranke, nothleidende Dichter gänzlich vereinsamte. Die ihm bekannt werdende Verehrung, die das Ausland ihm in viel höherem Maße zollte, als Portugal, bildete seinen einzigen Trost; im Uebrigen hatte er jede Hoffnung aufgegeben. Den Todesstoß versetzten ihm die Nachricht von der Niederlage seiner Landsleute bei Alcazar-Quivir und die Usurpirung des portugiesischen Thrones seitens des Königs von Spanien. Der Niedergang seines Volkes erschütterte ihn tief, und die Anstrengungen, die er im Verein mit anderen Patrioten machte, um die Verschmelzung der beiden Nachbarländer zu verhüten, waren das letzte Aufflackern seiner geistigen Kraft. Er starb, wie er prophezeit, mit dem Vaterlande – am 10. Juni 1580, kurz nachdem eine spanische Armee Portugal besetzt; wenigstens haben sich die Mehrzahl der Camoens-Forscher, sowie die Portugiesen selbst aus guten Gründen für 1580 als Todesjahr entschieden, während Manche das Jahr 1579 vorziehen. Die Sanct Annen-Kirche, in welcher der Dichter begraben wurde, stürzte bei dem berühmten Lissaboner Erdbeben von 1755 ein, und bis vor wenigen Jahren dachte Niemand daran, ihm ein Denkmal zu setzen. Er hatte verlassen und unbeachtet geendet „in einem Spitale,“ wie ein Zeitgenosse berichtet, „ohne daß er ein Betttuch gehabt hätte, sich zu bedecken, nachdem er in Indien triumphirt und 5500 Seemeilen zurückgelegt hatte.“

Beinahe wäre Deutschland zu der Ehre gekommen, die Gebeine des großen Poeten zu beherbergen; denn einige Jahre nach dessen Tode schrieb, wie Pedro Mariz berichtet, „ein deutscher Edelmann nach Lissabon, er würde, falls er wüßte, daß Camoens kein prächtiges Grabmal besäße, mit der Stadt unterhandeln, um die Erlaubniß zu erlangen, die Gebeine nach Deutschland zu bringen, wo er dem Dichter ein herrliches Denkmal setzen lassen würde.“ Mit Rücksicht auf die Würde der Nation lehnte die Stadtbehörde den Vorschlag ab.

Was Camoens, abgesehen von seiner gewaltigen Bedeutung als Dichter, zu Portugals echt nationalem Sänger macht, ist sein unerschütterlicher Patriotismus. Und doch fangen die Portugiesen erst jetzt an, ihn gebührend zu würdigen. Weit mehr wurde er, wie bemerkt, jederzeit im Auslande anerkannt, vornehmlich in Deutschland. Humboldt nannte ihn den „Homer der lebenden Sprachen“; von seinen Werken sind zahlreiche deutsche Uebersetzungen erschienen, und seine Schicksale wurden von deutschen Dichtern dramatisch (von Halm) und novellistisch (von Tieck) dargestellt.

Aus zehn Gesängen von zusammen 1102 achtzeiligen Strophen (Stanzen oder ottave rime) setzt sich das „Die Lusiaden“ betitelte Heldengedicht zusammen, das Avé-Lallemant mit Recht als ein „historisches Feenmärchen“ bezeichnet. In keinem andern Epos sind Wahrheit und Dichtung auf so wunderbare Weise mit einander verschmolzen, wie hier. Den Inhalt bilden die für den Glanz der Nation so wichtigen Entdeckungsfahrten Vasco de Gama's. die Geschichte der Glanzperiode Portugals und die Verherrlichung der heldenmüthigen Eigenschaften, welche die Portugiesen bis zur Mitte des sechszehnten Jahrhunderts kennzeichneten. Die zauberhaften Schilderungen von Völkerschaften, Ländern, Meeren und Seeschlachten, sowie die hochpoetische Verwerthung der altgriechischen Götterwelt entrücken den Leser der „Lusiaden“ förmlich der Wirklichkeit. Kraftvoll und kernig ist die Sprache, wenn von den Helden des Epos, anmuthig und lieblich, wenn von den in die Geschicke der letzteren vielfach eingreifenden Gestalten der hellenischen Mythologie die Rede ist. Wir wollen es nicht versuchen, den Inhalt des großartigen Camoens'schen Hauptwerkes hier wiederzugeben – die „Lusiaden“ wollen, um mit Lessing zu sprechen, „weniger gelobt und mehr gelesen“ sein. Nun denn, Niemand kann den bevorstehenden Gedenktag würdiger begehen, als indem er am 10. Juni „Die Lusiaden“ zur Hand nimmt und von der ersten bis zur letzten Zeile durchliest. Er feiert damit nicht nur Camoens, sondern er verschafft sich auch einen auserlesenen poetischen Genuß.




Aus den Zeiten der schweren Noth.
Familien-Erinnerung an die Tage der Schlacht bei Jena.

In dem offenen Materialwaarenladen in der Saalgasse zu Jena, welcher meinem Großvater, dem Kaufmann und Rathsassessor K., gehörte, herrschte am Vormittag des 12. October 1806 ein reges Treiben. Bauern der Umgegend, die ihre Bedürfnisse an Colonialwaaren hier zu holen pflegten, in weit hinabreichenden Röcken und den Dreimaster auf dem Kopfe, Stadtbürger mit Stulpstiefeln, langen Westen und steifer Halskrause, dazwischen einzelne Studenten in „Koller und Kanonen“, standen in und vor dem Laden in bunten Gruppen, die Köpfe zusammensteckend und eifrig gesticulirend.

Eine Glasthür führte neben dem Laden in die Stube des Herrn Rathsassessors; man konnte hinter ihr den alten Herrn sehen, wie er, die Pfeife im Munde, mit dem Rathsdiener verhandelte und dann und wann mächtige Dampfwolken ausstieß, während sein schmuckes zukünftiges Schwiegertöchterchen, die im Hause zu Besuch anwesend war, ab und zu ging. Jetzt nahm der Rathsdiener ein Actenbündel vom Tische und trat aus der Glasthür unter die Versammelten.

Er hatte die wichtigste Miene aufgesteckt, über welche er verfügte, und ließ den Strom der Andrängenden erst in nächster Nähe sich aufstauen.

„Wißt Ihr jetzt etwas Sicheres, ob die Franzosen heute kommen?“ fragte es durch einander.

„Sie kommen wahr und wahrhaftig,“ antwortete der würdige Rathsdiener bedächtig; „wer noch einen Preußen von der Saalfelder Affaire her im Hause hat, der laufen kann, mag ihm Beine machen, und wer sein Baares oder Pretiosen noch unverwahrt hat, der mag sich dazuhalten, daß er solches gut verschließt oder vergräbt.“

Rasch stob, unter vereinzelten Jammerrufen, ein Theil des Schwarms aus einander, während die Uebrigen den Alten, der sich mit den Ellenbogen Bahn machte, weiter geleiteten, eifrig bemüht, Genaueres aus ihm herauszulocken. Manches böse, zornige Wort fiel, mancher kräftige Fluch – vielleicht gerade um deswillen, weil man wußte, daß man alles Kommende ohne Widerstand über sich werde ergehen lassen müssen.

In dem Stübchen hinter der Glasthür war es still, vor dem Hause einsam geworden. Der Rathsherr dampfte, tief in seine sorgenvollen Gedanken verloren, dermaßen, daß das blühende junge Mädchen, welches diesmal in Begleitung eines dreizehnjährigen Knaben hereintrat, beim besten Willen ein Hüsteln nicht zu unterdrücken vermochte. Der Knabe – nachmals mein Vater – trug eines jener Stammbücher in der Hand, in welche Freunde und Verwandte sich zur Erinnerung einschreiben pflegten und welche leider fast gänzlich durch die modernen Photographien-Albums verdrängt worden sind.

„Papa, Sie haben das noch nicht gelesen,“ sagt der Junge hastig. „Wenn nun die Franzosen kommen und lesen das, da [374] werden sie mir, glaube ich, das Buch wegnehmen, und das sollen sie nicht. Meinen Sie nicht, Papa, daß ich es verstecken muß? Ich weiß schon einen Ort, wo ich es hinthue.“

„Sie müssen es lesen, Herr Vater,“ nickt das junge Mädchen; „was die ersten Beiden geschrieben, würde die Herren Franzosen doch vielleicht reizen, und es wäre schade, wenn dem Jungen die Freude verdorben würde. Nur das Blatt des hübschen kleinen Herrn von Heßlingen ist unverfänglich.“

Drei Officiere des preußischen Grenadier-Bataillons „Graf von Dohna“ waren es, die sich auf den drei Seiten des Stammbuches dort eingezeichnet hatten. Sie waren Tags zuvor, auf dem Rückzuge von Saalfeld her, im Hause des Herrn Rathsassessors einquartiert gewesen, und der frische Knabe, mit dem sie sich viel beschäftigt, hatte die Gelegenheit wahrgenommen, sich eine schriftliche Erinnerung von ihnen zu erbitten. Jetzt befanden sie sich mit dem Gros der retirirenden Vorhut wohl schon bei der Hauptarmee, die unter Hohenlohe zwischen Jena und Weimar stand.

„Des Lebens Mai blüht einmal und nicht wieder,“ las mein Großvater. „Manchem meiner Freunde hat er abgeblüht. – Jena, den 11. October 1806, nach dem Tage der unglücklichen Affaire bei Saalfeldt, wie wir im Begriff standen, unsere gefallenen Kameraden zu rächen und für den Tod des braven Prinzen Louis von Preußen uns die eclatanteste Satisfaction zu nehmen. Lieutenant von Zitzewitz.“

„Sieg oder Tod,“ stand auf dem zweiten Blatte – „gleichviel für mich! Nur nicht diesseits, nein! jenseits dieser Brücke, und in beiden Fällen möge dadurch der für uns traurige Tod unseres geliebten Prinzen Louis von Preußen und unserer gefallenen Brüder gerächt, sein deutscher Vaterstaat und unser Ruhm erhalten sein. Jena, d. 11. Okt. 6. Lieutenant von Oelhusen“ (so glaube ich den etwas undeutlichen Namen lesen zu müssen; denn die vergilbten Blätter aus jenen Tagen liegen jetzt vor mir).

Die gedruckte Abbildung der Saalbrücke neben dem eben Gelesenen erklärte, welche Brücke gemeint war.

Der alte Herr schlug das Blatt um, da hieß es weiter:

„Wenn Dich am Busen der Mutter Natur,
Am birkenumschatteten Hügel
Oder am beblümten Ufer des Silberbachs
Der Jugend Bilder umgaukeln
Und die Erinnerung an Jenas Lieben –
Warm in die Seele Dir strömt,
Dann, kleiner Freund, schenken Sie auch
     öfters die Erinnerung Ihrem für's
     Vaterland und Deutschlands Rechte kämpfenden
     Freunde Fr. von Heßlingen.“

Ihr vergilbten Hoffnungen und Wünsche dreier Menschen, eine wie bittere Enttäuschung war euch bestimmt! Und wer kann sagen, ob die drei Menschen, welche euch im Herzen trugen, diese Enttäuschung überlebt haben bis zu den sühnenden Tagen der Freiheitskämpfe?

Der Großvater ließ das Buch sinken und horchte: lauter Trommelwirbel scholl von der Saale her.

„Sie kommen,“ sagte er erregt, und seine Brauen zogen sich zusammen. Er stand auf und gab dem Knaben das Buch zurück.

Schließ es meinetwegen in Deinen Schrank! sie werden sich nicht viel um ein Album kümmern; dazu haben sie schwerlich Zeit. Geht – geht hinauf und zieht Euch nach Möglichkeit zurück! Ich muß leider auf das Rathhaus.“

Als er bald nachher rascheren Schrittes, als es sonst die rathsherrliche Würde zuließ, auf der Straße dahin schritt, erklang der Lärm der wie ein reißender Bergbach sich durch Jena wälzenden Truppenmassen von allen Gassen her. Der Eilige sah nicht mehr, wie auch die Saalgasse herauf ein Schwarm Franzosen unter wüstem Toben und Schreien gestürzt kam, wie hier eine Hausthür aufgerissen wurde und ein Schwarm im Hausflure verschwand, um in aller Eile Geldeswerth zu erpressen, dort sich eine Gruppe um einen unglücklichen Passanten drängte, um ihn zu plündern und mit ihm Muthwillen zu treiben.

Und jetzt sind ein paar von der Rotte bei dem großväterlichen Hause angelangt, ihnen voran ein langer, rothhaariger Kerl mit widerlich frechem Gesichte – ein Tambour. Er stürzt durch den Laden, durcheilt die Ladenstube und steht da vor der Treppe, gierig sich nach lohnender Beute umschauend.

Da knarren leichte Schritte die Treppe hernieder – es ist die jugendliche Braut, sorglos, nichts ahnend. An ihrem Halse aber funkelt ein goldenes Medaillon. Erst als sie unten angelangt ist, erblickt sie den Franzosen, der im Begriffe steht, auf sie loszuspringen.

Ein Schrei – sie entwindet sich ihm und gewinnt Fluchtfreiheit nach dem geräumigen Hofe, nach dem Hintergebäude zu. Umsonst! Der Franzose ist der Angstbeflügelten dicht auf den Fersen; noch auf dem Hofe ergreift er ihren Arm, hält sie trotz alles Widerstandes und Hülfeschreiens fest und reißt den Schmuck an sich.

Aber er gewahrt ein zweites Schmuckstück – den Verlobungsring am Finger der Braut. Ein neuer Kampf beginnt, doch der Ring, der Treue Zeichen, sitzt zu fest, um so leicht, wie das Medaillon, eine Beute des Marodeurs zu werden; inzwischen sind die Hülferufe im Hause gehört worden, und der erschrockene Bräutigam hat Zeit, auf dem Schauplatze zu erscheinen, bevor noch der zweite Raub geschehen.

Im Nu ist die Scene verändert: der Franzose hat den Nahenden gehört und den Degen gezogen, indem er zugleich mit verdoppelter Anstrengung an dem Ringe zerrt. Wer weiß – ein unseliger Einfall, und der Hieb saust vielleicht auf die weichen Finger der armen geängstigten Braut –? Aber schon hat der Bräutigam den Arm des Unholds mit jener Kraft gepackt, mit der ein Mensch sein Liebstes vertheidigt. Ein wüthendes Ringen folgt – die überlegene Körperkraft des Franzosen ist gebunden, da er den Ring nicht läßt; dennoch schwirrt der Degen bedrohlich in der Luft, und ein paar heisere Flüche bezeugen, daß die Wuth in dem Räuber sich zu regen beginnt –

Da plötzlich rasseln Trommeln draußen auf der Straße. Noch eine gewaltige Anstrengung – der Ring hat sich vom Finger gelöst. Ein kräftiger Stoß gegen den Angreifer giebt dem Franzosen die Freiheit, und er stürzt hastig mit seinem Raube in das Haus zurück und auf die Straße.




Die Entscheidungsschlacht bereitete sich vor. Napoleon, der gleichfalls über die Saalbrücke nach Jena gekommen und, wie meine Großmutter mir so oft geschildert, auf schönem Muschelwagen durch die Stadt gefahren, begriff rasch mit sicherem Feldherrnblick den Vortheil, den ihm die Preußen gelassen, indem sie die steil in das Jenaer Thal abfallenden Höhen nicht besetzt hatten.

Noch am 12. October ließ er mühsam Kanonen auf den „Landgrafen“, einen sechshundert Fuß über die Saale sich erhebenden Berg, die steile Schlucht des sogenannten „Steigers“ hinauf schaffen. Auch ein anderer, bequemer Weg durch das Rauhthal wurde ihm verrathen, nachdem, wie der Artikel „Nur ein Schafhirt“ (Jahrg. 1861, S. 233) erzählt hat, ein armer Schäfer seine Weigerung, ihn den Feinden zu zeigen, mit dem Tode bezahlt hatte.

Auf des Landgrafenberges höchster Spitze, dem später „Napoleonstein“ genannten „Windknollen“, konnte Napoleon die preußische Aufstellung übersehen und von hier aus leitete er am 14. October die Schlacht, deren Ausgang die Bürger Jenas mit furchtbarer Angst und Spannung erwarteten. Hatte doch der Kaiser auf dem Galgenberge, einem Hügel dicht an der Stadt, Kanonen aufpflanzen lassen, welche im Falle seiner Niederlage ihm den Rückzug decken und die unglückliche Stadt in Brand schießen sollten. Einen Vorschmack von dem drohenden Verhängniß gab das Auffliegen eines Pulverkarrens, durch das ein ganzes Stadtviertel in Brand gerieth.

Der Verlauf der Schlacht ist bekannt; das Vaterland hatte ihn mit Jahren schwerer Knechtschaft zu büßen. Noch einmal durchzogen die Franzosen plündernd die Stadt an der Saale, und der Jenaer Pöbel half bei der Plünderung. Dann ward Ruhe und Ordnung; man ging daran, die Verwüstungen zu beseitigen. Luden schildert in seinen „Rückblicken etc.“, wie noch eine Woche nachher massenhaft zerbrochene Hausthüren und Fensterläden zu sehen waren, die Straßen aufgerissen und voll Unrath gelegen, auf der Brandstätte verzweifelte Menschen suchend die Trümmer durchstöbert hätten, wie die Gesichter der Vorübergehenden blutlos und eingefallen, trübsinnig und scheu ausgesehen und selbst die Kinder verschüchtert und ängstlich seitwärts auf die Franzosen geschielt hätten, welche zurückgeblieben waren und in der Stadtkirche [375] ein Lazareth aufgeschlagen hatten, aus dem ein Wagen nach dem andern die Todten fortschaffte.

Als die Plünderer abgezogen waren, strömte die Bevölkerung aus den Thoren, die Einen auf das Schlachtfeld, Andere dahin, wo man die Todten begrub, wieder Andere nur irgendwohin in’s Freie, um in der geistbefreienden Natur wieder voll aufzuathmen.

Zwei Tage nach der Schlacht war es – da wanderten auch meine Großeltern nebst dem Brautpaare und dem Dreizehnjährigen, der im glücklichen Besitze seines Albums verblieben, um das am Abhange des Landgrafenberges gelegene Berggrundstück der Familie mit seinen hübschen Gartenanlagen aufzusuchen. Während die Uebrigen sich hier unter Gesprächen über die jüngste Vergangenheit und die dunkle Zukunft ergingen, entdeckte der nach Kinderart herumschweifende Knabe, daß hinter dem Grundstück ein Massengrab für französische Soldaten soeben mit Leichen gefüllt wurde. Er kam athemlos mit der Nachricht angestürzt, und bald hielt die kleine Gesellschaft mit Schaudern vor der gähnenden Gruft.

Wagen voller Todten wurden herbeigefahren; in der Gruft selbst standen Arbeiter, welche schwatzend, zuweilen mit rohem Scherze sich über das Grausige der Situation hinweghelfend, einen der starren Körper nach dem anderen in Empfang nahmen und in die Reihe legten. Die Frauen drängten schüchtern zum Weggehen; da fiel ein Wort, welches sie wie ein Bannspruch an die Stelle fesselte.

„Halt!“ sagte eine Stimme in der Grube, „wart’ einen Augenblick! Der Tambour da hat einen Ring am kleinen Finger, und ich will ihn abziehen für meine Alte, damit sie doch auch etwas von den Franzosen aufheben kann.“

Wie ein Blitz flog die frische Erinnerung an den Raub des Verlobungsringes in dem Brautpaare auf – ein paar Schritt nach der Grube zu, und da starrte ihnen das wohlbekannte widerliche, jetzt bleiche und vom Todeskampf verzerrte Antlitz des rothhaarigen Franzosen entgegen. Am kleinen Finger seiner Linken, welche der Arbeiter eben emporhob, blinkte ein schmaler Goldreif.

Der Bräutigam ließ den Arm der Braut los und beugte sich hinab: wenige Worte der Verständigung genügten; der Arbeiter reichte den Ring herauf. Es war der geraubte.

Erschüttert sah sich das Paar eine Secunde lang in die Augen. Dann nahm der glückliche Bräutigam das wiedergefundene Symbol der Treue zwischen die Fingerspitzen und streifte es mit schweigendem Ernst der Geliebten an den Finger. Und wie sie bleich und bebend dastand, nahm er sie in den Arm und küßte sie auf die erblaßten Lippen. „Unverlierbar!“ sagte er.

Der Ring ist noch heute als theures Vermächtniß in der Familie erhalten, eine sprechende Erinnerung an die Tage der Unglücksschlacht und an eine Schreckensstunde, zu welcher die Familienchronik den vorstehend wiedergegebenen Commentar liefert.

R. K.




Chioggia, die Fischerstadt.[1]

„Was in aller Welt gedenken Sie in ‚Dschosa‘, dem Fischerneste, zu treiben? Dort finden Sie erstens arme Leute, zweitens Bettelleute und drittens Leute, die gar nichts haben. Wünschen Sie ‚Dschozzoten‘ zu sehen, so besuchen Sie lieber die Gallerien! Dort finden Sie solche von Meisterhand gemalt.

Mit diesen Worten beantwortete der Sandwirth von Venedig, der Herbergsvater und Berather aller fahrenden deutschen Künstler und Schriftgelehrten, meine Frage nach dem nächsten Lagunendampfer, der mich nach Chioggia führen sollte. Wider Absicht wuchs meine Entgegnung zu einem kleinen Vortrag an über eine Art von classischer Armuth, die, gleich fern von aller Culturwohlthat wie allem Culturelend, die beste Bewahrerin alter, naiver Volkssitten ist und die das öffentliche Interesse ebenso gut verdient, wie die tausend Ellen bemalter Leinwand und die steinerne Märchenpracht von Sanct Marcus.

Es war gar nicht nöthig, mit dem Goethe’schen Wort vom Hineingreifen in’s volle Menschenleben abzuschließen; auch dem Sandwirth erschien in diesem Licht ein lebendiger Chiozzot immerhin noch interessanter als ein gemalter; er warf seinen Mantel über, empfahl sein Hôtel auf einige Tage der Frau Sandwirthin, dampfte mit mir gen Chioggia und ist mit seiner Kenntniß des seltsamen Chiozzotendialektes nicht von meiner Seite gewichen, bis ich ihm sagen konnte: „Meine Studien sind beendet, ich danke Ihnen von Herzen.“

Die sechzehn Seemeilen Fahrt auf der Lagune gehören zweifellos zu den anziehendsten Reisestrecken, welche die graue Vergangenheit unserem Touristenzeitalter bereitet hat. Zur Rechten dehnt sich unabsehbar das prächtige blaugrüne Gewässer mit seinen Hunderten von kleinen flachen Inseln aus, das man oft als Sumpf verleumdet hat. Zur Linken begleitet uns bis Chioggia ein schmaler Inselstreifen, der durch das ewige Zusammenstauen der Salz- und Süßwassermassen entstanden ist, und dahinter wogt die majestätische Adria und umspült die Grundmauern jener Tausende von malerischen Heimstätten, welche der kecke Erdensohn auf dem schmalen Streifen errichtet hat.

Diese Häuserkette zieht sich von Malamocco bis über Palestrina hinaus und ist nur dort unterbrochen, wo das Meer seine Einfallspforten offen hält und seine Wogen in die friedfertigere Lagune hereinrollt; dabei wird der Landstreifen an manchen Stellen so schmal, daß man von hier einen Stein über die Häuser hinweg in’s Meer werfen könnte. Hunderte von Fischerbooten mit dem classisch-lateinischen Segel, prächtige Fregatten der jungen italienischen Marine, schwarze, unansehnliche englische Poststeamer, die lautlos, wie Geisterschiffe, mit erstaunlicher Schnelligkeit den Silberspiegel der Lagune aufpflügen, beleben die krystallenen Straßen.

Hinter Porto di Malamocco beginnen die Murazzi, die Riesenmauern, deren Gesammtlänge 5227 Meter, also nahezu zwei Wegstunden beträgt. Die Venetianer errichteten sie im vorigen Jahrhundert, und sie bilden gleichsam das Schlußwerk jener großartigen veretianischen Bauten, vor denen man noch heute mit offener Bewunderung stehen bleibt. Diese Murazzi mußten errichtet werden, weil im Süden der Lagunen die Nehrung nicht allein das Meer zurückhalten konnte, wenn ein Sirocco große Wassermassen in die buchtartige Adria hinauftrieb; die Städte Chioggia, Sottomarina und Palestrina würden wahrscheinlich jetzt von den Fluthen weggespült und Venedig mindestens schwer bedroht sein, wenn die Murazzi nicht stünden. Die Höhe beträgt 10 bis 15 Meter, wovon der größere Theil unter Wasser steht; das Profil stellt ein verschobenes Dreieck dar, dessen obere stumpfe Ecke einen bequemen, schönen Fußweg trägt. Das Gestein zu der halben Million Kubikmeter Mauerwerk lieferten die istrischen Marmorbrüche.

Die lange Gallerie von Seestücken findet mit Sottomarina und Chioggia einen überaus anziehenden Abschluß; sie liegen so flach auf dem Wasserspiegel auf, daß man vermeint, die Wellen, die der kleine Lagunendampfer aufwirft, müssen sie schon unter Wasser setzen; nun kommt hinzu, daß sich das perspectivische Verhältniß beider Orte während der Einfahrt stark verschiebt; dadurch gerathen sie scheinbar in Bewegung, sodaß man in Zweifel sein könnte, wer vorwärts schwimmt, sie oder der Dampfer.

Der Grundplan Chioggias ist leider langweilig und nüchtern, wie der einer jungen amerikanischen City. Die Hauptstraße Vittorio Emanuele und, durch eine Häuserreihe getrennt, der Canal della Vena theilen die Stadt in zwei Hälften; umgürtet ist sie in Hufeisenform vom Canal Lombardo, dessen inneres Ufer Häuserreihen und dessen äußeres kleine Inseln und seichte Lagunen bilden. Quer durch den Ort aber schneidet eine große Anzahl kleiner, enger, durchweg gerader Gassen, die sämmtlich am Canal Lombardo endigen. Jedes einzelne dieser Gäßchen würde ein köstliches Modell für verwahrloste Architektur darstellen – glaubt man doch im ersten Anblick Brandruinen von sich zu haben. Unförmliche Schornsteine erheben sich im Freien; die Mauern sind roh und brüchig; der Kalkbewurf fehlt bis zum ersten Stockwerk gänzlich; die vergitterten engen Fenster sind oft in barocker Laune über die weiße Mauerfläche vertheilt, und daneben neigen sich altersmüde Fensterladen traurig herab nach dem Beschauer, und vielfach sind sie noch garnirt mit sehr fraglichen Wäschestücken. Hier wohnen die armen Fischer, welche 90 Procent der 28,000 Köpfe zählenden Stadtbevölkerung ausmachen, und im anstoßenden Canal Lombardo liegen an hohen Festen, zu denen sie stets heimkehren,

[376]

Die Fischerstadt Chioggia. Nach einer Originalzeichnung von Fritz Stoltenberg.
1. Hafen der Fischerbarken. 2. Wasserschöpfende Chiozotinnen. 3. Fischerhütten. 4. Heiligenbilder am Hafen. 5. Kleine Fischerboote. 6. Schiffswerft. 7. Fischerwohnungen. 8. Ponte Garibaldi. 9. Krebs- und Aalkörbe.

[377] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [378] gegen 8000 Fischerbarken und zweimastige Küstenfahrer. In solchen Tagen scheint die Stadt von einer Legion von Riesenbajonnetten umschlossen zu sein.

Ein Besuch der nahen Murazzi wird mindestens den Leser nicht gereuen. Wir suchen sie bei Mondschein auf. Ein schweigsamer Chiozzot rudert uns hinüber nach Sottomarina, und wir beschreiten von hier die Riesenmauern. Das Meer liegt im ewigen Selbstgespräch und bricht sich plätschernd in den Hohlräumen der Schutzblöcke, die in barocker Unordnung den Fuß der Mauern bedecken. Auf der andern Seite liegt in stillem Frieden die Lagune; in unermeßlicher Tiefe ruht ein zweiter gestirnter Nachthimmel, der die Wölbung über uns zur Vollkugel gestaltet, und auf einem Silberstreif schlafen die stillen, schwimmenden Städte mit ihren seltsamen Contouren, die jede ein so vollkommenes Doppelbild geben, als hätte man sie auf einen ungeheueren venetianischen Spiegel hingestellt.

Setze dich hin auf die Murazzi, schließe die Augen eine Weile, suche dich auf einen Augenblick der Wirklichkeit zu entrücken, öffne sie dann wieder – und du hast eine völlig übersinnliche Landschaft vor dir.

Leider sind die Murazzi bei Sturm nicht zu begehen, es sei denn, daß man riskirt, wie ein Kork hinweggespült zu werden. Wie Sturmcolonnen läßt dann das Meer seine Wogen heranrollen, und wenn sie auch ohnmächtig an den Marmorblöcken zurückprallen, so schleudern sie doch in ihrem Grimm Springfluthen hinüber in die Lagune, die genügen würden, eine Fischerbarke mit einem Schlage zu füllen und in den Grund zu drücken.

Wenn man zur Winterszeit die Gassen von Chioggia betritt, könnte man des Glaubens werden, ein Bettelorden bevölkere die Stadt. Die Männer tragen lange, braune Kapuzinermäntel mit spitzer Kapuze und von unbeschreiblich grobem Gewebe. Im Sommer ersetzt den Mantel eine Jacke aus gleichem Stoffe und ebenfalls für Sturm und Regen mit Kapuze versehen. Die Chiozzotin kleidet sich in englischen Kattun. Eigenartig ist, daß sie die Schürze bei üblem Wetter an der Kehrseite anbringt; sie nimmt dieselbe über den Kopf empor und hat sich mit dieser einfachen Toilettenwandlung das Aussehen einer Nonne gegeben.

Verwittert und rauh, wie sein Kleid, sind auch die Gesichtszüge des Chiozzoten. Elf Monate im Jahre schwebt er in seiner Nußschale auf dem Wasser unter Gottes freiem Himmel, und die tausend Seestürme, die um seine Nase pfeifen, sind eben kein Conservirungsmittel für weiche, glatte Haut. Man sieht junge Männer und selbst halbwüchsige Burschen mit Wetterfalten, und die Greise zeigen ein Antlitz, in welchem jede Spur der indoeuropäischen Rasse in tiefen Falten begraben liegt; dazu kommt, daß einer auffällig großen Zahl dieser Veteranen des Meeres die Augen erloschen sind. Die Hornhaut ist bläulich-weiß geworden, wie trübes Milchglas. Solche Blinde beleben zu Dutzenden die Straßen und gehen mit aufgerichtetem Antlitz einem Schimmer nach, der durch die verwitterten Fenster ihres Geistes hereindringt.

Die Chiozzoten sind der Meinung, die scharfe Seeluft verzehre den Spiegel der Hornhaut, ein See-Officier dagegen wollte mich dahin aufklären, es komme vom Waschen im Meerwasser.

Bei all diesem wilden, verwahrlosten Aussehen hat der Chiozzot nichts vom Briganten an sich. Unter dem zottigen, dichten Stirnhaar blickt ein harmloses, gutmüthiges Auge hervor, und die völlig natürliche, affectfreie, selbstbewußte Haltung spricht ebenfalls von einem schlichten, redlichen Männerherzen. Vom lateinischen Typus, der dem Brigantenhaften so günstig liegt, haben sie fast nichts geerbt; sie erinnern mit ihrem sehnigen Körperbau und ihren derben Zügen eher an Nordländer; mindestens hat die bekannte italienische Grazie bei ihnen völlig Schiffbruch gelitten. Auch sind sie bei weitem nicht so lebhaft, wie ihre Stammesgenossen; man sagt, der Venetianer Schiffer braucht mehr Worte beim Löschen eines Weinfasses, als der Chiozzot beim Austrinken. Nur die Freude am Farbigen haben Beide gemein. Eine rothe Mütze, ein rothes Halstuch und im Nothfall nur eine rothe Tascheneinfassung am Mantel, das sind des Chiozzoten Ideale in Bezug auf Kleidung. Die Sandalen und die malerischen Bundschuhe hat er leider durch abscheuliche Holzpantoffeln ersetzt. Stiefel kennen die Fischer von Chioggia nicht. Einige von ihnen besitzen marineblaue Festgewänder, die einen traditionellen Zuschnitt haben; sie führen darin am Meeresstrand Tänze auf oder brilliren damit bei Ruderkämpfen. Das alte Venedig entsendete die costümirten Chiozzoten öfter zu den großen Genueser Seefestlichkeiten, und sie sollen stets mit hohen Ehren dort bestanden haben.

Graziöse Frauengestalten mit der venetianisch tiefen, träumerischen Augengluth hat die Stadt nicht aufzuweisen; das harte Gewerbe der Männer scheint auch auf die Frauen zurückzufallen.

Wie alle Naturkinder, sind auch die Chiozzoten religiös, aber sie sind dies nicht im kirchlichen Sinne. Ihr Gott ist jener Gott, der ihnen die Fische in's Netz treibt, günstigen Wind schickt, oder in Stürmen zu ihnen redet und ihre Nußschale tanzen läßt auf den Wogen der Adria; dabei sind sie sehr abergläubisch und mit allerhand Vorahnungen behaftet. Ihr Gewerbe gestattet keine bestimmte Zeiteintheilung für Schlafen und Wachen, und so sitzen sie meist bei nächtlicher Weile in ihren stets offenen Tavernen und erzählen sich mit tonloser Stimme die haarsträubendsten Geschichten aus der Geisterwelt. Dabei sind sie keineswegs durch Wein erhitzt; sie trinken meist nur Kaffee à Tasse 5 Centesimi (4 Pfg.). In ihren Köpfen leben alle die Meerungeheuer, die flüsternden und singenden Geister der Luft noch, die zum Theil Shakespeare aus italienischen Novellen in seine Dichtungen übertrug.

Die Geistlichkeit hat mit den Chiozzoten ein schweres Stück Arbeit; sie ist gezwungen, die volksthümlichste Sprache zu reden; sie muß selbst den Humor zu Hülfe nehmen, wenn sie diese schlichten Gemüther fesseln will. Die Männer wollen verteufelt wenig von dem Kirchengott wissen, der seine Sammelbecken hinter den Kirchthüren aufgepflanzt hat, und die Frauen und Kinder sind nur dann bei der Katechese festzuhalten, wenn der Geistliche sich in seiner Methode den Policinellovorstellungen nähert. Schulen kennt der Chiozzotenknabe nicht; mit sieben Jahren schon muß er mit hinaus auf die hohe See.

Auch in politischer Hinsicht hat sich das Völkchen keine Ideale gebildet. Die Regierung, die es am billigsten regiert, ist ihm die beste. Aus diesem Grunde sind die Oesterreicher mit ihrem für die Armen allerdings sehr günstigen Steuersystem in sehr gutem Andenken geblieben.

Trotz des gemessenen Wesens geräth doch zuweilen das südliche Blut in Wallungen, und Revolten entzünden sich dann rasch, wie schlagende Wetter. Im jüngsten Frühjahr erhob sich die ganze anwesende Fischerbevölkerung gegen die Stadthäupter, steinigte und vertrieb sie, und was war der Grund davon? – ein Polentakessel. Die Armuth der Chiozzoten gestattet nicht, daß sich jede Familie ein solches Kupfergefäß anschaffen könnte, in denen sie allwöchentlich die Polenta, ihre Hauptnahrung aus Mais und Oel, bereiten. Nun leben in der Stadt einige Kesselverleiherinnen, die für drei Centesimi je eine Polentabereitung ermöglichen. So war es gekommen, daß ein Steuereintreiber fälschlich seine Hand auf einen entliehenen Polentakessel gelegt hatte; die Verleiherin kommt dazu, erhebt ein echt italienisches Weibergeschrei; die anderen Weiber laufen herzu und schreien aus Leibeskräften mit; sie entreißen dem Auspfänder den Kessel und prügeln ihn weidlich durch; die Männer mischen sich ein, ziehen vor's Stadthaus, werfen die Fenster ein und verjagen die Häupter der Stadt. Den Schlußact inscenirten zwei Compagnien Militär aus Venedig, und die letzte Scene wird erst in zwei Jahren stattfinden können, wenn die dreißig Verurtheilten wieder auf freiem Fuße sind.

Standesunterschiede kennt der Chiozzot nicht; seine Bedürfnißlosigkeit macht ihn zum wahren Freiherrn; er würde in derselben Haltung, in der er die Riva degli Schiavoni zu Venedig auf- und abgeht, auch über den Marmor eines Königspalastes schreiten.

Die trauliche Häuslichkeit der Germanen ist dem Italiener überhaupt fremd, am allermeisten aber dem Chiozzoten. Die Wohnungen liegen in den beschriebenen engen Gassen; der elende Kamin wärmt nicht; das vergitterte Fenster leuchtet nicht; die dunklen Heiligenbilder machen die öden Wände nicht freundlicher. Das Kanapee, die Pritsche, die dem ärmsten deutschen Haushalt eine gewisse bärenhäutige Bequemlichkeit giebt, fehlt ganz; kein Kätzchen wärmt sich schnurrend die Pfoten; kein Hund träumt, angeregt durch die Ofenwärme, von Jagdabenteuern; kein flatternder Singvogel durchschmettert die graue Luft im grauen Raum; keine Schwarzwälder tickt in gemüthlicher Schläfrigkeit und hebt mühsam aus, um die Zeitenläufte kund zu geben – die einzigen Lichtblicke sind das stets blanke Kupfergeschirr überm Herd und der reiche Kindersegen auf dem Stubenflötz. Daß es den kleinen Nestlingen oft am Notdürftigsten gebricht, die Blöße zu decken,

[379] das darf uns nicht zu sehr philanthropisch anregen. Einmal müssen die Kleinen für ihren Beruf abgehärtet werden, und dann hat man den Trost, daß es ihnen nie an Nahrung fehlen wird. Ein Chiozzotvater kann eben nur schwer das Linnen für ein Hemdchen beschaffen, aber er könnte doch zwanzig Kinder mit Leichtigkeit ernähren; das Meer ist ja ein unverwüstlicher Ackergrund, und den Mais zur nahrkräftigen Polenta liefert das gottgesegnete Land in hundertfältiger Frucht.

Auf den Schiffen gestaltet sich das Bild weit freundlicher; sie sind nicht alles Schmuckes bar, wie die Wohnungen; einige Fahrzeuge tragen sogar recht gefälliges Schnitzwerk, andere sind wenigstens bemalt. Der häufigste Zierrath ist ein goldener und im Falle des Unvermögens ein gelber Engel, der mit vollen Backen die Posaune bläst. In der Mitte sind die Schiffe offen; der vordere Theil birgt das Magazin für Netze, Geräthschaften und Trinkwasser, in der Cabine am Steuer ist der kleine Feuerherd aufgemauert, an dem auf offener See die Fische für den eigenen Bedarf bereitet werden. Sonderbarer Weise schläft der Chiozzot nicht in einem der gedeckten Räume; er breitet im Mitteltheil seine Binsenmatte aus, deckt sich mit dem Himmel zu und läßt sich von den spielenden Meereswellen einsingen. Nur im Sturm erhält auch dieser Theil des Schiffleins seine Bedachung.

Je zehn bis zwanzig Boote vereinigen sich zu gemeinsamer Arbeit und steuern hinaus auf die heimtückische Adria. Ist das Wetter ihrem Handwerk günstig, so sind die Leute oft mehrere Tage und Nächte ununterbrochen beim Fang, sie sind aber dann auch wieder im Stande, auf schwankender Lagerstätte in eine Art Winterschlaf zu verfallen und den veritabelsten Orkan zu verträumen.

Alle Finessen der Fischerei sind natürlich dem Chiozzoten bekannt: er angelt; er katschert; er fischt und krebst in Körben; er harpunirt – kurz, er hat für jedes nutzbare Seegethier eine eigene Methode, eigene Werkzeuge, und die Tradition hat ihm Zeiten und Umstände überliefert, die am erfolgreichsten für die mannigfachen Fangarten liegen. Zuweilen machen die Leute Riesenfänge, zu denen sich eine größere Anzahl Barken vereinigen; sie werfen Schleppnetze aus, bilden einen weiten Halbkreis und treiben alles Gethier, was sich zufällig in dem gefährlichen Rayon tummelte, gegen eine Sandbank. Sind die Fischkästen gefüllt, dann sieht der Chiozzot nach dem Wimpel, hißt das Segel auf und steuert gerades Wegs auf die Stadt los, die am günstigsten vor dem Winde liegt. So kommt es, daß bald Venedig, bald Triest, bald Zara oder Brindisi mit Fischern aus Chioggia förmlich belagert wird.

Was Menschenwitz in der Wetterprophezeiung überhaupt vermag, das sollen unsere Fischer leisten. Der Flug der Vögel, die Farbe des Wassers, die Windrichtung, die Zähigkeit oder die Trockenheit des Segeltuchs – das sind ihre Wettergläser. Ich weiß nicht, was an dem Ruf Wahres ist; merkwürdig erschien mir die Uebereinstimmung. Ohne jegliche Verabredung erscheinen Hunderte zu gleicher Zeit im Hafen oder verschwinden aus demselben wie auf einen Geisterwink.

Zu jedem gefahrvollen Handwerk gesellt sich ein gewisser Gleichmuth gegen das Leben, bei dem Chiozzoten aber wächst dieser zur Lebensverachtung an. Ich habe zwar nichts Näheres über den Procentsatz erfahren können, der draußen auf hoher See zu Grunde geht, er soll aber ein ganz erschrecklicher sein. Thatsache ist, daß in keiner italienischen Stadt nach dem Einwohnerverhältniß so viele Wittwen ihr Leben fristen, wie zu Chioggia.

Es sei hier zum Schluß ein Wechselgesang der Fischer citirt, der den meisten Lesern als Ausfluß eines verwilderten Gemüthes erscheinen wird, in Wirklichkeit jedoch nichts weiter ist, als ein etwas drastischer Ausdruck für die allgemeine Lebensverachtung, die sich naturnothwendig jedes Menschen bemächtigt, der unausgesetzt dem Tod in’s Auge schauen muß. Dem Sinne nach und abgekürzt lautet der Gesang:

Der Sohn ruft:

„Vater, Vater, ich ertrinke.“

Der Vater singt, indem er Feuer anschlägt:

„Pinke, pinke, pinke, pinke!“

Der Sohn:

„Mich verschlingt das Element!“

Der Vater:

„Wart’ nur, bis die Pfeife brennt!“

Wir sehen, bei diesem Völkchen haben selbst die Elementargewalten ihre Autorität eingebüßt; die Regierung und die Geistlichkeit kann sich also mit ihnen trösten.

Th. Gampe.




Blätter und Blüthen.

Ein Feierabendhaus. Feierabend! Welch süßer Klang schon in dem Wort! Ein Klingen wie Abendglocken – Heerdengeläut – Vogelgesang – Kinderjubel muthet uns daraus an, so anheimelnd für's Ohr und Herz, und weckt uns Erinnerung und Sehnsucht nach den glücklichen Tagen der Kindheit, wenn wir alt und müde geworden – und nach der fernen deutschen Heimath, wenn wir draußen in der Fremde sind.

Feierabend – des Lebens! Ein friedlich Ausruhen nach des Lebens Last und Sorge im behaglichen Heim, im Kreise liebevoll sorgender Kinder und zärtlicher Enkel. Auf einem solchen Feierabend ruht des Himmels Segen, wie ein rosiger Sonnenuntergang. Wohl dem, der dies an sich selber erfährt!

Aber wehe dem, der diesen Segen und diesen Frieden nicht kennt! Wehe dem heimathlosen, müden Wanderer, der an seinem Lebensabend nicht weiß, wohin sein Haupt legen! Wehe dem Arbeiter, der alt und krank und kraftlos nichts mehr erwerben kann – und keinen Sparpfennig, keine liebevoll sorgenden Kinder, kein friedlich Heim hat! Hinaus mit ihm auf die öde Landstraße, den Bettelstab in der Hand – in’s Armenhaus – in’s Hospital – auf den Armenkirchhof!

Und solcher todtmüden, hungernden, heimlosen Arbeiter giebt es auf dieser unvollkommenen Welt Millionen: Arbeiter der Hände und Arbeiter des Geistes, die kein friedlicher Feierabend erwartet, wenn die Sonne untergeht. O, wer diesen Armen und Elenden helfen, wer ihnen einen sorgenlosen Lebensabend bereiten könnte – ein friedlich Sterben und ein freundlich grünes Grab!

Das können wir nicht – bei Allen! Aber gewiß bei Einzelnen. Und da wir’s können, ist es auch unsere Pflicht, es zu thun: Jeder nach seinen Kräften und seinem Können – Jeder an seinem Platze und in seinem Kreise.

Und so komme ich heute zu den Hunderttausenden und aber Hunderttausenden, deren Auge auf dieses Wort fällt und die da helfen können, wenn sie wollen, mit der herzlichen Bitte: laßt uns einen kleinen Anfang machen mit einem solchen Feierabendhause für eine Classe vereinsamter alter müder Arbeiterinnen, die kein Heim und kein Brod haben!

Es sind Arbeiterinnen des Geistes und des Herzens, für die ich bitte; Arbeiterinnen, wie sie vielleicht auch für Dich, lieber, glücklicher Leser, wahrscheinlich aber für Dich, liebe, glückliche Leserin, ihre besten Kräfte, ihre treueste Sorge, ihre reinste Liebe gegeben haben.

Ein oft gebrauchtes Wort sagt: die strahlenden deutschen Siege unseres Jahrhunderts hat der deutsche Schulmeister erfochten, der unsere wackeren Soldaten erzog und lehrte. Die Siege, welche unsere deutsche Lehrerin errungen sind weniger geräuschvoll und weniger prunkend, aber sicher ebenso wichtig und bedeutsam für das Vaterland. Sie erzieht, lehrt und bildet unsere Töchter zu deutschen Hausfrauen und Müttern heran, zum Schmuck und zur Krone des Hauses, zum Segen der Familie – zum Wohle des Staates.

Und was ist ihr Lohn – ihr Feierabend?

Abgenutzt – wird die deutsche Lehrerin und Erzieherin fortgeworfen, wie altes, rostiges Eisen. Hunger und Kummer, Sorge und Noth sind ihr Dank. Sie hat nicht einmal ein ruhiges Plätzchen zum Sterben.

Die altmodische deutsche Gouvernante ist bei uns längst zum Typus der lächerlichen alten Jungfer geworden, mit der Jeder ungescheut seinen Scherz und Spott treiben zu dürfen meint. Die gedankenlose – und in dieser Gedankenlosigkeit nur zu oft bitter grausame Welt vergißt gar leicht und schnell, was diese lächerliche alte Schulmamsell, diese überflüssige alte Jungfer einst, als sie jung und frisch und in der Mode war, treu und opfermuthig gearbeitet hat, Segen um sich her verbreitend, säend und pflanzend zu Blüthe und Frucht.

Der sorgenvolle Gedanke an’s Alter hat schon mancher deutschen Lehrerin und Erzieherin Kummerthränen erpreßt und ihr den schweren, sauren Beruf noch schwerer und saurer gemacht. Ihr winkt kein friedlicher Feierabend. Was sie in langen arbeitsvollen Jahren vom Verdienst selbst bei größter Sparsamkeit zurücklegen konnte, ist gewöhnlich zu wenig zum Leben – und nur genug zum Sterben. Und der Staat, der für seine jungen und alten Invaliden des Schwertes und Zündnadelgewehres sorgt – für diese Invalidinnen des Friedens, die ihr Leben und ihre Kraft nicht weniger dem Vaterlande widmeten, als der Krieger, für die armen, alten, müden Schulfräulein hat der Staat bis jetzt keinen Pfennig und kein Strohdach übrig gehabt. Nur städtische, festangestellte Lehrerinnen können auf winzig kleine Feierabendpensionen hoffen.

Dürfte ich doch den Herrn Reichskanzler und die Herren Minister hiermit recht herzlich und eindringlich bitten: für diese Invalidinnen friedlicher Arbeit doch alljährlich ebenso beredt und, wenn’s sein muß, ebenso drohend vom Staate nur ebenso viele Tausende zu fordern, wie für die Invaliden des Krieges Hunderttausende. Und sollte das nun [380] einmal nicht ohne eine neue Extrasteuer gehen, so fordert auch diese kühnlich vom Lande, das ja der Steuern nicht ungewohnt ist! Fordert diese Lehrerinnensteuer jährlich bei Groschen und Mark ein von den Eltern, deren Töchter die Schule besuchen, gleichviel, ob eine öffentliche oder private, und bei Kronen und Doppelkronen von den Reichen, den Guts- und Schloßherren, die ihren Töchtern eine eigene Erzieherin halten, und Jeder wird die Mark und die Kronen gern bei Kleinem geben, wenn er weiß: diese Steuer kommt dereinst Deiner Lehrerin und Erzieherin zu Gute, wenn sie alt und krank und müde ist. Du sorgst durch diese kleine Abgabe treulich mit für den Feierabend ihres Lebens, an den die Arme jetzt nur voll heimlicher Angst denken kann.

Bis dahin aber, bis der Staat für diese seine wackersten und segensreichsten Mitarbeiterinnen etwas Ausreichendes thut, bis er auch ihnen Invalidenhäuser baut und Invalidenpensionen stiftet – bis dahin sind wir auf Selbsthülfe angewiesen.

So dachte auch ein Kreis von herzensmuthigen Lehrerinnen Rheinland-Westfalens, und sie schossen ihre Groschen und Mark zusammen und veranstalteten kleine Verloosungen zu einem Feierabendhause für die Invalidinnen der Schule – und waren hochbeglückt, als sie hierzu 3000 Mark beisammen hatten.

Das opferfreudige Streben rührte einige edle Männer und Frauen; sie bildeten vor Jahresfrist einen Verein: den müden Lehrerinnen ein Feierabendhaus bauen zu helfen – in dem freundlichen grünen braunschweigischen Städtchen Gandersheim am Harz, in der Nähe der Heilquellen des Herzog-Ludolf-Soolbades. Der Vorsitzende des Vereins ist Superintendent König zu Witten bei Bochum, der Cassirer Gottfried Bansi in Bielefeld. Die vierundzwanzig stimmberechtigten Vorstandsmitglieder gehören meistens dem Lehrerstande an.

Ordentliches Mitglied des Vereins wird jede deutsche Lehrerin und Erzieherin durch Einzahlung von fünf Mark und einen Jahresbeitrag von drei Mark. Außerordentliches Mitglied kann Jedermann werden durch einen Jahresbeitrag von wenigstens drei Mark, oder durch eine einmalige Gabe von wenigstens sechszig Mark.

Das Feierabendhaus für Lehrerinnen und Erzieherinnen wird den Namen „Wilhelm-Augusta-Stift“ erhalten, zur bleibenden Erinnerung an die goldene Hochzeit unseres Kaiserpaares – und in der Hoffnung, daß die Kaiserin Augusta das Protectorat übernehmen werde, sobald die Statuten von der Regierung bestätigt worden sind.

In diesem Wilhelm-Augusta-Stift kann jede deutsche Lehrerin und Erzieherin für ihren Lebens-Feierabend ein Ruheplätzchen finden, wenn sie ordentliches Mitglied des Vereins, 55 Jahre alt oder bei 40 Jahren dienstunfähig geworden ist und mindestens 15 Jahre unterrichtet hat. Auch ein Eintrittsgeld von 300 Mark und eine kleine Jahrespension werden anfangs gefordert werden müssen, bis die Vereins-Mittel es erlauben, darauf zu verzichten. Jede Pensionärin erhält ein freundliches Zimmer nebst Schlafcabinet, freie Verpflegung und freie Curkosten und Bäder im Herzog-Ludolfs-Bade.

Das Vereinsvermögen wuchs mit der Zeit auf 12,000 Mark an. Vor einigen Wochen versuchte auch ich, angeregt durch ein eifriges Vorstandsmitglied, zum Bau mein Sandkörnlein beizutragen. Ich schrieb, anknüpfend an die berühmte alte Gandersheimer Nonne und Dichterin Hroswitha, die vor neunhundert Jahren lebte und sich selber „Clamor validus Gandershemiensis“ nannte, einen Aufruf zum Bau eines Feierabendhauses: „Die mächtige Stimme von Gandersheim“. Diese Stimme ist, wenn auch nur von wenigen großen Zeitungen weiter getragen, nicht wirkungslos verhallt. Dafür zeugen die Hunderte von Zuschriften und die reichen Gaben, welche mir in kaum drei Sammelwochen von allen Seiten zuflossen. Es sind über 1600 Mark, darunter viele Jahresbeiträge, meistens gesammelt in dem kleinen Kreise, der sich um die drei Städte Magdeburg-Leipzig-Halle schließt. Aus unseren großen reichen Städten: Hamburg, Bremen, Köln, Hannover, Braunschweig, Dresden, Breslau, Danzig, Königsberg, Stettin, Stuttgart, München ist bis jetzt kein Pfennig gesandt, weil dort meine Bitte für unser Feierabendhaus noch nicht bekannt geworden.

Um so dankbarer müssen wir jetzt der „Gartenlaube“ sein, die freundlich bereit ist, diesen neuen Aufruf hinaus zu tragen in alle deutsche Lande – und über die Meere in ferne Länder, so weit die deutsche Zunge klingt.[2]

Dieser Erfolg erst giebt mir die frohe Zuversicht: wir werden schon im nächsten Frühjahr in Gandersheim, während die Stadt das tausendjährige Jubiläum der Stiftung der alten Abtei durch Herzog Ludolf feiert, den Grundstein zu unserem Feierabendhause legen können – und wir werden nicht in den Fundamenten stecken bleiben. Die Leser der „Gartenlaube“ haben ja schon oft bewiesen, daß sie das Herz auf dem rechten Flecke haben, bauen zu helfen, wo es ein großes, edles, deutsches Nationalwerk gilt.

Und Jeder von Euch, liebe Leser, kann redlich bauen helfen, wenn er nur redlich will. Der Reiche giebt Goldkronen, Bauholz, Steine – der Arme trägt ein wenig Sand herbei – in Briefmarken. In ähnlicher Weise habe ich auf der kleinen Halbinsel Mönchgut bauen sehen. Das ganze Dorf, Jung und Alt half am Bau. Unten wurde gemauert und gezimmert – und oben wurde schon das Strohdach gelegt. Frauen und Kinder schleppten Sand, Steine, Wasser und Stroh herbei – Jeder nach seinen Kräften und seinem Vermögen. Laßt uns an diesen weltverschollenen, armen Insulanern ein Beispiel nehmen – und Ihr werdet selber Eure Lust daran haben, wie wunderbar schnell der Bau uns unter den Händen aufwächst.

Damit genug für heute – und Gott befohlen! Ich hoffe, wir begrüßen uns an dieser Stelle noch ein oder das andere Mal als gute Freunde. Zunächst habt Ihr das Wort – in klingenden Briefen und Postanweisungen. Die Adresse ist die unterzeichnete:

Blankenburg am Harz.
Arnold Wellmer.




„Decoration-day“.[3] „Der Yankee hat kein Gefühl für etwas Höheres; ihm gilt sein ‚time is money‘ mehr als Alles auf der Welt“ – wie oft hört man diesen Ausspruch, und mit wie stolzer Miene schlägt der Pharisäer an seine Brust und ruft in eitler Selbstüberhebung: „Herr, ich danke Dir, daß ich nicht bin, wie jene nach Reichthümern jagenden Amerikaner!“

Ob aber der Yankee mit seiner kühlen Außenseite nicht ein tieferes Gefühl in sich birgt, als Jener, der sein Herz offen zur Schau trägt – darüber ist schwer zu rechten. Wahr aber bleibt es, daß in Amerika Wohlthun und Nächstenliebe sich in köstlichster Weise entfaltet haben und oftmals durch einen sinnigen, poetischen Hauch verklärt werden; und ebenso steht es um die nationale Pietät. „Decoration-day“, 30. Mai, liefert dafür den treffendsten Beweis.

Als der Sturm des Krieges 1865 verweht war, als die Brüder der Union sich über rauchenden Trümmern, blutenden Leichen versöhnt die Hände reichten, als dem Norden Amerikas das große Werk gelungen war, die Neger aus ihren Sclavenfesseln zu lösen, da wurden von hoch und Niedrig, von Arm und Reich Geld und Lebensmittel herbeigetragen, um die Noth der Hinterbliebenen der im Kriege Gefallenen zu lindern; als aber für des Leibes Unterhalt genügend gesorgt war, da gedachte man der Todten. –

Denkmäler setzt jede Nation; der einzelnen Schlachttage gedenkt mit stiller Wehmuth jedes Regiment und legt seine Kränze am Monument der gefallenen Cameraden nieder – aber etwas hat die Union vor allen Ländern voraus: die gemeinschaftliche Todtenfeier, die Ausschmückung der Gräber aller Gefallenen, ob Freund – ob Feind, an einem und demselben Tage.

Am 30. Mai kommen die Regimenter zusammen; da ziehen sie aus, hinter sich Wagen, die mit Blumen überladen sind. Bei dumpfem Trommelklang ziehen sie hin zu den Kirchhöfen; dort, unter dem Gebet der Geistlichen, schmücken die Soldaten die Gräber derjenigen, die im Kampf geblieben sind, legen die Blumenspenden nieder und pflanzen kleine Fahnen auf die Hügel.

Es gewährt einen wunderbar rührenden Anblick, wenn man z. B. in Albany, der Hauptstadt des Staates New-York, am „Decoration-day“, auf dem Kirchhof steht. Dort auf einem Plateau liegen wohl weit über hundert Gräber beisammen, in welchen Soldaten gebettet sind. Auf hohem Postament, in Lebensgröße, auf sein Gewehr gestützt, steht ein aus grauem Stein gemeißelter Soldat. Er hält Wache über all den stummen Schläfern dort unten. Das Käppi sitzt fest auf seinem Haupte; der Mantel scheint im Winde sich zu bewegen, und der schwermüthige Ausdruck, mit dem er hinüber nach einem klaren Teiche schaut, der die Grenze zwischen den Soldatengräbern und den Ruhestätten der Bürger bildet, ist ein so naturwahrer, daß man im Augenblicke denkt, der Mann lebe und empfinde für alle die Todten das Rührende der militärischen Trauerfeier, welche da unter seinem Postamente stattfindet.

Aber Winterfeld's Wort:

„Da geht's zurück mit Sang und Klang;
Soldatenkummer währt nicht lang –“

bewahrheitet sich zuletzt auch hier. Wenn die Ceremonie vorüber ist und während die Hunderte von Besuchern herbeiströmen, um nun auch ihre Blumenspenden niederzulegen, ordnen sich die Regimenter; der Tambourmajor mit seiner hohen Bärenmütze wirft seinen Stab in die Luft und fängt ihn mit sicherer Hand wieder auf. Die Trommeln wirbeln; mit lustiger Musik geht es zurück in die Garnison. Hinter jedem Bataillon schreiten zwei Neger mit einem Eimer voll Eiswasser, und ein dritter mit seinem Wichsapparat, während an der Spitze sich die höheren Officiere stolz in ihren Sätteln wiegen und die goldenen Litzen mit dem rothen Futter der kurzen zurückgeknöpften Mäntel im Glanz der Sonne funkeln. Ein kurzer Vorbeimarsch bei dem Gouverneur des Staates oder dessen Stellvertreter, und Alles geht zufrieden heim, mit dem Bewußtsein, den Todten den ihnen schuldigen Tribut gebracht zu haben.

Die Blumen auf den Gräbern duften; die Fähnchen auf den Hügeln bewegen sich leise im Winde. „Decoration-day“, ist vorüber. Schlaft in Frieden, Ihr tapferen Krieger unter dem grünen Rasen!

Clara Hance.




Auf der Lauer. (Mit Abbildung S. 369.) Wenn unsere Leser den verborgenen Menschen, von dessen dunkler, an die Wand gedrückter Figur nur das herwärts spähende Gesicht ein wenig erkennbar ist, mit glücklichem Auge entdecken und nun die beiden Gestalten näher betrachten, welche anscheinend nicht die geringste Lust zum Weitervorrücken haben, sondern auf ihrem Posten standhaft beharren werden, bis der Feind „durch diese hohle Gasse“ hervorbricht – dann werden sie mit uns in der Vermuthung übereinstimmen, daß es nicht leicht ist, zu sagen, welchen von den drei Helden die größere Angst schüttelt. In der Gewißheit, daß allen Dreien in ihrer Situation gleich schlecht zu Muthe ist, liegt die Komik unseres Bildchens.



Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.


  1. Sprich Kiodscha – im Volksmund: Dschosa.
  2. Unsere Leser erinnern sich wohl noch unseres früheren Aufrufes für ein ähnliches Lehrerinnen-Asyl in Steglitz bei Berlin (Nr. 51, Jahrgang 1878). Wenn wir hiermit auch der warmen Befürwortung einer zweiten ähnlichen Stiftung Raum gewähren, so geschieht dies in der Ueberzeugung, daß für die große Anzahl hülfsbedürftiger und im Alter verlassener Lehrerinnen in Deutschland mehr als ein Feierabendhaus wünschenswerth ist, und weil wir keine Gelegenheit versäumen möchten, um der Sache an sich, nämlich der Altersversorgung an ihrem Lebensabend alleinstehender Lehrerinnen und Erzieherinnen, in allerdringendster Weise das Wort zu reden.
    D. Red.
  3. Der 30. Mai wird in Amerika „Decoration-day“, genannt, weil an diesem Tage die Soldatengräber geschmückt werden.