Die Gartenlaube (1878)/Heft 44
So war der Sonnabend vor Pfingsten gekommen; lächelnd und golden schien die Sonne vom blauen Himmel herab auf die Erde, küßte im Garten der Lumpenmühle die vielen Röschen wach, guckte durch die blüthenweißen Gardinen in die Stuben und brannte heiß auf die Sandsteinbänke vor der Hausthür. Die Muhme stand im Garten und pflückte Blumen in die Schürze; Lieschen half ihr; sie hatte einen großen runden Strohhut auf und Gartenhandschuhe an den kleinen Händen und suchte und schnitt die allerschönsten Blüthen ab.
Ihr Gesicht hatte einen veränderten Ausdruck bekommen; besonders die Augen schauten so ganz anders drein als sonst, und gar nicht so fröhlich, wie es sich für einen so blauen lächelnden Frühlingstag paßte, und die Muhme war zärtlicher gegen sie als jemals. – Vom Dache schossen zirpend ein paar Schwalben an ihnen vorbei und schwangen sich dann hoch auf in den blauen Aether. Im Hause war Alles schon spiegelblank und sauber; selbst oben standen die Fenster der altmodischen Putzstuben weit geöffnet, um überall die frische Gottesluft einzulassen, und überall duftete es nach Festkuchen. Drüben im Geschäftshause und in den Fabrikräumen war schon früh das Klappern und Stampfen der Maschinen verstummt; die Arbeiter rüsteten daheim auch zum Feste. Herr Erving gab gern einen solchen Tag frei – dafür ging’s nachher auch um so fröhlicher an die Arbeit.
Der Herr Buchhalter und die zwei anderen jungen Leute aus dem Comptoir waren schon heute früh singend in die Welt gezogen, um eine kleine Pfingsttour zu machen, nur Herr Selldorf war zurückgeblieben. Er promenirte vergnügt im Ellerngange am Mühlbache auf und ab und ergötzte sich an den Sonnenstrahlen, die das Wasser bis unten auf den Grund durchschimmerten, und an dem Gewimmel der winzigen Fischchen, die an solch einer sonnigen Stelle so possierlich flink durcheinander schossen; zuweilen schaute er verstohlen nach dem Garten hinüber, ob da nicht bald wieder ein großer weißer Strohhut mit kornblumenblauen Bändern auftauchen würde, unter dem ein Paar so tiefe liebe Augen hervorleuchteten, wie er sie in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen.
Am geöffneten Fenster der Wohnstube, die nach dem Garten hinaus sah, saß Frau Erving und nähte himmelblaue Schleifen auf ein weißes Kleid für ihr Lieschen zum Feste; sie hatte ihrem Manne gewinkt, der eben eingetreten war, und zeigte ihm jetzt die beiden Gestalten dort unter den Blumen im Garten.
„Sieh, Erving, wie die Muhme das Mädchen hätschelt!“ sagte sie lächelnd, „sie hat’s schon immer verzogen, aber seit einiger Zeit ist es noch viel ärger damit geworden; seit die Liesel neulich ein paar Tage so blaß aussah, da will sie das Kind förmlich auf den Händen tragen.“
„Laß sie, Minnachen!“ erwiderte Erving, „sie ist wohl aufgehoben bei der Muhme, aber Du hast Recht, sie sah ein bischen blaß aus, die Liesel, und weißt Du, was mir noch auffiel? Sie ist seit einer vollen Woche nicht auf dem Schlosse gewesen, und die Nelly war doch schon drei Mal hier.“
„Je nun, das sind so Mädchenlaunen, vielleicht haben sie irgend etwas mit einander gehabt, die Beiden; aber sie geht morgen sicher hin; ich dächte, sie hat davon gesprochen.“
„Morgen?“ fragte Erving, „hm, da ist ja der Selldorf unser Gast; was sollen wir Beide allein mit ihm anfangen?“
„O, sie bleibt ja nicht lange oben; sie haben Besuch auf dem Schlosse, die Cousine, von der Nelly erzählte, und den Army, aber Lieschen ist bis jetzt immer gegangen und hat frohe Feiertage gewünscht, da wird sie es auch diesmal kaum unterlassen,“ meinte Frau Erving bittend.
Er nickte zerstreut. „Er ist ein netter Junge, der Selldorf,“ sagte er dann. Seine Frau sah ihn an und lächelte, und er lachte wieder.
„Jetzt weiß ich, was Du denkst, Alter,“ rief sie fröhlich.
Er bog sich zu ihr herunter. „Wirklich, Minna? Nun, und wär’s denn so schlimm? Sieh, ich muß schon einmal einen Schwiegersohn haben, der in’s Geschäft paßt, und er ist ein prächtiger Mensch; ich habe ihn kennen gelernt – derselbe biedere Charakter wie sein Vater.“
„Mann,“ sagte sie, und ihre schönen großen Augen sahen ihn fast flehend an, „ich bitte Dich, mach’ keine Pläne! Sie ist ja fast noch ein Kind.“
„Warst Du denn älter, als Du meine Frau wurdest, Minnachen?“
„Nein, Bernhard, aber –“
„Und sind wir denn nicht glücklich zusammen gewesen bis jetzt, und wollen es auch noch ferner sein?“
Sie nickte und griff zum Taschentuch, das sie vor die Augen preßte. „Das meinte ich auch nicht,“ sagte sie, während er ihre Hand ergriff und den Arm um sie schlang, „aber ich möcht sie so gern noch ein wenig ganz ungetheilt für mich haben, denn wer weiß, wie lange ich –“ sie brach ab, und versuchte die hervorquellenden Thränen zu unterdrücken. „Laß nur!“ bat sie, [722] als sie bemerkte, wie sein Gesicht sich veränderte und ein trauriger Zug darüber flog, „mir ist heute so bang um’s Herz – geh nicht fort!“ Sie lächelte schon wieder zu ihm auf. „Sieh, Erving, ich freue mich auch, wenn sie einen lieben Mann bekommt, er muß aber auch ebenso gut und so ehrenwerth sein, wie Du –“
Er sah ihr innig in die Augen. „Der Allerbeste muß es sein,“ bestätigte er, „und Du sollst entscheiden.“
„Erving,“ sagte sie dann nachdenklich und schaute der schlanken Gestalt entgegen, die da oben den Gartenweg hinaufschritt mit der Schürze voll Blumen. „Erving, ich muß jetzt einmal Acht haben auf Deinen Selldorf da drüben.“
„Thu das, Minnachen!“ erwiderte er und ließ ihre Hand frei, „Du wirst ein braves Gemüth kennen lernen.“ Und damit küßte er sie freundlich auf die Stirn und ließ sie allein mit ihren Träumen. Die duftige Arbeit glitt von ihrem Schooß; ihre Gedanken schweiften in eine ferne Zukunft, und allmählich legte sich ein weiches, glückliches Lächeln um ihren Mund. –
Und so war nun der erste Pfingstag angebrochen; vor der Hausthür der Mühle standen zwei kerzengerade hellgrüne Maibäumchen, und von den obersten Zweigen wehten rothe Bänder im warmen Frühlingswinde; die Tauben saßen alle der Reihe nach auf dem Dache und gurrten und putzten sich, und der Peter, der so stolz von seinem Bock aus die muthigen Braunen regierte, hatte ebenfalls ein rothes Band an die Peitsche gebunden. An den Seiten des bequemen offenen Wagens steckten frische Birkenzweige, und nun erklang von da unten aus dem Dörfchen die Kirchenglocke, und die Mine – die Dörte mußte heut daheim bleiben und kochen – ging im schönsten Sonntagsstaat, das Gesangbuch in der Hand, am Wagen vorüber und nickte dem Peter verstohlen zu. Nun trat auch der Hausherr aus der Thür und hob seine Frau in den Wagen. Lieschen und die Muhme folgten hinterdrein. Erstere sah in ihrem duftigen weißen Kleide mit den blauen Schleifen hübscher denn je aus, und die Muhme prangte im schwarzen Seidenkleid; ihre Haube war heut mit Spitzen und blauen Bändern verziert und in der Hand hielt sie das Gesangbuch nebst Taschentuch und Sträußchen; auch Lieschen hatte ein paar Rosenknospen in der Hand.
Dörte schloß knixend die Wagenthür.
„Laß die Hühner nicht verbrennen,“ ermahnte die Muhme.
„Schon nicht!“ erwiderte jene, und fügte dann, das junge Mädchen anblickend, hinzu: „Beten’s für mich mit, Fräulein!“
Lieschen nickte. „Warum denn gerade ich?“ fragte sie lächelnd.
„O, weil der liebe Gott gewiß seine Freud’ an Ihnen hat,“ meinte Dörte.
Herr Erving lachte. „Na, Peter, vorwärts denn!“ und so rollte der Wagen dem Dorfe entgegen, und seine Insassen hatten genug zu thun, die vielen Grüße zu erwidern, die ihnen von allen Seiten zugerufen wurden. An des Herrn Pastors Hause flog der Liesel ein ganzer Blumenregen in den Schooß und die kleinen Trabanten versteckten sich kichernd hinter den Zaun, um dann, als der Wagen vorüber war, „Guten Morgen, Tante Lieschen, Tante Lieschen!“ hinterher zu rufen.
An der Kirchenthür stand Herr Selldorf; er erröthete über und über, als er Lieschen beim Austeigen die Hand bot und Herrn Erving um die Erlaubniß bat, mit in seinen Kirchenstand treten zu dürfen. Und so saß er denn während der Predigt neben ihr auf der Bank, denn die Muhme hatte mit den Eltern auf den vorderen Stühlen Platz genommen – Ehre dem Ehre gebührt! Frau Erving und die Frau Pastorin, die mit ihren beiden ältesten Jungen in dem Predigerstuhl saß, nickten einander verstohlen zu, und Herr Otto Selldorf, der sich in der kleinen Kirche umsah, in der sich die andächtige Gemeinde zahlreich versammelt hatte, meinte zu bemerken, daß Aller Augen auf seine reizende Nachbarin gerichtet seien. Diese aber saß da, den Kopf unter dem feinen Strohhütchen tief gesenkt, ihre kleinen Hände ruhten, in einander gefaltet, im Schooß und ihre Lippen bewegten sich leise; auch während der Predigt blieb ihr Blick gesenkt, und ihrem Nachbar war es gar einmal, als falle ganz rasch ein großer glänzender Tropfen auf das weiße Kleid. Aber nein, das war ja nicht möglich – was sollte wohl so ein junges liebreizendes Geschöpf für Grund haben zu weinen an einem so wundervollen Pfingsttage?
Und in der That, als der Herr Pastor den Segen gesprochen und die Gemeinde den Schlußgesang anstimmte, da hob sich ihr Blick, und in den blauen Augen glänzte es wieder ruhig und fröhlich auf.
Als sie heimwärts fuhren, freute sich Lieschen über den Sonnenschein und das bunte bewegte Leben auf der Landstraße. An der großen Linde mußte Peter halten und Lieschen stieg aus. „Nun grüß’ mir Nelly, Liesel!“ rief ihr die Muhme nach, und sie ging mit leichten Schritten vorwärts, den schattigen Weg entlang. Zwar fing ihr das Herz etwas an zu klopfen, als sie nun in die Lindenallee einbog; sie nahm den Hut ab und ging langsamer; dort aber trat schon das mächtige Portal hervor, und die beiden steinernen Bären schienen heute ganz besonders drohend die Tatzen zu erheben. Sie blieb stehen und preßte die Hand auf das klopfende Herz; am liebsten wäre sie umgekehrt, aber was sollte Nelly denken, wenn sie nicht einmal kam, Nelly, zu der sie sonst fast täglich gegangen? Sie könnte am Ende glauben, sie fürchte sich vor der fremden Cousine. Nein, nur vorwärts!
Sie schritt rasch dem Ausgange der Allee zu, blieb dann aber wieder stehen – vor Ueberraschung, denn nicht weit vor ihr auf dem Rasen, im Schatten der mächtigen alten Bäume, die den freien Platz vor dem Schlosse begrenzten, stand vor einer der Sandsteinbänke ein servirter Tisch, und davor saß die junge Baronin in einem der Lehnstühle, aber so, daß sie dem nahenden Mädchen den Rücken wandte; ihre Schwiegermutter hatte ihr gegenüber Platz genommen und las eifrig in einer Zeitung. Eine Anzahl Tassen und Couverts zeigte an, daß man offenbar den schönen Morgen hier im Freien gefrühstückt hatte. Lieschen wagte nicht weiter zu gehen. Die alte Dame hob die Augen und gewahrte das junge Mädchen; bei ihrem Anblick schrak sie zusammen, daß sie eine zierliche Tasse vom Tische stieß und diese auf der Steinbank klirrend zerbrach. Noch ehe Lieschen sich dem Tische nähern konnte, rief sie ihr heftig entgegen:
„Wie unpassend, uns so zu erschrecken!“
„Guten Morgen, Lieschen!“ sagte die Schwiegertochter; sie richtete sich im Sessel auf und reichte dem jungen Mädchen die Hand.
„Ich bitte um Verzeihung,“ wandte sich Lieschen an die alte Baronin, „ich war schon mehrere Minuten hier, ehe ich wagte mich bemerkbar zu machen, denn ich fürchtete zu stören.“ Es klang ruhig gegenüber den leidenschaftlichen Worten der alten Baronin. „Und,“ fuhr sie fort, „ich komme nur auf einige Augenblicke, um fröhliche Feiertage zu wünschen, wie ich es jedes Jahr gethan, und Nelly einmal zu sehen.“
„Setz’ Dich, Lieschen!“ bat die jüngere Baronin. „Nelly wird gleich hier sein; sie ist mit Blanka und Army ein wenig in den Park gegangen, und – da ist sie schon; ich höre sie sprechen.“
Die alte Dame zuckte ungeduldig die Schultern, als sich Lieschen ruhig auf die Sandsteinbank setzte und teilnehmend nach dem Ergehen der blassen Frau fragte, von deren Wangen das flüchtige Roth, welches die wenig artigen Worte ihrer Schwiegermutter darauf gemalt hatten, wieder verschwunden war.
Indessen kamen die Stimmen näher, und Lieschen unterschied deutlich das klangreiche tiefe Organ ihres einstigen Spielgefährten. Es überfiel sie ein erstickend heißes Gefühl und verwirrte einen Augenblick ihr ruhiges Denken, aber dann nahmen ihre Augen den Ausdruck des höchsten Erstaunens an, denn dort seitwärts an dem leeren Sandsteinbecken des Springbrunnens erblickte sie neben Army eine junge Dame, deren Erscheinung durch das Fremdartige, das ihr anhaftete, ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.
War es denn eine erwachsene Dame oder nur ein Kind, das da so elfenhaft zierlich auf dem Pferde schwebte? Und jetzt rief sie mit süßer Stimme, aber mit der Betonung eines verzogenen Kindes:
„Laß los, Army, laß los! Ich will jetzt der Tante etwas allein vorreiten!“
Army trat zurück, und das Pferd begann im langsamen spanischen Tritt zu ihnen herüber zu schreiten; bei jeder Bewegung, die das Thier machte, flog das weiße spitzenbesetzte Kleid wie eine duftige Wolke um die zierliche Gestalt, die so sicher auf seinem Rücken saß; die Augen in dem blassen Gesicht waren gesenkt, über der Stirn aber flimmerte es goldig auf in dem heißen Sonnenschein und wallte auf dem Rücken hinunter – üppiges rothes wundervolles Frauenhaar.
[723] „Süperb, Blanka!“ rief Army, dessen Blick wie gebannt an der reizenden Erscheinung hing; „süperb! Fräulein Elise bei Renz reitet nicht besser.“
Er schritt langsam in einiger Entfernung neben ihr und blieb dicht an dem Tische stehen, denn eben wandte sich das Pferd und kam direct auf die Gruppe zu. Die Augen der alten Baronin funkelten vor Freude, war sie doch einst eine viel bewunderte Reiterin gewesen, und Sport ist ja eine der nobelsten Passionen.
„Meraviglia, mein Engel!“ rief sie, als die junge Dame nun anhielt und, von Army gestützt, leicht aus dem Sattel glitt. „Du hast das Pferd fabelhaft in der Gewalt, aber, mia cara, wie kannst Du ohne Hut in dem Sonnenbrand reiten! Ich bitte Dich – Dein wundervoller Teint! Auf dem Lande muß man stets –“
„Ohne Sorge, Tante, ich verbrenne nie.“ Sie ließ sich nachlässig in einen Schaukelstuhl fallen, den ihr Army hinschob, ohne das junge Mädchen da drüben zu bemerken.
„Fräulein Elisabeth Erving, Nelly’s Freundin,“ sagte in diesem Augenblicke die junge Baronin mit einer vorstellenden Handbewegung, „und meine Nichte, Blanka von Derenberg!“ Blanka hob die Wimpern und erwiderte mit einem leichten Neigen des Kopfes, jedoch ohne die bequeme Lage zu ändern, die graziöse Verbeugung des jungen Mädchens. Ihre dunklen Augen blieben jedoch noch einen Augenblick verwundert auf ihr haften; dann griff sie zu dem Elfenbeinfächer, der an ihrer Seite hing, entfaltete ihn und verzog hinter diesem Schutz den kleinen Mund zu einem Gähnen.
Army hatte sich artig verbeugt und erwiderte auf die Frage seiner Mutter, wo Nelly nur bleibe, daß sie wahrscheinlich noch irgendwo im Parke weile. In demselben Augenblick kam Heinrich und führte das Pferd hinweg; der alte Mann sah in der neuen braunen Livrée so stattlich aus, daß ihn Lieschen zuerst gar nicht erkannte und ihn ganz verwundert anschaute. Die junge Dame im Schaukelstuhl bemerkte dies wohl, denn ein etwas spöttisches Lächeln flog einen Augenblick um den kleinen vollen Mund; sie schaukelte etwas heftiger, plötzlich aber hielt sie ein.
„Was macht Ihr hier den ganzen Tag?“ fragte sie, während schon wieder ein Gähnen hinter dem Fächer verschwand.
„Wir werden heut Nachmittag spazieren gehen,“ erwiderte Army rasch, „es giebt hier reizende Waldwege.“
„Spazieren gehen?“
„Wir haben leider keine Equipage zur Verfügung,“ bemerkte die junge Baronin einfach.
Die alte Dame lächelte spöttisch: „Die Bemerkung war sehr überflüssig, Cornelie.“
„Gehst Du nicht gern spazieren, Cousine Blanka?“ fragte Army, der in dem Sessel, seiner Mutter gegenüber, Platz genommen hatte.
„Nein!“ erklärte sie, ohne die Augen aufzuschlagen.
Der junge Officier biß sich auf die Lippen.
„Könnte man nicht den Amtmann um seinen Wagen bitten lassen, für ein paar Stunden?“ fragte er dann, „was meinst Du, Großmama?“
„Daß es eine ziemlich wunderbare Idee von Dir ist, Army; sich in dieses vorweltliche Institut zu setzen, kannst Du wohl kaum Jemandem zumuthen.“
„Aber Großmama! – Ich glaube allerdings, daß der Wagen gerade heute nicht disponibel sein wird, da die Familie gewöhnlich Sonntags selbst eine kleine Spazierfahrt unternimmt.“
„Ich verzichte ein für allemal,“ erwiderte die alte Dame abweisend.
„Darf ich vielleicht unsern Wagen anbieten?“ fragte Lieschen, „Vater würde sich gewiß ein großes Vergnügen daraus machen –“
„Das wäre ein Ausweg!“ rief Army; „wenn Du Lust hast, Blanka, so nehmen wir es an. Nicht wahr, Großmama?“
„Ich danke,“ entgegnete diese. Blanka aber sagte weder Ja noch Nein; sie richtete einen ihrer musternden, erstaunten Blicke auf das Mädchen in dem einfachen weißen Kleide da drüben, – wer war sie nur?
„Nun, entscheide Dich, Cousine!“ bat Army.
„Ja, entscheide Dich!“ fügte die Großmutter hinzu, während ein häßliches Lächeln um ihren Mund spielte. „Es ist nicht alle Tage Pfingsten, und an Werktagen haben die stolzen Pferde keine Zeit, weil sie – die Lumpenwagen heranholen müssen.“
„Vaters Wagenpferde sind keine Arbeitspferde,“ sagte Lieschen – ihre Lippen bebten, „sie würden dazu keine Zeit haben, weil sie Vater ausschließlich für meine Mutter bestimmte, der das Gehen leider sehr schwer fällt.“
„Ich will heute nicht fahren,“ erklärte Blanka, der das Wort „Lumpen“ einen Schauder eingejagt hatte.
„Ist hier viel Nachbarschaft?“ fragte sie.
„O ja,“ erwiderte Army freundlich, „indessen verkehren wir mit Niemand; Du weißt, ohne Equipage – –“
„Und in der nächsten Umgegend ist keine einzige Familie, mit der man anständiger Weise umgehen könnte,“ ergänzte die alte Baronin.
„So!“ sagte Blanka und lehnte sich wieder in den Sessel zurück, indem sie ihre langen goldig schimmernden Haare nach vorn schob und einzelne Strähne um den Finger zu wickeln begann.
Army war dunkelroth geworden, und warf einen raschen Blick zu Lieschen hinüber, die sich plötzlich erhoben hatte. Das liebliche Gesicht sah todtenbleich aus, und in den großen Augen schimmerte eine Thräne:
„Ich muß mich empfehlen, ohne Nelly gesprochen zu haben.“
„Es wird ihr leid thun, Lieschen,“ sagte die leidende Frau neben ihr, und reichte ihr die Hand; „vielleicht triffst Du sie noch im Park. Grüße die Eltern daheim und die Muhme!“
„Ich danke, gnädige Frau,“ erwiderte das Lieschen und wandte sich, nach einer Verbeugung gegen die Uebrigen, zum Gehen. Die dunklen Augen der alten Dame folgten der schlanken Gestalt mit kaum zu beschreibendem Ausdruck des Hohns.
„Gott sei Dank!“ rief sie tief aufathmend; „ich weiß nicht, was es ist, aber die Anwesenheit dieses Mädchens verdirbt mir jedesmal die Laune und reizt mich stets zu kleinen Bosheiten; sie hat eine so abscheuliche Manier, auf ihren Geldsack zu klopfen. Welche Arroganz, ihre Equipage zu offeriren! Und Du, Army, hättest sie um ein Haar angenommen! Sich in Lumpenmüllers Equipage zu zeigen, die jedes Kind kennt – unbegreiflich von Dir!“
In diesem Moment kam Nelly eilig aus der Allee; die blonden Locken flogen um ein erhitztes Gesicht. Das saubere, aber mehr als einfache Kattunkleid ließ den Fuß frei, der in kleinen, aber nicht zu zierlichen Lederstiefelchen steckte, und der schwarzen Taffetschürze sah man es an, daß sie zwar sehr geschont, aber doch längst die Zeiten hinter sich hatte, wo sie neu war.
„Was ist mit der Liesel geschehen?“ fragte sie athemlos, als sie näher kam. „Sie weinte.“
„Vor allen Dingen, Nelly, möchte ich Dich fragen, wo Du bis jetzt gewesen, und Dir sagen, daß es sehr unpassend für eine junge Dame ist so zu laufen. Und in diesen Kleidern?“
„Großmama!“ rief sie und lachte lustig, „wie komisch Du bist! Als ob ich je eine andere Toilette besessen hätte, als diese Kattunkleider! Ich kann doch unmöglich an diesem schönen Tage mein schwarzes Einsegnungskleid anziehen!“
Blanka wandte den Kopf, und einer jener kalten Blicke streifte über das geschmähte Kattunkleid. Ihre Kammerjungfer würde sich bedankt haben für diesen Anzug. Army aber wurde plötzlich dunkelroth; er erinnerte sich jetzt eines kleinen Zettels, in dem ein Goldstück gewickelt war, das Geburtstaggeschenk seiner Schwester, wo war der Zettel nur geblieben?
„Warum weinte Lieschen?“ wiederholte das junge Mädchen ungeduldig; „sie wollte es mir nicht sagen.“
Niemand antwortete ihr. „Army, sag’s doch!“ bat sie, und ihre Augen füllten sich mit Thränen.
„Die Kleine scheint sehr empfindsam zu sein,“ erklärte an seiner Statt die Großmutter, „ich sagte etwas ganz Allgemeines, und das hat ihr Staatsbewußtsein höchlich gekränkt, aber es ist immer so mit diesen Leuten, sie stellen sich stets mit uns auf eine Stufe und können nicht vertragen, wenn man ihnen das Verkehrte solchen Unterfangens bemerklich macht.“
Nelly schwieg. Sie hatte aus dem Tonfall, mit dem die Großmutter die beiden Worte „diesen Leuten“ aussprach, genug gehört, um zu verstehen.
„Mir wird’s übrigens zu warm hier,“ fuhr die alte Baronin fort; „und ich ziehe vor mein kühles Zimmer aufzusuchen. Besuch ist mir jeden Augenblick willkommen,“ sagte sie, sich erhebend, und sah freundlich lächelnd zu der jungen Dame im Schaukelstuhl hinüber. Ihre dunklen Augen konnten so verführerisch liebenswürdig leuchten.
[724] „Ich begleite Sie, Mama,“ sagte die Schwiegertochter, sich erhebend. „Nelly, Du wirst wohl jetzt hier bleiben?“
Das junge Mädchen nahm den Platz an der Seite der Cousine ein. Sie hatte sich die Cousine so ganz anders vorgestellt, sich auf mädchenhaftes Plaudern gefreut, und da war nun gestern aus dem Extrapostwagen eine elegante, zerbrechlich feine Dame gestiegen, die ihre dunklen Augen musternd und kalt über Umgebung und Personen schweifen ließ. Sie hatten noch nicht ein herzliches Wort zusammen gewechselt. Blanka sprach mehr mit den Augen, und diese dunklen Sterne schienen zu sagen: Wie langweilig ist es hier!
Im Augenblick der Ankunft hatten auch die Großmama und die Mutter die zierliche Gestalt mit den aufgelösten rothblonden Haarmassen freudig erstaunt angesehen. Erstere hatte Nelly versichert, sie hätte nie geglaubt, daß die „kleine rothhaarige Blanka, das scrophulöse Kind“ eine solch pikante Schönheit werden würde. Eine pikante Schönheit! Nelly wußte kaum recht, was das Beiwort „pikant“ bedeuten sollte, aber daß sie schön war, die Cousine, ja das empfand sie auch; sie empfand es besonders stark in diesem Augenblick, wo die langen Wimpern sich über die kalten Augen gesenkt hatten; das ovale blasse Gesicht unter den hochgeschwungenen Brauen, deren Schwärze so seltsam mit der hellen Haarfarbe contrastirte, umflossen von der goldige Masse dieses wundervollen Schleiers, bot einen unbeschreiblich reizenden Anblick. So war sie wirklich, die Ahnfrau dort oben; genau so setzte sich der schlanke Hals auf die feinen Schultern; genau so war die Haltung des kleinen Kopfes; einzelne kurze Löckchen fielen der Mode gemäß auf die alabasterweiße Stirn, und um den kleinen Mund lag ein gedankenvolles Lächeln. Sie spielte mit dem Elfenbeinfächer und strich liebkosend mit seiner glatten Fläche über ihre Wange.
Army stand da drüben am Stamme der große Linde und sah gedankenvoll zu ihr herüber. Da war sie nun im Hause seiner Väter! Mit welch’ freudigem Herzklopfen hatte er sie erwartet, und nun schien es ihm, als flöge sie am liebsten, einem gefangenen Vöglein gleich, wieder hinweg aus dieser Einsamkeit in lautes, fröhliches Leben hinaus. Sie war so kühl; selbst ihre wirklich reizend eingerichteten Zimmer, die ihm so viel Nachdenken und Mühe gekostet, würdigte sie kaum eines Blickes.
Himmel! Es war doch eigentlich unbegreiflich leichtsinnig! Die Kosten betrugen mehr, als er zwei Jahre lang Gage und Zuschuß bekam. Aber bah – wenn er erst jene kinderkleine Hand dort fest in der seinen hielt, dann war ja diese ganze Angelegenheit überhaupt eine Lappalie! So hatte auch Großmama beschwichtigend zu seiner Mutter gesagt, die mit bangen Blicke die Tapezierer betrachtet und die neuen Livreen des alten Heinrich und des Dieners, der mit dem Goldfuchs und Blanka’s Reitpferd gekommen war, die nun an der lang verödeten Marmorkrippe standen. War doch sogar eine wirkliche Köchin auf diese Zeit gemiethet worden und hantirte nun in der großen Schloßküche herum – und dies Alles für jene kleine Fee, die da so theilnahmlos gegenüber saß!
Army seufzte und blickte hinüber zu dem imposanten Gebäude, das in der grellen Mittagssonne dalag; die glühende Luft zitterte auf dem spitzen Schieferdache, und dort in Blanka’s Zimmer bog sich eben die hübsche Kammerjungfer heraus und schloß die Fenster.
„Wie unvernünftig die Jungfer ist!“ rief Blanka und sprang aus dem Stuhle empor, „sie weiß, daß ich die Wärme liebe, und zudem diese entsetzliche feuchte Luft in den alten hohen Zimmern! Nelly, sag ihr’s – sie soll die Fenster offen lassen.“
Die Kleine lief wirklich nach dem Schlosse; sie war augenscheinlich froh, weg zu kommen aus der drückenden Langeweile.
„Welches sind eigentlich meine Zimmer, Army? Man findet sich in diesem Fenstergewirre nicht zurecht,“ fragte Blanka.
„Dort, Cousine,“ erklärte er und trat näher zu ihr; „dort im zweiten Stocke; Dein Ankleidezimmer stößt dicht an den Thurm.“
„Ah, das ist also die Thür, die so kunstvoll durch den grünen Stoff verborgen wird, – ich konnt’s nicht ergründen, ob hinter den festgenagelten Falten ein alter Wandschrank oder eine Thür verborgen sei. Uebrigens,“ fuhr sie fort, „warum gab man mir nicht das Thurmstübchen? Es muß reizend sein mit seinen runden Fenstern, und ich hätte doch Aussicht in’s Land hinein gehabt.“
„Es thut mir wahrhaftig leid, Blanka,“ sagte er, „ich hatte dieselbe Idee, aber Großmama scheint besondere Gründe –“
„So? Spukt es dort vielleicht?“ unterbrach sie ihn lebhaft.
Army lachte. „Leider nicht, Cousine; wenigstens weiß ich nichts davon; es müßte denn der Junker von Streitwitz umgehen, der sich einst um Dein reizendes Ebenbild erschossen hat, wie die Chronik berichtet.“
Sie überhörte die letzten Worte. „Army, ich bitte Dich, verschaffe mir das Thurmzimmer!“ Ihre Stimme hatte den süßen Ton eines bittenden Kindes.
„Ich werde noch einmal zur Großmama gehen, Blanka.“
„Aber bald, Army, bald!“ rief sie, und lächelte ihm zu.
Er sah sie ganz entzückt an. „Gewiß! Gleich!“ stotterte er, denn so strahlend hatte sie noch nicht einmal vor ihm gestanden, so lange sie hier war. „Blanka,“ fügte er dann hinzu, „ich habe Sorge, Du langweilst Dich hier gründlich.“ Das Lächeln verschwand von seinem Gesicht.
„Ich bitte Dich!“ rief sie, „sprich das Wort nicht aus, erzähle mir lieber etwas, Vetter, bis ich hinauf muß, um zu Mittag Toilette zu machen! – Für wen macht man hier eigentlich Toilette?“ setzte sie hinzu, und zuckte die feinen Schultern. „Sag’ einmal,“ rief sie dann, und schaukelte schon wieder im Stuhl, „wer ist das junge Mädchen, gegen das Deine Großmama – nimm es mir nicht übel – grenzenlos unartig war?“ –
„Fräulein Lieschen Erving.“
„Das weiß ich, aber wer ist ihr Vater? Sie sprach von ihrer Equipage –“
„Der Vater ist der reichste Mann in der Umgegend, Blanka, Besitzer einer Papierfabrik – daher die Lumpenmalice der Großmama – Besitzer weitläuftiger Forsten, in denen wir Gelegenheit haben werden, spazieren zu gehen, da sie an unsern Park grenzen.“
„Und warum kann Großtante das Mädchen nicht leiden?“
„Ja, Blanka, was fragt die Großmama nach einem Warum? Sie hat von jeher eine unerklärliche Abneigung gegen das junge Mädchen gehabt; überdies ärgert sie es, daß Nelly so intim mit ihr verkehrt. Sie hält nun einmal streng am Standesgemäßen fest und hat darin im Grunde nicht Unrecht.“
Es ist mehr denn zwölfhundert Jahre her. Auf deutschem Boden kämpft das Christenthum mit dem Heidenthume um die Herrschaft. Hier und da erheben sich kleine Kirchen, und unter dem Schutze mächtiger Häuptlinge und Fürsten bilden sich Christengemeinden, aber daneben gelten noch immer die alten Götter, und ihre Bilder werden nicht selten von nachsichtigen Priestern in den Kirche neben dem Kreuze aufgestellt. Nur schwer vermögen die trotzigen Germanen die Lehre von der christliche Demuth und Feindesliebe zu fassen und zu verstehen. Da fragt der Friesenfürst Radbod kurz vor der Taufe den Bischof Wulfram: „Ehrwürdiger Vater, werde ich in dem Christenhimmel auch meine Vorfahren wieder finden?“
„Nein, sie sind ohne Taufe zur Hölle gefahren.“
„Gut, so will auch ich Eure Taufe nicht. Ich will lieber mit meinen tapferen Vorfahren in Walhalla zusammen sein, als in Eurem Himmel mit wenigen Unansehnlichen.“
Mit diesen Worten trat der Fürst vom Taufbecken zurück, und nichts vermochte seinen Sinn zu ändern.
Allmählich aber brach sich doch das Christenthum Bahn, denn der Gott der Christen erwies sich mächtiger als die alten
[725][726] Götter. In seltsamer Weise vermischte sich dabei der alte Glaube mit dem neuem. Das gewöhnliche Volk veränderte oft nur die Namen und verehrte in der Jungfrau Maria die Göttin Frigg und in dem Apostel Petrus fand es Aehnlichkeit mit dem Gotte Donar. Auch die alten Festbräuche beim Nahen des Winters und beim Fortgange desselben, bei Geburt und Tod schleichen sich in oft wenig veränderter Gestalt in die neue Lehre über, und bis zur Jetztzeit haben sich ihre Spuren erhalten.
Die altdeutschen Leichenbräuche mögen uns zeigen, wie die Gegenwart in der Vergangenheit wurzelt.
In den Gemälde-Ausstellungen circulirte vor Kurzem ein groß angelegtes Bild des Münchener Malers Georg Urlaub, dessen umstehende Wiedergabe den altgermanischen Begräbnißact in ergreifender Weise zur Anschauung bringt. Germanische Krieger beerdigen ihren Stammgenossen. Auf offener Haide haben sie das Grab gegraben, und auf einem Brette, in voller Waffenrüstung, wird der Todte der Erde übergeben. Die besten Waffen und seinen Schmuck legt man ihm bei, damit er in der andern Welt ehrenvoll neue Kämpfe bestehen kann. Die Straße ist weit, die der Todte zu gehen hat; darum ist ihm festes Schuhzeug mitgegeben worden, und Speise und Trank, Stahl und Stein, damit er sich Licht machen kann auf dem finsteren Wege; selbst ein Reisepfennig darf nicht fehlen. Ueber das Grab aber werden die Stammgenossen, dem Todten zu Ehren, Steine legen und dann ihres Weges weiter ziehen.
„Aber ich denke,“ wird mancher unserer Leser fragen, „die Germanen haben ihre Todten verbrannt?“
Allerdings, indessen die Forschungen auf diesem Gebiete, das Oeffnen zahlloser Leichenhügel haben hinreichend bewiesen, daß in vorgeschichtlicher Zeit die Todten begraben und erst später, im sogenannten Eisenzeitalter, verbrannt worden sind.
Man pflegt die Urzeit bis zur historischen Zeit heraus in drei Perioden einzutheilen. Professor Rochholz sagt in seinem Werke „Deutscher Glaube und Brauch im Spiegel der heidnischen Vorzeit“: „Die der Steinzeit angehörenden Hünengräber, älter als die Einwanderung der Germanen nach Europa, haben eine längliche Form, welche bedingt ist durch die längliche oder viereckige Steinkiste im Innern, über welche die Erde des Hügels hergehäuft ist. Da die Grabstätten der Urvölker zugleich ein Abbild ihrer Wohnstätten sind, so wird in der Steinperiode wohl auch die Wohnung viereckig gewesen sein, wie das Grab. Hierauf folgt die Bronzezeit mit den Kegelgräbern welche vertreten ist durch das Volk der Kelten und Germanen. Daß diese Völker in Rundhäusern wohnten, ergiebt sich aus der Rundgestalt ihrer Gräber und der darin erhobenen Urnen. Diese letzteren sind eben ihrer sprechenden Form wegen unter dem Namen Hausurnen eine Zierde unserer Alterthumssammlungen. Die letzte Periode bildet die Eisenzeit mit den Plattengräbern.“
Daß in Deutschland in der älteren Eisenzeit neben dem Verbrennen das Begraben gebräuchlich war, das beweisen gleichfalls viele Grabhügel, in denen man neben verbrannten Gebeinen auch ganze unverbrannte Gerippe vorfand. Höchst interessant in dieser Beziehung sind die Gräber von Hallstatt im Salzkammergut, die aus der frühen oder sogenannten älteren Eisenzeit stammen.
Nachdem hier schon in den vergangenen Jahrhunderten einzelne Alterthumsgegenstände zu Tage gekommen waren, stieß der Bergmeister Johann Georg Ramsauer im Jahre 1846 beim Abräumen der Dammerde auf ein menschliches Skelet, das einen Bronzering am Arme trug, und weiter auf mehrere Gräber mit Gefäßen voll Thon und Bronze. Die vorgerückte Jahreszeit that einer weiteren Untersuchung des Terrains Einhalt; im nächstfolgenden Jahre begannen jedoch im Auftrage des kaiserlich königlichen Münz- und Antikencabinets in Wien systematische Ausgrabungen, die schon im ersten Jahre überraschende Resultate lieferten und bis zum Jahre 1864 fortgesetzt wurden. Die Leitung übernahm Herr Ramsauer, welcher mit unermüdlicher Ausdauer sich dieser Arbeit widmete und ein Tagebuch über dieselbe führte, in welchem jedes Grab genau beschrieben und durch Zeichnungen veranschaulicht wurde. So wurden 993 Gräber geöffnet und 6084 Gegenstände aus denselben gehoben, welche in Wien aufbewahrt werden und eine für die Culturgeschichte unschätzbare Sammlung bilden.
Die Gräber waren äußerlich weder durch einen Hügel, noch durch eine Steinsetzung bezeichnet, also sogenannte Flachgräber, die theils in der Dammerde, theils in dem einhalb bis einen Meter unter derselben lagernden feinen Kalkschotter angelegt sind. Man fand hier verbrannte und unverbrannte Leichen und zwar in einem Grabe, wo bald die verbrannten Ueberreste, bald die unversehrten Leichname bestattet worden, sodaß der eine Begräbnißbrauch nicht den andern abgelöst haben kann, sondern beide neben einander fortgedauert haben müssen.
Die unverbrannten Leichname ruhen mit ihren Beigaben in freier Erde oder in einer Thonmulde mit fünf bis neun Centimeter hohem aufstehendem Rande und sind mit größeren Steinen zugedeckt. Der Körper liegt ausgestreckt, die Arme in verschiedener Lage. Eine einzige Leiche war in hockender Stellung beigesetzt worden; mehrere lagen wie schlafend auf der linken Seite, die Hand unter dem Kopfe. In einigen Gräbern lagen zwei Skelete; auch Eltern und Kinder befanden sich so in einem Grabe beisammen.
Spuren von Leichenverbrennung zeigten sich 455 Gräbern. Die verbrannten Knochen und die Asche lagen in freier Erde, auf größern Steinen oder in einer Mulde, einmal in einer Holzkiste, zweimal in Bronzegefäßen, in Thonurnen nur ausnahmsweise. In den Mulden waren sie zu einem Häuflein aufgeschüttet, und der freie Platz daneben schien für die Grabgeschenke bestimmt zu sein. Ueber das Ganze waren die Gewänder gebreitet und schließlich Steine darüber geschüttet. So wenig, wie sich in der Lage der Gräber irgend welche Symmetrie und Absicht erkennen ließ, so wenig Klarheit ließ sich über den Unterschied der Gräber mit den unversehrt begrabenen und denjenigen mit verbrannten Gebeinen gewinnen. Beide umschlossen die Reste von Männern, Frauen und Kindern. Ein Grab enthielt die Reste zweier Kinder, von denen das Eine verbrannt, das Andere unversehrt beerdigt war.
Die mitbegrabenen Geschenke ergaben ein reiches Material: Bronze, Gold, Eisen, Glas, Achat, Bernstein, Thon, Elfenbein ist zu Waffen und Geräthen aller Art verarbeitet worden. Hingegen fand man weder Silber, noch Münzen, noch Schrift.
Sind nun auch die Hallstätter Gräber wohl nichtgermanischen Ursprungs, so zeigten doch zahlreiche andere Grabstätten dieselben Ergebnisse. Später in der jüngeren nordischen Eisenzeit herrschte überall die Leichenverbrennung vor, die nach der alten Götterlehre Odin selbst eingeführt hat. Er sagte jedem Verbrannten Aufnahme im Walhall zu und je höher der Rauch bei der Feier stieg, desto mehr ehrte Odin den Todten.
Als der lichtstrahlende Gott Balder durch Loke’s List gefallen, da versammelten sich die Götter zu einer großartigen Leichenfeier. Aus dem Todtenschiff erhebt sich der mächtige Holzfloß, auf dem – von den Göttern reich geschmückt – der Gefallene liegt. Weinend kommt Nanna, Balder’s Gattin, herbei. Der Schmerz bricht ihr das Herz, und so wird auch sie zu dem Todten gelegt. Balder’s Roß, mit kostbarem Sattelzeug geschmückt, muß gleichfalls seinem Herrn folgen, und nun weiht Thor mit dem Hammer die Flammen. Odin selbst giebt noch dem Geliebten seinen kostbaren Ring Draupnir, und redet ihm geheime Worte in’s Ohr. Hoch auf schlagen dann die Flammen, und die Winde entführen das Schiff. Die Götter, am Ufer stehend, sehen es steigen und sich neigen, sinken und schwinden.
Die nordische Sage weiß auch von alten Seekönigen, die auf ihrem Schiff und mit demselben verbrannt wurden. In prunkenden Gewändern wurden sie auf das Schiffsdeck gelegt und um sie ihre Pferde, Hunde, Falken und ihre Sclaven. Dann wurde das Segel gehißt, der Anker gelichtet, das Fahrzeug vom Lande gestoßen und die Brandfackel hineingeschleudert. Sanft glitt das Schiff über die Fluth und versank in die Tiefe. Nicht nur Roß, Hund und Falke folgten ihrem Herrn in den Tod, auch die treuen Diener, bisweilen sogar die Gattin. Aber sie folgte aus eigenem freiem Willen. Als Brynhilde ihren Entschluß kund giebt, den Sigurd auf dem dunkeln Gang zu begleiten, wozu sie sich kraft ihrer Liebe berechtigt fühlt, bemerkt sie tadelnd:
„Schicklicher stiege unsere Schwester Gudrun
Heut auf den Holzstoß mit dem Gemahl,
Gäben ihr gute Geister den Rath,
Oder besäße sie unseren Sinn.“
Dann bittet sie ihren Gemahl, eine so breite Burg auf dem Felde zu erbauen, daß Alle, „die mit Sigurd zu sterben kommen, darin Raum finden“:
[727]„Die Burg umziehe mit Zelten und Schilden,
Erles’nem Geleit im Leichengewand,
Und brennt mir zur Seite den Hunnengebieter.
Dem Hunnengebieter brennet zur Seite
Meine Knechte mit kostbaren Spangen geschmückt:
Zwei zu Häupten und zwei zu Füßen,
Dazu zwei Hunde und der Habichte zwei.
Also ist Alles eben vertheilt.“
Zahlreiche altdeutsche Helden ruhen am Meere beim Rauschen der Wogen. So wurde dem Beowulf – einem alten angelsächsischen Könige, dessen Thaten in dem Beowulfs-Liede besungen werden – auf seine Bitte ein Hügel am Meere errichtet, Allen, die vorüberfuhren, von fern sichtbar; so bestimmten ferner König Bele und Thorsten Vikingson, der Vater des Frithjos, den Platz für ihre Gräber am Meere. Die Beschreibung solcher Leichenbrände rühmt die Pracht der Leichengeschenke an Kleidern, Waffen und Goldschmuck oft so hoch, daß man Bedenken trägt, an so übertriebenen Luxus zu glauben, allein es sind in den nordischen Ländern Grabhügel geöffnet worden, deren Inhalt uns in Staunen setzt. Prächtig sollten die Edeln zu Odin eingehen. Oftmals gab man ihnen ihr Schiff und ihr gesatteltes Streitroß, wohl auch den Streitwagen mit in’s Grab, damit sie nach Belieben nach Walhall fahren oder reiten könnten.
Hatte die Flamme ihr Vernichtungswerk gethan, so nahten die Verwandten und löschten die Gluth. Die Knochenüberreste wurden in einer Urne gesammelt und im Grabe beigesetzt; gewöhnlich legten die Trauernden noch Liebesgaben in und neben die Urne. War nun das Grab geschlossen, so wurde an dem selben das Todtenmahl gehalten, und nach Beendigung desselben zerbrach man die Geschirre, aus denen man soeben gegessen, und streute die Scherben sowie die Ueberreste des Mahles auf das Grab. Daß man heute noch beim Begräbniß vornehmer Herren das Reitpferd im Trauerzuge mitführt, daß man heute noch prunkvolle Leichenessen giebt, das dürfte wohl seinen Grund in jenen alten Gebräuchen haben.
Während bei den deutschen Völkerstämmen das Verbrennen von Leichen in der geschichtlichen Zeit wieder mehr und mehr dem Begraben Platz macht, hält sich jener Brauch bei den slavischen Völkern viel länger, ebenso bei den Bewohnern der Ostseeküste. In Polen wurde noch im zehnten Jahrhundert die Frau mit dem Manne verbrannt. Die Litthauer ließen erst 1250, durch den deutschen Orden gezwungen, von ihrem alten Brauche. An der kurländischen Grenze soll sogar noch im siebenzehnten Jahrhundert ein Vornehmer mit vielen Kostbarkeiten, seinem Pferde, seinen Jagdhunden und – seinem Dienern verbrannt worden sein.
Bei den deutschen Völkerstämmen wurde durch das Christenthum das Begraben geradezu Pflicht. Als die Westgothen auf ihrem Zuge nach Afrika in Unteritalien plötzlich ihren großen König Alarich verloren, da leiteten sie den Busentofluß ab und ließen jenem im trockenen Flußbette ein Grab graben. Da hinein senkten sie den Todten, der in voller Rüstung auf seinem Streitrosse saß, schlossen dann die Gruft und ließen den Fluß wieder in sein altes Bett zurückströmen. Die Sclaven aber, die das Grab gegraben, wurden sofort getödtet, damit Niemand den Ort entweihe, wo der Heldenkönig ruht. Dagegen fanden sich in dem 1635 zu Tournay entdeckten Grabe, welches man für das des vorchristlich-fränkischen Königs Childerich erklärt, neben Waffen, Goldschmuck, Amuletten, Geld, sowie einem Siegelringe, ein Hufeisen seines Pferdes und ein Menschenkopf an seiner Seite, woraus geschlossen wird, daß der Marschall freiwillig mit seinem Herrn starb und dessen Rumpf nebst dem Schlachtrosse verbrannt wurde. Die Franken nannten das Grab Chreoburg oder Leichenburg und bauten darüber kleine Säulengänge und Gerüste, die sie mit kostbaren Tüchern umhingen. In der christlichen Zeit baute man Capellen und jene schönen gothischen Grabmäler, die als Kunstwerke große Bedeutung haben. Auf dem Grabe wurde gegessen und getrunken, und diese Todtenmahle wurden alljährlich wiederholt. Es kam sogar vor, daß Priester die Sacramente über den Gräbern austheilten.
Unsere Vorfahren trauerten nicht schwarz, sondern weiß, und heute noch gilt in manchen Gebirgsthälern der Schweiz weiß als die Trauerfarbe, heute noch meint das Volk, daß dem der Tod bevorstehe, der von weißen Mäusen, weißglühenden Pflanzen, weißen Haaren, weißer Wäsche etc. träumt. Auch andere Anzeichen des Todes, an die man namentlich auf dem Lande noch vielfach glaubt, sind aus grauer Vergangenheit der Gegenwart überliefert worden.
Im leise klopfenden Bohrwurm glaubte man schon in der Heidenzeit den Tod zu hören, wie er an die Thür klopft, und der Schrei der Eule war dem Kranken todbringend. Stirbt ein Tugendhafter, so geht die Seele als ein weißes Wölkchen aus seinem Munde. Wird dann aber die Leiche aus dem Hause zu Grabe getragen, so werden Fenster und Thüren sofort hinter ihr verschlossen, damit der Verstorbene nicht wieder zurückkehre. Bevor die Leiche in den Sarg gelegt wird, müssen ihr die Nägel an Fingern und Zehen beschnitten werden. In der „Edda“ wird es als ein Vorzeichen des nahen Weltuntergangs hingestellt, wenn es allgemein wird, diese Pflicht der Nächstenliebe zu vergessen. Auch Haar- und Bartschnitt waren in der altdeutschen Leichenordnung von Bedeutung, wie überhaupt die größte Sorgfalt auf Reinigung und Bekleidung der Leiche verwandt wurde. Altnordische Sitte war es, daß dem Todten Schuhe mitgegeben wurden. Wer einer Leiche schlechte mitgiebt, der wird oft hören müssen, wie sie damit in der Nacht im Hause herumschlürft. Wie bei unseren Vorfahren, so ist es auch jetzt noch an vielen Orten Brauch, der Leiche Geld in’s Grab mitzugeben. Wer kein Geld bei sich hat, sagt der Volksglaube, der muß mit den Gliedern seines eigenen Leibes die Ueberfahrt über den Todtenstrom bezahlen. Bei der Bestattung hatten ursprünglich Alle mitzuhelfen; unser Brauch, daß jeder Begleiter etwas Erde auf den Sarg wirft, erinnert noch daran. Man darf auch einem Verstorbenen nicht zu lange nachweinen, sonst nimmt man ihm die Ruhe. Die Thränen empfindet der Begrabene als frisches Blut in seinem Herzen. Es heißt darum in einem schwedischen Volksliede:
Denn jegliche Thräne, die deinem Aug’ entquillt,
Macht, daß sich mein Herz mit Blut anfüllt;
Doch jegliches Glück, das dein Herz bewegt,
Den Sarg voll duftiger Rosen mir legt.
Aus diesem weit verbreiteten Glauben erklärt sich die Heiterkeit, die oft bei Leichenmahlen waltet, die sich manchmal sogar bis zu Gesang und Tanz versteigt.
So lassen sich die meisten noch jetzt existirenden Begräbnißgebräuche, von denen wir hier nur einzelne nannten, auf die alte Zeit zurückführen. Ein eben erschienenes Werk „Die Todtenbestattung, Todtencultus alter und neuer Zeit oder die Begräbnißfrage. Eine culturgeschichtliche Studie von Waldemar Sonntag. Halle, 1878“ stellt in interessanter Weise die verschiedenen Leichengebrauche zusammen. Wer sich für diese Fragen interessirt, wird hier wie in dem erwähnten älteren Werke von Professor Rochholz reiche Belehrung und Anregung finden. Letzterem Buche entnehmen wir noch folgende Bemerkungen: Der Hagedorn, der eine roth- und eine weißblühende Gattung hat, war der zur Verbrennung der Leiche vorgeschriebene Strauch- und Brenndorn. An ihm wächst die moosgrüne Stielverwucherung, deren verschiedene Namen heißen Schlafapfel, Schlafdorn, Moosrose, Donnerrose etc. Odin steckt einen solchen Zweig der Brynhild unter’s Haupt, daß die Gluthen ihres Scheiterhaufens als „Waberlohe“ sie einschließen; das Kindermärchen aber hat sich das Dornröschen daraus gebildet, das hinter undurchdringlichen Dornenhecken im Zauberschlosse liegen muß. – Wie noch jetzt ein Grab jedem gebildeten Menschen ein geweihter Ort ist, so war es auch unseren Vorfahren heilig und unantastbar. Wehe dem, der von einem Grabe auch nur eine Blume brach! Eine Entwendung, an Gräbern begangen, hieß in altdeutschen Gesetzen nicht Todtendiebstahl, sondern Todtenraub und wurde schwer bestraft. Ließ aber ein Geschlecht die Gräber seiner Ahnen verfallen, so galt dies für ein gewisses Zeichen, daß dieses Geschlecht dem Untergange nahe sei.
Ueber die Septembertage des Jahres 1848 ist in der „Gartenlaube“ schon so oft eingehend berichtet worden, daß wir uns hier begnügen können, an folgende Thatsachen zu erinnern.
Am 26. August hatte Preußen, nach einem glänzenden Siegeslauf, plötzlich den Waffenstillstand von Malmö geschlossen, welcher das durch deutsche Waffen dem Dänen abgerungene deutsche Land Schleswig-Holstein dem Besiegten preisgab. Dahlmann, seit siebenzehn Jahren der treue Vorkämpfer der schleswig-holsteinischen Sache, hatte am 4. September eine Interpellation im Parlament deshalb eingebracht und die Verwerfung des Waffenstillstandes beantragt. Am 5. September wurde der Waffenstillstand vom Parlament mit siebenzehn Stimmen Majorität verworfen; das Reichsministerium Schmerling trat zurück, und der Reichsverweser beauftragte Dahlmann mit der Bildung eines neuen Ministeriums. Da Dahlmann nur mit Hülfe der Linken gesiegt hatte und mit Robert Blum nicht ein Ministerium bilden wollte, gab er den Auftrag an den Reichsverweser zurück. So kam die Waffenstillstandsfrage am 14. September ein zweites Mal vor die Nationalversammlung, und diesmal wurde der Vertrag am 16. September mit einundzwanzig Stimmen Mehrheit genehmigt. Die Rede, die Blum an diesem Tage gegen den Waffenstillstand hielt, ist die reifste und schönste seines parlamentarischen Wirkens, zugleich die letzte, die er in Frankfurt hielt. Er und Lichnowsky sprachen in ihrer letzten Rede versöhnlich, friedlich.
Die ungeheure Erregung über diesen Beschluß theilte sich den Volksmassen mit, die am 17. September, einem Sonntag, auf der Pfingstweide Versammlung hielten. Vergebens warnte Blum vor revolutionären Entschlüssen. Auch hier siegten die Gesinnungsgenossen Jäkel’s. Sie hießen hier Zitz und Schlöffel. Am 18. suchten bewaffnete Banden in die Paulskirche einzudringen, Barricaden erhoben sich in Frankfurt. Mit Todesverachtung ging Blum unbewehrt den Flintenläufen der Empörer entgegen und suchte durch die Macht der Rede den Frieden ohne Blutvergießen zu ermöglichen. Es war umsonst. Die Abgeordneten Fürst Lichnowsky und General Auerswald wurden barbarisch hingeschlachtet. (Siehe Gartenlaube 1873, Nr. 40.) Die Barricaden wurden durch Mainzer und Darmstädter Truppen gesäubert.
Unleidlich im höchsten Maße war durch diese Vorgänge die Stellung der Linken, vor Allem die Blum’s im Parlament geworden. Von der siegreichen Mehrheit unbegreiflicher Weise der Mitschuld an den Septembertagen verdächtigt, von den vernichteten Empörern und ihrem Anhang aus der äußersten Linken des Parlaments als Volksverräther verdammt – nach einem Briefe Wolaczeck’s vom 24. August hatte sich damals schon Arnold Ruge von Blum losgesagt, und jetzt sprach auch Ludwig Bamberger in Mainz ein vernichtendes Urtheil über Blum’s volksfeindliche Haltung aus – hatte er den Schmerz zu erfahren, daß auch weite Kreise seiner Anhänger in der Heimath in der einen oder andern Richtung gegen ihn Partei nahmen. Jäkel schrieb im Tone des Vorsitzenden eines Revolutionstribunals an Günther am 27. September: „Warum tratet Ihr nach dem schmachvollen Waffenstillstandsbeschluß nicht aus dem Parlamente aus und constituirtet ein eigenes? ... Ich habe Blum schon vor einem Monat geschrieben: wir seien entschlossen, Niemanden mehr zu schonen, der nicht ganz entschieden auftrete. Ich weiß nicht, ob er das richtig verstanden hat, aber auf gut Deutsch heißt es: Wir lassen uns für Euch todtschlagen, so lange Ihr die Freiheit mit Kraft anstrebt; wir schlagen Euch aber selbst zuerst todt, sobald Ihr schwankt und durch Aengstlichkeit große Dinge verpfuschen wollt.“
Blum fühlte das Bedürfniß, sich gegen diese Anschuldigungen zu rechtfertigen. Er that es in einem Briefe an Haubold am 3. October: „Dieser unsinnigste und fluchwürdigste aller Straßenkämpfe hat uns fast ebensoviel geschadet, wie die Februar- und Märzrevolution genützt, und man fragt sich oft ernstlich, ob es wirklich ein revolutionäres Frühjahr gegeben habe. Und wie stehen wir persönlich? Von der einen Seite giebt man uns ‚intellectuelle Urheberschaft‘ eines Kampfes schuld, bei welchem nur wir verloren haben und nur wir verlieren konnten. Auf der andern Seite wirft man uns Verrath des Volkes, Feigheit und Unentschiedenheit vor, weil wir die Versammlung auf der Pfingstweide nicht für das deutsche Volk ansehen und uns den Dictaten ihrer exaltirten Abgeordneten nicht fügen wollten ... Soll ich Dir versichern, daß wir keinen Antheil an dem Aufstande haben, daß wir vielmehr als Partei wie als Privatpersonen alles aufgeboten haben, denselben zu hindern? Dummheiten sind auf der Pfingstweide gemacht worden – das ist wahr, namentlich von Schlöffel und Zitz. An einen Aufstand aber hat kein Mensch gedacht; es hat ihn kein Mensch geahnt. Man hat diesen Aufstand gepflegt wie eine Treibhauspflanze.[1] Man hat das Blut unnütz und frevelhaft vergossen; mit einer Compagnie Soldaten war die ganze Kinderei – es war anfangs nichts Anderes – zu beseitigen. Während das Volk nun seine entrüsteten Blicke auf die angeblichen ‚intellectuellen Urheber‘ lenken läßt, wird man ihm Hände und Füße knebeln und es mißhandeln wie früher. Ach, das Schicksal unseres Vaterlandes und unseres Volkes ist doch ein sehr trauriges; es scheint mir oft, als ob es zum Tode verurtheilt sei, und nicht die Kraft zu einer Auferstehung habe.“
An seine Frau aber schreibt er am 4. October: „In der Nationalversammlung verfolgt uns Bosheit; vom Volke in die traurigste Stellung gebracht aus Dummheit, von den Demokraten angefeindet und geächtet aus Unverstand, stehen wir isolirter als jemals und haben vor- wie rückwärts keine Hoffnung. Die Zersplitterung Deutschlands hat nicht blos Staaten und Stämme aus einander gerissen, sie frißt sogar wie ein böses Geschwür an einzelnen Menschen und trennt sie von ihren Genossen, von aller nothwendigen Gemeinsamkeit. Nie bin ich so lebens- und wirkensmüde gewesen wie jetzt; wäre es nicht eine Schande, sich im Unglück von den Kampfgenossen zu trennen, ich würde zusammenraffen, was ich allenfalls habe, und entweder auswandern oder mir in irgend einem stillen friedliche Thale des südlichen Deutschlands eine Mühle oder dergleichen kaufen und nie wieder in die Welt zurückkehren, sondern theilnahmlos aus der Ferne ihr Treiben betrachten. Nicht, weil ich muthlos bin und am endlichen Siege der Vernunft verzweifle, sondern weil ich wirklich müde bin, völlig abgerungen in dieser Sisyphusarbeit, die ewig sich erneuert und kaum einen Erfolg zeigt. Wenn ich denke, ich müßte jetzt nach Leipzig zurück, um dort zu bleiben, ich könnte schwermüthig werden.“
Dieses tiefe Bedürfniß nach einer Ruhepause in dem unablässigen Kampfe, der dem rüstigen Kämpfer nur völlige Ermattung und Niedergeschlagenheit, beinahe Hoffnungslosigkeit eingetragen hatte, sollte mit einem Male in eigenthümlicher Weise befriedigt werden: durch seine Reise nach Wien. Diese untrüglichen Zeugnisse von der Stimmung Blum’s vor Antritt der Wiener Reise bewahrheiten aber zugleich nachdrücklich die Ansicht, daß der Führer der Frankfurter Linken „vor- wie rückwärts keine Hoffnung“ sah, mit der bisherigen Parteitaktik weiter zu kommen, daß ihm namentlich auch ein Anschluß an die „Demokraten, die ihn angefeindet und geächtet aus Unverstand“, in tiefster Seele zuwider war, und daß er daher diese Reise wohl antrat mit dem stillen Vorsatze, mit einem neuen realpolitischen Plane und mit neuer Kraft zu seiner Partei zurückzukehren. Sein Tod aber breitet über die Antwort auf diese Frage das Schweigen des Grabes.
Die Antwort, die der Todte nicht geben kann, giebt indessen sein Verhalten vor seiner Abreise nach Wien.
In Wien war, wie im übrigen Oesterreich und Deutschland, die Reaction zu Anfang October bereits wieder mächtig erstarkt. So unreif auch das Gebahren des siegreichen Radicalismus vom März bis October gerade in Wien zu Tage trat, und so lästig das Regiment der Aula für alle reifen politischen Bürger der österreichischen Hauptstadt sein mochte, gewiß ist, daß das Ministerium Wessenberg schon seit Monaten mit der [729] „Camarilla“ einen Staatsstreich plante, der mit Hülfe des Heeres die Märzverfassung aufheben und das alte absolute Kaiserthum wieder aufrichten wollte. Am 3. October enthüllte sich der andere Theil dieser reactionären Politik. Schon vorher waren Briefe aufgefangen worden, welche verriethen, daß die Regierung den in Ungarn eingefallenen Banus von Kroatien Jellacic heimlich mit Geld und Kriegsmaterial unterstützte. Durch die kaiserliche Verordnung vom 3. October wurde der Banus, der Todfeind Ungarns, zum Oberbefehlshaber aller kaiserlichen Truppen und zum kaiserlichen Statthalter in Ungarn ernannt. Das war die offene Kriegserklärung an Ungarn. Und der Volksinstinct in Wien hatte Recht, wenn er darin nur das Vorspiel zum Umsturze der Märzverfassung erblickte.
Eine bewaffnete Empörung bemächtigte sich innerhalb vierundzwanzig Stunden – dank der völligen Unthätigkeit und der rathlosen Führung der Truppen – am 6. October der Stadt, und ermordete in gräßlicher Weise den Kriegsminister Latour, während seine Grenadiere Gewehr im Arm dem furchtbaren Schauspiele zusahen. So empörend diese scheußliche That des Pöbels auf der einen, die Zuchtlosigkeit der bewaffneten Macht auf der andern Seite ist, so ist das Empörendste an der ganzen Tragödie doch die damalige Haltung der Regierung. Der Deputation des Reichstages, die nach der Revolution treuvertrauend zum Kaiser kam, um ihm zu versichern, daß Wien dem Kaiser nach wie vor gehorsam sei und nur verlange, daß der Kaiser die reactionären Minister entlasse und die Verordnung vom 3. October gegen Ungarn zurücknehme, versicherte er, das werde geschehen. Und die Nacht darauf entwich er mit dem Hofe nach Olmütz und hinterließ der Stadt seine Kriegserklärung, die jedoch ohne Gegenzeichnung irgend eines Ministers ein schlechthin rechtsungültiger Act war. Nach wie vor regierte der Minister Kraus im Namen des Kaisers in Wien. Nach wie vor tagte in beschlußfähiger Zahl der Reichstag. Und der General Fürst Windischgrätz, der sich nun von Prag her gegen Wien in Bewegung setzte, um die Hauptstadt zu unterwerfen, konnte sich nicht einmal auf eine kaiserliche Vollmacht berufen. Wahrlich, die Rechtsverwirrung konnte nicht größer sein.
Daß die Frankfurter Linke versuchte, zu Gunsten Wiens einen Ausspruch des deutschen Parlamentes herbeizuführen, war nur natürlich. Am 12. October brachte der Abgeordnete für Wien in Frankfurt, Joh. Berger, den dringlichen Antrag ein, das Parlament wolle erklären, „daß die deutsche Stadt Wien sich durch ihren Kampf gegen die freiheitsmörderische Camarilla um das Vaterland wohl verdient gemacht habe“.
Es war gleichfalls sehr natürlich, daß das Parlament diesen excentrischen Antrag ablehnte, die Dringlichkeit desselben verneinte. Nun zog Berger den Antrag selbst zurück. Schon vorher hatte jedoch die „vereinigte Linke“ beschlossen, für diesen Fall von sich aus eine Deputation nach Wien zu senden, um die verfassungstreue Majorität des Reichstages und das Wiener Volk zu beglückwünschen. Noch in der Sitzung des Parlaments schrieb Blum auf einen Zettel: „Wenn wir überhaupt eine Deputation nach Wien senden wollen, müssen wir jetzt Beschluß fassen und heute Abend wählen. Die Gewählten müssen morgen früh abreisen.“ Sämmtliche Abgeordnete der Linken setzten ihre Namen darunter, nur der Blum’s fehlte. Da trat Roßmäßler zu Blum und sagte: „Ich möchte mir dieses merkwürdige Document aufheben. Du fehlst darauf.“ Lächelnd setzte Blum seinen Namen in die letzte freie Ecke. Er wußte nicht, daß er sein Todesurtheil unterzeichnete. Ich habe „das merkwürdige Document“ oft bei Roßmäßler gesehen.
Am Abend war die Wahl der Deputation. Rasch waren die Clubs des Donnersbergs und des Deutschen Hauses einig über die Entsendung von Julius Fröbel, Moritz Hartmann, Albert Trampusch. Aber sollte man Robert Blum in Frankfurt entbehren können? Stimmengleichheit ergab sich für ihn und Karl Vogt. Da zog – es ist dies eine persönliche Mittheilung von Karl Vogt an den Verfasser – Blum den Freund hinaus und beschwor ihn, bei der Stichwahl zurückzutreten, damit Blum aus der dumpfen Frankfurter Atmosphäre hinauskomme und Zeit zu fruchtbarer Sammlung und Erholung gewinne, die der ganzen Partei zu Gute kommen werde. Vogt trat zurück, und Blum wurde gewählt.
In der Nacht des folgenden Tages kam er in Leipzig an. Noch einmal schlief er im eigenen Hause – die letzte Nacht – herzte die Kinder, umarmte die Gattin – dann ging es am Frühmorgen des 14. October über Breslau nach Wien in einem wahren Triumphzuge. Am 17. erreichte er mit den Genossen Wien. Von den Behörden, dem Volke wurden sie feierlich empfangen. Sie nahmen Wohnung in „Stadt London“. Die Proclamation, welche die Frankfurter Deputation am 18. October an die Mauern Wiens heften ließ, in der sie den Wienern „den Bruderkuß von vielen Tausenden“ überbrachte und ihnen versprach, „wenn das Schicksal will, die Gefahren mit ihnen zu theilen, mit der Wiener Bevölkerung zu stehen und zu fallen“, entsprach dem Tone jener Tage und war der Feder des Dichters Moritz Hartmann entflossen. Am 17. schreibt Blum an seine Frau: „Unter dem ersten Eindrucke dieser ungeheueren Stadt kann ich Dir nur anzeigen, daß wir ohne oder doch mit sehr geringer Gefahr hier angelangt sind. Wien ist prächtig, herrlich, die liebenswürdigste Stadt, die ich je gesehen; dabei revolutionär in Fleisch und Blut. Die Leute treiben die Revolution gemüthlich, aber gründlich.“ Doch später heißt es: „Nur Eins fehlt: wahrhaft revolutionärer Muth in den Behörden; man zerrt sich dort gar zu sehr mit Halbheiten herum und lavirt immer, um auf dem gesetzlichen Boden zu bleiben. Energie dort im ersten Augenblicke, und die Sache wäre schon entschieden. Hoffentlich bekommt Wien unter dem Kanonendonner auch dieses Fehlende noch. ... Wann ich zurückkomme, kann ich allerdings jetzt nicht bestimmen, aber jedenfalls reise ich diese Woche noch ab, denn eine Entscheidung erfolgt in den nächsten Tagen.“
Ganz richtig und treffend urtheilt hier Blum über die Zaghaftigkeit der Behörden, die allein die Ursache zur Unterwerfung Wiens durch Windischgrätz wurde. Wenige Meilen von Wien, an der Grenze Oesterreichs, stand das siegreiche ungarische Heer unter Moga, von dem Jellacic in die Flucht geschlagen worden war. Sehnsüchtig harrte man in Pesth auf ein einziges Wort des Wiener Reichstages, um Wien zu entsetzen. Kossuth hielt alle Waffenkräfte des Landes, die Windischgrätz später mit einer weit größeren Truppenmacht, als er nun gegen Wien führte, nicht zu bezwingen vermochte, bereit, um sie auf den leisesten Wunsch des Reichsrathes nach Wien zu führen. Doch dieses Wort, dieser Wunsch wurde niemals ausgesprochen.
In bitterem Unmuthe über die Täuschung, die aus der Ferne so herrliche Revolution in der Nähe als eine so klägliche Parodie erkannt zu haben, schrieb Blum auch am 19. Morgens an seine Gattin: „In aller Eile die Nachricht, daß ich wahrscheinlich Sonntags mit dem ersten Zuge von Dresden komme; doch kann’s auch Montag werden, aber wahrscheinlich Sonntag.“ Also nirgends ein Anhalt für die weitverbreitete Meinung, Blum habe von Haus aus in Wien siegen oder sterben wollen. Ihm selbst ganz unerwartet kommt die völlige Cernirung Wiens durch Windischgrätz’ Heer. Am 20. Nachmittags schreibt er der Gattin: „Du erwartest mich Sonntag oder Montag, und ich bin indessen hier fest eingeschlossen, sodaß Niemand mehr heraus kann. Gestern ist dies vollendet worden, und heute sieht man eifriger und sehnsüchtiger als je der Entscheidungsschlacht entgegen. Wir sind also völlig in die Hand des Kriegsglückes gegeben, und wo wir herauskommen, wann wir fortkommen, wohin wir den Weg nehmen – davon haben wir in diesem Augenblicke noch keinen Begriff. ... Sobald die Entscheidung gefallen und dann irgend ein Weg offen ist, gehen wir. ... In Wien entscheidet sich das Schicksal Deutschlands. Siegt die Revolution hier, dann beginnt sie von Neuem ihren Kreislauf; erliegt sie, dann ist, wenigstens eine Zeit lang, Kirchhofsruhe in Deutschland. ... Sei so unbesorgt als möglich! Ich bin in sehr heiterer Stimmung und werde es bleiben bei jeder Wandlung, denn die Sache ist groß. Hoffentlich sehen wir uns wieder – und bald.“
Auch diese bessere Ansicht von der Sache, die nun um Leben und Tod kämpfte, ist durchaus erklärlich. An die Spitze der eigentlichen militärischen Leitung war der That, wenn auch nicht dem Namen nach der energische und tüchtige Pole Bem getreten. Vom Reichsrath und Gemeinderath erwartete man stündlich den Hülferuf an die Ungarn ergehen zu hören. Inmitten einer Bevölkerung, in der fast alle waffenfähigen Männer sich zur Wehr setzten, ergriff Blum, den energischen Mann, allmählich der Drang, in der belagerten Stadt sich nützlich zu machen, so gut er konnte. Als daher L. Hauk am 24. October einen Aufruf erließ, in [730] welchem zur Bildung eines Corps d’élite aufgefordert wurde, dessen Zweck sein sollte, den Ordnungsdienst in der Stadt aufrecht zu erhalten, nahmen Blum und Fröbel Volontairstellen an. Das Corps bestand aus Nationalgarden, Mitgliedern der akademischen Legion und Arbeitern. Die Mannschaften wählten Blum zum Hauptmann der ersten, Fröbel zum Hauptmann der zweiten Compagnie. Ein kleiner schmächtiger Student von achtzehn Jahren bot sich Blum als Freiwilliger an und wurde mit herzlichem Händedruck willkommen geheißen. Der junge Mann hatte soeben in Breslau seine Studien begonnen und war hierher geeilt: er hieß – Eduard Lasker. Bald machte nun der fühlbare Mangel an Kerntruppen die Verwendung dieses Corps, das lediglich zum Sicherheitsdienste in der innern Stadt bestimmt war, im Feuer, gegen den Feind nöthig, was um so leichter anging, da dasselbe unter Befehl Messenhauser’s stand. So wurde Blum in’s Gefecht commandirt und konnte selbstverständlich nicht Nein sagen. Am 26. October stand er mit seiner Compagnie an der Sophienbrücke, am 28. an der Nußdorfer Linie in heißem Gefecht. Alle Betheiligten geben ihm das Zeugniß eines trefflichen, muthigen, kaltblütigen Führers. Charakteristisch für seine Haltung ist sein Wort an seine Leute, während er und sie im Gefecht an der Nußdorfer Linie mit Kugeln überschüttet wurden: „Kinder, die Kugeln die Ihr pfeifen hört, thun Euch nichts.“ An seine Gattin schrieb er am 30.: „Ich habe am Samstag noch einen sehr heißen Tag erlebt; eine Streifkugel hat mich sogar unmittelbar am Herzen getroffen, aber nur den Rock verletzt.“
So sehr es nun menschlich erklärlich ist, daß Blum so handelte, wie er that, und so sehr seine Betheiligung am offenen Aufstande verziehen und straflos war durch die Capitulationsbedingungen vom 30. October, so war doch diese Betheiligung bei ihm, dem Fremden, dem Abgeordneten, ein schwerer politischer Fehler, welcher in dem Irrthum wurzelte, als ob „in Wien sich das Schicksal Deutschlands entscheide“. In Wien konnte sich dieses Schicksal nicht entscheiden. Auch die Rede, welche er am 23. October in der Aula hielt und die später neben seiner Betheiligung am Aufstand den übeln Vorwand für seine Verurtheilung zum Tode abgab, bewies, daß ihm jede Detailkenntniß der österreichischen Zustände abging.[2] Darin allein aber bestand die Betheiligung Robert Blum’s an der Wiener Revolution. Mehr haben ihm auch die Argusaugen seiner Richter nicht vorwerfen können, und es ist daher unbegreiflich, wie z. B. Anton Springer sich zum Colporteur des albernen Gerüchtes machen konnte: man habe bei Blum eine Proscriptionsliste von 6000 Namen gefunden, und in seiner Aula-Rede habe er den Arbeitern zugerufen: „Ihr müßt noch 200 Aristokraten latourisiren“ – Gerüchte, denen schon vor Ende November 1848 einer der obersten Officiere Messenhauser’s, Fenner von Fenneberg, in der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“ entgegentrat.
Zweifellos war es aber die Erkenntniß der schiefen Stellung, in welche sie sich begeben, welche Blum und Fröbel veranlaßte, bereits am 28. October Abends ihre Commandos niederzulegen. Ihre Demission wurde den 29. früh angenommen. Seit dieser Zeit sind die Abgeordneten ruhig in ihrem Hôtel zur Stadt London geblieben. Sicher ist, daß Blum in den kurzen Stunden, die er vom 29. October außerhalb seines Hôtels zubrachte, seinen Einfluß dazu benutzte, die Ueberzeugung von der Nutzlosigkeit ferneren Widerstandes zu verbreiten und namentlich von dem ruchlosen und wahnsinnigen Bruch der am 30. geschlossenen Capitulation über die Unterwerfung der Stadt abzumahnen. Als zu diesem Frevel die Verzweifelten unter den Vertheidigern durch das Herannahen der Ungarn und deren Gefecht an der Schwechat sich dennoch verleiten ließen, zieht er sich ganz in das Haus zurück und denkt sehnsüchtiger als je an die Heimkehr. Am 30. schreibt er der Gattin: „Mein Herz ist zerrissen von Zorn und Wuth und Schmerz. Ein Theil des städtischen Heeres will die Waffen nicht niederlegen, besonders die übergetretenen Soldaten sind in wahrer Raserei. – Sobald der Verkehr wieder beginnt, reise ich ab und komme nach Leipzig. Lebe wohl, auf baldiges Wiedersehen!“
„Auf baldiges Wiedersehen!“ – wie schmerzlich sollte diese Hoffnung getäuscht werden!
Am 1. November zog das siegreiche kaiserliche Heer in die bezwungene Stadt ein. Noch am nämlichen Tage erfolgten zahlreiche Verhaftungen, die in den nächsten Tagen schon nach Hunderten zählten. Unbekümmert und unbelästigt saß Blum in seinem Hôtel und bat den sächsischen Gesandten Herrn von Könneritz um einen Paß. Der Vertreter der heimathlichen Macht bot Blum seinen – Sophakasten zum Asyl an, da er Pässe durch die Soldaten nicht geben könne. Robert Blum begab sich nicht in dieses würdevolle Asyl, sondern blieb ruhig in Stadt London wohnen. Was sollte er auch befürchten? Sein Name war unter den Personen, deren Auslieferung Fürst Windischgrätz vor Abschluß der Unterwerfungsconvention vom 30. October verlangt hatte, nicht genannt. Ja, Fürst Windischgrätz hatte damals den Unterhändlern, die um Pardon selbst auch zu Gunsten militärischer Deserteure baten, auf diese Bitte selbst die trostreiche Antwort gegeben: „Ich werde mich an Großmuth nicht überbieten lassen.“ Nein, Blum hatte in der That nichts zu fürchten, so lange er nicht selbst mit Fröbel den unglückseligen Einfall hatte, sich daran zu erinnern, daß er Abgeordneter des deutschen Parlaments und als solcher vielleicht eher als Andere zur Erlangung eines Passes empfohlen, vor Allem unverletzlich sei. Bis dahin kümmerte sich die siegreiche Reaction nicht um Blum und hatte nicht einmal eine Ahnung von seiner Existenz in Wien. Sowie er aber in den Anachronismus verfiel, dem siegreichen Feldherrn gegenüber auf seine Vorrechte als Abgeordneter zu pochen, rief er den tragischen Conflict hervor. Daß Robert Blum so handelte, war das wahre tragische Verhängniß seiner demokratischen Natur, seines unbeugsamen Glaubens an die Macht und Majestät der deutschen Nationalvertretung.
Wer sich dem Glauben hingegeben, daß die zum Theil sehr guten Absichten des Berliner Friedenscongresses den Orient wirklich beruhigen werden, der hat in den letzten Monaten manche bittere Enttäuschung zu erfahren gehabt. Die einerseits von schlimmster Barbarenwirthschaft, anderseits von einem bunten Gemisch feindlich sich gegenüberstehender Racen und Religionen erzeugten Wirren und Krankheitszustände des dortigen Völkerchaos liegen zu tief, als daß sie durch äußerliche Mittel und diplomatische Schachzüge beseitigt oder auch nur beschwichtigt werden könnten. Kaum waren die Friedensverträge zwischen den Mächten ausgewechselt, so loderte bereits hier und dort mit oder ohne Aufstachelung von Constantinopel aus die Flammen bewaffneter Empörungen auf, und der Widerwille gegen die decretirte Neuordnung der Dinge gab sich in furchtbaren Ausbrüchen der Leidenschaft und des entschlossensten, vor Blut, Brand und grimmigem Mord nicht zurückschreckenden Widerstandes kund. Der bei der schleunigen Ausführung der Berliner Bestimmungen in Bosnien sich erhebende Widerstand hat in mörderischen Kämpfen von der österreichischen Waffengewalt niedergeworfen werden müssen, und es scheint dies in der Hauptsache vorläufig gelungen zu sein. In demselben Augenblicke aber wird auch schon unsere Aufmerksamkeit auf einen anderen Feuerpunkt gerichtet, auf Albanien, wo wir, dem Friedenswerke gegenüber, einen ganzen Volksstamm bis an die Zähne gerüstet sehen, einen Volksstamm, der unter den Elementen des bisherigen türkischen Reiches bei uns nur wenig bekannt ist, aber jedenfalls im weiteren Verlaufe noch von sich reden machen wird.
[731] Die Horden der „Albanischen Liga“ führen den von den Großmächten beendigten Krieg auf eigene Faust weiter, zunächst um die Montenegriner, die ihnen verhaßtesten aller Giaurs, mit blutigen Köpfen in ihre steinige Heimath heimzusenden. Plötzlich sind die seit Jahrhunderten in beständigen Fehden unter einander sich aufreibenden Stämme der Skipetaren wunderbar einig geworden. Der Toske drückt dem Gegen, seinem früheren Todfeinde, die nervige Faust, der mohammedanische Ultra umarmt den römisch-katholischen Miriditen, und der würdige Pascha von Skodra betrachtet diesmal den Bund der feindlichen Brüder, deren grimmige Feindschaft die Türken sonst immer geschürt und ausgenützt hatten, mit wohlgefälligem, halb ironischem Lächeln, nennt sie „Retter des Vaterlands“ und verspricht ihnen glänzende Belohnungen, während man doch erwartet hatte, daß ein so empörender Vorgang, wie die Ermordung Mehemed Ali’s durch die albanische Wuthgier, den ganzen Zorn der Pforte erregen und ihr die Pflicht nahe legen werde, Vergeltung zu üben für diese schnöde Abschlachtung eines ihrer verdientesten und gebildetsten Würdenträger. In der That ist Albanien jetzt die Vendée der hohen Pforte und zum Central-Waffenplatz für die Insurrection im westlichen Theile der Balkanhalbinsel geworden. Deshalb ist es wohl an der Zeit, unseren Lesern ein Bild vom Leben der Albanesen ihrer Heimath, Geschichte, ihrer Sitten und Gebräuche und ihres Parteiwesens vorzuführen.
Nichts läßt sich mit der eigenartigen Schönheit der albanesischen Küstenlandschaft vergleichen, welche man auf einer Fahrt auf der Adria voll Bewunderung an sich vorüberziehen läßt. Diese Höhenreihen mit ihren dunkelgrauen Riesenterrassen erscheinen wie von unzähligen Kuppeln, Thurmspitzen und anderen architektonischen Zierstücken überbaut, welche im Abendsonnenschein zauberhaft funkeln und mit hellleuchtendem Schimmer übergossen sind. Die Contouren der niederen Ketten heben sich aus dem Lichtgrunde der dahinter emporragenden Schneegipfel haarscharf ab. Schwelgend in solchem Anblick wähnt man sich in ein Märchenland versetzt und glaubt das Lied des Meermädchens aus Weber’s „Oberon“ von ferne singen zu hören. Leider ist vom Erhabenen zum Lächerlichen nur ein Schritt, in diesem Falle eigenlich ein Sprung. Nach den erhebenden Gefühlen romantischer Naturschwelgerei fallen wir aus allen Himmeln – bei der Landung am sumpfigen Strande. Da lungern die Lastträger umher und bei der Ankunft eines Schiffes drängen sie sich heran, um die Ankommenden auf ihren Schultern durch den ersten türkischen Sumpf an’s Land zu schleppen.
Auf einmal sieht man rings umher nur Schmutz und asiatische Wildniß. Das Traumbild ist zerronnen, und die im übelsten Sinne nackte Wirklichkeit tritt hervor. Von der höchst primitiven Landungsstelle bei der in einer Bergschlucht versteckten Stadt Antivari nach der Hauptstadt Skutari zu gelangen, gehört zu den geduldmordenden, mühseligen und halsbrecherischen Aufgaben und kann nur Leuten, die schon in den Hochgebirgen Tibets oder in Turkestan reisten, einigermaßen erträglich erscheinen. Man ist gezwungen sich einer oft nicht einmal des Weges kundigen Reiterkarawane anzuvertrauen, die aus einigen Führern und anderen wilden Gestalten besteht, denen der Grimm gegen die Giaurs aus den verkniffenen Augen blitzt. In solcher Gesellschaft muß man besten Falls zehn Stunden bei Gefahr des Lebens durch sumpfige Niederungen, über Gießbäche, an Felsabhängen entlang, aus durchweichten Fuhrten der Bojana reiten. Allen Respect aber vor der Sicherheit, Geduld und Ausdauer dieser an türkische Wirtschaft gewöhnten Rosse, die über glatte Felsblöcke hinweg balanciren, sich durch Gerölle durchstrampeln, die Ritze der elenden Fuhrten meiden und selten straucheln, aber nie davor gesichert sind, ihr tapferes Leben in einer Kothlache erstickend zu beenden. Wehe jedoch dem Unglücklichen, der durch Regen genöthigt wird, in einer elenden Gebirgsmühle sein müdes Haupt niederzulegen, ehe er die Stadt Skutari (Skodra) erreicht! Von der äußersten Dürftigkeit einer solchen Wohnung vermag sich ein civilisirter Mensch kaum eine Vorstellung zu machen, noch weniger aber von dem abscheulichen Geruch, in welchem diese Barbaren Albaniens, die sich von ihren altpelasgischen Ururahnen höchstens durch den Anzug unterscheiden, Tag für Tag zu leben und zu athmen vermögen.
Die Stadt Skutari liegt größtenteils in der von der Bojana, dem Abfluß des Skutarisees, durchflossenen Ebene und macht keinen imposanten Eindruck. Es fehlt hier jegliches Malerische. Im Spätsommer, Herbst und Winter stoßen die einförmigen, ganz vereinzelt stehenden Häuser, welche Schafställen gleichen, durch ihre Leblosigkeit und Unregelmäßigkeit ab, und im Frühjahr sieht man sie vor lauter Bäumen nicht. Das Einzige, was noch den Beschauer fesselt, ist der Fluß, die geschlängelte Bojana. Aber gerade diese glitzernde Wasserschlange bringt viel Unglück mit sich, denn durch häufige Ueberschwemmungen wird oft der größte Theil der Stadt unzugänglich und durch die späteren Miasmen die Luft in der heißen Zeit ganz unerträglich gemacht. Die elenden Brücken sind verwitterte Holzgestelle, die den Uebergang als tollkühnes Unternehmen erscheinen lassen. Nahe der Hauptbrücke erblickt man den graßen Bazar, einen der besuchtesten der Westtürkei.
Höchst unpraktisch hat man gerade diesen Versammlungsort dahin verlegt, wo das Wasser am schnellsten eindringen und zerstören kann. Manche Kaufläden stehen beständig unter Wasser, aber Niemand thut etwas, um eine Aenderung zu schaffen. Sehr lästig machen sich auch in Skutari, wie in den meisten größeren Türkenstädten, jene herrenlosen Hunde, welche massenhaft zwischen den Kaufläden umherlaufen, an Fleischerbuden das Blut von herabhangenden Hammeln lecken und nach Aas umherschnüffeln. Diese Bestien werden mit unbegreiflicher Humanität behandelt, dagegen muß man nur allzu oft Scenen scheußlicher Rohheit und Bestialität gegen Menschen sehen.
Unvergeßlich bleibt mir ein widriges Straßenbild. Einem armen Roßknecht, welcher Pferde zur Schwemme in die Bojana trieb, wurden dieselben von einigen ziemlich vornehm gekleideten Türken geraubt. Sie schlugen den Knecht blutig und warfen ihn in den Fluß, aus welchem er sich schwimmend rettete. Solche Scenen offenbarster Gewalttat erregen bei den Zuschauern keinerlei Aufsehen oder Entrüstung, sondern fast nur spöttisches Gelächter. Wer diese albanischen Türken kennt, findet es natürlich, daß die fanatischen Mörder Mehemed Ali’s diesen zum Opfer ihrer Blutgier erkoren, denn sie haßten in ihm nicht nur den Giaur, sondern auch die feine Bildung und die Gerechtigkeitsliebe des Europäers, und, was wohl die Hauptsache war, ihre Gier galt auch den kostbaren Waffen und schönen Gewändern des unglücklichen Muschirs. Nichts kann die Habgier eines Albanesen heftiger anstacheln, als der Anblick kostbarer Waffen eines Vornehmen.
Das Aeußere der Albanesen hat viel Bestechendes, sogar Imponirendes, namentlich die theatralisch stolze Haltung dieser Gebirgssöhne. Manche dieser buntgeschmückten Gestalten erinnert an den gravitätisch einherschreitenden Zigeunerhäuptling in der „Preciosa“. Die Gesichter haben meist einen edlen Schnitt; die Schädelform ist länglich, aber an der Stirn auffällig breit, die Nase fast römisch gerade und lang, die Brust meist sehr hoch gewölbt - Alles kündet strotzende Kraft und Gesundheit. Es ist ein kerniger und wirklich schöner Menschenschlag, von der Natur wie wenige andere Stämme bevorzugt. Durch die naturgemäße Lebens- und Nahrungsweise bleiben sie vor vielen Krankheiten geschützt. Mager und muskulös, langhalsig, mit stolz emporgerecktem Kopfe, aus dessen ziemlich kleinen und von mäßigen Brauen überwölbten Augen grelle Blitze hervorleuchten, mit nicht sehr üppigem Schnurrbart, aber langen Haarsträhnen im Nacken, mit wohlgestalteten, kräftigen Körperformen ausgestattet, stellt der Albanese äußerlich so recht das Bild eines Athleten und Helden aus der Zeit des alten Thraciens dar. Die meisten tragen das Haupthaar über der Stirn ringsum kurz, das heißt glatt abrasirt bis auf ein Schädelcentrum, dessen Haarstränge in gedrehten Zöpfen unter dem Fez versteckt werden. Viele aber lassen auch das Haar lang über das Genick herabfallen, rasiren jedoch ebenfalls den größten Theil des Vorderkopfes. Auffallend ist das helle Haar vieler Südalbanesen, ebenso ihre lichte Hautfarbe und ihr bläuliches Auge, Kennzeichen, welche vielleicht auf eine Vermischung mit Slaven, Gothen, oder noch früher mit Kelten hindeuten mögen.
Die Kleidung macht den Eindruck einer eigenartigen Ursprünglichkeit und ist im Allgemeinen recht gefällig. Sie besteht hauptsächlich aus der besonders den epirotischen Albanesen eigenthümlichen Fustanella, einem weißwollenen, vielfaltigen, bis zu den Knieen herabfallenden Rocke, unter welchen die Nordalbanesen eine blaue Hose aus Baumwolle zu tragen pflegen. Ueber die Fustanella wird ein brauner, weiter Mantel aus Ziegenhaaren und Schafwolle, den man Kapota nennt, geworfen. Die kleidsame [732] Flokate, eine Art Ueberjacke aus Wollenzeug ohne Aermel, welche die Brust unbedeckt läßt, ist hauptsächlich die Tracht des toskischen Stammes der Albanesen. Dieselbe wird eng anschließend getragen, und mit derselben hängt unten ein weites vielfaltiges Stück zusammen, das bis zu den Unterschenkeln herabreicht; das Ganze hält ein rother breiter Gurt zusammen. In Südalbanien trägt man auch reich mit Stickereien, Knöpfen und Rosetten verzierte Gamaschen.
Die Frauen der Albanesen zeigen in ihrer Tracht viel Aehnlichkeit mit den freilich viel fröhlicheren und anmuthigeren slavischen (montenegrinischen und dalmatinischen) Schönheiten. Meist ist das Kleid von geringen Stoffen und einem Hemde ähnlich, darüber tragen sie aber eine bunte, mit Zierrath überhäufte kurze Jacke und über dem Busen ein Tuch; sie umhüllen sich mit einem langen, ärmellosen Ueberkleide. Auch die Frauen setzen mit Vorliebe einen Fez auf, gewöhnlich aber bedecken sie den Kopf mit einem Tuche, unter welchem das geflochtene und mit kleineren Goldmünzen geschmückte Haar versteckt bleibt. Eigentlichen Schönheiten begegnet man höchst selten, auch sorgt die Barbarei der Männer schon dafür, daß sie niemals ihr Haupt froh und frei erheben, sondern fast stets unter der Last eines bejammernswerten Daseins verkommen. Gleich den niedrigsten Mägden geplagt und verachtet, finden sie nirgends Erholung, fröhliche Feste und gesellige Vergnügungen, wie die lustigen und koketten Slavinnen oder Griechinnen, denen die Lust des Kolos oder anderer Tänze lacht. Alle Feld-, Haus- und sonstige Arbeit ist ihnen aufgebürdet, und dazu sind sie allezeit dem gröbsten Undank und rohester Begegnung von Seiten der Männer ausgesetzt. Ueberhaupt stellen sich die Albanesen hinsichtlich der Mißachtung weiblicher Anmuth, Würde, Tugend und Ehre tief unter andere Barbarenvölker.
Bis zur Geburt des ersten Kindes darf eine Hausfrau nicht einmal den Mann in Gegenwart von Gästen mit seinem Namen anreden. Wie lästig für eine so arme erniedrigte Frau der Besuch von Freunden und Verwandten sein muß, kann man sich vorstellen, wenn man sie Allen nach der Reihe die höchst unappetitlichen Hände küssen sieht, wie es ihres Amtes ist. Da darf um aller Heiligen willen Keiner übersehen werden! Nur in Südalbanien hat sich noch ein winziger Rest ritterlicher Galanterie erhalten, der freilich sonderbar genug mit der empörenden Behandlung der Hausfrauen contrastirt. Dort widmet nämlich der Hausherr seinen Schwägerinnen seine durch die Landessitte geheiligte Huldigung, indem er dieselben wiederholt und nach Kräften reichlich beschenkt oder überhaupt durch Aufmerksamkeit auszeichnet.
Die höchst unwürdige Stellung der albanesischen Frauen entspringt offenbar aus dem uncivilisirten, halb türkischen Herkommen, die Frauen ohne jede Mitgift zu kaufen. Da die jungen Frauen keinerlei Besitz, nicht einmal ihre eigenen Kleider in die Ehe bringen, so werden sie eben nur als Arbeitssclavinnen und nothwendige Uebel geschätzt. Meist schon im dreizehnten Jahre werden diese Opfer der Tyrannei den gänzlich gemüthlosen Eltern abgekauft, um an der Seite eines mehr als rauhen Mannes ihre Jugend zu vertrauern und vor seiner beim geringsten Anlaß hervorbrechenden Grausamkeit zu zittern.
Ich kam vor Kurzem gelegentlich der Ausstellung von Newhaven über Dieppe nach Paris und nahm in der Rue de Rome Wohnung, in einem kleinen, aber sehr anständigen Hôtel garni, in welchem ich vor dem Kriege längere Zeit gewohnt hatte. Die Besitzer waren nicht mehr dieselben, aber im Café nebenan fand ich alte, bekannte Gesichter. Die Frau am Comptoir erkannte mich sofort und begrüßte mich herzlich.
„Wir haben schlimme Zeiten erlebt, seit wir uns nicht gesehen haben,“ sagte sie. „Ich glaubte, Sie würden einmal früher gekommen sein, aber es ist wahr, was kann Ihnen an Paris gelegen sein ohne Pauline!“
„Ohne Pauline?“ unterbrach ich sie rasch, „ist sie nicht mehr hier?“
„Ich habe sie nicht mehr gesehen,“ lautete die zögernde Antwort.
„Und ihr Bruder?“
„Er ist verheirathet und augenblicklich als Ingenieur im Marinedepartement der Ausstellung beschäftigt. Die Mutter, wenn ich nicht irre, lebt noch immer in der Avenue de Clichy.“
Ich dankte, zahlte und ging, ließ darauf durch den Hausknecht meine Sachen holen und begab mich, nachdem ich etwas Toilette gemacht hatte, sofort in einem Fiaker zur Avenue de Clichy. Daselbst angekommen – ich fand nichts verändert – stieg ich aus; die Oertlichkeit war mir nur zu sehr bekannt, und ich überschritt bald die Schwelle des Hauses, welches vor Jahren den Gegenstand all meines Sehnens und Hoffens geborgen hatte. Mit klopfendem Herzen stieg ich die wohlbekannten Stiegen hinan. Im dritten Stock zog ich die Glocke, auf deren Ton sonst ein liebliches Wesen oft stundenlang und ach! nie vergebens gewartet hatte. Wie ein Dolchstich drang er mir jetzt durch’s Herz. Ein kleines Mädchen von etwa sieben Jahren öffnete. Ich verlangte Madame Lefèvre zu sehen.
„Wen soll ich melden?“ fragte das artige Kind.
„Einen alten Freund.“ Ich getraute mir nicht, meinen Namen zu nennen. Bald stand ich vor der alten Dame. Sie hatte sich sehr verändert; der liebe gutmüthige Zug war einem schneidenden Ausdruck von Härte und Kälte gewichen.
„Wer sind Sie, und was wünschen Sie?“ war ihre Frage.
„Kennen Sie mich nicht?“ Ich war näher getreten und bot ihr eine vor Aufregung zitternde Hand. Doch sie wich zurück.
„Welche Kühnheit!“ sagte sie, wie zu sich selbst. „Monsieur,“ fuhr sie mit eisiger Kälte fort, ich „kenne Sie nicht, wenn ich Sie aber je gekannt habe, so verfluche ich den Tag, der Sie in mein Haus gebracht, bis an mein Lebensende. Gehen Sie! Claire, führe den ‚Deutschen‘ hinaus!“
Mit diesen Worten war sie verschwunden und ließ mich stehen; ich konnte kaum meinen Ohren trauen – diese Frau hatte mich vormals Sohn genannt!
„Sind Sie ein Preuße? Großmama liebt die Preußen nicht,“ sagte nun das Kind, indem es die Thür öffnete.
Ich entfernte mich traurig. Das ist die Mutter – wie wird es mir bei der Tochter ergehen, und wo werde ich diese ausfindig machen? Ich muß den Bruder aufsuchen. Ich bin ja gekommen, um empfangene Beleidigungen zu verzeihen und dem Patriotismus die gebührende Ehre zu geben, dem damals die geschworene Treue zum Opfer fiel.
Pauline – –
Ich hatte sie auf einem Volksfeste in St. Cloud kennen gelernt. Sie war damals in Gesellschaft ihres Bruders, der Braut desselben und eines andern jungen Mannes, der mit dem Bruder befreundet war. Ich lag mit einigen Bekannten auf dem grünen Rasen da oben, wo das herrliche Panorama der schönen großen Stadt sich den bewundernden Blicken bis in unabsehbare Ferne hinaus entfaltet. Meine Freunde machten mich auf das schöne Mädchen aufmerksam. Sie lag auf dem Boden ausgestreckt; der Kopf mit dem ausdrucksvollen Gesichtchen, welches von dem durch Spiel und Tanz aufgelösten dunkelbraunen Seidenhaare halb verdeckt wurde, ruhte in den Armen der sie liebkosenden Freundin; ihre Arme suchten von rückwärts diese schäkernd zu umfassen und gaben eine unvergleichliche Büste den Blicken preis. O! der Anblick war schön und in meiner Brust pochte es gewaltig. Ich war jung, von heißem Blute und fühlte den Hauch der Liebe mit versengender Gluth die tiefsten und geheimsten Gefühle meines Innern aufwühlen.
War einer meiner heißen Blicke von dem ihrigen aufgefangen worden? Hatte er gezündet? Sie errötete unter demselben wie eine erschlossene Lotosblume und nahm alsdann eine bescheidene Stellung ein. Es wurde auf dem Platze getanzt, und sie schien müde zu sein; sie gab dem sie begleitenden jungen Manne mehrmals einen Korb. Aber ihr Blick streifte mich schüchtern noch einmal; er sagte „komm!“ und ich ging; ich fürchtete keinen Korb und erhielt auch keinen. Wir tanzten, und als ich zu ihr redete,
[733][734] o Wunder! da war ich ihr nicht unbekannt. Sie war meine Nachbarin; nur ein Hof trennte unsere Fenster von einander und ich hatte sie nie bemerkt. Und als ihr Bruder sich näherte, da konnte sie mich ihm vorstellen:
„Sieh, Etienne, das ist der Herr, der so schön Clavier spielt –“
Das Wort und die Art, wie es gesprochen wurde, verscheuchten die düstern Falten von seiner Stirn, und wir wurden rasch mit einander bekannt. Aber der Andere, wer war er? Mit der Zeit erfuhr ich, daß es ein guter Freund der Familie und zugleich ein stiller, jedoch bis jetzt nicht erhörter Anbeter Paulinens war. Wir trennten uns damals bald. Ich wollte nicht zudringlich erscheinen, aber wer kann alle die kleinen Intriguen und Kriegslisten beschreiben, die nun folgten? Wer das süße Gefühl der Erwartung, mit welcher ich, hinter den Gardinen meines Fensters stehend, nach einem andern gewissen Fenster hinüberspähte? Und wer das Herzklopfen, wenn das liebliche Köpfchen sich zeigte, wenn zwei kleine Wachsfinger sich an das rosige Mündchen legten, die Enttäuschung, wenn ich vergeblich wartete, oder wenn sie, nachdem ich ihr eine Kußhand zugeworfen, erröthend davongeeilt war? Und bald – o, es war sehr bald – da hatten wir uns gefunden und verstanden; es war nicht mehr ein loses Kinderspiel, es waren ernstliche, heilige Schwüre für’s Leben. Wo sind diese Schwüre? Waren es nur die Geburten einer vorübergehenden Frauenlaune? Ich habe es lange geglaubt. Sie war ja so jung, zählte erst siebenzehn Jahre. Oft neckte sie mich mit dem oben erwähnten jungen Manne und noch andern Anbetern, und wenn ich böse oder traurig wurde, dann sah sie mir reue- und liebevoll in die Augen, bis mir das Herz überwallte, und sagte: „Du Lieber, ich lebe ja nur für Dich.“
Aber sie wollte auch viel von mir selbst wissen, und eines Tages fragte sie plötzlich:
„Gehst Du denn wieder nach Deinem Deutschland zurück? Dahin gehe ich nicht.“
„Dann liebst Du mich auch nicht.“
Sie begann heftig zu schluchzen.
„Sei ruhig!“ fuhr ich fort, „Dir zu Liebe bleibe ich hier. Aber wenn es doch sein müßte?“ –
„Wenn ich Dein bin, so werde ich Dir folgen bis an’s Ende der Welt, aber ach! ich glaube, ich würde sterben, wenn Du mich aus Paris wegnähmest.“
„Liebst Du Paris, Dein Vaterland überhaupt, so sehr?“
„Ueber Alles; nein, zuerst kommt die Mutter, der Bruder; ach nein, ich glaube, zuerst kommst Du – ich bin so verwirrt; ich weiß es nicht.“
„Süßer Engel“ – und ich küßte ihr die Thränen aus den schönen Augen.
Unsere Liebe wurde bald entdeckt. Da gestand sie ihrer Mutter Alles, war durch nichts zu bewegen, von dem Kinderspiel, wie diese es nannte, abzulassen, und verließ schließlich ihr Zimmer und ihr Lager nicht mehr. Das mochte wohl Eigensinn gewesen sein, denn als später die Mutter mir eine Einladung zuschickte, war sie plötzlich ganz gesund geworden.
„Ich bin auf den richtigen Arzt gefallen,“ sagte die Mutter, matt lächelnd, als das böse Kind schluchzend an ihrem Halse hing.
Wir wurden einig. Die Mutter verlangte vier Wochen Bedenkzeit, während welcher mir erlaubt wurde, das Haus zu besuchen. Sie konnte nichts gegen mich einzuwenden haben; meine Stellung war eine unabhängige, dauernde und einträgliche. Auch der Bruder machte gute Miene zum bösen Spiel. Der einzige Einwand war nur die Nationalität. Wer konnte aber den süßen Bitten des reizenden Kindes widerstehen?
Da kam das Gewitter herangezogen. In Ems zündete es und schlug vernichtend zurück in zwei liebende Herzen, mit ihnen wohl in viele tausend andere.
Es ist Krieg.
O, der schmerzliche, angstvolle Ausdruck ihres schönen Antlitzes, als diese Trauerbotschaft verkündet wurde! Zuerst wurde nicht viel davon gesprochen, als aber die Deutschen in Frankreich eingedrungen waren, als Sieg auf Sieg die deutsche Tapferkeit belohnte, da wurde Pauline still und immer stiller, und ihre Augen sahen roth aus und verweint.
Eines Tages lag ein Brief auf meinem Tische.
Ich hatte es erwartet, und nun es da war, warf es mich zu Boden. Was ich an diesem Abend, in der darauffolgenden Nacht gelitten habe, ist unsäglich. Meine Nerven durchzuckten mich mit erbarmungsloser Heftigkeit; meine armen Gedanken irrten sinnlos hin und wieder; mein krankes Gehirn brütete Pläne, daran ich nicht zurückzudenken wage.
Dir, mein Vaterland, an deiner treuen Mutterbrust gestehe ich es reuevoll: ich wollte ihr schreiben, daß ich ihretwillen die Waffen gegen dich zu erheben bereit sei. Gottlob, es hielt nicht Stand. Wie würde sie mich verachtet haben!
Am andern Morgen schrieb ich die folgenden Zeilen:
„Meine Pauline!
Sei es, wie Du es wünschest. Sehen wir uns für jetzt nicht mehr! Ob Frankreich siegt, ob Deutschland, ich hoffe, es wird noch Alles gut werden. Meine Gesinnung jedoch mußt Du erfahren, damit Alles klar sei zwischen uns. Meine Gebete sind für mein Vaterland. Gott gebe Deutschland den Sieg!
Der Brief war fort, und es wurde ruhiger in mir, aber das Herz blutete, es wand sich und zitterte in tiefer Noth.
Ich veränderte meine Wohnung und harrte des Weiteren. Berichte kamen und wurden widerrufen; Jeder weiß es, das Volk wurde getäuscht und betrogen, aber der Bericht, welcher die Ereignisse von Sedan brachte, konnte nicht verstümmelt werden – der Schlag war zu ungeheuer. Die Proclamation der Republik war die Folge, und ein neuer Geist, ein frischer Muth beseelte für den Augenblick das französische Volk. Mittlerweile war die Ausweisung der Deutschen aus Paris decretirt worden. Ich bereitete mich zur Abreise vor, wollte aber noch einmal Pauline sehen. Ich weiß, es war nicht recht von mir, aber ich konnte es nicht ändern.
Eine ihrer Freundinnen erbarmte sich meiner Noth. Durch ihre Vermittelung sah ich Pauline auf der Neuen Brücke (Pont neuf). Sie wußte von Nichts und schien ängstlich und überrascht. Das benahm mir die Sprache; ich konnte den Mund nicht aufthun.
„Warum haben Sie das gethan?“ fragte sie, indem sie scheu umher blickte.
„Um Abschied zu nehmen; ich reise ab.“
„Es war nicht recht; wir hatten Abschied genommen.“ Ihre Stimme war tonlos.
„So leben Sie wohl. Leb’ wohl und vergiß mich nicht; ich will Dich nicht in Verlegenheit bringen – ich habe Mitleid mit Deiner Angst.“
„Angst? für wen? Uebrigens es ist zu spät: da sind Antoine und mein Bruder; sie sind mir ohne Zweifel gefolgt. Treten wir hinter die Statue!“ – wir waren neben der Statue Heinrich’s des Vierten angelangt – „vielleicht haben sie uns noch nicht bemerkt.“
Es war in der That zu spät! Ich sah, wie Paulinens Bruder auf uns zeigte und seine Fäuste ballte. Beide Männer trugen die Uniform der Nationalgarde. Das Mädchen wurde blaß wie der Tod.
„Wir sind verloren,“ sagte sie.
Jetzt stand ihr Bruder vor uns.
„Eh bien, mademoiselle, sind das Ihre Versprechungen? Sie haben uns schmählich belogen, ebenso wie der ,Preuße‘ da. Er soll es bereuen. – Antoine, führe meine Schwester hinweg.“
Als dieser Anstalt dazu machte, sagte dieselbe abwehrend:
„Nicht, bis ich weiß, was Ihr mit dem Herrn anfangen wollt.“
„Das ist unsere Sache und die der französischen Republik.“
„Etienne,“ erwiderte sie mit bewegter Stimme, „Ihr werdet nichts Unwürdiges begehen. Nein, ich gehe mit Euch, aber laßt den Herrn unbelästigt seines Weges gehen! Er will Paris verlassen. Bitte, Antoine, kommen Sie hinweg!“
„Très bien, mademoiselle, wenn Sie hier vor meinen Augen schwören wollen, daß Sie nie einem verfluchten Preußen die Hand reichen werden, dann will ich Ihren Wunsch erfüllen, [735] oder sonst, bei Gott! soll der Herr nicht nach Deutschland, sondern in die Hölle reisen.“
Ich hatte Lust, ihm für die Beschimpfung an die Kehle zu springen; es wäre Thorheit gewesen; es hatte sich ein Kreis von Menschen um uns gebildet. Pauline sah hülflos umher.
„Antoine,“ sagte sie, „ich habe Alles gethan was Ihr wünschtet, warum seid Ihr nicht zufrieden?“
„Parbleu! dann hätten Sie Ihr Versprechen halten und kein Stelldichein geben sollen, aber kurz und gut: sind Sie entschlossen oder nicht?“
„Es war lediglich meine Schuld,“ erwiderte ich, „das Fräulein wußte von Nichts. – Pauline,“ sagte ich zu dieser „thun Sie nichts, was Sie nicht vor Gott verantworten können!“
Sie gebot mir Schweigen durch einen raschen, flehenden Blick.
„Ich will es nicht, weil ich eine freie Bürgerin bin und nicht gezwungen werden will.“
„Gut, mein Täubchen! und ich bin ein Bürger und Patriot; ich diene dem Vaterlande. Bürger!“ wandte er sich an die Umstehenden, „hier ist ein Preuße, ein Spion. Er hätte dem Decrete zufolge schon längst über die Grenze sein sollen, aber er zieht es vor, hier zu bleiben und Mädchen zu bethören.“
„Preuße! Spion!“ heulte die Menge. „In die Seine mit ihm!“
„Ja, in die Seine!“ wiederholten hundert Stimmen.
Pauline richtete sich hoch auf, und mit vibrirender Stimme rief sie aus:
„Er lügt! Dieser Mann ist weder ein Spion noch ein Verführer, er ist ein Ehrenmann und will nach seinem Lande abreisen, ich bürge für ihn.“
„In die Seine! in die Seine!“ schrie die Menge, die sich immer mehr vergrößerte, „werft das Mädchen hinterdrein.“
Der kritische Moment war gekommen. Ich bereitete mich vor, den Ersten, der sich nähern würde, mit einem Faustschlage zu empfangen; auch Paulinen näherten sich einige rohe Gesellen. Ihr Bruder trat vor diese hin:
„Es ist meine Schwester und eine Patriotin.“
„Sie soll es beweisen,“ lautete die Antwort. „Sie soll rufen: ‚Es lebe Frankreich! Nieder mit den Preußen!‘“
Mit lauter, fester Stimme wiederholte sie die Worte, und die Wuth der aufgeregten Menge wandte sich wieder gegen meine Person. Die Rufe: „An die Laterne! In die Seine mit dem Spion!“ tobten wüst durcheinander.
„Hört mich, Bürger!“ rief nun Pauline. „Dieser Mann war mit Zustimmung meiner Eltern mein Verlobter, und ich habe ihn geliebt. Ich bin eine Tochter Frankreichs und habe dem Vaterlande das Opfer meiner Liebe gebracht. Ich habe ihm sein Wort zurückgegeben und thue es hiermit noch einmal öffentlich. Aber auch Ihr seid Franzosen und keine Barbaren. Ihr werdet den Mann in sein Land zurückgehen lassen, damit er seinen Landsleuten erzählen kann von dem Patriotismus der Frauen Frankreichs. Dann verspreche ich, daß ich mit meinen schwachen Armen beitragen werde zur Vertheidigung der Wälle unserer geliebten Vaterstadt, und mein Beispiel soll tausend Andere anfeuern und ermuthigen.“
„Gut gesprochen, bravo! Die Bürgerin soll leben! Laßt den Deutschen ziehen, begleitet ihn zum Bahnhofe!“ rief die Menge.
„Nehmen Sie einen Fiaker!“ sagte ein sehr fein gekleideter Herr höflich zu mir.
Ich dankte ihm mit einem Blicke, während das Auge unverwandt auf Paulinens schöner Gestalt ruhte. Ich konnte keinen Blick von ihr erhaschen.
In diesem Augenblicke wünschte ich, daß die Drohungen zur That geworden sein möchten. Ich wünschte, daß Pauline laut vor aller Welt, vor meinem Nebenbuhler, ihrer Liebe sich gerühmt und dann mit mir vereint das Unvermeidliche erduldet haben möchte. Sie kam mir vor wie eine Komödiantin. Sie ging und sah sich nicht einmal nach mir um; das füllte mein Herz mit Bitterkeit. Die Menge hatte sich zerstreut. Ich hielt einen leeren Fiaker an und nannte die Adresse meiner Wohnung, wo mein Koffer gepackt stand. Die beiden Gegner sahen mich abfahren. Es wurde kein Wort weiter gewechselt. –
Acht Jahre verflossen. Die Verhältnisse führten mich nach England, von wo aus ich häufig Besuche in der Heimath mache. Paris hatte ich jedoch bis jetzt immer vermieden.
Nun kam die Weltausstellung; das galt mir als Vorwand. Ihr allein sollte mein Besuch gelten; die Erinnerung aber an die holde Gestalt drängte sich zwischen alle meine Ausflüchte und Einwendungen. Wie, wenn sie doch vielleicht noch meiner harrte? Nach Paris also! – Und ich war nun wieder in Paris und fand die herrliche Stadt schöner, belebter, heiterer denn je, aber zugleich den Haß gegen uns Deutsche unvermindert; und jetzt eilte ich, trotz der häßlichen Erinnerung, mich nach Etienne Lefèvre zu erkundigen, und erfuhr, daß er auf einer Geschäftsreise begriffen sei und erst in fünf Tagen zurück erwartet würde. Ich mußte also warten und füllte die langsam schleichende Zeit mit Ausstellungsbesuchen.
Endlich war die Woche vergangen und mit Ungeduld erwartete ich den nächsten Morgen. Gegen neun Uhr befand ich mich an Ort und Stelle. Ich wurde zu einem finster aussehenden, bärtigen Manne geführt, der mich mit inquisitorischem Blicke maß.
„Kennen Sie mich noch?“ fragte ich.
„Jawohl, ich kenne Sie, obschon ich wünsche, daß ich Sie nie gekannt hätte; was wollen Sie von mir?“
„Es ist mein innigster Wunsch, Nachricht über das Ergehen Ihrer Schwester Pauline zu erhalten.“
„Ah, Sie wünschen dieselbe zu besuchen?“
„Wenn es möglich ist, ja.“
„Kommen Sie!“
Wir gingen. An der Porte Rapp angelangt, winkte er einem Kutscher, flüsterte ihm einige Worte zu und lud mich ein, den Fiaker zu besteigen. Er selbst folgte; dann fuhren wir zwanzig Minuten lang, ohne ein Wort zu wechseln. Vor einem großen Thorwege hielten wir an. Ich las: „Cimetière Montmartre“. Es überlief mich kalt – wir betraten einen Todtenhof. Ich hatte verstanden. Nach einer langen Wanderung zwischen Grabsteinen, Kreuzen, Gebüschen blieben wir stehen. Da war ein schönes Grab mit weißer Marmorsäule, deren goldene Inschrift lautete:
geboren den 17. Mai 1853
gestorben den 25. December 1870.
und auf der andern Seite:
Mein Begleiter lehnte schweigend seine Schulter gegen den kalten Marmor, und ich sank auf die Kniee nieder; ich konnte meiner Bewegung lange nicht Herr werden.
„Reichen Sie mir die Hand,“ sagte ich alsdann, „hier über dem Grabe Derjenigen, die uns Beiden theuer war!“
„Es ist nicht nöthig,“ erwiderte er kurz, aber ohne Bitterkeit im Ton. „Ich gäbe zehn Jahre meines Lebens dafür, daß meine Schwester Sie nie gekannt hätte. Dann würde sie auch nicht da liegen,“ fügte er düster hinzu.
„Wie soll ich das verstehen? Erklären Sie sich!“
„Ich muß es wohl; es war Paulinens letzter Wunsch. – Nachdem Sie fort waren, wurde sie so still und in sich gekehrt, daß wir das Schlimmste befürchteten. Als die Deutschen Paris belagerten und wir auf den Wällen Dienst hatten, bezog sie ein Zimmer in der Nähe und besorgte unsere Mahlzeiten; kaum konnten wir sie verhindern, die Waffen zu tragen. Ich schalt sie oft wegen Mangel an Vorsicht, wenn sie sich den feindlichen Geschossen zu sehr aussetzte. Eines Tages – das Schießen war stärker als zuvor – kam sie nicht zur gewohnten Stunde. Ich litt Höllenpein bis zur Ablösung; dann suchte ich sie. Ich fand sie mit einem Granatensplitter in der Brust am Boden liegen. Ich trug sie in ein benachbartes Haus und wollte einen Arzt holen. ‚Es ist unnöthig,‘ flüsterte sie, ‚Etienne, verzeihe mir! Ich habe Euch betrogen; ich bin keine Patriotin; mein Herz gehört ihm; ich habe nie aufgehört, ihn zu lieben, über Alles bis zum Tode; Du sollst es ihm sagen, wenn er kommt, denn er wird kommen. Gott sei mit Euch Allen, mit der theuern Mutter und mit Frankreich.‘ Das waren ihre letzten Worte. Ich habe nicht mehr geglaubt, daß Sie kommen würden, nun Sie da sind, entledige ich mich meines Auftrages. Gott weiß, wie schwer es mir wird, denn sehen Sie, wir hassen die Deutschen.“
Er grüßte kalt, aber höflich, und ging. Ich rief ihn noch einmal an: „Und Antoine?“
„Er ist bei St. Quentin gefallen.“
[736] Ein Gefühl von Eifersucht überschlich mich. Sie sind todt, Beide von deutschen Geschossen getroffen, und sind vereinigt.
Nun aber fort aus Paris! Die Luft darin wird drückend. Grabmäler stellen sich mir von allen Seiten entgegen; die Leute auf den Straßen und Boulevards sehen aus wie Gespenster der Unterwelt, und jeden Augenblick, wenn ein Herr mit einer Dame in meinen Weg tritt, glaube ich, es sei Antoine mit Paulinen vereinigt.
Nachmittags miethete ich einen Fiaker und fuhr hinaus nach Asnières über die Seine, an der Insel „des Ravageurs“ vorbei, wo wir unter dem Schatten der schönen Bäume manche selige Stunde mit einander verkost hatten, wo ich nicht müde wurde, ihr kindliches, oft thörichtes, aber immer bezauberndes Geplauder anzuhören, ihrem Schmollen zu widerstehen; sie schmollte gern, um das selige Gefühl der erlangten Verzeihung genießen zu können, um die Thränen hinweggeküßt zu haben, die reichlich den bittenden Augen entquollen, um sich in meinen sie umschlingenden Armen geliebt zu fühlen. Ich fuhr weiter, nach St. Cloud, ließ ausspannen und stieg den Hügel hinan. Oben auf dem Plateau fand ich nichts verändert; die Aussicht war dieselbe, nur verschönert durch die herrlichen Gebäude der Ausstellung, das alte Teleskop war noch da, die Kuchen- und Limonadenbuden ebenfalls. Gruppen von jungen Leuten beiderlei Geschlechts lagen auf dem Rasen umher, da, wo ich vor acht Jahren Pauline zum ersten Male erblickt, wo ihr zierliches Füßchen hüpfend den Boden berührt hatte.
Meine Augen schlossen sich unwillkürlich. Ich träumte noch einmal jenen lieblichen Traum aus vergangenen Zeiten, und als ich erwachte, da war es Abend; ich wußte nicht, ob es Wirklichkeit sei, oder Täuschung. Jedoch die alten, düsteren Ruinen des zerschossenen Schlosses von St. Cloud standen da, grauenhaft inmitten der Unbeweglichkeit und des Schweigens, getreue Zeugen der Schrecken des Krieges, und in den Wipfeln der Bäume, über welche die deutschen Geschosse hinweggesaust waren, flüsterte es vernehmlich: tempi passati, tempi passati!
Eine „Doublette“. (Mit Abbildung S. 733.) Egidi ist vorüber. Goldlichte Streifen, welche den grauen Herbstabendhimmel vor einbrechender Dunkelheit gegen den Horizont hin noch einmal glänzend aufhellen, verheißen eine kalte Nacht. Der Grünrock, welcher an seiner Reviergrenze auf fürsorglich angebrachter „Kanzel“ am Rande eines gern besuchten Brunftplatzes harrt, freut sich der fast sicheren Aussicht, vor Finsterwerden noch einen Schuß auf Hochwild anzubringen. Nicht nur, daß die eingetretene Abendfrische den seit mehreren Tagen über die Grenze getretenen Capitalhirsch mit seinem Trupp auch heute wieder auf dem Platze erwarten läßt: der aufgehellte Himmel verspricht auch noch für eine ziemliche Weile günstiges Büchsenlicht. Und richtig, beide Voraussetzungen treffen zu. Vernimmt das gespannte Ohr doch schon jetzt von nicht ferner Dickung her das Kommen der Erwarteten durch hin und wieder hörbares Knacken zertretener Aestchen, wie durch das klappernde Anschlagen mit dem Geweih und gewisse murksende Töne, welche den Brunfthirsch verrathen. Bald darauf zieht, voran ein altes Thier, der ganze Trupp auf’s offene Gehau heraus, und dicht hinter ihm erscheint der stolzgekrönte Gebieter. Kaum auf der Blöße angekommen, läßt derselbe alsbald seine gewaltige Stimme erdröhnen, welche jedem etwaigen Bewerber um seine erkorenen rothhäutigen Schönen von vorn herein schwere Fehde ankündigt. Dann aber, einmal angereizt zu Kampfeslust, schlägt der Stattliche mit der machtvollen Waffe, seinem vielendigen Geweihe, zornmuthig gegen Unterwuchs und Fichtenstangen, daß es davon laut klirrend über den stillen Plan hinschallt. Endlich dieses nutzlosen Straußes müde, umkreist er erregt und mißtrauisch seine Auserwählten, daß auch nicht eine derselben sich vom Trupp entfernen kann, wobei der Eifersüchtige immer und immer wieder von Neuem seinen gewaltigen Kampfesschrei in die Ferne sendet.
Und horch! Von der Grenze herüber tönt eine trotzige Erwiderung. Ein leidenschaftliches Wettrufen der beiden fehdesüchtigen Waldfreiherren beginnt; der von drüben – wie man dem Klange nach beurtheilen kann – eilt dem diesseitigen Gegner rasch entgegen. Nach kurzer Pause, während welcher Beide geschwiegen, erscheint jener richtig am jenseitigen Waldessaume, und im Nu fliegt der Platzhirsch dem kecken Eindringlinge entgegen, ihn mit Gewalt aus dem Bereiche seines Harems zu vertreiben. Indessen dieser, obwohl nicht minder stark als sein Angreifer, weicht dem ersten Anpralle geschickt aus, um alsbald kühnlich mitten hinein in das ihm mißgönnte Gebiet seines erbosten Gegners zu trollen. Wuthschnaubend folgt der Beleidigte unmittelbar auf der Fährte des frechen Nebenbuhlers und zwingt den rasch Eingeholten zum unabweislichen Kampfe.
Prasselnd treffen, in heftigstem Zusammenstoß der wuchtigen Geweihe, die Erbitterten auf einander und zertreten und zerwühlen im gegenseitigen hartnäckigsten Widerstand mit ihren stahlsehnigen Läufen den haidebewachsenen Boden. In wüthendster Hast und Anstrengung schieben und drängen sich die an Kraft und Ausdauer einander Ebenbürtigen hin und her und kommen hierbei endlich, ohne inzwischen eine Entscheidung herbeigeführt zu haben, bis auf achtzig Schritt an die grüne „Kanzel“ heran. In dieser aber macht sich bereits unser lauernder Waidmann fertig, die Nahenden zu empfangen, zumal er ja doch nur Wechselhirsche in ihnen sieht, die sofort nach der Brunftzeit wieder ihre alten Stände, jenseit der Grenze, aufsuchen und so für ihn und sein Revier auf Nimmerwiedersehen verloren sein würden. Ein Schuß donnert durch den Abend, und hinter das Blatt getroffen fliegt der Höchstgeweihte der ritterlichen Recken im Feuer zusammen, und einen Augenblick später hat auch schon sein Kampfgenosse, der, nach dem ersten Schuß den Kopf emporreißend, in jäher Umkehr die Flucht ergriffen, das zweite tödtliche Blei der sicheren Doppelbüchse auf dem rechten Flecke sitzen, so daß auch er, brillant zeichnend, in hohem Bogensprung nicht zehn Schritt von seinem noch um sich schlagenden Schicksalsgenossen zusammenbricht.
So liegen die beiden Edlen, Prächtigen, die noch eben in vollstem, stürmischem Lebensübermuth sich so mannhaft gezeigt, todesröchelnd neben einander, während der führerlos gewordene Trupp, erschreckt durch die beiden Schüsse, flüchtig das Weite sucht und bald den Blicken des Nachschauenden entschwunden ist. Der so resolute Nimrod aber erfreut sich mitleidslos seiner gelungenen „Doublette“, wie die Jägersprache solch einen Doppeltreffer nennt.
Instinct oder Ueberlegung? Wenngleich die Discussion über dieses Thema als geschlossen angesehen werden kann, so scheint die nachstehende Thatsache mir doch als ein so besonders hervorragendes Beweisstück für den Verstand der Thiere zu gelten, daß ich der Versuchung nicht widerstehen kann, den interessanten Vorfall dem großen Leserkreis der „Gartenlaube“ mitzutheilen.
Wie schon oft, so auch diesmal wieder ein Canarienvogel! Der meinige, ein sehr zahmes, munteres und niedliches Thierchen, bekam eines Tages von mir eine abgegessene Weintraube. Dieselbe war ziemlich groß, und absichtlich steckte ich sie ganz durch die Stäbe. Sofort machte sich der Vogel darüber her und pickte daran herum, jedoch immer von der unteren Stange des Bauers aus, da er eine ausgesprochene Antipathie gegen das Betreten des Bodens zu haben scheint. Er betritt den Boden meines Wissens nie; selbst Zucker – seine Lieblingsspeise – läßt er, wenn dieser heruntergefallen, unberührt liegen. Da ihm das Fressen der Traubenreste auf diese Weise zu langweilig und mühsam zu sein schien, so versuchte er die Traube zu sich heraufzuziehen, doch wenn er nach vieler Mühe das eine Ende heraufgebracht hatte, fiel es immer wieder bei der geringsten Berührung herunter. Hier muß ich einfügen, daß ich schon stets dem Thierchen zu seinem Vergnügen einen Wollenfaden in den Käfig gegeben habe, mit dem es sich köstlich zu amüsiren scheint.
Heute nun holte der Vogel sich den auf der obersten Sprosse liegenden Faden herunter, zog dann nach oftmaligem vergeblichem Versuch das schwächere Ende der Traube glücklich wieder auf die Stange und begann nun, den Faden in den Schnabel nehmend, im Käfig hin und her zu hüpfen, von der Sprosse an die Seitenwände und zurück, und so fort ungefähr fünf- bis sechsmal, bis er es glücklich dahingebracht hatte, daß der Faden sich dreimal um Stange und Traube zu gleicher Zeit gelegt und somit beide mit einander verbunden hatte. Es war ihm zwar nur sehr unvollkommen gelungen, doch immerhin so, daß der Zweig nicht ganz herunterfallen, er ihn vielmehr bequem zur Hälfte abpicken konnte. Wenn man bei diesem ganzen Thun sein listiges, kluges Auge und sein außergewöhnlich lebhaftes Treiben sah, mußte man sich unwillkürlich die Frage vorlegen: „Konnte das Thierchen anders als durch folgerichtiges Denken und Ueberlegen zu dem Festbinden des Zweiges gelangen?“
Tempelhof bei Berlin, den 1. October 1878.
Erfreulicher Erfolg einer „Gartenlauben“-Bitte. Im Anschluß an den Aufruf „Vom Fuße der Zugspitz und des Wettersteins“ in unserer Nr. 22 erhalten wir folgende Zuschrift, die wir unseren Lesern mit Vergnügen mittheilen: „Allen Förderern meines Unternehmens zur Gründung einer Volksbibliothek für den Zugspitzkreis hiermit herzlichsten Dank für ihre reichen Spenden. Die Bücherei zählt, nach Ausscheidung des Unbrauchbaren über 1000 Bände gediegenen Inhaltes. Von Seiten des Magistrates ist zur Aufstellung derselben ein hübsches Local zur Verfügung gestellt worden, welches, zugleich als Lesezimmer eingerichtet, geheizt und beleuchtet wird. Zu Weihnachten wird die Bücherei, welche einen antiquarischen Werth von mindestens 2500 Mark repräsentirt, dem Districte kostenfrei übergeben werden.
Maler und Vorstand der Kunstschnitzschule in Partenkirchen
(baierisches Hochgebirge).“
Herrn B. B. in Gera. Daß die Schilderung des in der Nähe der Stadt Joachimsthal gelegenen Werbellin-Sees von Fr. Brunold (in Nr. 39) auch in Ihnen eine schöne Erinnerung geweckt, ist uns erfreulich zu hören. Die am Grimnitz und Werbellin erbauten askanischen Schlösser lagen anderthalb bis zwei Stunden von einander entfernt. Die beiden Seen können von mehreren Punkten aus gleichzeitig gesehen werden. Unsere Aufnahme des Werbellin ist nicht fern der Stelle geschehen, wo ehedem das Schloß gleichen Namens gestanden.
A. von R. Wir bedauern, von Ihrer Offerte keinen Gebrauch machen zu können.
R. v. S. Nicht geeignet und deshalb bereits vernichtet.
- ↑ Diese Darstellung stimmt mit der mündlichen Mittheilung eines leider jüngst verstorbenen Augenzeugen an mich, Julius Faucher’s. Faucher erzählte mir, er habe damals Germain Metternich, den Hauptagitator der Pfingstweide, im Palais des Herrn von Schmerling aus- und eingehen sehen. Neu wäre der Vorgang nicht. Schon zur Zeit des Frankfurter Attentates 1833 hatte die k. k. Bundestagsweisheit die Revolution zum Ausbruch kommen lassen, um nachher eine frische fröhliche Reaction heraufzuführen.
- ↑ Die völlige Harmlosigkeit des Satzes, der ihn des Todes würdig erscheinen lassen sollte, springt in die Augen. Er lautet: „Man möge an die Stelle des früheren Bandes der Gewalt, welches die verschiedenen Nationalitäten des österreichischen Kaiserstaates zusammengehalten, das Band gemeinsamer Freiheit setzen“. Das Kriegsgericht verstand darunter die Republik – während die ganze Wiener Bewegung durchaus monarchisch – aber allerdings constitutionell-monarchisch war!