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Die Gartenlaube (1872)/Heft 20

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1872
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[317]

No. 20.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Beim Alten am Sulzberg.


(Fortsetzung.)


Doch was war Das? Langsam entsank dem Franzl die Axt – der Jäger hatte rasch seinen Stutzen von der Schulter gerissen und schleuderte ihn weit von sich. Mit vorgestreckter Hand und friedlicher Geberde eilte er auf die Gruppe zu.

„Von mir hast Du nichts zu fürchten, Franzl,“ rief er hastig, „ich komme nicht in böser Absicht und habe dringend mit Dir zu reden.“

Staunen drückte sich in allen Mienen aus, und als traue er der Versicherung nicht recht, trat der Flößer-Franzl einen Schritt zurück.

„Ich glaub’ es wohl,“ erklärte der Jäger, „daß Euch Allen mein Auftreten hier unbegreiflich ist; aber kommt in’s Haus, dort soll sich Alles aufklären.“ Und er ergriff den widerstrebenden Burschen bei der Hand und trat mit ihm in’s Häuschen.

Den Jäger mit mißtrauischen Blicken bewachend, ging die Wirths-Resei den jungen Männern nach. Der alte Wildheuer aber schüttelte fortwährend den grauen Kopf und wisperte dem Mädchen zu: „Jetzt bin ich froh, daß ich nicht viel Verstand’ hab’, denn da d’rüber könnt’ Einem sein bissel Spiritus noch gar ausrauchen. Hält’ eher geglaubt, daß ein Hase in einen Fuchsbau schlüpft, wie die Zwei in mein Häusl.“

So große Gesellschaft war auch dort gewiß selten versammelt und sie füllte den beschränkten Raum darin ganz aus. Der große Ofen, nur aus Ziegelsteinen und Lehm aufgeführt, ragte weit in das rauchgeschwärzte Stübchen hinein. Auf der rohgezimmerten breiten Bank vor demselben nahm der Jäger mit dem Flößer-Franzl Platz. Die Wirths-Resei rückte sich einen dreibeinigen Schemel an den alten Tisch, und Anderl faßte Posto auf dem großen Holzblocke, auf welchem er seine Sensen dengelte. Glaasei aber kletterte an einem Leiterchen durch die Oeffnung in der Decke flugs hinauf zum Heu, das in einem engen Raume über der Thür lag, die nebenan in den Stall zu den Geißen führte, und zugleich den Futtervorrath und für Vater und Sohn die Schlafstelle bildete.

Alle waren auf’s Aeußerste gespannt auf die in Aussicht stehende Eröffnung, und die Neugierde wuchs noch mehr, als der Jäger-Maxl die Ueberreste jenes Briefes hervorzog.

„Kennst Du Das, Franzl?“ war seine Frage, und er breitete mit zitternder Hand die abgerissenen Blätter vor dem Flößer aus.

„Ja, ja, freilich wohl, das habt Ihr halt in meiner Joppe gefunden,“ bestätigte Franzl, ohne, wie es schien, auf die Sache besondere Bedeutung legen.

„So erzähl’ mir und nur schnell, wo und wie ist das in Deine Hand gekommen?“ drängte ungestüm der Jäger.

„Nu, das kann ich schon sagen,“ meinte Franzl gleichmüthig. „Ihr wißt’s ja selber, daß von uns aus Holz- und Kohlenflöß’ ’nuntergehen über Passau und Linz und bis Wien. Unterhalb Passau, wo’s in die Donau geht, bleiben wir allemal einen Tag dort im Ländwirthshaus, weil die Flöß’ für die Donau aneinander gehängt werden. Dort im Wirthshaus setzt sich neben mir – es wird voriges Jahr im October gewesen sein,“ besann sich der Franzl, „ich hab’ gerad’ meinen Janker (Jacke) getrocknet, weil drauß’ so ein böses Wetter war – setzt sich also neben mir Einer hin und fragt mich aus von meiner Heimath, wo die Fahrt hingeht und so allerhand. Es war ein kleines altes Mannerl, hat mir recht gefallen, und ich muß ihm auch gefallen haben, denn er war so gemein (freundlich) mit mir und war dengerscht (doch) ein feiner Herr, soll in der Näh’ dort eine Eisenschmelze und ein großes Hammerwerk haben.“

Die Blicke der gespannt aufhorchenden Zuhörer richteten sich auf den Jäger, denn die Blässe, die sein Gesicht überzog, und das Zucken seines Mundes ließen auf eine tiefe innere Erschütterung schließen. Nur der Flößer-Franzl, der seine Scheu vor demselben vollständig überwunden, bemerkte nichts und fuhr treuherzig in seiner Mittheilung fort: „Wie die Wirthsleut’ draußen waren, hat er zu mir gesagt: ‚Ich frag’ Dich nicht umsonst; wär’ ich nicht so alt und gebrechlich, ging ich selbst in Deine Heimath. Mich hat schweres Unglück getroffen; aber gern wollt’ ich Alles verschmerzen, hätt’ ich nur meinen ältesten Sohn wieder.‘ Auf Das bin ich näher zu ihm hingerückt und hab’ ihn ein wenig trösten wollen; er hat mir aber mit der Hand abgewehrt und mir weiter erzählt, daß ein Sohn von ihm heimlich fort ist und nichts mehr von sich hören läßt. Auf vieles Nachfragen hat er zuletzt ’rausgebracht, daß er sich in unserer Gegend herinn’ aufhalten soll. Er hat gleich an alle Landgerichte geschrieben, hat aber bis jetzt noch nichts Gewisses erfahren können. Ich hab’ ihn gefragt, wie sein Name sei, und da sagt’ er mir: ‚Karl Steiner.‘“

Rasch fuhr sich der Jäger mit der Hand über das Gesicht, um seine Herzensbewegung zu verbergen, und winkte mit der andern dem Erzähler, fortzufahren.

„Er hat ihn mir auch beschrieben, daß es ein schmächtig’s Bürschl ist mit lichtem Haar und ohne Bart, soll ein kurzes blaues Röckl tragen und eine Studentenkappe. Ich hab’ ihm gesagt, [318] daß bei uns in Nußdorf ein neuer Jagdgehülf’ angestellt worden ist, daß ich ihn aber nicht kenn’ und nicht gesehen hab’, denn als Holzknecht kommt man nicht gern zusamm’ mit den Jägern, geht ihnen lieber aus dem Weg. Auf Das hin hat er mich nimmer ausgelassen, der alte Herr, hab’ ihm fest versprechen müssen, daß ich ihn auf dem Rückweg aufsuch’, und da hat er mir nachher den Brief mitgegeben, hat mir die Zech’ ’zahlt und hat mir viel versprochen, wenn ich Den find’, dem der Brief gehört. Hab’ viel bei uns herinn’ herumgefragt in die Berg’ und gesucht, aber Alles umsonst. Ich will’s gesteh’n,“ fuhr der Flößer-Franzl fort und blinzelte den Jäger pfiffig von der Seite an, „anfangs hab’ ich auf Euch stark Verdacht gehabt – der Bart hätt’ mich nicht irr’ gemacht, den habt Ihr Euch halt steh’n lassen – aber Ihr heißt ja Max Hellmann und nicht Karl Steiner. So ist der Brief alleweil in der Joppen stecken ’blieben, ich hab’ alle Hoffnung schon auf’geben, und wenn ich manchmal einen Pfropfen für meinen Stutzen gebraucht hab’, hab’ ich halt ein Stück ’runtergerissen. So, da habt Ihr jetzt die ganze G’schicht’. Kennt Ihr vielleicht das alte Mannerl, weil Ihr gar so viel Antheil nehmt?“ bemerkte der junge Bursche noch.

„Es ist mein Vater!“ rief der Jäger schmerzlich berührt und legte beide Hände über die Augen.

Tiefe Stille herrschte in dem Stübchen. Keiner der Anwesenden sagte ein Wort, und die Neugierde, die zuerst auf allen Mienen zu lesen war, hatte sich rasch in den Ausdruck aufrichtigen Mitleids verwandelt. Aller Groll und Haß gegen den Jäger war verschwunden, und als er nun die Hände vom Gesichte zog und alle die bestürzten und wahrhaft theilnehmenden Blicke auf sich gerichtet sah, ging auch ihm das Herz auf. Er streckte der Wirths-Resei und dem prächtigen Burschen an seiner Seite herzlich die Hand entgegen und sagte bewegt: „Ich fühle, daß ich hier unter guten Menschen bin, und Ihr sollt meine Geschichte hören.“




5.


„Mein Vater,“ hub der Jäger nach kurzer Pause an, „besitzt in der That bei Passau ein großes Hammerwerk mit Fabrik, und ich denke nur mit Wehmuth an die erste glückliche Zeit meiner Kindheit. Mein Vater war ein rastlos thätiger, braver Mann, meine Mutter die beste liebreichste Frau, und ich genoß mit meinem um ein Jahr jüngern Bruder und einer ältern Schwester eine sorgfältige Erziehung. Wir liebten uns als Geschwister und theilten uns auch gleichmäßig in die Liebe der Eltern, bis ein unglücklicher Vorfall plötzlich das stille Glück und den Frieden in der Familie zerstörte. Durch die Unachtsamkeit eines Dienstmädchens stürzte mein Bruder Konrad aus dem Fenster und nur die aufopferndste sorgsamste Pflege konnte das schwer verletzte Kind am Leben erhalten; aber nur zu bald zeigten sich die traurigen Folgen des Sturzes an einem verkrümmten Rückgrat, das ein Jahr später sich zum vollständigen Höcker ausbildete. Alle Sorge und Liebe der Eltern häufte sich von da an auf das unglückliche Kind, und ich und meine Schwester traten gänzlich in den Hintergrund. Jeder Wunsch des jüngern Bruders mußte uns Befehl sein; wir mußten unser liebstes Spielzeug ihm zur Zerstörung überlassen, uns allen seinen kindischen Einfällen fügen, und es wurde streng geahndet, wenn wir uns dessen einmal weigerten. Die Eltern thaten, was sie ihm an den Augen absahen, und hatten bald nicht mehr den Muth, ihm irgend etwas abzuschlagen. Es konnte nicht fehlen, daß Konrad durch solche übergroße blinde Liebe im höchsten Grade eigenwillig und launenhaft, mit der Zeit aber boshaft, starrsinnig und gegen mich und Marie recht lieblos wurde.

War es bei dem Vater mehr das Mitleid mit dem armen verkrüppelten Knaben, daß er ihn für seine Unarten nicht strafen wollte, so suchte die Mutter durch verdoppelte Zärtlichkeit und übertriebene Nachsicht ihn für die erlittenen Schmerzen zu entschädigen.

Still und fügsam nahm meine Schwester die Strafen hin, die oft nur Konrad für irgend einen schlimmen Streich gebührten, ich aber, von Natur rasch und hitzig, ertrug es nicht so geduldig, wenn ich zum Sündenbock für den verzogenen Liebling gemacht wurde, der bald die ganze Familie nach Herzenslust quälte und tyrannisirte. Die ungerechte Bevorzugung erweckte in meiner Seele Groll und Bitterkeit, ich konnte es nicht ertragen, daß ich nicht mehr den gleichen Platz im Herzen der Eltern einnahm, und nur die sanfte Marie hielt mich schon damals von manchem heftigen Ausbruche den Eltern gegenüber ab. Zuletzt verhärtete sich auch mein Gemüth aus Mangel an Liebe und glücklich pries ich die Zeit, als ich im sechszehnten Jahre von Hause fortkam, um in einer größern Stadt die Handlung zu erlernen. Die Nachrichten, die ich während meiner Abwesenheit vom elterlichen Hause durch Marie empfing, lauteten nicht erfreulich. Das alte traurige Verhältniß verschlimmerte sich aber noch, da wir nach kurzer Krankheit unsere Mutter verloren, die vor ihrem Scheiden dem Vater einzig nur die Sorge um Konrad auf die Seele gebunden hatte. Ich sollte die Wirkung davon bald verspüren. Als ich nach drei Jahren zurückkehrte und voll froher Hoffnung in’s Vaterhaus eilte – ich hatte mich ja so gut gehalten und brachte die besten Zeugnisse mit –, wie schnürte es mir die Brust zusammen bei der kalten gleichgültigen Begrüßung des alternden Vaters! Wie mit eisiger Rinde aber legte es sich um mein warmes Herz, als Konrad mir seine feuchte magere Hand mit heuchlerischem Grinsen entgegenstreckte, denn es konnte mir nicht entgehen, mit welch feindseligen und tückischen Blicken er zu dem gesunden schlankgewachsenen Bruder hinaufschaute. Er war jetzt womöglich noch mehr verwachsen und verkrümmt, hatte sich aber geistig auffallend entwickelt und führte schon seit einem Jahre die sämmtlichen Geschäftsbücher mit musterhafter Pünktlichkeit. Ich selbst kam mir unter den Meinen vor wie ein Eindringling. Ich fühlte mich überall überflüssig und all’ mein Bemühen, das Vertrauen meines Vaters zu gewinnen und das, was ich gelernt, zum Vortheil des Hauses zu verwerthen, war vergebens. Konrad, der inzwischen zu seinen schlimmen Eigenschaften auch noch die der Heuchelei und Lüge gefügt, hatte den schwachen alten Mann ganz gegen mich eingenommen, und während er selbst sich dem Vater immer unentbehrlicher zu machen und seinen Schwächen zu schmeicheln verstand, versäumte er keine Gelegenheit, mich bei ihm anzuschwärzen und alle meine Handlungen in falschem Lichte darzustellen.

Unter solchen Umständen trieb es mich bald wieder fort und leicht war mein Abschied, als ich ein paar Meilen von unserer Besitzung in einer Glashütte einen Comptoirposten erhielt. Mit Eifer und Liebe versah ich zwei Jahre lang mein Berufsgeschäft, und es wurde mir von Seite meines Principals manche Begünstigung zu Theil. Dazu gehörte auch, daß ich mit einem meiner Collegen, an den mich die innigste Freundschaft fesselte, auf die Jagd gehen durfte, denn zu dem großen Hüttenwerk gehörten ausgedehnte Waldungen. Die ersten glücklichen Erfolge machten mich bald zum leidenschaftlichen Jäger. Ich schaffte mir einen guten Hund an, ging nun am liebsten allein auf die Pürsch und war selig, konnte ich herumstreifen in dem großen wildreichen Walde und mich ungestört meinem Lieblingsvergnügen überlassen. Aber ich bin einmal zum Unglück bestimmt, und auch das sollte zu meinem Verderben führen!“ rief der junge Mann schmerzlich aus und es schien, als wollte er jene Vorgänge noch einmal an seinem Geiste vorüberziehen lassen, denn längere Zeit saß er stumm, die Stirn in die Hand gestützt.

Niemand unterbrach das Schweigen, und Jedes wartete um so begieriger auf die Fortsetzung der Erzählung, als ganz sicher ein Jagdabenteuer zu erwarten stand. Der Alte rückte mit seinem Holzblock näher heran, auch der kleine Glaasei streckte seinen struppigen Kopf weiter und neugieriger aus seinem Heulager durch das Loch in der Decke hervor. Der Flößer-Franzl und die Wirths-Resei aber ließen trotz aller gespannten Aufmerksamkeit den günstigen Augenblick nicht vorübergehen, ohne einander fröhlich zuzunicken.

„Jeden freien Tag,“ fuhr der Jäger fort, „benutzte ich zur Jagd, und einmal, es war an einem Feiertag, war ich wieder allein und streifte weiter als sonst in’s Gehölz, ohne zum Schuß zu kommen. Der Abend nahte wieder und ich wollte eben auf eine Lichtung heraustreten, da sehe ich einen prächtigen Sechsender sich dort äßen. Ich hatte den besten Wind, konnte mich aber nicht näher anpürschen. Auf meinen Schuß ging er wohl flüchtig, ich bemerkte jedoch, daß er stark schweißte, setzte sogleich meinen Waldmann auf die Fährte und war gewiß, ihn bald in irgend einem Dickicht wieder zu finden. Weiter und weiter führten mich mein Hund und mein Jagdeifer in den Forst, da schlug mein Waldmann plötzlich an und der Hirsch brach vor mir durch [319] das Gebüsch. Ich fuhr rasch mit dem Stutzen auf und hatte schon den Finger an dem Tupfer, da sprang ein Jäger, das Gewehr in Anschlag, mir gerade in den Schuß. Ich hörte nur noch den Knall meiner Büchse, ließ sie dann aus den Händen fallen und stürmte, von Entsetzen gepackt, immer tiefer in den Wald. Gepeinigt von namenloser Angst irrte ich die halbe Nacht umher, und erst da machte ich die Entdeckung, daß ich schon am Abend auf fremdes Revier gerathen war und nothwendig vom Jäger für einen Wildschützen gehalten worden war. Das raubte mir vollends alle Fassung. Mein Erstes war, daß ich mich noch in derselben Nacht meinem Collegen und Jagdgefährten anvertraute. Dieser rieth mir, die Gegend schleunigst zu verlassen, und besorgte mir von einem seiner Freunde Papiere und einen Paß. In der kurzen Zwischenzeit hielt ich mich bei ihm verborgen, als aber zu meiner heimlichen Abreise schon Alles bereit war, faßte ich in meiner Rathlosigkeit den Entschluß, mich meinem Vater zu entdecken und um seine Vermittlung in der unseligen Sache zu bitten. Hatte er sich auch die ganze Zeit über kaum um mich gekümmert, so hoffte ich jetzt dennoch auf seine Hülfe.

Erlaßt mir die Schilderung meines Empfangs im elterlichen Hause. Sie hatten dort, weiß Gott durch wen, schon von meinem Unglück erfahren, denn mein Verschwinden und die Verwundung des Jägers wurden natürlich rasch in Zusammenhang gebracht. Ich bot Alles auf, um meine Unschuld zu betheuern; aber mein Vater, ganz beherrscht von Konrad, der mich ihm als Wildfrevler und Mörder hingestellt, wollte mich gar nicht anhören. Umsonst war mein und meiner Schwester Flehen, umsonst umklammerte ich die Kniee des alten Mannes und bat unter Thränen, mir zu glauben und mich nicht zu verstoßen – er blieb unerbittlich und nannte mich die Schande seines Hauses. Da irrte mein Blick seitwärts, und ich gewahrte das triumphirende höhnische Lächeln meines Bruders, der ja schon seit Langem kein Mittel gescheut, mich förmlich aus dem Wege zu räumen. Das war zu viel – ich sprang auf und stürzte fort mit dem festen Vorsatze, nie wieder daheim zurückzukehren, wo mir so hart und grausam begegnet worden. So wanderte ich in meinem namenlosen Elend innaufwärts bis nach Wasserburg. Dort erhielt ich auf Verabredung mit meinem Freunde die erste sichere Nachricht über die Folgen jenes unglücklichen Zufalls. Wie eine Felsenlast fiel es mir von der Brust und ich athmete wieder freier auf. Der Schuß hatte zum Glück nur leicht gestreift und durch die Bemühung jenes braven Collegen und das Dazwischentreten meines Principals klärte sich auch das Mißverständniß auf, und der verwundete Revierjäger stand von jeder gerichtlichen Verfolgung ab. Mich konnte aber nichts mehr bewegen, in die alten Verhältnisse zurückzukehren, und ich kann heute noch kaum ohne Schauder an die erlittene Angst und an jenen Auftritt zu Hause denken. Mein Plan war zuerst, mich in den großen Hammerwerken Tirols nützlich zu machen, da kam ich in Eure Gegend und entschied mich rasch zu einem längern Aufenthalte. In der Bitterkeit meines Herzens aber wollte ich für die Meinigen verschollen sein, und jene Papiere, die von einem Forstpraktikanten stammten, verschafften mir leicht die erledigte Gehülfenstelle in Nußdorf. Beim Herumstreifen in Euren prächtigen Bergen hatte sich auch die Jagdlust auf’s Neue in mir geregt. Doch das war es nicht allein, was mich hier bannte. Ich fand, was ich lange vergebens ersehnt, ein liebendes Herz. Das Mädchen, dem ich mich zu eigen gab, ließ mich meine herzlosen Verwandten vergessen und machte einen so glücklichen Menschen aus mir, wie ich es nach dem Erlebten nur sein konnte.

Rathe ich nun recht, so sagen mir die Ueberbleibsel dieses Briefes, daß mein Bruder gestorben ist, meine gute Schwester, wenn sie überhaupt noch lebt, vielleicht auf den Tod krank lag und daß all’ Dies den verblendeten alten Mann mürbe gemacht und seinem verstoßenen Sohne wieder näher bringt. Ich werde heute noch mit dem Förster reden und bin entschlossen, zu meinem Vater zurückzukehren, sobald es mein dienstliches Verhältniß erlaubt, und doch thue ich es nicht mit der rechten Freude. Dort finde ich wohl wieder die alte Heimath, aber mit ihr auch alle trüben Bilder und Schmerzen, die sich an sie knüpfen, und hier, wo ich eine neue, schönere zu gründen gehofft, hier verschmäht mich das Wesen, das mir das liebste ist auf der Welt – und so soll ich denn wieder nur elend bleiben!“

Mit pfiffigem Lächeln erhob sich der Heu-Anderl von seinem Holzblock und trat auf den Jäger zu.

„Jetzt hab’ ich ihn lang’ genug angehört, den Jammer, könnt’ einen Stein erbarmen!“ rief er aus. „Da nehmt meine Hand, so aufrichtig hab’ ich’s noch keinem Jäger ’geben, und weil Ihr auch schon auf fremdem Reviere gejagt habt, seid Ihr erst recht mein Freund, und die Freundschaft mit dem Heu-Anderl hat gewiß noch Keinem gereut. Aber jetzt den Kopf in die Höh’, frisch in die Welt ’neingeschaut, denn da heroben bin ich alleweil nur lustige Gesichter gewohnt.“

Der Alte nahm auf der Ofenbank dicht neben dem Jäger Platz, und mit schlauem Ausdrucke den weißen Schnauzbart streichend, fuhr er vertraulich fort: „Daß Euch der Schatz die Lieb’ aufgesagt hat, da könnt’ sich höchstens ein Blinder d’rüber verwundern. Das dümmste Diendl müßt’s schon lang’ gespannt haben, daß Ihr der Resei schon wochenlang auf Tritt und Schritt nachsteigt, und die Hagen-Lene gehört gewiß nicht zu den Dummen.“

Die Bemerkung des Wildheuers brachte in der Gesellschaft eine lebhafte Bewegung hervor.

„Eifersüchtig wäre sie!“ rief der Jäger und es ging ihm plötzlich ein strahlender Hoffnungsstern am verdüsterten Liebeshimmel auf. Er hätte dem klugen Alten um den Hals fallen mögen und konnte nicht begreifen, wie er nicht selbst schon auf diese Lösung des Räthsels gekommen. Nun war Alles gut. Wenn sie nur irre geworden an seiner Liebe, wenn sie nur Zweifel in seine Treue setzte, sollte sie von ihrem Wahne bald geheilt sein.

„Jetzt geht mir ein Licht auf!“ rief auch Resei hoch überrascht aus, indeß der Flößer-Franzl, der wohl wußte, daß er selber das Ziel der Sehnsucht des Jägers gewesen, innerlich belustigt vor sich hin schmunzelte.

„Schau, die Lene!“ fuhr das Mädchen fort, sich zu verwundern. „Drum geht sie alleweil so trübsinnig ’rum, thut so geschämig und geht mir überall aus dem Weg. Das gute Madel, ist sonst meine beste Cameradin gewesen, erst seit sie ’s mit einem Jäger hat“ – hier färbte ein flüchtiges Roth der Verlegenheit ihre Wangen – „sind wir seltener zusamm’kommen. Und wie sie jetzt aussieht, völlig verschwinden thut’s, das arme Diendl! Das muß anders werden, der will ich den Kopf zurecht setzen und das auf der Stell’. Jetzt leidet’s mich schon nimmer da!“ Und das Mädchen sprang entschlossen auf und drängte rasch zum Gehen. Dann plötzlich ergriff sie des Forstgehülfen Hand.

„Herr Maxl, oder Herr Karl, wie ich jetzt sagen muß,“ sprach sie ihm tröstend zu, „den Kummer um die Lenerl gebt auf, die will ich schon zusamm’richten und das heut’ noch. D’rum macht nur schnell fort, Leut’! Und Dir sag’ ich behüt’ Gott, Anderl, ich komm’ bald wieder ’rauf.“

„Will’s hoffen,“ sagte der Alte und geleitete seinen Besuch vor die Thür, während sein Bub’, flink wie ein Eichhorn, die Leiter herabkletterte.

Die Sonne, die sich schon tief gegen die Bergspitzen im Westen neigte, beschien nur glückliche Gesichter in der heimkehrenden Gruppe. Bei einer Windung des langsam absteigenden Bergwegs, von wo aus man des Alten Hütte gerade noch erblickte, schickte der Franzl einen lustigen Juchzer hinauf, den gleich darauf der Glaasei mit geschwungenem Hute von oben herab beantwortete.




6.


Die Wirths-Resei eilte in ihrer Ungeduld voraus, um den Kahn am Ufer loszubinden, und war auch die Erste, die hineinsprang. Mit kräftigen Armen zog der Flößer die Ruder, nachdem das Mädchen auf dem mittleren Sitzbrett neben dem Jäger Platz genommen.

„Mir läßt’s keine Ruh’ nimmer,“ sagte sie, „und ich kann’s kaum erwarten, bis ich bei der Lene bin, und heut’ müßt Ihr noch zusamm’kommen, ich kann den armen Narren nicht länger leiden seh’n, und am End’ ist doch blos mein Franzl schuld. Aber eine Freundschaft,“ setzte sie hastig hinzu, „müßt Ihr mir auch thun, Herr Karl, ich hab’ auch ein Anliegen an Euch.“

„Von Herzen gern, wenn ich’s im Stande bin,“ erwiderte der Jäger und schaute ihr freundlich in’s Auge.

„O gewiß, ich weiß’s ja, meine Godl hält ein großes Stück auf Euch und ich will mir heut’ Abend einmal das Herz nehmen [320] und ihr gesteh’n, daß ich den Franzl so gern hab. Wenn Ihr aber zuerst so ein bissel d’rum ’rum reden und zufällig auf den Franzl kommen wolltet, wie er so ein braver fleißiger Bub’ ist – recht ’rausstreichen sollt Ihr ihn, versteht Ihr! – nachher thät’ ich mich halt viel leichter und ich könnt’ Euch nicht genug Dank sagen.“

„Recht gern will ich das thun, Mädel, wenn nur auch Du meine Lene beruhigst und ihr den Irrthum benimmst.“

„Habt keine Sorg’!“ entgegnete zuversichtlich das Mädchen und der Kahn stieß auf das jenseitige Ufer.

„Deine Sachen schick’ ich der Resei,“ sagte der junge Mann während des Aussteigens lächelnd zu Franzl und benahm ihm und dem Mädchen damit jede weitere Befürchtung in Bezug auf sein letztes Jagdstückchen; „wenn ich Dir aber gut rathen soll, gieb das Jagen auf. Es geht nicht immer so gut aus weder für den Wilderer, noch für den Jäger.“

Der Jäger schlug die Richtung rechts durch einen jungen Eichenschlag gegen Brannenburg ein. Das Mädchen aber faßte ihren Burschen bei der Hand, zog ihn in der gleichen Richtung auf einen Fußweg durch die hohen Kornfelder, und mit wichtiger Miene und erhobenem Zeigefinger redete sie eifrig auf ihn ein:

„Franzl, morgen richt’st Dich fein sauber zusamm’, denn heut’ auf die Nacht sag’ ich’s der Godl, daß Du mein Bub’ bist, daß ich um die ganze Welt keinen Andern will, und morgen mußt halt nachher Du den Gescheidtern machen. So viel hab’ ich schon gemerkt bei der Godl, daß wir’s schon durchsetzen bei ihr.“

„Diendl, keine größere Freud’ hätt’st mir nicht machen können,“ rief der Flößer-Franzl, „an mir soll’s nicht fehlen!“ Und hell aufjubelnd schlang der stattliche Bursche den Arm um das Mädchen, und sie fest an sich drückend, hörte man ihn durch die leise bewegten Kornfelder fröhlich singen:

„Jetz’ bin i’ kreuzlusti’
Und juchez’ und lach’,
Kimm’ ’heut’ no’ zu’n Fensterl’n,
Lieb’s Diendl, bleib’ wach!

Und darfst Di’ nit sorgen,
I’ kimm’ so schö’ staad,
Als wenn i’ a’ Gambsei
B’schleicha thaat.“

Dem Hagengütchen war das glückliche Paar schon ganz nahe gekommen, da erst wand die schöne Resei sich aus dem Arm des Burschen, von dem sie sich nun rasch verabschiedete, um ihr Vermittelungsamt zu beginnen.

Die Hagen-Lene hatte die Beiden, starr vor Staunen, schon lange vom Fenster aus beobachtet. Es fiel ihr wie ein Schleier von den Augen, daß wenigstens ihre Cameradin, die Wirths-Resei, nicht zur Verrätherin an ihr geworden und schon ihren eigenen rechtmäßigen Schatz habe. Doch blieb ihr zum Nachdenken über die tröstliche Entdeckung nicht lange Zeit, denn mit heftiger Bewegung wurde die Stubenthür aufgerissen und die Genannte stand mit hochgeröthetem Antlitz vor ihr und rief halb athemlos im gutherzigsten Tone: „Wie, Lene, geh’ ein Bissel mit mir in den Garten ’raus, ich hätt’ nothwendig mit Dir was zu reden!“ Und ehe sie in ihrer Beklommenheit ein Wort zu entgegnen vermochte, war sie von der resoluten Resei schon beim Arm gefaßt und im Sturmschritt zur Stube hinaus in die Laube gezogen.

Der Jäger hatte unterdessen auch schon das Wirthshaus erreicht. Der düstere Ausdruck in seiner Miene war fast in Heiterkeit übergegangen, offen und freundlich grüßte er die Gäste, als er in das Herrenstübchen eintrat, und kaum konnte er die Gelegenheit erwarten, sich des übernommenen Auftrags bei der Frau Wirthin zu entledigen.

Es dauerte auch nicht lange, so nahm die von Natur sehr redselige Alte mit dem gewohnten Spruch: „Mit Verlaub, Herr Maxl!“ neben dem Jäger Platz, der seines ruhigen und anständigen Benehmens willen bei ihr sehr wohlgelitten war. Anfangs wollte die Unterhaltung nicht recht in Gang kommen, doch wußte der junge Mann das Gespräch unmerklich auf ihre Pflegetochter zu lenken. Von da an steigerte sich das Interesse der Frau, und bald war der Jäger in vollem Zug. Er erzählte ihr von seinem heutigen Zusammentreffen mit dem Mädchen am Sulzberg, sein Erlebniß mit dem Flößer-Franzl und damit in Kürze seine eigene Geschichte. Ehe die alte Wirthin vor Verwunderung über das Gehörte nur zu Athem kommen konnte, steuerte er keck auf sein Ziel los, rühmte ihr den Vortheil eines tüchtigen, rührigen jungen Wirthes für den Betrieb der Wirthschaft, und lenkte geschickt wieder auf den Franzl über, den er für des Mädchens Erwählten halte und der, wie sie selber wisse, in der ganzen Gegend als ein guter Sohn und arbeitsamer Mensch bekannt war.

Da trat Resei in voller Hast in’s Gastzimmer. Sogleich machte sie sich am Schenktische zu thun, von wo aus man durch die offene Thür in das Herrenstübchen sehen konnte. Mit freudeleuchtenden Blicken sah sie die Beiden in vertraulicher Unterredung beisammensitzen. Wie gerne hätte sie jetzt in dem Gesicht der Alten, das sie so gut kannte, lesen mögen, aber leider wandte ihr diese den Rücken zu. Dafür that ihr ein gegenüber hängender Spiegel die Freundschaft und zeigte ihr die gutmüthige, in jeder Falte hochverwunderte Miene der alten Godl, wie sie mit ihren klugen Augen eifrig den Worten des Jägers folgte und durch leises Kopfnicken jedem Satze innerlich zustimmte.

Wäre das junge Mädchen jetzt draußen im Walde oder in den Bergen gewesen, so hätte sie ihrer frohlockenden Seele durch einen Juhschrei Luft gemacht, denn was in dem Gesichte der alten Pflegemutter geschrieben stand, bedeutete nur Gutes. Hier zwischen den engen Wänden aber war sie in größter Verlegenheit, und wußte sie das vor Glückseligkeit überwallende Herz kaum zu beschwichtigen. Sie hatte außerdem eine wichtige Botschaft für den Jäger und wollte ihn um Alles jetzt nicht stören. Voll lebhafter Unruhe trieb sie sich in der Wirthsstube zwischen den paar Gästen auf und ab. Erst da sie bemerkte, daß das Gespräch allmählich in’s Stocken und die Alte in’s Nachdenken gerieth, machte sie sich in der Nähe der Thür durch ein Geräusch bemerkbar, und als sich der Jäger endlich nach ihr umschaute, winkte sie ihm mit den Augen. Dieser hatte selber Eile, mit seiner Vertrauten zu sprechen. Er nahm so schnell als möglich Abschied von der alten Frau, und draußen im Hausgang erwartete ihn auch schon seine Verbündete.

„In einer guten halben Stunde“, raunte sie ihm heimlich zu, „seid bei der großen Buche hinter’m Garten, da bring’ ich die Lene hin.“

„Tausend Dank!“ klang freudig des jungen Mannes Erwiderung und er reichte ihr im Fortgehen flüchtig die Hand, doch das Mädchen ließ ihn nicht sobald los.

„Nun, wie steht’s?“ sagte sie flüsternd, indem sie sich vorsichtig nach allen Seiten umschaute. „Hat die Godl nichts einzuwenden gegen den Franzl?“

„Alles steht gut, Mädel, nur das Wildern muß er halt lassen.“

„Ah was, Dummheit, das ist so schon ’rum! Als meinem Buben hab’ ich ihm die Freud’ ’lassen, aber meinem Mann, dem wollt’ ich’s austreiben!“ Und Resei’s Augen blitzten so entschlossen, daß der Jäger an der zum Besten Franzl’s geübten strengen Disciplin in ihrem künftigen Hausregiment nicht den leisesten Zweifel hegte.

„In einer halben Stunde also!“ rief er ihr lächelnd noch zu und entfernte sich durch den Garten.

Sorgfältig vermied das Mädchen, ihrer alten Pathe in den Weg zu kommen, denn ihr erregtes brennendes Gesicht hätte ihr inneres Glück verrathen. Sie mußte sich erst noch sammeln, ehe sie über das süße Geheimniß ihrer Liebe sich auszusprechen vermochte. Auch machte sie sich bald auf den Weg nach dem Hagengütchen, um dem Jäger ihr Versprechen zu halten.

Schon geraume Zeit saß dieser dort auf der steinernen Bank unter der Buche und schaute nach der Richtung, von wo die beiden Mädchen kommen mußten. Die Minuten wurden ihm zu Stunden und unverwandt hing sein Blick am Gartenthürchen. Da ging es endlich auf und die Mädchen kamen über den Wiesengrund auf ihn zu. Der dicke Stamm des mächtigen Baumes verdeckte ihn fast ganz und sie waren schon ziemlich nahe da, ehe sie ihn gewahrten. Er aber hatte mit Entzücken sein liebes blondes Mädchen von Weitem schon beobachtet und mußte sich mit Gewalt zurückhalten, ihr nicht entgegenzueilen und sie an sein heißschlagendes Herz zu nehmen.

Getheilt zwischen dem Gefühl des Unrechts, das sie an dem Geliebten begangen, und der grenzenlosen Freude, den Verlorengeglaubten wieder zu besitzen, kam Lene über und über erglühend, mit gesenkten Wimpern langsam und zaghaft näher und ließ es

[321]

Kloster Ottilienberg bei Straßburg.
Nach der Natur aufgenommen von R. Aßmus.

[322] willenlos geschehen, daß Resei sie bei der Hand nahm und mit einem kräftigen Ruck rasch vor den Jäger hinzog.

„So, da habt Ihr jetzt Euer Diendl, Herr Karl, sie ist Euch von Herzen gut, macht’s aus miteinander!“ rief die Wirths-Resei und lachte über das ganze schelmische Gesicht. „Laßt Euch,“ fügte sie vertraulich dem Jäger zuflüsternd bei, „bei der Hagenbäuerin keinen Verdruß anmerken; daß sie so grob war, ist ihr selber zuwider genug.“

Und während Lene mit dem erstickten Ausruf: „Mein lieber Herrgott, kann’s denn sein, nach so viel Leid und Elend, so viel Glück und Freud’!“ an die Brust des überglücklichen Jägers sank und, von seinem Arm umfangen, mit versagender Stimme gelobte, daß sie nie mehr an ihm zweifeln wollte – sprang Resei im Fluge den grünbewachsenen Hang empor, auf dem der zitternde Abendstrahl spielte. Sie war außer sich vor Freude und jubelte wie eine Lerche laut hinaus in den goldenen Abendhimmel, ungewiß, was sie im Grund der Seele augenblicklich mehr beglückte, daß sie und ihr lebensfrischer Franzl ein Paar würden, oder die Wiedervereinigung jenes schmerzensreichen Liebespärchens, die sie in ihrer Gutherzigkeit so rasch bewirkt.

Die Dämmerung war inzwischen hereingebrochen. Der Jäger und sein Mädchen saßen, innig aneinander geschmiegt, noch unter der Buche, und Lene horchte hoch auf über seine Mittheilungen und die frohe Aussicht, die sich ihnen jetzt eröffnete, indeß ihre Cameradin schon in voller Geschäftigkeit in der Wirthsstube waltete.

In halb freudiger, halb ängstlicher Erwartung sah Resei an diesem Abend Gast um Gast das Haus verlassen, und je leerer es in der Wirthschaft wurde, desto enger wurde es ihr unter dem Mieder und die frischen vollen Wangen flammten immer höher auf. Endlich hatte auch der letzte Zecher sich auf den Heimweg gemacht, sie hatte bis auf eins die Lichter ausgelöscht und die Krüge zusammengetragen. Die tägliche Abrechnung mit der alten Wirthin begann und war heute, an einem Wochentage, auch bald zu Ende.

„Gut’ Nacht, Resei, sei morgen bei Zeiten auf, weißt ja, es kommt in aller Früh der Kufsteiner Bot’,“ sagte die Frau, indem sie mit dem eincassirten Gelde zum Wandschränkchen schritt. Das schalkhafte Lächeln, das schon den ganzen Abend über das gute runde Gesicht gezuckt, wurde noch schelmischer, da sie keine Antwort vernahm und das Mädchen mit niedergeschlagenen Augen verlegen am Schenktisch zögern sah. „Nu, Resei,“ meinte sie nach einer Weile, „willst heut’ nicht in’s Bett?“

„Ja, Godl,“ ließ das Mädchen sich seltsam schüchtern vernehmen, „aber ich hätt’ zuerst noch ein Anliegen.“ Dabei getraute sie sich kaum aufzuschauen und zupfte eifrigst an ihrem Schürzenbande.

„Was ist’s denn, Resei?“ fragte die Alte scheinbar ganz harmlos.

Kurz athmend, mit halb abgewandtem Gesicht hub das Mädchen stockend an: „Weil die Godl neulich gesagt hat, ich soll vor ihr keine Heimlichkeit haben – so muß ich halt heut’ der Godl sagen, daß ich schon lang’ einen – einen Schatz hab’. Wir Zwei haben einander so viel gern, daß Eins für’s And’re könnt’ sein Leben lassen – und wenn ich den Buben nicht krieg’ – geh’ ich gleich lieber dem Inn zu!“

„Hoho, so schlimm wird’s wohl nicht werden!“ entgegnete die Alte und blickte mit komischem Lächeln über ihre Brille hinweg nach dem Mädchen, das immer noch halb abgewandt mit zitternden Fingern an der Schürze spielte. „Wer ist’s denn nachher eigentlich?“ forschte sie bedächtig. „Einen Namen wird er doch haben.“

„Ja, es ist – es ist – es ist der Flößer-Franzl!“ stieß Resei endlich hastig hervor. „So, jetzt ist’s in Gottes Namen einmal heraus, jetzt athm’ ich völlig leichter,“ fügte sie aufathmend hinzu und fuhr mit der Hand über die glühend heiße Stirn, als wollte sie sich den Angstschweiß abwischen.

„Hab’ weiter noch nichts gehört von dem Flößer-Franzl,“ sagte die alte Wirthin mit verstelltem Ernst, „als daß er stark auf’s Wildern geht.“

„Das ist aber auch Alles, was man ihm nachsagen kann,“ fuhr das Mädchen mit lebhafter Bewegung und raschen Tones zur Vertheidigung Franzl’s auf, und das ist auch grad’ keine Schand’! Er ist ein fleißiger, braver, ehrlicher Bursch’, er erhält seine alte Mutter ganz allein, und das sag’ ich der Frau Godl rundweg: einen Buben, der sich nicht traut, eine Gemse ’runterzuholen, den möcht’ ich meiner Lebtag’ gar nicht! Ist aber der Franzl erst der Meinige und ist ein hausgesessener Mann, nachher hat sich’s aufgehört mit dem Schießen, da bleibt der Stutzen schön ruhig am Nagel hängen.“ Erschrocken über sich selbst, daß sie sich zu solchem Eifer hatte hinreißen lassen, schaute sie jetzt der alten Godl ängstlich prüfend in’s Gesicht.

„Das ist alles recht, Resei,“ sagte diese, die sich nicht länger verstellen konnte, mit ihrem freundlichsten Lächeln, „aber bringen mußt mir ihn ja doch – ich kann nicht selber zu ihm gehen.“

„Ich wollt’ ja die Frau Godl grad’ drum bitten,“ rief das Mädchen mit ausbrechender Freude, „daß ich ihn auf morgen früh herbestellen dürft’.“ Und auf das schmunzelnde Nicken der Alten fiel sie ihr um den Hals, umfaßte sie, als ob sie dieselbe nie wieder loslassen wollte, und küßte im zärtlichsten Ungestüm wieder und wieder das gute runzlige Gesicht.

„Aber jetzt mach’ und geh in’s Bett, Resei,“ sagte die Wirthin gerührt und wehrte das stürmische Mädchen von sich.

Leicht und schwebend, wie von ihrem Glück getragen, flog Resei die Stiege hinauf nach ihrer Kammer, die ihr trotz der Dunkelheit voll Sonnenglanz erschien, und wartete am halbgeöffneten Fenster in lebhafter Ungeduld auf den Franzl, um ihm heute noch die große Freudenbotschaft zu verkünden.


(Schluß folgt.)




Vom wiedergewonnenen Bruderstamme.


II.


Auf dem Ottilienberge.


 Im stillen Klostergarten
 Eine bleiche Jungfrau ging,
 Der Mond beschien sie trübe –

 Uhland.


Wenn man auf der Plattform des Straßburger Münsters, die gerade in diesen Tagen der freudereichen, festlich begangenen Universitätseröffnung von vielen hundert aus Altdeutschland herbeigeeilten Fremden bestiegen worden ist, hoch über dem Alltagsleben der geschäftigen, lärmenden Welt steht, das Auge freudig auf den gewaltigen Kranz blauer Berge und weiter Fernen mit den verstreuten unzähligen Lichtpunkten der Dörfer und Städte gerichtet, dann glänzt uns auch in südwestlicher Richtung auf sargähnlichem Bergesrücken hellleuchtend ein prächtiger Diamant entgegen, dessen Funkeln von den sonnigen Wänden des Ottilienklosters herrührt.

Aber auch wenn wir uns auf niedriger, staubiger Heerstraße befinden, tritt jene charakteristische Bergsilhouette sehr oft hervor und blickt ernst auf die lachenden Fluren oder die dunkeln Waldeswipfel hinab. Nicht blos der Straßburger, sondern jeder Elsässer kennt den wolkenstrebenden blauen Berg mit seinem schmucken Klösterlein auf dem Rücken, das stolz über all’ die anderen Höhenzüge emporragt. Der Ottilienberg ist der Rigi der Elsässer. Besonders in der ganzen Straßburger Gegend ist er der populärste Punkt und ein Lieblingsaufenthalt aller derjenigen, welche weite Aussichten und schöne Bergcontouren sehen wollen. Auch jetzt, bei der Eröffnungsfeier der Universität, ist er das Ziel einer allgemeinen Wallfahrt der Festtheilnehmer gewesen, und diesen vor Allem mag unser heutiges Bild bei ihrer Rückkehr in die Heimath eine freundliche Erinnerung an jene ihnen gewiß für immer unvergeßlichen Tage bieten.

Es war im vorigen Sommer, als ich mich von dem am Fuß des Bergs gelegenen Klingenthal aus zum ersten Mal auf den Weg nach dem Nonnenkloster machte. In dem kleinen Wirthshäuschen nahm ich einen Jungen mit, der wir mein Gepäck trug, [323] und dann ging es links auf ganz schmalem Fußwege den Berg hinauf. Waldesnacht, die wunderkühle, umgab uns, während draußen die heiße Junisonne brütete. Gewaltige Felsblöcke, mit üppigem Moos bedeckt, ruhen unter den alten Buchen, spielende Sonnenlichter huschten durch das dichte Blätterdach und kosten mit den graziösen, schwankenden Farrenkräutern. Nur leise athmete der Wald, wenn der Südwind die Blätter küßte. Droben, am Waldesausgange aber fand ich, mit dichten Brombeerranken und dunkelm Epheu umzogen und von versunkenen, schönen Tagen träumend, zwei Ruinen: Lützelburg und Rathsamhausen. Beide sind so dicht aneinander gebaut, daß sie jetzt einer einzigen Ruine gleichen.

Der Berg, auf dem sich die beiden schönen Ruinen befinden, heißt der Humburgerberg. Auf der Weiterwanderung halten wir in einem schmucken Bauernhäuschen, das unfern von den Ruinen liegt, kurze Rast. Milch, Schwarzbrod und ausgezeichneter Zellenhonig werden uns von der freundlichen Wirthin gereicht. Auf dem Kamme des Berges sehen wir Brockenbilder. Kurzes Gras, verkümmerte Föhren, üppiges Haidekraut bilden die Vegetation. Köhler und Holzfäller begegnen uns. Sie kommen vom Kloster, dessen schieferbedeckte Wand hinter uralten Linden dunkel hervorschaut. Vor dem Kloster, etwa achtzig Schritte von ihm entfernt, steht seine Reliquie. Sie ist nicht auf dunkelm Altare eingeschlossen, auch nicht in goldenem Sarge, in dunkler Krypta aufbewahrt, wie diejenige von St. Marcus in Venedig. Aber sie ist gewiß ebenso alt, wenn nicht älter, als die kerzenbeleuchtete, goldgefaßte venetianische. Ihr fehlen allerdings die Attribute, Bischofsmütze und Krummstab, auch die purpurnen gold- und silbergestickten Gewänder, die glänzende Stola, welche die gläubige Menge küßt. Sie hat nur ein unscheinbares, hölzernes Röcklein als einziges Kleid und besteht aus nichts als einem uralten, hohlen Lindenstamm, in dem ein kleines Bildniß der Stifterin des Klosters, St. Ottilie, angebracht ist. Jung und Alt wallfahrtet zu dieser Reliquie, und wer vorbeigeht, pflegt wie auf der Prager Bruck vor dem heiligen Nepomuk den Hut abzunehmen, Viele schlagen auch kleine Nägel mit Blechstückchen ein, nicht als Herzwunden, wie vor dem Heiligen in Böhmen, sondern um die alte morsche Rinde, welche sich vom Stamme ablöst, wieder zu befestigen. Eine andere Stätte, die sich desselben Zulaufs und derselben Verehrung erfreut, ist die Ottilienquelle, deren kühles Wasser alle Augenleiden abhalten und heben soll. Wie gesagt, ist die Quelle hochverehrt und viel besucht; die meisten Fremden aber gehen wohl herauf, um in dem stillen Kloster auf einige Tage Gastfreundschaft und Sommerfrische zu genießen.

Prächtige hohe Linden wiegen ihr Haupt vor dem Eingange des Klosters, dessen ganze Façade mit Schiefer zum Schutze gegen die rauhe Wetterseite bedeckt ist. Die Stifterin des Klosters thront als Statuette über dem Eingange. Wir gelangen durch das Thor in den ersten Hof, auf dem sechszehn alte Linden, wahre Prachtstücke für die Mappe eines Landschafters, ihre grünen bemoosten Zweige mit dem frühlingsgrünen Laube emporstrecken. Rechts ist eine „Hotelleria“, aber ohne den sonst im Elsaß auf den Wirthshausschildern üblichen Zusatz: „Logirt zu Fuhß und zu Pfahrdt“ (zu Pferd). Die „Hotelleria“ ist zur Erquickung für Passanten erbaut, welche im Kloster nicht Nachtquartier nehmen wollen; neben ihr steht eine kleine Bude mit „Führern in das Kloster und seine Umgebung“, und Heiligenbildern etc. Links sind die Wohnungen der „Brüeder“, wie die Chorsänger von den Nonnen genannt werden. Außer ihren gesanglichen Functionen haben sie Handwerkerarbeiten für das Kloster zu verrichten. Der Tenorist ist Schuster und Sattler in einer Person, der Baritonist ist Stellmacher etc. Ferner befinden sich in dem Hofe die Stallungen für zwei Pferde, einen Esel, Kühe und für einige grunzende Vertreter der Thierwelt. Rechts vom Eingange steht die unscheinbare Kirche des Klosters, ein schlichtgothischer Bau, im Innern ohne bestimmten Stil. Moderne Säulen tragen die Wölbungen. Die sehr reich geschnitzten, großen Beichtstühle haben das Aussehen von Schränken.

Dann treten wir in den zweiten, den eigentlichen Klosterhof ein, der von den Gebäuden eingeschlossen ist, in denen sich die Zellen der Nonnen befinden. Rechts an der Thür läuten wir, die laute Klosterglocke drinnen tönt und eine „Schwester“ fragt im elsässischen Dialect nach unserem Begehren.

„Ich bitte um ein Zimmer für einige Tage, wenn möglich, mit hübscher Aussicht!“

„Sind Sie ganz allein?“ frug mich die Pförtnerin mehrere Male.

„Ja, ohne Frau und Kind.“

Die Schwester führte mich zu der Aebtissin, einer alten, freundlichen Dame, der ich mich vorstellte. Gleich darauf wurde mir ein Zimmer im zweiten Stock des Klosters angewiesen. Dasselbe war spiegelblank geputzt; drei Stühle, ein Tischchen, Schrank und Bett, über diesem ein sehr hübsch aus Elfenbein geschnitztes Crucifix, bildeten das Inventar. Das Fenster bot eine entzückende Aussicht, zunächst in den Klostergarten, der dicht vor mir lag, und darüber hinweg unendlich weit in das tief zu Füßen liegende Thal. Am fernen Horizonte taucht die Pyramide des Straßburger Münsters empor, hinter ihr ein glänzender Streifen, der Rhein, und die blaue Ferne, Alt-Deutschland. Ober-Ehnheim, St. Nabor sind ziemlich nahe gerückt, in der Tiefe, weiter, viele andere Ortschaften, deren Namen ich nicht kannte.

Ich wurde dort oben lebhaft an die Rigi-Aussicht erinnert. Es fehlen zwar die so und so viel Seen, von denen man viele nur mittelst Fernrohr erkennt; auch die gewaltige Pyramide des Pilatus steht nicht hinter uns, wenn wir den Blick in’s Flachland senken; aber gerade die Aussicht auf die Ebene nahm mich auf dem Rigi gefangen und an sie erinnerte ich mich auch hier in dem stillen Elsässer Nonnenkloster. Die Elsässer wissen die Aussicht zu schätzen. Das Ottilienkloster steht deshalb bei Allen in hohem Ansehen. Im vorigen Sommer hatten sich die Wogen des vergangenen Krieges noch nicht geglättet, drum sah ich nirgends Etwas von den sonst so zahlreichen Touristen und auf dem Ottilienkloster war ich der einzige Gast unter den Nonnen. Schwester Sabine rief mich zum Abendessen. Ich war neugierig, die Nonnen beim Abendessen zu sehen, und hatte im Stillen darauf gerechnet, mit ihnen zusammen speisen zu können. Etwa zehn bis zwölf Nonnen saßen denn auch bei der Tafel im Refectorium, die Aebtissin unter ihnen; ich wurde jedoch in einen andern Saal geführt, wo ich allein speiste. Bald leistete mir die „Frau Müetter“, wie die Aebtissin genannt wurde, Gesellschaft.

„So, so, Sie sind Maler; nun, dann wird’s Ihnen bei uns hier oben gewiß gefallen, wenn Ihnen sonst das Kloster nicht zu still ist. Den Herren Künstlern wurde es immer schwer, von hier abzureisen. Und, darf ich fragen, was für ein Landsmann?“

„Ja, Frau Mutter, das ist jetzt so eine Sache. Was würden Sie dazu sagen, wenn ich ein Preuße wäre?“

„Da wären Sie mir nicht ganz willkommen,“ antwortete sie lächelnd.

„Nun, dann sage ich Ihnen auch nicht, daß ich einer bin.“ Sie nahm mir meine Landsmannschaft denn auch nicht übel, hatte sie doch wohl gleich aus meiner Sprache dieselbe geahnt.

„Jetzt muß ich Sie aber auch noch mit unserm Herrn Director bekannt machen,“ sagte sie zu mir nach Tische. „Er wohnt oben im dritten Stock und ist der Geistliche des Klosters, welcher an Sonn- und Feiertagen die Messe celebrirt und sonst auch noch die Verwaltungsgeschäfte des Klosters besorgt.“

Wir saßen im Studirzimmer des geistlichen alten Herrn. Die Unterhaltung wurde leise geführt, drehte sich auch hier um Landsmannschaft, Zweck der Reise u. A. Die Sonne ging hinter den Bergtannen der Vogesen unter, und bald hatten sich die blauen Schatten der Dämmerung über die Höhen und weiten Thäler gebreitet. Wir verabschiedeten uns. Die Frau Mutter, welche keineswegs das Wesen einer strengen Aebtissin hatte, lud mich ein, in’s Gastzimmer zu kommen und es mir dort bequem zu machen, als ob ich zu Hause wäre. Die mir dargebotenen Schlafschuhe mußten angezogen werden, und ich fühlte mich dort wirklich ganz behaglich. Die Frau Mutter zündete eine kleine Lampe an und fragte mich, ob ich die Legende des Klosters kenne. Ich verneinte dies und bat um deren Erzählung.

„Die heilige Ottilie, unsere Patronin, kam blind zur Welt. Ihr Vater, der Herzog Adalrich von Elsaß, auch Atticus genannt, wünschte aber lieber einen Sohn zu haben; um keine Nachkommen von seiner Tochter zu sehen, beschloß er sie zu tödten. Die Amme aber floh mit dem Kinde nach einem der Klöster der Bourgogne, wo die junge Tochter, wie man sich erzählt, in dem Augenblick der Taufe, sehend wurde. Später gewann die heilige [324] Ottilie durch ihre glänzenden Tugenden die väterliche Zuneigung, welche jedoch nicht lange dauerte. Der Herzog wollte seine Tochter verheirathen, die heilige Ottilie fühlte sich aber mächtig zum Dienste Gottes hingezogen und, um die Drohungen ihres Vaters nicht wahr werden zu lassen, wollte sie auf’s Neue fliehen. Endlich sah Jener ein, daß es Gottes Wille sein müsse, da seine Tochter in dem Vorsatze, Nonne zu werden, unerschütterlich beharrte. Er billigte schließlich denselben und machte ihr das Schloß Hohenburg und dessen Güter zum Geschenk. Auf dem Platze, wo sich das Schloß befand, gründete die heilige Ottilie im siebenten Jahrhundert das Kloster, welches ein Asyl für arme, adelige Töchter des Landes wurde. – In den alten hohlen Lindenstamm, welcher vor unserem Kloster steht, soll, der Legende nach, die Amme mit der heiligen Ottilie sich geflüchtet haben.“

Als ich mich in meinem Zimmer befand, sah ich zum Nachtgruße der Landschaft noch einmal aus dem Fenster. Aus der Nähe und Ferne, namentlich in jener Gegend, wo Straßburg liegen mußte, leuchteten große Freudenfeuer, Raketen und Feuergarben stiegen auf und erhellten kurze Zeit das schlummernde Thal. Auf der Terrasse des Klostergartens standen die Nonnen und sahen dem Schauspiele zu. Ich hielt die Feuer für einen patriotischen Ausdruck meiner Landsleute, obgleich ich keine specielle Veranlassung dafür wußte, später erfuhr ich jedoch, daß die Feuer in den katholischen Städten und Ortschaften des Elsaß zu Ehren des – fünfundzwanzigjährigen Dienstjubiläums des Papstes angezündet wurden.

Am anderen Morgen um halb vier Uhr wurde ich von den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne geweckt, die in aller himmlischen Majestät über dem Rheinthale emporstieg. Die grünen Ebenen da unten waren in den feinen Silberton des Morgens getaucht, in ihnen glitzerten vergoldete Kuppeln und Kreuze der Kirchthürme. Später tönten aus zahlreichen Gemeinden die Morgenglocken herauf, denen unsere Klosterglocke in dem kleinen Thürmchen die Antwort thalwärts sandte.

Im Klostergarten ging eine hübsche junge Nonne, welche ich gestern nicht gesehen hatte. Sie begoß die Blumen und pflückte eine Rose. Gar ernst und gedankenvoll sah sie aus. Die Blumen sahen traurig zu der schwarzen, ernsten, schlanken Frauengestalt empor.

Verlornes Leben, verlorne Liebe –
Unheilbar ist dein Herzeleid.

Ich habe die Gestalt später nur noch selten gesehen; einmal draußen, als ich im dichten Haidekraut saß und das Kloster zeichnete, ging sie einsam in der Ferne vorbei. –

Das Klosterleben der Nonnen hatte ich mir ganz anders gedacht. Sie sind hier oben wohl einsam, jedoch nicht ausschließlich mit ascetischem Dienst beschäftigt. Zum Gebet in die Kirche gehen sie zu bestimmten Stunden, dann kommen aber häufig Feld- und Gartenarbeiten. Diese letztere Beschäftigung werden die Nonnen wohl als Abwechselung mit Freuden aufnehmen, zumal sie bei der sonst geringen Bewegung ihnen körperlich nothwendig ist. Den Ausdruck des „Lasset alle Hoffnung zurück“ sah ich auch nur selten auf ihrem Gesicht, das meistens einen freundlichen Ernst zeigte. Die Nonnen kannten mich bald, ohne daß ich – mit Ausnahme der Schwester Sabine, welche in jener Zeit meines dortigen Aufenthaltes den Dienst für die Gäste besorgte – mich mit ihnen zu unterhalten Gelegenheit hatte. Die Frau Mutter, welche mit Liebe und Milde dem Kloster vorsteht, brachte Abends den Schwestern meine Skizzen aus den Capellen des Klosters und dessen Umgebung, und dadurch mag ich ihnen wohl bekannt geworden sein. „Unser Hahr!“ (Herr) hörte ich öfters leise sagen, wenn ich im Felde an ihnen grüßend vorbeiging.

Von all’ den Sehenswürdigkeiten, welche das Kloster birgt, war mir in architektonischer Hinsicht die Kreuzcapelle das Interessanteste. Sie stammt aus dem zehnten oder elften Jahrhundert und ist der älteste Bau des Klosters. Die Capelle ist im romanisch-byzantinischen Stil ausgeführt, das Schiff besitzt Tonnengewölbe, welche in der Mitte von kräftig gedrungenen Säulen mit schönem, für die damalige Zeit sehr fleißig ausgeführtem Capital und breiter Säulenbasis mit Eckblättern getragen werden. Das Grabmal der heil. Ottilie und ein Reliquienschrein mit ihren Gebeinen, die beiden größten Heiligthümer des Klosters, befinden sich hier ebenfalls.

Sehr verlockend sind die Ausflüge vom Kloster, deren es eine Unzahl giebt und die so den Aufenthalt zu einem äußerst lohnenden machen. Hauptsächlich interessant ist die Heidenmauer, welche in größerer Entfernung vom Kloster sich weit ausdehnt. Sie ist für die Alterthumsforscher ein bisher ungelöstes Räthsel. Ohne Zweifel war sie ein altes Festungswerk, wahrscheinlich keltischen Ursprungs. Durchschnittlich beträgt ihre Höhe anderthalb Meter, ihre Dicke zwei Meter. Sie läuft in einer Linie auf dem Vogesenkamme entlang, nur am Ottilienberge hat sie einen dreifachen Mauerkranz um eine Oberfläche von mehr als einer Million Meter im Quadrat. Diente die Heidenmauer früher als verschanztes Lager, oder als Zufluchtsort, oder sollte sie einer Hauptstätte heidnischen Gottesdienstes Schutz gewähren? Wahrscheinlich ist das Letztere der Fall, zumal die Verlegung der Ottiliensage auf diesen Berg dem Grundsatze der ältesten Geistlichkeit entspricht, heidnische Opferstätten zu christlichen Wallfahrtsorten zu machen. Der Volksglaube in jener Gegend schreibt auch diesen Steinen der Heidenmauer besondere Wirkungen zu, denen Dürrbach in dem Gedicht Ausdruck giebt:

Wer in der Gegend bauet,
Der nimmt zu seinem Haus
Von der zerfall’nen Mauer
Sich einen Stein heraus,
Und glaubt, der Stein ertheile
Dem Hause Festigkeit
Und Allen, die ’s bewohnen,
Noch Heil in jeder Zeit.

R. A.




Das Sicherheitsventil Italiens.


Neapel, 1. Mai 1872.     

Wenn diese Zeilen den Lesern der Gartenlaube im Abdrucke zu Gesicht kommen, hat der Telegraph schon längst das große Naturereigniß selbst und viele Einzeltheile desselben in alle Welt hinausgetragen; durch eine eigenthümliche Fügung der Dinge war ich jedoch wochenlang theils in der Nähe des Vesuves, theils auf demselben, habe den Berg in allen Theilen und namentlich in seinen einzelnen Entwickelungsphasen kennen gelernt und glaube deshalb im Stande zu sein, ein treues Bild der Vorgänge der letzten Tage entwerfen zu können. Daß ich die sonst übliche Art der Berichterstattung, die unpersönliche, wegließ und die Mittheilungen deshalb an manchen Stellen eine etwas subjective Färbung erhalten, wird der billig denkende Leser aus dem Doppelgrunde entschuldigen, daß ich nichts von bloßem Hörensagen Erfahrenes, sondern nur Selbstgesehenes mittheilen wollte, und daß ich die Vesuvstudien nicht aus allgemeinen, sondern aus Berufsinteressen machte, wodurch der Standpunkt der Schilderung nothwendig ein persönlicher werden mußte.

Im Sommer des Jahres 1863 erstieg ich zum ersten Male den Berg; die wild zerrissenen Formen der Lavafelder, die bizarren Felswände des mächtigen Kraters und die noch abenteuerlichere Färbung derselben, sowie die Lage an dem herrlichen Meere und in der paradiesischen Landschaft riefen den festen Entschluß in mir hervor, dem interessanten Unhold einmal wochenlang von verschiedenen Seiten her fest in’s Gesicht zu sehen und seine ungeschlachten Formen im Bilde festzuhalten.

Neun Jahre vergingen, ehe meine Verhältnisse gestatteten, daß ich zum zweiten Male über die Alpen und dem süditalienischen Ruhestörer zueilen konnte; es war am Morgen des 18. März, als ich von Resina aus in Begleitung zweier Landsleute und des in Resina gemietheten Dieners Vincenzio, der die Malgeräthe trug, den Berg hinauf-, dem Observatorium zustieg; in der Eremitage miethete ich mich ein, und nun ging’s rasch weiter über die klirrenden Lavafelder dem Aschenkegel zu. Der Lavaausbruch des Vorjahres hatte einen großen Theil des Atrio di Cavallo verschüttet, sowie den früher zur Spitze führenden Weg, weshalb nun an einer viel steileren Stelle aufgestiegen werden mußte. Ueber eine Stunde lang geht es in der Steigung einer [325] steilen Bühnentreppe aufwärts über lauter Lavablöcke und Lavagerölle; endlich ist der Rand des früheren Kraters erreicht. In leichterer Steigung führt der neue Aschenkegel, welcher sich allmählich im früheren Schlunde anhäufte, aufwärts, und nach weiteren zehn Minuten ist die höchste Spitze erstiegen und vor dem erstaunten Auge entrollen sich alle die sonderbaren mächtigen Bilder dieser Riesenwerkstätte der Natur. Neunmal stieg ich während der Zeit meiner Studien den Berg auf und ab, malte und zeichnete die einzelnen Krater und Schlünde von verschiedenen Seiten und will nun versuchen, ein kurzes Bild seiner Grundform zu geben, damit die spätere Schilderung des furchtbaren Ausbruches am 26. April hierdurch verständlicher werde.

Am Ostsaume des Meerbusens von Neapel erhebt sich aus der fruchtbaren Ebene der Vulcan, welcher zu verschiedenen Zeiten mit schrecklicher Hand sein Walten in die Geschichte einschrieb. Seine frühere Form war, wie aus der ganzen Grundanlage zu erkennen ist, wesentlich anders; der Berg war niedriger, der Krater aber breiter und mächtiger. Der große Ausbruch im Jahre 79 nach Christus, welcher Pompeji mit Asche und siedendem Wasser überschüttete, Stabiä (das jetzige Castellamare) verwüstete und Herculanum mit einer eisenfesten Steinmasse übergoß, änderte die Form wesentlich; vom alten Krater stehen noch die senkrecht aufragenden Felswände nach Norden, jetzt Somma genannt; diese Felswände, ohne Luftröhren aus dem Erdinnern, daher nie feuerspeiend, umschließen in riesigem Halbkreise ein weites, fast ebenes Lavafeld, welches etwa in halber Höhe des Berges hinter dem Observatorium beginnt, als Eisengürtel sich schon in etwas engerem Ringe um den eigentlichen Vesuv legt, den größeren Theil des ehemaligen alten Kraters ausfüllt und in seiner Richtung nach Neapel zu Atrio di Cavallo, nach Pompeji zu Campo di Somma genannt wird. Die Hauptabzugsröhre des Berges scheint jedoch mehr am Südkraterrande nach Pompeji zu gelegen zu haben, denn wie eine Schmarotzerpflanze[WS 1] an einem Baume mehr und mehr die Kraft desselben aufsaugt, so hier der immer mehr durch den eigenen Auswurf sich erhöhende Vesuv, welcher immer neue Aschen und Laven meist in der Richtung der Somma zu auswarf und im Laufe der Jahrhunderte allmählich zu dem Berge anwuchs, der er heute ist. Doch „alle Schuld rächt sich auf Erden“, – was er seinen Vorfahren anthat, das geschieht nun voraussichtlich ihm selbst; denn abgesehen von den vier Schlünden auf seiner Spitze, die man insgesammt den großen Krater nennt, arbeitet nun in rastloser Hast gleich dem Kamin einer ruhelosen Dampfmaschine der sogenannte kleine Krater an seinem eigenen Aufbau. Am Saume des Kraterringes, wie er etwa vor neun Jahren war, öffnete sich nämlich ein Loch, spie glühende Lavafetzen aus, welche sich um die speiende Stelle lagerten, aneinander sich kitteten, allmählich einen kleinen Kamin bildeten, in die Höhe und in die Breite wuchsen und so den achtzig Fuß hohen, immer noch gleich rastlos arbeitenden zuckerhutförmigen „kleinen Krater“ bildeten.

In der fast kreisförmigen Oeffnung des großen Kraters erzeugten die verschiedenen Ausbrüche zwei sich kreuzende, leicht geschwungene Scheidewände, welche denselben in vier ungleiche Theile trennen. Der größte der Kreisabschnitte ist nur eine leichte wiegenartige Einsenkung und speit in der Regel nicht. Der nächstgroße zeigt schroffe Felswände, von Schwefel in allen Farben bedeckt; aus Hunderten von Felsrissen dampfend und rauchend, doch gleichfalls ohne zu speien; die zwei kleineren dagegen suchen sich durch fortwährendes kanonenschußartiges Getöse, sowie durch Auswerfen von Lava und Bimssteinblöcken bemerklich zu machen und jagen durch ihren Donner, welcher die Bergspitze zittern macht, und durch das Speien der großen glühenden Lavafetzen manchem Besucher des Vesuv keinen gelinden Schrecken ein, während die rastlose Hetze des kleinen mit seinem flintenschußartigen Geknatter eher eine lustige Erscheinung ist.

Zum Studiren der Ausbruchsart der Krater hatte ich am 18. März aus dem Grunde eine sehr günstige Gelegenheit, weil ein scharfer Westwind blies, der den Rauch und die auffliegenden Fetzen nach Osten jagte, so daß ich mich auf die höchste Stelle der nach Norden liegenden Scheidewand setzen und ganz mit Muße malen und beobachten konnte. In den Zwischenpausen lag, etwa vierzig Fuß unter meinem Standpunkt, die Sohle des Kraters so ruhig da, wie wenn unter ihr keinerlei schlimme Macht verborgen wäre; je nach zwei oder drei Minuten hob sich aber der Boden leise, sank wieder zurück, hob sich brummend abermals höher und sank noch einmal zurück, um im Augenblick nachher mit einem mächtigen Donnerschlag die ganze Decke von Steinen und Asche wüthend gen Himmel zu schleudern; hierbei schossen aus einer Masse nun aufgedeckter, aus dem Innern des Berges kommender Röhren Gluthstrahlen senkrecht in die Höhe; zehn Secunden vielleicht dauerte der Aufruhr, dann schloß sich die Fläche wieder, weiße Dampfwolken lagerten sich einen Augenblick über dieselbe und zogen wieder weg, Alles schien wieder still und friedlich, aber nur, um einen Augenblick später denselben Spectakel zu machen.

Vier Stunden lang genoß ich den wilden, berauschend schönen Anblick, und suchte denselben auf meiner Studie festzuhalten; dann sank die Sonne hinter Camaldoli, und ich stieg hinunter zur Eremitage auf mein Strohlager. Zweimal schüttelte in der Nacht unter heftigem Donner ein Erdbeben das alte Gebäude, und am folgenden Morgen war die Kuppe des Berges von dichten, sich jagenden Nebelwolken bedeckt. In Begleitung eines deutschen Arztes, der schon in aller Morgenfrühe von Resina her eingetroffen war, und meines getreuen alten Vincenzio lootste ich mich durch Sturm und Nebel hinauf zur Spitze; oben sachte vorwärts dringend, fiel uns neben dem zeitweisen Donner des großen Kraters das völlige Schweigen des kleinen auf, wogegen ein sonderbares Zischeln und Rieseln sich bemerklich machte, auch einzelne rothe Strahlen durch die Nebelrisse drangen; am Fuße des kleinen Kraters, nicht weit unter der Spitze, war ein großes Loch in die neugepappten Wände gebrochen, und aus demselben schoß zischend und wirbelnd ein rothglühender Lavastrom hervor, der sich nach kurzem Laufe wie eine Schlange bog und an dem steilen Bergabhange dem Atrio di Cavallo zueilte. Am Quell war der Bach fast weißglühend, nach zehn Schritten orange, nach weiteren zehn zinnoberroth, um dann allmählich in dunkeln Carmin, zuletzt mit einer grauen Kruste bedeckt, überzugehen; die Kruste wurde im weiteren Verlauf schwarz, borst, zeigte an den Bruchstellen die rothe Gluth im Innern, drehte sich um die eigene Achse, bildete die so sonderbar anzuschauenden Ringe und Spitzen und erstarrte endlich, von immer neuem Nachschub gleich wieder überwälzt und bedeckt.

Hinter einem Bimssteinblock knieend, gegen den Wind mich rückwärts anstemmend, konnte ich das wilde Bild in etwa einstündigem Schaffen festhalten; die Hitze der zu unseren Füßen vorbeizischenden Lava verbrannte uns freilich die Lippen, daß sie aufsprangen, während der eisige Sturm von hinten her mit langen Schneenadeln uns den Rücken spickte; aber „Alles nimmt ein End’ auf Erden, selbst das Malen am Vesuvius,“ riefen wir uns lachend zu, und stiegen an den Rand des großen Kraters, uns gegenseitig am wagerecht gelegten Bergstock haltend, denn vor dem Dampf und Nebelqualm konnten wir keine drei Schritte weit sehen; genau bekannt mit dem Boden machten wir oben die Runde, und schickten uns erst wieder zum Abwärtssteigen an, als dicht neben uns eine Ladung des großen Kraters in die Lüfte krachte und wir bei dem dicken Nebel keine Möglichkeit einsahen, uns gegen die niederfallenden Steine zu schützen. Etwa in der Hälfte des Aschenkegels traten wir plötzlich aus der Wolke heraus, und zu unseren Füßen lag weithin im lachenden Sonnenschein der Busen, die Stadt Neapel mit dem weißleuchtenden Perlenkranz ihrer Villen und Vorstädte und ihren herrlichen Ausläufern, den Inseln Procida, Ischia und dem farbenduftigen Capri.

Am dritten Tage war der stürmische Unhold in etwas besserer Stimmung, und gestattete vergleichende Studien zwischen den einzelnen Schlünden und namentlich den einzelnen Lavaströmen, diesen gefürchtetsten Gesellen des alten Vulcans. Die tollste Fieberphantasie kann keine abenteuerlicheren Gestalten erzeugen, als hier die wildschaffende Natur; verstümmelte Menschenrümpfe, oder Fratzen von Köpfen bärtiger Männer, von Ungeheuern, von Nilpferden, Krokodilen; dann Schlangen, ungeschlachtes Gewürm, drohend gen Himmel gestreckte Riesenfinger, Formen von Unrath, und starre, einförmige, im schnellen Dahinrinnen erkaltete Flächen wechseln hier mit zerbröckelndem braunem Gerinnsel.

Und dennoch erliegt auch dieser Zerstörer der noch gewaltiger wirkenden Macht der Zeit; schon beim Erkalten bilden sich viele Risse und Schründe; die springenden Wasserblasen und Gase lassen kleine halbkreisförmige Ränder zurück, und in denselben, wie auch zwischen den feinen nadelförmigen Spitzen sammeln sich die Wassertropfen des Thaues und [326] Regens; diese lösen die Erdtheile, bewirken ganz allmählich dadurch die Zersetzung der Blöcke; in den niederen Regionen des Berges trägt der Wind Pflanzensamen in die Ritzen; die Wurzeln der nun sprossenden Pflänzchen treiben den einstigen Block in immer weitere Zerklüftung; es bildet sich eine leichte Erdschichte; der leichtblütige Sohn des Südens setzt seine Weinreben hinein, und nach fünfzig bis achtzig Jahren treibt der Oelbaum, die Feige, der Maulbeer in dem von unten und oben durchglühten Boden seine Früchte, die von ganzen Wäldern von Weinreben umsponnen und umrankt werden, bis der Alte vom Berge es wieder einmal für gut findet, einen seiner glühenden Gesellen thalabwärts zu schicken, Städte, Villen und Pflanzungen zu zerstören, und einen weiteren zu jenen vielen schwarzen Armen zu fügen, die, vom Scheitel des Berges aus gesehen, sich wie die Füße einer riesigen Kreuzspinne oder eines Polypen in die blühende Welt hinausstrecken.

Dem Studium auf dem Vesuv machte schließlich sein nicht weniger ungezogener Wüstengenosse, Sirocco, ein Ende. Kaum noch konnte ich die letzte nothwendige Studie fertig und in Sicherheit bringen, da blies es von der Sahara her mit so unwiderstehlicher Gewalt und jagte durch die feinsten Fugen der Fenster und Thüren Asche und Staub derart zollhoch herein, daß ich meine sieben Sachen zusammenraffte, den Hut auf dem Kopfe festband, und eiligst mich aus dem Staube machte, der gemischt mit nadelscharfen feinen Steinchen durch die Lüfte brauste.

Vier Wochen lang umfing mich nachher die Schönheit Capris, das Eldorado aller Künstler; Pagano’s Palmen, Orangen und Wein stimmen dort prächtig zusammen mit dem völlig ungezwungenen Zusammenleben der fast ausschließlich aus Deutschen bestehenden Besatzung des Hauses. Nach Titeln, selbst nach Namen wird nicht gefragt, die deutsche Sprache und das deutsche Gesicht genügen, um in den Kreis der Stammgäste aufgenommen zu werden, als „Herr Landsmann“, unter welche Rubrik ohne Weiteres auch der Wiener, Baseler etc. gerechnet wird, was aber „im Reiche draußen“ noch nicht ganz officiell anerkannt sein soll.

„Was macht wohl heute der Vesuv?“ war auch dort an jedem Abend die stehende Frage, und man wanderte hinab zum Bel visto und blickte hinüber, ob er blos rauche oder auch feurig in’s Land und Meer hinaus leuchte. Mehr und mehr stieg der Wunsch in mir auf, bei der Heimreise nun auch einmal zum Vergnügen dem Kobold einen Besuch zu machen. Gesagt, gethan; noch ein Abschiedwinken den Begleitern zu, in die Barke gesprungen, das Segel aufgezogen und hinaus flog der Nachen wie eine Möve mit breitgespannten Schwingen, hinaus in die tiefblaue Fluth dem orangeblüthenduftigen Sorrento zu. Kurze Rast dort, dann ging’s mit einem Wagen weiter die ihrer Schönheit wegen weltberühmte Straße entlang über Meta, Vico nach Castellamare, nachdem der Nothweg kurz vorher passirt war; ein Bergsturz hatte die schöne Kunststraße kurz vorher zerschmettert und seine riesigen Trümmer lagen nun zu beiden Seiten des neuen Weges und in dem dort seichten Meere umher. Ohne Aufenthalt ging es von Castellamare weiter Pompeji zu.

Wie ein gewaltiger Jäger, seine mächtige Pfeife dampfend, mit Behagen auf den erlegten Edelhirsch niederschaut, so ragte der Vesuv an dem sonnenhellen Tage ruhig, aber stark qualmend über sein Opfer empor, dessen zertrümmerte Herrlichkeit an Säulen, Hallen, Wandgemälden, Foren und Tempeln wir schauten. Einen schmerzlicheren Eindruck als alle die Ruinen machte mir aber die im kleinen Museum in Pompeji aufbewahrte Gruppe einer Mutter und Tochter, die zusammengekrümmt und aneinandergeschmiegt sich gegen den allerwärts niederstürzenden Staubregen zu schützen suchten, in dieser Stellung starben und allmählich versteinerten, sowie der noch in voller Jugend blühende Leib einer hoffnungsvollen Frau, die leicht zusammengekrümmt daliegt in der Stellung, in welcher ihr südlich schöner Körper mit dem umhüllten Doppelleben eine Beute des Gesammtvernichters wurde.

Es war am Abend des 24. April, als ich in Pompeji – wieder in fast ausschließlich deutscher Gesellschaft – von der Tafel weg rasch vor das Haus gerufen wurde, um das sonderbare Gebahren des Vesuvs zu sehen; die ganze Gesellschaft sprang auf und vor uns lag der Berg mit einer lodernden, die ganze Fläche aller Krater einnehmenden Feuersäule, während ein breiter, ebenfalls hochaufleuchtender Lavastrom sich in der Richtung nach Neapel von der Spitze herunter ergoß, und der dumpfe Donner trotz anderer Windrichtung bis zu uns herunter drang. Ein Gelehrter aus Norddeutschland, ein fester Mann, und seine schlanke deutsche Frau hatten schon vorher mit mir ausgemacht, daß wir früh am andern Morgen die Besteigung des Berges vornehmen wollten; die neue Erscheinung machte uns hierin nicht irre, und früh um fünf Uhr sprangen wir in die Sättel der schon bereitstehenden Pferde. Es ging in scharfem Trabe erst ein Stück entlang dem Trümmerwall Pompeji’s, dann durch reiche Felder und Gärten dem dicht am Fuße des Vulcans liegenden Dorfe Bosco Reale zu; gleich hinter demselben steigt der Boden rascher, die Gärten hören allmählich auf, einige kümmerliche Weinberge strecken sich noch in die Gebiete der Asche und der zerbröckelnden Lava hinein, bis endlich jede Spur von Vegetation aufhört und wir in der Aschenwüste und den Staubwirbeln steil aufwärts ritten, was die kleinen, aber sehr zähen Pferde mit einer merkwürdigen Ausdauer und Raschheit zu Stande brachten; eine Stunde lang ging es in dieser Weise hinauf, dann sprangen wir von unseren Thieren, übergaben dieselben dem Hüter, und nun ging’s an ein frisches, aber mühsames Indiehöheklettern.

Im glänzenden Gegensatze zu zwei jungen üppigen Französinnen nebst desgleichen Begleiter, welche wir am Tage vorher in den Ruinen von Pompeji hatten in Tragsesseln herumtragen sehen, stieg die zartgebaute, aber willensstarke deutsche Frau rüstig den Berg hinan, jede Hülfe der Sesselträger und Seilzieher entschieden von sich weisend. So erreichten wir nach wieder dreiviertelstündigem Steigen den Rand des Steilabfalles, und hatten nun das Brummen, Lodern und Schießen in dichter Nähe, nur noch durch die leicht geneigte Ebene des inneren Aschenkegels von den Kratern getrennt; dort rasteten wir eine Viertelstunde, genossen die herrliche Aussicht über Land und Meer und die erfrischende Einsicht in ein paar mitgebrachte Weinflaschen und Orangen. Etwa vierzig Fuß unter dem obersten Gipfel liegt scharf in den schiefen Bergabhang ein fünf Fuß weites Loch eingeschnitten, aus welchem sich im Vorjahre eine solche Fülle von Lava ergoß, daß dieselbe das ganze Campo di Somma überschwemmte. Wir stellten uns dicht an den Rand und warfen mit dem Fuß Erde und Sand hinunter; die Hitze und der Zug in demselben war aber so stark, daß die eingeworfenen Bodentheile wie aus einer Flinte abgeschossen wieder heraus und uns über die Köpfe flogen.

Ein paar Schritte noch zur Spitze, und vor uns lagen die Krater in einer so allseitigen und mächtigen Thätigkeit, wie ich dieselben noch nie auch nur annähernd schon gesehen hatte. Der eine der vier Kratertheile, und zwar der größte, lag als sanfte muldenförmige Wiege, den Boden mit weißer Schwefelblüthe bedeckt, zwar ruhig da, aber am Kreuzungspunkt der Schneidelinien der drei anderen hatte sich, wahrscheinlich durch den gewaltigen Ausbruch am Abend vorher, ein großer kreisrunder Trichter gebildet; um ihn genauer zu sehen, sprang ich rasch, trotz der Warnung des Führers, durch die Mulde des ersten und an der Wand des inneren Trichters empor, die anderen zwei folgten, und wir sahen staunend hinunter in einen unergründlichen purpurschwarzen Schlund, der nahe der Oeffnung mit einem mächtigen Gewölbe aus Bimsstein nach einer Seite hin überbrückt war, und in nicht häufigen Pausen einen dicken, finster schwarzgrauen Qualm ausstieß, ohne Steine zu werfen, aber mit einem gurgelnden, rumpelnden Ton. Dagegen hatte sich an der Seite des großen Ringes, welcher die Einzeltheile des großen Gesammtkraters umschließt, ein neues Loch aufgethan, welches in wildem Krachen Gluth, Steine, Lava und rothen Dampf auswarf. In ähnlicher Weise trieben es die beiden anderen thätigen Glieder des Hauptkraters; der sogenannte kleine Krater jedoch war in den vier Wochen, in welchen ich ihn nicht gesehen hatte, um das Doppelte angewachsen an Höhe und Breite; wie ein riesiger, schwarzer Cyklopenzuckerhut starrte er trotzig am Bergrand in die Lüfte und schleuderte aus seiner hohlen Spitze Flammenmassen, welche den hoch aufwirbelnden Dampf rosig färbten, während die massenhaft ausgeworfenen glühenden Lavafetzen sich an seinen heißen Außenwänden im Zurückfallen festsogen und hierdurch unverdrossen an seinem Größer- und Weiterbau fortarbeiten.

Lange, lange sahen wir in das berauschend schöne Schauspiel; rasch zeichnete ich eine Skizze des heutigen Standes der Dinge, dann strichen wir am Außenrand des Gesammtkraters hin, bewunderten [327] die Pracht der Farben des in der Vornacht ausgeworfenen Schwefels, der im glühendsten Orange, Citronen- und Goldgelb leuchtete, sahen noch die schon erstarrte Lava an, welche in der vergangenen Nacht ausgeworfen worden war, und mußten uns endlich mit Gewalt von dem riesengroßen Anblick trennen, der mit berauschender Gewalt unsere Seelen erfaßt hatte.

In der Asche rasch abwärts springend, gelangten wir bald zu unseren Pferden, ritten, immer eingehüllt in eine wirbelnde Staubwolke, den steilen Berghang hinunter und erreichten endlich völlig ausgetrocknet Bosco Reale, wo wir mit einem dickrothen, wie Lavagluth ausehenden Vesuvwein auf den Pferden uns die Kehlen wieder etwas gründlich anfeuchteten, um dann in scharfem Trab vollends nach Pompeji zurückzureiten – Napoli la Bella, wie die Eingeborenen, aber nicht alle Fremde die Stadt nennen, nahm uns am gleichen Abend noch in seinen Wirrwarr der durcheinander rennenden und schreienden Menschenbrandung auf. Nach einer unruhigen Nacht Morgens zum Vesuv hinüberschauend, sah ich staunend mehrere weißgraue Linien vom Atrio di Cavallo ausgehend zu Thal streichen, aus welchen senkrechte Dämpfe aufstiegen. Morgennebel konnten es wohl nicht sein; von einem neuen großen Ausbruch hatte man weder etwas gesehen noch gehört; da aber Niemand weiter auf die Erscheinung achtete, ging auch ich eine Stunde lang meinem Obliegenheiten nach; allmählich bildeten sich jedoch Menschengruppen auf den Straßen, nach Neapolitaner Weise lebhaft mit Handbewegungen ihre Worte begleitend; es war die dunkle Kunde in die Stadt gedrungen, daß viele Menschen in der vergangenen Nacht auf dem Vesuv verunglückt seien; die Einen wollten nur von zwanzig wissen, Andere behaupteten fünfzig, wieder Andere zweihundert. Während des Hin- und Herredens machte sich, mitten durch den tosenden Lärm der Weltstadt hindurch, ein eigenthümliches Brausen und Rollen in der Luft bemerkbar; rasch trat ich zwischen die engen Häuserreihen heraus, ging an den Meerstrand hinüber, und – welch ein Bild entrollte sich da vor meinen Augen! Der Vesuv war im vollsten Aufruhr; aus allen fünf Kratern zusammen schoß eine einzige Rauch- und Dampfsäule mit solch wüthender Gewalt heraus und in die tiefblaue Luft hinein, daß sie nach etwa fünf Secunden schon die dreifache Vesuvhöhe erreicht hatte, also etwa zwölftausend Fuß; dabei drängten und bohrten immer und immer wieder neue dichtere und schwere Massen nach, drangen in die schon vorhandenen Riesenballen und erzeugten so mächtige und gewaltige Wolkenformen, daß ich kein Bild aus andern Naturgebieten hierfür weiß; wie aus Marmor gemeißelt standen sie blitzend weiß in der tiefblauen Luft, drehten, schoben und drängten sich und bildeten zuletzt einen riesigen Bogen, der bis hinüber zum Monte Angelo sich wölbte.

Das Brausen und Tosen in der Luft, von der Gewalt herrührend, mit welcher der Dampf aus den Bergschlünden hervorjagte, wurde immer dröhnender und mächtiger; es rollte und toste, wie wenn ein schwerer Lastzug über eine Eisenbahnbrücke donnert, oder wie der Ventilator in einem mächtigen Hüttenwerk, oder auch dem Rollen und Brüllen eines Wetters im Hochgebirge vergleichbar. Ohne daß ein eigentliches Erdbeben gewesen wäre – denn im Laufe des Tages spürte man in Neapel nur drei leichte Stöße – zitterten doch die Häuser und der Boden fortwährend von dem gewaltigen Schüttern in der Luft so sehr, daß die Fenster unausgesetzt klirrten und z. B. die Planken einer Barke immer zitterten, mit welcher wir bei Nacht von Santa Lucia aus mehr dem Feuerherd zufuhren.

Die Arbeit in den Werkstätten hörte auf; blaß und still standen die Menschen in Gruppen bei einander und starrten in das grauenhafte Schaffen der entfesselten Naturmacht. Nun wußte man, was jene weißen Streifen am Berge zu bedeuten hatten, denn sie rückten rasch vorwärts mehr den am Busen gelegenen Städten und Dörfern zu: es waren Lavaströme. Auch erhielt und bestätigte sich die Nachricht von den Verwundeten und Todten, denn es kamen schon einzelne Transporte derselben an. Dichter und drängender wurden auch die Massen der Flüchtlinge, welche von Portici und San Giovanni her der Stadt zuflutheten. Das war ein Jammern und Wehklagen, eine Hast und Angst, ein Durcheinanderrennen, wie wenn die Lavagluth schon dicht an ihren Fersen wäre. Mütter, trotz der Eile das jammernde Kind im schnellen Lauf an der Brust zu stillen suchend, während zwei oder drei andere sich an ihren Rock hängten; Männer, mit Betten oder anderen Hausgeräthen schwer beladen; Greise, die alten Glieder so rasch, als dieselben nur irgend konnten, zur Flucht anspornend, neben sich den unzertrennlichen Hausgenossen, den Esel, auf dessen Rücken hochgethürmt die Habseligkeiten und Lebensmittel waren; dann zweirädrige Karren, überladen mit jammernden und händeringenden Menschen; Omnibusse, welche sämmtlich von der Regierung für diese Flucht in der Stadt in Beschlag genommen worden waren: dies Alles zusammen drängte und fluthete den ganzen Tag über Neapel zu. In der gegentheiligen Richtung, dem Vulcane zu, eilten in Geschwindigkeit die Bersaglieri und Carabinieri, welche einen Cordon um den ganzen Berg zu ziehen und die verlassenen Ortschaften zu bewachen hatten. Die Flüchtlinge wurden in Neapel theils in Privathäusern theils in den Casernen untergebracht; die Nationalgarde wurde unter die Waffen gerufen, und alle Vorsichtsmaßregeln getroffen, um bei der eben so erreg- als wandelbaren Stimmung der Neapolitaner für alle Fälle gerüstet zu sein. An irgend ein Revoltiren dachten dieselben aber vor der Hand nicht; im Gegentheil, unter der Führung von Geistlichen zogen Schaaren von Kindern und Erwachsenen durch die Straßen der Stadt und ließen ihre dumpfen Bußgesänge mitten in den rollenden Donner des Vulcans erschallen; die Bildsäule des San Gennaro wurde geschmückt, ein blau-roth-goldener Thronhimmel über derselben improvisiert, bunte Lämpchen in Festons nach beiden Seiten der Brücke von San Giovanni gehängt, Lichter in Masse vor dem Steinbild angezündet und nun unablässig gebetet, daß dieses und die allerheiligste Jungfrau, welche, in einer berühmten heiligen Puppe bestehend, durch die Stadt getragen werden sollte, die furchtbare Gefahr von Neapel abwenden und der Lava Stillstand gebieten sollen. Den Umzug verbot jedoch die unbarmherzige Polizei, wie sie auch am andern Tage alle die Madonnen und Heiligen vertrieb, welche vor viel Hundert Häusern auf Tischen ausgestellt und mit brennenden Wachslichtern umgeben waren, und in deren Namen jeder Vorübergehende wacker angebettelt wurde.

Da ich nicht hoffen konnte, durch den Cordon zu dringen, um das Höllenspiel der Lava in der Nähe zu sehen, stieg ich auf die Plattform des alten Präfecturpalastes, in dessen oberem Stock ein deutscher Kaufmann wohnte; von dort malte ich, so weit dies überhaupt einer so riesigen Erscheinung gegenüber möglich ist, den im vollen Aufruhr tobenden Berg so, wie er an diesem ersten Unglückstag, dem 26. April, von Neapel aus sich dem Auge bot. Ein großes Fernrohr stand auf derselben Terrasse, und mit Hülfe desselben konnte man jedes Haus und jeden Baum und Strauch sehen, den die Lava erfaßte und verschlang. Namentlich als allmählich die Nacht herniedersank, die Lavaströme und der Dampf nimmer weiß, sondern in hochauflodernder rother Gluth sich zeigten, da wurde das Bild ein geradezu entsetzlich schönes. Aus dem Gesammtschlunde der Krater schossen mit furchtbarer Gewalt solche Massen glühender Lava, daß sie nicht blos mit der Schnelligkeit eines Wasserfalles an den Wänden des Vesuv dem Atrio zu in Flußbreite hinunterstürzten, sondern es öffneten sich noch verschiedene weitere Schlünde an mehreren Stellen des Kegels und spieen theils fortdauernde Ströme, theils mit einem Spuck kleine Seen auf einmal aus; ebensolche, fast kuchenförmige Massen wurden oben im wirbelnden Feuerstrudel bis zu hundert und mehr Fuß in die Höhe gerissen, brachen dort auseinander und rannen als hüpfende Feuerschlangen nach allen Seiten am Scheitel des Berges hinunter, während die bis zu tausend Fuß mit den Dampfwolken in den Wirbel hinaufgerissenen glühenden Bimssteinblöcke von dort aus den Wolken niederstürzten und als hüpfende Gluthpunkte neben der Lava bergabwärts sprangen. Ein mächtiger Lavastrom zog Bosco Reale und Pompeji zu, kam aber am nächsten Tage glücklicher Weise zum Stehen. Ein noch größeres Glück war es, daß die Unmasse von glühenden Fluthen, welche der Berg nach Nordost auswarf, nicht die Richtung nach Resina und den beiden Torre nahm, sondern in die Felswüste des Atrio di Cavallo sich stürzte, dort sich staute, und dann mit schon etwas gebrochener Kraft und Gluth nach vorn hinaus dem bewohnten Lande zu rann.

Hierdurch ist es erklärlich, daß trotz der seit Jahrhunderten nimmer so mächtig gewesenen Größe des Ausbruchs nur zwei Dörfer zum größten Theil zu Grunde gingen, San Sebastiano und Massa di Somma, und zwar beide schon am Abend des [328] ersten Tages. Wie eine glühende Schlange wälzte sich vom hochgelegenen Atrio die Lava herunter den beiden Orten zu; die Pflanzungen und Bäume loderten im Voraus von dem Gluthhauch in lichter Flamme auf; nur einige Pinien sah ich, die schwarz und still noch standen, als schon die voraushüpfenden Lavaspitzen an ihren Wurzeln leckten; wenige Secunden später war der Stamm unten wie von glühenden Armen umschlungen, neigte sich auf die Seite und war, einen Augenblick hellaufleuchtend, gleich darauf spurlos in dem blitzenden Gluthmeere versunken.

Eine peinlich schöne Erscheinung zeigten die dem Verderben gewidmeten Häuser und Villen; wenn die Lava sie erreicht, staute sich dieselbe vielleicht eine oder zwei Secunden an den Mauern, plötzlich that sie einen Ruck, das ganze Haus leuchtete auf wie ein Schuß in der Nacht, schwarzer Qualm lagerte sich ein paar Augenblicke darüber, und als er sich verzog, waren die Mauern gesprengt und der Gluthstrom wälzte sich so unerbittlich und ruhig über die Trümmer weg wie über die Pflanzungen und Bäume.

Etwas anders war der Eindruck am folgenden Tage. Mehrere Freunde waren mit mir hinausgefahren nach San Sebastiano. Am Militärcordon stellten wir uns dem Officier als Berichterstatter deutscher Journale vor und wurden sofort durchgelassen mit der freundlichen Warnung, ja nicht allzunahe an die heiße Lava zu gehen. Der Strom hatte die Nacht über keine neue Nahrung erhalten und wälzte sich daher träge und an der Oberfläche schon schwarzbraun gefärbt in der Minute nur etwa einen Fuß vorwärts; etwa dreißig Fuß breit und ebenso hoch klirrten und kollerten die oben aufliegenden Stücke an der Spitze des Zuges herunter bei dem Vorwärtsbewegen der ganzen Schlange, zerschellten am Boden, die Gluth in ihrem Innern wurde hierdurch bloßgelegt, das Feuer erfaßte die von der heißen Luft schon vorher verbrühten und verwelkten Reben und Maulbeerbäume; sie flammten einen Augenblick auf, um wenige Minuten später von der plump sich vorwärts wälzenden Masse verschluckt zu werden.

In drei Hauptäste hatte der aus dem Atrio herabstürzende Strom sich gespalten: der eine zerstörte Massa und San Sebastiano; der zweite ging auf Portici; der dritte, sich am Fuß des Observatoriumberges scharf nach Süden biegend, auf Resina zu; der große Umweg, welchen die beiden letzteren hierbei zu machen hatten, und der Mangel an Nachschub rettete jedoch die beiden blühenden Städte, denn jetzt ist die Lava völlig zum Stehen gekommen.

Dagegen war dem beweglichen Neapolitanervölkchen noch eine andere Ueberraschung vorbehalten, welche dasselbe, gewiß ohne Grund, mehr entsetzte, als der vier Tage und Nächte lang unausgesetzt rollende Donner und die Laven, außer deren Treffweite sie sich wußten. Erschöpft von den Aufregungen und Anstrengungen des ersten Tages legte man sich zu Bett; das ewige Grollen und Donnern und Fensterzittern, sowie die dumpfe, schwere und schwüle Luft in den Zimmern machten dauernden Schlaf unmöglich; sobald der Tag graute, öffnete man Fenster und Läden – was war aber das? – Alle Vorsprünge an den Häusern, Balcone, Simse, dann die Straßen, die Bäume und Blumen, Alles war mehrere Linien hoch mit Asche bedeckt; die ganze Luft war wie mit Blei ausgegossen und feiner Aschenregen rieselte unaufhörlich nieder; er drang in die Augen, Ohren und die Athmungsorgane, die Lungen arbeiteten schwer und ein widerlicher Druck legte sich auf alle Lebensorgane; der Unheilstifter aber lag völlig unsichtbar über all dem grauen Gebräue und schüttelte nur seine fortwährenden Donner und unausgesetzt neue Aschenmassen darüber hin. Ich ging hinunter in die Stadt; die Läden waren geschlossen; angstvoll und scheu huschten die Einwohner zu einander in die Häuser, und wer Berufs halber durch die Straßen mußte, suchte sich durch Aufspannen von Schirmen, durch Zubinden mit

Das Denkmal der gefallenen Corps-Studenten vor der Rudelsburg.
Eingeweiht am ersten Pfingstfesttage 1872.

[329] Schleiern, Wedeln mit Taschentüchern etc. gegen den Alles füllenden Staub zu schützen.

Ich ging hinaus zur Villa Reale, sonst der Sammelpunkt der in Toilette faulenzenden vornehmen Welt; wie sahen aber da die Blumen und namentlich die nackten Marmorgötter und Göttinnen aus! Wo nur ein leiser Vorsprung war, lag fast zollhohe Asche, und selbst das Meer, dessen Bläue und Glanz endlos bewundert wird, war am ersten Tag des Aschenregens eine gelbgrüne Jauche, am zweiten eine sumpffarbige, schwarzgraue Lauge.

Mittags, als ein frischer Südwind den grollenden Missethäter von der Pompejiseite aus ein wenig entblößte, fuhren wir in einem Nachen eine Strecke weit in’s Meer hinaus und sahen von dort, wie aus dem Krater schwere schwarze Rußmassen sich hervorwälzten, sich eine Strecke in die Höhe und dann um die eigene Achse trieben und hierbei unausgesetzt Massen von Ruß und Asche auf die Umgegend herabschütteten. Der stark blasende Wind wechselte am vierten Ausbruchstage mehrmals die Richtung; daher kam’s, daß von der Ruß-, Aschen- und Steinspende das vierzehn Miglien von Neapel entfernte Capua nicht viel heftiger heimgesucht wurde als das achtundzwanzig Miglien entfernte Salerno, und daß durch das Ausbreiten der Auswurfstoffe auf weite Länderstrecken ein Unglück wie das von Pompeji verhütet wurde. – In der Nacht vom Neunundzwanzigsten zum Dreißigsten dauerte das Rollen und Brausen des Berges mit kurzen Unterbrechungen fort, nachdem es den Abend vorher sich noch sehr gesteigert und der Regen von Steinen und Sand sehr empfindlich

Rudelsburg und Saaleck.

Im Burghof der Rudelsburg: das restaurirte Ritterhaus.
Entworfen und gezeichnet von O. Mothes in Leipzig.

[330] geworden war; der Alte scheint aber mit dem Auskehren seiner seit ein paar Tagen überheizten Esse fertig zu sein und sich allmählich zur Ruhe begeben zu wollen, nachdem die ebenfalls aus seinem Schlunde gestiegenen Massen von Elektricität sich gestern Nacht in einem heftigen Gewitter über Neapel entladen haben.

Ueber die Menschenopfer, welche die Krisis gekostet hat, ist man noch immer nicht ganz im Klaren; leider weiß man es von etwa Zwanzigen gewiß, darunter sind zwei tüchtige deutsche Aerzte und mein einstiger treuer Führer Vincenzio. Die Unglücklichen waren in der Nacht vom 25. zum 26. April vom Observatorium aus in das Atrio gestiegen, um den in der Nacht vorher niedergegangenen Lavastrom zu sehen, als ohne alle Vorzeichen dicht hinter ihnen ein Schlund sich aufthat, einen Lavastrom ausspie, der sie umzingelte und die meisten sofort tödtete, verbrannte und in seinen Fluthen begrub; diejenigen, welche sich, über die noch heiße Lava der Vornacht wegspringend, nach dem Observatorium zu retteten, wurden hierbei so jämmerlich verbrannt, daß sie in den Spitälern von Neapel nach und nach Alle starben.

Dem sichern Tode schien der Director des Observatoriums, Prof. Palmieri, und die zwei dort wachehabenden Gensd’armen entgegenzugehen. Den Ersten hielt die Pflicht auf seinem Posten, da er durch den Telegraph stets über den Fortgang des Ausbruches nach Neapel zu berichten und seine meteorologischen Instrumente zu beobachten hatte. Die Letzteren, eben frisch auf die Wache gezogen, weigerten sich, der Aufforderung, sich zu retten, Folge zu leisten, und erklärten, lieber mit ihm sterben zu wollen. Statt des Todes ernten nun alle Drei die Bewunderung ihrer Zeitgenossen.

Ueberblickt man nun die Gesammtergebnisse der letzten fünf Tage, so muß man zu dem Ergebniß kommen, daß eine der größten Gefahren in erster Linie für Italien, dann aber auch für das übrige Festland vorüber ist; denn wenn jene wilden Naturkräfte, welche in dem Ausbruche des Vulcans sich entluden und dadurch machtlos wurden, diesen Ausgang nicht gefunden hätten, dann wäre ein furchtbares Erdbeben die nothwendige Folge gewesen, und anstatt zweier Dörfer, etwa eines halben Hunderts Menschen und einiger Millionen Grundcapital wären ganze Länderstrecken erschüttert und verwüstet worden.

Darum, so traurig das Auge über die sonst so schöne Stadt und die umliegenden Gaue streift, muß das Herz doch von Dank und Freude erfüllt sein, daß diese Tage nicht größere Opfer gefordert haben.*

Robert Heck.


* Selbstverständlich war es wegen der Ueberzeichnung und des Schnittes nicht möglich, die zu diesem Artikel gehörigen Illustrationen schon heute beizugeben; doch werden wir sie sobald als möglich folgen lassen.
Die Redaction.




Eine deutsche Studentenburg.


Von Friedrich Hofmann.


(Mit Abbildungen.)


„Guten Morgen, Samiel! Noch Niemand da?“ – Es saßen und standen nicht wenige Gruppen von Männlein und Weiblein bei Kaffee, Bier und Aussicht ringsumher, und dennoch antwortete der Angeredete mit einem bestimmten: „Nein!“ Ganz natürlich! Der Anredende war ein Bruder Studio, die Anwesenden waren nur Philistervolk, wenn auch zum Theil gar vornehm und anmuthig unter Zylindern und Federhütchen.

„Hurrah! Wir sind die Ersten!“ rief der Student, zum Thor zurückeilend, den Schaaren zu, die den Weg vom Rittergut Kreipitzsch singend und jubelnd herankamen. Das waren die Jenenser, die von Camburg her die Straße über den Berg eingeschlagen hatten. Denn man feierte Pfingsten auf Erden, und das Thor, durch welches nun die fröhlichste Jugend in den Burghof einzog, war das der Rudelsburg, und die hier erwartet wurden, waren die Genossen von Leipzig und Halle. In Thüringen, Meißen und Osterland ist es männiglich bewußt, daß zur Pfingstzeit die Studenten der drei genannten Hochschulen, besonders die verwandten Verbindungen derselben, in den Ruinen der Rudelsburg unweit Naumburg eine große gemeinsame „Naturkneiperei“ begehen, zu welcher sich auch viele akademische Zugvögel anderer deutscher Lande einstellen. Da öffnet sich den jungen Herzen ein gar schöner Himmel, Freundschaften für’s ganze Leben werden geknüpft, auch kleine Feindschaften für die Mensur angezettelt – es wird in der lachenden Natur zwischen Trümmern der Vorzeit die seligste Gegenwart genossen, und Jedem, dem Leipziger, dem Jenenser, dem Hallenser wird die Rudelsburg zu einer geweihten Stätte seiner akademischen Herrlichkeit. Ich bin, Gott sei Dank, auch ein Jenenser gewesen, und noch heute stehen die Pfingsttage der Rudelsburg auf einem immergrünen Blatte meiner Erinnerungen.

„Guten Morgen, Samiel!“ riefen wohl so ein halbhundert Stimmen. Es wird nun doch nöthig, diesen Mann von solchem Ruf dem Leser vorzustellen, ehe ich ihn noch ferner citire. Es ist das alte, unverwüstliche Hausmöbel der Burg, dieser Herr Gottlieb Wagener von dem nahen Dorfe Schieben, wo er, wie der Hamster im Bau, den Winter zubringt; kaum kleidet die Erde sich wieder neu, so schüttelt er den Winterschlaf von sich, zieht mit Bierfässern und Kurbelchen (eine Art hölzerner Seidel), mit Körben voll Brod und Eiern, auch Schinken und sehr scharfen Messern zum Schneiden derselben, in die Keller und Gewölbe der Burg ein, wo er nun, bis der kalte Herbstwind das letzte Blatt vom Baume gejagt hat, als treuer Burggeist Jedermann zu Hülfe kommt, der sich an ihn mit dem Rufe Kaspar’s im Freischütz wendet: „Samiel, hilf!“

Ein Spaziergang um die Burg und in die nächste Umgebung derselben auf dem Berge lohnt sich allemal. Wir stehen auf einem Kalksteinfelsen etwa zweihundertsechzig Fuß hoch über dem Spiegel der Saale, die hart am Fuß des Burgfelsen anschlägt, nachdem sie, begeistert von dem poetischen Wasser der Ilm, das sie kurz vorher zu sich genommen, einen so kühnen Bogen durch das grüne Thal gezogen hat, daß Raum genug zu einem niedlichen, vom Fels der Rudelsburg nur durch die Schlucht des sogenannten Kesselgrabens geschiedenen Hügel für die kleine Nachbarburg Saaleck mit ihren zwei wohlerhaltenen Thürmen geschaffen wurde. Die Rudelsburg gehörte zu den größten Bergschlössern Deutschlands. Das stattliche Mauerviereck mit seinen drei runden Eckthürmen, dem hohen Bergfried und den ragenden Giebeln der Paläste war nur ein Theil der Bergbefestigung, war nur das „castrum“, vor welchem das „oppidum“ (die ebenfalls stark befestigte Vorburg, welche die Wohnungen der Burgmannen, die Stallungen, Vorrathshäuser nebst einer Kirche enthielt) sich wenigstens noch sechshundert Schritte weit ausdehnte, wie die Mauer- und Thurmtrümmer des äußersten Thores dort beweisen.

Schon die Größe der „Veste“ spricht dafür, daß die Rudelsburg ursprünglich eine Reichswehr gegen die Slaven (Sorben und Wenden) war, wie deren viele der Saale entlang bis nach Franken hinein gestanden. Die Zeit ihrer Gründung kennt man nicht.[1] Seltsamer Weise bildet eine an der Nordseite der Burg in ein Fenster verkehrt, mit dem Capitäl nach unten, eingesetzte Säule insofern einen bestimmten Zeitweiser, als die Form derselben auf die Baukunst vor 1100 hindeutet. Die Burg ist mehrmals, auch als Raubrittersitz, zerstört worden, zuletzt, und die große Vorburg völlig, im dreißigjährigen Kriege. Das verhältnißmäßig noch sehr gut erhaltene Castrum, das, was man heutzutage Rudelsburg nennt, kam Ende des vorigen Jahrhunderts an die Herren v. Schönberg, die ihren Wohnsitz nach Kreipitzsch verlegten, aber in den zwanziger Jahren gestatteten, daß in den Burgruinen Samiel seine Sommerresidenz aufschlug.

Es ist keine Frage, daß mit Samiel ein neuer Abschnitt der Geschichte der Rudelsburg beginnt, denn nun erst ward sie ein [331] Platz, in welchem die Freude nicht mehr auf den mitgeschleppten Proviantkorb und die Aussicht beschränkt war, sondern wo sie sich sorgenlos gleich für ganze Tage häuslich niederlassen konnte. Den ausgiebigsten Gebrauch hiervon wußten aber nur die Studenten zu machen und vom Philisterium diejenigen, welche hier selber einmal die bunten Mützen auf den frischen Locken getragen.

Und so ist’s auch heute! Hört Ihr die Grüße des Thals? Das Jubeln und Singen? Das sind die so sehnlich Erwarteten. War das ein Aufruhr im Burghof! Die Jenenser verließen ihre langen Tafeln, den Genossen entgegenzueilen, aber auch die Gruppen der Cylinder und Schleierhütchen rauschten auf, wie scheue Tauben flatterten die weißen und bunten Kleider in den Schutz der dunklen Tuchröcke, um Raum zu machen und ungesehen zu sehen bis zur Gelegenheit, selbst gesehen zu werden. Unter den Männern und alten Herren traten aber schon jetzt Manche ganz anders auf: man sah’s, sie fühlten sich auf berechtigtem Boden. Und da braust und prasselt es herein, in fesselloser Jugendlust, kräftige Arme umschlingen, blühende Lippen küssen sich, hier der erste Flaum am Kinn, dort der Vollbart, wie’s die Natur eben hergiebt, Schnurröcke und Kanonen, klirrende Sporen und bunte Mützen, Ziegenhainer und Tabakspfeifen im just herrschenden akademischen Baustil der Drechslerkunst, den Tabaksbeutel am Knopfloch, Viele das Ränzel auf dem Rücken, wie’s damals Sitte war, wo der Dampfwagen noch nicht das Thal da unten durchschlängelte und Bruder Studio seine Auszüge noch stolz zu Fuß, oder in der „Spritze“, auf Leiterwagen und hoch zu Roß vollbrachte.

Aber nun: „Samiel, hilf!“ – Der Machtspruch des Bedürfnisses bringt den wildesten Schwarm zur Ordnung, und zur Befriedigung desselben stand dem „Samiel“ die „alte Hanne“ mit ihren Schinkenbrödchen und Sooleiern redlich bei. So ging der Mittag vorüber, der Wandelgang der Gruppen und Grüppchen durch die Ruine, die Siesta der Wegemüden im Schatten der Mauern und der Bäume war genossen, die langen Tafeln füllten sich mehr und mehr mit den erfrischten Zechern und die Kurbelchen geriethen in häufigere Bewegung. Inzwischen hatte das Philisterpublicum mannigfach gewechselt durch Ab- und Zugang; nur jene Gäste, die wie auf berechtigtem Boden auftraten und deren Gruppe im Laufe des Nachmittags noch ansehnlich zunahm, hielten Stand, und daß sie dies mit Fug thaten, kündigte sich gleich beim ersten Liede an. Mächtig erscholl’s von wohl anderthalb hundert Studentenstimmen:

„Sind wir vereint zur guten Stunde.“

Da ward der ganze Burghof still; aber in den Augen jener Männer ging ein Jugendfeuer auf. Die Alten nickten erst mit dem Kopfe den Tact, beim zweiten Verse brummten sie mit, beim dritten sangen sie sammt den jüngeren Männern ganz tapfer, beim viertem erhob sich einer um den andern vom Sitze und trat zu den Studententafeln, und schließlich standen sie alle dort, jeder sein Kurbelchen in der Faust, und stießen am Ende zum „Fiducit“ an. Nun brach die Schranke, sie gaben sich zu erkennen als unsere Vorvordern im akademischen Reiche, als unsere „alten Herren“, und nun ging erst ein Grüßen los! Rasch war Platz für alle an unseren Tischen geschafft, und wahrlich, sie alle ließen Frauen und Kinder sitzen, um wieder Studenten zu sein!

Aber auch an diese anscheinlich jetzt so Verlassenen kam noch die Reihe. Zu verwundern war’s nicht, daß die langen schönen Hälse, auf welchen die Köpfe und Köpfchen mit den Schleier- und Federhüten saßen, sich immer eifriger zu uns hinwendeten. Manche Frauen hatten ihre „Alten“ noch ihr Lebtage nicht theils so munter gesehen, theils solcher Sing- oder Trinklust oder gar solcher Zärtlichkeit fähig gehalten. Sie waren ja rein wie ausgewechselt! So der ehrwürdige Pfarrherr dort, der daheim sogar beim Zanken die Stimme möglichst mäßigte, schlug jetzt mit der Faust auf den Tisch und rief, daß man’s im ganzen Hofe hörte: „Fuchs, Du mußt Hansen heißen, sonst lügt Dein Gesicht!“ Und es war richtig der Sohn seines akademischen Herzbruders vor dreißig Jahren. Und dort der graue Advocat, der das ganze Jahr über nur murrte und knurrte, dort singt er seine alten Leiblieder eins nach dem andern her und ein lustiger Chor stimmt mit ein, und er läßt nur eine Pause eintreten, weil der leutscheue Professor V., sein Nachbar, den er mit Mühe und Noth aus seiner stillen Gymnasialwohnung herausgerissen und mitgezwungen, auf einer Bank steht, um eine „unpassende Rede“ zu wiederholen, die er einst als „Burgpfaffe“ gethan, – und gar der Medicinalrath, ewig kühl bis an das Herz hinan, dort umhalst und küßt er einen Studenten, weil dieser auf derselben Stube wohnt, die er vor vierundsechszig Semestern inne gehabt, und weil darin noch Vieles erhalten ist, wie er es kannte, und vor Allem der Stiefelknecht mit seinem eingeschnittenen Namen. So erging es noch Dutzenden, und Alles war so natürlich. Die Jugenderinnerungen kamen wie ein Sturm über die alten Herren, und die Begeisterung für ihre Studentenzeit stand ihnen so schön! Aber den Frauen schien sie nicht durchweg zu gefallen.

Daher geschah ein Geflüster in die Ohren der entwichenen Familienhäupter, und wie auf Commando erhoben sie sich, je ein Paar Studenten an den Armen, und schritten so auf die Ihrigen los. Alle Nichtgeführten gingen von selbst mit, und so begann eine Vorstellung in größerem Stile. Die massenhafte Umhuldigung überraschte glücklich Frauen und Jungfrauen und that ganz besonders den Müttern sichtlich wohl. An dieselbe knüpfte sich ein gemeinsamer Spaziergang durch und um die Ruinen, der einer großen Polonaise glich und bei welchem durch kluge Neckereien von Seiten unserer heutigen Burgfräulein über die so fürchterlich bespornten Kanonenträger zu Fuß eine neue Ueberraschung verursacht wurde. Von den Sporenklirrern war etwa ein Dutzend plötzlich verschwunden.

Es mochte ein Stündchen liebenswürdigster Lust so vergangen sein. Vergeblich hatten wir die Damen zu bereden gesucht, unsere Tische ebenfalls mit ihrer Gegenwart zu schmücken. Die Mütter widersetzten sich diesem Ansinnen. Da plötzlich – horch! Trompetengeschmetter von Kreipitzsch her! Alles wollte den Thoren zueilen. Aber siehe, da sprengten schon zwei Reiter herein, welche sich als Herolde zu erkennen gaben, denn sie trugen auf Brust und Rücken je zwei um den Hals festgebundene blaue Küchenschürzen, auf welche mit Kreide die nöthigen Wappen gemalt waren! Sie verkündeten „ein feierlich Turnier zu Ehren der hochedeln Burgfrauen und Burgfräulein“ und geboten „die Schranken frei zu machen von der Fahrniß gemeiner Wirthschaft“, zu Deutsch: Tischen und Stühlen in des Burghofs Mitte. Das geschah, die Damen erhielte ihren Platz auf dem hohen Schutt- und Trümmerwerke vor dem Ritterhause, die akademischen Männer und Jünglinge machten amphitheatralische Aufstellung auf Boden, Bänken und Tischen im Halbkreise. Das übrige „Volk“ brachte sich, wie allezeit, unter, wo Platz war.

Sie hatten Unglaubliches möglich gemacht in so kurzer Frist, diese Ritter! Als Turnierrosse traten die in Kreipitzsch eingestellten Reit- und Wagenpferde der Jenenser auf. Als Turnierritter konnten freilich nur sechs ausgerüstet werden, weil man nicht mehr Brustharnische zusammenfand, während an Helmen und Lanzen Ueberfluß war, so daß auch die Knappen damit bedacht werden konnten. Sogar einen gewesenen Postillon besaß das Rittergut als Pferdeknecht, der, auf einem Ackergaul reitend, ein altes Posthorn als Turniertrompete blies, äußerlich angethan gleich den Herolden.

Der Zug kommt. Die Herolde fassen zu beiden Seiten des Thors Posto. Es ist nicht zu beschreiben, welches Erstaunen, welch ungemessenen Jubel der feierliche Aufzug gewährte. Die Brustharnische der Turnierritter bestanden allerdings aus großen Thonschüsseln, die mit Stricken und Bindfaden auf der Brust festgebunden waren. Aber wo sollten denn in der Eile andere herkommen? Und entsprachen diese nicht vollkommen ihrem Zweck zerstoßen zu werden? Die Helme waren den Harnischen materialverwandte Kochtöpfe, wie sie auf dem Heerd stehen. Auch sie wurden auf die Köpfe festgebunden, Visire konnten jedoch nur für drei Ritter beschafft werden, weil’s für die anderen an Pappe und Bindfaden gebrach; dagegen zeichnete die Helme derselben ein Flederwisch aus, welcher daran festgebunden war und die wallenden Federn vorstellte. Die Turnierlanzen hatten bis dato als Hopfenstangen gedient.

Es war schön anzusehen, wie der Zug um die Schranken ritt und die Ritter vor den Burgdamen mit Würde die Hopfenstangen neigten. Dann schieden die Knappen bei Seite und die Ritter begannen, immer nur zwei gegeneinander, den Kampf. Die Besorgniß, sie könnten sich die Augen ausstechen, ward mit der stolzen Bemerkung abgethan: „Sie Alle sind tüchtige Stoßfechter und sitzen fest zu Pferde.“ Der Zweck des Kampfes war nicht, sich aus den Sätteln zu heben, sondern den Harnisch zu [332] treffen, und so fochten die Braven wie mit dem Pariser auf der Mensur, daß bei diesem Anblick den Kreußlern, den alten weltberühmten Jenaischen Fechtmeistern, das Herz im Leibe gelacht hätte. Jeder Sieg ward vom Trompeter angeblasen und vom Herold verkündet, und als sämmtliche Schüsseln geliefert waren, hatten alle Ritter gesiegt, stiegen von den Rossen und beugten vor den Burgfräuleins die Kniee, des „Dankes“ gewärtig. Da aber weder Mütter noch Töchter an diese Rittersitte gedacht, so nahmen die Sieger die Fräulein selber als Preis mit zu den Studententischen, und jetzt folgten nothgezwungen auch die Mütter nach.

Nun ward’s für Alt und Jung erst wunderschön, die Anmuth hielt die Wildheit leicht im Zügel, die Gesänge wurden rücksichtsvoll gewählt, Gambrinus zur Vorsicht ermahnt, und wenn ja hie und da Kurbelchen ein schelmisches Triumphklappern wagten, so deutete dies immer nur auf eine „Seligkeit im Anstand“. – So kam die Dämmerung herbei, die sich die Mütter eine kurze Weile gefallen ließen; aber sie hören doch gar zu fein! Kaum drang ihnen so etwas wie Süßholzraspeln in die Ohren, so erhoben sie sich zum Aufbruch, und selbst die alten Herren, an’s Commando gewöhnt, versöhnten sich mit dem Scheiden. – Wie das geschah, kann sich Jedermann selbst ausmalen. Auch der Abschied war für uns eine Lust; nur Manchem der „Alten“! wurden die Augen feucht, wenn die Frage ihn bedrängte: „Wirst Du Das noch einmal erleben?“ –

Als wir um Mitternacht diesen Festtag der Rudelsburg schlossen und zum Schluß mit Holzfackeln noch einen Fackelzug um die Ruinen hielten, um uns dann Lebewohl zu sagen und auf verschiedenen Wegen die bestellten Nachtquartiere zu beziehen, war Mancher darunter, dem’s erging wie den Alten: er war heute zum letzten Mal hier Student gewesen. Ich habe später Keinen wiedergefunden, der nicht aus tiefster Seele mit mir aufgeseufzt hätte: „Ach, es war doch schön auf Hochschulen!“ –

Der Rudelsburg widerfuhr in den vierziger Jahren die Ehre und das Schicksal, vom König Friedrich Wilhelm dem Vierten besucht und wegen der noch heute stehenden, ihm zu Liebe errichteten hölzernen Halle in der Ecke des Ritterhauses und ehemaligen Stallbaues einem „Raubritter mit Vatermördern“ verglichen zu werden.

Schlimmer erging es ihr im December 1867: ein Sturm riß den schönsten Schmuck vom Rest des Frauenflügels, welcher die rechte Seite der Burg von der innern Thormauer bis zum Ritterhause einnahm, fast die Hälfte des hochragenden Giebels herunter. Zwar übernahmen sofort angesehene Männer in Kösen und Naumburg die Sorge, durch Geldsammlungen die Wiederherstellung des Giebels (durch den Bau-Inspector Werner in Naumburg) zu ermöglichen. Eine genaue Untersuchung der inneren Räumlichkeiten der Burg führte jedoch zu der Einsicht, daß für die oft so zahlreichen Gäste ein Schutz gegen plötzliche Unbilden der Witterung mit verhältnißmäßig geringen Kosten dadurch herzustellen sei, daß man vom Ritterhause die Gewölbe, Keller und unteren Stuben und darüber die Vorhalle und Kemenate restaurire und durch eine neue Freitreppe (den alten Gradus) wieder zugänglich mache, ohne das äußere Ruinenbild der Burg zu beeinträchtigen. Zu diesem Behufe trat mit Genehmigung des dermaligen Besitzers der Burg, Freiherrn v. Schönberg, in Leipzig ein Centralcomité mit Localcomités in vielen Städten Deutschlands zusammen und übertrug die Ausführung der Restauration dem den Männern der Baukunst auch als hervorragender Schriftsteller des Fachs bekannten Baurath Dr. O. Mothes in Leipzig. Die Mittel flossen anfangs leidlich, der Bau begann, aber der große Krieg legte ihn lahm. Was bereits vollendet ist, zeigt unsere Illustration vom Burghof, welche uns zugleich die Portraitfiguren des Burgherrn, des Bauraths Mothes, der Naumburger Baumeister, einiger Leipziger Comitémitglieder und Samiels vorstellt; bei dieser Gelegenheit darf wohl auch die Bitte um neue Hülfe für den Ausbau allen alten und jungen Gästen und Verehrern der Rudelsburg an’s Herz gelegt werden. Das Comité besteht noch und sein leerer Opferstock steht weit offen!

Eine neue Zierde wird das Pfingstfest dieses Jahres auf dem Berge der Rudelsburg erhöht sehen: ein Ehrendenkmal für gefallene Helden unseres großen Kriegs.

Wenn auch die Rudelsburg als eine allgemeine deutsche Studentenburg betrachtet werden kann und wenn namentlich hinsichtlich der beiden Verbindungs-Hauptrichtungen von ihr gilt, was Heine vom Halleschen Markte singt:

„Die Burschenschaft und die Landsmannschaft,
Die haben da Platz zum Beten“ –

so hat die Burschenschaft für ihre ernsten Feste und Versammlungen doch stets den Blick nach Eisenach und der Wartburg gerichtet; für die Landsmannschaften (Corps) aber hat in jüngster Zeit die Rudelsburg dieselbe Bedeutung erhalten durch die Gründung eines sogen. „Senioren-Convents- (S. C.) Verbandes“, der jetzt alle Universitäten Deutschlands und der Schweiz umfaßt, in Kösen seine jährlichen Pfingstversammlungen hält und auf der Rudelsburg seine Feste feiert. Dieser „Allgemeine deutsche Corps-Verband“, der schon für die Restauration der Rudelsburg ansehnlich beigesteuert, hat die Stätte der Vorburg, auf welcher einst der Thurm der Kirche gestanden haben soll und welche später die auch längst verschwundene Windmühle einnahm, erkoren, um hier allen ihren im französischen Kriege gefallenen und an ihren Wunden gestorbenen Commilitonen die Ehrensäule zu errichten, welche unsere Abbildung darstellt. – Seltsamer Weise ist viel Soldatenarbeit daran: der Entwurf von Baurath Mothes, früher sächsischem Lieutenant, die Maurerarbeit von Werner in Kösen, einst Unterofficier in Schleswig, die Zimmerarbeit (Gerüst) von Töpfer in Kösen, der mit vor Straßburg, und die Steinmetzarbeit von Einsiedel in Leipzig, der als Lieutenant mit vor Schlettstadt lag. Den Adler auf der Säule modellirte Bergk, der Guß ist von Götjes, Bergmann u. Comp. in Leipzig. Der Schaft der romanischen Säule besteht aus Rochlitzer Porphyr, an der Capitäldeckplatte sind die Wappen der Staaten und freien Städte des Reichs angebracht, am Postament Embleme des Eisernen Kreuzes. Die Höhe des Denkmals beträgt 49 Fuß.

Und so entspricht denn dieses Denkmal, das nicht blos die Trauer um die Gefallenen, sondern zugleich der Stolz des Sieges aufgerichtet, als nahe erfüllt aus, was Robert Prutz noch als klagenden Wunsch in demselben alten Gedenkbuch der Rudelsburg niedergelegt, von welchem aus Franz Kugler’s „An der Saale hellem Strande“ in alle Welt gegangen. Mit jenem, damals Tausenden aus der Seele gesprochenen Wunsche aus trüber Zeit wollen wir von der Burg scheiden:

„In den altersgrauen Räumen
Unter Trümmergraus und Wust,
Jugendhoffen, Jugendträumen,
Zieh’st noch einmal durch die Brust.

Da die Becher lustig klangen
In der Freunde munter’m Kreis,
Da wir Jubellieder sangen,
Vaterland, zu deinem Preis!

Und ein Echo geht noch heute
Durch die tiefste Seele mir,
Sei es Fest-, sei’s Grabgeläute,
Vaterland, es gelte dir!

Daß noch einst in fernen Jahren
Deutsche Burschen jubeln hier
Frohen Muths, wie wir es waren,
Aber – glücklicher als wir!




Kleiner Briefkasten.

Herrn Ernst Witter in Sonneberg besten Dank für die Einsendung des Stammbuchblattes von Karl Sand für seinen Jenaischen Studiengenossen Lotz aus Coburg. Wir theilen den Inhalt des werthvollen Blättchens unseren Lesern hier sofort mit:

„Ehre die stille That, wo Du sie findest, und verkenne nicht guten Willen; – traue, wo man thätig ist und nicht blos dem eigenen Wanste fröhnt; und verdamme nichts, dessen Urgrund Du nicht als wirklich schlecht selbst gesehen hast.

Jena, den 11. September 18.

Lebe wohl, und lasse uns treu bleiben dem Vaterland und der Sache der Menschheit.
Dein 
Teutscher Bruder Karl Sand
aus dem Fichtelgeb.“     

L. R. Curorte werden grundsätzlich in der „Gartenlaube“ nicht besprochen.

O. G. Oliver zu Vallejo in Californien. Ein Schlossermeister Petri wohnt in Alt-Schöneberg bei Berlin, Bahnstraße, neben dem Schulhause.

Ch. Kr. in Dr. Viel zu lang und deshalb nicht aufnehmbar.




Notiz. Leider ist der uns aus Straßburg angekündigt gewesene Artikel bis zur Stunde nicht eingetroffen, und wir sind deshalb genöthigt, die Nummer zu schließen, ohne unseren Lesern, wie wir beabsichtigt hatten, einen Bericht über die Eröffnungsfeier der dortigen Universität geben zu können.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Mit dem Namen Rudolph hat die Rudelsburg nichts zu thun, weder ein Kaiser noch ein Ritter dieses Namens hat sie gebaut. Ihre älteste Bezeichnung (im zwölften und dreizehnten Jahrhundert) ist Ruteleibisberg und noch in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts heißt sie die Veste zu Rottelsberg. Die Stätte soll vorher ein wendischer Opfer- und Begräbnißplatz gewesen sein. Das älteste Mauerwerk der Burg läßt in seiner Aehnlichkeit mit der römischen Constructionsweise eher auf slavischen, als germanischen Ursprung schließen, wie O. Mothes darthut. Eine fleißige Zusammenstellung des Geschichtspersonals giebt Johannes Stangenberger im „Gedenkbuch der Rudelsburg“ (Hildburghausen, Kesselring).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Schmarotzerflanze