Die Gartenlaube (1871)/Heft 45
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No. 45. | 1871. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.
Das Haideprinzeßchen.
„Gott, seien Sie doch nicht gar zu kindisch!“ fuhr Charlotte mich ungeduldig an, und zog mich mit einer einzigen kräftigen Bewegung wieder in ihr Bereich. „Es war ein ehrliches Duell, in welchem Eckhof’s Sohn fiel, und sicher der interessanteste Moment in Onkel Erich’s ganzer spießbürgerlicher Eristenz. … Aber gehen wir hinein! Die Verhandlungen haben den Siedepunkt erreicht.“
Ohne Weiteres schritt sie mit mir die Glasfront entlang und schob mich über die Schwelle der Seitenthür. Ich trat auf feinen Kies; Schlangenwege wanden sich durch dunkelndes Gebüsch, zwischen Felsengruppen hin und durchschnitten hie und da den zartesten Sammetrasen. Je mehr sich das Gitter der Zweige und Blätter verdünnte, das uns von dem Lampenschein und der Scene trennte, desto bänglicher wurde mir zu Muthe. … So stand ich doch noch ganz und gar nicht zu den Bewohnern des Vorderhauses, daß ich zur späten Nachtzeit mitten in Erörterungen hineinplatzte, die nicht für fremde Ohren geeignet waren. … Wie, wenn der Herr des Hauses darüber ergrimmte? … Ich wußte nicht, wie es kam, aber ich konnte auf einmal nicht mehr so obenhin denken: „Ei, es ist ja nur Herr Claudius!“ – Ich zitterte vor ihm.
Charlotte hatte ihren Arm um mich gelegt, und als ich im ersten Impuls, schleunigst das Weite zu suchen, zurückwich, da wurde meine Taille unbarmherzig zusammengepreßt – es ging im Sturmschritt vorwärts, und plötzlich standen wir, wie vom Himmel gefallen, vor der erstaunten Gesellschaft.
„Ich habe das Prinzeßchen im Garten aufgelesen,“ sagte Charlotte rasch und schnitt dem Buchhalter einen Redesatz von den Lippen, „Liebste Fliedner, sehen Sie sich das Kind an, ob es nicht ganz anders aussieht? Es hat Hofthee getrunken und ist im Hofwagen heimgefahren, ganz à la Aschenbrödel – zeigen Sie her, Kind, ob nicht eines Ihrer Atlasstiefelchen auf der Schloßtreppe sitzen geblieben ist!“ …
Bei aller Beklommenheit lachte ich doch und setzte mich auf den Stuhl, den mir Dagobert brachte. … Charlotte hatte Recht gehabt: verstummt, abgeschnitten war der Streit, als habe er nie stattgefunden, und als ich die Augen hob, da sah ich den Buchhalter in dem Dunkel verschwinden, durch das wir eben gekommen. … Herr Claudius stand noch neben der Palme – scheu forschend streifte ihn mein Blick – hatte er nicht ein Maal auf der Stirn? Er hatte ja einen Menschen getödtet! – Ich sah nur die ernsten, blauen Augen auf mich niederleuchten und zog erschrocken den Kopf zwischen die Schultern.
Fräulein Fliedner athmete auf; sie war sichtlich froh über mein Kommen und drückte mir zärtlich die Hand.
„Erzählen, Kindchen!“ drängte sie mich, während sie mir den Hut abnahm und die zerdrückten Aermelpuffen zurechtzupfte. „Wie war’s bei Hofe?“
Ich schmiegte mich tief in den Korbsessel – einer der riesigen Farrenkrautwedel, im Lampenlicht smaragdgrün schimmernd, schwankte nahe über meiner Stirn, und andere kamen seitwärts herüber und berührten kühl und schmeichelnd meine nackten Schultern. Ich saß da, wie unter einem schützenden Baldachin und fühlte mich geborgen. Zudem zog sich Herr Claudius zurück; aber er verließ das Glashaus nicht – man hörte ihn leise und unablässig hinter den Felsen- und Pflanzengruppen auf- und abgehen.
Mein Muth wuchs wieder, und ich erzählte, anfangs stockend, dann mich selbst darüber amüsirend, von meinem glorreichen Debüt – wie mir die so wohl vorbereitete Verbeugung in den Gliedern stecken geblieben sei; von dem Vortrag des Kinderliedchens und meinem Stück Lebensgeschichte, das ich der Prinzessin treuherzig mitgetheilt.
Charlotte unterbrach mich alle Augenblicke mit einem schallenden Gelächter; auch Fräulein Fliedner kicherte in sich hinein und klopfte mir schmeichelnd die Wangen; nur Dagobert lachte nicht mit; er sah mich genau mit demselben staunenden Schrecken an, wie die grauen Hoffräuleinaugen, und als ich schließlich, weil mir zu heiß wurde, den Foulard auf den Tisch warf und dabei sagte, daß er der Prinzessin gehöre, da nahm er das Tuch in unverkennbarer Ehrfurcht auf und hing es mit vorsichtigen Händen über seine Stuhllehne, und das ärgerte und verdroß mich über die Maßen.
„Halt!“ rief Charlotte auf einmal und streckte die Hand gegen mich aus, als ich in meinen Mittheilungen fortfahren wollte. „Nun sagen Sie selbst, Fräulein Fliedner, ob das Prinzeßchen, trotz seiner dunkelblauen Augen, nicht weit eher eine jener interessanten Töchter Israels sein könnte, wie sie die Bibel schildert, als der Sproß eines alten, echt deutschen Adelsgeschlechts! … So wie der wildlockige Kopf da unter dem Farrenkraut auftaucht, – bitte, Prinzeßchen, lassen Sie Ihre Hand noch einen Augenblick beschattend über der Stirn schweben – erinnert er mich lebhaft an Paul Delarroche’s junge Jüdin, wie sie im Uferschilf den ausgesetzten kleinen Moses verstohlen bewacht.“
[746] „Meine Großmutter war ja auch eine Jüdin,“ sagte ich unbefangen.
Die regelmäßigen Schritte im Hintergrund des Glashauses stockten plötzlich, und auch am Theetisch blieb es einen Augenblick todtenstill. Ich saß so, daß ich durch die Glasscheiben einen Theil des Gartens übersehen konnte. Der Mond war heraufgekommen; aber er stand noch hinter einem Wolkengebirge, dessen zackige Ausläufer er silbern besäumte. Ueber den weiten Plan webte ein falbes, unbestimmtes Licht, das die Linien der Gegenstände gespenstig verzerrte – das weiße Lilienfeld, wenn auch tief im Hintergrunde und zum Theil unter den Flußuferbäumen liegend, schien den spärlichen Mondenglanz in sich allein aufzufangen – es leuchtete hell zu mir herüber, und ich mußte wieder, gleich vorhin unter kalten Schauern und Herzweh, an meine arme Großmutter denken, wie sie unter den Eichen hingestreckt lag. … Es wurde Alles wieder wach in mir, was ich in jenen grauenhaften Nachtstunden erfahren und gelitten. Die wenigen, stets furchterregenden Berührungspunkte zwischen der geistesgestörten Frau und mir, lange Jahre hindurch, dann das plötzliche Hervorbrechen der großmütterlichen Liebe in der Sterbestunde, meine Angst bei der Wahrnehmung, daß der Tod wirklich an das ebengewonnene Herz herantrete, das Alles stieg überwältigend vor mir auf, und so, wie es kam, sprach ich’s aus. Ich berührte auch den furchtbaren Auftritt zwischen meiner Großmutter und dem alten Pfarrer – wie sie den geistlichen Beistand zurückgewiesen und als Jüdin gestorben sei, und wie mild versöhnlich der Pfarrer dabei gewesen. – Da plötzlich, während Alle in tiefer Stille zuhörten, kreischte der Kies unter heftigen, starken Schritten, und der Buchhalter, den ich längst daheim in der Karolinenlust wähnte, stand vor mir.
„Der Mann war ein Schwachkopf!“ schalt er mit förmlich donnernder Stimme. „Er durfte nicht von dem Bett weichen, bis er die widerspenstige Seele wieder in seiner Hand hatte. Er mußte sie zwingen, umzukehren – der Priester hat Mittel genug, die Abtrünnigen aufzurütteln, wenn sie frechen Muthes der Hölle zutaumeln wollen –“
Ich sprang auf. Der Gedanke, daß eine Stimme, wie diese, rücksichtslos in den Todeskampf eines Menschen hineinstürmen und die Qualen der ringenden Seele verlängern dürfte, regte mich furchtbar auf.
„O, das hätte er nicht wagen dürfen! Wir hätten es nicht geduldet, Ilse und ich – ganz gewiß nicht! … Ich leide es auch jetzt nicht, daß Sie nur noch ein Wort über meine arme Großmutter sagen!“ rief ich.
Fräulein Fliedner hatte sich rasch erhoben – sie legte beschwichtigend beide Arme um mich und sah ängstlich nach der Felsengruppe hinüber; dort klangen die Schritte wieder – sie näherten sich rasch dem Theetisch.
„Haben Sie das Alles auch der Prinzessin erzählt, Fräulein v. Sassen?“ fragte Dagobert schnell – er schob mit dieser Frage weiteren Erörterungen einen Riegel vor und bewirkte, daß die Schritte augenblicklich verstummten.
Ich schüttelte schweigend den Kopf.
„Nun dann – wenn ich Ihnen rathen darf – schweigen Sie auch künftig darüber.“
„Aber aus welchem Grunde denn?“ fragte Fräulein Fliedner.
„Das können Sie sich doch denken, liebste Fliedner,“ versetzte er achselzuckend, fast unwillig. „Es ist bekannt genug, daß der Herzog den Juden nicht hold ist, weil ihn sein ehemaliger Hofagent, Hirschfeld, fabelhaft beschwindelt hat und schließlich durchgebrannt ist. Weiter – und das ist die Hauptsache – gilt der Name v. Sassen am Hofe als ein seit Jahrhunderten völlig unbefleckter. Für Seine Hoheit giebt allerdings die Gelehrsamkeit des Herrn v. Sassen den Ausschlag – anders dagegen ist’s mit der Umgebung – ihr imponirt sicher nur das hohe Alter und die Reinheit des Stammbaumes; solch eine kleine Ausplauderei seitens der jungen Dame könnte mithin der brillanten Aufnahme des Herrn Doctors, wie auch ihrer eigenen, einen empfindlichen Stoß versetzen, und das wird sie sicher nicht wollen.“
Ich schwieg, weil mir die ganze Rede nicht klar war; ich begriff durchaus nicht, wie es meinem Vater schaden könne, daß seine Mutter eine Jüdin gewesen, denn mir fehlte ja der Begriff von jener sogenannten Weltordnung beinahe vollständig. Es war aber auch gar nicht der geeignete Moment, darüber nachzudenken – noch zitterte ich in der Nachwirkung des Schreckens, den mir das plötzliche Hervortreten des fürchterlichen alten Mannes verursacht hatte. Und er stand ja noch mit verschränkten Armen mir gegenüber, und seine Augen glühten unter den weißen Brauen hervor, als wollten sie mich verbrennen. Ich empfand zum ersten Mal in meinem Leben, daß ich gehaßt wurde – eine Erfahrung, die eine junge Seele so schwer begreift –; die Luft, die ich mit meinem Feinde zugleich athmete, drohte mich zu ersticken; der Aufenthalt im Glashause wurde mir unerträglich.
„Ich will heimgehen – Ilse wartet,“ sagte ich – mit einer energischen Bewegung befreite ich mich aus Fräulein Fliedner’s Armen und griff nach meinem Hute, während meine Augen mit fieberndem Verlangen in den kühlen, weiten Garten hinausstrebten.
„Na, da kommen Sie,“ meinte Charlotte aufstehend. „Ei, der Tausend, ich sehe an Ihrem Blick, daß wir Sie nicht halten dürfen! – Sie wären im Stande und zerschlügen uns die Scheiben wie der wilde Darling –“
„Darling hat heute Abend seinen Herrn abgeworfen und mit den Hufen zerschlagen,“ sagte ich.
Dagobert fuhr empor. „Wie, Arthur Tressel? Den famosen Reiter? Unmöglich!“ rief er.
„Ah bah, ein schöner Reiter das! Der Mensch hätte auch weiser gethan, daheim auf seinem Comptoirstuhle sitzen zu bleiben,“ warf Charlotte mit scheinbarem Phlegma hin; aber unter ihren verächtlich zugekniffenen Lidern hervor flammte ein Blick voll Aerger – er glitt verstohlen durch den Hintergrund des Glashauses. „Hat er sich sehr wehe gethan, der arme Junge?“
„Herr von Wismar sagte zu der Prinzessin, das sei robustes Blut und eine ganz andere Knochenmasse – das sei nicht leicht umzubringen.“
Vom Felsen herüber klang ein leises Auflachen – ich glaube, der plötzliche unterirdische Stoß eines Erdbebens hätte keine größere Wirkung auf die Geschwister üben können als meine achtlos gegebene Antwort und jenes schnell verklingende, kaum hörbare Auflachen. Was hatte ich armes, erschrockenes Geschöpf denn verbrochen, daß Dagobert’s Augen mich so zornig ansprühten? … Es sah aus, als wolle Charlotte im ersten jähen Aufbrausen einen Zornruf hinter die Felsengruppe schleudern, aber sie überwand sich und schwieg, während sie den Kopf stolz zurückwarf.
„Kommen Sie, Kleine – geben Sie Fräulein Fliedner ein Patschhändchen und sagen ihr gute Nacht – es wird Zeit, daß man Sie zu Bett bringt!“ sagte sie zu mir.
In jedem andern Moment würde diese Aufforderung meine siebenzehnjährige Würde tief gekränkt haben – diesmal jedoch verzieh ich Charlotten sofort; denn der Mund, der sich zum Humor zwang, erschien völlig farblos – das stolze Mädchen war tief verletzt worden, das sah ich wohl, wenn ich auch nicht begriff, durch was.
Sie durchschritt anscheinend ruhig und schweigsam an meiner Seite das Glashaus und den vordern Theil des Gartens; kaum aber hatten wir die Brücke hinter uns, als sie stehen blieb und unter einem tiefen, schweren Aufathmen beide Hände auf die Brust preßte.
„Haben Sie gehört, wie er lachte?“ fragte sie mit ausbrechendem Grimm.
„Es war Herr Claudius?“
„Ja, Kind. … Wenn Sie erst länger mit uns zusammengelebt haben, dann werden Sie wissen, daß dieser große, überlegene Geist nie laut lacht, es sei denn über die Schwächen der Menschheit wie vor wenig Augenblicken. … Kleine, mit dem Auskramen Dessen, was Sie bei Hofe hören und erleben, müssen Sie in Anwesenheit des Onkels künftig vorsichtiger sein.“
Ich war empört. Man hatte mich gezwungen, zu erzählen, und ich war in der That, für meine wenig geschulte, offene Natur, sehr vorsichtig gewesen; nicht ein Wort von Dem, was man bei Hofe über Dagobert gesprochen, war über meine Lippen gekommen.
„Warum zanken Sie denn?“ fragte ich trotzig. „Soll ich nicht einmal sagen, daß man den gestürzten Reiter am Hofe für stark und kräftig hält?“
„O sancta simplicitas!“ rief Charlotte spöttisch auflachend. „Arthur Tressel ist zart und zierlich – ein Bürschchen von Marzipan. … Die Bezeichnung des geistvollen Herrn von Wismar gilt dem gesammten biderben Bürgerstand. Ein Cavalier hätte [747] seine feinen, ganz besonders construirten Rippen bei dem Sturz jedenfalls zerbrochen und seine edle Seele in den Himmel zurückgehaucht, das robuste Bürgerblut aber hat viel zu viel von der groben, derben Erde in sich, es bleibt an ihr kleben und thut sich nicht so leicht weh.“
Sie lachte abermals auf, ging hastigen Schrittes weiter und trat mit mir heraus auf das Parterre der Karolinenlust.
Der Mond stand jetzt vollständig entschleiert über dem Schlößchen. Auf der verschwiegenen, dem Waldesdunkel abgerungenen Oase wirkte das hereinfallende weiße Licht ebenso berauschend auf meine Nerven wie der starke Blumenduft im Vordergarten. Es ließ die steinerne Diana drüben unter der Blutbuchengruppe so erschreckend lebendig hervortreten, daß man meinte, der lauernde Pfeil auf dem gespannten Bogen müsse plötzlich die Lüfte durchschwirren – es floß um die Blumen- und Fruchtfestons der Mauern, über die starren Augen und festgeschlossenen Lippen der lasttragenden Karyatiden und schwamm auf dem Spiegel des Teiches, auf den ungeheuren Glasflächen der Fenster. Ich konnte jede einzelne Falte der verblichenen Seidendraperien hinter den Balconglasthüren erkennen – jetzt lief der Mond mit silbernen Sohlen durch die geheimnißvollen Zimmer; – da schwankte die Ampel drunten an der Decke des grimmigen Fanatikers freilich nicht.
„Der da oben hätte mich und meinen Bruder verstanden,“ sagte Charlotte und zeigte nach der Beletage. „Er hat den Staub und Schmutz der Krämersippe mit starker Hand abgeworfen und ist keck hinaufgestiegen in die Sphäre, die ihm einzig und allein den Lebensathem geben konnte.“ Sie sah unverwandt auf die glitzernden Scheiben und zuckte die Achseln. „Er ist freilich mit zerschmettertem Kopf herabgestürzt – aber was thut’s? Er hat doch die hochmüthige Kaste gezwungen, ihn anzuerkennen, er ist Ihresgleichen geworden und hat seinen glänzenden Weg über den Boden gemacht, den sie mit rasender Eifersucht als den ihrigen reclamiren. Es ist schließlich völlig gleichbedeutend, ob dieser Weg durch zehn oder fünfzig Jahre hindurchgelaufen ist. Ich stürbe gern jung, wenn ich nur zwölf Monate Leben auf der Höhe damit erkaufen könnte! … Ich habe es durchgekostet, was es heißt, seine halbe Jugend mit stolz ehrgeizigem Herzen und einem verpönten, plebejischen Namen unter naserümpfenden, adeligen Pensionairinnen zu verbringen – ich will nicht immer unten stehen – ich will nicht!“
Sie fuhr mit der geballten Hand energisch durch die Luft und schritt unter fliegenden Athemzügen rasch auf und ab.
„Onkel Erich kennt diese verborgene Gluth in meinem Herzen – Dagobert denkt und fühlt und leidet genau so wie ich“ – sagte sie stehenbleibend weiter – „und mit dem ganzen Spießbürgerhochmuth seines Standes sucht er sie zu ersticken. … Wir sollen die Stütze unserer Würde in uns selbst suchen, nicht in äußeren Zufälligkeiten, sagt der große Philosoph – lächerlich! Das stachelt mich erst recht auf; ich fühle mich an einen Marterpfahl gebunden, ich knirsche in den Zaum und verwünsche die Bosheit des Schicksals, die junge Adler in ein Krähennest getragen hat! … Woher diese unbesiegbaren Empfindungen?“ frug sie langsam weiterschreitend. „Sie sind da, so lange ich athme, sie müssen in dem Blut begründet sein, das mich durchströmt. … Es ist keine Chimäre, das Wort von dem aristokratischen Bewußtsein – es mögen sich wohl Fäden fortspinnen von Geschlecht zu Geschlecht, die uns unbewußt mit vergangener Größe zusammenknüpfen, wenn sie auch äußerlich nicht mehr wahrnehmbar sind, wie bei uns Geschwistern zum Beispiel, über deren eigentlicher Abkunft tödtliches Schweigen, undurchdringliches Dunkel liegen –“
Diese leidenschaftlich herausgestoßenen Klagen erloschen plötzlich mit den letzten Worten in einer Art von Stammeln – in der Mündung des einen Bosquetweges, an der wir eben vorüberkamen, stand Herr Claudius und sah das aufgeregte Mädchen mit ruhigen, ernsten Augen an.
„Einmal soll dieses Dunkel gelüftet werden, Charlotte, ich verspreche es Dir,“ sagte er so gelassen, als sei der heftige Ausbruch an ihn direct gerichtet gewesen, und er antworte einfach darauf. „Aber dann erst sollst Du die Wahrheit erfahren, wenn Du sie ertragen kannst, wenn das Leben und ich –“ er zeigte gebieterisch auf sich selbst – „Dich vernünftiger gemacht haben werden. … Jetzt gehe vor in das Haus, Dörte mag Dir ein Glas Zuckerwasser einrühren. … Und noch Eines: Ich verbiete Dir hiermit streng für die Zukunft derartige Mondscheinpromenaden in Fräulein von Sassen’s Gesellschaft, der Größenwahn ist ansteckend, Du wirst mich verstehen.“
Seltsam, das Mädchen mit dem starken Geist fand nicht ein Wort der Erwiderung; die Ueberraschung mochte sie wohl für einen Augenblick gelähmt und widerstandslos gemacht haben. Den Kopf trotzig zurückwerfend, preßte sie meine Hand so heftig, daß ich hätte aufschreien mögen, schleuderte sie dann ungestüm von sich und rauschte in das Bosquet hinein.
Ich war mit ihm allein – Angst und Beklommenheit überschlichen mein Herz; aber ich wollte ihm nicht zeigen, daß ich mich fürchte – nun gerade nicht! Der starke Goliath hatte einen Augenblick den Kopf verloren und sich in die Flucht schlagen lassen – da hielt sich der kleine David tapferer. … Ich schritt, für meine flinken Füße viel zu langsam, nach der Karolinenlust, und er ging schweigend neben mir her. … Die Halle war stark beleuchtet; auch in dem Corridor, der hinter meinem Zimmer hinlief, brannten auf Herrn Claudius’ Befehl allabendlich zwei Lampen. Vor diesem Corridor, auf dessen Stufen ich schon meinen Fuß setzte, blieb er stehen.
„Sie sind heute Nachmittag im Groll von mir gegangen,“ sagte er. „Geben Sie mir eine Hand, ich möchte doch lieber nicht so schlimme Erfahrungen machen, wie Heinz mit dem bösen Raben.“
Er streckte mir die Hand hin. Durch ein rubinrothes Glas in der Corridorthür warf das Lampenlicht einen rothflüssigen Schein über die weißen Finger, und von dem Brillantring zuckten grelle Blitze auf – ich schauderte.
„Sie ist voll Blut!“ schrie ich entsetzt auf und stieß nach der Hand.
Er wich zurück und sah mich an – bis an mein Ende werde ich den vergehenden Blick nicht vergessen, der den meinen traf – noch nie hatte mich ein Menschenauge so angesehen, nie! … Er wandte sich und verließ, ohne daß auch nur ein Laut über seine Lippen gekommen wäre, das Haus.
Ich fuhr unwillkürlich mit der Hand nach dem Herzen, als hätte ich den Dolchstich zurückempfangen – wie das schmerzte! Es war Reue, tiefe Reue! … Ich stürmte die Stufen hinab, in’s Freie hinaus – ich wollte ihm die Hand geben, die er verlangt hatte, und ihn bitten, nicht böse zu sein. Aber der Kiesplatz war leer, ich hörte auch keine Schritte sich entfernen – Herr Claudius mußte den weichen Waldboden betreten haben.
Tief niedergeschlagen trat ich endlich bei Ilse ein. Ihre stets wachen und hellen Augen bemerkten sofort, daß Tropfen an meinen Wimpern hingen, und ich sagte ihr, daran sei nur das abscheuliche, blutrote Glas der Corridorthür schuld, für die es auch besser gewesen sei, wenn Darling sie zertreten, statt der Scheiben im Glashause.
Auf diesen Abend folgten mehrere Tage voll Sorge, die ich zum ersten Mal in meinem Leben durchmachen mußte – die Sorge um einen kranken Vater. Er litt an so entsetzlichen Kopfschmerzen, daß er drei Tage lang nicht in seine geliebte Bibliothek hinaufsteigen konnte. … Die wilde Hummel, die bei sonnigem Wetter nicht eine halbe Stunde lang in der Dierkhofstube ausgehalten hatte, saß jetzt von früh bis spät im verdunkelten Zimmer, lautlos zu Füßen des Leidenden und lauschte ängstlich auf jede Bewegung, jeden Laut seines Mundes. Die Sehnsucht nach dem glänzenden Augusthimmel draußen trat auch nicht einmal an mich heran – es flogen ja auch Sonnenblicke durch das dunkle Zimmer, und das war, wenn ich mich auf den Bettrand setzen und abwechselnd eine meiner kühlen Hände auf die glühende Stirn des Kranken legen durfte, wenn er schwachlächelnd Ilse zuflüsterte, er habe es gar nicht geahnt, welch ein Segen es sei, ein Kind zu haben, seit dem Tode meiner Mutter sei er bei der jedesmaligen Wiederkehr seines alten Uebels – er litt periodisch an diesen Gehirnschmerzen – stets doppelt verlassen und krank gewesen, weil er keine pflegende Hand, kein Auge voll zärtlicher Besorgniß um sich gehabt habe; er beklage nunmehr jedes Jahr der Trennung zwischen Vater und Tochter in bitterer Reue als einen großen Verlust.
Der Leibarzt des Herzogs besuchte meinen Vater sehr oft. Vom Hofe kam täglich zweimal ein Lakai, um sich nach dem Befinden [748] des Kranken zu erkundigen und Erfrischungen zu bringen, und Ilse hatte „alle Hände voll zu thun“, um die besorgten Nachfragen aus allen Theilen der Residenz zu beantworten. Auch im Vorderhaus zeigte man große Theilnahme. Fräulein Fliedner kam jeden Morgen selbst, um nachzusehen, und stellte alle dienstbaren Geister des Hauses zu unsrer Verfügung. … Charlotte war auch einmal Abends auf eine halbe Stunde bei mir, um „die Kleine“ in ihrer Trübseligkeit ein wenig zu trösten. Mir schien es aber, als bedürfe sie der Erheiterung von außen her weit mehr als ich. Es lag etwas wie ein finsteres Brüten über den starken, dunklen Brauen, und die stolznachlässige Sicherheit in ihren Geberden hatten einer nervösen Beweglichkeit Platz gemacht. Das Zusammentreffen mit ihrem Onkel am Bosquet erwähnte sie mit keinem Wort; dagegen erzählte sie mir, daß es augenblicklich gewitterhaft schwül im Vorderhaus sei. Herr Claudius führe seinen Entschluß, Haus und Geschäft von dem eingeschlichenen Muckerthum zu säubern, mit äußerster Consequenz durch. Er habe die bereits eingezahlten Missionsbeiträge der Arbeiter großmüthig in den Händen des Buchhalters belassen, die gleiche Summe aus eigenen Mitteln aber als Fond in eine von ihm neugestiftete Casse niedergelegt, welche den Zweck habe, die Realschulbildung für die Arbeitersöhne zu ermöglichen und die Ausstattungskosten für die Töchter der Aermeren zu erleichtern. Die Tractätchen seien korbweise fortgeschafft worden, und dem jungen Commis, der aus Liebedienerei weit über seine Kräfte zu der Missionscasse beigesteuert und sich mit großem Erfolg der Augenverdrehung beflissen habe, sei eine eclatante Rüge und die Androhung zu Theil geworden, daß ein Rückfall in die widerwärtige Heuchelei seine sofortige Entlassung zur Folge haben werde, der Buchhalter gehe natürlich mit einem in Grimm erstarrten Gesicht herum – das wußte ich bereits, durch den Spalt einer Jalousie hatte ich ihn mehrmals in Begleitung der Geschwister den Teich umschreiten sehen. Das Band zwischen diesen drei Menschen schien durch die neuen Ereignisse ein noch engeres geworden zu sein, – dafür sprachen die gemeinsamen Spaziergänge im Walde.
So oft Charlotte Herrn Claudias erwähnte, fühlte ich zwar noch einen leisen Stich durch mein Inneres gehen; allein die Qual der Reue und des Selbstvorwurfs hatte bedeutend nachgelassen, seit ich mir entrüstet sagte, daß die Krankheit meines Vaters ihren Grund in der Aufregung wegen des vereitelten Münzenankaufs habe – die ausgezeichnete haarscharfe Logik meines siehenzehnjährigen Mädchenkopfes erkannte schließlich dem hartherzigen Verweigerer der Mittel die ganze Schuld zu, und – da waren wir ja quitt! –
Nun aber waren die schlimmen Tage vorüber. Die Fenster des Krankenzimmers standen weit offen, Luft und Sonne zogen wieder ein, und Ilse fegte und stäubte ab, als sei die ganze Streubüchse der Wüste drin ausgeschüttet worden. Ich hatte meinen Vater zum ersten Male wieder in die Bibliothek begleitet, ihm droben den Nachmittagskaffee auf der Maschine gekocht, die grünen Wollvorhänge halb zugezogen, wie er’s liebte, und um seine Füße eine wattirte Decke geschlagen. Ich wußte ihn versorgt und stillglücklich in der Wiederaufnahme seiner Arbeiten, und flog nun wie ein Pfeil hinaus in den Garten. Jetzt wußte ich den köstlichen Waldodem, das labende Düster unter den tausendfach verschlungenen Aesten bereits besser zu schätzen. Die Sonne hing als greller Gluthball über dem Garten – es sah aus, als wolle sie gierig das ganze blaue Wasser des Teiches austrinken – matt und träge lag dieses in seinem Steinring.
Ich schlug den Weg ein, den ich seit Sonntag nicht wieder betreten hatte, und drang in das Dickicht – richtig, da stand Gretchens Korbwagen noch mit den halb zerschmolzenen, halb verdorrten Erdbeeren – Niemand hatte ihn zurückverlangt – möglich, daß der alte Gärtner Schäfer ihn gesucht und nicht gefunden hatte. … Wie dauerte mich das arme Kind, das jedenfalls nach seinem verlorenen Spielzeug jammerte! Die Eltern waren ja arm, so arm, daß die Mutter das Blut der Arbeit an den Händen hatte – sie konnten der Kleinen den Verlust vielleicht nicht ersetzen.
Obgleich mir Herr Claudius neulich, wenn auch ohne ein Wort der Zurechtweisung, so doch sehr ausdrucksvoll für alle Zeit den Ausgang verlegt, indem er vor meinen Augen den Schlüssel abgezogen und in die Tasche gesteckt hatte, lief ich doch nach der Gartenthür – siehe da, ein neues Schloß blinkte mir entgegen, ein festes starkes Schloß ohne Schlüssel, auch die Bänder und Riegel waren neu – tausend noch einmal, man mußte gehörigen Respect vor der gewaltthätigen Mädchenhand haben, daß man die Thür dergestalt in Eisen gelegt hatte!
Ich kletterte auf die Ulme, das war heute ein ziemlich saures Stück Arbeit. Ich hatte die sogenannten Spitzen an den Füßen und war damit in die Haideschuhe geschlüpft – um eine ganze Welt waren sie mir zu weit und machten alle Augenblicke Anstalt, mich treulos zu verlassen und hinunter in’s Dickicht zu fliegen. –
Endlich saß ich glücklich droben im Wipfel der Ulme. Auf dem Balcon des Schweizerhäuschens, von dem wilden Wein kühl beschattet, stand ein Kinderwagen – Hermännchen lag drin auf weißem Kissen, sehr faul und jedenfalls sehr satt. Neben ihm stand Gretchen und biß herzhaft in ein großes Butterbrod, dazwischen hinein mit dem Brüderlein plaudernd; drin im Zimmer aber sah ich die Mama, wie sie bügelte und alle Augenblicke mit erhitztem Gesicht in die Thür trat, um nach den Kinderchen zu sehen.
Wer hätte gedacht, daß durch das liebliche sanfte Frauenantlitz dort solch ein Sturm gehen könne, wie ich ihn am Sonntagmorgen gesehen! In diesem Moment war davon auch nicht die geringste Spur mehr in den lächelnden Zügen zu finden, so wenig, wie Gretchen über ihren verlorenen Wagen jammerte. Aber das Kind sollte ihn wieder haben, und zwar sofort, ich wollte ihn mit frischgepflückten Erdbeeren und Waldblumen füllen und den alten Gärtner Schäfer bitten, ihn nach Hause zu tragen. Ich verließ den Wipfel und glitt von Ast zu Ast hinab – da kamen Menschen von der Karolinenlust her; sie mußten mir schon sehr nahe sein – erschrocken fuhr ich zusammen vor der Stimme des Buchhalters, die zu mir heraufscholl, als stehe er bereits unten zu Füßen der Ulme. Den höchsten Wipfel erreichte ich nicht mehr, ohne daß das Geräusch des erschwerten Kletterns hinabgedrungen wäre. Still hoffend, daß das Ungewitter rasch vorüberziehen werde, schlang ich meine Arme um den Baumstamm, denn ich saß auf einem sehr dünnen schwanken Ast, und lauschte mit klopfendem Herzen hinab.
Was ich zuerst durch das Blättergewebe sah, war Charlottens purpurfarbene Sammetschleife, die sie meist über der Stirn trug – wo Charlotte, da war auch Dagobert; die Geschwister flüchteten wieder einmal aus dem gewitterschwülen Vorderhause in den Wald; sie waren unglücklich und bedurften des Trostes; aber es berührte mich trotzdem peinlich, daß sie in ihrer Bedrängniß zu dem unheimlichen alten Manne hielten.
Die Wandelnden bogen in den Weg ein, der sehr nahe an meinem Versteck hinlief. Eckhof dämpfte seine Stimme auffallend; seine breit betonende Redeweise ließ mich jedoch jedes seiner Worte klar und deutlich verstehen. Er hielt den Hut in der Hand; sein blüthenweißer Scheitel leuchtete hell auf, sonst aber erschien der schöne, alte Kopf gleichsam verdunkelt. – Der grimmige, verbissene Ausdruck zeichnete zahllose Falten und Fältchen in das sonst so blanke, man möchte sagen, auch von innen heraus eitel gepflegte Gesicht.
„Schweigen Sie um Gotteswillen mit ihren Tröstungen!“ rief er stehenbleibend nichts weniger als höflich. „Die Folgen sind unberechenbar! Das können Sie beide nicht beurtheilen, die Sie nicht wissen, welch einen ungeheuren Schritt vorwärts wir dadurch gethan hatten, daß das Haus Claudius mit seinen vielen Seelen in unsere Reihen eingetreten war – das hat imponirt und der Kirche manchen Schwachen und Schwankenden wieder zugeführt. … Und nun wird der mühsame Aufbau mit einem solchen Eclat, einer solchen Rücksichtslosigkeit niedergerissen. … Welche unselige Verblendung, den Götzen der Neuzeit, die unselige sogenannte Bildung an die Stelle zu setzen, da der Herr bereits wieder geherrscht hat in seiner alten Macht und Strenge!“
„Der Onkel schlägt sich selbst in’s Gesicht mit seiner Marotte,“ sagte Dagobert kalt. „Die Mächtigen und Besitzenden haben keinen besseren Verbündeten als die Kirche gegen den Schwall Derer, die frech an dem Bestehenden rütteln. … Hätte ich Macht und Geld in den Händen, dann wäre Ihre Partei um einen eifrigen Förderer reicher – ich begreife meine Zeit und gehöre zu denen, die dem tollen Kreisel, den sie Fortschritt nennen, ein Bein stellen.“
„In Bezug auf die Kirche denkt Fräulein Charlotte anders,“ sagte Eckhof, und sein glühendes Auge heftete sich durchdringend und streng auf das junge Mädchen.
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[750] „Ja, darin gehen unsere Ansichten auseinander,“ versetzte sie aufrichtig. „Hätte ich Geld in den Händen, dann würde es mir vor Allem das Mittel sein, das beschämende, erniedrigende Dunkel zu lüften, das die Vergangenheit unserer Familie deckt – ich will die Brosamen nicht länger essen, die mir zugeworfen werden, weil ich deutlich weiß und fühle, daß es meiner unwürdig ist, daß ich mich ihrer vielleicht später einmal schämen muß! … Ich werde von nun an zusammenraffen und sparen –“
„Fräulein Charlotte sparen?“ warf Eckhof sarkastisch ungläubig ein.
„Ich sage Ihnen,“ fuhr sie heftig auf, „ich werde in Sack und Asche gehen, um nur die Mittel zu einer Forschungsreise nach Paris zu erzwingen –“
„Wie, wenn Sie nun nicht so weit zu gehen hätten, um das Dunkel zu lüften?“
Jedes dieser Worte fiel schwer wie tönendes Erz in mein Ohr, auf meine Nerven. Der Mann, der sie langsam und gewichtig ausgesprochen, stand plötzlich da, als habe er sich mit einem einzigen, entscheidenden Schlag von einem schweren, inneren Zerwürfniß losgerungen. „Kommen Sie,“ sagte er kurz und gebieterisch zu der jungen Dame, die ihm sprachlos und mechanisch folgte. Er setzte sich auf die Bank, auf der ich am Sonntag gesessen und gesungen hatte, und die meinem Versteck schräg gegenüberstand.
O weh, in welche entsetzliche Lage war ich gerathen! In Todesangst hielt ich halb schwebend den Ulmenstamm umschlungen – ich fürchtete, durch meine Schwere den dünnen Ast unter mir abzuknicken; dazu machten sich die unseligen Schuhe das Vergnügen, an meinen baumelnden Füßen allmählich, aber mit unerschütterlicher Consequenz hinabzurutschen, und ich hatte keine Gewalt über sie – Gott im Himmel, wenn solch ein kleines Ungethüm hinabpolterte, welches Gaudium für Dagobert, und welche prächtige Gelegenheit für meinen Feind, mir eine donnernde Strafpredigt zu halten!
„Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen,“ sagte der Buchhalter zu den Geschwistern, die sich neben ihn gesetzt hatten. „Aber hören Sie vorerst eine unumwundene Erklärung. … Das, was ich Ihnen mittheilen werde, erfahren Sie nicht auf Grund meiner Anhänglichkeit für Sie – es wäre eine Lüge, wollte ich das sagen. … Ich spreche auch nicht aus Rachsucht –‚Ich will vergelten, spricht der Herr!‘ … Sie sehen in diesem Augenblick nicht den Menschen Eckhof in mir, sondern den Streiter des Herrn, dem keine Wahl bleibt, wenn er zwischen die irdischen Interessen der Menschen – und sei es der eigenen Familie, des eigenen Fleisches und Blutes – und das Heil der Kirche gestellt wird!“
Der Leipziger hat ein Recht, sich seines Augustusplatzes zu freuen, denn es wird wenige Städte geben, deren Charakter in seinen bedeutendsten Zügen sich so klar und schön in einem Kranze von Bauwerken darstellt, wie dies mit dem Leipzigs auf diesem Platze geschieht. Dort steht auf der alten Moritzbastei die erste Bürgerschule und zeugt von der Sorge der Stadt für die Volksbildung; das Gebäude der Universität zeugt von der Ehre, in welcher hier die Wissenschaft steht; der Palast der Post weist auf den Weltverkehr der Stadt hin; für die Pflege höchster Dicht- und Tonkunst prangt des Theaters säulengetragenes Haus, und die bildenden Künste fanden im Museum eine heimische Stätte – und das Alles ist Bürgerwerk, Bürgerstiftung, Bürgereigenthum.
Einer der jüngsten dieser Schöpfungen eines tüchtigen Bürgergeistes, dem Museum, wenden wir heute unsere Schritte zu. Die älteren unserer Leser, von 1859 her, kennen das Aeußere dieses Baues und vom Innern die Durchsicht vom Westsaal aus nach den Abbildungen der Gartenlaube. Es hat sich seit dem nun dreizehnjährigen Bestehen dieses Kunsttempels bewährt, was wir damals verheißen haben, wo wir es als das sicherste Zeugniß einer höhern Gesittung unserer Zeit priesen, daß trotz der gewaltigen Anregungen für industrielle Unternehmungen und dem Gewicht der materiellen Interessen auch der edlen Neigung nach Offenbarung der Seele in Kunst und Poesie durch diesen Bau gehuldigt und eben dadurch auch auf die Veredelung der Gewerbe eine gewiß nachhaltige Wirkung ausgeübt werde. Diese Wirkung ist schon heute sichtbar.
Ebenso ist ein anderer Wunsch für den innern Schmuck und Werth des Museums glänzend in Erfüllung gegangen. Von dem Octogon, der Vorhalle zu den der Bildersammlung gewidmeten Sälen, sagten wir damals, daß dieser durch seine Verhältnisse und das durch die Kuppel einfallende Oberlicht besonders wirkungsvolle Raum vollständig dazu gemacht sei, dereinst Perlen der Kunst an seinen Wänden zu tragen. Das Glück übertraf noch den Wunsch. Nicht viele und verschiedene Perlen, nein eine Perle schmückt den ganzen Raum – und diese eine Perle ist zugleich die höchste Kunstleistung eines der ausgezeichnetsten deutschen Künstler: die Wände des Octogons füllen – als wie dafür gemessen – Friedrich Preller’s sechszehn Bilder zu Homer’s Odyssee in den Original-Cartons aus.
Auch über die Bedeutung dieser Bilder hat die Gartenlaube sich bereits ausgesprochen, als sie (1864) den Lebensgang des Meisters mit seinem Bildniß ihren Lesern vorführte. Leipzig ist bekanntlich die Geburtsstätte dieser Odyssee-Landschaften, denn einen ersten Cyclus derselben malte Preller schon in den dreißiger Jahren in dem „Römischen Hause“ des Dr. Härtel. Wer heute das Octogon des Museums betritt, der wandelt rund den Wänden entlang an all’ dem Land und Meer mit ihren Göttern und Menschen vorüber, wie der Geist Homer’s sie in’s Leben gezaubert – vom Abzug aus Troja an Calypso, Leucothea, Nausicaa, an dem Kampfe der Ciconen und an Polyphemos vorbei; dann sehen wir die Abfahrt vom Lande der Cyclopen, die Insel und den Zauber der Circe und wie Hermes das den Odysseus rettende Moly bringt, und weiter geht’s zur Unterwelt, zu den Sirenen und den Rindern des Helios, bis wir endlich der Heimkehr des Dulders aus Ithaca uns freuen und des göttlichen Sauhirten Eumäos und des herrlichen Sohnes Telemachos und des verständigen Greises Laertes, des Hirten der Völker. Mit seinem Homer im Kopfe und Herzen kann hier Jeder Stunden beseligendsten Genusses verleben.
Bekanntlich sind schon 1863 diese Cartons in photographischer Darstellung und begleitet von einem erklärenden Schriftchen als „Friedrich Preller’s Odyssee-Landschaften“ erschienen. Näher lag allerdings der Gedanke, den Bildern ihren einzig würdigen Erklärer, Homer selbst, zuzugesellen, und das ist in wahrhaft vollendeter Weise gethan in einem Prachtwerke deutschen Verlags. Vor uns liegt: „Homer’s Odyssee. Vossische Uebersetzung. Mit 40 Original-Compositionen von Friedrich Preller, in Holzschnitt ausgeführt von R. Brend’amour und K. Oertel. Leipzig 1872, Verlag von Alphons Dürr.“ In achtunggebietendem Großfolio breitet der stattliche Band sich vor uns aus, lockend auch durch seine dem großartigen Inhalte entsprechende Ausstattung, von dem bunten Deckenbilde, welches sehr sinnig Poseidon, den Verfolger, und Athene, die Beschützerin des vielgewanderten Dulders Odysseus, im purpurnen Himmel darstellt, während dieser in der blauen Tiefe über sein Schicksal nachdenkt, bis zur letzten Schluß-Vignette, dem Homerhaupte zwischen Sternen und Lorbeerzweigen.
Zu den sechszehn Cartons fügt Friedrich Preller als neuen Schmuck für diese Homer-Ausgabe noch vierundzwanzig Vignettenbilder, welche an der Spitze jedes Gesanges den Inhalt desselben andeuten, und so beginnen sie denn mit der Versammlung der unsterblichen Götter im Olymp und schließen mit dem letzten Ende der Freier, wo Hermes die Seelen der Erschlagenen in die Unterwelt führt.
Statt aller Schilderung dieser Kunstwerke ziehen wir es vor, unseren Leser eine Probe mitzutheilen, die zugleich für den Geist der Cartons wie für die Wiedergabe derselben in Holzschnitt dient. Wir wählen das Bild, in welchem „der Zauber der Circe“ [751] dargestellt ist, und fügen als Erklärung desselben die betreffende Homerische Textstelle bei. Odysseus war mit seinen Gefährten zur Insel Aeäa gekommen: „Diese bewohnte Circe, die schöne melodische Göttin.“ Er theilte seine Schaar in zwei Haufen, von denen der eine bei den Schiffen bleiben, der andere das Innere der Insel erforschen sollte. Das Loos entschied. Der Haufen, welchen Odysseus führte, blieb am Ufer, den andern führte Eurylochos. Odysseus erzählt nun:
„Dieser machte sich auf mit zweiundzwanzig Gefährten;
Weinend gingen sie fort und verließen uns trauernd am Ufer.
Und sie fanden im Thal des Gebirgs die Wohnung der Circe,
Von gehauenen Steinen, in weitumschauender Gegend.
Sie umwandelten rings Bergwölfe und mähnige Löwen,
Durch die verderblichen Säfte der mächtigen Circe bezaubert.
Diese sprangen nicht wild auf die Männer, sondern sie stiegen
Schmeichelnd an ihnen empor mit langen wedelnden Schwänzen.
Also umwedeln die Hunde den Hausherrn, wenn er vom Schmause
Wiederkehrt, denn er bringt beständig leckere Bissen:
Also umwedelten sie starkklauige Löwen und Wölfe.
Aber sie fürchteten sich vor den schrecklichen Ungeheuern.
Und sie standen am Hofe der schöngelocketen Göttin
Und vernahmen im Haus anmuthige Melodieen.
Singend webete Circe den großen unsterblichen Teppich,
Fein und lieblich und glänzend, wie aller Göttinnen Arbeit.
Unter ihnen begann der Völkerführer Polites,
Welcher der liebste mir war und geehrteste meiner Genossen:
Freunde, hier wirket Jemand und singt am großen Gewebe
Reizende Melodieen, daß rings das Getäfel ertönet;
Eine Göttin, oder ein Weib! Wir wollen ihr rufen!
Also sprach Polites; die Freunde gehorchten und riefen.
Jene kam und öffnete schnell die strahlende Pforte,
Nöthigte sie, und alle, die Unbesonnenen, folgten.
Nur Eurylochos blieb, denn er vermuthete Böses.
Und sie setzte die Männer auf prächtige Sessel und Throne,
Mengte geriebenen Käse mit Mehl und gelblichem Honig
Unter pramnischen Wein und mischte bethörende Säfte
In das Gericht, damit sie der Heimath gänzlich vergäßen.
Als sie dieses empfangen und ausgeleeret, da rührte
Circe sie mit der Ruthe und sperrte sie dann in die Kofen.
Denn sie hatten von Schweinen die Köpfe, Stimmen und Leiber,
Auch die Borsten; allein ihr Verstand blieb völlig, wie vormals.
Weinend ließen sie sich einsperren; da schüttete Circe
Ihnen Eicheln und Buchenmast und rothe Cornellen
Vor, das gewöhnliche Futter der erdaufwühlenden Schweine.“
So steht es im zehnten Gesange der Odyssee, und so sehen wir es in Preller’s neuntem Carton und in dem vorliegenden Buche, das wir wohl nicht weiter zu empfehlen brauchen. Es ist Jeder zu beneiden, der sich des Besitzes dieses Prachtwerks erfreuen kann.
Ueber uns das blaue Gewölbe eines frischen, heitern Maimorgens, unter und um uns der Vater Rhein mit seinen vielbesungenen grünen Wogen und vor uns die Weinberge des Rheingaus und die Bingen-Ingelheimer Landschaft – so rauschten wir von Mainz aus stromabwärts dahin auf dem neuen, nach amerikanischem Muster erbauten Dampfschiff „Wilhelm, Kaiser und König der Deutschen“. Es war in der That für Alles gesorgt, was das Herz nur wünschen konnte. Denn in dem Riesenschiff, welches in seinen drei über einander liegenden Etagen mehrere hundert fröhliche Passagiere barg und welches über hunderttausend Thaler gekostet haben soll, genoß man bei der comfortabelsten und elegantesten Einrichtung und einer ebenso vorzüglichen als billigen Verpflegung die größte Behaglichkeit, und dabei lag über der ganzen uns umgebenden Natur, über Wald und Strom, eine Anmuth und Farbenpracht, daß sich die Brust plötzlich stolzer erhob und das patriotische Herz höher schlug bei dem Gedanken an den übermüthigen Nachbar im Westen, der seine räuberischen Hände nach diesem Juwel der deutschen Nation auszustrecken gedachte. „Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein“ und „Fest steht und treu die Wacht am Rhein“, so erklang es vom Vorderdeck her aus einem Kreise fröhlicher Heidelberger Studenten, ja es klang uns älteren Passagieren, die wir das Becker’sche Rheinlied einst als etwas „ganz Neues“ mit Begeisterung gesungen haben, wie die Bestätigung und Erneuerung eines alten Schwures der Treue und Standhaftigkeit.
Im Städtchen Elfeld (Eltville ist eine ungerechtfertigte Neuerung, welche selbst von den Bewohnern nicht adoptirt ist) verließen wir das Schiff, um sofort binnen wenigen Minuten und für noch weniger Groschen nach dem weinduftigen Hattenheim zu fahren, wo uns der Allerweltsfreund Vater Laroche im „goldnen Anker“ mit kostbarem Geisenheimer-Rothenberger und Mainzer Handkäse erquickte. Vater Laroche nennt alle seine Gäste ohne Ansehen der Person „Ihr“ und weiß so köstlich vom Rhein und dessen Weinen zu erzählen, daß man sein Haus stets belehrt und erheitert verläßt. Frankfurter oder vielleicht auch Mainzer Weinkaufleute saßen mit uns im Zimmer; sie sprachen die Absicht aus, die berühmten Domanial-Weinlager von Eberbach zu besuchen und behufs der in nächster Zeit stattfindenden Weinversteigerung die erforderliche Probe abzuhalten, so daß wir gern die freundlichst gebotene Gelegenheit zu einer so zuträglichen und interessanten Fußpartie ergriffen, welche nun sofort angetreten wurde. Ueber die berühmte Flur „Markobrunn“, welche ihren Namen von einer dem heiligen Markus geweihten Quelle ableitet, gelangten wir an das schon etwas höher gelegene Domanialgehöft „Neuenhof“, welches von dem Domanium nur zu dem Zwecke erworben ist, um daraus den Dünger für den unmittelbar angrenzenden hochberühmten „Steinberg“, die Wiege des Steinberger Cabinetweins, zu gewinnen.
Dieser edle Berg, ein Fürst unter den Weinbergen, ist wie einst das salomonische Heiligthum, von einer gewiß sehr kostbaren hohen Mauer rings umschlossen und nur durch wenige Thore zugänglich. In der Mitte der gewaltigen Fläche erhebt sich ein geschmackvolles Lusthaus mit der Hauptaussicht nach jener kostbarsten Perle, jener kleinen Parzelle am südlichen Abhange, welche das vorzüglichste Gewächs liefert und deshalb auch ganz besonders behandelt und abgeerntet wird. Das war also der berühmte Steinberg, dessen Namen wir schon so oft ganz am Schlusse der Weinkarte in gleichem Range mit dem Schloß-Johannisberger gelesen, dessen nähere Bekanntschaft wir aber aus ökonomischen Rücksichten stets vermieden hatten. Letzteres vielleicht zu unserem Glück, denn nach unseren nunmehrigen Erfahrungen hätten wir vermuthlich in den meisten Fällen den auf der Weinkarte notirten hohen Preis für einen wenn auch nicht gerade verächtlichen, jedenfalls aber ganz unebenbürtigen Stiefbruder des hochedeln Herrn von Steinberg bezahlen müssen. Ueberhaupt mußten wir heute von verschiedenem Illusionen Abschied nehmen, welche uns bisher so treu durch das Leben begleitet hatten, und unter Anderem brach bei den Mittheilungen unserer sachverständigen Begleitung jene idyllische Vorstellung von dem Leben und der Arbeit der Winzer wie ein morsches Gebäude zusammen. Hört man dergleichen Mittheilungen aus sachkundigem Munde, so könnte man bei dem Gedanken an den sauern Arbeitsschweiß, welcher zur Herstellung des Products erforderlich ist, und an die Seufzer der bittersten Enttäuschung bei schlechter Ernte den Appetit verlieren, wenn der Geist des Bacchus nicht kräftiger wäre, als die unfruchtbare, sentimentale Reflexion.
Hinter dem Steinberg noch ein kurzer Marsch auf der Chaussee, und vor uns liegt rechts hoch auf dem Rücken eines bewaldeten Hügels die großartige Irrenheilanstalt Eichberg und geradeaus im waldigen Thale das ehrwürdige Kloster Eberbach. Die alten Mauern, welche uns demnächst umfingen, haben eine reiche Geschichte, welche jetzt ihren vorläufigen Abschluß darin gefunden hat, daß an Stelle der frommen Cisterzienser Zuchthaussträflinge getreten, während die Keller der guten frommen Väter noch heute mit dem edelsten Naß gefüllt sind. Sämmtliche Räumlichkeiten sind den neueren Zwecken entsprechend und nach Bedürfniß hergestellt, namentlich das ehemalige Dormitorium der Mönche (der Dörmter), welches den Gefangenen ebenfalls als Schlafsaal dient und mit seiner langen Reihe von Pfeilern perspectivisch deshalb eine so mächtige Wirkung hervorbringt, weil die Pfeiler sich allmählich verjüngen. Zu beklagen ist es, daß die Bilder der Aebte in einem offenen Flur hängen, so daß die Spuren der allmählichen Zerstörung durch den Zahn der Zeit bereits in bedenklicher Weise sichtbar werden; aber ebenso bedauerlich ist es, daß das ehemalige Refectorium, ein kühner, durch [752] einen einzigen Pfeiler getragener Gewölbebau, jetzt als Holzstall benutzt wird und dem Verfall preisgegeben zu sein scheint. Es dürfte doch wohl nöthig sein, den sonst doch so conservativen Kunstkenner Herr von Quast einmal hierherzuschicken, um durch ihn ein Machtwort sprechen zu lassen. Besser erhalten ist derjenige Theil der ehemaligen Klosterkirche, in welchem jetzt die sechszehn Kelterpressen aufbewahrt werden und in welchen unsere Gesellschaft nunmehr eintrat, um eine jener am Rheine so beliebten und jeder Versteigerung nothwendig vorausgehenden Proben vorzunehmen.
Unter einer solchen Probe muß man sich nicht etwa ein lustiges Fest mit vollen schäumenden Humpen, Liedern und Kränzen u. dgl. vorstellen, sondern ein höchst wichtiges ernstes Geschäft, zu dessen richtiger Erledigung ganz intime Vorkenntnisse gehören. Da stehen auf langen Tischen primitivster Constuction eine Reihe von gefüllten Achtelgläsern, ein jedes auf seiner deutlich mit Kreide oder Schwärze geschriebenen Nummer, deren letzte diesmal Vierundachtzig war. Die Weine sind genau nach der Güte rangirt und man begeht ein ungeheures Verbrechen, wenn man das Glas nach erfolgter Probe nicht wieder auf die richtige Nummer stellt. Man beginnt die Probe mit der geringsten, oder hier besser gesagt, wenigst guten Sorte, denn das Prädicat „gut“ beanspruchen sie alle mit Recht. Da standen sie nun vor uns, die edeln Neroberger, Steinberger, Gräfenberger, Hattenheimer und Markobrunner aus den Jahrgängen 1868, 1869 und 1870, um vor den Zungen der Weisen eine scharfe Prüfung zu bestehen. Da standen am Tische die Examinatoren schmeckend, kopfschüttelnd, die Augen gen Himmel aufschlagend und – spuckend, denn getrunken wird bei dieser Gelegenheit in der Regel fast Nichts, sondern die Kostproben werden nach erfolgter Einwirkung auf die Zunge sofort den Göttern als Libation zurückgegeben, eine Eigenthümlichkeit, welche uns genußsüchtige Nordländer anfangs zwar sehr befremdete, welche wir aber doch bis zu Nr. 70 getreulich mitmachten, oft in Versuchung, das herrliche Naß hinuntergleiten zu lassen. Indessen nahe liegende Bedenken hatten uns bis zu dieser Nummer einen hohen Grad von Selbstbeherrschung zur Pflicht gemacht, hinter der Nr. 70 kamen einzelne, selbst starke Charaktere in’s Schwanken, hinter Nr. 73 bemerkte man schon einige Schwache, bei denen die teuflische Neigung der Pflicht der Selbsterhaltung vollständig besiegt hatte, und hinter der Nr 77 gab es nur noch wenige Scheinheilige, die es nicht laut als eine unverzeihliche Sünde erklärten, einen solchen Göttertrank ungenossen zu lassen, ja, wir sind fest überzeugt, daß selbst diese wenigen Heuchler die Feuertropfen heimlich hinter die Binde gleiten ließen. Unter Ausrufen des Entzückens gelangten wir zu den Nummern 81, 82 und 83, an die Stelle des geschäftsmäßigen Schweigens war längst die lauteste Mittheilsamkeit getreten, und selbst Mirza Schaffy hätte hier noch etwas lernen können, so floß Lob und Preis des schönen Weines von den weintriefenden Lippen.
Als sich nun aber noch einmal die Pforten öffneten und der Küfer mit verklärtem Gesichte hereintrat, um uns die Nr. 84 zu kredenzen, da erhöhte sich selbst diese muntere Scene noch einmal und die Lustigkeit steigerte sich bis zum frohen Gesang und Vivatruf. Der Küfer, welcher von den übrigen Sorten immer gleich mehrere zugleich herbeigebracht hatte, trug diese Sorte ganz allein, aber mit einer gewissen Feierlichkeit und mit der stolzen Miene eines Siegers, als wolle er alle Welt zum Kampfe herausfordern und den Beifall der strengen Weinmeister mit Gewalt an sich reißen. Und dieser wurde ihm reichlich zu Theil, denn die Nr. 84, ein 1868er Steinberger, übertraf seine sämmtlichen Brüder so weit, wie Nr. 83 etwa die Nr. 63, und darum erhob sich denn auch beim Kosten ein allgemeiner Jubel, welcher sich zuletzt in den Klängen des alten Weinliedes auflöste:
Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsre Reben,
Gesegnet sei der Rhein,
Da wachsen sie am Ufer hin und geben
Uns diesen Labewein!
Noch niemals, auch als junge lebensfrische Studenten nicht, haben wir diese Worte des alten Wandsbeckers mit so heller Begeisterung und mit solcher Berechtigung gesungen, als hier im Kellerhause von Eberbach.
Die Probe war vorüber, unsere kaufmännischen Begleiter machten ihre Notizen, um danach ihre Maßregeln für die demnächst stattfindende Versteigerung zu treffen, und später erfuhren wir denn auch noch als willkommenen Nachtrag, daß bei der Versteigerung selbst, der wir leider nicht beiwohnen konnten, der beste Steinberger mit zweitausendzweihundert Thalern für zweihundertfünfundneunzig Maß von Valkenberg in Worms, die zweitbeste Sorte aber für zweihundertneunundneunzig Maß zu eintausenddreihunderteinundzwanzig Thalern von dem berühmten Haus Mumm in Frankfurt a. M. erstanden worden sei.
Uebrigens war es uns später dennoch gestattet, auch eine Versteigerung mitanzusehen und zwar eine, die zu den berühmtesten innerhalb der Grenzen des Rheingaus zählt und von Sachverständigen aus weiter Ferne besucht ist. Dieselbe ward in dem geräumigen Kelterhaus des ehemals kurmainzischen, dann nassauischen und nun preußischen Amtsgebäudes zu Rüdesheim abgehalten, und es kamen dabei die Erträge der fiscalischen Weinberge in und bei Rüdesheim zum Auswurf, nämlich die weißen Gewächse: Flecht, Aßmannshäuser Traminer, Schloßberg Orleans und Rießling, Hinterhaus, Burgweg, Kiesel Aßmannshäuser Rothweiß (sogenannter Claret, welcher vielfach zu dem Rosachampagner verwendet wird) und Rottland aus den Jahrgängen 1868, 1869 und 1870 und die Aßmannshäuser Rothweine von 1869 und 1870. Diese Versteigerung, welcher wir, wie gesagt beizuwohnen Gelegenheit fanden, ward, wie alljährlich, auch diesmal geleitet durch den als Weinkenner weit und breit berühmten Weinbau-Inspector Victor aus Wiesbaden.
Wir treten in den geräumigen Saal, in welchem wir an drei langen, parallel nebeneinander hinlaufenden Tischen etwa hundertundfünfzig bis zweihundert Männer versammelt finden, während im Hintergrunde des Saales das Versteigerungs-Bureau constituirt und der unter der Aufsicht des Oberküfers stehende Probentisch etablirt ist. Auf jedem der langen Tische stehen in kurzen Zwischenräumen große leere Flaschen mit Trichtern und Flaschen mit klarem Wasser, vor jedem Auctionsgast aber ein Weinglas. Wir betrachten das kauflustige Publicum und finden Männer aus allen möglichen Lebensstellungen und Lebensaltern mit jener Farbenfrische der Wangen und sichtbaren Dauerhaftigkeit der Gesundheit, welche die Begleiter des verständigen und mäßigen Lebensgenusses, die Folgen des Umganges mit dem reinen Rebensafte sind, und mit jenem Ernst im Gesichtsausdruck, welcher dem Abschluß eines schwierigen und wichtigen Geschäfts angemessen ist. Da finden wir die Eigner oder die Agenten der großen und berühmten Weingeschäfte, zum Beispiel den Agenten des Bremer Rathskellers und die Beauftragten rheinischer Privatgesellschaften, welche, wie etwa das Casino in Coblenz, es sich zur heiligsten Pflicht gemacht haben, ihren Mitgliedern nur reinen Wein einzuschenken; aber vor allen Dingen finden wir da die eigentlichen Kenner des Rheinweins, die Privatbesitzer von Weinbergen, die Producenten, deren Wiege im Rheingau gestanden hat und die in einem langen Leben manchen Schluck musternd auf die Zunge nahmen. Da sitzt uns gegenüber eine alte ehrwürdige Greisengestalt mit glatt rasirtem, stark gefurchtem Gesicht, die langen weißen Locken hinter das Ohr gestrichen und den schwarzen runden Filzhut auf das ehrwürdige Haupt gestülpt, etwas rücküber, so daß eine breite denkende Stirn sichtbar wird, unter welcher ein Paar alte, aber blitzende Augen hervorleuchten. Ein herrliches Greisenbild mit dem Blick der frischen Jugend! Und wer ist dieser eigenthümliche Mann, der eher nach einem Geistlichen oder Schulmeister, als nach einem Weinkenner aussieht? Haben wir ihn nicht schon oft im Leben gesehen, ohne doch im Augenblick zu wissen, in welchem Fache des Gedächtnisses wir ihn finden sollten? Aber da hilft uns unser freundlicher Nachbar aus Mainz, an den wir unsere Frage richteten. „Gewiß,“ lautete die Antwort, „kennen Sie den Alten, er ist ja eine Hauptfigur aus Hasenclever’s berühmter und überall gekannter ‚Weinprobe‘, er ist der alte, nun fast neunzigjährige Weinbauer G. hier aus Rüdesheim, ein Freund des Malers, der ihn auf seinem Bilde offenbar mit besonderer Vorliebe als die ansprechendste Figur von allen gemalt hat, und eine allbekannte Wein-Autorität.“
Die Versteigerungsverhandlung begann mit der Vorlesung der Bedingungen, aus denen wir lediglich hervorheben, daß als geringstes Weitergebot nur drei Thaler zugelassen werden, ein Gebot, welches übrigens selten genug vorzukommen scheint. Nach dieser Vorlesung, der Niemand zuhörte, da jeder Anwesende die Bedingungen und eine Liste der zur Versteigerung kommenden Sorten gedruckt vor sich liegen hatte, setzten sich die blaubekittelten Küferjungen in Bewegung, um sämmtliche Gläser mit einigen Tropfen [753] aus dem zunächst zur Versteigerung kommenden Fasse zu versehen. „Die Proben sind herum,“ ruft Herr Victor freundlich schmunzelnd sein Publicum überschauend. „Wer bietet auf dieses Faß von dreihundertdrei Maß inclusive Faß?“ Sofort beginnt das Bieten mit fünfzig Thaler, um mit hundertdreißig zu enden, und in dieser Weise werden acht Sorten 1869er schnell hintereinander verkauft, die beste dreihundertein Maß enthaltend, für dreihundertzweiundsechszig Thaler. Ihnen folgen sechs Sorten 1870er zu weit niedrigeren Preisen, wogegen die nächsten neun Sorten 1868er wieder besser fortgehen, namentlich ein Faß Aßmannshäuser Traminer von zweihundertneunundneunzig Maß für vierhundertzwölf Thaler.
Sobald die Probe vorüber, das heißt der nur auf die Zunge gelegte Schluck den unterirdischen Göttern geopfert ist, gießt Jedermann den Rest des Weines in den Trichter, um sofort aus den Händen der Küferjungen die nächstfolgende Probe eingeschenkt zu erhalten. Die Käufer der einzelnen Fässer werden von der ganzen Gesellschaft sorgfältig notirt, auch werden die Namen nachher durch alle Localblätter bekannt gemacht, damit Jedermann weiß, wo Barthel vorkommenden Falles seinen Most zu holen hat. Nach einer gewissen Anzahl von Proben spült man das Glas mit Wasser aus und genießt ein Stück wohlschmeckendes Schwarzbrod, welches die Kellerverwaltung in großen Körben reichlich vertheilt, und so sieht man denn die ganze Versammlung vor sich schlürfend, kauend, schreibend, spuckend und bietend, letzteres aber nicht etwa mit lautschallender Stimme, wie bei gewöhnlichen Auctionen, sondern meistens nur durch stumme Winke mit den Armen oder Fingern, eine Zeichensprache, welche der Auctionator mit einer erstaunenswerthen Virtuosität versteht.
Nach den weißen Weinen gelangten achtzehn Sorten rothe Aßmannshäuser, Jahrgang 1870, zur Versteigerung; sie wurden nicht sehr gelobt, auch nicht hoch bezahlt, denn die geringste Sorte von hunderteinundsechszig Maß kostete nur neunundsiebenzig Thaler, die beste von hundertvierundsechszig Maß hundertzwölf Thaler. Nun aber folgten zweiundzwanzig Sorten des rothen Aßmannshäusers aus dem köstlichen Jahrgang 1869, und aus der allgemeinen Bewegung, welche plötzlich in der Versammlung entstand, konnte man schließen, daß etwas Ungewöhnliches bevorstehe. Die Versteigerung begann und „zweihundert Thaler für hundertzweiundsechszig Maß“ lautete das Angebot. Das Faß ging für zweihundertvierundfünfzig Thaler fort, aber die Preise steigerten sich bei jeder besseren Sorte, bis endlich die beste von hunderteinundsechszig Maß für fünfhundertelf Thaler verkauft wurde. Dabei sei für die Leser der Gartenlaube, welche sich etwa die Preise auf Flaschen berechnen wollen, in Parenthese bemerkt, daß die nassauische Maß zwei Liter, das heißt etwa drei gewöhnliche Flaschen, enthält. Das edle Naß wurde also diesmal theuer genug losgeschlagen, die 1869er Sorten waren aber auch ganz vorzüglich und unser Vis-à-vis, die alte Weinautorität, versicherte laut und freudig, daß ein solcher Aßmannshäuser in diesem Jahrhundert noch nicht gewachsen sei. „Sind Sie,“ so ergänzte ihn einer seiner Nachbarn, „sind Sie ein Freund von leichtem Getränk, so kaufen Sie sich Burgunder oder Bordeauxweine, wollen Sie aber lieber etwas Herzhaftes trinken, so greifen Sie zu dieser Sorte,“ und dabei schlürfte er stolz auf sein schönes rheinisches Heimathland und mit der tiefsten Verachtung gegen Frankreich erfüllt die schwarzen schweren Tropfen, von denen auch wir kosten und empfinden mußten, daß sie in Wahrheit wie Feuer durch die Adern rollen. – Die Versteigerung war vorüber, die Käufer legten ihre Siegel an die erkauften Fässer, nahmen die Probeflaschen in Empfang und die Gesellschaft zerstreute sich.
Schon während der Auction stand Einer draußen am Brunnen, er hatte mit Hülfe des eitlen Quellwassers aus einem halben Glase Aßmannshäuser ein volles gemacht und prüfte nun Farbe und Geschmack. Was beabsichtigte dieser Künstler? wollte er nach
XIX. Nr. 45.
[754] Art der homerischen Helden einen, Mischtrank bereiten, oder verfolgte er zum Besten der Menschheit Sanitätszwecke? Wollte er
selbst hier unserem Herrgott in das Handwerk pfuschen, unserem Herrgott, der in seiner Weisheit ganz gewiß den Wein und das Wasser selbst zusammengegossen haben würde, wenn er solche Mischung für zweckentsprechend gehalten hätte? So aber hat er wohlbedacht den Wein, oben auf den Bergen wachsen und das Wasser unten im Thal fließen machen, und deshalb soll die Beiden auch Niemand zusammenkommen lassen, abgesehen von dem bekannten guten Worte, das uns schon der wackere alte Kopisch zugerufen hat:
„– daß ein guter Christ
In Wein niemalen Wasser gießt,
Dieweil darin ersäufet sind
All sündhaft’ Vieh und Menschenkind.“
Von Reinhold Sigismund.
Kein Stand in Thüringen hat durch die Befreiungen des Jahres 1848 so viel gewonnen, wie der einst so vielgeplagte Bauernstand. Was die Vorfahren vor dreihundert Jahren im schrecklichen Bauernkriege mit Feuer und Schwert erringen wollten, aus welchem Die, welche nicht auf dem Schlachtfelde oder durch Henkers Hand gefallen waren, nur zu einem noch härteren Loose, als ihnen vorher zu Theil war, hervorgingen, das gewährte den heutigen Bauern die Revolution des Jahres 1848, welche zumeist durch die Bevölkerung der Städte hervorgerufen und geleitet war, ohne daß sie sich selbst sehr zu bemühen brauchten. So erhielten sie die Befreiung von den Frohnden, in Folge deren sie im Stande waren, bei der Bearbeitung ihres Feldes mehr Mühe und Fleiß zu verwenden, als ihnen früher möglich war. Von dem erdrückenden Wildstande, der so übermäßig war, daß in manchen Fluren allein mehrere Hundert Rehe und unzählige Hasen hausten, befreiten sie sich selbst, und die schonungslose Erbitterung, mit der sie es thaten, beweist am besten, was sie bisher darunter gelitten hatten.
Durch Beseitigung der Patrimonial-Gerichtsbarkeit wurden noch weitere Uebelstände entfernt, die schwer auf ihnen gelastet hatten, andere weniger bedeutende Erleichterungen, welche die neue Zeit brachte, gar nicht zu rechnen. Die materielle Lage unserer Bauern hat sich nun in dem verhältnißmäßig kurzen Zeitraume seit 1848 ganz auffallend gebessert. Das sieht man an den schöneren und wohnlicher gemachten Häusern, den netter gehaltenen Höfen, dem größeren Reichthume an Vieh, dem besseren Stande der Felder. Und entsprechend der alten Meinung, daß nur in einem gesunden Körper ein gesunder Geist wohnen könne, hat auch der Geist des Bauernstandes bei gesunderen und menschenwürdigeren äußeren Verhältnissen, einen bedeutenden Aufschwung genommen, obgleich es offenbar ist, daß ein Jahrhunderte lang schwer gedrückter Menschenschlag nicht gleich beim Aufhören des Druckes jene Spannkraft annehmen könne, wie wir sie bei solchen Classen, die stets der Freiheit theilhaftig waren, beobachten können.
Man liest jetzt auf dem Dorfe politische, belehrende und unterhaltende Zeitungen, wobei die Gartenlaube natürlich nicht fehlt. Die Schulen waren auch vor Achtundvierzig in einem verhältnißmäßig guten Zustande, daher auch die ältesten Leute lesen können. In den meisten Häusern fehlt auch das Clavier nicht. In vielen Ortschaften giebt es selbstständige Musikchöre, die sich aus Dorfinsassen recrutiren, und das Streben, sich weiter zu bilden, kann man an dem Eifer erkennen, mit welchem unsere Bauern an landwirthschaftlichen Vereinen theilnehmen. Schlägereien, früher die wahre Weihe jeder Dorfkirmse, sind jetzt eine Seltenheit.
Trotz alledem ist der finstere Geist des Aberglaubens, der in früheren Zeiten überall so gewaltig war, noch weit davon entfernt, verlöscht zu sein, namentlich im Gebirge nicht, nur daß manche Ortschaften mehr, die anderen weniger davon befangen sind, und wir wollen versuchen, eine Skizze von demselben zu geben, wie wir ihn zu beobachten Gelegenheit hatten.
Daß der Mensch nur allzusehr geneigt ist, das Walten dunkler Mächte anzuerkennen, welche oft mit zerstörender Gewalt in sein Glück und Leben eingreifen, dafür sind selbst große Männer, die nicht frei davon waren, Zeuge genug. Um so weniger kann es uns befremden, diesen Glauben bei Leuten zu finden, welche gehindert waren, an der stetig fortschreitenden Bildung und Aufklärung des Menschengeschlechts genügenden Antheil zu nehmen. Auf vielen Dörfern ist es noch unumstößliche Gewißheit, daß es Hexen und Hexenmeister giebt, die im Stande sind, ihren Nebenmenschen allen möglichen Schaden an Gesundheit und Eigenthum zuzufügen. Das schreckliche Wort: „Es ist mir angethan“, hört man oft genug im Verlaufe von Krankheit und Unglücksfällen von dem Betroffenen in dumpfer Verzweiflung ausstoßen. Auf der andern Seite hält man aber schon diejenigen Personen als des Bündnisses mit dem Teufel verdächtig, welche in ihren Vermögensverhältnissen auf eine den Uebrigen unbegreifliche Weise vorwärts kommen, wenn sich dies auch meist für den Unbefangenen durch höhere Intelligenz, Fleiß und Sparsamkeit des Verdächtigen erklären läßt. Selbstverständlich wird die Fähigkeit und Macht zum Hexen meist nur durch Bündnisse mit dem Teufel erworben, doch kann man ausnahmsweise auch durch das Studium von Zauberbüchern dazu gelangen, sich die Geisterwelt dienstbar zu machen.
Glücklicherweise ist jedoch der Mensch nicht schutzlos und hülflos den teuflischen Künsten der Hexen und Hexenmeister preisgegeben. Es giebt Männer, welche ihnen überlegen und im Stande sind, den von Jenen ausgeübten Zauber zu brechen, ja auf die Urheber desselben selbst zurückfallen zu lassen. Es sind dies Bevorzugte, denen man, vielleicht im Gegensatze zu den Unklugen, welche an sie glauben und ihre Hülfe in Anspruch nehmen, den Namen „kluger Mann“ zu geben pflegte, eine Bezeichnung, welche in Thüringen Jedem verständlich ist.
Der kluge Mann ist meist ebenfalls Bauer und lebt auf dem Dorfe. Im gewöhnlichen Leben sieht man ihm oft nicht an, daß er über vier zählen könne, aber er besitzt geheimnißvolle Bücher und Werkzeuge, welche es ihm möglich machen, angethane Uebel zu heben, Gegenzauber zu vermitteln, durch Sympathie zu curiren, Diebstähle und andere dem gewöhnlichen Sterblichen verborgene Dinge zu entdecken. Dergleichen Zauberbücher sind Doctor Faustus Höllenzwang, das sechste und siebente Buch Mosis. Unter den Werkzeugen spielt der Erdspiegel, ein Instrument, um das Verborgenste zu entdecken, die Hauptrolle, doch ist es uns durchaus unmöglich, anzugeben, wie derselbe construirt ist und bei welchem Instrumentenmacher man ihn beziehen könne. Auch Erdschlüssel, dreierlei, siebenerlei, neunerlei Kräuter werden gebraucht. Bei allen Krankheiten, welche „angethan“ sind, ist es durchaus vergeblich, zum Doctor zu laufen, weil derselbe dagegen nichts thun kann, hier kann nur der kluge Mann helfen und es ist ganz unglaublich, daß Kranke oft wochenlang liegen und nur nach den Rathschlägen des klugen Mannes behandelt werden ohne Beistand des geprüften Arztes. Dieser wird oft erst gesucht, wenn der kluge Mann durchaus im Stiche läßt, was aber keineswegs, gegen die Kräfte desselben, höchstens dafür spricht, daß die Krankheit doch vielleicht dieses Mal nicht „angethan“ sei. Worin die von dem klugen Manne gegebenen Mittel bestehen, ist uns unmöglich anzugeben, da den Hülfe Suchenden unverbrüchliches Stillschweigen aufgelegt wird, widrigenfalls Alles nichts helfen würde. Endlich gehört dazu, daß Der, welcher die Macht des klugen Mannes in Anspruch nimmt, auch daran glaubt.
Hat eine Verhexung stattgefunden, so wird in Folge des vom klugen Manne angegebenen Gegenzaubers die Hexe oder der Hexenmeister gezwungen, sich selbst zu verrathen. Unwiderstehliche geheime Kräfte treiben ihn in das Haus, wo das Opfer seiner Bosheit sich befindet, und meist tritt er daselbst unter dem Vorwande ein, irgend ein Stück aus dem Haushalte borgen zu wollen, wo er dann natürlich nicht sehr freundschaftlich empfangen wird. Wie oft läßt sich ein sonst unerklärlicher Haß zwischen einzelnen Familien auf solche der einen Partei oft ganz unbekannte Ursache zurückführen! Welch ein fürchterlicher Frevel aber, bei oft wirklich zerschmetternden Unglücksfällen die Ursache derselben auf geheime Machinationen eines Nebenmenschen zurückzuführen! Ist uns doch ein Mann bekannt geworden, der, als er seine sämmtlichen Kinder schnell nach einander durch Krankheiten verloren hatte, in dem festen Glauben, daß ihm dies nur angethan sein könne, zum [755] klugen Manne reiste, um den Urheber entdecken zu lassen. Wir zweifeln nicht, daß der kluge Mann Alles that, diesen Glauben zu bestärken. Welches Gefühl aber mußte in der Brust des Unglücklichem gegen Den erstehen, auf den der Verdacht, der boshafte Vernichter seines ganzen Lebensglückes zu sein, gelenkt würde!
Bei Diebstählen bedient sich der kluge Mann meist des Kunstgriffes, zu sagen, daß durch seine Vorkehrungen gezwungen, der Dieb das Gestohlene selbst wiederbringen werde. Der Bestohlene werde es in so und so viel Zeit wiederfinden, sonst würde den Dieb die schwerste Strafe treffen. Ist nun der Dieb im Orte und ebenso abergläubisch wie der Bestohlene, so säumt derselbe natürlich nicht, sich des gefährlichen unrechten Gutes zu entledigen, sobald er von den Drohungen des klugen Mannes Kenntniß erhält. Dies trägt natürlich nicht wenig dazu bei, den wunderbaren Ruhm des Letzteren zu erhöhen. Die Fälle, in denen der Dieb nicht abergläubisch genug ist, das Gestohlene selbst wiederzubringen, wo also der kluge Mann im Stiche läßt, werden nicht gerechnet und vergessen. Ueber die Person des Diebes bewegt sich der kluge Mann in dunklen Andeutungen. Ist es ihm gelungen, zu erfahren, auf wen der Bestohlene Verdacht habe, so verfehlt er natürlich nicht, denselben zu bestärken.
Der kluge Mann steht meist mit dem Gastwirthe seines Dorfes in Verbindung. In dessen Hause muß natürlich jeder Hülfesuchende einkehren. Hier erfährt er auch am Ersten, wo der kluge Mann wohnt. Der Wirth äußert sofort die allerdings nicht fern liegende Vermuthung, daß dem Fremden gewiß irgend ein Leid widerfahren sei, gegen das er die Hülfe des klugen Mannes in Anspruch nehmen wolle, zeigt die wärmste Theilnahme und nöthigt seinen Gast, für’s Erste einmal sich leiblich zu stärken, und dann den klugen Mann aufzusuchen, der, versichert er, sein Handwerk verstehe wie Keiner.
Der Fremde, sichtlich aufgerichtet durch den tröstenden Zuspruch, der ihm hier zu Theil wird, setzt sich nieder, ißt und trinkt, läßt sich die Gesellschaft des gar so freundlichen Wirthes gern gefallen und wird dabei von diesem über Namen, Stand, Herkommen, über die Ursache seines Leidens über Alles auf das Genaueste ausgeforscht, ehe er’s nur ahnt. Plötzlich wird der Wirth hinausgerufen; er soll nach dem Stalle sehen, heißt es. Der Fremde bleibt noch eine Weile sitzen, denn er kann die Flasche Bier vor sich doch nicht halbgeleert stehen lassen. Endlich treibt auch ihn die Unruhe fort.
Der kluge Mann sitzt schon vor der Thür seines Hauses, wie wenn er ihn erwarte. Er ruft dem erstaunten Fremden dessen Namen entgegen, er weiß bereits, was ihm alles Schlimmes widerfahren, weiß, daß ihm während der Ernte ein Sack voll Thaler aus dem Wandschrank gestohlen worden ist, und weiß auch, daß sein Gast keinem Menschen noch ein „Sterbenswörtchen“ von seinem Unfall erzählt hat. Trotzdem weiß er, wie gesagt, Alles bis in’s Kleinste und der gute Fremde fällt vor Staunen fast auf den Rücken. Diese Allwissenheit des klugen Mannes kann unmöglich mit rechten Dingen zugehen und er schwört nunmehr darauf, daß er, wenn irgendwo, nur hier mehr zu seinem verlorenen Gute, wieder gelangen könne. Befriedigt verläßt er den klugen Mann, um einige harte Thaler ärmer, aber um eine gewichtige Hoffnung reicher. Im Wirthshause aber sitzt der Wirth, in die Faust lachend – denn daß der Fremde nun auch noch einmal bei ihm einkehren werde, auf das gute Gelingen seines Unternehmens eine zweite Flasche zu leeren, weiß er ganz gewiß, und daß sich binnen Kurzem auch der kluge Mann einfinden wird, mit ihm die erschwindelte Beute zu theilen, ist ebenso sicher.
Auch Leute, welche sich selbst nicht für abergläubisch halten, die zu den Erzählungen über Hexen und Hexenmeister spotten und lachen, glauben wenigstens an Sympathie und man kann sofort von ihnen Fälle anführen hören, in denen dieselbe Wunder gethan hat. Für Solche, denen das Verfahren unbekannt sein sollte, diene zu wissen, daß der leidende Körpertheil von dem Sympathiemanne mit irgend etwas, zum Beispiel einem Zwirnsfaden, unter Murmeln einer Zauberformel oder heiliger Namen in Berührung gebracht wird. Dieser Zwirnsfaden, oder was es sonst sei, wird dann vergraben, oder unter einer Dachtraufe angebracht, oder dem fließenden Wasser übergeben, und wie dergleichen Vorschriften mehr sind, die in tausend Arten existiren. Das Uebel verschwindet mit dem Gegenstande. Dem Abnehmen und Zunehmen des Mondes wird bei Vornahme des Sympathiezaubers eine sehr große Wirkung zugeschrieben.
Der meiste Wunderglaube aber ist, wie wohl auch anderswo in Deutschland, mit der die Phantasie unseres Volkes so gewaltig gefangen nehmenden Weihnachtszeit und der letzten Nacht im Jahre verknüpft. So geht Alles, was man in den zwölf Nächten vom Weihnachtsabende bis zum drei Königstage träumt, in dem Monate, welcher der Zahl nach der Nacht entspricht, in der man geträumt hat, in Erfüllung. Kein Spinnrocken darf in den zwölf Nächten unabgesponnen bleiben, sonst thut Frau Holle der nachlässigen Spinnerin Schimpf und Schabernack an.
Am Neujahrsabende aber ist es möglich, sichere Blicke in die Zukunft zu thun. Wer Muth genug in sich fühlt, kann die Ereignisse des folgenden Jahres in der Neujahrsnacht im Voraus sehen, wenn er in der Mitternachtsstunde auf ein frisches Saatfeld oder auf einen Kreuzweg tritt, ein Verfahren, welches man „gucken“ nennt. Hier ziehen die, welche im nächsten Jahre sterben werden, vor ihm vorüber; auch Feuersbrünste und andere Unglücksfälle zeigen sich ihm an. Doch wehe ihm, wenn er aus seinem Kreise tritt, oder vor Verlauf einer gewissen Zeit etwas von dem Gesehenen verräth, dann ist er selbst dem Tode verfallen!
Eine sehr ergötzliche Geschichte trug sich einmal in Folge einer solchen Zukunftseherei in unserer Nähe zu. Ein praktischer Arzt fuhr in der Neujahrsnacht auf seinem mit zwei Rappen bespannten Schlitten nach Hause. Da bemerkte er, als er zu einer Stelle kam, welche einen Kreuzweg bildet, daß ein Mann mitten auf der Straße stehe, welche er passiren mußte. Da derselbe unbeweglich blieb und nicht auf die Seite wich, mußte der Arzt seine Pferde vorbeilenken, um den Menschen nicht über den Haufen zu fahren. Erzürnt über die Mühe, die ihm die Hartnäckigkeit des Stehenden verursachte, gab er ihm im Vorbeifahren einen derben Schlag mit der Peitsche über das Gesicht, wobei er nur bemerkte, daß der Mensch wie ein Stück Holz zu Boden fiel. Ohne sich um das Schicksal desselben weiter zu kümmern, fuhr der Arzt nach Hause, wurde aber, als er noch nicht lange der Ruhe genossen hatte, herausgeklopft und zu einem, wie man ihm sagte, sehr gefährlichen Patienten über Land geholt. Er war nicht wenig erstaunt, an dem Kranken das Zeichen seines Peitschenhiebes über das Gesicht zu sehen. Die durch denselben verursachte Verletzung war jedoch weniger bedenklich, als die Sprachlosigkeit des Kranken, der auf keine Frage antwortete. Man kann sich leicht in die Lage des Arztes versetzen, der sich Vorwürfe darüber machte, durch den ausgetheilten Schlag und den dadurch verursachten Schreck diesen traurigen Zustand herbeigeführt zu haben. Er hütete sich aber wohl, sich als Thäter zu erkennen zu geben, und bot alle seine Kunst und allen seinen Scharfsinn auf, die Sprachlosigkeit des Kranken durch passende Mittel zu beseitigen, doch nichts wollte helfen. Arzt und Angehörige waren in Verzweiflung. Endlich nach neun Tagen kehrte die Sprache des Kranken von selbst zurück und mit ihr löste sich das Räthsel. Der Kranke erzählte nämlich, daß er in der Neujahrsnacht sich nach dem Rathe des klugen Mannes auf den Kreuzweg gestellt und „geguckt“ habe. Da seien ihm nun die schrecklichsten Gesichter erschienen, so daß er vor Furcht ganz von Sinnen gekommen sei. Das Furchtbarste aber sei gewesen, daß zuletzt der Teufel auf einem von zwei schwarzen feuerspeienden Höllenpferden gezogenen Schlitten erschienen sei, der ihn aus seinem Kreise hätte schrecken wollen, um ihm dann den Hals umzudrehen. Er aber hätte das wohl gewußt und sei standhaft stehen geblieben. Da habe ihn der Teufel aus Wuth, daß sein Plan nicht gelungen sei, mit seiner feurigen Geißel über das Gesicht geschlagen, so daß er umgestürzt sei. In diesem Augenblicke habe es Eins geschlagen und die ganze Erscheinung sei mit Schwefelgestank verschwunden. Da er wohl gewußt, daß er neun Tage lang nichts von dem, was er gesehen, verrathen dürfe, weil sonst der Teufel Macht über ihn erhalten hätte, ihm den Hals umzudrehen, so habe er sich stumm gestellt und gar oft innerlich über die Bemühungen des Doctors gelacht, der ihn mit seinen Arzneien wieder sprechen hätte machen wollen.
Man kann sich vorstellen, wie herzlich der Doctor nun seinerseits über den Narren lachte, obwohl er zu gleicher Zeit nicht übel Lust verspürte, ihm nochmals mit der Peitsche über’s Gesicht eine Lection zu geben, diesmal aber lediglich wegen seines einfältigen Köhlerglaubens.
[756]Die Herren Affen haben, seit sie uns von den Naturforschern in einer so bedenklichen Weise näher gerückt sind, ohne Zweifel das Recht, von den Menschen mehr beachtet zu werden als bisher.
Denn wer ein gläubiger Jünger der theils berühmten theils berüchtigten Affentheorie ist, der darf nicht blos sich erinnern, wer seine Ahnen waren, sondern er muß auch erwägen was aus den jetzigen Affen noch werden kann, und darf es also aus Gründen der Klugheit nicht mit ihnen verderben. Aber auch diejenigen, welche sich mit Abscheu von der Idee wenden, daß ihre ältesten Vorfahren urhaarig und Gott weiß wie reizend sonst noch waren, haben doch auch ihrerseits Ursache, sich mehr als früher mit diesen angeblichen Verwandten zu beschäftigen, und wäre es auch nur, um dadurch Beweise für ihre Gegenansicht zu sammeln.
Recht unwissenschaftlich wollen wir nun gleich zum Zweck dieser Zeilen die Affen in gebildete und ungebildete eintheilen. Die letzteren sind natürlich diejenigen, welche in unvernünftiger Verachtung der menschlichen Gesellschaft sich einer miserabeln Wildheit in ihren heimathlichen Wäldern und Gebirgen befleißigen, ohne zu bedenken, daß dabei von einem Vorwärtskommen in Sitten und Gebräuchen nicht die Rede sein kann. Sie bilden immer noch die Mehrzahl, obgleich die ihnen benachbarten Menschen durch Fallen, Schlingen u. dgl. ihnen fortwährend zureden, diese tadelnswerthe Freiheit zu verlassen und sich ihnen anzuschließen, um ihre angebornen Fähigkeiten in würdiger Weise zu entwickeln und anzuwenden.
Zu den gebildeten Affen dagegen, und denjenigen, die es werden können und sollen, zählen wir natürlich nur die, welche diesem Zureden der Menschheit gefolgt sind und nun zahlreich die Menagerien, die Vorrathsräume der Thierhändler, die Affenhäuser der zoologischen Gärten bevölkern, welche in Affentheatern die schaulustige Kinderwelt von vier bis sechszig Jahren durch Geist und Kunstfertigkeit erquicken, und welche dann schließlich dem einzelnen Privatliebhaber durch möglichstes Beschädigen und Zertrümmern der Zimmergegenstände das Leben nach Kräften erheitern. Wenn man sich nicht verhehlen darf, daß dieser Anschluß an den Menschen stets ein unfreiwilliger und deshalb für uns nie so schmeichelhaft ist, als es eigentlich wünschenswerth wäre, so ist doch auch die Annahme gerechtfertigt, daß solche Affen mit dem schließlichen Ergebniß zufrieden sind, denn in den bei weitem meisten Fällen sind sie ja fortwährend urfidel, nur dann nicht, wenn sie „arbeiten“ müssen, aber mit dieser Eigenschaft befinden sie sich in sehr guter Gesellschaft, unserer höchsteignen selbst.
Wenn man sich erinnert, daß Musiker, Schauspieler vor dem Publicum „spielen“ so klingt es immer höchst sonderbar, daß man die wandernden Künstler nur von „Arbeiten“ sprechen hört. Der Thierbändiger „arbeitet“ mit seinen Löwen und Tigern, und mancher einzelne Löwe „arbeitet wunderschön“ die Seiltänzer „arbeiten“ auf dem Drahtseil, wie auf dem Thurmseil, daß ihnen der Schweiß von der Stirn läuft, ebenso die Reiter im Circus, und so ist es denn auch mit den gebildeten Affen, und bei ihnen allerdings mit vollem Recht. Nicht daß sie gerade sehr schwitzen, denn dazu scheinen sie nicht [757] angelegt zu sein; aber daß es ihnen, wenn wir über ihre Kunstleistungen lachen, keineswegs lächerlich zu Muthe ist, steht fest.
Als vor einer Reihe von Jahren das Affentheater von Herrn Broekmann sich in Leipzig befand, fügte der Besitzer seiner öffentlichen Anzeige noch die Bemerkung bei, daß man Vormittags sich die Affen, worunter sehr schöne seltene Exemplare, in der Nähe ansehen könne. Ich machte Gebrauch davon und wurde so mit dem Besitzer bekannt. Nie werde ich es vergessen, als derselbe den großen Mandrill,
jenen scheußlichen Affen mit den aufgetriebenen blauen Backen und der rothen Nase, der ihm aber folgte wie ein Kind, aus seinem Käfig herausnahm und frei vor mich auf einen Stuhl setzte. Welcher Unterschied zwischen dem Thiere im engen Käfig und der frei in menschlicher Stellung dasitzenden Bestie mit dem ungeheuren fratzenhaften Kopfe, jeden Augenblick im Stande aufzuspringen und seiner Leidenschaft zu folgen! Es lag für den Neuling etwas furchtbar Dämonisches in der ganzen Situation; man kann sich bei solchem Anblick, obgleich er eben nur eine ungeheure Verzerrung alles Menschlichen bietet, doch des Gedankens kaum erwehren, ob doch nicht etwas Menschliches darin stecke, und dies vermehrte nur noch mehr das Grauen, das ich empfand. Noch gesteigert wurde dasselbe aber, als der Mandrill wieder in seinen Kasten gethan, und sein Nachbar, ein erwachsener Drill, an den leeren Platz gesetzt wurde. Es war der erste, den ich überhaupt sah. Der Drill, ganz von der Gestalt und Größe des Mandrill, auch ähnlicher Färbung, hat ein ganz schwarzes Gesicht, von hellen Haaren umsäumt, so daß dasselbe genau einer vorgebundenen Larve gleicht, durch welche die tiefliegenden thierisch wilden Augen unheimlich blitzen. Der Mandrill war mir wenigstens seinem Aussehen nach längst bekannt gewesen, als aber dieses mir fremde Larvenungethüm vor mir saß, gehalten von einer Hand des Besitzers – denn es war viel bösartiger als das andere –, da trat ich unwillkürlich einen Schritt zurück. Das Komische, das doch eigentlich alle Affen haben, verschwand hier vollständig vor dem ganz und gar Bestialisch-Dämonischen des ganzes Thieres. Und doch, wer sollte es meinen, waren gerade diese beiden Thiere so ausgezeichnet dressirt, sie „arbeiteten“, besonders der Mandrill, mit solcher Sicherheit, daß hier der Sieg der Bildung über die Wildheit vollständig erwiesen war.
Es ist nicht nöthig von den Leistungen der Affen auf der Bühne zu sprechen, weil dieselben der großen Mehrzahl der Leser durch eigne Anschauung bekannt sein werden; da ich mich aber in Folge meiner Bekanntschaft mit Herr Broekmann auch öfter während der Vorstellungen hinter den Coulissen befand und manchmal früh den Proben beiwohnte, so soll hier Einiges darüber mitgetheilt werden.
Ein Affentheater hat, wenn man von der Verschiedenheit des Personals absieht, mehr Aehnlichkeit mit einem großen Theater, als man glauben könnte; so werden z. B, die Proben auch ohne Costüm abgehalten, und zwar überhaupt hier ganz ohne alles Costüm. Wie einem solchen zukünftigen Bühnenkünstler die allerersten Begriffe von dem zu Lernenden beigebracht werden, habe ich nicht gesehen, denn es waren immer schon Angelernte, deren Studien ich beobachtete, aber Lob und Tadel werden mit Tact und Gerechtigkeit vertheilt und verfehlen ihre Wirkung nicht, ganz wie auf einer großen Bühne; nur wird dem Affen-Lob manchmal mit einer Rosine, u. dergl., dem Tadel, wenn auch sehr selten, mit einem sanften Hieb nachgeholfen, was wieder einen feinen Unterschied gegenüber der Menschenbühne zeigt. Die Hauptsache bleibt, daß Fortschritte gemacht werden, und wie unter Umständen den Schauspielern großer Bühnen das Extemporiren erlaubt ist, so ist das auch bei den Affen der Fall; denn wenn ein solcher Neigung zeigt, eine zwar vom Lehrer nicht beabsichtigte, doch kunstreiche Wendung zu machen, so wird diese sofort in richtiger Weise benutzt und der ganzen Leistung eingeflochten.
Viel anziehender als das Beobachten solcher Proben ist das Treiben hinter den Coulissen während der Vorstellungen. Als „Kunstfreund“ begiebt man sich natürlich hinter die Coulissen eines Theaters nur des Studiums wegen, d. h. also der Formen, der Farben, der Costüme u. s. w., und aus solchen Studien ist schon eine ganze Literatur entstanden, bei welcher aber bisher die Affen schmählicherweise vergessen wurden.
Es ist vielleicht eine halbe Stunde vor Beginn der Vorstellung, wenn der des Studiums wegen kommende Fremde den Raum durchschreitet, wo die Affen, Hunde und vielleicht die Ziege [758] wohnen. Vorher mußte er den Pferdestall passiren, in welchem die kleinen javanischen Pferdchen in einer stattlichen Reihe ihrer Verwendung harren. Das Gebell der Pudel darf nicht zurückschrecken, denn selbst der größte, welcher später Frau v. Pompadour vorzustellen hat, kommt dabei nicht aus seinem Verschlage heraus. Geschoren sind sie alle, so daß bei manchem die röthliche Haut in etwas überflüssiger Weise durch die Haare schimmert, die nicht mehr da sind. Geht man nun durch die Thür am Ende weiter, so ist man sofort auf dem hintern Räume der Bühne und kann bis an den Vorhang vortreten. Beiläufig gesagt, ist die Bühneneinrichtung des Affentheaters, möge dasselbe sich da oder dort befinden, überall genau dieselbe, nicht blos etwa wegen des Passens der mitgeführten Dekorationen, sondern auch, damit die dressirten Thiere durchaus nicht durch eine andere als die jahrelang gewohnte Umgebung irre gemacht werden. Jeder Stuhl, jede Kiste, jedes Fenster, kurz Alles ist stets nach einem Wechsel des Orts in der neuen Bude wieder an derselben Stelle.
Die Vorstellungen fast aller Affentheater beginnen mit dem bekannten Gastmahl, welches zwar, um neu zu erscheinen, immer andere Namen auf dem Zettel bekommt, aber gleichwohl dasselbe bleibt und zwar mit vollem Recht. Wir sehen also, wo der Vorhang uns noch von den Zuschauern trennt, die Affen bereits vor ihrer Tafel sitzen, alle auf Stühlen angebunden, und mit großem Ernst die Fresserei erwartend. Noch wird ihnen hier und da Etwas an ihren, Costüm zurecht gezupft, der schief gerutschte Hut wieder ordentlich aufgestülpt etc. Bei den letzten Vorbereitungen zur Vorstellung kommt das gemüthliche Verhältniß zu den Untergebenen noch zur Geltung, besonders das zu dem schon erwähnten großen Mandrill. Dieser hat als Vorsitzender quervor an der Tafel seinen Platz und empfängt als Günstling noch die besondere Liebkosung des älteren oder jüngeren Broekmann in aller Form einer inbrünstigen Umarmung, die er seinerseits freundlich grinsend erwidert, wobei man nicht weiß, ob er jetzt besser oder noch scheußlicher aussieht. Während dies geschieht, sitzt rechts hinter der hintersten Coulisse bereits ein Geschäftsbeflissener, um den die Tafel bedienenden Hausknecht nebst Kellnerin anzukleiden und auszustatten. Dem ersteren ist sein Paviansgesicht bereits mit Kreide weiß bemalt, weiße Hosen hat er auch an, nebst Jacke und Zipfelmütze, er sitzt ruhig auf seinem Bänkchen und sieht schon jetzt, ehe er seinen jammervollen Gang zum Besten giebt, ungeheuer dumm aus, während sein College, der Kellnerinaffe, in seinem bebänderten Kleid und dem schnippischen Hütchen einen grotesk-koketten Eindruck macht. Ganz ruhig, denn sie wissen wie der Schauspieler, der auf das Stichwort wartet, auf das Genauste alles Kommende, sitzen sie, ohne angebunden zu sein, dicht hinter der Coulisse, selbst nachdem der Vorhang aufgegangen ist und der Director das einleitende Gespräch mit der Tischgesellschaft angefangen hat. Jetzt aber ruft derselbe nach der Speisekarte. Schnell wird dieselbe der Affenkellnerin von dem jüngeren Broekmann oder dessen Onkel, die dieses Amt haben, in die Hand oder Pfote gedrückt und hinaus trippelt sie, aufrechten Ganges und unter dem Gejubel der Kinderwelt. Sie bringt auch sämmtliche Eßwaaren hinaus, die immer in einem Körbchen bereit stehen und ihr im nöthigen Augenblick gereicht werden.
Dann aber kommt die Rolle des Pavian-Hausknecht zur Geltung; derselbe erhält eine Flasche und mit mühsam aufrecht gehaltenem Gang humpelt er mit gebogenen Knieen an den Tisch, jede Gelegenheit zum Ausruhen benutzend. Während dies geschieht, werden bereits hinter den Coulissen die nöthigen Vorbereitungen zur zweiten Nummer der Vorstellung getroffen, und zwar wollen wir annehmen, es sei dies der Spaziergang der Madame Pompadour. Es dürfte schwer nachzuweisen sein, seit wann diese ehrwürdige Dame schon zur Affenschande geworden ist, ein guter Gedanke war es jedenfalls, ihr Andenken auf diese Weise zu ehren. So liegt denn Madame Pompadour, bereits angekleidet, an ihrem Platz dicht hinter der Coulisse, die Schnauze in die Falten des sammtnen Kleides gesteckt, während vielleicht ihr Begleiter, ebenfalls ein Pudel, aber um Vieles kleiner, noch angekleidet wird. Der Diener-Affe, bestimmt, Schleppe und Laterne zu tragen, ein schweres Amt für einen kleinen Affen, sitzt mit Ergebung und einem Bedientenmantel bekleidet schon bereit, und es kann nun losgehen. Frau Pompadour wird mit dem schnöden Hundenamen Caro oder dergleichen aufgerufen, bekommt eine große Lockenperücke aufgesetzt und hinaus geht es in der Reihenfolge, wie es bildlich dargestellt ist, mit stattlicher Haltung von Dame und Cavalier und trübseliger Sclavenmiene ihres Bedienten.
Hinter den Coulissen ein immer neues Leben. Der Mandrill, dessen erste Rolle eine ziemlich passive war, hat jetzt erst seine Kunst zu zeigen, vielleicht an dem schlaffen Seil. Er sitzt auf seinem Ankleidestuhl, immer demselben und, wie schon gesagt, stets an derselben Stelle stehend, neben der großen Garderobekiste, und wenn man sich nicht gerade mit ihm beschäftigt, so nimmt er wohl einstweilen die einzelnen Garderobestücke heraus, besieht und beriecht sie, ob Alles in Ordnung ist. Das bringt ihm aber gewöhnlich eine strenge Zurechtweisung oder sogar eine Ohrfeige ein, die er ruhig als wohlverdient einsteckt; sodann geht das Ankleiden in aller Form vor sich, beginnt zuerst mit den Unterbeinkleidern, denen die übrigen Kleidungsstücke folgen, bis endlich das silberglitzernde Tricotcostüm den Schluß macht, und der elegante Künstler fertig ist. Hat er recht ruhig gehalten, so bekommt er aus derselben Kiste ein Stückchen Feige, Dattel oder dergleichen, worauf er dann an der Hand des Directors in aufrechter Haltung hinausschreitet, um durch seine in der That überraschenden Leistungen Kenner und Nichtkenner zu überraschen. Selbstverständlich herrscht aber auch jetzt hinter den Coulissen die immer gleiche Thätigkeit. Eins der schon vorübergehend erwähnten Pferde ist bereits im Stall gezäumt und gesattelt worden und soll nun von dem Affen-Stallmeister der Gesellschaft, einem Babuin-Pavian, geritten werden. Sieht man diesen Kerl, genau in dem Reitcostüm, wie es der Circusbesitzer Renz beim Reiten der hohen Schule trägt, auf seinem Pferdchen frei sitzen und im Wesentlichen diese Beiden alle Leistungen ihres berühmten Vorbildes nachahmen, besonders wenn dann der Affe, man weiß kaum, ob mit mehr Ernst oder Gleichgültigkeit, den Hut abnimmt, so macht dies wirklich eine erschütternd komische Wirkung.
Natürlich kommen hinter den Coulissen manchmal auch unbeabsichtigte Scenen vor, zum Beispiel wenn ein Affe, dem das Warten auf seinem Posten zu lang wird, einen vorüberlaufenden Pudel in den Schwanz beißt oder zwickt, was der Gebissene durch großes Geheul anzeigt; oder wenn ein andrer unglücklicher Pudel seine Sache nicht gut gemacht hat und nun gerechte Vorwürfe empfängt, bei welchen ihm vielleicht der Stiefelabsatz seines Herrn aus Versehen etwas näher kommt als sonst. Am ernstesten geht es hinter den Coulissen zu, wenn ein Thier, und zwar kommt das nur ausnahmsweise bei den Affen vor, sich geradezu widerspenstig zeigt, wie ich das einmal bei dem schon erwähnten Drill sah, dem allerdings dann der Kopf gründlich gewaschen wurde. Dahingegen ist der erwähnte Mandrill ein wahres Muster von Folgsamkeit und Gutmüthigkeit, und man mochte vermuthen, daß dieser Affenart überhaupt mehr Bösartigkeit nachgesagt wird, als sie verdient.
Dieser Mandrill hat in seiner Dressur eine so große Vielseitigkeit, daß es mir schwer würde, alle seine verschiedenen Leistungen aufzuzählen. Unter Anderem exercirt er sehr gut; und zwar sah ich ihn, als das Affentheater im Herbst 1870 in Leipzig war, seine Uebungen als französischer Liniensoldat zeigen. Mir fiel dabei ein, daß eigentlich die Turcos, jene viehischen, von der großen Nation uns entgegengestellten Horden, noch mehr verdienten zur Affenschande zu werden, als Frau Pompadour, die wenigstens uns gleichgültiger sein kann, als den Franzosen.
Auf meinen Vorschlag ließ daher Herr Broekmann seinem großen Mandrill einen Turcoanzug fertigen und er mußte mir darin Modell sitzen. Ein Holzschnitt kann natürlich die grelle Färbung dieses Turcos, besonders seines blau-rothen Gesichtes nicht schildern, indessen wird das Grotesk-Komische der ganzen Erscheinung doch vielleicht in Etwas wiedergegeben sein.
Auf einige zum Zweck dieses Aufsatzes brieflich an Herrn Broekmann gerichtete Fragen habe ich folgende Auskunft erhalten, die ich wörtlich hier mittheile zum Besten derjenigen, welche sich vielleicht ein kleines Affentheaterchen anlegen wollen. Herr Broekmann schreibt mir: „Ich bin bereits siebenzehn Jahre im Besitze des Mandrills, er lebt heute noch und freut sich des besten Wohlseins. Ich halte denselben für zweiundzwanzig Jahre, da ich jetzt noch Gelegenheit habe, an einem andern kleineren Mandrill, der seit vierthalb Jahren in meinem Besitze ist, das spärliche Wachsthum zu beobachten. Am leichtesten sind Magot, Rhesus, Bären-Paviane zu dressiren. Mandrills sind deshalb schwer zu erhalten, weil man sie erst vollständig acclimatisiren muß, [759] ehe man mit der Dressur beginnen kann. Außerdem sind dieselben sehr nervenschwach und zu jeder Krankheit leicht geneigt. Sind dieselben groß, so sind sie ihrer fürchterlichen Zähne wegen sehr gefährlich, und gehören darum auch mit dem Rhesus und Hamadryas (Mantelaffen) zu den Bösartigsten.“
Bei den kleineren Affentheatern habe ich mich immer sehr über die auf Hunden reitenden Affen gefreut; ein deshalb von mir an Herrn Broekmann gerichteter Vorschlag blieb aber unberücksichtigt, da derselbe meinte, daß sich dergleichen eben nur für kleinere Theater schicke.
Möge mir zum Schlusse noch erlaubt sein, eine Geschichte, welche mir in dem Hamburger zoologischen Garten mit dem dort befindlich gewesenen Schimpanse-Affen passirt und in ihrer Art gewiß sehr eigenthümlich ist, hier zu erzählen.
Als ich 1865 in diesem Thiergarten war, lebte dort noch der Schimpanse Molly, welcher schon im Herbst 1863 dorthin gekommen war und also, das heißt als Schimpanse, seine Gefangenschaft sehr gut ertrug. Text und Bild ist ihm auch bereits in der Gartenlaube gewidmet worden. In der ersten Zeit seines Aufenthalts im Garten, als in demselben noch kein Affenhaus erbaut war, hatte das Thier einen besondern Wärter für sich, welcher mit demselben bei schönem Wetter im Garten spazieren ging, mit ihm gemeinschaftlich im Gebüsche sein Mittagsschläfchen hielt und nur die Trinkgelder allein einsteckte. Bei schlechtem Wetter aber hausten Beide in einem im Erdgeschoß befindlichen Stübchen des Inspectorhauses, von dessen Fenster aus man die Aussicht auf einen Theil des Gartens und des Thierhauses hatte. Wenn der Wärter draußen Besucher vorübergehen sah, säumte er nie, dieselben hereinzuwinken, wobei er freilich manchmal für den Affen gehalten wurde; aber das genirte ihn nicht, denn er hatte bereits seinen Schutzbefohlenen gelehrt, den Gästen das Geldtäschchen hinzuhalten, wobei er stets erläuterte, daß der Affe Geld wolle, ein Wunsch, der des Spaßes wegen oft erfüllt wurde. Das war einträglich und unterhaltend zugleich. Wenn nun aber das Wetter zu schlecht zum Besuche des Gartens überhaupt war, dann fiel natürlich diese hübsche Unterhaltung weg und der Affenwärter mußte sich die Langeweile auf andere Weise vertreiben. Er nahm zum Beispiel sein Notizbuch, welches in gewöhnlicher Weise durch einen Bleistift verschließbar war, zur Hand und versuchte wohl oder übel die von seinem Fenster aus sichtbaren Thierhäuser und Aehnliches abzuzeichnen, wobei ihm Molly natürlich zusah. Daß der Affe dadurch die Anwendung des Bleistifts bereits kennen gelernt hatte, sah ich später, als ihn der Wärter einmal dadurch zum Ruhigsitzen zu bringen suchte, daß er ihm sein Notizbuch gab, wobei das Thier in der That mit dem Bleistift in das Buch zu zeichnen versuchte, wenn auch mit sehr ungeschicktem Handgriff.
Das war also 1863. Im Jahre 1864 war das neue Affenhaus bereits fertig und der Schimpanse dort untergebracht, daher längst von seinem frühern Wärter getrennt. Als ich nun 1865 mich einmal im Affenhause befand, lehnte ich das eine meiner Studienbücher, in welchem sich bis dahin blos auf den ersten Blättern einige Studien aus Helgoland befanden, unten an den Schimpanse-Käfig, doch, wie ich glaubte, so, daß der Affe das Buch nicht sehen konnte, obgleich er mich offenbar beobachtet hatte. Das Buch war durch einen wie gewöhnlich in die Lederhülsen gesteckten Bleistift geschlossen. Als ich es nach einiger Zeit an mich nehmen wollte, war es verschwunden. Von den Wenigen, die anwesend waren, hatte es offenbar Niemand, und der Wärter fiel zuerst auf den Gedanken, daß Molly der Dieb sein könne. Als er dies aussprach, gab ich das Buch verloren, denn der Affe hatte sich in seinen innern Verschlag, wo er schlief, zurückgezogen und bewies schon dadurch, daß der Wärter Recht haben mochte. Richtig nahm dieser auch nach Oeffnung des Käfigs dem Affen das Buch ab, das derselbe nebst dem herausgenommenen Bleistift willig hergab. Mein erster Blick fiel auf den obern, etwas verbogenen Deckel, beim Oeffnen des Buches war ich aber auch auf Alles gefaßt, aber was sah ich? Den einzelnen Blättern mit den Helgoländer Studien war gar nichts geschehen; auf das nächste leere Blatt aber hatte der Affe mit dem Bleistift, durch dessen Herausnehmen er erst das Buch geöffnet hatte, genau in die Mitte etwas gezeichnet, einen unverständlichen Krikel-Krakel allerdings, aber nicht mehr und weniger, als was eben ein Kind in seinem Alter und unter gleichen Umständen zu Stande gebracht hätte. Selbstverständlich hütete ich mich, das Blatt anzutasten, sondern ich habe nur einige den Fall erläuternde Worte dazu geschrieben, und Jeder, der es gesehen, hat sein großes Gaudium an der Sache gehabt. Ich enthalte mich aller Schlußfolgerungen aus dieser vollkommen wahren Geschichte; daß sie aber wenigstens von einer großen Gedächtnißkraft, oder nenne man es Erinnerungsvermögen, zeugt, ist unbestreitbar.
Ungedrucktes Document aus dem Jahre 1815. Durch freundliche Vermittelung geht uns aus der Sammlung des Commandeurs der gesammten preußischen Artillerie, des Prinzen Kraft zu Hohenlohe, nachstehende Urkunde zu, die zu den interessantesten derartigen Funden auf dem reichen französischen Beutefelde gehört. Der General-Lieutenant Ribbentrop war bekanntlich 1815 General-Kriegscommissar in Paris.
Mein Herr Präfect des Departements der Seine!
Ihr gefälliges Schreiben vom 9ten dieses, welches ich heute Morgen zu empfangen die Ehre hatte, ist, wie Sie wünschen, dem Herrn Fürsten Blücher von Wahlstadt Durchlaucht urschriftlich vorgelegt.
Nach den wiederholten Befehlen, welche mir, wegen Einziehung der, der Stadt Paris durch jenen Fürsten abgeforderten Contribuzion, zugekommen sind, kann ich die durch Ablehnung meiner Anträge herbeygeführten, mir sehr bestimmt vorgeschriebenen Maaßregeln der Gewalt nicht aufhalten.
Bey dem Empfange dieses meines Schreibens sind Sie und mehrere Bewohner von Paris als Geißeln unter militärische Aufsicht gestellt, und wenn nicht noch heute ein Abkommen wegen Abführung jener Contribuzion getroffen wird, so erfolgt die Abführung Ihrer Person und der übrigen Geißeln nach der Citadelle Graudenz in Westpreußen.
Diese mir durch den commandirenden Herrn General en chef dictirte Maaßregel können Sie so wenig als Ihre Mitbürger mit dem Beynamen der Ungerechtigkeit belegen, wenn ich Ihnen hier kurz wiederhole, was ich Ihnen über die Veranlassung zu den Forderungen Sr. Durchlaucht des Fürsten von Blücher, seit vorgestern zu verschiedenen malen eröffnet habe.
Sie wissen, daß Preußen in den Jahren 1801, 1807 und 1808 unter Verwaltung des Herrn Grafen Darü nicht bloß seinen früheren Wohlstand völlig eingebüßt hat, sondern auch durch eine ungeheure Masse von Requisizionen verarmen mußte; Sie wissen, was in den Jahren 1809, 1810, 1811 geschah, um Preußen völlig auszupressen, und ich kann Ihnen nicht verhehlen, daß wir 1812, obgleich damals Bundesgenossen von Frankreich, Mißhandlungen einzelner unserer Provinzen erfuhren, welche nur ein grausamer Feind auszuüben sich erlauben konnte.
In dem Jahre 1813 schüttelten wir das schwere Joch der Tyrannei ab. Die Sieger der vereinigten Heere befreyten Frankreich von einer Dynastie, unter welcher dies schöne Land so viele Jahre geseufzt hatte.
Die großen Anstrengungen, welche Preußen für diesen großen Kampf unmittelbar nach einer sechsjährigen Duldung unbeschreiblicher Erpressungen und Mißhandlungen machen mußte, setzen uns außer Stand, die auf’s neue zur Bekämpfung von Napoleon Bonaparte und seine Anhänger ausgerückten Heere vollständig zu bekleiden, besolden etc. Die nicht allein durch ihre ausdauernde Tapferkeit, sondern auch durch ihre großen Entbehrungen in dem Laufe übermäßiger Anstrengungen dem gefühlvollen Herzen so ehrwürdigen Sieger über den allgemeinen Feind haben wohl die gerechtesten Ansprüche auf die Dankbarkeit des befreyten Frankreichs, und daß diese nicht, wie im Jahre 1814, in glatten Worten bestehen, vielmehr sich durch Thatsachen aussprechen muß, ist natürlich.
Sie, mein Herr Präfect, behaupten, die Forderung von 100 Millionen Franks Kriegssteuer sey unerschwinglich. – Fragen Sie den Herrn Grafen Darü, was die vierfach kleinere Stadt Berlin unter seiner Administration geleistet hat, und Sie werden erfahren, daß diese Leistungen bei weitem diejenigen Forderungen übertreffen, welche Seine Durchlaucht, der Fürst von Blücher-Wahlstadt an die Hauptstadt Frankreichs gemacht hat. Wollten wir die eroberten Gebiete Frankreichs mit demselben Maaße messen, nach welchem wir von 1806 bis 1812 gemessen sind, so würden die Forderungen vielleicht das Unerschwingliche erreichen, – aber weit entfernt, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, haben wir bis jetzt nur die Kosten des Krieges gefordert, und die Budjets unser Finanzen haben noch keinen Titel für die Erpressungen im Auslande, wie sie vor dem Frieden von 1814 Frankreich in den seinigen aufnahm.
Durch die Eroberung von Paris wurde im vorigen Jahre der Krieg geendigt. – Diese Eroberung war also auch in dem jetzigen Kriege das Ziel unserer Anstrengungen. Um es schnell zu erreichen, wurden den Truppen Versprechungen gemacht, nicht wie sie der Chef der Franzosen seiner Armee durch die an der Katzbach, bei Culm und Dennewitz erlittenen Niederlagen unerfüllt lassen mußte – sondern wie sie großmüthige Sieger, welche das Wohl ihrer braven Mitstreiter berücksichtigen, den bescheidenen Ueberwindern zu geben gewohnt sind. Diese Versprechungen sollen und müssen aus der geforderten Contribuzion erfüllt werden, und es ist mir unbegreiflich, daß Sie, mein Herr Präfect, in den drey Tagen unserer Verhandlungen über diesen Gegenstand auch nicht einmal eine solche Abschlagssumme zusammen gebracht haben, daß Seine Durchlaucht, der Fürst von Blücher, wenigstens den guten Willen sieht, und ihm die Möglichkeit bleibt, den auf sein Wort bauenden Soldaten zu beruhigen.
Sie und alle diejenigen, welche jene Abschlags-Zahlungen nicht besorgt, vielmehr bis jetzt vereitelt haben, sind die Personen, denen die Stadt Paris alles das Unangenehme zurechnen muß, was aus einer so auffallenden und nachtheiligen Hinhaltung entstehen kann.
[760] Es thut mir leid, daß, bei der persönlichen Hochachtung, welche ich, mein Herr Präfect, für Ihre Person hege, ich Ihnen diese Erklärung auch noch mit der Bemerkung machen muß, daß die wegen Besetzung von Paris geschlossene Convenzion durch die genommenen Maaßregeln nicht verlezt wird, weil diese nur den Ungehorsamen und Gleichgültigen gegen unsere Anordnungen treffen.
Genehmigen Sie die wiederholte Versicherung meiner Hochachtung.
(Gez.) Ribbentrop.“
Wilhelm Bauer’s Submarineschule und Pensionat am Bodensee. Die Anerkennung der Submarine liegt uns offenbar nicht mehr fern; dafür zeugen die fortwährend neu aufsteigenden Versuche in Amerika, Spanien und jüngst noch in Italien; dafür zeugt die riesenhaft wachsende Speculation für Ausbeute des Meeres sowohl nach versunkenen Gütern, als nach Erzeugnissen und Schätzen der Wassertiefen. Deshalb werden auch Wilhelm Bauer’s Erfindungen ihre Zeit finden, und ebendeshalb ist die Sorge des vielgeprüften Mannes gerecht: den reichen Schatz derselben nicht mit sich in’s Grab zu nehmen.
Wäre Wilhelm Bauer noch der rüstige Mann, der in Nord und Süd, am Glühofen und auf dem Meeresgrunde in eisiger Winterkälte rast- und furchtlos das Ziel seiner Erfindungen verfolgte, so würde er als Wanderlehrer von Stadt zu Stadt Jünger für sie zu werben suchen. So aber, seit Jahren von der Gicht, dem einzigen Ergebniß seiner Arbeiten, gefoltert und an den Rollstuhl gefesselt, muß er Diejenigen, welche Talent und Kenntnisse, Mittel und Muth genug besitzen, um als seine Schüler Apostel und Ausbeuter seiner Erfindungen zu werden, nun zu sich berufen.
Wilhelm Bauer eröffnet am ersten Mai 1872 bei Lindau am Bodensee einen mit einem Pensionat verbundenen Cursus über seine sämmtlichen Erfindungen. Der Instructions-Cursus umfaßt: die Taucherapparate und -Fahrzeuge für Kriegs- und Friedenszwecke, Taucherkammer für Perl- etc. Fischerei, Naturforschung, Unterwasserbauten etc., Submarine Telegraphie und Kabelstationen etc., Optische und akustische Warnungssignale für die Seefahrt, Submarine Bagger mit Paternoster, Rettungsboote mit und ohne Motionsmaschinen, Unterseeische Geschütze und Projectile, Submarine Fluß- und Hafensperrung, Revolverbatterien, Lasso gegen Petardboote, Selbstschreibende Compaßcontrole und Grundlothe mit Alarm etc. Alle Vorträge sind mit den nöthigen Experimenten verbunden, Modelle für Taucherboote, Schiffhebung etc. bereits vorhanden; kommt dazu eine Taucherkammer in Ausführung, so bieten der in zweihunderteinunddreißig Fuß Tiefe versunkene Postdampfer „Jura“, sowie die großen unterseeischen Grotten bei Meersburg und die Kabel des Bodensees interessante Gelegenheit zu Uebungen in der Führung eines solchen Apparats.
Jeder Theilnehmer an diesem Pensionat darf die bis in’s Detail auszuführenden Constructionszeichnungen für sich copiren und, mit Wahrung von Bauer’s Erfinderehre, zum eigenen Vortheil verwenden. Herr Bauer stellt es seinen Schülern und den Gesellschaften oder Regierungen, mit deren Hülfe sie seine Erfindungen ausführen, frei, ob sie ihm, beim Gelingen derselben, einen Ehrenlohn für die Erfindung geben wollen oder nicht. Herr Bauer rechnet zunächst auf deutsche, englische und amerikanische Schüler und wird darnach seine Vorträge in deutscher und englischer Sprache halten.
Näheres theilt ein Programm mit, welches bis zum letzten Januar kommenden Jahres, der Schlußfrist für die Anmeldungen, direct von „Herrn Submarine-Ingenieur W. Bauer, Theresienstraße Nr. 69 in München“ zu beziehen ist. Es erspart vielleicht viele vergebliche Schreiberei, wenn wir auch Herrn Bauer’s – für das Außerordentliche, das er dafür bietet, – höchst bescheidene Bedingungen angeben. Die Submarineschul-Pensionaire entrichten für die Pension (Wohnung, Kost und Wäsche) monatlich fünfzig Thaler, ebensoviel für die Instruction und verpflichten sich auf einen Cursus von sechs Monaten, der also mit Ende October schließt.
Die „Gartenlaube“ hat dieser Angelegenheit sich so eingehend angenommen, weil Wilhelm Bauer’s rastloses Streben, die anerkannten Erfolge, die er erzielt, und das Unglück, das ihn schließlich heimgesucht, dies verdient. Er ist in der That ein Invalide der Nation und theilnehmendster Berücksichtigung werth. Er selbst schreibt uns: „Nur der Gedanke, daß jetzt so viele junge Männer im Dienst für das Vaterland und dessen Ehre in ähnliche traurige Lage versetzt wurden, hält mich noch aufrecht, denn ich glaube, daß auch ich dem Dienst für das Vaterland erlegen bin, nachdem ich über zwanzig Jahre fast ununterbrochen mit tausend Gefahren um das Leben für die Submarine gerungen habe.“
Möchten in Anerkennung dieses Verdienstes die deutschen Zeitungen dies- oder jenseits des Oceans durch Abdruck dieser Mittheilungen das Unternehmen Wilhelm Bauer’s nach Möglichkeit unterstützen!
An die Dummen, welche nicht alle werden. (Fortsetzung.) Gewissensbisse und die Einbildung, daß ihr Körper in Folge früherer geschlechtlicher Unarten durch und durch ruinirt sei, macht eine Menge junger Männer zu Gemüthskranken und treibt sie in die Arme gewissenloser Geldsauger. Diese Unholde wissen nämlich zuvörderst durch elende Schriften, mit haarsträubenden Beschreibungen der Folgen jener Unarten und mit schaudererregenden Krankengeschichten ihre Opfer in Angst und Schrecken wegen ihrer Zukunft zu setzen. Dann rathen sie natürlich den armen, in der Regel körperlich ganz gesunden Melancholikern, doch ja so bald wie möglich sichere Hülfe bei ihnen zu suchen und sofort drei Thaler für die erste Consultation einzuschicken. Ist nun der dumme Abergläubige in seiner Verzweiflung in die Falle gegangen, dann wird ihm durch Recepte und geheime Arzneien so lange Geld abgetrieben, bis er endlich klug, aber natürlich nicht gesund geworden ist, und zu einem ordentlichen Arzte geht, der ihn über seine Dummheit aufklärt und ihm eine vernünftige Diät anräth. Zu oberst in der Reihe der „Retter vor Gefahr und Schande“ stehen zwei Leipziger Schundbuch-Verleger, Bierey, Pönicke’s Nachfolger (Schulbuchhandlung) mit Retau’s Selbstbewahrung und Laurentius mit dem persönlichen Schutze. Der Erstere verlangt, daß jeder Patient seinem Briefe ein Honorar von drei Thalern für die Hauptconsultation baar hinzufüge; besser wäre es aber, meint er, wenn Patient für die etwa nöthig werdenden Medicamente lieber gleich noch weitere drei Thaler beilegte. In den allerschwersten Fällen, versichert er, sollen übrigens die Curkosten noch nicht ganz fünfzig Thaler erreichen. Von dieser edeln Schulbuchhandlung, welche in einem ärztlichen Bureau mit angeblich zwei renommirten Aerzten in Sachen der Selbstbewahrung brieflich arbeitet, wurden, wie sie selbst sagt, seit dem Jahre 1864 über fünfzehntausend Kranke behandelt. Sonach flossen, wenn jeder Patient nur drei Thaler einschickte, fünfundvierzigtausend Thaler und, wenn er lieber gleich sechs Thaler sendete, neunzigtausend Thaler aus der Tasche meist armer dummer Teufel in die Casse dieses moralischen Instituts. Herrn L. M. in N. ist auf wiederholtes Schreiben und Einsenden von sechs Thalern an die Schulbuchhandlung gleich gar nicht geantwortet worden. Es diene übrigens hiermit dem Herrn L. M. zur Nachricht, daß es, wie gesagt, alle derartige Schriften auf Geldprellerei abgesehen haben.
Laurentius wünscht auch dem ersten Briefe des Patienten drei Thaler beigelegt zu sehen und läßt dann durch einen gewissenlosen Arzt, den er, um wegen Medicinpfuscherei nicht wieder bestraft zu werden, stets an seiner Seite haben muß, dem Patienten ein tonisches Heilverfahren mit Hülfe seiner Kräftigungstinctur als ganz unerläßlich zur Heilung anrathen. Für diese Tinctur, welche hauptsächlich aus Chinin und Eisen besteht und höchstens zwanzig Groschen reellen Werth hat, müssen vierzig Thaler gezahlt werden. Wenn nun dem Patienten, nachdem er für vierzig Thaler Tinctur getrunken hat, die Augen über dieses stärkende Heilverfahren noch nicht aufgegangen sind, so läßt er sich noch eine Halbe für zwanzig oder lieber gleich noch eine Ganze für vierzig Thaler kommen und so kann ihm dann für seine sechszig bis achtzig Thaler ein wohlverdienter moralischer Katzenjammer nicht entgehen. Und dessen genösse er billig.
- NB. Die Aerzte, welche im Dienste der Schulbuchhandlung und des persönlichen Schützers stehen und diesen in ihren sauberen Geschäften Hülfe leisten, sollten eigentlich mit ihren Namen an den Pranger gestellt werden. Vorläufig mögen sie sich mit meiner Verachtung begnügen.
Lulustein auf dem Exercirplatz bei Saarbrücken. (Mit Abbildung.) Einen Denkstein der eigenthümlichsten Art hat jetzt wohl Deutschland aufzuweisen; es ist dies der Lulustein auf dem Exercirplatz bei Saarbrücken. Nach Angabe eines gefangenen Franzosen vom 2. August vorigen Jahres hat an dieser Stelle, wo jetzt der Stein steht, Napoleon seinen Sohn die erste Kanone abfeuern lassen. Hier empfing das hoffnungsvolle Kind von Frankreich die Feuertaufe. Hat er sich auch keine Lorbeern errungen, so wird doch dieser Stein zum ewigen Andenken an seine erste Heldenthat bestehen. Der Gedanke, hier einen Stein zu setzen, war der launige Einfall eines Reisenden, welcher die Schlachtfelder besuchte, und zwar eines Veteranen von 1814 bis 1815, Herrn H. H. Baumann aus Bremen. Auf dem Steine steht folgende Inschrift:
Lulu’s
erstes Debut
2ten August 1870,
err. v. H. H. Baumann,
Vet. v. 1814–1815.
Es vergeht kein Tag, wo nicht dieser Stein von Reisenden besucht wird. Es sind indeß bereits so viele Stücke davon abgeschlagen und aus den Pappeln so oft Andenken herausgeschnitzt worden, daß nächstens weder vom Steine noch von den Pappeln etwas übrig sein wird. Man hat von hier aus eine Aussicht auf St. Johann mit dem Bahnhofe und rechts Saarbrücken.
K. in L. Im vorigen Jahre schon sind die „Lustigen Werke“ des bekannten Kladderadatsch-Mitarbeiters Dav. Kalisch erschienen. Sie enthalten außer den gesammelten kleineren witzigen Beiträgen im Kladderadatsch auch die vielbekannten und vielgespielten Berliner Possen: „Berlin wird Weltstadt“, „Aurora in Oel“, „Der gebildete Hausknecht“, „Otto Bellmann“ – und werden also ganz Ihrem Zwecke entsprechen. Die fünf Hefte sind reich mit Illustrationen geschmückt und eine wahre Lachapotheke gegen alle Hypochondrie und Langeweile.
Den gewesenen Navigateur erster Classe in Gut Baldezen bitten wir um seine genaue Adresse: die hiesige Post hat die für ihn bestimmte Sendung zurückgewiesen, weil die Lage des Wohnortes des Adressaten nicht zu ermitteln war.
Frl. D. v. C. Unsere schriftliche, von allerdings unbetheiligter Seite herrührende Benachrichtigung hinsichtlich der von Ihnen jüngst in der Gartenlaube gestellten Frage werden Sie erhalten haben. Heute sind wir gebeten, auf diesem Wege folgende Zeilen an Sie gelangen zu lassen: „Ich danke Ihnen herzlich für Ihre freundliche Erinnerung. Gott hat mich wunderbar beschützt in diesem heiligen Kampf für Deutschlands Errettung und Wiedererstehung. Bitte um ein paar Zeilen resp. Ihre jetzige Adresse.
Ulrich von Hutten, Major“
Diamanten-Herzog. Wir ersuchen den Verfasser des vorgenannten Artikels um genaue Angabe seiner Adresse, die wir leider verlegt haben.
W. P. in N. (Amerika). Senden Sie eine Probe ein.
F. H. in Wien. Ganz unbrauchbar und sofort in den Papierkorb versenkt.
Clara. Cora. Armida. Wie neugierig, kleine Schäkerinnen! Der kräftige Stil des Autors sollte Ihnen doch ausreichende Antwort geben.
J. R. in Wien. Das Kaulbach’sche Bild „Peter Arbuez“ wird schon in einer der nächsten Nummern der Gartenlaube erscheinen.
R. in L. Das Mutterherz hat sich geirrt. H. ist seit März nicht mehr in Leipzig.