Die Gartenlaube (1870)/Heft 49
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No. 49. | 1870. |
Hermann.
Auch Gertrud war bei dem plötzlichen Erscheinen Hermann’s zurückgewichen, als sei dasselbe auch gegen sie gerichtet. Der wilden Leidenschaftlichkeit Reinert’s gegenüber hatte sie ihre Fassung behauptet, jetzt schien es auf einmal um diese geschehen, und es sah fast aus, als fürchte sie den Beschützer mehr, als vorhin den Beleidiger. Der Graf bemerkte dies Zurückweichen und ein Ausdruck tiefer Bitterkeit zuckte um seine Lippen, nichtsdestoweniger stellte er sich wie zum Schutze vor sie hin, kreuzte die Arme und erwartete ruhig das Weitere.
Eugen hatte sich inzwischen aufgerafft und trat jetzt bleich vor Wuth zu ihm heran. „Was soll das heißen, Hermann? Weshalb folgst Du mir heimlich und drängst Dich unaufgefordert in meine Angelegenheiten? Wer gab Dir ein Recht dazu?“
Der Graf blieb sehr gelassen bei diesen mit drohender Heftigkeit ausgestoßenen Worten, aber es lag eine eiskalte Verachtung in dem Blick, mit dem er ihn von Kopf bis zu Füßen maß. „Wagst Du es wirklich noch zu fragen, weshalb ich hier eintreten muß?“
„Du hast mich beleidigt!“ schrie Eugen in ausbrechender Wuth, „tödtlich beleidigt, und Du wirst mir entweder Abbitte leisten, oder mit den Waffen in der Hand Genugthuung dafür geben!“
Ohne ihn einer Antwort zu würdigen, wendete sich Hermann zu Gertrud. „Mein Fräulein, Sie sehen, Herr von Reinert ist nicht genug Herr seiner selbst, um auf die Gegenwart einer Dame die nöthige Rücksicht zu nehmen. Darf ich Sie bitten, uns zu verlassen.“
Sie stand bleich mit gesenkten Wimpern vor ihm. Wohin war die stolze unnahbare Haltung des Mädchens gekommen? Das Auge, das noch vor Kurzem so fest und kampfbereit den Blick des seinigen ausgehalten, sank jetzt scheu zu Boden. Sie neigte in stummer Bejahung das Haupt und entfernte sich.
Mit einem langen, ernsten Blick sah der Graf ihr nach, dann fuhr er mit der Hand über die Stirn und wandte sich zurück. „Wir sind allein: was wolltest Du mir sagen?“
„Daß ich endlich müde bin, mich länger von Dir bevormunden, mich wie einen Schulbuben behandeln und ungestraft beleidigen zu lassen. Was zwischen mir und Gertrud vorgefallen ist, geht keinen Dritten an –“
„Wirklich?“ Die Stimme des Grafen war noch ruhig, aber es grollte bereits unglückverheißend darin. „Du könntest doch irren!“
„Gleichviel, was Du davon denkst. Du hast mich angegriffen, zu Boden geworfen, ich fordere Genugthuung für diese Beleidigung, hörst Du, Hermann, ich fordere sie von Dir!“
Der Graf zuckte die Achseln. „Ein Duell zwischen uns? Das wäre in der That mehr als lächerlich.“
„Ah, Du weigerst Dich!“
„Ja! Es hieße die Gastfreundschaft meiner Großmutter schlecht lohnen, wollten wir uns hier auf ihren Gütern todtschießen, Antonie steht mir zu nahe, und, daß ich’s Dir offen gestehe, Eugen, mein Leben und Wirken ist mir zu kostbar, als daß ich es so ohne Weiteres an eine Deiner tollen Launen setzen sollte. Ich schlage mich nicht.“
Eugen ballte in maßlosem Grimme die Faust. „Hermann, Du bist –“
„Keine Beleidigung!“ sagte der Graf gebietend, indem er die Hand hob. „Ich dächte, Du hättest oft genug Gelegenheit gehabt, meinen Muth zu erproben. Die heutige Scene ist der offene Bruch einer Freundschaft, die längst nur noch dem Namen nach bestand. Künftig gehen unsere Wege auseinander – laß es damit genug sein.“
Wenn Hermann in der That wünschte, das Aeußerste zu vermeiden, so hätte er nicht in diesem stolzen, verächtlichen Tone sprechen dürfen, der Eugen in einer Art reizte, die ihn des letzten Restes von Besinnung beraubte, und endlich zur Gewaltthätigkeit trieb. Er trat dicht an den Grafen heran und mit einer von Leidenschaft fast erstickten Stimme sagte er zwischen den zusammengebissenen Zähnen hindurch: „Ich frage Dich jetzt zum letzten Male, willst Du mir Genugthuung geben?“
„Nein!“
„Nun denn, so werde ich Dich zwingen!“ Er hob die Hand, und im nächsten Augenblick traf ein Schlag den Grafen.
Die Wirkung desselben war eine entsetzliche. Jeder Blutstropfen wich aus Hermann’s Gesicht, seine Fäuste ballten sich krampfhaft und einen Moment lang schien es, als wolle er sich auf den Beleidiger stürzen und ihn zu Boden werfen, aber die gewohnte Selbstbeherrschung siegte auch jetzt; er athmete tief auf und ließ den schon erhobenen Arm sinken.
„Es ist gut, Du sollst Deinen Willen haben! Auf morgen früh denn!“
Es lag Etwas in der eisernen Energie, mit der dieser Mann sich zur Ruhe zwang, was die maßlose Heftigkeit Eugen’s tief [814] beschämte, und auch nicht ohne Wirkung auf ihn blieb. Er stand, vielleicht selbst erschreckt über das, was er gethan, es wollte sich wie Reue in ihm regen, und er machte eine Bewegung, fast als wünsche er den Grafen zurückzuhalten aber es war zu spät, Hermann hatte ihm bereits den Rücken gekehrt und den Platz verlassen.
Im Begriff den großen Hauptweg einzuschlagen, der nach dem Herrenhause führte, stand dieser plötzlich vor Gertrud, die noch in unmittelbarer Nähe weilte. Ein einziger Blick auf ihr Gesicht verrieth ihm sofort, daß sie trotz ihrer scheinbare Entfernung Zeuge eines Gespräches gewesen, dessen Ausgang sie wohl geahnt haben mochte, indessen äußerte er kein Wort darüber, sondern trat auf sie zu und sagte einfach:
„Ich muß Sie bitten meine Begleitung bis zum Hause anzunehmen, Sie könnten sonst in Gefahr kommen, Herrn von Reinert nochmals zu begegnen.“
Wie vorhin erwiderte sie kein Wort, sondern folgte schweigend seiner Aufforderung. Langsam gingen sie die Allee entlang; hier unter den hohen Eichen und Buchen lagerten schon die Schatten der Dämmerung, hoch oben auf den Wipfeln verglühte das letzte Abendgold, und leise und traumhaft zwitscherte noch hier und da ein Vogel im Gebüsche sein Abendlied. Die Beiden schritten so fremd und kalt nebeneinander hin, als habe wirklich nur der Zufall sie jetzt in eine gegenseitige Beziehung gebracht, die Beiden gleich peinlich war. Graf Arnau beobachtete ein consequentes Schweigen, Gertrud hob das Auge nicht vom Boden empor, und doch streifte sein Blick bisweilen, wie mit einer düsteren Frage, ihr Antlitz, und doch hob sich ihre Brust immer stürmischer in einem geheimen Kampfe, der endlich über die Zurückhaltung den Sieg davontrug.
„Herr Graf!“
Er blieb sofort stehen. „Mein Fräulein?“
Sie schwieg noch eine Secunde lang, die Worte wollten nicht von den Lippen, und es kostete sie augenscheinlich eine furchtbare Ueberwindung, als sie endlich fragte:
„Sie wollen sich mit Herrn von Reinert schlagen?“
Hermann zuckte die Achseln. „Sie werden mir das Zeugniß geben, daß ich das Möglichste gethan, es zu vermeiden, aber Eugen hat es verstanden, mich zu zwingen. Es giebt Formen, deren Nichtigkeit und Schädlichkeit man einsieht, und denen man sich dennoch beugen muß. Nach dem, was zwischen uns vorgefallen ist, läßt die Ehre meines Standes keinen anderen Ausgleich zu, als mit den Waffen in der Hand. Ich werde mich der Nothwendigkeit fügen.“
„Um meinetwillen? Nein, das kann, das darf nicht geschehen!“
Ihre Stimme gewann sichtlich an Festigkeit, aber es flog etwas wie ein Lächeln über die ernsten Züge des Grafen.
„Wollen Sie es verhindern?“
„Ja!“ erwiderte sie energisch. „Ich werde mich an die Präsidentin und an Frau von Reinert wenden, damit Beide vereint ihren Einfluß –“
„Das werden Sie unterlassen!“ fiel Hermann ihr mit einem strengen und finstern Ernst in’s Wort. „Sie werden eine Kenntniß, die ihnen der Zufall gab, nicht mißbrauchen. Es ist dies eine Sache, die uns Männer allein angeht und zwischen uns allein ausgemacht wird. Ich meinestheils dulde hier keine Einmischung einer Frau, sei es wer es sei, und weder die Vorstellungen meiner Großmutter, noch die Thränen und Ohnmachten meiner Cousine ändern an meinem Entschluß das Geringste.“
Zum ersten Male während der ganzen Unterredung hob sie das Auge zu ihm empor, es war ein Blick voll flehender, unaussprechlicher Angst, und der Graf, der eben noch so stolz seine Unbeweglichkeit behauptet, wandte sich plötzlich ab, als fürchte er einer Versuchung zu erliegen. Als er weiter sprach, war seine Stimme um Vieles milder geworden, aber sie hatte nichts von ihrer eigenthümlichen Festigkeit verloren.
„Ich weiß, daß ich Schweres von Ihnen verlange, zu schweigen und – zu zittern vielleicht, wo ein Wort die blutige Entscheidung verhindern könnte. Ich weiß auch, daß nur wenige Frauen einer solchen Aufgabe gewachsen sind, Ihnen muthe ich sie zu. Meine Ehre erfordert es jetzt, daß das Duell ungestört seinen Verlauf nimmt, ich fordere daher Ihr Versprechen eines unverbrüchlichen Schweigens gegen Jedermann; bis morgen Mittag. Geben Sie mir Ihr Wort darauf!“
Er streckte ihr die Hand entgegen; hatte sie die ihrige hineingelegt, hatte er sie genommen, Gertrud wußte es nicht, aber die kleine Hand bebte in der seinigen so heftig, daß er sie schon im nächsten Augenblick wieder fallen ließ.
„Zittern Sie nicht so,“ sagte er mit schneidender Bitterkeit, „ich habe den ersten Schuß und bin meiner Waffe sicher. Wie furchtbar mich Eugen auch gereizt haben mag, ich werde nicht vergessen, daß ich ihn einst Freund genannt. Er soll seine Thorheit nicht mit dem Leben büßen, wenn ich auch freilich nicht eine gleiche Großmuth von ihm erwarten darf.“
Widerstandslos hatte Gertrud die Bitterkeit über sich ergehen lassen, aber bei seinen letzten Worten hob sie wie im jähen Schreck das Haupt empor. Es mußte Etwas in ihrem Antlitz liegen, was den Grafen magnetisch berührte, es leuchtete auf in seinem Auge, er ergriff plötzlich ihre beiden Hände und fragte leise, aber mit einem ganz anderen Ausdruck, als vorhin: „Gertrud, warum hassen Sie mich?“
Das Mädchen schrak zusammen; eine verrätherische Gluth ergoß sich über Stirn und Wangen, sie wollte sich von ihm wenden, aber er ließ die einmal erfaßte Hand nicht los.
„Sie haben mir von Anfang an den unverhülltesten Haß entgegengetragen und dennoch – Gertrud; es muß jetzt klar werden zwischen uns. Was habe ich Ihnen gethan? weshalb hassen Sie mich?“
Niemand würde es für möglich gehalten haben, daß diese kalte, harte Stimme sich in so weichen innigen Lauten ergehen könne; und Gertrud’s ganzes Wesen schien unter diesen Tönen zu erbeben. Es ist unmöglich, die Empfindungen zu schildern, die sich in stürmischem Widerstreite auf dem Gesichte des Mädchens spiegelten, Angst, Schmerz, Verzweiflung, und durch all’ dies hindurch doch wieder ein unendliches Entzücken, all’ dies machte sich Luft in dem einen Ausruf, der halb wie Jubel klang, und halb doch wieder wie ein schneidender Wehlaut:
„O mein Gott! mein Gott!“
Sie schlug beide Hände vor das Antlitz, Hermann sah sie unverwandt an. „Ich sehe, daß hier ein Geheimniß liegt, das Sie nicht aussprechen wollen. Sei’s denn, ich kann warten. Aber eine Gewißheit muß ich mitnehmen in die Entscheidung morgen früh, Gertrud, nur das Eine sage mir, für wen von uns Beiden zitterst Du?“
Es folgte eine minutenlange, schwere Pause, dann ließ sie langsam die Hände wieder sinken, das Antlitz war todtenbleich, aber ruhig, und die Stimme völlig klanglos, als sie erwiderte:
„Ich zittere für jedes Leben, das ich bedroht weiß.“
Der Graf trat drei Schritte zurück, der Schimmer in seinem Auge erlosch plötzlich und sein Gesicht erschien auf einmal wieder hart und herb. „Sie haben Recht, mein Fräulein,“ sagte er eiskalt. „Da Sie die unschuldige Ursache unseres Duells sind, so muß Ihnen unser Beider Tod gleich – unangenehm sein. Ich begreife das vollkommen – leben Sie wohl.“
Er ging; am Ausgange der Allee zögerte sein Fuß noch einen Moment lang, es war ihm, als habe er einen Ruf gehört, aber als er zurückblickte, stand sie noch unbeweglich an derselben Stelle. Mit seinem ganzen aristokratischen Stolze warf Graf Arnau den Kopf empor, und schritt durch die zunehmende Dämmerung dem Hause zu.
Klar und sonnig kam der nächste Morgen herauf. Beim
Frühstück fehlten Graf Arnau und Herr von Reinert; sie hatten
mit mehreren Herren aus der Nachbarschaft bereits in aller Frühe
einen Spazierritt unternommen, der erst gestern Abend verabredet
worden war. Niemandem fiel es ein, ein besonderes Gewicht auf
diesen Umstand zu legen, dagegen war die Baronin Sternfeld sehr
ungehalten, daß auch Mademoiselle Walter sich mit einem heftigen
Unwohlsein entschuldigen ließ. Der gnädigen Frau kam diese
plötzliche Krankheit der Gouvernante sehr ungelegen, sie wurde dadurch
in die Nothwendigkeit versetzt, die Kinder den ganzen Tag
über unter ihre persönliche Aufsicht zu nehmen, da Bonne und
Kammermädchen vollauf mit den Vorbereitungen zu der morgigen
Abreise zu thun hatten.
In ihrem Zimmer, dessen Fenster nach den Feldern hinausgingen, schritt Gertrud ruhelos auf und nieder. Es gab eine [815] Grenze auch für ihre Selbstbeherrschung, sie hatte es nicht vermocht, heut’ ruhig beim Frühstück zu erscheinen und über den „Spazierritt“ sprechen zu hören, sie allein kannte ja seine Bedeutung. Ja wohl, es war eine furchtbare Aufgabe, zu schweigen und zu zittern, mit dem vollen Bewußtsein dessen, was die nächste Stunde bringen konnte, unthätig hier zu harren, während dort drüben die blutige Entscheidung fiel; es ging fast über Menschenkräfte. Sie hatte das ihr abgedrungene Versprechen gehalten, kein Laut des Verraths war über ihre Lippen gekommen – was dies Schweigen sie aber gekostet, das wußte nur sie allein.
Man sah es dem Mädchen an, daß diese Nacht kein Schlaf in ihre Augen gekommen war, die sich immer wieder mit dem Ausdruck qualvollster Spannung auf das Fenster hefteten. Heiter und golden lachte der Sonnenschein aus den weiten Feldern ringsum, über den noch in blauen Duft gehüllten Forsten. Vom Morgenwinde geschwellt wogte das Korn leise auf und nieder, und hoch oben am klaren Himmel schossen die Schwalben in raschem Fluge hin und her. Aber der Weg, der in die Waldung führte, blieb leer, nicht ein einziger Reiter wollte sich dort zeigen.
Es war vorbei, völlig vorbei mit dem Stolz und der Selbstbeherrschung Gertrud’s. Was sie sich in dieser ganzen Zeit nicht gestehen wollte, was sie noch gestern Abend versucht sich abzuleugnen, die Todesangst dieser Nacht hatte sie es erkennen gelehrt. „Er soll seine Thorheit nicht mit dem Leben büßen, wenn er auch schwerlich die gleiche Großmuth gegen mich üben wird!“ Die Worte wollten nicht aus ihrem Gedächtniß weichen. Eugen würde keine Großmuth üben, das wußte sie, er war rachsüchtig, wie alle schwachen Menschen, und ergriff mit Freuden die Gelegenheit, sich an dem zu rächen, dessen geistige Ueberlegenheit ihn so oft gedrückt und erbittert – und auch er war seiner Waffe sicher und verstand sein Ziel zu treffen.
Sie stürzte auf die Kniee nieder und hob in namenloser Angst die gefalteten Hände empor. Sie wußte es jetzt, wem dies Gebet galt, hatte es ja schon gestern gewußt, als jene ernste harte Stimme so weich gefragt: „Gertrud, warum hassen Sie mich?“ Wenn sie sich auch noch einmal aufraffte zum letzten verzweifelten Widerstande, wenn sie auch den grausamen Muth besaß, ihm das eine Wort zu versagen, um das er bat – es war doch umsonst gewesen. Jetzt hätte sie es ihm nachrufen mögen, jetzt, wo es zu spät war. Wie eisig kalt hatte sein Lebewohl geklungen – vielleicht war es das letzte. – Da plötzlich ertönte Hufschlag in der Ferne, Gertrud eilte an’s Fenster, wie so oft schon vergebens, wenn sich drunten etwas regte, aber diesmal war es keine Täuschung. Ihr Auge hätte den Reiter erkannt, und wäre er noch so fern am Saume des Waldes erschienen; von seinem Reitknechte gefolgt, sprengte Graf Arnau heran.
Das war zu viel, dies plötzliche Erscheinen des schon verloren Geglaubten entschied Alles. In dem Aufschrei eines grenzenlosen Glückes, der sich unbewußt ihrer Brust entrang, in dem Ausdruck ihres Gesichts lag das Geständniß, zu dem sich die Lippen nun und nimmermehr herbeigelassen. Sie flog nach der Thür, es war vorbei mit Besinnung und Ueberlegung, sie wollte und mußte ihm entgegen!
Ein schwerer dumpfer Schlag, dem ein krachendes Geräusch folgte, hemmte plötzlich ihren Fuß und ließ sie erschreckt zurückblicken. Einer ihrer Reisekoffer, den sie gestern Mittag bereits hervorgezogen und theilweise gepackt hatte, war von seinem Gestelle herabgestürzt. Ein einfacher, leicht erklärlicher Zufall, sie selbst hatte wahrscheinlich im hastigen Vorüberstreifen daran gestoßen, aber die fieberhaft geröthete Wange des Mädchens war plötzlich weiß geworden. Langsam glitt ihre Hand an der bereits halbgeöffneten Thür nieder, langsam drückte sie diese wieder in’s Schloß und zögernd, Schritt für Schritt, näherte sie sich endlich der Ecke neben dem Fenster. Es war ein seltsamer Ausdruck in ihrem Gesicht, ein Grauen fast wie vor Geisterspuk, und mit einer Scheu, als gelte es wirklich einem solchen zu begegnen beugte sie sich nieder, um den angerichteten Schaden zu betrachten und doch schien dieser so gering.
Es war ein kleines unscheinbares Köfferchen, ein altmodisches unansehnliches Geräth, das noch aus ihrem elterlichen Hause stammte. Es war einst Eigenthum ihres Vaters gewesen, und nur ein Gefühl der Pietät hatte die Tochter bisher verhindert, sich davon zu trennen. Dies Erbtheil, fast das einzige, das die Waise noch besaß, hatte sie bisher treulich bei jedem Wechsel des Aufenthaltes begleitet und jetzt auf einmal stürzte es herab und zerbrach, gerade in dem Augenblick, wo sie im Begriff stand – Gertrud wagte es nicht, den Gedanken zu vollenden, heftig schob sie die herausfallenden Bücher bei Seite und hob den Deckel empor.
Die Rückwand des Koffers war im Falle geborsten, sie klaffte weit aus einander und aus dem Spalt, zwischen dem Holze und dem innern Lederfutter eingeklemmt, blickte ein Papierstreifen hervor. Mechanisch griff Gertrud danach, sie zog das Papier heraus und wollte es bei Seite legen, da fiel plötzlich ihr Blick auf ein Wort, auf eine Unterschrift – sie strich hastig mit der Hand über die Augen, es konnte doch nur eine Vision sein, daß sie immer und überall den Namen sah, der jetzt ihr ganzes Denken ausfüllte, aber auch beim zweiten Blick wollte die Täuschung nicht weichen. „Hermann Graf Arnau“ stand dort, mit verblaßter Tinte, aber mit deutlicher klarer Handschrift, stand dort auf dem alten vergilbten Papier, das lange Jahre hindurch in seinem Versteck gelegen hatte, wohin es jedenfalls bei einem allzu hastigen Oeffnen des Koffers durch eine schadhafte Stelle des innern Bezugs geglitten war. Gertrud’s Kopf schwindelte, unfähig, den Zusammenhang zu begreifen, noch halb betäubt von der vorhergegangenen Aufregung schlug sie das Blatt aus einander.
Es waren nur wenige Zeilen, die dort geschrieben standen, und sie schienen sehr flüchtig und geschäftsmäßig hingeworfen, aber ihre Wirkung auf das Mädchen war eine blitzähnliche. Sie sprang auf; das eben noch so bleiche Antlitz von einer tiefen Gluth übergossen die Augen strahlend im leidenschaftlichsten Triumph, preßte sie den Fund mit beiden Händen gegen ihre Brust, als wolle man ihn ihr entreißen, und diese Brust athmete tief, tief auf, als sei mit diesem einen Moment die Last eines ganzen Lebens von ihr gesunken.
Aber es war nur ein Moment, schon im nächsten zuckte sie zusammen, von einer Erinnerung getroffen, die wie mit Eiseshand ihr an’s Herz griff, das verhängnißvolle Blatt entsank ihren bebenden Händen, wie vernichtet starrte sie darauf hin, und dann hob sie das Auge in bitterer Anklage zum Himmel. An diesem Papier hatte einst die Ehre und das Glück einer ganzen Familie gehangen, damals ließ ein tückischer Zufall es spurlos verschwinden. Zwei Jahrzehnte waren darüber hin – zwei Menschen waren darüber zu Grunde gegangen, und jetzt gab derselbe Zufall das Verlorene wieder zurück. „O mein Gott, warum gerade in meine Hand? Und warum jetzt, gerade jetzt?“
Es kam keine Antwort von oben auf die verzweifelnde Frage, und es kam auch kein Laut weiter von den Lippen Gertrud’s, stumm kämpfte sie den Kampf aus, den schwersten ihres Lebens. Wie furchtbar er war, davon zeugten die heftig arbeitenden Züge, die krampfhaft gerungenen Hände, aber der schweigende Mund verschloß auch jetzt noch das Weh. Sie hatte geglaubt, in dieser letzten Nacht das Maß der Angst und Qual erschöpft zu haben, und doch, was war die Verzweiflung jener Stunden gegen diese Minuten! Jetzt galt es, mit eigener Hand den drohenden Streich zu führen, er traf tödtlich, das wußte sie, und diesmal stand mehr auf dem Spiele, als blos das Leben.
Nur Wenige hätten einer solchen Wahl gegenüber den Muth zum Kampfe besessen; sie wären in ohnmächtigen Thränen unterlegen oder hätten, nur der Stimme des Herzens gehorchend, sich entsetzt von der verhängnißvollen Entscheidung abgewendet. Zu ihrem Unglück war Gertrud keine von den weichen und keine von den schwachen Naturen. Eine einsame dornenvolle Jugend, die schon die bitteren Erfahrungen eines ganzen Lebens in sich schloß, hatte sie früh gestählt und ihr jene Kraft; aber auch jene Härte gegeben, von denen die Glücklichen nichts wissen. Das eiserne Gebot der Pflicht, bisher die einzige Richtschnur ihres Lebens, hieß auch jetzt wieder jede andere Stimme schweigen, und mahnend und schweigend erhob sich die Vergangenheit, die noch unvergessen im Innersten ihrer Seele schlief. Jede bittere Stunde, woran schon ihre Kindheit so reich war, jede Thräne, die sie geweint, jede Demüthigung, die sie erlitten, das Sterbebett der Mutter, das Bild des nie gekannten und doch so leidenschaftlich geliebten Vaters – Alles, Alles ward wieder lebendig, und in dem Maße, wie die Erinnerungen auf sie einstürmten, wurden die Züge des Mädchens hart und kalt, bis sie sich endlich mit finsterer Entschlossenheit erhob. Der Kampf war zu Ende; sie legte die Rechte wie zum Schwur auf das verhängnißvolle Papier.
„Die Mahnung kam zur rechten Zeit! Ich stand auf dem [816] Punkte, Verrath zu üben an mir und meiner ganzen Vergangenheit. Meine armen hingeopferten Eltern, die Tochter wird Euer Recht zu wahren wissen – und müßte sie auch darüber zu Grunde gehen!“ –
Währenddessen saßen die übrigen Bewohner des Herrenhauses, wie gewöhnlich nach beendetem Frühstück, im Gartensalon. Baron Sternfeld las seiner Mutter die Zeitungen vor aber die politischen Neuigkeiten, denen die Präsidentin mit großer Aufmerksamkeit folgte, schienen sowohl die Baronin als auch Frau von Reinert zu langweilen; die Erstere theilte ihre ganze Aufmerksamkeit zwischen ihrer Stickerei und ihren beiden kleinen Töchtern, die draußen auf der Terrasse spielten, und die Letztere gähnte ein Mal über das andere hinter dem Schutze ihres Taschentuches.
Auch bei Antonien hatten die sieben Jahre ihre nur allzu deutlichen Spuren zurückgelassen. Sie war längst nicht mehr jenes bezaubernde poetische Wesen, das einst den jungen Maler so zu begeistern wußte, daß er in der Leidenschaft für sie alles Andere vergaß. Ihre Schönheit gehörte jener zarten, aber vergänglichen Art an, die nur in der Frische und Blüthe der Jugend wurzelt und mit dieser rettungslos dahinschwindet. Da waren keine festen edlen Linien, kein charakteristischer Ausdruck, kein seelenvoller Blick, der jenen flüchtigen Reiz überdauert hätte. Das einst so schwärmerische Feuer der dunklen Augen war erloschen, untergegangen in jenem Ausdruck von Ermüdung und Blasirtheit, der sich in ihren Zügen ebenso deutlich wie in denen ihres Gatten verrieth. Die Gräfin Arnau war im Anfange der Zwanzig noch blendend schön gewesen, Frau von Reinert erschien am Ende derselben bereits verblüht, und all die angewendeten Künste der Toilette vermochten nicht das Verlorene zu ersetzen.
Der Eintritt Hermann’s machte der Vorlesung des Barons und der Langenweile der beiden jüngeren Damen ein Ende. Er trat nach einem kurzen Morgengruße, der Allen galt, an den Lehnstuhl der Präsidentin und entschuldigte sich mit einigen Worten wegen seines Ausbleibens beim Frühstück.
„Wo bleibt denn Eugen?“ fragte Baron Sternfeld verwundert.
„Eugen hat einen kleinen Unfall bei unserem Ritte gehabt. Er stürzte mit dem Pferde und verwundete sich am Arme, unbedeutend nur, indessen ist er im Forsthause zurückgeblieben, und ich habe bereits Befehl gegeben, ihm den Wagen hinauszuschicken. Uebrigens ist die Sache ohne alle Gefahr, wie Doctor Börner versichert, der mit auf unserer Partie war und ihm sogleich einen Verband anlegte.“
Niemand dachte daran, diese im ruhigsten Tone gegebene Erklärung zu bezweifeln. Die Baronin ließ einen Ausruf des Bedauerns hören, Antonie aber sagte heftig: „Dies wilde Reiten! Ich habe Eugen selbst schon prophezeit, daß er damit noch einmal ein Unglück anrichten wird, aber er hört nie auf meine Warnungen!“
Es lag nicht die mindeste Spur von Angst oder Zärtlichkeit in diesem Tone, wohl aber sprach sich ein unverkennbarer Aerger darin aus. Das Gesicht der Präsidentin verrieth allerdings auch keine große Theilnahme, dennoch sagte sie ernst: „Willst Du nicht wenigstens zu Deinem Manne hinausfahren, Antonie?“
„Wozu das, Großmama? Du hörst ja, die Sache ist von keiner Bedeutung, und in einer Stunde trifft Eugen ohnedies ein.“
Sie lehnte sich mit der vollendetsten Gleichgültigkeit in ihren Stuhl zurück. Die Präsidentin schwieg, aber ihre Miene verrieth, was sie von dieser Antwort dachte, – das also war das Ende jener unsagbar glühenden Leidenschaft, die einst die Gräfin Arnau über alle Grenzen der Vernunft und des Verstandes hinweggerissen! Hermann verstand sehr gut das Achselzucken und den Blick der Großmutter, der auch ihm galt; war er es doch gewesen, der jene Verbindung begünstigt hatte. Es ist immer peinlich, einen Irrthum eingestehen zu müssen, und der Graf schien heute. vollends nicht in der Laune dazu. Schon beim Eintritt war sein Blick unruhig forschend durch den Salon geflogen, und die Wolke, die bereits auf seiner Stirn lag, war dabei noch dunkler geworden. Jetzt wuchs seine Verstimmung von Minute zu Minute; er war einsilbig, zerstreut und betheiligte sich fast gar nicht an der Unterhaltung.
„Sind die Kinder denn heute ohne Aufsicht?“ fragte er plötzlich, auf die kleinen Mädchen weisend, die auf der Terrasse einander umherjagten und nach Kinderart dabei etwas laut wurden.
Die Baronin seufzte. „Leider sind sie das! Mademoiselle Walter macht mir heute Morgen das Vergnügen, sich für krank zu erklären, gerade jetzt, wo wir fort wollen!“
„Ah so!“ Die Lippen des Grafen preßten sich wie im heftigsten Zorne zusammen, während die Baronin fortfuhr, sich mit großer Umständlichkeit über die Krankheit ihrer Gouvernante zu beklagen, die ihr äußerst ungelegen komme und möglicherweise sogar die auf morgen Mittag festgesetzte Abreise in Frage stelle.
„Das steht wohl kaum zu befürchten!“ warf Antonie spöttisch hin. „Ich vermuthe, Mademoiselle Walter hat sich bei ihrer gestrigen Abendpromenade einen Schnupfen geholt, der schwerlich von großer Bedeutung ist.“
„Bei welcher Promenade?“ fragte die Baronin, aufmerksam werdend.
„Nun, sie kam gestern ziemlich spät aus dem Park zurück, und kurz vorher hatte ein Herr denselben verlassen, den ich allerdings nicht zu erkennen vermochte, da es bereits zu dunkel war, der aber seiner ganzen Haltung nach weder zu den Arbeitern noch zur Dienerschaft gehörte. Mein Gott, weshalb auch nicht! Die sämmtlichen Herren aus der Nachbarschaft sind ja einstimmig in der Bewunderung von Mademoiselles Schönheit. Es wäre in der That kein Wunder, wenn sie irgend einen dieser begeisterten Verehrer erhört und ihm ein kleines Rendezvous bewilligt hätte -“
Die Präsidentin runzelte die Stirn, trotz ihrer Antipathie gegen Gertrud war sie doch streng gerecht und duldete in ihrer Umgebung keine Verleumdungen. „Das müßtest Du doch erst beweisen, Antonie,“ unterbrach sie ihre Enkelin in ernst verweisendem Tone; „so wie ich das Mädchen beurtheile, ist dieser Vorwurf unter allen der letzte, der ihr gemacht werden könnte, und Bertha hat bisher noch keine einzige Klage über sie gehabt.“
„Ich würde Dir auch rathen, doch erst die Aufklärung abzuwarten, liebe Toni,“ nahm Hermann jetzt kaltblütig das Wort. Er stand noch am Sessel seiner Großmutter, hatte beide Arme auf die Lehne desselben gelegt und fixirte seine Cousine mit einem eigenthümlichen Blick. Es lag ein halb mitleidiger, halb verächtlicher Spott darin, und um seine Lippen zuckte bereits wieder der gefürchtete Sarkasmus, der sich so oft schonungslos über alles ergoß, was in seine Nähe gerieth, wenn er zuvor durch irgend einen Umstand gereizt worden war.
„Ich sprach nur eine Vermuthung aus,“ sagte Antonie, empfindlich über den erhaltenen Verweis, indem sie den Kopf zurückwarf. „Ich wollte aber längst schon Gelegenheit nehmen Bertha einen Wink hinsichtlich dieser Mademoiselle Walter zu geben; was ich neuerdings über sie in Erfahrung gebracht habe, spricht durchaus nicht zu ihren Gunsten.“
Hermann lächelte mit unverholener Ironie. „Erst neuerdings hast Du das in Erfahrung gebracht? Wirklich?“
Antonie sah ihn ungewiß an. „Was willst Du damit sagen? Ich verstehe Dich nicht.“
„O, ich meinte nur, etwas, was freilich nicht zu Gunsten der jungen Dame spricht, ihre äußere Erscheinung nämlich, müßte Dir doch bereits beim ersten Anblick aufgefallen sein.“
Heute muß ich Ihnen, verehrter Herr Keil, über meinen Ausflug nach dem Flecken Chelles berichten, der etwa drei Viertelstunden von hier liegt und wo unser 107. Regiment mit seinen vielen Leipzigern Stellung hat.
Wenn man zum Dorfe Montfermeil auf der Straße nach Chelles herauskommt, sieht man zur Linken eine Hügelkette sich zwischen beiden Orten ausdehnen. Gleich vor Montfermeil stehen auf der Höhe zwei Windmühlen und zwischen beiden ist der Standort von zwei Verschanzungen der Batterie Carola. Hier
[817][818] hinaus zogen bisher täglich Abtheilungen unserer Soldaten auf die Kartoffelernte, mit welcher sie die angenehmste Traubencur in den nahen Weinbergen zu verbinden pflegten.
Ausgezeichnet ist die Einrichtung, welche dafür sorgt, daß ein Verirren von Truppentheilen vom bestimmten Ziele unmöglich werde, und die natürlich auch mir zu Gute kommt. An allen Kreuzwegen sind nämlich von der Militärbehörde rein militärische Wegweiser angebracht. Da steht zum Beispiel an einem solchen: „Colonnenweg nach etc.,“ „Weg für die leichte Batterie X,“ „Nach dem Beobachtungsposten NN.“ etc. Außerdem bezeichnen hohe Stangen mit Strohwischen die Richtung dieser Wege für die Nacht. – Auch kurz vor Chelles sah ich zur Linken oben Kanonenrohre herablugen, und wie viele werde ich nicht gesehen haben! Weiterhin haben auf den Höhen bei Noisy hinter Brie die Württemberger ebenso wacker gesorgt.
Die Kalköfen spielen eine seltsame Rolle in diesem Kriege vor Paris; ich habe sie schon mehrfach zu erwähnen gehabt. Als großer Wohlthäter erwies sich der vor Chelles, an dem ich vorüberkam; bei ihm hat man einen alten Schacht entdeckt, aus welchem große Massen von Lebensmitteln zu Tage gefördert wurden. Links von Chelles, am Ufer der Marne, sah ich einen hohen Fabrikschlot dampfen wie im schönsten Frieden. Und was ist’s? Eine Nudelfabrik! Die Sachsen und Württemberger, auf deren militärischer Grenzmark sie steht, hatten, als sie des Schatzes inne wurden, nichts Eiligeres zu thun, als von ihren Leuten die nöthige Anzahl von Müllern, Bäckern und dergleichen abzucommandiren, und diese setzten mit Hülfe der requirirten Mehlvorräthe die Fabrik wieder in den schwunghaftesten Betrieb.
Herr Major Schlick, der Commandeur des zweiten Bataillons, welcher mich zu diesem Ausflug veranlaßt hatte, empfing mich mit landsmannschaftlicher Herzlichkeit, machte mich auf einige besuchenswerthe Punkte der Umgegend aufmerksam und gab mir eine Empfehlung an den Commandeur des ersten Bataillons, Herrn Hauptmann Kistner mit, die ich am folgenden Tag nach Kräften ausbeutete. Der Abend war da, ich mußte auf ein Nachtquartier denken. Bei den vielen Bekannten des Regiments aus Leipzig war dies bald gefunden, und bald saß ich, hauptsächlich von Einjährig-Freiwilligen umringt, beim Marketender. Unser frugaler Abendtisch bestand aus Butterbrod und Käse, und unsere Sehnsucht nach einem Glase Bier fanden wir mit einem Schnäpschen ab. Bei unseren vielen heimathlichen Anknüpfungspunkten fehlte es nicht an Unterhaltungsstoff, aber zur Heiterkeit brachte es selbst die Jugendlichkeit der Gesellschaft nicht, alle, namentlich die akademischen Genossen, waren noch tief ergriffen vom plötzlichen und erschütternden Tode eines der Ihren, des Leipziger Studenten Paul Segnitz. Vor wenigen Wochen als Einjährig-Freiwilliger mit der Ersatzmannschaft des Regiments hier im Lager angekommen, nahm er freiwillig an einer Schleichpatrouille Theil, welche im Dorfe Villemomble in Kampf mit einer ihr vierfach überlegenen Abtheilung Franzosen gerieth, und wurde dabei höchst unglücklich verwundet; die Kugel eines Miniégewehrs, jenes mörderischen Geschosses, mit welchem England unsere Feinde gegen uns bewaffnet, zerschmetterte ihm die beiden Knochen des Unterschenkels. An der Wand eines Hauses niedergesunken, wurde er, da die Unsern sich eiligst zurückziehen mußten, vor französischer Gefangenschaft nur durch zwei Gefreite, Trautner und Langer, mit eigener höchster Gefahr gerettet. Aerztliche Hülfe war sofort zur Hand; dennoch nahm die Verletzung einen so schlechten Verlauf, daß dem jungen Mann das ganze Bein amputirt werden mußte. Standhaft ertrug er die Operation, aber wenige Stunden darnach war er todt. Sein Begräbniß bleibt Allen unvergeßlich. Sechs Cameraden trugen den Sarg aus der Kirche hinaus zum hochgelegenen Friedhof von Chelles; der Oberst, der Major, die meisten Officiere und die ganze Compagnie folgten ihm, und nachdem Major von Boße eine kurze kräftige Anrede gehalten, rollte der Sarg, von einem milden Regen befeuchtet, unter gedämpftem Trommelwirbel in die Tiefe. Anstatt der Ehrensalve, die der Nähe des Feindes wegen unterlassen werden mußte, donnerten im selben Augenblick die Kanonen vom Fort Nogent herab, und ein schöner Regenbogen schmückte den Himmel.
So erzählten die Cameraden, und ernster als je in diesem ganzen Feldzug suchten wir Alle das Nachtlager.
Am andern Morgen stellte ich mich dem Herrn Hauptmann Kistner vor und durfte seinem Bataillon auf die Vorposten folgen, nach denen es eben abzog. Auf der großen, breiten sogenannten Kaiserstraße, die sich dadurch besonders auszeichnet, daß der Fahrweg mit großen Quadern gepflastert ist und zu beiden Seiten sich wohlgepflegte Rasenwege hinziehen, kamen wir über Chenay nach dem schon genannten Ville-Evrart, einer großartig angelegten und ausgeführten Irrenanstalt. In dem Verwaltungsgebäude derselben befand sich, hart unterm Dach, ein Beobachtungsposten, von dessen Standpunkt man eine Aussicht genoß, so prachtvoll, daß sie mein heutiges Bildchen in’s Leben rief.
Vor uns lag, das reizende Thal von Neuilly überragend, auf seinem breiten Hügel das Fort Nogent und kehrte uns den stärksten Theil seiner Befestigung zu; wir sind ihm so nahe, daß wir durch unsere Gläser die Wachen auf ihren Posten unterscheiden und die Handhabung der Alarmstange des Forts beobachten können. Rechts davon die Feldschanze Fontenay und noch weiter, vom Hügel Avron halb verdeckt, das Fort und tiefer das Dorf Rosny. Dorthin, namentlich zu den Weinbergen des Avron, geht eine Lieblingsrichtung der Schleichpatrouillen, die sich sogar schon bis in die ersten Häuser von Rosny vorgewagt haben. Links vom Fort Nogent zeigen sich auf der Höhe Thurm und Dächer vom Dorf Nogent und noch weiter links erkennen wir eine zerstörte Eisenbahnbrücke über die Marne und dahinter in der Ferne die Höhen, welche das Becken von Paris im Südwesten begrenzen. Der Luftballon schwebt über der großen belagerten Stadt.
Ich hatte eben meine Verwunderung darüber ausgesprochen, daß man unsern Beobachtungspunkt auf dem Dache nicht vom Fort Nogent aus mit einigen Schüssen bedenke, als ich durch den Augenschein überzeugt wurde, daß die Munition auch dort nicht geschont wird. Eine Reiterpatrouille wurde im Thale zwischen der letzten Gartenmauer und dem Gottesacker von Neuilly sichtbar, und sofort brummte es aus dem Fort und eine Bombe schlug keine hundert Schritte von den Reitern in den Boden.
Zur Sicherstellung der Unseren gegen Ausfälle aus Fort Nogent gehört auch die Barrikade, welche den Vordergrund meiner Illustration bildet. Wenn wir die Kaiserstraße, auf welcher wir nach Ville-Evrart gelangt sind, nach Neuilly hin weiter verfolgen, so stoßen wir auf diese modernste aller Verschanzungen. Ein kleiner Bach kreuzt dort die Landstraße und ihn benutzte man gleichsam als Wallgraben dieser kostspieligen Feldbefestigung. Denn verschiedenartigeres und werthvolleres Baumaterial kann selbst Rochefort zu seinen Pariser Barrikaden nicht zu verwenden gehabt haben. Da sind kunstreich in einander gefügt Karren und Tische, Fässer und Stühle, Fensterläden und Gartenplanken, Hundehütten und Kanapees, Thüren und Matratzen – und dies Alles, um gelegentlich in Stücke geschossen zu werden. Für den Einlaßposten war rechts, auf der Illustration nicht sichtbar, ein Häuschen hergestellt; die Feldwache und Reserve liegen ebenfalls mehr rück- und seitwärts. Vor uns sehen wir zu beiden Seiten der Kaiserstraße, kurz vor Neuilly, Doppelposten und etwa hundert Schritte weiter, unmittelbar vor dem Ort, sind am Stamm einer Pappel zwei Latten horizontal angebracht, welche die Höhe eines Mannes in dieser Entfernung angeben.
In der Barrikade ging es während meiner kurzen Anwesenheit[1] recht lebhaft zu. Eine Patrouille hatte ein Prachtexemplar von einem Franctireur aufgegabelt und überlieferte ihn und seine Waffen dem dienstthuenden Officier. Letztere interessirten uns ganz besonders als neutrale Liebesgaben der Herren Engländer für unsere Feinde: sie bestanden aus einem vortrefflichen Snidergewehr von allerdings sehr starkem Kaliber, und aus einem Seitengewehr, das sich von dem unserer Infanterie nur dadurch unterscheidet, daß, während bei dem deutschen an der Parirstange der vordere Haken aufwärts, der hintere abwärts geht (s. Fig. 1), bei diesem englischen (s. Fig. 2), beide Haken nach unten gebogen sind. Daran ist also zu erkennen, wie viel englische Arbeit künftig unter unserer Armaturbeute zu finden sein wird.
Links im Winkel sind zwei Soldaten bemüht, einen Schatz [819] zu heben: sie fördern einen Korb Wein zu Tage, dessen Heimath das vor uns liegende Neuilly ist; dort haben nämlich die deutschen und französischen Patrouillen ihren häufigsten Tummelplatz, sie machen sich wie Weinreisende unverschämte Concurrenz, denn Keiner gönnt dem Andern die guten Tröpfchen, welche dort noch immer zu finden sind. Von letzterer Wahrheit bin ich damals selbst auf das Freundlichste überzeugt worden. Eben hatte gerade im letzten Hause von Neuilly eine Patrouille ein neues Weinlager entdeckt und einen großen Vorrath zur Stärkung der Feldwache mitgebracht. Einige dieser Rothhälse wurden mir auf meinen Nachhauseweg mitgegeben, und es freut mich, für diese stille Wohlthat hier öffentlich meinen Dank aussprechen zu können.
Auf einer schönen Pappelallee schwenkte ich nun von der Barrikade rechts ab nach Maison-blanche, und dort mußte ich gerade dazu kommen, als man einen Transport von drei gefangenen französischen Civilärzten mit vollständig ausgerüstetem Medicinwagen herbeiführte. Nach ihrer Aussage hatten sie einige verwundete Franzosen abholen wollen, waren dabei auf eine Abtheilung unserer Feldwache gestoßen; nach kurzem Gefecht mit ihrer Bedeckung gefangen genommen und wurden nun zu weiterer Verfügung über sie nach Chelles gebracht. – Ihr eleganter vierräderiger Wagen trug die Aufschrift: „18ème Arrondissement. Ambulance de la rue Doudeauville 115.“ – Während dieses Vorgangs war der Kanonendonner von den Forts wieder sehr heftig, für uns aber ohne Wirkung.
Der Abend brach herein, als ich bei Pressoir am Beobachtungsposten vorüberkam. Selten habe ich bezauberndere Farbenpracht gesehen, als wie sie hier die untergehende Sonne auf die Fluren Weinberge und Laubwälber legte. Dazu die tiefe Einsamkeit, nur Kaninchen und Eulen machten sich, als endlich die Finsterniß völlig herabgesunken war, hier und da bemerklich, von einer Menschenseele keine Spur, bis am Schloß von Montfermeil der Posten mich anrief. Ich streckte mich auf mein Lager mit dem Bewußtsein eines gut vollbrachten Tags. Um aber keinerlei Friedensträume aufkommen zu lassen, übte schon um halb Zwei der Krieg wieder sein Recht aus: die Compagnie mußte sofort sich zum Ausrücken bereit halten. Da heißt es: rasch sein. Als richtiger Soldat erst Feuer anmachen, dann Wasser zusetzen – und Punkt zwei Uhr tranken wir beim Talglicht unsern Kaffee. Alles gepackt und marschfertig standen wir da – aber der weitere Befehl blieb aus, und ebenso fertig im Niederlegen wie im Aufstehen erfreute sich schon um drei Uhr die ganze Compagnie wieder des schönsten Schlafs. Leben Sie wohl!
Das Schiefsein, die seitliche Rückgratsverkrümmung (Scoliose), hat in der Neuzeit auf eine schreckenerregende Weise an Häufigkeit zugenommen und Heilungen dieses Leidens kommen so gut wie gar nicht vor. Verhütung desselben ist also die Hauptaufgabe für Eltern und Erzieher. – Am häufigsten wird diese Rückgratverkrümmung beim Schulkinde, zumal bei Mädchen mit blasser Haut und schlaffem Fleische, angetroffen, und in den allermeisten Fällen ist sie die Folge schlechter Angewöhnung, nämlich längerer falscher Haltung des Körpers in einer und derselben Schiefstellung, besonders beim Arbeiten (Schreiben) im Sitzen. Nicht ganz mit Unrecht wird der Schule, und zwar den unzweckmäßigen Bänken und Tafeln (Subsellien), Schuld an diesem Schulkindleiden gegeben. Allein es trägt die Schule durchaus nicht die alleinige und hauptsächlichste Schuld daran, weit mehr verschuldet noch das elterliche Haus, wo man auf die Haltung und Sitzweise des (zumal arbeitenden) Kindes meistens gar nicht achtet, und wo schon von erster Jugend an eine Menge schädlicher Einflüsse auf das Rückgrat einwirken. Daß dem aber so ist, dafür spricht die Thatsache, daß sehr viele Kinder zu der Zeit, wo sie in die Schule aufgenommen werden, schon mehr ober weniger ein verkrümmtes Rückgrat haben, was aber von den Eltern gewöhnlich übersehen und erst dann bemerkt wird, wenn die Verkrümmung während und durch den Schulbesuch ganz auffallend und nun nicht mehr heilbar geworden ist.
Würden die Schulkinder bei ihrer Aufnahme in die Schule von ärztlichen Schulinspectoren einer genauen Untersuchung in Bezug auf Gesundheit unterworfen, so dürften, außer Rückgratsverkrümmungen, sicherlich noch manche andere Uebel entdeckt werden, welche zur richtige Behandlung des Schulkindes dem Lehrer zu wissen frommt. Aber den meisten Schul- und Turnlehrern darf man so nicht etwa mit dem Wunsche kommen, daß sie doch mehr auf das körperliche Wohl ihrer Schüler achten möchten, als dies zur Zeit geschieht; wenn man nicht hören will, daß der Turnplatz keine orthopädische Anstalt und die Schule keine Heilanstalt sei. Verfasser kennt Schuldirectoren, die vom menschlichen Körper und seiner Pflege auch nicht die geringste Kenntniß haben und trotzdem eine Gesundheitscontrolle über ihre Schüler von Seiten Sachverständiger (d. h. ärztlicher Schulinspectoren) barsch zurückweisen. Solche Directoren möchten eben auch unfehlbare Päpste sein. Ueberhaupt tragen die Directoren und Lehrer der Schule unmittelbar und mittelbar die Hauptschuld an den überaus schlechten Gesundheitsverhältnissen der jetzigen Menschheit, und zwar deshalb, weil sie einestheils viel zu wenig das körperliche Wohl der Schüler in der Schule im Auge haben, und anderntheils, weil sie ihren Schülern nicht die gehörige Anleitung zur Wahrung ihrer und ihrer Angehörigen Gesundheit geben. Die allermeisten Lehrer wissen freilich selbst nichts vom menschllchen Körper und seiner Pflege.
Um ein richtiges Verständniß über die Rückgratsverkrümmung zu bekommen und dem Entstehen derselben entgegentreten zu können, möge man folgende anatomische Vorbemerkungen nicht unbeachtet lassen. – Die Wirbelsäule oder das Rückgrat ist die Grundveste unseres Körpers, die einzige Stütze des Kopfes und ein Stativ, an welchem der Brustkasten mit den Armen und das Becken mit den Beinen befestigt ist. Sie stellt einen vielgegliederten und schlangenförmig gekrümmten Knochenschaft dar, welcher in seinem Innern einen Canal für das Rückenmark enthält und von oben nach unten allmählich in seiner Dicke zunimmt. Diese am Rücken durchfühlbare Knochensäule ist trotz ihrer Festigkeit doch sehr beweglich, denn sie kann gebogen, gestreckt, zu den Seiten geneigt und um ihre Achse gedreht werden. Dies kommt aber dadurch zu Stande, daß sie aus sechsundzwanzig Knochen – vierundzwanzig Wirbeln, dem Kreuz- und Steißbeine – aufgebaut ist, welche, obschon die einzelnen Knochen ziemlich straff durch Knorpel und Bänder (knorpelige Wirbelbandscheiben) miteinander verbunden sind, viele übereinander liegende Gelenke bilden, und daß durch diese, sowie durch die Elasticität der Bandscheiben, eine große Beweglichkeit der ganzen Säule ermöglicht ist. – Man pflegt an der Wirbelsäule von oben nach unten vier Abtheilungen zu bezeichnen, nämlich: einen Hals-, einen Brust-, einen Lenden- und einen Beckentheil. Der Halstheil wird von den sieben Halswirbeln gebildet und hat eine nach vorn convexe Krümmung, die hauptsächlich durch die keilförmige Gestalt der die Wirbelkörper verbindenden Faserringe (der sogenannten Zwischenwirbelknorpel, welche vorn höher als hinten sind) bedingt wird. Der Brusttheil, dem an jeder Seite zwölf Rippen anhängen, ist von den zwölf Brustwirbeln aufgebaut und in der Art gekrümmt; daß er eine nach vorn concave Bogenlinie beschreibt. Diese Krümmung rührt von der ungleichen Höhe der Wirbelkörper her, welche vorn niedriger als hinten sind. Der Lendentheil wird von den fünf sehr starken Lenden- oder Bauchwirbeln gebildet und hat eine nach vorn convexe Krümmung. Der Beckentheil besteht aus dem Kreuz- und Steißbeine und ist nach vorn (gegen die Beckenhöhle hin) ausgehöhlt; seitlich vereinigt er sich mit den Beckenknochen so fest, daß er für sich keine Bewegung ausführen kann.
Die Wirbelsäule macht sonach eine doppelt S förmige Wellenkrümmung oder vier halbrunde Krümmungen. Diejenigen Abtheilungen [820] derselben, welche an Bildung der großen Körperhöhlen Antheil nehmen, wie der Brust- und Beckentheil, sind nach vorn ausgehöhlt und vermehren so die Geräumigkeit dieser Höhlen (der Brust- und Beckenhöhle), während der Hals- und Lendentheil nach vorn gewölbt sind. Ginge die Wirbelsäule durch die Mitte des menschlichen Körpers und wäre das Gewicht der an die Säule angehefteten Weichtheile gleichförmig rings um sie vertheilt, so wäre eine Krümmung derselben unnöthig. Da sie aber an der hintern Körperwand ihre Lage hat und nach vorn durch die Brust- und Baucheingeweide einseitig belastet ist, so sind ihre Biegungen eine unerläßliche Bedingung der Balance, welche übrigens durch die zu beiden Seiten der Wirbelsäule liegenden Rückenmuskeln (Rückgratsstrecker) auch noch in Ordnung gehalten wird. Demnach ist die natürliche schlangenförmige Krümmung der Wirbelsäule, bei welcher auf jede convexe Krümmung eine concave folgt (so daß sie sich einander compensiren), ein ganz nothwendiges Erforderniß für die Tragkraft der Säule bei aufrechter Körperstellung und also ein besonderes Attribut des menschlichen Körpers. Der Kopf kann in Folge dieser abwechselnd entgegengesetzten Krümmungen der Wirbelsäule (indem dadurch die Endpunkte der Biegungen in der Längenachse des Körpers senkrecht über einander gestellt sind) ohne große Muskelanstrengung senkrecht über der Drehungsachse des Beckens balanciren. Bei kleinen Kindern, welche noch nicht gelernt haben, die Last ihres Leibes vertical zu tragen, noch nicht aufsitzen und laufen können, fehlen noch die vier Krümmungen der Wirbelsäule. – Jede abnorme Krümmung der Wirbelsäule stört die Gleichgewichtsverhältnisse derselben und zieht zur Wiederherstellung der Balance eine zweite Krümmung und zwar der benachbarten Rückgratsportion nach der entgegengesetzten Seite hin nach sich. Man nennt diese zweite, zur abnormen Krümmung hinzutretende und nach der entgegengesetzten Seite gerichtete Krümmung die compensirende, ausgleichende. Krümmt sich z. B. der Brusttheil der Wirbelsäule nach rechts, so geht die compensirende oder secundäre Krümmung des Lendentheiles nach links.
Der Brusttheil der Wirbelsäule ist es nun, welcher die meiste Beachtung verdient, denn die am häufigsten vorkommende Rückgratsverkrümmung ist die seitliche (Scoliose) und tritt am gewöhnlichsten im Brusttheile nach rechts auf; sie wird durch eine nach links gerichtete Krümmung des Lendentheiles compensirt, ist also Sförmig. Daß nun aber die krankhafte Rechtskrümmung der Brustwirbelsäule so sehr häufig ist und weit häufiger zu Stande kommt, als eine linkseitige Krümmung, hat seinen Grund hauptsächlich mit darin, daß eine Brustkrümmung nach rechts schon von Jugend auf mehr oder weniger ausgesprochen ist und eine natürliche zu sein scheint. Man hält sie für das Product der angeborenen Ungleichheit des Brustkastens (der in seiner rechten Hälfte größer ist) und des vorwaltenden Gebrauchs des rechten Armes. Bei kleinen Kindern, welche noch nicht viel mit dem rechten Arme gethan haben, fehlt diese rechtseitige Brustkrümmung, die übrigens so wenig auffallend ist, daß sie in der Regel ganz übersehen wird. – So lange nun die auf die Wirbelsäule wirkenden Kräfte einander das Gleichgewicht halten, kann keine seitliche Verkrümmung entstehen; wird aber der Schwerpunkt vorwiegend auf eine Seitenhälfte der Wirbel verlegt, so erzeugt der auf diese Hälfte wirkende zu große Druck hier eine Behinderung der Ernährung und dadurch eine Höhenabnahme dieser Wirbelhälfte, so daß also dann die seitliche Rückgratsverkrümmung hauptsächlich auf einem ungleichen, durch Druck erzeugten Wirbelbaue beruht, wobei die der convexen Seite zugekehrten Wirbelhälften schwer aufeinander gepreßt und zugleich nach der entgegengesetzten Seite gedrängt werden. Solche Veränderungen treten aber während des Wachsthums, zu einer Zeit, wo die Wirbel noch in der Entwickelung begriffen sind, am leichtesten ein. – Störungen der Gleichgewichtsverhältnisse der Wirbelsäule kommen nun aber schon von der ersten Kindheit an gar nicht selten vor, und deshalb findet sich die seitliche Verkrümmung des Rückgrates, welche durch die große Biegsamkeit des wachsenden Rückgrates und die unkräftige Rückenmusculatur begünstigt wird, auch schon vor den Schuljahren so häufig. Kleine Kinder werden leicht dadurch schief, daß sie zu zeitig aus dem Wickelbettchen genommen und zum Aufsitzen und Laufen gezwungen werden, daß man sie beständig auf demselben Arme trägt und stets an der nämlichen Hand führt, daß sie zu lange stehen und stillsitzen müssen (wobei das müde Kind zusammensinkt und sich nach seitwärts krümmt), und daß sie jahrelang Zimmerthüren mit hochangebrachten Klinken mit derselben Hand öffnen. Es trägt ferner noch zum Schiefwerden bei: das zur Gewohnheit gewordene Schiefstehen, Schiefsitzen, Höhertragen einer Schulter, das Tragen von Gegenständen nur auf dem einen Arme, die falsche Haltung beim Arbeiten im Sitzen (besonders bei den weiblichen Handarbeiten), das Stützen nur des einen Armes auf hohen Tisch, Rahmen etc., ungenügende und ungleichmäßige Muskelthätigkeit auf der einen Seite des Rückens. – Auch beim leichtestem Anfange muß die Scoliose sogleich beachtet und als ein schwer zu heilendes Uebel energisch und consequent behandelt werden. Am gefährlichsten für die Ausbildung dieser Rückgratsverkrümmung sind die Zeiten, in welchen das Kind rasch wächst, besonders zwischen dem zwölften und vierzehnten Jahre, wo sie oft plötzlich rasche und bedeutende Fortschritte macht. – Die ersten Spuren der Scoliose zeigen sich in der Regel am untern Winkel des (rechten) Schulterblattes, welcher etwas mehr hervorragt. Dann tritt der hintere Rand des Schulterblattes in ein anderes Verhältniß zu den Stachelfortsätzen der Brustwirbelsäule, als derselbe Rand des andern Schulterblattes, und nach und nach bildet sich eine Einbiegung zwischen der (rechten) zwölften Rippe und dem Hüftkamme aus.
Durch die Schule wird bei manchen Kindern eine krankhafte Rechtskrümmung der Brustwirbelsäule veranlaßt; häufiger aber noch wird hier eine schon beim Eintritt in die Schule vorhandene Scoliose geringeren Grades bedeutend gesteigert. Dies hat seinen Grund darin, daß der Schüler entweder vom Lehrer zur richtigen Haltung beim Sitzen nicht angehalten wird, oder daß theils in Folge von Ermüdung der Rückenmuskeln, theils in Folge unzweckmäßiger Subsellien (zu hoher Tischplatten und zu großen Abstandes der Bank vom Tische) der Schüler zum Schiefsitzen gezwungen ist. – Was die Haltung des Schülers, besonders beim Arbeiten (vorzugsweise beim Schreiben) im Sitzen, betrifft, so muß diese eine solche sein, daß bei geradem Sitzen die beiden Schultern desselben stets in gleicher Höhe stehen, und nicht etwa die eine (die rechte) eine weit höhere Stellung als die andere einnimmt. Vorzugsweise beim Schreiben nehmen die Kinder, wenn sie über die richtige Schreibstellung nicht belehrt werden, aus Nachlässigkeit und Ermüdung, oder wenn sie an zu hohem Tische schreiben müssen, eine so üble Haltung an, daß dabei die Stellung des Rückgrates ganz der beim ausgebildeten Schiefsein gleicht. Es besteht diese falsche Haltung aber darin, daß (bei nach vorn gekrümmter und nach rechts gedrehter Wirbelsäule, sowie bei nach vorn und links gebeugtem Kopfe und Rumpfe) nur der ganze rechte Vorderarm auf den Tisch fest aufgelegt wird, während der linke Arm bis zur Hand vom Tische heruntergezogen und an die linke Seite des Rumpfes angepreßt ist. Auf diese Weise muß natürlich die rechte Schulter weit höher als die linke zu stehen kommen. Die richtige Haltung des sitzenden und arbeitenden (schreibenden oder zeichnenden) Kindes bestehe nun darin, daß der Oberkörper desselben vollkommen aufrecht erhalten wird, beide Vorderarme bis etwa zu ihrer Mitte (nicht bis mit den Ellenbogen) auf den Tisch aufgelegt werden und die Querachse des Körpers mit dem Tischrande parallel liegt, so daß das Kind gerade und so nahe als möglich vor dem Tische sitzt, seine Stütze im Rückgrate und nicht in den aufgelegten Armen findet, und daß seine beiden Schultern in ganz gleicher Höhe stehen. Natürlich müssen die Subsellien so eingerichtet sein, daß sie eine solche richtige Haltung des Kindes ermöglichen, daß also Tische und Bänke in richtigem Verhältnisse zu der verschiedenen Körpergröße der Kinder stehen, der Tisch ja nicht zu hoch und der Abstand der Bank vom Tische nicht zu groß sei. Auch müssen die Füße und Oberschenkel mit dem größten Theile ihrer Unterfläche ordentlich ausruhen können.
Bei den zweckmäßigsten Subsellien (Tischen und Bänken) würde nun aber das Schulkind doch schief werden müssen, wenn demselben vom Lehrer zugemuthet würde, länger, als es die Rückgratsstreckmuskeln aushalten können, gerade zu sitzen. Und hierin wird von den Lehrern am meisten gefehlt, und zwar deshalb, weil sie auf die Beschaffenheit der Musculatur ihrer Schüler gar keine Rücksicht nehmen, und weil sie meinen, die Bänke müßten Lehnen zur Unterstützung des Geradesitzen haben, nicht aber zum Ausruhen der beim Geradesitzen angestrengten Rückenmuskeln durch behagliches Anlehnen. Wenn auch in Folge des schlangenförmigen Baues der Wirbelsäule Kopf und Rumpf bei aufrechter Haltung im Stehen und Sitzen ohne große Muskelanstrengung in der [821] Balance gehalten werden können, so müssen doch dabei immer noch die Nacken- und Rückenmuskeln mitwirken. Diese werden nun aber beim längeren Gerade- und Stillsitzen durch Ueberanstrengung schwach und matt; es häufen sich in ihrem Gewebe „ermüdende Stoffe“ (s. Gartenlaube 1870 S. 71.) an und der Rumpf sinkt nun zusammen, und zwar meist nach der linken Seite, was nach und nach eine bleibende Verkrümmung der Wirbelsäule nach sich ziehen kann. Um dies zu verhüten, ist es die Pflicht der Lehrer, ihre Schüler zumal die bleichen mageren Mädchen mit schlaffer Musculatur, nicht zu lange gerade sitzen und nach dem Geradesitzen sich ordentlich anlehnen zu lassen. Zu diesem und zwar nur zu diesem Zwecke sind Lehnen an Schulbänken unentbehrlich, und diejenige Lehne ist die beste, an welcher das Ausruhen recht behaglich vor sich gehen kann, also eine gehörig hohe und recht schräg gestellte, womöglich etwas ausgehöhlte Rückenlehne. Auch kann das Ausruhen dadurch noch bewerkstelligt werden, daß sich das Kind bei vorgebogenem Oberkörper mit beiden Armen auf die Tafel, aber so auflehnt, daß beide Schultern gleich hoch stehen. Im Hause lasse man durch langes Sitzen ermüdete Kinder sich durch Horizontalliegen ausruhen. Die niedrigen Kreuzlehnen nützen zum Ausruhen ganz und gar nichts. Sie erfüllen aber auch nicht einmal den Zweck, zu welchem man sie bestimmt hat, nämlich zur Unterstützung beim Geradesitzen. Sie sind vielmehr den meisten Schulkindern unbequem und werden deshalb von diesen auch fast gar nicht benutzt. So haben selbst Lehrer, die für die Kreuzlehne schwärmten, zugegeben, daß ihre niedrige Lehne leider selten von den Schülern beim Schreiben wirklich benutzt wird. Es kann auch sicherlich niemals eine solche Schulbank construirt werden, welche dem Schüler das Geradesitzen ohne Mithülfe seiner Rückenmuskeln erlaubt und das gehörige Ausruhen dieser Muskeln, sowie die Aufmerksamkeit des Lehrers auf die richtige Sitzhaltung der Schüler unnöthig macht.
An zweckmäßige Subsellien hat man also folgende Forderungen zu stellen: sie müssen jedem Schüler (dem großen wie dem kleinen) einen bequemen, ebenso zum Arbeiten, wie zum Ausruhen passenden Sitz bieten, welcher denselben nicht wie in einen Schraubstock einzwängt und denselben nicht zwingt, seinem Körper beim Arbeiten eine schlechte Haltung und seinem Auge eine falsche (zu nahe) Stellung zum Sehgegenstande zu geben. Es muß ein solches Subsellium, bei welchem der Abstand zwischen Bank und Tisch (die Distanz) nicht zu weit und die Höhe des Tisches zur Bank (die Differenz) weder zu gering noch zu groß sein darf, dem Schüler gehörigen Raum zum Stehen und Bewegen, sowie zum Vor- und Hinterrücken auf dem Sitze (zum Wechseln zwischen der vordern und hintern Sitzlage) geben. Ganz unentbehrlich ist aber an demselben eine passende (gehörig hohe, der Form des Rückens entsprechende und sehr schräg gestellte) Rückenlehne zum Ausruhen der Nacken- und Rückenmuskeln, welche beim Geradesitzen ermüdeten. Daß der Lehrer diese Lehne auch zur richtigen Zeit und in passender Dauer, nach dem Grade der Anstrengung beim Geradesitzen und nach der Constitution des Schülers, von diesem benutzen lassen muß, braucht wohl nicht weiter auseinandergesetzt zu werden. Und daß der verschiedenen Größe der Schüler angepaßte Subsellien in einer Schule vorhanden sein müssen, versteht sich wohl auch von selbst. Um nicht zu viele, verschieden hohe Subsellien anschaffen zu müssen, können für die kleineren Schüler Unterlagen auf den Bänken oder in ihrer Höhe veränderliche Tische oder Bänke benutzt werden, auch sind die Schüler nach ihrer körperlichen Größe und nicht nach ihren Leistungen zu placiren. – Schließlich sei noch der ganz verkehrten Handlungsweise mancher Lehrer und Erzieher gedacht, welche darin besteht, daß sie ein durch längeres Geradesitzen ermüdetes Kind durch nachfolgendes Turnen, also durch weiteres Ermüden, wieder kräftigen wollen; Liegen thut einem solchen Kinde am besten.
(Fortsetzung.)
So war wieder einige Zeit vergangen, und der Junge zwölf Jahre alt geworden, als ihm sein Stiefvater eines Tages eröffnete, er habe ihn dem Schwager Felix zur Verfügung gestellt, und dieser wolle ihn als Geiser (Ziegenhirt) auf der Alp Pfuns verwenden. Ludwig war froh, aus dem elterlichen Hause zu kommen, packte seine „sieben Zwetschgen“ in einen Korb zusammen und stieg, einem älteren Geiser folgend, zwei krumme Federn und einen hölzernen Löffel auf dem Hute, getrost hinauf nach Pfuns.
Dieses sein erstes Alpenleben beschreibt nun Ludwig Rainer in folgender Weise:
„Ich befand mich auf der Alpe ganz gut und wohl. Was ich da zu thun hatte, war Morgens und Abends meine Ziegen zu melken und meinem Melcher (Senner) in der Hütte sonst etwas behülflich zu sein. Der Melcher war ein prächtiger Mensch, desgleichen auch der Hüter und Halbkäser. Alle waren mir sehr zugethan, weil ich ihnen viel Kurzweil mit meinem Singen machte. Meine Stimme verbesserte sich auch von Tag zu Tag. Zeit und Gelegenheit, sie zu üben, war ja genug gegeben. Und da ich zu Hause überaus eingeschränkt gewesen, und immer das wilde Gesicht meines Stiefvaters, vor dem bereits Alles zitterte, zu fürchten hatte; so fühlte ich mich so frei und glücklich wie der Vogel in der Luft, der nach langer Gefangenschaft aus seinem Käfig entkommen. Ja, ewig bleibt das Sprüchwort wahr: ‚Nur wo die Gemsen springen, kann man von Freiheit singen.‘ O, wie zufrieden und glücklich fühlte ich mich, wenn ich auf einer hohen Bergspitze saß und in die Tiefen hinunterblickte, wenn die Ziegen so frisch um mich herum hüpften, wenn die dicken Nebelwolken gleich Pfeilen mit Windesschnelle aus den Thälern heraufschossen, wenn das ferne Geläute der Rinder so lieblich von Berg zu Berg tönte, wenn ich die fröhlichen Gesänge der Alpenhirten von den höchsten Felsen herunter beantwortete, daß es zehnfach im Gebirge widerhallte, oder mein Stücklein Butterbrod bei einem frischen Quell verzehrte!
So suchten wir uns denn die müßige Zeit oftmals mit Gesang zu vertreiben. Einer von den Sennern spielte auch die Geige, zwar sehr erbärmlich, aber dennoch horchten die Melcher hoch auf, wenn er seine Zaubertöne erschallen ließ, und wir Alle glaubten, auf unserer Alpe den zweiten Paganini zu haben. Er war auch ungeheuer stolz auf seine Kunst.“
In jenen Tagen seines heiteren Almenlebens widerfuhr unserem Freunde übrigens noch ein besonderes Abenteuer, welches hier erwähnt zu werden verdient. Die Erzählung, die wir freilich etwas kürzen mußten, lautet ungefähr so:
„Zur selbigen Zeit war auch ein guter Bekannter, Felix Margreiter von Fügen, bei uns auf der Alm. Er war eigentlich ein Handelsmann, welcher nur im Sommer, weil er immer etwas gebrechlich war, ein paar Monate auf der Alpe Pfuns zubrachte, da er ein guter Freund und Nachbar von Felix Rainer war. Er war dabei ein sehr fideler Kunde und wußte gewiß überall den rechten Tact zu schlagen, wenn etwas Lustiges vor sich ging.
Eines Abends nun, als es schon finstre Nacht geworden, saßen wir, wie gewöhnlich, beim Feuer beisammen; als wir plötzlich durch einen Schuß und fernes Jauchzen aufgeschreckt wurden und uns vor die Hütte begaben, um zu sehen, was dies bedeuten sollte. Wir sahen da tief unten im Thale beim Scheine einer Fackel drei Gestalten sich hin und her bewegen, die von Zeit zu Zeit durch lautes Juchhezen zu erkennen gaben, daß sie bei so dunkler Nacht den Weg nicht mehr finden konnten. Es wurde ihnen nun durch ein angemachtes Feuer das Ziel gezeigt, und zwei von den Melchern gingen ihnen mit brennenden Fackeln entgegen, um sie den nächsten Weg zu den Hütten zu führen. Als sie etwa eine Stunde später bei uns ankamen, und wir drei gute Freunde aus Fügen erkannten, welche den Felix besuchen wollten, so war die Freude, daß wir ihre Nothzeichen gehört und sie durch unsern Beistand so glücklich angekommen, nur desto größer.
Als nun nach eingenommenem Nachtmahle berathen wurde, was man am kommenden Morgen thun solle, machte Felix Margreiter den Vorschlag, über die Jöcher einen Ausflug nach Dux zu unternehmen. In drei Stunden könnte man leicht hinübergehen. [822] übergehen. Ich sollte auch mitkommen, um den Duxern etwas vorzusingen, und als Felix Margreiter tröstlich sagte: ‚Dich kostet’s Nichts, wir bezahlen Alles,‘ hat es mich bereits vom Boden gehoben vor Freude.
Nun fehlte mir aber noch die nöthige Kleidung zu dieser Wanderschaft. Ich hatte nur Holzschuhe anzulegen, meine Hosen waren voller Schmutz, mein Kittel ganz schmierig, doch fiel mir ein, daß mir meine Mutter beim Auszug auf die Alm auch ein neues Hemd und eine Unterhose eingepackt hatte. Letztere hatte zwar keinen Sack, ich vermißte ihn aber auch nicht, da ich doch keinen Geldbeutel einzustecken hatte. Felix Margreiter tröstete mich überdies: es sei Alles gut genug, denn die Duxer verstünden das nicht. – Das Beste von Allem war mein Hut mit den zwei krummen Federn.
Beim ersten Tagesgrauen waren wir schon auf dem Wege. Der Morgen war herrlich; der Auerhahn falzte in dem Gehölze, die Schneehühner zwitscherten fröhlich und die alten Jochgeier krächzten von den Felsenhöhlen herunter ihren Baß dazu. Nachdem wir etliche Stunden in der erhabensten Gebirgslandschaft gegangen und bis zum Dreieckstein gekommen waren, wo der Weg an den höchsten Abgründen hinführt, trafen wir etwas unter dem Gipfel ein wunderschönes grünes Plätzchen sammt einer prächtigen Quelle. Doch war es gar unheimlich, rings herum in die Abgründe hinunter zu schauen, und Jedem, der es versuchte, lief es eiskalt durch die Adern. Da die Sonne schon hoch und heiß über uns stand, so hieß es aber bald allgemein, wir sollten hier ein wenig ausruhen, denn wir kämen noch früh genug in’s Dux. So versank denn Einer nach dem Andern in einen erquickenden Schlummer und träumte, was ihm beliebte, als uns plötzlich ein fürchterlicher Donnerschlag aus dem Schlafe aufschreckte. Wie staunten wir Alle uns jetzt in völliger Finsterniß wiederzufinden! Wer eine Uhr hatte, sah zuerst auf diese, in der irrigen Meinung, wir hätten den ganzen Tag verschlafen und seien nun von der Nacht überfallen worden. Aber noch mehr staunten wir Alle, als die Uhr erst elf Uhr Mittags zeigte.
Es war also ein Gewitter über uns gekommen, ein furchtbares Hochgewitter, und die schwarzen Wolken lagen so hart an uns, daß wir keine zwei Klafter weit sehen konnten. Todtenbleich blickte Einer den Andern an, und Keiner wußte zu rathen oder zu helfen. Ringsum die fürchterlichen Abgründe und nirgends ein Schlupfwinkel, wo wir uns vor dem Andrang des Regens, der wie ein Wildbach auf uns niederstürzte, hätten schützen können.
In wenigen Augenblicken waren wir auch schon so naß, daß die Wässer unten bei den Hosen herausliefen. Dazu kam noch ein entsetzlicher Sturm, der uns in die grauenvolle Tiefe hinunterzuschleudern drohte; die Blitze schlugen rechts und links in das Felsgestein, und der Donner brüllte fort und fort, daß es das ganze Gebirge erschütterte. Bald fing es auch an zu schauern, so daß wir nach kurzer Zeit bis über die Knöchel in den Hagelkörnern standen, welche wie Baumnüsse auf unsere Häupter niederrieselten. Wir waren bereits starr vor Frost, aber als unser Elend aus das Höchste gestiegen, hatte Felix Margreiter wieder einen guten Einfall. Wir führte nämlich alle Fünf große Bergstöcke mit uns, und diese wurde jetzt auf seinen Vorschlag entzweigebrochen, einer davon auch klein gespalten, und so loderte in wenigen Minuten an der Felswand das schönste Feuer auf.
Während wir uns nun zu erwärmen und zu erheitern suchten, zog sich das Gewitter allmählich in das Thal hinab. Gegen vier Uhr stieg auch die Sonne, doch sehr matt und schwach, aus den dicken Wolken heraus, welche unter uns immer noch fortdonnerten. Wie froh waren wir aber, als wir dies schauerliche und doch so schöne Plätzchen wieder verlassen konnten! Doch ging es lange nur Schritt für Schritt an den Felswänden hin, weil das schmale Weglein sehr schlüpfrig geworden und unsere Bergstöcke verbrannt waren. Endlich um neun Uhr erreichten wir Lannersbach, den Hauptort im Duxerthal, und gingen sogleich zum Jörgel, dem berühmten Duxerwirth, welcher Anno neun unter Andreas Hofer eine große Rolle gespielt hatte und in der ganzen Gegend als ein lustiges Haus bekannt war. Er nahm uns sehr freundlich auf; wir setzten uns um einen runden Tisch, erzählten den Gästen, welche mit gespannten Ohren zuhörten, Alles, was wir seit dem Morgen erlebt, und fingen dann wacker zu zechen an. Alsbald erschien auch der Lehrer, und wir begannen nun zu singen. Die Duxer kamen schaarenweise in die Stube, bald war das ganze Haus geschlagen voll und Jörgel zeigte sich ungemein vergnügt, daß wir ihm heute einen so einträglichen Abend zu Wege gebracht. Uns ließ er eine Maß nach der andern aufsetzen, damit ja der Gesang nicht ausginge, und so blieben wir denn bis tief in die Nacht in fröhlichster Stimmung beisammen.
Den andern Morgen kam Jörgel zu guter Zeit mit einer Branntweinflasche an unser Bett und drängte uns, heute ja noch hier zu bleiben; wir sollten Alles frei haben. Da nämlich diesen Morgen das Begräbniß eines reichen Bauern und danach, wie es landesüblich, eine Todtenzehrung bevorstand, so gedachte Jörgel, die Leute durch unsere Unterhaltung je länger, je lieber festzuhalten, und er hatte wirklich, wie es sich später zeigte, ganz richtig speculirt. Bald kam auch der Lehrer und holte uns auf den Chor ab, wo wir bei dem Trauergottesdienst singen sollten. Ich hatte in meinem Leben freilich noch nie auf einem Chor gesungen, war auch noch nie in einer Unterhose in die Kirche gegangen, allein in Dux schaute mich Niemand drum an. Nach der Beerdigung begann das Hochamt, und wir Anderen fingen zu singen an, lauter bekannte Alpenmelodieen, in die wir nur die Worte: Requiem aeternam dona eis, domine einlegten. Die guten Duxer waren gleichwohl mit unseren Leistungen sehr zufrieden und nach beendetem Gottesdienste erwarteten uns über hundert Neugierige an der Kirchgasse, welche uns dann alle in’s Wirthshaus folgten.
Dort begann nunmehr das Todtenmahl, und wir wurden von den Erben Alle zur Tafel gezogen. Diese wollte lange gar kein Ende nehmen; nach den Nudeln kamen Kücheln, nach den Kücheln wieder Nudeln und dazu wurde immer tüchtig getrunken. Bald bat man uns auch, zu singen, und als wir unsere Lieder erschallen ließen, wurde Alles noch lebendiger, so daß man eher hätte glauben sollen, es werde eine fröhliche Hochzeit gefeiert. Die arme Seele im Fegfeuer war ganz vergessen, bis endlich Nachmittags um zwei Uhr wieder ‚Herr, gieb ihnen die ewige Ruhe‘ gebetet wurde, womit die Tafel zu Ende war. Die Leute gingen aber gleichwohl nicht aus dem Wirthshause, sondern zechten noch bis in die Nacht hinein, und auch wir kamen erst sehr spät zu Bette. Am andern Mittag traten wir nach freundlichem Abschiede und mit Dank überschüttet den Rückweg an und erreichten gegen Abend wieder unsere Alm.“
Aber auch dieser schöne Sommer verging, und es kam der Herbst und mit ihm die Zeit der Heimfahrt. Unser Freund schied sehr ungern von der Alm, denn er freute sich nicht viel auf das Vaterhaus und noch weniger auf die Schule, die er im Winter wieder besuchen sollte.
Nun ging’s also an die Heimfahrt, welche Ludwig Rainer schildert, wie folgt:
„Am Vorabend wurden alle Kuhglocken reinlich geputzt und Büschel gebunden für den Melcher, den Hüter, den Halbkäser und für mich. Am andern Morgen um vier Uhr wurde das Vieh aus dem Stalle gelassen, mit den Glocken behängt und ebenfalls mit Büscheln und Federn geziert. Dann wurde der Zug geordnet. Der Melcher trieb in seinem schwarzen Hemd und rothen Hosenträgern die reichgeschmückte Maierkuh, welche sich Zottel nannte, voraus; die übrigen Kühe folgten ihm nach voll Selbstgefühl, als wenn sie gewußt hätten, wie schön sie heute verziert waren. Hierauf kam der Hüter mit seinem aufgewichsten Schnurrbart, und diesem folgte das Rindvieh und die Schaar der Schweine, die der Halbkäser mit seinem großen Rautenstrauße auf dem Hute zu hüten und zu lenken hatte. Den Schluß des Zuges bildete ich mit meinen Geisen und Schafen, welche ich stolz vor mir hertrieb. Einer meiner Geisen hatte ich sogar einen Kranz mit Federn aufgesteckt, weil sie auf der ganzen Alpe Pfuns die Königin war.
Als wir abwärts kamen, strömten die Leute rechts und links aus den Häusern herbei, um unsern Zug zu sehen und uns freundlich die Hand zu reichen. Unser Vieh war allbekannt das schönste und schwerste in der ganzen Gegend, und wir bildeten uns nicht wenig ein darauf. Felix, mein Oheim, der Almbauer, wie man bei uns sagt, erwartete uns am Eingange des Dorfes mit einer Flasche Schnaps und begrüßte uns herzlich, sammt hundert anderen neugierigen Zuschauern. Meine Mutter dagegen jammerte hoch auf, als sie mich so schmutzig daherkommen sah; ich aber sagte ihr mit männlichem Ernste: ‚das ist bei uns Almern so der Brauch.‘ Ich war auch wirklich sehr stolz auf mein schwarzes [823] Hemd, welches ich mir zur Heimfahrt mit Fleiß noch schwärzer gemacht hatte.[2]
Als der Zug endlich bei meinem Oheim, unserm Almbauer, angekommen und das Vieh in den Ställen versorgt war, wurde uns mit Speis’ und Trank gar prächtig aufgewartet. Nachdem wir nun bis zum späten Abend so fröhlich beisammen gewesen, zahlte Felix einem Jeden seinen ausgemachten Lohn aus, wie es bei den Aelplern Sitte ist, weil sie nur für die Sommermonate angestellt werden, und dann nahmen wir Alle herzlichen Abschied von einander. Mir gab der Onkel einen Thaler extra, obwohl mir eigentlich kein Lohn gebührt hätte, da mich mein Vater nur aus Gefälligkeit abgegeben hatte. Dieser Thaler wurde zu meinem übrigen Schatzgeld gelegt, denn ich hatte schon gegen fünfzig Gulden schönes Silber beisammen.
Als ich nun an jenem Abend zu Hause ankam, hatte meine Mutter auch schon heißes Wasser und reine Wäsche in Bereitschaft. Ich wurde wider meinen Willen gleich einem Schäflein gebadet und säuberlich hergerichtet, und fühlte mich dann, obwohl ich von meinem schwarzen Almenhemde sehr ungern schied, doch frisch und froh wie neugeboren.“
Im nächsten Jahre wurde Ludwig Rainer zur besseren Ausbildung in die dritte Classe der deutschen Schule nach Innsbruck gebracht. Er gesteht aber selbst ein, daß er dort, fast ohne Aufsicht gelassen, bald ein zügelloser Wildfang geworden sei und Nichts gelernt habe.
Als das Jahr vorüber und der Junge heimgekommen war, hatten die Eltern keine Lust mehr, ihn wieder in die Stadt zu schicken, behielten ihn vielmehr zu Hause und verwendeten ihn zur Bauernarbeit. Immer bemüht, dem Gatten Freude zu machen, ohne viel Dank dafür zu ernten, erkaufte die Mutter um diese Zeit dessen väterliches Anwesen, und damit gewann denn auch die ganze Wirthschaft einen höheren Schwung. Der Vater aber nahm seine Mutter, „eine alte Hexe“, seine Schwester und andere Verwandte in das Haus, denen der Stiefsohn Allen verhaßt war. Sie quälten ihn auch auf jede Art, und er hätte Hungers sterben können, wenn ihm nicht seine Mutter hin und wieder einen vertrauten Bissen zugesteckt hätte.
Unerwarteter Weise entschlossen sich damals die Geschwister Rainer noch einmal, eine Reise nach England zu unternehmen. Es lockte sie dazu die bevorstehende Krönung der jungen Königin (Juni 1838), und sie hofften noch einmal viel reiche Schätze zu ersingen. Doch kam die frühere Gesellschaft, wie wir schon oben bemerkt, nicht mehr unversehrt zusammen, denn Anton, der mittlerweile Postmeister zu Schwaz geworden, wollte sein Hauswesen nicht verlassen, so daß an seine Stelle ein Verwandter von Schlitters, Georg Hauser, eintreten mußte. Ludwig erhielt vor der Abreise von der Mutter noch die besten Lehren, und versprach ihr, geduldig auszuharren. Dieses Versprechen war aber leichter zu geben, als zu halten. Die Rohheit des Vaters vertrieb ihn bald aus dem elterlichen Hause und er ging als ein Flüchtling wieder nach Zell zu seinen Pflegerinnen, die ihn lieb und freundlich aufnahmen und ihm Herberge gaben, bis eines Morgens die Mutter ganz unverhofft zur Stubenthür hereintrat. Sie war unangemeldet aus England zurückgekommen, wo sie und ihre Gefährten wenig Seide gesponnen hatten. Es waren dort nämlich in der Zwischenzeit viele falsche Tiroler als Natursänger aufgetreten und hatten das Geschäft so verdorben, daß dieses Mal die echten Jedes bei sechshundert Gulden einbüßen mußten.
Die Mutter erfuhr nun, wie es ihrem Sohne mittlerweile ergangen, faßte einen festen Vorsatz und zerstörte das ganze Wespennest im Hause. Schwiegermutter, Schwägerin, Vettern und Basen, Alle mußten fort, was ihnen Jedermann vergönnte, denn es hatte sie Niemand leiden mögen. Auch der Vater erhielt ausnahmsweise einen derben Verweis, denn er hatte in der Gattin Abwesenheit wie ein Prasser gelebt und unnütz viel Geld verthan. Ludwig Rainer aber trat bei seinem Vater wieder als Roßknecht ein und ward von ihm viel besser behandelt, denn früher.
Nachgerade war auch die Zeit der ersten Liebe gekommen. Ludwig hatte von Jugend auf unschuldige Freundschaft mit einem Mädchen aus dem nahen Weiler Finsing gepflogen. Sie hieß Hannele und war die Tochter des Gassenwirths daselbst. Als sie mehr und mehr heranwuchsen und das alte Verhältniß aufrecht hielten, waren, wie es schien, auch die beiderseitigen Eltern nicht dagegen.
Als nun Ludwig Rainer wieder einmal auf Besuch zum Gassenwirth kam, fand er das Mädchen ganz traurig und niedergeschlagen. Ihr Vater, erklärte sie, habe beschlossen auf den Viehhandel nach Rußland zu gehen und sie bis zu seiner Wiederkunft in ein Kloster zu geben. Und wirklich wurde sie auch kurz darnach auf ein Jahr zu den Ursulinerinnen nach Innsbruck gebracht.
Nach mehreren Monaten traf es sich, daß Ludwig, den Herrn Verwalter, Doctor Werfer, nach Innsbruck zu führen hatte. Er hoffte, dort sein Hannele wiederzusehen, und freute sich unbeschreiblich darauf. In Innsbruck kehrten sie in der Sonne ein, wo sich der Verwalter drei Tage aufzuhalten gedachte. Ludwig schlich sich nun vorerst listig um das Kloster herum, pfiff, hustete, sang, aber Alles vergebens. Er stieg auf die Gartenmauer und lauerte, aber auch umsonst. Endlich fiel ihm ein, einen alten Cameraden von der Schule her zu besuchen, ein leichtsinniges verwegenes Bürschlein, mit dem er schon damals allerlei kecke Stücklein ausgeführt. Dieser, jetzt Student, wußte auch bald Rath.
„Da Hannele’s Bruder ebenfalls studirte, so lieh mir mein Freund seine Kleider, damit ich mich für ihren Bruder ausgeben konnte. Ferner schrieb er an das Mädchen einen Brief, als wäre er von ihrer Mutter – lauter belehrende und erbauliche Sprüche, weil ihn doch die Aebtissin in die Hände bekommen mußte. Auch verfaßte er mir ein falsches Zeugniß im Namen des Professors, bei welchem ihr Bruder in die Schule ging. So ausgerüstet begab ich mich an die Klosterpforte und zog mit klopfendem Herzen die große dumpfe Glocke. Nach langem Harren kam endlich die Portnerin und frug mit leiser Stimme nach meinem Begehr. Ich brachte meinen Brief zum Vorschein, sagte, daß ich im Kloster eine Schwester habe und ihr diesen übergeben möchte. Sie sei gebeten mich gefälligst bei der Oberin zu melden. Auch übergab ich ihr das falsche Zeugniß, damit jene wirklich sehe, daß ich der fragliche Bruder sei. Nach dieser Unterredung verschwand die Portnerin. Und wiederum nach einer langen Zeit erschien die Aebtissin von zwei Nonnen begleitet am Gitter der Pforte. Sie betrachtete mich eine gute Weile, frug mich bald Dieses, bald Jenes, erhielt aber immer unerschrocken Antwort, so daß sie zuletzt nicht mehr zweifelte, daß ich derjenige sei, für den ich mich ausgab. Sie stellte mir dann das Zeugniß zurück und befahl mir zu warten, bis sich die eiserne Pforte öffnen würde, die in das innere Gewölbe hinabführt; dort würde ich meine Schwester finden. Ich harrte. abermals lange – mein Blut rollte wild in meinen Adern auf und ab, das Herz pochte mir aus Furcht, vielleicht erkannt zu werden –, bis sich endlich die eiserne Pforte mit lautem Geprassel öffnete. Eine steinerne Wendeltreppe führte mich in ein unterirdisches Gewölbe. Dort hing in einer Ecke bei schwachem Lampenschein ein düsteres Bild des gekreuzigten Erlösers. Darunter stand ein kleiner Betschemel und auf diesem ein Todtenkopf. Alles war so still wie in tiefer Mitternacht. Alle Haare standen mir zu Berge, als ich wahrnahm, daß sich die Pforte, durch welche ich gekommen war, wieder schloß. Wenn ich entlarvt wurde, wie konnte es mir ergehen!
Auch an diesem schauerlichen Orte mußte ich lange warten. Endlich öffnete sich eine kleine Seitenthür und von zwei Nonnen behütet trat mein geliebtes Hannele herein. Bei dem schwachen Lampenschimmer erkannte sie mich anfangs nicht; auch meine Kleidung mochte sie irre machen – als ich aber näher trat, rief sie: ‚Ludwig!‘, riß den Klosterfrauen aus und hing an meinem Halse! Mir fuhr es wie ein Dolch durch das Herz; als ich meinen Namen hörte; doch die beiden Frauen schienen ihn zum Glück nicht verstanden zu haben. Gleichwohl zogen sie das Mädchen aus meinen Armen zurück; aber ich hatte der Geliebten schon zuflüstern können, daß ich als ihr Bruder hier sei, und hatte ihr auch schon einen andern Brief heimlich beigebracht, wogegen ich ihr das angebliche Schreiben ihrer Mutter unter den Augen der Nonnen übergab. Natürlich konnte ich mit ihr nur über heilige Sachen discurriren, aber unsere Augen verstanden sich ganz gut. Ich ersuchte auch und bat, man möge die Schwester doch [824] mit dem Bruder auf etliche Stunden in’s Freie lassen, fand aber keine Erhörung.
Endlich mußten wir uns trennen. Ich gab dem Mädchen noch einen langen Abschiedskuß; dann wurde sie von mir gerissen und in das dunkle Gemäuer des Klosters zurückgeführt.
Als sich die eiserne Pforte wieder hinter mir geschlossen hatte, schien mir Alles wie ein Traum. Traurig verließ ich den unheimlichen Ort. Auf der Gasse erwartete mich mein Nothhelfer und begleitete mich in’s Wirthshaus zu einer Flasche Wein, bei welcher ich bald wieder heiter wurde. Und nachdem der Herr Verwalter seine Geschäfte abgemacht, fuhren wir wieder in’s schöne Zillerthal zurück.“
Versailles, Mitte November.
Seitdem in den ersten Tagen des October das große königliche Hauptquartier von Ferrière, dem Schlosse Rothschild’s, nach
Versailles verlegt wurde und dort nun gleichzeitig mit dem kronprinzlichen und dem der dritten Armee manche Woche lang seinen festen Stand genommen hat, ist von „Märschen des Hauptquartiers“ in Berichten vom Kriegsschauplatze keine Rede mehr gewesen. Diese Rubrik ist aus den Zeitungsspalten gleichsam verschwunden, während früher, bei dem schnellen sieghaften Vorrücken der großen Armeekörper, der Hauptquartiermärsche in jeder Woche mindestens drei Mal Erwähnung geschah. Aber eben nur Erwähnung. Der
Berichterstatter ist ja so leicht versucht, das, was ihm selbst aus steter Anschauung vertraut und geläufig ist, auch bei seinen Lesern als bekannt vorauszusetzen. Ja, diese selbst lesen achtlos über dergleichen hinweg, und doch, wie viele meiner verehrten daheimgebliebenen Leser werden sich wirklich klar darüber sein, was das heißt: das Hauptquartier marschirte heute von da nach dorthin, oder wurde gestern von X. nach Y. verlegt? ja, wie viele werden nur wissen, was allein schon dieses Sammelwesen „das Hauptquartier“ eigentlich ist, aus welchen Gliedern, Elementen, Anhängseln es besteht?
Beim Beginn des französischen Krieges wurden - das ist Jedem bekannt - drei Hauptquartiere gebildet; das eine, speciell
durch den Titel des „großen Hauptquartiers“ ausgezeichnet war das des Königs, das andere das des Prinzen Friedrich Karl, das
dritte das der Südarmee, das heißt des Kronprinzen von Preußen. Das erstgenannte blieb bis zu den großen Kämpfen um Metz
förmlich stationär in Mainz und Kaiserslautern. Nach der dritten Entscheidungsschlacht, der von Gravelotte, welche Bazaine’s Heeresmacht dort festbannte, trat es bald parallel dem des kronprinzlichen, bald dessen Route kreuzend, auch seinerseits den schnellen Vormarsch gegen Paris hin an. Statt seiner blieb das des Prinzen Friedrich Karl angesichts jener furchtbaren Veste drittehalb Monate fast localisirt. Das Hauptquartier der deutschen Südarmee aber hat, entsprechend deren unaufhaltsamem Siegeszuge durch den Osten Frankreichs, sich bis Versailles eigentlich in ununterbrochener Bewegung befunden.
Wie einfach auch immer die Sitten, wie schlicht das äußere [825] Auftreten des preußischen Hofes zum Beispiel im Verhältniß zum kaiserlich französischen sein mochte, – so ein reisendes Hauptquartier bildet auch noch bei uns eine Art kleiner Armee, bedeckt marschirend ein gut Stück Wegs, nimmt einquartiert ein gutes Stück des betreffenden Dorfes oder Städtchens ein. Man könnte seinen Gesammtkörper eintheilen in das eigentliche fürstliche Quartier und das damit vereinte Obercommando der betreffenden Armee. Beide haben dieselbe Spitze in dem königlichen oder prinzlichen Oberfeldherrn, also bei der Südarmee in dem Kronprinzen von Preußen. Der speciellere Chef des Quartiers aber unter diesem ist der Oberquartiermeister Oberst von Gottberg, der Chef des Obercommandos unter dem Prinzen der Generallieutenant von Blumenthal. Diesem ordnet sich wieder das ganze Personal seines Generalstabes unter, die Befehlshaber, die Militärbevollmächtigten der alliirten Staaten, die Adjutanten, die Chefs der Intendantur, die Ingenieurgeographen. Das Quartier selbst seinerseits begreift wieder die persönliche prinzliche Adjutantur, die Ordonnanzofficiere, das mit in’s Feld rückende Hofbeamtenpersonal (dieses unter der Leitung des Hofmarschalls Grafen von Eulenburg), die eingeladenen Gäste fürstlichen, militärischen, bürgerlichen Charakters, die Leibärzte etc. Die Dienerschaft, Kutscher, Lakaien, Köche, Officierburschen und Escorte bilden dann schließlich noch eine Unterabtheilung für sich, und der Fuhrwerkpark der unentbehrlichen Colonnen folgt dem langen Zuge. Ein Element, welches im großen königlichen Hauptquartier eine so außerordentlich wichtige Stellung einnimmt, fehlt dem kronprinzlichen dabei noch ganz: die Gruppe der Staatsmänner und Diplomaten der geheimen Cabinetsräthe, Minister, Kanzler, welche während des Kriegszugs selbst die letzte oberste Leitung der inneren Politik nicht aus der Hand lassen und die Thaten der Heere schon für die künftige Gestaltung des Friedens zu verwerthen arbeiten.
Schon die bloße Aufzählung der einzelnen zu einem Hauptquartier
gehörigen Gruppen wird ungefähr ermessen lassen, welche
Personenmenge, welche Anzahl von Pferden und Wagen ein solches
mit sich in’s Feld zu führen hat, welch einen complicirten
Organismus es bildet; wie große Umsicht und Verwaltungstüchtigkeit erforderlich ist, um dies Ganze in wohlgeordnetem Zusammenhange und ungestörtem Functioniren zu erhalten.
Die ersten siegreichen Schlachten sind geschlagen, die tapfere Armee unter Frankreichs berühmtestem Feldherrn aufgelöst, weit in’s Land hinein zerstoben, das mit seinen „natürlichen Wällen“ offen und so gut wie unvertheidigt vor dem Sieger daliegt. Der hat weder Zeit noch Trieb, auf seinen Lorbeeren zu ruhen. Rastlos vorwärts nach der Spur des Gegners ist die allgemeine Losung. Die einzelnen Armeecorps sind dem großen strategischen Plane des Krieges entsprechend auf ihren verschiedenen Marschstraßen vorwärts dirigirt. Die höchsten Anforderungen sind dabei an ihre Marschtüchtigkeit, Kraft, Ausdauer, Ertragungsfähigkeit gestellt; aber keine Anforderung ist so groß, daß ihr diese Männer und Jünglinge nicht entsprächen.
Die Meldungen sind beim Obercommando eingetroffen, seine Anordnungen sind vollzogen, die einzelnen Corps haben die bestimmten Routen besetzt oder Orte erreicht. Die Straßen sind abgesucht, von Hindernissen wie von Verdächtigen gesäubert. Das Hauptquartier kann seinen Weitermarsch antreten.
Das Quartier des nächsten Abends, einige Meilen vorwärts, ist sicher in unserer Truppen Händen; sein Name ward am Abend zuvor im Bureau des Obercommandos oder in der geselligen Vereinigung des Hauptquartiers zugleich mit der festgesetzten Stunde des morgigen Aufbruchs mitgetheilt. Gewöhnlich lautet diese siebeneinhalb oder achteinhalb Uhr. Bei außerordentlichen Gelegenheiten, wo ein besonders weiter Marsch zu machen ist, oder [826] gar eine Feldschlacht in sicherer Aussicht steht – überrascht worden durch eine solche ist die dritte Armee in diesem ganzen Feldzuge noch niemals, man wußte Ort und Zeit jedes Mal ziemlich sicher vorher zu bestimmen – , wurde die Stundne auch wohl selbst bis zu vier Uhr Morgens vorgerückt. Man ist eben mit seiner schnell gemachten Marschtoilette und im günstigen Fall seinem Morgenimbiß fertig geworden, hat Abschied von seinen Quartiergebern (fast immer konnte ich sagen, schnell gewonnenen Freunden) genommen, hat Handkoffer und Reisetasche wieder geschlossen, so tönen schon von draußen her aus einer benachbarten Gasse immer lauter und näher kommend die wohlbekannten Klänge des Preußenliedes von der Militärmusik der begleitenden Infanteriebedeckungsmannschaft gespielt. Zu diesen Klängen marschirt dieselbe vor das Quartier des Obercommandos, um dort die über Nacht daselbst eingestellte Bataillonsfahne wieder abzuholen. Sie bleibt auch draußen unentfaltet in ihrer schwarzen Umhüllung, und um sie geordnet marschiren die Compagnien zum Dorf oder Städtchen hinaus weit vorwärts auf der Landstraße hin, Hauptmann und Lieutenants zu Pferde an der Spitze. Dort machen sie Halt.
Draußen herrscht bereits lebhafte Bewegung. Die Marschcolonne langt allmählich in ihren einzelnen Bestandtheilen an; es gilt, sie draußen der vorgeschriebenen, streng festgehaltenen Reihenfolge gemäß zu ordnen, ihre Vollständigkeit zu controlliren, jedes eigenmächtige Ausschreiten zu verhindern, jede Verwirrung zu lösen. Die Oberleitung bei der Durchführung dieser schwierige Aufgabe fällt dem Quartiermeister, Major von Winterfeld, zu. Es ist eine von den stattlichsten militärischen Figuren. Mittelgroß, breitbrüstig, von einer gewissen allgemeinen Beleibtheit, das ganz kurz geschorene Haar und der kurze Vollbart (sogenannter „Generalstabsbart“) auffallend silbergrau, während die großen, feurigen wunderschönen braunen Augen, die Leichtigkeit der Bewegungen, die Festigkeit der Haltung und des Sitzes im Sattel, Alles an ihm den Mann von kaum vierzig Jahren bekundet. Als getreue Helfer und Ausführer seiner Befehle stehen diesem Chef, der sein Auge überall haben muß, dem Nichts entgehen darf, zunächst seine Armeegensd’armen zur Seite. Sie haben sich während dieses ganzen Feldzugs auf’s Trefflichste bewährt; an Pflichteifer und Treue, wie an körperlicher Tüchtigkeit gleich unermüdlich, haben sie sich in ihrem schwierigen Berufe außerordentlich verdient gemacht. Dieser besteht nach der erleuchteten Ansicht der Franzosen bekanntlich nur darin, „mit dem Carabiner in der einen und mit dem Säbel in der andern Hand“, die nur gezwungen und widerwillig, wie eine Heerde zum Schlachthaus, zum Krieg und Marsch getriebenen Landwehren am Davon- und Heimlaufen zu verhindern; in Wirklichkeit aber bekanntlich in der Landstraßenpolizei im Feindeslande und im Ordnunghalten bei den Märschen auf den Wegen und an den Quartierorten. Beim Hauptquartier der dritten Armee fungirt als Oberwachtmeister der ihr beigegebenen Gensd’armen unser nicht genug zu schätzender Freund Herr Brodsky, sonst in Preußisch Holland stationirt, neulich mit dem eisernen Kreuz belohnt für Verdienste und Leistungen, die in ihrer Art für das Gelingen der großen Aufgabe des Krieges so wichtig und so sehr der Anerkennung werth waren, wie kriegerische Tapferkeit. Er ist der Mustertypus des Armeegensd’armen; stark, breit, mit schmetternder Donnerstimme begabt, mit martialischem, schwarzbärtigem Soldatengesicht, das freilich trotzdem nur in höchster Zorneserregtheit durch die Lotterei irgend eines Colonnenkutschers die unverwüstliche Gutmüthigkeit des Ausdrucks verliert; ein Centaur im Sattel, immer wieder im Carrière die ganze Länge der Colonne auf und nieder sprengend, um überall nach dem Rechten zu sehen und nöthigenfalls auch mit der soliden, tüchtig aus Riemen geflochtenen Verlängerung seines Zeigefingers seinen Wünschen an Pferde und Lenker einen Nachdruck zu geben, gegen welchen keine Appellation gilt. Noch ein paar Andere, auch ein baierischer und ein württembergischer Camerad, fungiren mit ihm, an der linken Seite der vorrückenden Colonne herreitend, zu gleichem Zweck. Doch wird ihr Licht völlig von dem des Oberwachtmeisters überstrahlt.
Am weitesten voraus, an der Spitze des ganze Zuges, wenn er nicht, wie während des Marsches durch die Vogesen und bis Luneville, durch eine Infanterie-Ehrenescorte eröffnet wird, rangirt sich die ihn führende Ulanenescadron. Die des kronprinzlichen Hauptquartiers gehörte zum ersten westpreußischen Ulanenregiment und wurde von ihrem Rittmeister Krüger und den Lieutenants von Wickede, von Jareszewski und von Rekowski geführt. Diese prächtigen Reiter haben eine geräuschlosere, im Grunde ruhigere Aufgabe, als die vielgeplagten Armeegensd’armen. Sie haben eben nur schweigend zu reiten, und das verstehen sie freilich mit einer Meisterschaft, die Bewunderung verdient. Mit ihren, wie den der Armeegensd’armen, übrigens ausgesucht vorzüglichen und dauerbaren Thiere sind sie wie verwachsen; es überrascht mich immer einigermaßen, wenn sie am Ende des Tagesmarsches überhaupt absteigen. Hinter der Ulanenescadron oder vielmehr in ihrer Mitte bleibt beim Ordnen auf der rechten Seite der Landstraße die Stelle gleichsam offen gehalten, in welche später der Kronprinz mit seinen Herren sich dem Zuge einfügt.
Die nächstfolgende Gruppe bilden Armeegensd’armen und die grünuniformirten, während des Marsches berittenen Ordonnanzen des Hauptquartiers und Obercommando’s, das schwarzlederne Landwehrkäppi statt des Helmes auf dem Kopfe. An diese Abtheilung schließt sich auf dem Marsche selbst die lange Reitercolonne der Burschen und Stallknechte der Herren von der Suite mit deren Hand- und Packpferden. Diese rücken aber erst mit ihren Gebietern selbst unmittelbar hinter ihnen aus, und haben nicht erst nöthig, hier vorher Spalier zu bilden und rangirt zu werden.
Und nun kommen die Wagen aus der Dorfgasse oder aus des Städtchens Thor herausgerollt, eine bunt und abenteuerlich gemischte Gesellschaft. Selbstverständlich die kronprinzlichen Wagen voran. Wie Der, dem sie dienen, glänzen sie durch keinen äußerlichen Prunk und Luxus. Eine einfache bequeme Halbchaise zuerst. Auf dem einen Sitz hinter dem heraufgezogenen Spritzleder saß bis vor Kurzem noch Gustav Freytag’s verehrte Gestalt, welcher die deutsche Literatur, der wohl zum ersten Male in einem deutschen Kriege die Honneurs in ähnlich ehrender Weise gemacht wurden, dabei so lauter und würdig seinerseits zu vertreten wußte. Manchmal neben ihm, ein andermal auf dem Bock des nächsten Fourgons, Georg Bleibtreu, das edle feine Gesicht vom Rande seines grauen Calabresers beschattet und durchleuchtet vom Anblick all' der großen und gewaltigen geschichtlichen Bilder seines eigensten Genres, die sich hier in diesem wunderbaren Kriege seinem Künstlerauge leibhaftig zeigte. Ein anderer, omnibusähnlich gebauter Wagen mit den nächsten kronprinzlichen Leibdienern und Stallknechten, und der große elegant blaulackirte viereckige Kasten des Küchenfourgons folgen. –
So geht es weiter, die hübsche viersitzige leichte Kutsche der Chefs der Intendantur, der Herren Geheimräthe Baretzky und Müller, gewöhnlich auf Grund besonderen Privilegiums zunächst hinter den oben genannten und noch vor den mannigfachen Fuhrwerken des Obercommandos, seiner Registratur, seines Generalstabs, seiner beiden Ingenieur-Geographen, vor denen der begleitenden Fürsten, ihrer Chaisen und Fourgons und der drei Generalärzte, der Herren Wegener, Wilms und Bögner. Letztere sieht man so gut wie die Intendanturräthe, deren Assessoren und die begleitenden jüngeren Assistenzärzte Döring, Bade, John oft genug der Bequemlichkeit des Wagens den Sitz im Sattel ihrer Pferde vorziehen und unermüdlich und ritterlich jedem Ulanen zum Trotz mit der Suite des Prinzen oder neben der Wagencolonne einhersprengen. Vor der Equipage des zweitgenannten Generalarztes rasselt ein Gefährt von ziemlich dorfursprünglicher Form, ein starkbepackter Leiterwagen, der etwas unharmonisch in der Reihe der übrigen erscheint. Er trägt das kostbare Gepäck der erlesensten Instrumente, Medicalien, Verbandgegenstände zum unmittelbaren Gebrauch des berühmten Operateurs. Während die meisten Fahrer der übrigen Wagen Trainsoldaten oder Reservisten sind, die mit der Kunst des „Rosselenkens“ schon von ihrem sonstigen bürgerlichen Beruf her vertraut waren, wird dieser Instrumentenwagen von einem jungen Burschen geführt, welcher für solchen Zweck etwas unfreiwillig mit Thieren und Gefährt von Weißenburg am Tage der Schlacht zur Mitfahrt engagirt wurde. Allmählich hat er das Heimweh und die Trauer bereits überwunden, seine Garderobe in nie gehoffter Weise ergänzt und den Gedanken ganz angenehm finden gelernt, mit seinen wohlgenährten Pferden auf diese Art bis nach Paris zu gelangen.
Ein zierlicher, vorn offener kleiner Halbwagen mit einem untersetzten kräftigen Traber an der Gabel, der meist vom Besitzer selbst gelenkt wird, trägt die schlanke, feine Gestalt des jugendlichen, liebenswürdigen, gelehrten Historikers Professor Dr. Hassel, welcher die etwas dornenvolle Aufgabe, die officiellen Berichte vom Hauptquartier der dritten Armee für den Preußischen Staatsanzeiger [827] abzufassen, während des ganzen Feldzugs mit so anerkennenswerthem Geist und Tact zu lösen wußte. Ein kleiner Planwagen weiter zurück trägt mit, großen schwarzen Buchstaben auf seinem Leinwandverdeck die Worte gemalt: „Mr. Russell, Hauptquartier, dritte Armee“ und birgt unter dessen Höhlung den „Intendanten“ und zwei Diener dieser weltberühmten Correspondentengröße. Er selbst, der stattliche breitschultrige Herr mit dem weißen kurzen Schnurrbart und den feurigen schwarzen Augen, die unter seines grauen Calabresers Rand so scharf beobachtend klar und kühn umherblicken, immer gekleidet in einen kurzen grauen, hinten in der Taille straff zusammengezogenen Rock von eigenthümlichem Schnitt und hohe Reitgamaschen an den Beinen, er selbst erscheint immer nur zu Pferde, so gut wie seine beiden Landsleute, Mr. Skimmer, der Correspondent der „Daily News“, der bereits in China, im amerikanischen Kriege, ich glaube auch gar in Abyssinien solcher Reporterpflicht genügt hat, und Mr. Landells, der treffliche Kriegszeichner für „Illustrated London News“.
Die Hauptchaisen und Fourgons des zum Hauptquartier gehörigen deutschen Fürsten- und Thronfolgercollegiums sind nur ganz ausnahmsweise, kaum beim entsetzlichsten Wetter, von ihren Herren besetzt, dafür aber mit Koffern und Reisetaschen so dicht und hoch bepackt, daß für Fahrer und Bediente schwer nur ein Plätzchen abzustehlen ist. Den Schluß und Schwanz der ganzen Auffahrt macht, wie gesagt, die oft in sehr fragwürdiger Gestalt auftretende Colonne von Bauerwagen, welche den Hafer für die Pferde des Quartiers nachfahren; die meisten sind mit ihren Pferden und Besitzern bereits von Speyer und noch weiter zurück her mitgenommen. Trotz der nie verstummenden, verdrossenen Verwünschungen ihres Schicksals, in welchen sich diese Herren ergehen, ist deren Situation keineswegs so schlimm, da jeder von ihnen Rationen für sich und seine Pferde, drei und einen halben Thaler täglichen Lohn und, wenn seine Thiere unterwegs den Strapazen erlagen, noch immer einen ziemlich vortheilhaften Ersatz für die Gefallenen erhält.
Um die Folge strenger einhalten zu können, ist an jedem Wagen der ganzen langen Reihe irgendwo mit Kreide deutlich lesbar durch eine Nummer die ihm zukommende Stelle in der Rangordnung markirt, aber oft genug wird diese vom Fahrer vergessen, und der Oberwachtmeister hat unaufhörlich scharf zu passen und mit unerbittlicher Energie einzugreifen, wenn Alles in Richtigkeit und guter Ordnung bleiben soll. Diese zu halten wird ihm oft genug noch schwerer gemacht durch irgend eine gerade gleichzeitig aus demselben Orte und auf demselben Wege hinausmarschirende Proviant- oder Munitionscolonne, durch einen Artilleriezug oder ein Infanterieregiment mit all seinem Train. Dann dröhnt und schmettert der Befehlsruf „Rrrrächts haaaltennnn!“ und die Wächter der Ordnung jagen und preschen die Reihe hinunter, um seine Ausführung zu controlliren. Es ist ein saures Amt, eines von denen, das Keinem gegeben und sicher auch Keinem erwünscht ist, der nicht „den Verstand“ und das Zeug dazu schon vorher besitzt. –
Aber endlich ist Alles in Richtigkeit. In langer, möglichst gerader Linie stellt sich die Hauptquartiercolonne längs der äußersten Rechten der Landstraße hin. Herr Brodsky kann mit seinem Werke zufrieden sein. Da klingt es plötzlich von Wagen zu Wagen bis zu den Ulanen an der Spitze hin: „Der Prinz kommt!“ und jeder Kopf wmdet sich zur Linken, auf welcher die Cavalcade zuerst im ruhigen Schritt der Pferde herannaht.
(Fortsetzung.)
„Majestät,“ fuhr Alfred fort, „wie oft ist es mir geschehen, daß ein Kranker, während ich ihn verband, zum zweiten Male von einer feindlichen Kugel getroffen ward, weil kein Neutralitätsgesetz die Verbandsplätze schützt! Wie viele Krankenträger wurden während der Erfüllung ihrer schweren Pflichten vom Feinde weggeschossen!
Wie viele Verwundete fand ich noch tagelang nach der Schlacht auf dem Kampfplatze, und in welchem Zustande! Von den Hyänen des Schlachtfeldes geplündert, geblendet, nackt in ihrem Blute sich wälzend, oder in einen blutigen Knäuel zusammengeballt sich um eine Pfütze drängend, bemüht, mit den verstümmelten Gliedern das ekelhafte schlammige Wasser zu erreichen! Mancher, der Stunde für Stunde vergebens gewartet hatte, hauchte mit dem Freudenlaut, den er beim Anblick des Retters ausstieß, den letzten Seufzer aus. Mancher rief mir zu: ,Seid Ihr Menschen, daß Ihr uns so vergessen konntet?!’ Und all’ dem Elend wäre gesteuert durch die Verwirklichung der Vorschläge Dunant’s! Es bedürfte nur eines Wortes aus dem Munde Eurer Majestät, und die Regierungen treten zusammen, unterzeichnen den Neutralitätsvertrag – und ein Volk in Waffen, nicht gegen das Leben, sondern gegen den Tod, steht auf, um seinen Brüdern zu helfen! Wie schön, wie göttlich, mit einem einzigen Worte unermeßlichen Jammer hindern zu können! Ich weiß es, Eure Majestät werden dies Wort sprechen, sobald Sie Dunant’s Schriften gelesen haben, denn Sie tragen ein gutes, ein großes Herz in der Brust und Ihr Herz fühlt mit Ihrem Volke!“
Der König schritt im Zimmer auf und nieder. Er war in sichtlicher Bewegung. Alfred stand mit unwillkürlich gefalteten Händen da, eine helle Röthe der Begeisterung färbte seine bleichen Wangen, er war schön in diesem Augenblick, so schön wie nur ein großes edles Gefühl den Menschen machen kann.
Der König kehrte nach seinem Gange durch das Zimmer zu Alfred zurück. Er hatte die Arme über der Brust gekreuzt und sah lange schweigend auf den jungen Mann herab. „Junger Mann,“ sagte er dann, „Sie haben mich tief erschüttert. Sie haben mir das Beste gegeben, was man einem Herrscher geben kann: Wahrheit! Ich gebe Ihnen dafür das Beste, was ich geben kann: Vertrauen!“
„Majestät!“ rief Alfred hingerissen.
Doch der König fuhr fort: „Ich will Dunant’s Vorschläge prüfen, und es soll mich freuen, wenn ich Ihnen einst sagen kann, daß ich geneigt sei, einen Bevollmächtigten nach Genf zu senden und die Convention zu unterzeichnen!“
„Majestät,“ rief Alfred, „nicht ich – die ganze Menschheit nur kann Ihnen das danken!“
„Genug, zuviel!“ rief der König. „Sie fallen ja aus der Rolle, mein strenger Posa. Adieu für heute!“
Da drückte Alfred seine Lippen auf die Hand des Monarchen und ein glückliches Lächeln verklärte sein Gesicht. „Nun denn, wenn ich durchaus Posa sein soll, so will ich sagen wie Jener: ,Kann ich Eure Majestät mit einer erfüllten Hoffnung verlassen, dann ist dieser Tag der schönste meines Lebens!’“
„Dem Wohlsein menschlicher Wesen dienen, mag ein demüthiges Amt sein, aber es liegt in ihm eine majestätische Demuth,“ sagt Julius Naundorff, einer der edelsten Menschenfreunde unserer Zeit. Diese majestätische Demuth war es, was Alfred’s ganzes Wesen kennzeichnete, was ihm trotz seiner Jugend eine Ueberlegenheit gab, deren Eindruck sich Niemand entziehen konnte und die Niemanden beleidigte, weil sie so frei von jeder Ueberhebung war. –
Kurze Zeit nach seinem Gespräche mit dem Könige hatte er die stolze Genugthuung, gegenwärtig zu sein, als der Bevollmächtigte seines Monarchen die Genfer Convention unterzeichnete. Er durfte sich sagen, daß er vor Allem durch seinen furchtlosen Appell an das Herz des Königs dazu beigetragen hatte, das großartigste Werk der modernen Humanität in’s Leben zu rufen, und dadurch ein Wohlthäter vieler Tausende geworden war, denen das rothe Kreuz auf weißem Grunde von nun an im Kriege Schutz und Hülfe gewähren sollte. Wie viel ihm auch das Schicksal genommen, er erkannte dankbar an, was es ihm dafür gegeben. Wer, dem selbst kein Glück zu Theil geworden, fühlt sich nicht entschädigt durch die Macht, Andere zu beglücken? Das war bei Alfred der Fall, und eine ernste Zufriedenheit trat allmählich an die Stelle der Trauer. Während seines Aufenthaltes in Genf ließ er seine Mutter dorthin kommen, die er [828] nun seit fast einem Jahr nicht wiedergesehen, und die sich nach ihm sehnte. Es war der letzte große Schmerz, der sein Herz traf, als er sie auf der Bahn abholte und drei Mal vergebens die Wagenreihe auf und ab lief, ohne seine Mutter finden zu können, bis ihm endlich eine gebückte hagere Frau mit tief eingesunkenen Augenhöhlen und vortretenden Backenknochen in die Arme sank und keuchte: „Alfred, erkennst Du Deine Mutter nicht mehr?“
Nun wußte er, daß das Leben seiner Mutter vielleicht nur noch nach Monden zählte. Und als sie ihn im Verlauf ihres Zusammenseins bat, sie mit nach B. zu nehmen, damit sie bei ihm sterben könne, da konnte er ihr es nicht mehr abschlagen – er wußte, daß diese rasch fortschreitende Auflösung kein Klima mehr zurückhalten würde, warum sollte er ihr den einzigen letzten Trost versagen, den, in der Nähe des Sohnes zu sein? - So brachte er sie nach Abschluß der Convention von Genf mit nach Hause. Auch die immer gleiche Tante Lilly folgte ihnen und er richtete ihnen schnell eine behagliche Häuslichkeit in B. ein, da die siechende Frau nicht das rauhe Klima seiner Güter ertragen und ihr noch außerdem die Schwestern Bella und Wika die letzten Tage ihres Daseins verbittert hätten. – Aber noch ein anderer Grund war es, weshalb er Adelheid um jeden Preis von dort fern halten wollte. Er hatte ihr den Tod Feldheim’s verschwiegen, weil er den erschütternden Eindruck dieser Nachricht für sie fürchtete, und doch hätte sie ihn unvermeidlich erfahren. Er wollte die mit soviel Umsicht und Vorsorge durchgeführte Maßregel jetzt nicht preisgeben, wo ihr Zustand größerer Schonung als je bedurfte.
Ohne es zu wollen, kam Alfred von nun an in immer nähere Beziehungen zum Hofe und zur Gesellschaft, denn er konnte sich den wiederholten Einladungen des Königs und der Königin nicht entziehen, und so zog allmählich das Leben den ernsten Mann in seine „heitern Kreise“, wenn auch nicht als mitgenießenden, so doch als teilnehmenden Beobachter.
Auch in seinem ärztlichen Beruf fand er immer neue Gelegenheit sich auszuzeichnen. Er kam, wie man zu sagen pflegt, in die Mode. Eine feste Praxis lehnte er jedoch entschieden ab, da ihn die Umgestaltung seiner Güter noch zu sehr in Anspruch nahm und zu oft von der Residenz entfernte, und so wurde er am Anfang seiner Laufbahn schon, was Andere oft erst zuletzt werden: consultirender Arzt. Das Einzige, was die vornehme Welt verletzte, war, daß er Honarar nahm! Ein Herr von Salten, ein so hochstehender, ein so poetischer Mann – ließ sich für seinen Rath bezahlen wie ein gewöhnlicher Arzt! Es war unerhört! Die zarten Seelen wurde für ihn schamroth, wenn sie ihm das Geld für eine Consultation schickten. Natürlich mußte ein so vornehmer Arzt, wenn er einmal Geld nahm, auch vornehm bezahlt werden. Man sandte ihm nur Gold, die einzige „anständige“ Bezahlungsart, und Alfred verdiente sich in kurzer Zeit bedeutende Summen.
Besonders groß war der Eindruck, den er auf die Frauen machte. Wie übrigens Alfred hierüber dachte, geht aus folgenden Zeilen hervor, die er eines Tages an Zimmermann nach Zürich schrieb: „Wenn ein junger Arzt zum Charlatan wird, so sind es nur die Frauen, die ihn dazu machen. Es gehört ein gewisser Grad von Charakterfestigkeit dazu, um die interessante Rolle abzulehnen, welche die überreizte Phantasie nervöser Damen dem Arzte zutheilt. Naturen, welche zur Eitelkeit neigen, werden nur schwer der Versuchung widerstehen, auf so wohlfeile Art den Wunderthäter zu spielen. Mediciner, die gar unter dem Druck der Nahrungssorge stehen und um ihr Stückchen Brod arbeiten, müssen Helden sein, um den Muth zu haben, sich durch andere Erfolge eine Praxis zu machen, als die, welche ihnen die Einbildungskraft und Unterhaltungsbedürftigkeit nervöser Frauen sichert. Gott sei Dank, mich kosten diese Versuchungen keinen Kampf, weil es eine Eigenthümlichkeit meines Wesens ist, daß mich jede Unnatur im tiefsten Grunde anwidert; nie wird sie mir andere Zugeständnisse abzwingen, als die, welche mir die Gebote der Höflichkeit und Ritterlichkeit einer Dame gegenüber vorschreiben, denn grob und barsch werde ich gegen ein Weib niemals sein. Ich kann es Dir nicht sagen, wie mich unter diesen Verhältnissen oft das Heimweh nach Zürich ergreift und die Sehnsucht nach Aenny! Das heißt nach der Aenny, welche ich liebte, bevor Victor zwischen uns trat! Ach, das war eine kerngesunde Natur, wahr und frisch durch und durch, so voll echten Mädchenstolzes, so unberührt und wunschlos. Nur zu solch einem Wesen kann Der flüchten, dessen Tage Jahr ein Jahr aus im Verkehr mit kranken oder doch krankhaften Geschöpfen verlaufen, nur bei solch einem Wesen ist Erholung von all’ den traurigen Eindrücken, die den Arzt herabstimmen. Nicht in den Genüssen der Gesellschaft ist sie, nicht im Salon, wo mich Mädchen und Frauen, die ich am Morgen noch bleich, reizlos und hinfällig gesehen, geschminkt, geputzt und künstlich verjüngt umflattern, mit fieberhaft glänzenden Augen, angehaucht von der Aufregung des Tanzens, Spielens oder Gefallenwollens, die den Unglücklichen für wenige Stunden den trügerischen Schimmer gesunder Lebenskraft verleiht.
Ich sehe Frauen strahlend schön auftauchen in voller Heiterkeit von Bewunderern umringt, die mich noch am Morgen in bleicher Todesangst fragten, ob ihnen nicht ein unheilbares Uebel drohe, und ich weiß auch, daß es schon heimlich die schöne Hülle benagt. Ich sehe Mädchen, deren Blut verborgener Liebe Kummer trank, die mich kurz zuvor bleichsüchtig fröstelnd, wie Sterbende um ein belebendes Mittel baten, nach einer genossenen Gabe Chinin und Eisen mit glühenden Wangen und feurigen
Blicken durch die Säle schweben und im Rausche neuer Hoffnungen die Zuhörer durch ihre übersprudelnde Laune bezaubern! – Und ich frage mich, wo ist da noch Wahrheit, an was kann ich noch glauben, wenn die Kunst solche Siege feiert? Kranke lügen sich gesund und Gesunde krank, je nach Gefallen! Ich werde vielleicht ungerecht und gehe zu weit, ich weiß es; aber ich kann mir, seit ich Arzt bin, unter all’ diesen schimmernden Hüllen nichts mehr denken als verborgene Krankheiten des Leibes und der Seele – und mich verlangt mit aller Kraft nach einem frischen Athemzug
von Anna’s blühenden Lippen, nach einem Blick in ihre offenen ehrlichen Augen, nach dem vollen hellen Klang ihrer fröhlichen Stimme, die noch keine Unwahrheit gesprochen, so lange sie lebt. Und wenn ich sie mir so denke auf dem weiten See, mit den starke Armen die Ruder rührend oder unter den alten Kastanien in einem Buche lesend, überrieselt von dem süßen sinnigen Staunen, mit dem sie ein schönes Dichterwort in sich aufzunehmen pflegte, so unbewußt der keimenden Vollgewalt ihres Wesens und ihrer Schönheit, dann meine ich, das Herz müsse mir zerspringen vor
Lust und Schmerz!
Und wenn ich denke, daß ich von Kindheit an mit demüthiger geduldiger Liebe diese Blüthe sich entfalten sah und daß in dem Augenblick, wo sie sich erschließt, eine andre Hand sie pflückt, nur um sie achtlos wieder hinzuwerfen – dann möchte ich, wir wären Beide gestorben inmitten des süßen Kindertraums, den keine Wirklichkeit mir mehr ersetzen kann, und eine namenlose Sehnsucht faßt mich nach jenem verlorenen Paradies am Ufer des glitzernden Sees, am Fuße der schneegekrönten Gebirge, an der Seite des spielenden Mädchens unter Blumen und Bäumen! O du thauiges Ufer mit deinen rauschenden Wipfeln, deinem wogenden Schilfe und deinen duftigen Firnen, du bist mir versunken und ich kranke am Heimweh nach dir!“
Er stützte den Kopf auf die Hand und ließ die Feder ruhen. Lange, lange hatte er gegen solche Empfindungen gekämpft, jetzt auf einmal brachen sie mit ihrer ganzen Macht hervor, und er überließ sich ihnen auf einen Augenblick widerstandslos. Da nahte ein leiser Schritt auf dem weichen Teppich, und ein Arm umschlang liebevoll tröstend sein gebeugtes Haupt. Es war seine Mutter, die sich aus dem Nebenzimmer herangeschlichen hatte, weil sie mit dem scharfen Ohr der Liebe gehört, daß Alfred schwer und tief athmete.
„Mein Sohn,“ sagte sie schüchtern und streichelte mit der schmalen durchsichtigen Hand sein reiches Haar, „fehlt Dir etwas?“
Adelheid legte ihre beiden Arme zärtlich um seinen Hals wie eine Kette; sie waren so abgemagert, diese einst so schönen Arme, und so leicht, als sei kein Mark mehr in den fleischlosen Knochenröhren; eine unaussprechliche Trauer überkam Alfred bei ihrer Berührung, aber es waren doch noch die Arme einer Mutter, einer büßenden sterbenden Mutter, und er zog sie fest an sich, legte sanft den Kopf an ihr Herz und flüsterte mit erstickten Thränen: „Gute Mutter!“
„Du leidest, mein Sohn, ich ängstige mich um Dich!“
„Ich schreibe nach Zürich und da ergriff mich das Heimweh!“
„Du Armer, das ist das Schweizerheimweh, von dem ich so oft gehört!“
„Ja, Mutter, ich habe das Schweizerheimweh!“ wiederholte Alfred leise und küßte Adelheid’s Hände.
[829] Still und bescheiden, wie sie gekommen war, zog sie sich wieder zurück. Er sah ihr schmerzlich nach; dann besann er sich, überlas den Brief noch einmal und – zerriß ihn. Das war kein Brief für fremde Augen wie die des Doctors Zimmermann. Alfred konnte ihn wohl schreiben, aber nicht absenden! Er ging zu seiner Mutter, setzte sich zu ihren Füßen nieder und plauderte mit ihr von der Kindheit selbst wie ein Kind. Es war eine stille glückliche Stunde des Ausruhens, wie sie ihnen selten so ungestört zu Theil ward, denn Tante Lilly war heute einmal bei einer siebenzigjährigen Jugendgespielin zu einer Whistpartie geladen. Als die rothen Strahlen der Abendsonne hereinfielen und Adelheid’s ergrauten dünngewordenen Scheitel mit dem Golde früherer Tage anhauchten, stand er auf, küßte sie auf die bleiche Stirn, und er war wieder der klare entschlossene Mann, der treulich seiner Pflichterfüllung nachging.
Er hatte eine Schrift über die Zustände in Masuren wo seine Güter lagen, aufgesetzt, eine gründliche Darlegung der Nothwendigkeit eines Eisenbahnbaues von K… bis an die russisch-polnische Grenze, um eine lebendige Verkehrsader zwischen dieser abgelegenen Provinz und dem Lande zu schaffen. Diese Schrift sollte er noch am selben Abend dem Könige überreichen, und da die Stunde der Audienz geschlagen hatte, ging er, sich anzukleiden. Da brachte ihm der Diener eine Kiste, die von der Post gekommen, sie war aus Zürich. Eilig erbrach er sie und fand ein Bild, – Alfred sank überwältigt in die Kniee! Hatten die dämmernden Gestalten der Erinnerung, die er vorhin heraufbeschworen, Farbe gewonnen. Es war das Bild Anna’s, ein lebensgroßer Studienkopf. Roh in der Technik, aber von einer zauberhaften Aehnlichkeit, schien das Gemälde zu leben. Das waren Aenny’s braune, bald lachende, bald träumerischen Augen, nach denen er sich noch eben so sehr gesehnt; das war der frische schwellende Mund, der noch nie eine Unwahrheit gesagt, er schien zu reden, zu athmen. Das war das schalkhafte schweizerische Grübchen in Wange und Kinn, das dem rosigen Gesicht etwas so Muthwilliges gab, und doch war über dem Ganzen ein Hauch unbewußter Schwermuth ausgegossen; es war in der geneigten Haltung des Kopfes etwas, das an eine Rose erinnerte, die den vollen Kelch unter dem Drucke des Föhn niedersenkt. Was war es für ein heißer Sturm, der dies stolze Mädchenhaupt beugte?
Alfred schaute und schaute; trunken vor Freude, und die Leidenschaft, die lange zurückgedrängte, strömte über. Er drückte seine Lippen auf das Bild; er rief laut Anna’s Namen, er war außer sich. Da trat Adelheid unter die Thür.
„Mutter,“ rief er. „Mutter, Anna Hösli hat mir ihr Bild geschickt; Mutter, was sagst Du dazu?“
Adelheid schüttelte ungläubig den Kopf. „Das sieht Anna Hösli nicht ähnlich!“
„Wie, Du findest es nicht ähnlich?“
„Das Bild schon, aber nicht, daß sie es Dir schickte,“ sagte Adelheid bedächtig. „Die Freude verblendet Dich, mein Sohn. Ist denn kein Frachtbrief dabei, aus dem man den Absender entnehmen könnte?“
Sie schaute sich um und fand das Gesuchte am Boden. „Sieh, wie unachtsam Du bist; da haben wir ja die Lösung des Räthsels; schau her, hier ist ein Brief von Deinem Schützling Joseph, – er hat das Bild gemalt!“
Alfred ließ entgeistert die Arme sinken und starrte auf das beschriebene Blatt, welches in den Frachtbrief eingeschlossen war. „Du hast Recht – ich war ein Thor!“ sagte er leise und entfaltete den Brief. Er lautete:
„Geehrter Herr Baron!
Es ist nun schon ein Jahr her, daß Sie mich auf die Malerschule gethan haben. Sie müssen doch auch endlich wissen, daß ich was gelernt habe. Es ist mir neulich gelungen, ein Bild zu malen, welches die Leute besonders ähnlich finden, und da bin ich so frei, Ihnen eine Copie davon zu schicken. Sie kennen doch das Fräulein Hösli; Sie waren ja Nachbarskinder zusammen, und da werden Sie am besten beurtheilen können, ob sie getroffen ist.
Ich bitte Sie auch, lieber Herr Baron, schicken Sie kein Geld mehr für mich. Seit dem Bilde von Fräulein Anna weiß ich gar nicht, wo anfangen vor lauter Bestellungen, und ich kann mir jetzt mein Brod selbst verdienen. Ich weiß wohl, ich hätte noch viel zu lernen, um ein rechter Maler zu werden; aber so etwas darf ich mir ja nicht träumen lassen. Es ist mir ohnehin über alle Maßen gut gegangen, denn mein höchster Stolz war nur Schildermaler und nun bin ich schon Kunstmaler und man vertraut mir gar Portraits an.
Und nun danke ich dem Herrn Baron noch vielmals für alles Gute, womit ich bleibe.Joseph Nägeli.
Nachschrift. Meine Nase hält sich besser, als Sie selbst glaubten; sie ist noch gar nicht zusammengeschrumpft.“
Als Alfred seiner Mutter den Brief vorgelesen, war er wieder [830] ruhig und heiter wie zuvor. Der schlichte ungefüge Ausdruck einer dankbaren ihrer selbst kaum bewußten Künstlerseele hatte ihn im innersten Herzen erquickt. „Du sollst noch mehr werden als ein bloßer ‚Kunstmaler‘, Du wackerer Bursche,“ sagte er und strich lächelnd das Haar aus der Stirn, als wolle er damit auch die Seele von den überwuchernden schmerzlichen Gedanken befreien. „Geh nun, meine gute Mutter, ich will machen, daß ich zum König komme!“
Rascher als sonst kleidete er sich an und als er nachher bei Adelheid eintrat, um ihr Lebewohl zu sagen, die Mappe mit der zu überreichenden Schrift unter dem Arm, elegant gekleidet in dem officiellen schwarzen Anzug, mit der echten Vornehmheit seiner Erscheinung, da glitt Adelheid’s Auge mit Wohlwollen über die schlanke elastische Gestalt und das edle von einem blonden Christusbart umsäumte Gesicht hin und sie sagte unwillkürlich: „Wer hätte gedacht, daß Du so schön würdest!“
Alfred lachte. „Ich muß ein schrecklicher Junge gewesen sein, da ich so oft jenes ‚Wer hätte gedacht‘ höre. – Und einen solchen armseligen Burschen sollte Anna lieben!“ dachte er bei sich.
Der Diener meldete, daß angespannt sei, und Alfred holte das Portrait Anna’s und eilte damit hinab, denn die Pferde, zwei feurige Trakehner, die er von seinen Gütern mitgebracht, wollten nicht stehen.
Er schaute noch einmal aus dem Wagen herauf, er wußte, daß ihm seine Mutter so lange nachsah, als nur möglich, und es lag etwas von der alten Anmuth in ihrem Winken und Grüßen, das ihn wehmüthig an die Tage ihres Glanzes erinnerte.
Im Schlosse angekommen, fand er den König gerade in besonders guter Laune und nachdem er seinen Vortrag über die Zustände Masurens gehalten, benutzte er die günstige Stimmung des Monarchen, um ihm das Bild Anna’s zu zeigen. Der König war so erstaunt über das unverkennbare Talent, das aus der – wenn auch rohen – Skizze hervorleuchtete, daß er augenblicklich die Bitte Alfred’s gewährte und versprach für die Zukunft des jungen Künstlers zu sorgen.
In diesem Augenblick trat ein Adjutant ein mit der Meldung, Frau von Salten sei schwer erkrankt und verlange dringend nach ihrem Sohn.
Schreckensbleich bat Alfred den König ihn zu beurlauben.
Als Alfred nach Hause kam, fand er, was er schon lange erwarten mußte. Seine Mutter war dem Ende nahe. Er war darauf gefaßt seit einem Jahr und dennoch traf es ihn in diesem Augenblick ganz unvorbereitet, denn sie war gerade heute besonders wohl gewesen, welch’ stillglückliche Stunde hatten sie noch zusammen verlebt! Und jetzt trat der Tod sie an so ohne vorhergegangene Verschlimmerung, das war zu jäh, da mußte irgend etwas geschehen sein. Er stürzte vor dem Bette auf die Kniee und flehte Adelheid unter Thränen an, ihm zu sagen, was sie plötzlich niedergeworfen Sie schwieg beharrlich und suchte noch im Todeskampf zu lächeln. „Meine Zeit ist um, ich gehe zu Deinem Vater!“ stammelte sie mühsam und klammerte sich mit unaussprechlicher Liebe an den Sohn an.
Da wankte Lilly herein, schreiend und jammernd und warf sich neben Alfred zu Boden; „O Fredy, schlag’ mich todt, ich bin an allem schuld! Ich habe ihr verrathen, daß Feldheim todt ist, und da wurde sie ohnmächtig und dann bekam sie den Blutsturz und die Erstickungsnoth.“
„Tante!“ rief Alfred und zum ersten Mal in seinem Leben traf ein richtender Blick die arme Lilly, „habe ich das um Dich verdient?“
„Schlag’ mich todt, Fredy, schlag’ mich todt – ich bin nichts Besseres werth!“ wimmerte Lilly. „Ich bin ein dummes, unnützes, altes Ding. Ich habe mein Lebtag nichts als Dummheiten gemacht und es wird immer ärger mit mir!“
„Tante,“ sagte Alfred in Zorn und Schmerz. „Du bist und bleibst ein Kind, – aber Kinder sollten wenigstens zu gehorchen wissen. Ich hatte es Dir so streng verboten!“
„Zürne ihr nicht,“ stöhnte Adelheid, die zuckende Hand auf Alfred’s Arm legend. „Ich ahnte längst, daß etwas mit Feldheim war, was man mir verheimlichte, und habe es ihr abgelockt – vergieb ihr!“ Und sie zog Lilly’s Hand auf ihr Bett und legte sie mit einem unbeschreiblichen Blick in die Alfred’s. „Sie ist die Schwester Deines Vaters! Sie hat, ohne es zu wissen, den Bruder gerächt, da sie mir den Todesstoß gab! O ewige Gerechtigkeit, du waltest ja so milde über mir!“
„Ich vergebe ihr,“ sagte Alfred liebevoll, „sie wußte nicht, was sie that. Aber nun sei ruhig, Tante, oder verlaß uns, Dein Weinen beunruhigt die Mutter.“
Da faltete das arme alte Kind bittend die Hände, sie wollte nicht von Adelheid weg, sie wollte stille sein, mäuschenstille, aber nur dableiben!
Und sie kauerte sich leise, ganz leise schluchzend am Kopfende des Bettes nieder und küßte von Zeit zu Zeit einen Zipfel von Adelheid’s Kissen, während die Kranke in den Armen des Sohnes mit dem Ersticken rang. So blieb sie regungslos sitzen und kämpfte ihn mit, den langen Todeskampf die ganze Nacht. Nichts unterbrach die Stille als das Flüstern der sterbenden Mutter, die Abschied von dem Sohne nahm, und die gedämpfte Stimme Alfred’s, die ihr sanft tröstend zusprach, wenn der Kampf gar zu schwer ward. Als der Canarienvogel im Nebenzimmer jubelnd die ersten Strahlen der Morgensonne begrüßte, that Adelheid’s gequälte Brust den letzten Athemzug. Alfred schloß ihr sanft die Augen. Draußen schmetterte der Vogel – und hier flog eine Seele dem Lichte zu.
Hoch oben im Norden Deutschlands, wo der kalte Hauch der Ostsee den schrägen Sonnenstrahlen unüberwindliche Dunstwälle entgegenballt, hinter denen die Natur ihren langen düstern Wintertraum träumt - da liegt ein stilles ödes Land, in dessen meilenweiten Haiden und Forsten mit ihren einsamen Lehmhütten Noth und Pestilenz ihr unheimlich Wesen treiben. Seine Grenze bildet nach oben die Düne des Meeres, wo der weiße Flugsand seinen Scheitel bestäubt, wie die Asche das Haupt eines Büßenden, nach Osten und Süden der russische Grenzpfahl, der das Land einschließt wie in einen Sack. So trauert das arme Land in Sack und Asche und büßt für die Unterlassungssünden der Cultur. Während Kunst und Gewerbe, Handel und Wandel allerorten einen immerwährenden Carneval feiern – ist hier ewiger Aschermittwoch, träge Bußtagsruhe. Kein schriller Pfiff einer Locomotive schreckt den Raben aus der eingeschneiten Furche auf, kein hochbepackter Güterwagen weckt mit seinem Knarren das Gebell eines Hundes auf dem einsamen Gehöft des „Eigenkäthners“. Schlaf- und branntweintrunken schleicht sich der Bauer an sein einförmiges Tagewerk auf dem einförmigen Boden, umsaust vom eisigen Nordost, der unaufgehalten über die unabsehbaren Ebenen hinstreicht. Hier hat die wilde Gährung im Innern der Erde nicht ihre gigantischen Blasen aufgeworfen, kein Gebirge erhebt sich, nur hin und wieder ein Hügel. In todter Ruhe ist der glühende Werdeproceß erstarrt und die erkaltete Rinde blieb ein feuchtes Diluvialgebiet, durchströmt von unzähligen Gewässern. Wohl ist es freundlich anzusehen, wenn die Saaten gedeihen und der Blick, so weit er reicht, nur über wallende Kornfelder und üppige Wiesen, dunkle Waldungen und fischreiche Seen hingleitet, wohl gedeiht Alles leicht und schnell auf dem stets getränkten Grund, und nicht umsonst heißt er der „güldene Boden“ – aber ebenso schnell ist auch Alles zerstört, wenn die nordische Sonne zu lange nicht vermochte durch die Wolken zu dringen und den ungeheuern Ueberschuß an Nässe aufzusaugen. Dann gleicht das ganze Land einer fließenden schlecht verbundenen Wunde, in der sich nur Eiter und Fäulniß erzeugt. Dann wehe dem Menschen, der auf die Erträgnisse dieses überschwemmten Bodens angewiesen ist! – Wie der Säugling an der Mutterbrust, von nichts wissend als von dem Busen, der ihn nährt, und keine Thätigkeit ausübend, als die, auf welche ihn der Ernährungstrieb hinführt, so hängt hier das Volk auf der niedrigsten Stufe der Entwickelung an dem Busen der Mutter Natur, an der Erde. Es kennt nichts als die Erde, sie ist seine einzige Hülfsquelle, und versagt sie ihm, dann muß es hungern. Und wie oft geschieht das! Ein starker Regen, der von dem grauen thränenschweren Himmel tagelang niederströmt, verschwemmt die keimende Saat in der lehmigen Scholle und weicht die schwere Moorerde zum Sumpfe auf, daß das Gras verfault. Die naßkalten Nebel, die vom nahen Meere herüberziehen, erzeugen die stillen Feinde des Landmanns, den Rostpilz, der das Getreide zernagt, und die Kartoffelkrankheit. Dann entspinnt sich ein Kampf um’s Dasein, von dem der glückliche Sohn der Civilisation nur noch wie von einer verklungenen Sage hört. Wir blicken so gern zurück in die graue Vorzeit, wo der Mensch noch mühsam mit dem Urstoff um sein Bestehen rang, wir versuchen [831] voll behaglichen Schauders uns das Elend von damals vorzustellen, um desto besser zu ermessen, welch ungeheuren Fortschritt wir gemacht – aber wir brauchen nicht so weit zu schweifen, wir dürfen uns nur umschauen in solch einem entlegenen Winkel des eigenen Vaterlandes, wenn er von einem Mißwachs heimgesucht ist, und siehe, da steht es vor uns in leibhaftiger Gestalt, das alte Ammenmärchen vom Hungerssterben!
In solche einem Winkel lagen Alfred’s Güter, Saltenowen, wie es dort hieß, und Hermersdorff, wie glückliche Inseln allen Landwirthen der Provinz zum neidisch angestaunten Vorbild, und zwanzig Meilen von der großen Hauptstadt der Provinz in öder Gegend am Saum eines herrlichen Kiefernwaldes, des sogenannten Borkenschen Forstes. Dieser Wald erstreckt sich längs dem Ufer des kleinen Haasznensees hin, dessen Spiegel die Schatten und Umrisse der mächtigen alten Kiefern verdüstern und ihm ein finsteres melancholisches Gepräge geben, als lägen geheimnißvolle Schrecknisse auf seinem Grund, welche die dunkle Fluth verbergen müsse. Unter den überhängenden Zweigen gleitet lautlos der Nachen des Fischers am Ufer hin und in das Netz, das er auswirft, sind Haare vom Haupte einer Jungfrau eingestrickt, denn diese sind gut gegen jeden Zauber und ziehen die Fische an. Hier im Schatten des Waldes am stillen Haasznensee birgt sich noch die Waldhexe und der Wehrwolf, hier hausen die vertriebenen Götter Percunos, Potrimbus und die strenge Lauma, die darauf Acht giebt, daß der Faden des Fischernetzes nicht am Donnerstage gesponnen sei; wehe dem, der dessen nicht sicher ist, – denn der Faden, der am Tage der Lauma gedreht, der dreht den Fischer mitsammt dem Nachen im Wirbel, bis er untergeht und auch unten muß er sich drehen ruhelos in alle Ewigkeit. An der Stelle aber, wo er versank, bleibt ein Strudel zurück, der Jeden hinabspült, der ihm zu nahe kommt. Drum weilt der vorsichtige Schiffer hier gerne am Uferrand, wo er für alle Fälle einen Zweig fassen kann, und träumt in träger Ruhe von den alten und neuen Göttern und mit welchen man es wohl am klügsten zu halten habe, indessen die verborgene Branntweinflasche leer und leerer und der wüste Kopf schwer und schwerer wird. Aber eine kurze Strecke weiter hinab, wo sich der Wald lichtet und der Haasznensee in den Lykfluß ausmündet, der sich brausend mit starkem Gefäll in die Niederung gen Süden ergießt, da war sie geflohen, die düstere Poesie des nordischen Glaubens mit ihren geheimen Schauern, und ein buntes lautes Treiben, ein gesundes Leben und Schaffen an ihre Stelle getreten. Hier dampften die Schornsteine der Brauerei, hier schimmerten die rothen Dächer der neugeschaffenen kleinen Arbeiterstadt Alfreds aus dem Grünen hervor. Der reißende Fluß trieb klappernde Mühlen und aus den geöffneten Fenstern der Fabrik drang das Sausen und Surren der Spinnräder und Webstühle. Weit und breit unübersehbare Flachsfelder und, Weinbergen gleich, auf sonnigen Hügeln die bochragenden Hopfenpflanzungen. Auf den gemähten Wiesen jagten sich leichtfüßig die stolzen Trakehner-Füllen von dem Saltenow’schen Gestüt und die Giebelfenster des freundlichen Herrenhauses glänzten in der Sonne wie lachende Augen, weithin den Reichthum überblickend, der sich unter dem Schutz eines gesegneten Hauses entfaltete. Die nördliche Grenze des Gutes bildete der dunkle Wald, die östliche der rauschende Fluß, der weithin die Wiesen bewässerte, nur nach Süden und Westen grenzte es an armes verkommenes Land, von dem es sich grell abhob, denn bis dorthin war der bildende Einfluß Alfred’s noch nicht gedrungen, dort hatte er noch nicht die alten verheerenden Erbfehler der Masuren, Arbeitsscheu und Trunksucht, auszurotten vermocht.
„Vom Feld und Bett der Ehre sende ich Ihnen“ – so schreibt der Maler Kaspar Kögler an den Herausgeber dieses Blattes – „zwei Bilder des Kriegs, die von seinen Schrecknissen und seinem Jammer erschütterndes Zeugniß ablegen. Das erste zeigt eine Scene vom Schlachtfeld bei Mars la Tour während der Schlacht vom sechszehnten August vor Metz. Den Weg von Gorze aus aufwärts durch den Wald, und über die kahlen Höhen jenseits des Waldes, die mit den Opfern der mörderischsten aller Schlachten besät waren, bedechte an jenem Tage gegen Abend eine unübersehbare Munitionscolonne. Noch dröhnte der Boden von dem unbeschreiblichen Getöse der Schlacht. Der Donner der Geschütze, das Geknatter von Tausenden von Flintenschüssen, das Rauschen der Mitrailleusen dazwischen machte auf mein Gemüth einen überwältigenden Eindruck. Ich ging an der Munitionscolonne entlang, die Seele von Entsetzen erfüllt beim Anblick der reichen Saat, die der Tod rings um mich her gestreut hatte. In immer neuen Stellungen und Verrenkungen lagen sie da, all’ die Tapferen, mit verzerrten Zügen, zerrissen und staubbedeckt. Immer dichter wurde die Zahl, immer größer mein Grauen. Da erblickte ich die in der Zeichnung wiedergegebene Scene. Dicht neben den entstellten verzerrten Leichen, wie sie die feindlichen Kugeln zahlreich an den Abhang der Straße geworfen, hatten sich einzelne Soldaten der Munitionscolonne hingestreckt und – schliefen, schliefen sanft und träumten vielleicht die friedlichsten Träume, dieweil vom Donner der Schlacht der Erdboden zitterte und die gefallenen Brüder dicht an ihrer Seite den ewigen Schlaf schliefen! Manche unterschieden sich nur dadurch von den Todten, daß sie weniger bestaubt waren als diese. Welch ein Bild! Noch drängen sich mir die Thränen in die Augen, wenn ich mir dasselbe vergegenwärtige. Die Leiche im Vordergrunde links war die eines Unterofficiers, eines bildschönen jungen Mannes, den seine überlebenden Cameraden pietätvoll gerade gelegt und dem sie die Hände über die Brust gekreuzt hatten. So begegnete man allenthalhen kleinen rührenden Zügen der Anhänglichkeit, Freundschaft und menschlichen Gesittung. Eine andere an die Straßenerhöhung geworfene Leiche, deren von einer gräßlichen Wunde entstelltes Gesicht mit einem verstaubten Fetzen überdeckt war, hatte ein Kernschuß getroffen, so daß sie plötzlich erstarrt in der Stellung des Zielens dahinsank, die Arme starr emporstreckend, ein grauenhafter Anblick.
Die zweite Zeichnung bedarf wohl keines Commentars. Es ist ein einfaches, armes Soldatengrab, wie sie zu Hunderten die französische Erde bedecken. Nirgends habe ich in allen illustrirten Zeitschriften ein solches Grab gefunden und es ist doch gewiß ein Bild, das in seiner traurigen Aermlichkeit eine gewaltige Sprache spricht, eine Sprache, die bis in die zartesten Fasern der Seele dringt. Auf malerischen Effect konnte es natürlich bei diesem Gegenstande nicht ankommen, sondern nur auf die vollständige einfache Treue der Darstellung. Vor den Speicherer Höhen im weiten Felde erhebt sich dieser künstliche Erdhügel. Auf der Mitte desselhen ist aus rohen Baumästen ein Kreuz errichtet. Der Querbalken ist mit dem Beile glatt gehauen und trägt die mit Röthel geschriebene Inschrift: „16 Mann vom 40. Regiment, 2 Officiere“ – einige verwelkte Baumzweige bilden den Kranz des Kreuzes, das eine Pickelhaube krönt. Der Soldatenstand der in diesem großen Grabe Schlafenden ist deutlich genug angezeigt durch die Armaturstücke, welche die einzige Zierde desselben sind. Im Hintergrunde zur Linken deuten die Lindenreihen den durch den ersten Tag des Krieges berühmt gewordenen Exercirplatz von Saarbrücken an.“
Wem tritt beim Anblick dieses Grabbildes nicht der schöne, rührende Gedanke einer deutschen Frau vor die Seele, den wir hiermit aussprechen wollen. Wenn wir – sagt sie – schon jetzt in den Zeitungen den Satz lesen: „Wie lange wird es dauern, so geht die Pflugschaar über unsere Todten!“ – so drängt sich uns die Frage auf: „Ist’s für das einige Deutschland unmöglich, für seine Kinder das Stück Erde, in welchem sie in Frankreich liegen, zu erwerben und in einen sichern Friedhof zu verwandeln?“ Welche Beruhigung, ja welche Beglückung für die trauernden Angehörigen liegt in der Gewißheit, daß ihre gefallenen Lieben in sicherer Stätte ruhen und daß ihre Gräber wenigstens davor geschützt sind, binnen kurzer Zeit ganz vom Boden zu verschwinden! Es sind Väter und Mütter, es sind Brüder und Schwestern, Gattinnen und Bräute, welche in der Vorstellung solcher von der Heimath geschützten Grabstätten einen Trost für die peinigende Sehnsucht nach ihren verlorenen Lieben suchen. Und wahrlich, wenn es möglich ist, sollte dem tiefen Schmerz dieser Balsam wohl gereicht werden! –
Die gerettete Uhr. „Die blutige Wahlstatt von Vionville,“ erzählte der Sohn meines Freundes, „zählte auch mich zu den Schwerverwundeten. Während mir Schulter und Hüfte an der rechten Seite durch zwei Granatsplitter erheblich verletzt und beschädigt wurden, drang im nächsten Augenblicke eine Chassepotkugel in den Oberschenkel des linken Fußes, welcher nach wenigen Secunden eine zweite Kugel folgte, die das Schienbein des rechten Fußes traf. Der starke Blutverlust bewirkte eine tiefe Erschöpfung, ich fühlte, daß alle meine Kräfte schwanden und sank neben einem im Granatfeuer getödteten Pferde zu Boden. Eine
bald darauf eintretende Ohnmacht raubte mir vollends die Besinnung.
Erst beim Morgengrauen des folgenden Tages erwachte ich aus diesem
lethargischen und sinneslosen Zustande, wobei ich gewahr wurde, daß ich
mich noch auf derselben Stelle neben dem erschossenen Pferde befand.
Nachdem ich eine Zeit lang vergebens auf helfende Menschenhände gehofft hatte, versuchte ich mit Aufbietung aller Kräfte unter großen Schmerzen mich emporzurichten. Leider konnte ich es nur bis zu einer knieenden Stellung bringen, bei welcher indeß die Schmerzen sich vergrößerten und die Wunden von Neuem zu bluten anfingen. Es blieb mir unter diesen Umständen Nichts übrig, als die unter mir befindliche Blutlache noch länger als meine Lagerstatt beizubehalten, doch änderte sich meine Lage hierhei insofern, als ich die Gelegenheit benutzte, meinen Kopf auf den Hals des getödteten Pferdes zu legen. Kaum hatte ich einige Minuten in dieser Stellung zugebracht und sehnlichst einen meine Schmerzen besänftigenden Schlummer herbeigewünscht, als ich bei dem immer stärker hervortretenden Tageslichte eine aus Männern und Weibern bestehende Gruppe von Menschen bemerkte, an welche sich zunächst meine Hoffnung auf baldige Erlösung aus meiner traurigen Lage knüpfte. Nur zu bald wurde ich indeß meinen Irrthum gewahr, da mich die verschiedenen von
[832] Seiten dieser in einiger Entfernung befindlichen Leute ausgeführten Manipulationen zu meinem Schrecken überzeugten, daß es hier nicht auf Hülfe der Verwundeten, vielmehr auf Plünderung abgesehen sei. Im Bivouac hatte man von der Art und Weise, wie diese Schakale und Hyänen der Schlachtfelder mit hülflosen Verwundeten verfahren, schreckliche Dinge berichtet, weshalb mich ein unbeschreibliches Gefühl der Angst vor diesen Räubern befiel, welche ihr scheußliches Gewerbe in meiner Nähe auszuführen eifrig bemüht waren. Daß auch ich den Händen dieser Rotte nicht entgehen würde, schien mir um so gewisser, als ich auf einer busch- und baumfreien Anhöhe lag und somit leichter bemerkt werden konnte. Neben der Besorgniß für mein nur noch schwaches Leben befürchtete ich insbesondere den Verlust meiner Uhr, welche ich als theures Andenken an meine verstorbene Mutter, die mir an meinem Confirmationstage ein Geschenk damit gemacht hatte, stets bei mir trug.
Wie könnte ich dieses Kleinod am sichersten verbergen, damit es nicht eine Beute der raubgierigen Plünderer werde? – Indem ich noch eifrig bemüht war, diese Frage zu beantworten, hatten die Räuber ihren Weg bereits nach meinem Lager eingeschlagen. Indeß schien es, als ob ein seitwärts liegender Gegenstand ihre Aufmerksamkeit noch fesselte, da der ganze Räuberzug einige Secunden anhielt und unverwandt nach der linken Seite der eingeschlagenen Richtung hinblickte. In diesem Augenblicke war ich so glücklich, für meine Uhr einen Versteck zu entdecken. So schnell es meine Kräfte erlaubten, griff ich in die Tasche und versenkte das theure Andenken in das Ohr des todten Pferdes, welches mir bis dahin zum Kopfkissen gedient hatte. Die bis jetzt ausgestandene Angst und die gesteigerte Aufregung, dabei die Anstrengung der schwachen Kräfte bewirkten eine nochmals eintretende Ohnmacht, noch ehe die Räuberschaar in meine unmittelbare Nähe gelangte. Als ich erwachte, war die Sonne bereits über das blutgetränkte Schlachtfeld emporgestiegen. Außer meiner Börse, deren Inhalt circa acht Thaler und einige Silbergroschen betrug, vermißte ich gleichzeitig eine bis zur Hälfte gefüllte Feldflasche mit Liqueur. Neben mir standen meine Stiefel, welche wahrscheinlich in der Meinung, es könnten in denselben Werthgegenstände verborgen sein, von den Räubern abgezogen, aber nicht mitgenommen wurden. Meine Uhr fand ich unversehrt im Ohre des Pferdes!
Erst mit dem Beginn der Mittagszeit schlug für mich die Stunde der Erlösung, da ich um diese Zeit beim Aufsuchen der Verwundeten entdeckt und von hülfebringenden Menschenhänden dem Schlachtfelde entrückt wurde.
Rhein im October 1870.
Ein Erinnerungsblatt für die Opfer von Laon. Im Kugelregen, im Sturm der Schlacht den raschen Tod erleiden, – da es auf der Welt doch
einmal gestorben sein muß – das nennt Jedermann einen seligen Tod,
wie bittere Thränen auch den Gefallenen beweinen. Aber einem Mord erliegen, ahnungslos dem Leben plötzlich entrückt werden, das ist grauenvoll, das erschüttert unsere Seele, so oft wir an ein Opfer solcher Missethat gedenken.
Das Grauenvollste dieser Art in unserem furchtbaren Kriege vollbrachte der Teufel der Rachgier bei der Uebergabe von Laon am neunten September. – Die braven deutschen Soldaten, welche dort ihr Ende fanden, verdienen ein Erinnerungsblatt um so mehr, als auch ihnen die freudigen Ehren des Siegers gebührt hätten, die so manche Brust ihrer Kampfgenossen schmückt. Jetzt ruhen ihre zerschmetterten Glieder in der fremden Erde, wo Niemand einen Kranz auf ihre Gräher legt.
Wie äußerten sich über das Ereigniß die Franzosen, soweit die Presse den Geist derselben vertritt? Ohne die Untersuchung abzuwarten nahmen sie das Scheußlichste als wahr an und priesen es als heroische That. Wir haben schon so viel die Menschenwürde Beschämendes in dem unglücklichen Lande erfahren, Nichtswürdigeres noch nicht, als hier die Presse verbrochen hat. Sie setzt insgesammt – mit einer einzigen Ausnahme – voraus, der Commandant habe capitulirt, zuvor aber schon die Mine bereitet gehabt und die Preußen nur in der Absicht in die Citadelle gelockt, um sie in die Luft zu sprengen. Und einen solchen Act des niederträchtigsten Verrathes und der elendesten Hinterlist nennt die „Independance Belge“ möglichst frivol ein heroisches Auskunftsmittel; der „Electeur Libre“ ruft voll Begeisterung aus: „Wir schreiben mit Stolz den Namen des Generals Theremin und bedauern nur, daß wir nicht auch den Namen des einfachen Soldaten kennen, dieses unbekannten Heros, der das Feuer an das Pulver gelegt hat.“ – „Ein Land“ – stimmt die „France“ ein – „wo solche Thaten geschehen, wird nie der fremden Invasion sich beugen. Das Alterthum bietet nichts Größeres, die Geschichte des Commandanten von Laon wird zur Legende werden!“ – Und „Siècle“ vollendet den Triumphchor mit dem Aufruf: „Ehre diesen würdigen Waffenbrüdern der glorreichen Vertheidiger von Straßburg! Sie haben sich um die Republik verdient gemacht.“ – Armes Frankreich, wenn dein Volk nicht besser ist, als seine Presse! –
Nach dem Berichte des Herzogs Wilhelm von Mecklenburg, welcher selbst am Schenkel verwundet worden war, stellte sich der Verlust auf unserer Seite so heraus: ein Officier todt, acht Officiere verwundet, vierunddreißig Unterofficiere und Soldaten todt, dreiundsechszig Unterofficiere und Soldaten verwundet, sieben Pferde todt. Den Verlust der Mobilgarden (etwa vierhundert) und der Einwohner in der Stadt, deren der Citadelle zunächst liegender Theil stark zertrümmert war, schätzt man auf mehr als Siebenhundert. Die Schuld an dem großen Unglück so vieler Menschen wird auf einen Artilleristen geworfen, der schon einige Tage vor dem Heranrücken der Deutschen äußerte: „es sei möglich, daß man bald viel von ihm reden werde“ – und der seitdem verschwunden ist.
Unsere Todten sind begraben; sie ruhen beisammen und an ihrem rechten Flügel ein Fähndrich und der Hauptmann der Artillerie, Mann. Zum Gedächtniß Aller sei das Bildniß dieses einzigen Officiers der todten Schaar hierher gesetzt. Er erhalte das dankbare Andenken an die braven Männer, welche mit ihm in so grauenvoller Weise für das Vaterland gefallen sind.
Die große Bitte an alle deutschen Kinder, zur Aufrichtung eines
Christbaums für die armen Kinder und Waisen des Kriegs, hat in ganz
Deutschland Anklang gefunden, wie die Zuschriften von Nord und Süd
uns beweisen. In dem praktischen Leipzig ist aus der Mitte der Bürgerschaft ein Ausschuß zusammengetreten zu dem Zwecke, die Kinder bei ihrem Unternehmen mit Rath und That zu unterstützen und ihnen die Arbeit dabei leicht und lieb zu machen. Selbst in der größten Stadt kann bei gehöriger Theilung der Arbeit Bedarf und Deckung der Bescheerung
binnen acht Tagen klar sein, so daß über etwaige Ueberschüsse zu Gunsten
der armen Kinder in den zerstörten Städten Elsaß-Lothringens noch rechtzeitig verfügt werden kann. – Sehr erfreulich ist’s, daß für diese die erste Liebesgabe aus den Sparbüchsen einging; die Zuschrift von lieber Kindeshand lautet: „Unseren kleinen deutschen Schwestern und Brüdern in Elsaß und Lothringen zur Weihnachtsfreude von Laura, Hermann, Heinrich und Willi aus Bockenem.“
Ein wirklich gutes Bilderbuch ist oft genug und am meisten jetzt, in den Vorwochen des Groß und Klein erfüllenden Weihnachtsfestes, der Gegenstand eifrigster Nachforschung. Diese den Kinderfreunden zu erleichtern, machen wir heute auf den „Orbis pictus, Bilderbuch zur Anschauung und Belehrung. Bearbeitet vom Oberschulrath Dr. C. F. Lauckhardt“ (Leipzig, Günther) dringend aufmerksam. Was den Erwachsenen unter unseren Lesern einst das vielgelesene und geliebte „Bertuch’sche Bilderbuch“ war, ist den Kindern heute der „Orbis pictus“, der mit seinen sechshundert trefflichen Bildern und mit seinem sinnigen, schlichten, den Kindergeist ebenso belehrenden, als unterhaltenden Text, einen solchen Reichthum von Anschauungen und Anregungen aus der ganzen Welt bietet, wie kein anderes Bilderbuch unserer Tage. Es ist in drei Abtheilungen zu haben und so recht geeignet, die Kinder als ein guter Freund in Scherz und Ernst bis zu den reiferen Jahren treu zu begleiten. Daß das vorzügliche Buch soeben in zweiter Auflage erschienen ist, spricht am besten für seinen Werth.
Frau A. G. in Zittau. Besten Dank für die gute Meinung, die Sie von uns haben. Aber nachdem wir schon zum Oeftesten erklärt haben, daß wlr uns auf Rücksendung von Gedichten unter keinen Umständen einlassen, so bedauern wir lebhaft, selbst Ihrem Appell an unsere „Ritterlichkeit“ gegenüber hart bleiben zu müssen. Zürnen Sie nicht, verehrteste Frau und langjährige Abonnentin.
S. in Gdf. Von allen Tragödien des unglücklichen Grabbe möchten wir doch dem „Hannibal“ und der „Hermannsschlacht“ den Preis ertheilen. Eine vollständige Sammlung seiner Werke ist übrigens für nur einen Thaler neuerdings bei Ph. Reclam erschienen, herausgegehen und eingeleitet von R. Gottschall, der dem Ganzen eine ausführliche und werthvolle Charakteristik des Dichters vorausgeschickt hat.
A. S. in L. Nein, Manuscript vernichtet.
M. Solfrank in R. Ihr Artikel wurde von uns hereits unterm 16. Mai an Sie remittirt, kam aber zurück mit der amtlichen Bemerkung: „Ohne Standesangabe nicht zu bestellen.“ Wir ersuchen Sie darum um Ihre genaue Adresse, worauf Ihnen das Manuscript gegen Rückersatz der doppelten Portokosten zur Verfügung steht.
Zweitausensiebenhundert Thaler für die Wittwen und Waisen unserer Wehrleute sind mir aus Lyons (Clinton County, Iowa), als Ergebniß einer Sammlung dort lebender Deutscher, namentlich Schleswig-Holsteiner, soeben durch Herrn H. A. Henningsen zugegangen. Für diese reiche Gabe herzlich dankend quittirt vorläufig
- ↑ Unser Feldmaler hat sich selbst als Schlachtenbummler mit in die Scene gesetzt, aber, äußerst bescheiden, nur von hinten sichtbar. D. R.
- ↑ Die Schwärze des Hemdes, welches auf der Alm nie gewechselt wird, soll nämlich andeuten, daß die Senner, fern von aller Ueppigkeit, auch der des Waschens, sich fleißig mit dem Vieh befaßt, keine Mühe und Arbeit gescheuet haben etc.