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Die Gartenlaube (1864)/Heft 32

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1864
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: commons
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[497]
Die schwarz-weiße Perle.
Von Levin Schücking.
(Schluß.)


Kaunitz lächelte und gab sich alle Mühe, in dies Lächeln den Ausdruck von so viel Schadenfreude zu legen, wie ihm nur möglich war.

„Sie glauben am Ende gar, Excellenz,“ versetzte er kopfschüttelnd, „wir legten auf diese kleine Affaire mit dem Cavaliere di Lucano ein Gewicht, welches sie gar nicht verdient, wir knüpften Hoffnungen daran, die …“

„Von welcher Affaire reden Sie da … Lucano … was ist mit dem?“ fragte der Baron aufhorchend.

„Er ist verhaftet! Wissen Sie es noch nicht?“

„Verhaftet?“

„Auf den Befehl des Königs.“

„Und weshalb?“

Kaunitz zuckte die Achseln.

„Doch nicht etwa,“ fuhr der Baron Breteuil fort, „weil er meiner Cousine ein wenig lebhaft den Hof gemacht hat? Ich habe meine Cousine gewarnt, aber sie ist ganz so vernarrt in ihn, wie er in sie, und am Ende seh’ ich nicht ein, weshalb sie nicht ein passendes Paar sein sollten.“

„Es ist auch schwerlich deshalb geschehen, Excellenz, obwohl es den Anschein haben könnte, als habe er sich die königliche Ungnade durch seinen häufigen Verkehr mit der französischen Gesandtschaft zugezogen … denn Sie wissen, der König liebt es nicht, wenn seine Cavaliere sich mit den fremden Gesandten zu sehr befreunden; nein, die Ursache ist eine andere, und so machen wir uns keine Illusionen und glauben nicht, daß etwas für unsere Sache Förderliches darin liege, wenn …“

„Ich verstehe, ich verstehe; aber sagen Sie mir, was ist denn der Grund der königlichen Ungnade gegen den armen Cavaliere?“

„Ahnen Sie das nicht? Sie, der Sie so gut von Allem, was am Hofe vorgeht, unterrichtet sind?“

„Ich weiß, man sagt, die Marchesa von San Damiano …“

„Das sagt oder vielmehr flüstert man in der That, vielleicht auch nicht ganz ohne Grund …“

„Schwerlich!“ fiel mit cynischem Lächeln der Baron ein.

„Es muß,“ fuhr Kaunitz fort, „also etwas vorgefallen sein, was den König aufgebracht und zum Entschlusse geführt hat, den zu glücklichen Unglücklichen verhaften und auf das Fort Bard schicken zu lassen, wohin er morgen abgeführt werden soll! Die Marchesa soll außer sich sein über dies Schicksal ihres Lieblings!“

„Was erzählen Sie mir da?“ rief der Gesandte aus, seine Schritte anhaltend und sein Kinn mit der manschettenbewehrten Rechten streichelnd.

„Es ist so, wie ich sage,“ sprach Kaunitz weiter, „und so,“ setzte er mit einer Miene des höchsten Aergers und wie von seinem Verdruß zu diesem Ausruf fortgerissen hinzu, „spielt das Schicksal immer Ihnen alle Karten in die Hände … es ist zum Verzweifeln!“

„Alle Karten … mir!“ wollte der Baron verwundert ausrufen, aber er verschluckte diplomatisch diese Worte, die Kaunitz verrathen hätten, daß er nicht im geringsten wahrnahm, welcher Vortheil für ihn aus der Sache zu ziehen sei, er sagte nur: „Der arme Cavaliere. .. was wird Aimée dazu sagen! Sie wird untröstlich sein!“

„Aber schwerlich lange,“ versetzte Kaunitz wie noch immer in seinem Aerger … „ihre weiße Hand wird den Unglücklichen aus der Tiefe seines Unglücks schon wieder emporziehen …“

Dem Baron von Breteuil ging in diesem Augenblicke ein Licht auf. Er sah scharf in die Züge des jungen deutschen Grafen … was darin zu lesen, war nichts, als ein aufrichtiger tiefer Aerger, daß das Schicksal einmal wieder ihm, dem Baron, die „besten Karten“ gegeben … „in der That,“ dachte Breteuil, „dieser Deutsche ist sehr schlau, aber er ist recht einfältig, dieselbe Schlauheit in jedem Andern vorauszusetzen und diesem dadurch Winke zu geben, die ein guter Diplomat für sich behalten hätte!“

„Apropos,“ sagte der Baron jetzt, das Gespräch plötzlich fallen lassend, „ich habe mich in Paris wegen der Perle erkundigt, von der Sie neulich redeten; Sie haben sich geirrt, mein lieber Graf, es ist keine derartige im Schatze des Königs!“

„In der That nicht? Dann muß ich freilich mich geirrt haben,“ versetzte Kaunitz. „Vielleicht habe ich sie dann im Tower in London, im Schatze des Königs von England gesehen.“

„Möglich … vorhanden ist eine solche Perle wenigstens, und die, mein lieber Graf, ist in meinem Besitz!“

„In Ihrem Besitz?“ rief Kaunitz mit erheuchelter Verwunderung aus.

„Seit gestern!“

„Aber woher ist Ihnen möglich gewesen …“

„Ja, woher?“ versetzte lächelnd der Baron von Breteuil … „das ist mein Geheimniß!“

„Sie Glücklicher!“ seufzte Kaunitz wie mit gesteigertem Verdruß. „Auch das noch!“

„Aber nun, mein lieber Graf, leben Sie wohl,“ sagte der Gesandte, indem er sich plötzlich wandte, „ich muß heimgehen, denn meine Geschäfte rufen mich.“

Er machte Kaunitz eine etwas triumphirende höfliche Verbeugung [498] und schritt dann die Allee wieder hinauf, dem Schlosse zu. Kaunitz blickte ihm eine Weile mit einer ausdrucksvoll bewegten Miene nach und dann sagte er, sich schadenfroh die Hände reibend: „Ich glaube, der Fisch hat den Köder verschluckt! Und zum Ueberfluß wird er jetzt auch noch mit der Perle Effect machen wollen … hätte er sie nur früher bekommen und, wie ich hoffte, seiner Aimée sofort abgenommen! Doch jetzt wird Alles gut gehen!“

Der Baron von Breteuil wanderte unterdessen mit beschleunigten Schritten heim und suchte, sobald er in seiner Wohnung angekommen, seine Cousine Aimée von Brissac auf. Er hatte ein langes Gespräch mit ihr. Darauf setzte er sich nieder, um ein Billet an den Cavaliere Gennaro di Lucano zu schreiben.

Nach einer halben Stunde wurde ihm das Billet uneröffnet zurückgebracht. Es sei, lautete die Meldung seines Kammerdieners, welcher es ihm übergab, nach den Reglements den Militärgefangenen vor ihrer Aburtheilung durch das Kriegsgericht jede Correspondenz verboten.

„Und was nun?“ fragte der Baron seine Cousine, als er ihr diese Nachricht gebracht.

„Es ist ein böser Querstreich,“ versetzte Aimée ein wenig bestürzt.

„Ein sehr böser! Aber meinst Du nicht, daß ich trotzdem …“

„Ich glaube, mein Vetter,“ sagte Aimée leicht erröthend … „ich glaube, Sie können es trotzdem …“

„Du hast Recht … also zum Könige!“




7.

Die Audienz, welche der Baron von Breteuil beim Könige nachgesucht hatte, war ihm, wie immer den fremden Gesandten, sofort gewährt worden. Als sie zu Ende, hatte der französische Gesandte sich in das Vorgemach der Marchesa von San Damiano begeben und um die Ehre nachgesucht, sich ihr vorstellen zu dürfen.

Die Marchesa hatte ihn sehr huldvoll empfangen, obwohl sie, wie sie sagte, leidend war; ihr bleiches Aussehen strafte diese Worte der schönen Frau nicht Lügen. Breteuil nahm es zu seiner großen Befriedigung wahr und war entzückt, eine Nachricht zu haben, welche sofort die Rosen auf die blassen Wangen der Marchesa zurückrufen mußte. Er zog ein Etui aus seinem Rosataftrock hervor und überreichte es mit einer tiefen Verbeugung der Marchesa.

„Madame,“ sagte er, „es war jüngst Ihr Wunsch, ein Kleinod zu besitzen, welches in seiner Art einzig ist und das deshalb nur von einer Dame getragen werden darf, von welcher der Ruf in allen Ländern das Gleiche sagt – lassen Sie mich also Ihnen zu Füßen legen, was nur Ihnen gebührt!“

„Herr Baron,“ versetzte die Marchesa, „ich habe immer die unübertrefflichen Wendungen bewundert, in welche Sie Ihre Complimente zu kleiden wissen … aber,“ fuhr sie fort, indem sie das Etui öffnete … „ist das ein Geschenk für mich?“

„Ich komme wenigstens in der Hoffnung, daß es von der Frau Marchesa nicht verschmäht wird!“

„Die Perle, die Gennaro der Brissac gab, wie Bianca mir klagte!“ sagte sich die Marchesa im Stillen sehr betroffen … „er muß sie seiner Cousine weggenommen haben!“

„Ich kann das nicht annehmen,“ erwiderte sie laut, „weil … nun, weil der König …“

„Madame,“ fiel Breteuil eifrig ein, „der König ist nicht mehr in der Stimmung, Ihnen zu zürnen – ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß Se. Majestät Ihnen sehr bald einen Schritt abbitten werden, der Sie, Frau Marchesa, in so hohem Grade kränken mußte … “

„Einen Schritt, der mich kränken mußte?“

„Der Sie so tief verletzt und bekümmert hat. Ich habe den König bewogen, den Cavaliere di Lucano sofort in Freiheit setzen zu lassen!“

„In Freiheit setzen zu lassen … den Cavaliere? Und das haben Sie zu Stande gebracht, Herr Baron?“

„Ja, Frau Marchesa, der Eifer, Sie zu verpflichten, und, um ganz offen zu sein, die Hoffnung auf ein wenig Dankbarkeit von Seiten einer Frau, die so viel über Seine Majestät vermag, hat mir die rechten Mittel, diese Aufgabe zu lösen, eingegeben … der Cavaliere ist frei!“

„Beim Himmel, das ist mir eine unerwartete Nachricht!“ rief die Marchesa mit immer steigender Verwunderung aus, indem sie heftig bewegt das Etui mit der Perle auf einen Tisch warf … „sagen Sie mir um Gotteswillen …“

„Welche diese Mittel waren?“ fiel der Baron von Breteuil mit selbstgefälligem Lächeln ein und indem er seine Stimme dämpfte, „ich habe dem Könige mitgetheilt, daß der Cavaliere mit meiner Cousine Aimée von Brissac verlobt sei und daß ich um die Einwilligung Sr. Majestät zu dieser Verbindung bitte. Der König hat diese Nachricht mit sehr erhellter Stirn aufgenommen, sie hat seine argwöhnischen Gedanken sichtbar auf der Stelle zerstreut – der König, Madame, ist sehr glücklich!“

„Der König ist glücklich?“

„Wie man es nur sein kann, wenn uns eine schwere Last vom Herzen fällt – die schwerste, welche es giebt! Er hat mit den scherzenden Worten, der Cavaliere gehöre nun mithin der französischen Gesandtschaft an und ich habe ein Recht, ihn zu reclamiren, den Befehl gegeben, alles weitere Verfahren wider Signor Gennaro fallen zu lassen.“

„Herr Baron,“ sagte die Marchesa jetzt mit einem aufwallenden Zorn, der nicht mehr zu verkennen war, „Alles, was Sie mir da sagen, ist mir völlig unverständlich – zumeist wie Sie sich in eine Sache mischten, die … über freilich, Sie sagen mir, der Cavaliere sei der Verlobte Ihrer Cousine … Ihrer Cousine Aimée von Brissac … und der König hat bereits seine Einwilligung dazu gegeben … nun, wahrhaftig, dann bleibt mir ja wohl nichts übrig, als Glück dazu zu wünschen – in der That, ich wünsche Ihnen und dem jungen Paare sehr, sehr viel Glück, Herr Baron. Führen Sie es ja recht bald auf Ihre Güter, damit es dort im Stillen seinen Honigmond genießen kann – hören Sie, ja recht bald, es wird mir eine Freude sein, wenn ich erfahre, daß Sie mit demselben dahin abgereist seien …“

Die Blicke der Marchesa sprühten Feuer, während sie diese Worte hervorsprudelte, und der Baron von Breteuil nahm zu seiner ungeheuersten Ueberraschung wahr, daß er etwas gethan, was ganz und gar nicht zu dem Zwecke führte, den er beabsichtigt hatte.

„Aber, Frau Marchesa,“ sagte er äußerst bestürzt, „indem ich über mich nahm, ein so schreckliches Schicksal von einem jungen Manne abzuwenden, der Ihnen so nahe steht und der so würdig ist der Gunst, welche Sie ihm bewiesen …“

„Der mir nahe steht … dem ich Gunst bewiesen … Herr Baron, ich weiß nicht, woher Sie den Muth zu diesen Ausdrücken nehmen und was Sie dadurch andeuten wollen – der Cavaliere ist ein wortloser Mensch, ein Unwürdiger, ein Mensch von der verächtlichsten Treulosigkeit … und ich, ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich Ihnen Glück wünsche zu diesem Cousin und … Sie nicht länger Ihrem häuslichen Glück entziehen will – keinen Augenblick länger!“

Die Marchesa machte eine stolze Verbeugung mit dem Kopfe und wandte dem Baron so ausdrucksvoll den Rücken zu, daß er nicht anders konnte, als schweigend mit einer tiefen Verbeugung sich zurückziehen.

„Mein Gott,“ sagte er, als er das Vorzimmer erreicht hatte, „wer hätte geglaubt, daß sie in den jungen Menschen so bis über die Ohren verliebt sei, daß sie ihn lieber im Donjen von Bard, als in den Armen einer Andern wissen will!“

Der Baron von Breteuil war vollständig verblüfft. Er war eben im Begriff, das Corps de Logis des Schlosses, worin die königlichen Gemächer und die der Marchesa lagen, zu verlassen und den Corridor, der zu der ihm angewiesenen Wohnung führte, zu betreten, als ihm der Cavaliere di Lucano aus der Tiefe dieses Ganges entgegengeeilt kam.

„Ah, Signor Gennaro,“ rief er ihm zu, „wie gut, daß ich Sie sehe …“

„Excellenz,“ unterbrach ihn dieser sehr aufgeregt … „was ist das? man sagt mir soeben, ich sei frei, und ich höre dabei, daß ich dies Ihrer Vermittelung beim Könige verdanke!“

„In der That,“ versetzte der Baron, „Sie verdanken es mir – ich sprach den König …“

„Aber wie war es Ihnen möglich …“

„Hören Sie zu, Cavaliere – es war mir möglich, indem ich ein sehr heroisches Mittel anwandte, das Ihnen jetzt nachträglich zu ratificiren übrig bleibt. Ich hätte,“ fuhr der Baron fort, [499] indem er Gennaro unter den Arm nahm und mit ihm den Corridor hinabging, „Sie vorher um Ihre Einwilligung gefragt, wäre es mir möglich gewesen. Aber man verweigerte mir sogar die Erlaubniß, Ihnen ein Billet zusenden zu dürfen. So handelte ich in Ihrem Namen. Ich bat ohne Zeitverlust um eine Audienz beim Könige. Bei meinen ersten Worten an Se. Majestät überzeugte ich mich, wie tief des Königs eifersüchtiger Groll auf Sie war … Se. Majestät fragten mich mit eiskaltem Ton, mit düster zusammengezogenen Brauen, was die französische Gesandtschaft veranlasse, sich so früh am Tage um die Amtsgeschäfte seines Generalprofosses zu kümmern. ‚Majestät,‘ antwortete ich, ‚es handelt sich hier um einen Fall, der ein wenig zu der Amtssphäre der Gesandtschaft gehören dürfte – wobei sie ihr Recht der Exterritorialität in Anspruch nimmt; denn wenn es Eure Majestät zu Gnaden halten wollen, der junge Mann ist der Gesandtschaft attachirt, so attachirt, wie es ein Verliebter nur an seinen Gegenstand sein kann …‘

‚Was, er ist in die französische Gesandtschaft verliebt?‘ geruhten S. Majestät lächelnd einzufallen.

‚Nicht gerade in die Gesandtschaft,‘ erwiderte ich … ‚nein, Majestät, aber in Mademoiselle Aimée de Brissac, welche ein wenig zur Gesandtschaft gehört und welche – seine Braut ist; und so, hoffe ich, wird der König ihn uns herausgeben!‘“

„Welche … welche meine Braut ist?!“ fuhr Signor Gennaro auf.

„So sagt’ ich,“ versetzte der Baron von Breteuil, indem er den Cavaliere durch eine Verbeugung einlud, in sein Vorzimmer einzutreten, vor dem sie eben angekommen waren und dessen Flügelthür ein harrender Diener aufgeworfen hatte.

„Aber um Gotteswillen,“ rief Signor Gennaro aus, die Schwelle überschreitend und während der Baron ihm winkte, auf einem Sessel Platz zu nehmen, „um Gotteswillen, Herr Baron, wie konnten Sie sagen …“

„Ich sehe Sie mit Recht erstaunt, mein lieber Cavaliere, aber Aimée hat mir Alles gestanden, und es war keine Zeit zu verlieren. Morgen wären Sie auf der Reise nach diesem entsetzlichen Fort Bard gewesen. Es gab kein besseres durchschlagenderes Mittel, die Eifersucht des Königs zu beschwichtigen … und beschwichtigt ist sie … des Königs Züge erhellten sich wunderbar, seine Augen leuchteten vor Glück, und der Befehl zu Ihrer Freilassung …“

„Aber ich begreife nicht,“ fuhr der Cavaliere dazwischen, „was den König dabei glücklich machen kann!“

„Wenn er Sie in den Banden einer Andern, als Bräutigam einer Andern weiß … das begreifen Sie nicht?“ unterbrach ihn der Gesandte … „in der That, das ist seltsam! Ahnen Sie denn gar nicht, daß der Zorn des Königs Sie zu vernichten drohte, weil er auf … nennen wir es auf die Gnade der Marchesa für Sie eifersüchtig ist?“

„Deshalb … deshalb wurde ich verhaftet?“ rief Genuaro, … „o mein Gott!“

„Das überrascht Sie?“

Signor Gennaro antwortete auf diese Frage nicht. Er flüsterte nur in sich hinein: „O mein Gott, ich bin gefangen … ich bin vernichtet … vernichtet! Aimée meine Braut!“

„Und nun, mein lieber Cavaliere,“ begann der Gesandte wieder, „was sagen Sie zu dem heroischen Mittel, zu dem ich griff, um Sie zu retten, weil es das einzige war, das Sie retten konnte?“

„Ja, ja, ja,“ stammelte Gennaro, „Sie haben Recht, Sie haben ganz Recht, es ist das Einzige, was mich rettet … o ich danke Ihnen dafür – ich danke Ihnen …“

„Und Aimée …“

„Ja, Aimée … Sie hat Ihnen diesen Schritt eingegeben … sie … wie kann ich ihr danken …“

„Kommen Sie, damit wir sie aufsuchen!“

Gennaro schlug wie ein Verzweifelnder beide Hände vor’s Gesicht.

„O mein Gott!“ stöhnte er leise noch einmal, „bin ich denn wirklich gefangen – verloren für ewig?“ und plötzlich aufspringend, rief er aus: „Nein, nein, ich kann es nicht … nicht in diesem Augenblick … lassen Sie mich, Baron – nur für eine Stunde – lassen Sie mich Luft schöpfen, nach so Vielem, was mich überwältigt … Adieu, Adieu …“

Und damit eilte er davon und stürzte aus dem Vorzimmer des Gesandten fort wie ein Wahnsinniger.

Der Baron blickte ihm betroffen nach.

„Das ist ein seltsames Betragen für einen Verliebten, dem man eben sein Glück ankündigt!“ sagte er für sich. „Es scheint, dies soll ein Tag der Ueberraschungen für mich sein. Aber am Ende muß mir die Marchesa wenigstens doch Dank wissen für Das, was ich für sie gethan habe!“




8.

Signor Gennaro stürzte unterdeß in der furchtbarsten Aufregung desselben Weges daher, den vorhin der Baron von Breteuil gekommen. Ehe wenige Augenblicke verflossen, stand er im Vorzimmer der Marchesa von San Damiano und mit dem Kammerdiener, der ihn anmelden ging, drang er zugleich in das Gemach der schönen und einflußreichen Frau ein, um einer Abweisung zuvorzukommen.

Die Marchesa stand in der Mitte ihres Zimmers; sie war beim Anblick Gennaro’s leichenblaß geworden und richtete durchbohrende Blicke auf ihn; ihre Lippen zitterten, als sie leise, kaum vernehmlich vor unterdrücktem Zorn, die Worte sprach: „Wer erlaubt Ihnen hier einzudringen, Cavaliere? Der König hat für gut gefunden, Ihnen die Freiheit zu schenken … aber ich hatte mir geschworen, Sie nie wieder zu sehen!“

„Marchesa!“ rief Gennaro aus, indem er sich vor ihr auf die Kniee warf, „vergeben Sie mir, ich mußte, ich mußte Sie sehen, ich mußte aus Ihrem eigenen Munde vernehmen, ob es wahr ist, daß ich mich Ihretwegen opfern, daß ich um Ihretwillen für immer unglücklich werden muß – wenn es so ist, dann will ich es, gern, gern, aber aus Ihrem Munde will ich es hören … muß ich für ewig mein Schicksal an diese kokette Französin ketten, die ich hasse, die ich verabscheue?“

„Gennaro!“ rief hier die Marchesa aus, „was sagen Sie da – Sie sind niedrig genug, Ihre eigene Braut zu beschimpfen?“

„Meine Braut!“ rief der junge Mann mit einem Ausdruck unsäglichen Unglücks. „Aber es sei – um Ihretwillen möge sie meine Braut sein … ich weiß, wie viel ich Ihnen verdanke … von welcher mütterlichen Theilnahme Sie für mich immer erfüllt gewesen sind, wie Sie für meine Stellung an diesem Hofe gesorgt haben … und nun ist der König, dieser argwöhnische gewaltthätige König, dadurch von Eifersucht erfüllt worden … das einzige Mittel seinen Verdacht abzulenken ist, daß ich diese Französin, der ich so leichtsinnig den Hof machte …“

„Um Gotteswillen, was reden Sie da!“ unterbrach ihn heftig die Marchesa, „der König … eifersüchtig … auf mich … auf Sie, Gennaro? … o, nun versteh ich die impertinenten Reden des Barons von Breteuil erst …“

„Ist es denn nicht so?“ fragte der Cavaliere sehr überrascht.

„Und wer, beim Himmel, wagt es zu sagen, daß dem so ist?“ fuhr die Marchesa auf.

„Der Baron von Breteuil!“

„Der Baron von Breteuil … der Unverschämte also verbreitet es, der König sei Ihretwegen, Gennaro, in Eifersucht?“

„Und habe mich deshalb nach dem Fort Bard schicken wollen, und er, Breteuil, habe mich gerettet, indem er mir seine Cousine zur Braut gegeben!“

„Abscheulich,“ rief die Marchesa aus, „das ist abscheulich … so meine Ehre anzutasten … des Königs Ehre … der König um meinetwillen in Eifersucht … nein, dies ist mehr, als ich ertragen kann!“

„Also,“ fragte Gennaro kleinlaut und doch froh aufathmend, „dies ist Alles nicht wahr, und ich brauche nicht der Verlobte Aimee’s zu sein?“

„Lieben Sie denn Aimée wirklich nicht?“ rief die Marchesa mit einer aufwallenden Heftigkeit aus, die ganz anderer Art wie ihr bisheriger Zorn war.

„Ich … ich Aimée lieben? … beim Himmel, nein, Frau Marchesa!“

„Aber, Sie Unglücklicher, Sie haben doch ihretwegen Bianca verlassen – Sie haben dieser Französin so auffallend den Hof gemacht …“

„Es mag sein … aber wahrhaftig, ich schwöre Ihnen, es geschah – es geschah“ – der Cavaliere suchte nach einer Ausrede, [500] denn unmöglich durfte er den eigentlichen Zusammenhang gestehen … „es geschah aus reiner Verzweiflung …“

„Aus Verzweiflung machten Sie den Hof?“

„Nun ja – um zu vergessen, um meinen Schmerz zu betäuben, weil … weil …“

„Es ist eigenthümlich, wie sehr Sie stottern … Gennaro – vertrauen Sie mir – sagen Sie mir Alles!“

Die Marchesa legte zärtlich ihre Hand auf Gennaro’s Arm und sah ihm mit Blicken in’s Auge, deren Ausdrucke das Mißtrauen selber hätte vertrauen müssen.

„Nun, so hören Sie’s denn, Marchesa … weil Bianca mir sagte, daß Sie nie Ihre Einwilligung zu unserer Verbindung geben würden, und weil ich Bianca mehr liebe als mein Leben!“

Die Marchesa wandte sich plötzlich ab … sie schritt einem Fauteuil zu und indem sie sich, das Gesicht von Gennaro abgekehrt, niederließ, sagte sie mit leiser, doch offenbar zorniger Stimme: „So … Bianca sagte das? – Bianca glaubt also sehr genau zu wissen, wie ich denke und fühle und was ich beschließen werde … und Sie, Gennaro, Sie lieben also Bianca – mehr als Ihr Leben?“

„Mehr als mein Leben, mehr als meine Seligkeit!“ rief Gennaro aus, und indem er sich noch einmal vor der Marchesa auf ein Knie niederließ, fuhr er mit den Ausrufen stürmischer Leidenschaft fort: „Und Bianca hat Unrecht? nicht wahr, Marchesa, Bianca hat Unrecht? es kann nicht möglich sein, daß Sie, Sie, die Sie Alles haben, der ein Königreich zu Füßen liegt, Ihr Glück darin fänden, für ewig Herzen zu trennen, die sich angehören, die ohne einander der Verzweiflung zum Raube werden und den Tod einem Leben ohne einander vorziehen?“

Die Marchesa stützte ihre bleiche Stirn auf ihre Hand; dann sagte sie leise: „Sie sind ein Thor, Gennaro … Sie wissen nicht, was Ihre Worte …“ Sie vollendete nicht, aber sie sprang plötzlich wie mit einem heroischen Entschlusse auf. Noch immer abgewandt von Gennaro sagte sie rasch und heftig: „Gehen Sie, rufen Sie Bianca – rufen Sie dieselbe zu mir!“

Gennaro eilte davon auf den Flügeln der seligsten Hoffnung – er stürmte in Bianca’s Wohnzimmer und fand ihr gegenüber in ruhiger Unterhaltung – Kaunitz sitzen.

„Sie hier, Graf Kaunitz,“ rief er überrascht aus, „Sie?! … Bianca, wir sollen sogleich vor der Marchesa erscheinen – sogleich – folgen Sie mir zu ihr … mit Ihnen, Graf,“ setzte er zornig hinzu, „habe ich später die Ehre zu reden!“

„Gewiß, es hat Zeit bis später,“ versetzte Kaunitz mit einer lächelnden Verbeugung, „ich mache keinen Anspruch darauf, schon jetzt Ihren Dank entgegenzunehmen, da ich Sie in so großer Eile sehe, Cavaliere …“

„Meinen Dank … meinen Dank für eine Verrätherei, die mich beinahe …“

„Still,“ fiel Bianca ihm in’s Wort, „still, Gennaro, ich weiß Alles. Du verdankst dem Grafen, ihm allein Deine Befreiung und ihm allein auch meine Verzeihung. Er hat mich Alles klar durchschauen lassen – ich begreife Alles – der abscheuliche Franzose, dieser Baron Breteuil ist an Allem schuld. Er hat durchaus durch die Marchesa seine diplomatischen Zwecke erreichen wollen, er hat seine Cousine Aimée dazu abgerichtet, durch die gottloseste Koketterie Dich an sich zu locken, um durch Dich die Marchesa zu beeinflussen …“

„Aber das ist ja nicht wahr,“ fiel hier Gennaro ein, „Graf Kaunitz war es ja, der …“

„Signor Cavaliere,“ fiel hier Kaunitz ein, „ich meine, Sie können mit der Wendung, welche die Dinge für Sie genommen haben, vollständig einverstanden sein. Beeinträchtigen Sie diese Wendung nicht durch Erklärungen und Auseinandersetzungen, welche in diesem Augenblicke nur gefährlich sind … folgen Sie meinem wohlgemeinten Rath und glauben Sie dem, was ich so eben hier Bianca Pallavicini enthüllt habe. Es ist so, wie sie sagt: der Baron von Breteuil hat geglaubt, eine Schwäche der Frau Marchesa von San Damiano für Sie ausbeuten zu können, indem er Sie an sich locken ließ und dann Ihre Freiheit vom Könige erwirkte, in der Hoffnung, daß die Marchesa dafür aus Dankbarkeit ein Werkzeug der Politik werden würde, welcher er diente. Kurz, der abscheuliche Franzose ist an Allem schuld – nicht wahr, Signora Bianca?“

„An Allem, an Allem!“ rief Bianca eifrig aus, „und darum verzeih’ ich Dir auch Alles, Gennaro – und nun komm und laß uns zur Marchesa eilen!“

Gennaro nahm die Hand, die sie ihm reichte, und Beide eilten davon.

„Geht nur,“ sagte Kaunitz, langsam ihnen folgend und mit einem spöttischen Lächeln, „Bianca hat ihre Lection vortrefflich inne, und … der Baron von Breteuil wird aus den Schatten von Stupinigi in die Sonnenhitze müssen!“




9.

Die Marchesa von San Damiano empfing die beiden jungen Leute, die von freudiger Aufregung geröthet vor sie traten, mit kalten, strengen Blicken.

„Ihr habt mich Beide hintergangen,“ sagte sie vorwurfsvoll; „Ihr habt meine Wohlthaten mit Undank gelohnt! Aber ich will Euch verzeihen, und wenn Du, Bianca, dem Gennaro sein Unrecht verzeihst …“

„Ach,“ fiel Bianca Pallavicini ein, „sein Unrecht ist schon verziehen, seit ich ergründet habe, daß er das Opfer einer abscheulichen Intrigue wurde …“

„Und welcher Intrigue Opfer wurde er, welche Intrigue brachte ihn dazu, Dir treulos zu werden?“ fragte die Marchesa mit einem Lächeln der Verachtung auf ihren Lippen.

„Einer diplomatischen Intrigue,“ fiel heftig Bianca ein, „der Intrigue dieses abscheulichen Barons von Breteuil, der seine Cousine Alles aufbieten ließ, um ihn in ihr Netz zu ziehen und um durch ihn …“

Bianca stockte plötzlich, von einem erschrockenen Blicke Gennaro’s in dem Augenblick gewarnt, wo sie sich selbst sagte, daß sie inne halten müsse – und verlegen sah sie zu Boden.

„Also deshalb?“ sagte die Marchesa halblaut für sich, die Mienen der jungen Leute fixirend. „Also dazu?“ fuhr sie in diesem stillen Monolog fort; „ich soll also durchaus die Sclavin dieses schlauen Herrn werden, der mir kostbare Perlen schenkt und mich beherrschen will, durch das, wodurch man eine Frau beherrscht, durch ihre Schwächen? Und dieser Schritt beim Könige! Welche Frechheit liegt in der Voraussetzung, die ihn bewog, Gennaro’s Freiheit zu erwirken! Welche Beleidigung für den König! Welche für mich!“

In der That, die Marchesa fühlte sich tief verletzt, an ihrer Ehre angegriffen – aber auch voll Sorge. Wenn der Baron von Breteuil die Bestrafung Gennaro di Lucano’s der Eifersucht des Königs zugeschrieben hatte, war es dann nicht möglich, daß auch Andere, daß ein Theil des Hofes denselben Gedanken hegten, daß das Gerücht eine ganze Geschichte erdichtete, deren Helden sie und Gennaro waren – daß diese Geschichte endlich sogar das Ohr des Königs, der ein so feines Ohr hatte, erreichte? Dieser Gedanke war unter den ersten gewesen, welche in ihr aufgestiegen, nachdem der Baron von Breteuil sie verlassen hatte – und es war ihr klar geworden, daß es nur ein Vertheidigungsmittel dawider gab – sie mußte der Welt zeigen, daß ihre Theilnahme für Gennaro nichts sei, als eine mütterliche Fürsorge, und kein Ding war mehr geeignet dies zu zeigen, als wenn sie ihre Nichte Bianca dem Cavaliere als Braut zuführte. Dies Opfer mußte gebracht werden, und die Marchesa war entschlossen es zu bringen.

„Ich will nicht weiter forschen,“ sagte sie deshalb, „aber ich sehe, es ist Zeit, solchen Intriguen den Boden zu nehmen. Darum erkläre ich Dir, Bianca, daß ich nichts einzuwenden habe wider Deine Verbindung mit Gennaro di Lucano. Ihr mögt Euch heirathen, wann Ihr wollt, und Gennaro wird Dich alsdann auf seine Güter bringen.“

Bianca warf sich mit überströmenden Augen an die Brust ihrer Tante, und Gennaro küßte knieend ihre Hand.

„Laßt mich, Kinder, laßt mich!“ sagte sie; … „Euern Dank will ich später hören – ich muß jetzt augenblicklich den König sprechen.“

Sie zog die Klingel, und nachdem sie Befehl ertheilt, sie sogleich dem König anzumelden, deutete sie auf das Etui des französischen Gesandten und sagte zu Bianca gewendet: „Nimm das, mein Kind, ich mache es Dir zum Hochzeitgeschenk!“

Damit schritt sie aus dem Zimmer und überließ die beiden jungen Leute ihrem Glück.

Am Nachmittage wurde der österreichische Gesandte Graf

[501]

Taufe  Westphälisches Bauernleben. In der Jugend
Achter dem Fenster. Hochzeitszug. Der Hochzeitbitter.
Originalzeichnung von Otto Günther.

[502] Traun zum Könige beschieden und hatte eine mehrstündige Unterredung mit ihm. Kaunitz erwartete in seinen Gemächern in größter Spannung seine Rückkehr.

Die Excellenz trat endlich ein mit freudestrahlendem Gesicht, in der Hand ein zusammengefaltetes Papier haltend.

„Das Bündniß ist abgeschlossen, Kaunitz,“ rief er triumphirend aus, „wir haben Alles, was wir wollten … auf diesem Blatte sind die Bedingungen von mir niedergeschrieben, vom König gezeichnet … da lesen Sie!“

„Dem Himmel sei Dank!“ jubelte Kaunitz auf, indem er mit zitternder Hand das Papier ergriff.

„Der König,“ fuhr Traun fort, „hatte einen wahren Eifer, zu Ende zu kommen, er war mit Allem einverstanden – und er sprach von Breteuil in einem Tone, der mich vermuthen ließ, daß sein ganzer Eifer, sich mit uns zu verbünden, von dem dringenden Wunsche eingegeben würde, den Baron von Breteuil sobald als möglich sein Hoflager verlassen zu sehen.“

„In der That? Nun dann …“

„Hat mein Attaché nicht umsonst mit gearbeitet!“ rief Traun aus, „ich vermuthete es! Aber jetzt ist keine Zeit zum Erzählen – Sie müssen augenblicklich sich reisefertig machen, augenblicklich, Kaunitz, und das Papier unserer Monarchin überbringen – Sie sehen, ich gewähre Ihnen den Lohn für Ihre Leistungen, noch bevor ich ganz diese kenne.“

„Also bin ich’s doch,“ entgegnete Kaunitz lächelnd, „der zuerst aus den Schatten von Stupinigi in die Sonnenhitze hinaus muß … aber freilich in die Schatten errungener Lorbeeren. Ich danke Ihnen, Excellenz.“

Er eilte davon, den eroberten Siegespreis in der Rechten. Nach einer Stunde war er reisefertig. Eine mit vier Postpferden bespannte Kalesche hielt seiner harrend unten in einem der Schloßhöfe. Da, als er eben im Begriff war, sein Zimmer zu verlassen, wurden ihm ein Billet und ein Etui gebracht. Das Billet enthielt die folgenden Worte: „Wir hören, daß Sie abreisen, Herr Graf. Sie sollen es nicht, ohne die wärmsten Danksagungen mit sich zu nehmen, welche wir Ihnen schulden. Möge das Bewußtsein, daß Sie zwei Glückliche gemacht, Sie lohnen, und die Perle, welche wir diesen Zeilen beifügen und wieder in Ihre Hände legen, Ihnen eine Erinnerung sein an
Bianca Pallavicini und Gennaro di Lucano.“ 

„Nun in der That,“ sagte Kaunitz, „diese Perle hat eine merkwürdige Rundreise gemacht – und kommt gerade im richtigen Augenblick, um mir in Wien einen doppelt freudigen Willkomm bei meiner schönen Gebieterin zu sichern. Und nun leb’ wohl, Bianca, leb’ wohl, Stupinigi! Ich bedaure nur das Eine, daß mir nicht die Zeit bleibt, dem Baron von Breteuil meinen Abschiedsbesuch zu machen, um zu sehen, wie er es erträgt, von einem Deutschen überlistet zu sein, und um der schönen Aimée zuzuflüstern: ‚Trösten Sie sich mit mir, armes Herz, auch mir zerrann ein rosiger Traum!“




Land und Leute.
Nr. 15. Auf rother Erde.
I.
Mit Abbildung.
Der verrufene Strich. – Das erschlossene Westphalenland. – Die grünen Eichenkamps. – Das altsassische Haus. Die Kindelbeer. – „Paßter und Kanter“. – Das Gevatterkleid. – Hans und Grete. – Die geplünderte Speisekammer als Liebesbarometer. – Der bestochene Spitz. – Hinter dem Fenster. – Der Hochzeitbitter. – Die Mindener Bauerntracht. – Der Trauungszug. – Die Hochzeit mit Böllerschüssen und dreitägigem Schmause.


– Westphalen! Du verrufner Strich,
Land meiner Väter – –  

Jäger, Naturforscher und Handwerksbursche sind jetzt noch die einzigen deutschen Menschen, welche auch abseits von Heerstraßen und Eisenbahnen ihre Wege suchen und zu den Leuten kommen, die hinter den Bergen wohnen. Jäger und Handwerksbursche erzählen wohl am Gasttisch und in der Herberge von den unbekannten Thälern, in die sie vorgedrungen, und von den Sitten der Bewohner, deren Heimath vom großen Verkehrsstrom nicht bespült wird; aber ihre Erzählungen verrauschen mit den Abendstunden, die sie ausfüllten. Und dem Naturforscher ist gewiß der Stein in der Schlucht und das Kraut im Wald wichtiger, als der Mensch auf dem Feld und in seiner einfachen Behausung. So ist’s denn möglich geworden, daß wir im lieben deutschen Vaterlande selbst noch „unbekannte Länder“ haben, die für den Forscher der Volkssitten und für den Künstler, der neue Landschaften und neue Staffagen sucht, zu Entdeckungsreisen einladen.

Die Gartenlaube hat schon manchen dieser stillen Winkel, manche verborgene Schönheit der Natur und des Volkslebens an das Licht gezogen, und sie wird es sich zu einer ihrer Aufgaben machen, in diesem Bestreben fortzufahren. Nicht blos unsere großen Gebirge, auch unsere weiten Ebenen verbergen noch viele unbekannte Kleinode, die von ihrer nächsten Umgebung kaum gewürdigt werden. Sie dem deutschen Volke als neuerworbene Schätze darzubringen, ist eine erfreuliche Arbeit, denn wir können nicht Liebes und Gutes genug von unserem Vaterlande kennen lernen, um es immer höher und heiliger zu halten.

Heute lassen wir uns von kundiger, warmer Hand in die Heimath unseres Freiligrath führen, die, trotz der lauten Verherrlichung, die ihr durch diesen ihren größten Dichter geworden, dennoch für das deutsche Volk noch gar manchen verborgenen Schmuck des Landes und des deutschen Herzens bewahrt.

Als im Jahre 1847 der erste Eisenbahnzug durch die Porta Westphalica flog und innehielt inmitten der stromdurchschnittcnen Gebirgsmassen, wo der eine Theil schroff aufsteigende kahle Felsen zeigt, der andere des herrlichsten Waldes üppige Vegetation bietet, – da standen die Reisenden entzückt, bezaubert da! – da flog ihr Blick staunend hinauf zur Höhe der Felswand des Jakobsberges, da schweifte ihr Auge bewundernd zu den Laubmassen der Margarethenklus, deren Gipfel mit der alten Wittekindskapelle gekrönt ist, und mancher Mund fragte: „Das ist Westphalen? Dies ist die rothe Erde? Dies das verrufene Nebelland?“

Ja, das ist Westphalen, wo tausend Reize sich schwesterlich die Hand reichen, wo die Natur in überraschendster Weise das Rauhe mit dem Zarten, das Wilde mit dem Lieblichen vereint! Jetzt weiß man’s lange, welch reiches, schönes und gesegnetes Land das Land der rothen Erde ist. Das Erwachen der Welt für Westphalen fiel mit dem Erwachen der deutschen Freiheit zusammen. Alle die Reisenden, die jetzt mit der Eisenbahn schlafend von Köln oder aus Berlins Sandebenen kommen, sie lassen sich wecken, ermuntern sich, wenn’s heißt: „Auf rother Erde!“

Doch nicht durch jenen Landstrich der rothen Erde allein, der sich von Köln über Essen, Dortmund, Bielefeld und Minden erstreckt, führt die Eisenbahn, Schienenlinien durchschneiden in netzartigen Geweben nun den größten Theil jenes einst so unbekannten Landes. Nur der rothen Erde sagenreiches Hochland, das wild zerklüftete Sauerland, wehrt noch an vielen Stellen mit seinen starren Felskolossen dem Alles nivellirenden Dampfroß den Zutritt. Dort, im wildromantischen Hönnethal, wo in engen Felsschluchten die Eisenhämmer pochen und Hochöfen ihre leuchtenden Flammensäulen über die Fels- und Tannenspitzen hinauf zum Himmel senden, da geben schmale Wege nur Raum für bescheidene Fuhrwerke. Und was würden doch diese wilden Schluchten mit ihren Tropfsteinhöhlen, ihren wohlerhaltenen und zerfallenen Burgen und mit ihrem urthümlichen Volksleben dem reiselustigen Fremden Alles bieten! Denn in jenem Hochland Westphalens, wie in den baumlos öden Haiden, sind des alten Landes starre Sitten und Gebräuche mit nur kleinen Unterschieden noch dieselben, wie vor Jahrhunderten; ebenso ist dies selbst in den lachenden Ebenen und den bebauten Bergen des Teutoburger Waldes und der Mindenschen Kette, wohin die Civilisation schon längst ihren Fuß gesetzt. Die [503] eisernen Schienen sind dort eisernen Menschen begegnet, die fest an ihren Ansichten hingen, fest wie die stämmigen Eichen in ihren Wäldern blieben.

Der Bauer bestellt noch sein Feld, sein Weib das Haus, wie ehemals, und auch „dä Lüttgen“, die Kinder, lassen sich von den Wolkenbergen des Dampfrosses nicht verleiten, ihr Glück anderswo, als auf dem heimathlichen Boden ihrer rothen Erde, zu suchen. Mehr oder minder hängt jeder Westphale treu an seinem Geburtslande, und wo er auch ist, ihn zieht’s zurück in den grünen Kamp seiner Eichen, in die schattigen Haine seiner Buchen – den Aristokraten, wenn er die Welt durchstreift, den Bauer, wenn er’s in der Fremde versucht hat! Jene meinen: „Es giebt nur in Westphalen einen schönen Edelsitz;“ diese denken: „Nur Westphalen hat solche Bauernhöfe!“

Den Bauern lockt die Fremde noch weniger, als den Edelmann. Ruhig sah der im Stromthal lebende Hofbesitzer oder der Heuerling (Tagelöhner des Bauern), welcher sich am Ufer der Weser seinen Kotten (Hütte) erbaut, die überfüllten Dampfboote an sich vorüberziehen, die einst Tausende von auswandernden Hessen gen Bremen trugen, wo sie sich mit goldenen Illusionen nach Amerika einschifften. Bedächtig wiegte der westphälische Bauer das Haupt hin und her ob des „Amärikafievers“ und trat, kopfschüttelnd über das Risico, unter das Laubdach seiner alten Linden, das den stattlichen Hof des Reichen, wie den bescheidenen Kotten des Heuerlings beschattet.

Bei Arm und Reich ist die Bauart der Häuser ziemlich gleich, Lehmwand und Halmendach fast überall, nur daß der Hofbesitzer mehr Gebäude aufführt, als der arme Tagelöhner auf seinem Grund und Boden errichten kann. Bäume, einen Weiher, hat der kleinste Kotten; ein Buchenhag, eine Weißdornhecke umzäunt auch sein geringes Gebiet. Ebenso ist in der Erziehung, in der ganzen Lebensweise, selbst im Lebenslauf zwischen Arm und Reich wenig Unterschied. Der reiche Bauer arbeitet nicht minder fleißig, als der arme, nur daß Noth und Sorge um’s liebe Leben ihm nicht die Arbeit erschweren. Wo der reiche Bauer sie aber beim armen sieht, sucht er ihr abzuhelfen, soweit er kann. Wird auf dem Hof des reichen Bauern oder in der niedrigen Lehmhütte des armen ein Sohn geboren, so ist die Freude der Eltern immer reiner und auch größer, als wenn ein Mädchen das Licht der Welt erblickt. Ist ein Erbe des Reichthums oder der Armuth da, dann kann ein Mädchen schon allenfalls ruhiger in’s irdische Dasein treten. Beruhigt blickt auch dann die Hof- oder Hausmutter auf ihre Schaar Gänse, oder das eine auch beim kleinsten Kotten nicht fehlende Ziegenpaar, denn mit der Geburt einer Tochter hat Reich und Arm für diesen Theil seines Viehbestandes eine „Hüterin“ gewonnen.

Die Taufe der Kinder, „Kindelbeer“ genannt, ist bei Arm und Reich ein Fest. Da wird die Tenne, jener Raum des Hauses, welcher der größte ist, wo gedroschen wird, wo die Küche ist und bei wärmerer Jahreszeit Alles wohnt und lebt, mit Sand gestreut, mit Tannenzweigen besteckt. In der einzigen Wohnstube, die jedes Haus hat, werden Pathen und Gevattern, der Geistliche und der Cantor mit Kaffee bewirthet, mit Kuchen und Wecken (Semmeln) tractirt, und selbst der Luxus des Zuckers fehlt nicht. Leider ist’s Zuckerkand, brauner und weißer, oft so hart, daß er seine Schuldigkeit „zu schmelzen“ erst dann erfüllt, wenn aus der mächtigen Kanne zum sechsten Male sich ein glühend schwarzer Lavastrom über seine starren Zacken ergossen hat.

Der Geistliche „dä Paßter“, wie man ihn nennt, darf bei einer Kindelbeer ebensowenig fehlen, wie bei jeder andern Döhnte (Fest), und fehlt auch nicht. Eine Kindelbeer ist gleich einträglich für ihn, wie für Eltern, Kind und Hebamme. Die Pathen müssen mit offenen Händen kommen und thun’s auch bereitwillig, denn es ist eine Art Ehrensache bei den Bauern, „Gevatter“ zu sein. Sie haben denn nicht allein dem „Paßter“, dem „Kanter“ und der Hebamme einen Thaler zu reichen, sie sind auch verpflichtet, der Mutter ein Geschenk an Geld zu machen und selbst dem Täufling mindestens einen Thaler in das Wickelbettchen zu stecken. Der einigermaßen begüterte Bauer wird aber immer für sein Pathchen ein Goldstück übrig haben, und der Meier oder Hofbesitzer giebt nicht allein dem Kinde an dem Tage, wo er’s über die Taufe hält, solch Geschenk an Geld – er sorgt auch ferner fort und fort für dasselbe und läßt namentlich ein Kind armer Leute nie vergessen, daß seine Hand es einst gehalten.

Eins ist aber dem Reichsten unangenehm, jene im Mindenschen herrschende Sitte, daß derjenige, in dessen Arme der Täufling zuerst schreit, verpflichtet ist, ein Kleid zu schenken, denn derselbe ist zugleich dem Witz, dem Necken, dem Spott der andern Kindtaufsgäste während der Dauer des ganzen Festtages überliefert.

Die klugen Pathen und vorsichtigen Gäste stellen sich daher möglichst gut mit der Hebamme, um den Täufling noch in dem Stadium innerer und äußerer Befriedigung zu erhalten, wo kein Aufschrei zu riskiren ist. Selbst Pastor und Cantor verschmähen nicht, durch gnädig Wort sich bei jener wichtigen Person des Dorfes zu insinuiren. Wer’s aber versäumt, der auf ihr Amt so stolzen Alten Beweise seiner Hochachtung zu geben, der ist sicherlich bei nächster Kindelbeer der „Geprellte“. Die in Kinderbehandlung Erfahrne wird nämlich den kleinen Weltbürger heimlich dann durch einen Stoß oder Druck zum Schreien bringen, wenn der an die Reihe kommt, dem sie die Kleidausgabe zugedacht hat.

Kann der Täufling auf eigenen Füßen stehen und fest genug gehen, daß er nicht mehr Gefahr läuft, im Weiher des Hofes, respective „Entenpfütze“ zu ertrinken, so giebt man dem Kinde einen Stab in die Hand, oft doppelt so groß, wie das kleine Wesen selbst, und vertraut ihm Gänse, Schweine, selbst Kühe zum Hüten an.

Bis die Kinder im siebenten oder achten Jahre dem Dorfcantor zur geistigen Ausbildung unterstellt werden, bringen sie ihre Zeit auf den Weiden hin, später – ist’s ihre Erholung in den Freistunden. – Die kleinen Mädchen geben bei Ausübung ihrer Funktion, die Gänse zu hüten, oft das reizendste Genrebild ab. Da sitzen sie meist ehrbar am Abhang eines grünen Rains, gelehnt an den weißen Stamm einer schlanken Birke, oder neben knorriger Weide, eine Bilderfibel in den Händen, und während die Gänse schnatternd zu ihren Füßen grasen, schauen sie aufmerksam in eine neue kleine Welt – die der Kunst, welche sich ihnen durch solch Buch allein öffnet.

Ein alter Schäfer ist mitunter so freundlich, im Vorüberkommen diesen lieblichen blauäugigen Kleinen mit den Schätzen seines Wissens und seiner Erfahrung zu Hülfe zu kommen. Beides ist nicht groß, denn selten ist er über die Hürden seiner Schafe und Wiesen hinausgekommen, und meist ist sein einziger Freund sein treuer Spitz. Er hat aber viel im großen Buche der Natur gelesen, und Wolken, Luft und Winde haben ihm mehr zugeflüstert, als Andern. So weiß er denn dem aufhorchenden Kinde gar mancherlei zu erzählen, und während er den kleinen Geist in die großen Wunder der weiten Gottesschöpfung einführt, bellt sein Spitz die unterhalb des Rains in friedlicher Ruhe grasenden Gänse so lange an, bis sie endlich flügelschlagend und zischend Opposition gegen den Lärm bilden und durch diese kampfbereite Stellung den Angreifer in die Flucht treiben.

Weniger poetische Bilder bieten die hütenden Knaben. Sie liegen oft, nichts weniger als graziös, inmitten der ihnen anvertrauten Schweine, und ein Hauptzweig ihrer Unterhaltung bei der geistig durchaus nicht anregenden Beschäftigung besteht darin, die Pelzmütze, welche bestimmt ist, ihren genialen Flachskopf zu bedecken, und Sommer wie Winter getragen wird, auf den Fußspitzen zu balanciren. Doch selbst da wird ein vorübergehender Wanderer oft stehen bleiben, sowohl um in’s frische fröhliche Gesicht der kräftigen Knaben zu schauen, als die Staffage zu betrachten. In’s tiefe Dunkel der Eichenwälder treiben nämlich die Knaben ihre Thiere, werfen sich da spielend in’s hohe Gras, und gewähren so ein um so lebendigeres Bild des Aufblühens jenes urkräftigen, gesunden, starken Menschenschlags, der zu den kernigen Eigenthümlichkeiten des Landes der rothen Erde gehört. Im Walde, auf den alten Bäumen, da lernt auch der Dorfknabe das Klettern und Springen, das ihm später, wenn im Jünglingsherzen sich die Liebe regt, oft so gut zu Statten kommt. Sinkt dann die Sonne hinter den grünen Eichenkamp, so zieht der junge Bauer rasch aus dem offenen Brunnen im Hofe einen Eimer Wasser empor, steckt Kopf und Hände hinein, legt frische Wäsche, ein sauberes Camisol an, oder – ist’s Lieb besonders fein, wählt er wohl den langen Rock von weißen Linnen, seinen Sonntagsstaat – und, befreit von des Tages Staub und Hitze, eilt er über Feld und Wiese zu dem Gehöft, wo er unter den dunkeln Linden helle Augen weiß, die sehnsuchtsvoll nach ihm schauen. Will das Glück und Schicksal ihm wohl, so empfängt seines Mädchens Vater [504] ihn schmunzelnd am Gitterthor, schüttelt ihm die Hand und zieht ihn zur alten Bank unter die Linden, ruft Weib und Tochter vom Heerde, und – Hans und Grete gelten fortan für ein sicheres Paar.

Vielen wird’s aber nicht so gut! Will auch die Grete dem Hans wohl – so nicht immer ihr Vater, und oft auch lauert ein von den Eltern begünstigter Nebenbuhler im Hinterhalt. Seltsamer Weise schließen sich die Hunde des Hofes stets den Sympathien und Antipathien ihres Herrn an, und der Bauer kann sich in dieser Hinsicht auf die Thiere verlassen. Will daher ein von Schicksal und Glück nicht begünstigter Liebender dem Mißgeschick doch noch Liebesblüthen entlocken, so sucht er erst die Freundschaft jener bösen Hunde zu gewinnen, die den Schatz bewachen, den er dem Hofe entreißen möchte.

Fehlt der sparsamen Hausmutter daher bald eine Wurst, bald ein Stück Fleisch, so spricht sie sinnend zu ihrem Alten: „Du, usere Hannes gaiht uf dä Freite, aberst dä Olle is ihm nach misgünstig.“[1]

Die Diebstähle in der Speisekammer sind den Dorfmüttern nicht allein ebenso sichere Liebesanzeichen, wie Stadtmüttern vorkommende Zerstreutheiten, dauernde Appetitlosigkeit ihrer Kinder und dergleichen ungewöhnliche Dinge, – die erfahrene Dorfalte weiß auch nach den fehlenden Würsten die Erfolge ihres Lieblings zu berechnen. Immer helfen Fleisch und Würste aber nicht, den aufrührerischen Geist eines Hundes zu beschwichtigen. Wochenlang gefüttert und genudelt, wird er von regem Pflichtgefühl dann oft gerade zum verrätherischen Bellen angetrieben, wenn der Geliebte glücklich und ungefährdet „achter (hinter) dem Fenster“ seiner Auserwählten steht.

Der Vater des Mädchens und der eifersüchtige zweite Bewerber, die das stete Sattsein der sonst hungrigen Hunde und deren sich steigernder wählerischer Geschmack auf die richtige Fährte gebracht und die nun dem auflauern, der die treuen Wächter besticht – diese Feinde der glücklichen Liebe dringen denn beim ersten Anschlagen der Hunde, mit Knitteln bewaffnet, auf den Bevorzugten ein, und es beginnt da nicht selten ein blutiger Kampf von größerer Machtentfaltung, denn jedes also vom Vater nicht begünstigte Liebespaar findet seine Anhänger und Beschützer in den jungen Burschen des Dorfes. Diese liegen oft schon, mit Heu- und Mistgabeln bewehrt, hinter der Hagedornhecke, ehe der Geliebte über den Lattenzaun steigt, um das bewußte kleine Fenster zu erreichen. Ereilt nun väterlicher Zorn oder die wuthentbrannte Eifersucht den Glücklichen, so springt das kleine Vertheidigungsheer herbei, die Heugabeln errichten eine Palissade vor dem Bedrängten, und giebt der Bauer nicht gutwillig den ehrenhaftesten Rückzug für die Feinde frei, indem er höflich das verschlossene Thor keines Hofes öffnet, – so bringen ihn gut angebrachte Stiche und derbe Schläge oft nicht allein dazu – sondern auch „zur Einwilligung“ und den anderen Bewerber „zum Entsagen“. Läßt ein alter Eisenkopf sich aber eher auf eigenem Grund und Boden maltraitiren, als daß er nachgiebt, dann bricht für’s Liebespaar stets eine böse Zeit an. Die Grete muß auf dem Heuboden schlafen, dessen Luke der gestrenge Vater vernagelt, und – aus ist’s mit den Küssen durch das Fenster! Die wahre Liebe findet aber auch da einen Ausweg. Hans war nicht umsonst Jahre lang im Walde Gefährte des Eichhörnchens. Er klettert über die wackligsten alten Holzschuppen, über halbzerfallene Strohdächer, bis an die vernagelte Luke, und gelingt es ihm, die im ersten festen Schlaf liegende Geliebte durch leises Pochen zu erwecken, so findet sich immer eine Ritze oder ein barmherziges Astloch, durch welche die Liebesworte und Schwüre von Ohr zu Ohr dringen können.

Kommt’s endlich zur Hochzeit, können „Paßter und Küster“ von bevorstehender Trauung benachrichtigt werden, so erwartet Jung und Alt voll Freude den Hochzeitsbitter. Im höchsten Staat, Brust und Hut mit mächtigem Strauße geziert, einen blumen- und bänderbehangenen Stab in der Hand, tritt ein junger Bauerbursche, gefolgt von vier bis sechs Brautjungfern, die Körbe tragen, die Runde durch Höfe und Dörfer an und bringt Verwandten und Bekannten die Kunde vom nahen Fest und „Klein und Groß“ die Einladung zur Hochzeit. Diese Einladung geschieht in Versen, und hat der Cantor nicht seine ebnende Hand an die Reime gelegt, so sind sie meist holprig, wie die Hohlwege der Dörfer.

Am Morgen des festlichen Tages läuft der Küster, oft schon bei Tagesanbruch, im blauen langschößigen Frack in die kleine Dorfkirche, um nachzusehen, ob Blumen und Kränze, mit denen er sie geschmückt, in bester Ordnung sind. Die Brautjungfern aber eilen zur Braut und schmücken sie, so schön sie können.

Die Landestracht um Minden ist eine der reizendsten, die es giebt: ein leuchtend rother, mit Band umsäumter Wollrock, schwarzes Tuchmieder, von silbernen Spangen gehalten, ein Hemd vom feinsten weißen Leinen, das oben am Halse schließt und in weiten Aermeln bis zu den Handgelenken herabfällt. Die goldene Brautkrone hat einen Schleier von Bändern, und den Hauptschmuck bildet eine Kette der prachtvollsten Bernsteinperlen, deren Dicke sich nach dem Reichthum der Braut richtet und die oft den Werth von fünfzig Thalern übersteigt.

Der Anzug der Männer hat auch viel Eigenthümliches. Er ist aber fast durchgehend in Westphalen gleich. Ein breitkrämpiger Hut von schwarzem Filz, ein langer weißer Rock von Leinen, mit silbernen Knöpfen, feuerrothe Staatsweste, ebenfalls mit silbernen Knöpfen, enganliegende Beinkleider und Stulpenstiefeln oder Gamaschen.

Solch dörflicher Brautzug ist ein hübscher poetischer Anblick. Dem Brautpaare folgen zunächst Kinder, mächtige Sträuße tragend, hinter diesen schreiten, ihrer Würde sich bewußt, die ehrenfesten Alten. Die festlich geschmückten Mädchen, die geputzten Burschen folgen paarweise. Aus jedem Hause, jeder Hütte schließen sich Festesgäste an, und ein endlos langer Zug ist’s oft, wenn der stille Friedhof erreicht ist, in dessen Mitte, von prächtigen alten Bäumen beschattet, die kleine bescheidne Kirche steht.

An der Thür der Kirche empfängt der Küster den Brautzug. Ein Taschentuch hängt ihm bei solch feierlichen Gelegenheiten stets so lang aus der Tasche, daß dessen Endzipfel die anscheinende Unmöglichkeit vollbringt, mit den Endspitzen der tief herabfallenden Frackschöße zu correspondiren. Der kühne Aufschwung seines Hutes bringt manchmal die Ehrenpforte in Gefahr, und die Brille fällt nicht selten bei der tiefen Verbeugung von ihrem hohen Posten; doch ihn, den kein wilder Schulknabe je außer Fassung gebracht, verliert auch da nicht seine Geistesgegenwart und folgt stolz als „Hauptwürdenträger des Christenthums“ dem Brautpaare zum Altare. Ist die Trauung geschehen, so empfängt vor der Thür ein lauter Tusch der Dorfmusik das junge Paar, und endloser Jubel ertönt über den stillen Friedhof, Böller werden gelöst, alte Gewehre knattern. Die Dorfburschen machen nun Versuche, die Frau zu entführen; ihre mit Knitteln versehenen Brautführer aber wehren das um so entschiedener ab, als ein Gelingen des Streichs Jedem eine Flasche Wein kostet.

Im Hochzeitshause beginnt nach der Gratulation der Tanz. Schlag Zwölf setzt sich Alles zum Gastmahl in der Tenne nieder, und zu solchem Hochzeitsschmaus ist Tage lang vorher gekocht, gebraten, gebacken und gebraut. Speise und Trank ist reichlich da, und dem Essen folgt der Tanz, dem Tanz neues Mahl, bis die drei Tage und Nächte, die jede Hochzeit dauert, zu Ende sind.

Am Morgen des vierten Tages geleiten die jungen Burschen der Gesellschaft das junge Paar zum Hofe des Mannes. Auf dem Brautwagen befindet sich die ganze Aussteuer. Zwischen Spinnrad, Butterfaß, Milcheimern und Betten sitzt über den Regionen der buntbemalten Kisten und Laden das junge Paar. Unter Hurrahgeschrei der Vorreiter geht’s durch blühende Auen, durch schattigen Wald dem eigenen Heerde entgegen. Da steigt plötzlich blauer Rauch über dem alten Baumhof auf. Lauter Jubel, denn – dort das Ziel!

Mit strahlenden Augen blickt der junge Mann auf den Hof seiner Väter, der nun mehr und mehr aus den Lindenkronen auftaucht; feuchten Auges eilt der Blick der jungen Frau zurück zu dem dunkeln Eichenkamp, welcher ihre alte Heimath birgt, dann ein Blick auf den Mann ihrer Wahl, und das junge Weib fühlt mächtiger denn je, wo die wahre Heimath des Weibes – ihre beste Heimath ist. Ein starker Arm umfaßt sie, treue Augen blicken sie heiß und zärtlich an, über bebende Lippen ringt sich das Wort: „Unser Haus!“ und am eigenen Hofe hält nun der Wagen. Die Hunde schlagen an – ein Sprung – ein Schritt und das junge Paar betritt seine eigene Schwelle.

Betreten auch wir nächstens einmal einen solchen altsassischen Bauernhof und sehen, wie seine Bewohner da leben und wirken, im Haus ihrer Väter auch sterben.



[505]
Die todte Eva.
Historische Mittheilung aus dem Hofleben früherer Tage. Von George Hiltl.
(Schluß.)

Eva behielt das Holzbild ein paar Minuten in der Hand; dann gab sie ihm einen leichten Schlag auf die Wange. „Du sollst uns helfen,“ lachte sie.

„Was soll denn damit werden, Fräulein?“ fragte schüchtern die Dankwert.

„Tretet näher, ich will’s Euch verkünden,“ sagte Eva leise. Die Frauen steckten die Köpfe zusammen. „Wir müssen eine Leiche anfertigen.“

Entsetzt prallten Alle zurück. „Eine Leiche?“ lispelten sie voller Schrecken.

„Nur nicht ängstlich. Ihr habt geschworen, zu schweigen. Hier an dieses Holzbild soll ein Körper gesetzt werden. Braucht Ihr Eingeweide? da ist Stroh. Arme – Füße? da sind die Holzrollen. Wir kleiden das Ganze in jenes Gewand, darüber schlagen wir den Mantel, die Füße mit Strümpfen und Schuhen, die Enden der Rollen mit Handschuhen, das Gewand mit Trauerschleifen und dies Holzantlitz mit dem Schleier bedeckt, dann den nachgemachten Leib in den Todtenschrein gepackt, hochaufgestellt im Chore der Kirche, tüchtig Weihrauchwolken darum – und ich will sehen, wer es wittert, daß nur eine Puppe droben liegt.“

„Aber wen soll denn das Gebilde vorstellen?“ fragte die Mettel.

„Ihr habt dem Herzog geschworen, über Alles zu schweigen, was Ihr sehen werdet. Das gedenket,“ sagte Eva. „Also denn vernehmt: ich muß heute Nacht sterben.“

Die Frauen zuckten zusammen. „Guter Gott, welcher Frevel!“ stammelte die Amtsschreiberin leise.

„Was ist’s denn weiter?“ lachte das Edelfräulein, „lustig, lustig! Ich bereite meine Leiche. Seid munter und helft mir dabei, wir haben nur noch wenige Stunden, mit Tagesanbruch muß ich todt sein.“

Die Edeldame begann nun die Arbeit zu vertheilen, und als die vierte Morgenstunde anbricht, ist eine Gestalt an den von Meister Siemon geschnitzten Kopf gefügt. Sie liegt da gleich einer Todten. Die Weiber betrachten den Balg mit ängstlichen Blicken; es ist ihnen jetzt klar, welch’ ungeheurer Betrug gespielt werden soll – wird eine Strafe sie treffen? Bah – sie handeln im Interesse des Herzogs, sie haben geschworen in der Kapelle, nichts zu verrathen von dem, was sie sehen und hören, und – das Geld wartet ihrer, wenn der Streich gelingt.

Um fünf Uhr in der Frühe schickt Eva die Mettel hinaus, um Erde zu holen; damit die Puppe eine gewisse Schwere erhalte, soll sie mit Erde gefüllt werden. – – Als die Mettel heraustritt, sind die Mägde am Brunnen. „Wie steht es mit der schönen Frau?“ fragen sie.

„Schlecht, sehr schlecht,“ antwortet die Mettel. „Sie wird, fürcht’ ich, keine Stunde mehr leben.“

„Was wollet Ihr mit dem Sack voll Erde?“

Das Weib wird verlegen, sie faßt sich aber schnell. „Die Erde soll ihr aufgelegt werden, damit sie Kühlung habe – sie hat den schwarzen Tod im Leibe.“ – Mit furchtbarem Angstschrei flüchten die Mägde – im Amtshause der alten Burg ist die Pest.

Als die Mettel zurückkam, sagte sie Eva, was sie gesprochen. Da diese hörte, welche Angst die Mägde ergriffen, lachte sie laut auf. „Die Pest – gut so. Nun wird uns Niemand stören. Jetzt hinein in die Lade dort mit der Puppe. So – gieb mir das Töpfchen mit brauner Salbe aus dem Kästchen. Nun holt den Meister Bader. In zwei Stunden bin ich gestorben.“ – Sie schlüpfte hinter die Vorhänge ihres Bettes.

Die Mettel ging, den Bader zu holen. Schon hatte sich die schreckliche Neuigkeit im Hause verbreitet. Der Amtmann zitterte wie Espenlaub, die Diener kreuzten sich. Nur eine halbe Stunde blieb die Mettel aus. Die Verschwornen schwebten in einiger Unruhe. Schon kamen Leute in die Umgebung des Zimmers und holten Erkundigungen ein. Das Schlimmste war aber die Anwesenheit des Baders. In den damaligen Zeiten hatten die Bader den Ruf, höchst gelehrte Herren zu sein. Wenn er den Betrug merkte? Zwar benutzte Eva die Zeit bis zu seiner Ankunft, Gesicht und Hals, Arme und Hände mittels einer feinen Farbe braun zu streichen, aber auch das konnte der Bader leicht merken. Im letzten Falle hatte man Geld in Bereitschaft.

Unnütze Sorge! Das betrügerische Vorhaben ward auffällig begünstigt. Die Mettel kam zurück – ohne den Bader. Er ist aufs Land gerufen, aber sie bringt des Baders Frau mit. In jener Zeit verstanden die Badersfrauen auch eine Ader zu schlagen.

Die Baderin tritt an das Lager. Der schwache Frührothsschimmer, vereint mit dem Lichtglanze, färbt das braune Antlitz der Kranken noch erdfahler. Die Baderin schüttelt den Kopf. Sie hat schon manchen Leidenden gesehen, besonders viele Pilger, die aus dem Morgenlande zurückkehren mit seltnen Uebeln behaftet, aber die Dulderin vor ihr sieht gar zu elend aus. Während sie ihre Lancette bereit hält, das Becken zum Fangen des Blutes hervorsucht, räuchern die Frauen mit Wermuth, daß die furchtbare Krankheit nicht die Luft durchfahre.

„Wenn das nicht rettet, so ist sie bald hinüber,“ sagt die Baderin, nachdem ihr Geschäft beendet ist. „Das Blut kam noch gut genug. Armes Fräule! Armes Fräule!“

Lautes Gekreisch von Weiberstimmen – Laufen durch alle Gänge des weiten Hauses – Helles Geklingel – Schluchzen und Rufen.

Um 7 Uhr des Morgens ist die schöne Eva im Zimmer der alten Burg verschieden. Christoph Schmidt ließ die Thüre des Gemaches fest schließen, ebenso wurden die Thore zum Hinterhofe, wo das Zimmer lag, gesperrt. An den Fenstern, in den Stuben da hinaus soll Niemand weilen – damit er nicht auch ergriffen werde von dem schwarzen Tode. So blieben die Räume wie ausgestorben.

Schmidt winkte einem der Knechte des Amtmannes. „Koch, sattle ein Pferd. Reite zum gnädigen Herrn nach Schloß Fürstenberg und melde in meinem Namen, ich sei in Verzweiflung. Die er mir anvertraut, die Trottin, sei plötzlich gestorben.“

Heinrich Koch galoppirte davon. –

In dem Gehölze, welches sich zwischen dem Amtshause und der Mauer hinzog, hielt ein Wagen. Auf dem Bocke desselben saß ein Kutscher, der sein Gesicht sorgfältig unter einem breitkrämpigen Hute verborgen hatte.

Leise und geräuschlos öffnet sich das Fenster des Sterbezimmers. Eine weibliche Gestalt, in einen schwarzen Mantel gehüllt, tritt auf den Sims. Unten steht der Küchenschreiber und hält eine Leiter. Die Dame klimmt hinab, eine zweite Frau folgt ihr.

Eva und die Kippenberg sind es. Sie eilen über die kleine herabgelassene Zugbrücke, sie schlüpfen in das Gehölz, dort ist der Wagen, hinein – auf und davon. Der Kutscher peitscht die Rosse, sie fahren an der alten Stadtmauer hin bis zum Hagenthor, dort müssen sie anhalten, dichte Gruppen von Landleuten ziehen in die Stadt, aber Niemand kümmert sich um sie; sie hören nur rechts und links neben sich die grausige Neuigkeit erzählen: das Fräulein Eva von Trott sei vor einigen Stunden an der Pest verschieden. „Gottes Gericht über die Ehebrecherin!“ ruft ein alter Landmann. Das Edelfräulein senkt ihr schuldbeladenes Haupt. Der Wagen fährt weiter und hinaus geht’s in das Freie, durch den grünen Wald, hin zu den Bergen des Harzes. – Eva athmet auf. Der Kutscher schlug seine Krempe zurück und bot seinen unterthänigen guten Morgen. Es war Eberhard Dedeken, der Castellan der Staufenburg. „Glück zu, gnädiges Fräulein!“ lachte der Castellan. „Der Streich ist gelungen – horch!“ er hielt die Pferde an. Der Wind trug von den Thürmen Gandersheims die Töne eines dumpfen Geläutes herüber.

„Das sind Todtenglocken,“ sagte die Kippenberg ernsthaft.

„Man läutet auf allen Thürmen, auch die hellen Glocken des Klosters unterscheide ich deutlich. Es muß also eine vornehme Leiche sein,“ sagte der Castellan. „Ohne Frage, Gnaden, ist es Ihr Absterben, das sie da drinnen einläuten. Da Sie der schwarze Tod erfaßt, muß die Trauer eilig vor sich gehen.“ Er lachte hell und lange.

Der schönen Eva fröstelte. „Fahrt zu!“ rief sie.

[506] Endlich tauchten hinter den Bäumen, welche die waldigen Höhen krönten, ein spitzer Thurm, hohe Dächer auf. Heiter wurden Eva’s Züge. „Die Staufenburg, die Staufenburg!“ jubelte sie. „Nun lebe ich wieder!“

Der Wagen rollt durch das Thor des alten Schlosses. Eva aber sitzt nicht darin. Vor Gittelde, dem Flecken, der am Fuße des Burgberges gelegen, stieg sie mit ihrer Begleiterin aus und wandelte durch ihr wohlbekannte dichte Waldwege zum Schlosse. An der Mauer, welche das hintere Schloß begrenzte, in der Füllung eines kleinen mit Epheu umrankten Pförtchens stand wartend Johanne Dedeken, des Castellans Gattin. Nur ein flüchtiger, herzlicher Gruß, hinein in die Oeffnung schlüpften die Frauen. Krachend schloß sich die Pforte hinter ihnen.




Im Barfüßerkloster zu Gandersheim wirbelten die Rauchwolken empor. Die hohen Wachskerzen zeigten blutigrothe Flammen, von dem Dunst wie mit einem Schleier umsponnen. Leise präludirte die Orgel, die Todtengebete für das Heil der Seel’[WS 1]sprachen die Brüder. Hoch oben, wie Eva es vorhergesagt, auf schwarzem Katafalke ruhte der Sarg. Eine Sammetdecke mit silbernem Kreuze verziert, bedeckte ihn, und rund umher knieten Mönche. In einiger Entfernung stand die Menge und betrachtete schweigend das Opfer des Todes. Es war gelungen, was der Herzog und die schöne Eva ersonnen. Man glaubte sie todt, die Puppe ward feierlich in die Gruft gesenkt, und währenddessen erwachte die Schöne in den Hallen der Staufenburg zu neuem Leben, das sie nun, zwar geschieden aus der Welt, aber desto ungestörter in den Armen Herzog Heinrich’s genießen sollte.

Als Koch die Nachricht auf den Fürstenberg brachte, spielte Heinrich seine Rolle trefflich. Er erpreßte sich eine Thräne und sagte: „Schad’ um sie, es war ein fromm Mägdlein.“ Als er allein war, schnalzte er mit der Zunge und wippte mit den Fingern vor Freude, daß der listige Streich geglückt, vor dessen Gelingen ihm gebangt. Er sendete seiner Gattin die Nachricht vom Tode Eva’s. Die fromme Herzogin, obwohl zufrieden, einer Nebenbuhlerin ledig zu sein, ließ ebenfalls Messen für das Heil der Seele lesen, und jeder Mönch oder Geistliche, der bei den Vigilien sich betheiligte, erhielt zwei Mariengroschen und brav Essen und Trinken, „weshalb,“ sagt der alte Sleidan in seiner Chronik, „ihrer gar Viele sich zu den Exequien eingestellet haben.“

Den Sarg hatte der Küchenschreiber Schmidt fertigen lassen nach eigner Angabe. Am folgenden Tage war die Baderin gekommen und hatte gefragt, warum man die Jungfrau habe ungebeichtet sterben lassen? Darauf antwortete ihr die Dankwert: „Wer wollte ihr wohl das Sacrament geben, sie konnte nicht mehr reden!“

„Wo ist der goldne Armring? Ihr habt ihn doch der Leiche abgenommen?“ fragt die Baderin weiter.

Da holen die Frauen den Küchenschreiber, und die Dankwert ruft aus: „Schließt den Sarg, Christoph, daß wir nicht Alle aus der Sünde zu Schanden werden.“

Der Küchenschreiber nagelt den Sarg zu und hat ihn durch Pfarrer und Schulmeister abholen lassen. Sie haben ihn zur Barfüßerkirche gebracht, allwo die Puppe in’s Grabgewölbe gesenkt worden, nachdem die Messen gelesen. Als der Stein die Gruft schloß, war Alles vorbei. Eva von Trott lebte in Fülle der Gesundheit, und in der Klosterkirche lag die Puppe des Meister Siemon im Grabe. Herzog Heinrich aber zog fleißig auf die Jagd gen Staufenburg. Er blieb oft Wochen lang fort, emsig beschäftigt mit dem edlen Waidwerk – wie man glaubte. Hier in den schweigenden Wäldern, hinter Mauern und Gräben, hatten die Liebenden freies Spiel.

Jede Annäherung eines Fremden ward sorgfältig verhindert, und um ihrer Rolle als Verstorbene vollständig Ehre zu machen, zeigte sich Eva zuweilen des Nachts als Geist in weißem Gewände auf den Söllern oder der Thurmgalerie des Schlosses. Es währte auch nicht lange, so hieß es in der Umgegend, die weiße Frau spuke da oben, und jeder gute Christ mied den Ort um so beharrlicher. Man hielt nun das Geheimniß für vollständig gesichert und mit der Puppe Meister Siemon’s begraben.




Das Wirthshaus zum Bergknappen in dem Flecken Gittelde war mit Gästen angefüllt. Die Krüge, voll schäumenden Biers, kreisten an den besetzten Holztischen, und die bewegte Zeit gab allerlei zu kannegießern über den Krieg, welchen die protestantischen Fürsten wider den Herzog Heinrich führen wollten, der sich starr der lutherischen Lehre widersetzte. Der Herzog war nicht beliebt im Lande; so sprachen denn Alle größtentheils wider ihn. „Nun,“ rief ein junger Kerl über den Tisch hinweg, „dann, wenn es losgeht mit dem Schlagen, dann wird Mancherlei an den Tag kommen. Auch mit der Hessin da oben auf der Staufenburg wird’s klar werden.“

Es begann nun ein Streit, ein Für und Wider. Jeder gab Vermuthungen zum Besten. Soviel aber ging aus den Reden hervor: die Bevölkerung wußte, daß die Mauern der Burg ein Geheimniß umschlossen, daß dies Geheimniß eine Herzensangelegenheit des Fürsten betraf und daß es ein unerlaubter Handel sei. Freilich war man noch nicht der rechten Person auf der Spur, an Eva dachte Niemand. Die Unterhaltung der Gäste schien von besonderem Interesse für einen Mann zu sein, der, in ein ledernes Wams gekleidet, ein Schwert an der Seite, einen stählernen Ringkragen um den Hals, am Ende des Tisches sitzend, fleißig dem Kruge zusprach. Dieser Mann nannte sich Bernd Goldacker, war Hauptmann der Stadt Erfurt und hielt sich zu Gittelde auf, um Eisen aus den dortigen Schmelzöfen für seine Stadt zu kaufen, da Alles rüstete, falls es auf den Krieg ging. „Ihr sprecht wunderliche Dinge,“ sagte Goldacker, „ich hab’ schon oft davon munkeln hören. Sollt’ es wahr sein?“

„Sicher, Herr Bernd,“ nahm ein Landmann das Wort. „Droben auf’m Schloß geht viel vor. Kein Mensch darf sich nahen. Meine Pflegetochter, deren Liebster hier im Orte Schneidergesell ist, weiß, daß Frauenkleider gefertigt werden für eine Dame auf der Burg. Da kommen Zindel und Tuch, wie man sie sonst nicht sieht, und nie erscheint eine Frau, sich Maß nehmen zu lassen. Das Maß bringt die Kippenberg bei Nacht ihrem Sohne. Der arbeitet danach, und sie ist als Dienstfrau auf dem Schlosse.“

„Das ist gar nichts,“ fiel ein zweiter Gast ein, „ich habe droben als Wache gestanden auf Staufenburg.“

„Ihr? Erzählt, ei, hurtig!“ flüsterte Alles. Sie rückten aneinander, schoben die Krüge zusammen und reckten die Hälse über den Tisch hinweg.

„Ich war mit sieben Mann droben, als die Streitigkeiten mit den Lüneburgern angingen. Da haben wir wachen müssen wegen eines Anfalls. Nun, da hörte man denn Allerlei. Sehen konnte man nichts, denn der Dedeken hielt die zweite Thür stets verrammelt, und wir mußten im ersten Schloßhofe bleiben; aber Nachts, wenn es ganz stille war, dann haben wir ein Gewimmer gehört von kleinen Kindern, und die Wärterin hat sie eingesungen. Als ich in den Graben hinunterstieg eines Tages, fand ich eine zierliche Nürnberger Puppe, wie sie die Kindlein zum Spiele haben. Sie mußte herabgefallen sein. Ich gab sie dem Castellan, der lachte und meinte, ich solle nicht denken, daß Kinder hier oben wären. Es sind aber welche da. Woher kommen sie? Es muß ein Geheimniß walten, und,“ setzte er näher rückend hinzu, „als der Koch gemeint hat, es sei nicht richtig in der Burg – Ihr versteht mich – da ist er verschwunden, Niemand weiß, wohin. Vergangene Ostern hat man den Jägerknecht todt im Brunnenhause gefunden; er war durch und durch gestochen. Und als der alte Amtmann Scharffenstein zu Gandersheim auf den Tod gelegen, hat er beichten wollen, ist aber verschieden, ehe der Pfaff gekommen. Als es der Herzog gehört, hat er gesagt: ,Gut für ihn und mich. Sonst hätt’ ich einen Mönch umbringen müssen?“

„Ja, ja,“ sagte Goldacker, „es hat ’nen Haken! Der Herr Herzog haben immer dergleichen Händel geliebt. Ich erinnere mich noch gar wohl der schönen Eva von Trott, als ich am Wolfenbüttler Hofe war, die Büchsen zu proben. Die Eva hat auch manches Herzeleid der Gemahlin verursacht, aber schön war sie.“

„Die hat ihren Lohn weg,“ sagte Einer, „sie starb im Umsehen an der Pest. Nun sind’s bald sieben Jahre her, daß es sich zugetragen.“

„Woher mag der Herzog die verschwiegenen Leute nehmen? Man hört doch nichts. Auch als die Eva noch lebte, ist wenig geplaudert worden.“

„Nun, wenn gleich Einkerkerung oder Tod darauf steht, läßt es Jeder bleiben. Vor Jahren war unser Bader einmal droben, der hat einer Frau die Ader schlagen müssen. Sie hat aber nur ihren Arm durch die Tapete gestreckt, und der war verzieret mit [507] goldenen Bändern, die haben abgethan werden müssen auf des Baders Geheiß. Er meint, es sei die Herzogin gewesen.“

„Es ist ein Gespenst,“ schrie zuletzt Einer. Und dies, das Unwahrscheinlichste, glaubten Alle am liebsten.

Gedankenvoll gemacht durch die Reden der Bewohner Gittelde’s, schlenderte am folgenden Tage der Hauptmann Goldacker durch die Waldung. Vor ihm sprang ein großer Hund. Der Hauptmann blickte zu den Mauern empor, die sich über die Gipfel der Bäume erhoben. Das Geheimnißvolle reizte ihn, und immer höher steigend, näherte er sich unversehens den Außenmauern der Staufenburg. Grabesstille ringsum. Man hörte das leise Rauschen jedes Blättchens, das Zirpen der kleinen Grillen, die eintönigen Rufe der Lockvögel.

„Wer doch durch die Steine blicken könnte!“ dachte der Hauptmann. Da war es ihm, als vernehme er wirklich Kinderstimmen, als weine eine Knäblein oder Mädchen. Dann wieder schwirrte ein Klageton durch die Luft, dann tönte der sanfte Klang einer Zither wie beschwichtigend durch das Gestein; endlich blieb Alles wieder still. „Verwünschtes Schloß!“ murmelte Goldacker. Er sah um sich und bemerkte nun erst, daß er, seinem Hunde nachgegangen, nicht den eigentlichen Weg zur Burg gewandelt, sondern durch Waldwege und Jägersteige auf die Höhe gelangt war. Er setzte sich auf einen Baumstamm und pfiff leise dem Hunde. Dieser aber stand wie angewurzelt. Er streckte den Kopf und spitzte die Ohren; Zeichen der Witterung. Behutsam näherte Goldacker sich dem Thiere. Es stand am Eingange einer Lichtung. Der Hauptmann bemerkte, daß hier ein trockner Graben war, in dessen Bette Föhren, junge Buchen und Erlengestrüppe wucherten, durch deren Zweige man auf einen Rasenplatz blicken konnte, den in gewissen Zwischenräumen Obstbäume umstanden. Es war der kleine, am Felshange gelegene Garten der Burg.

Das leise Knurren des Hundes deutete dem Neugierigen an, es müsse etwas Lebendiges in der Nähe sein. Geräuschlos stieg der Hauptmann in den Graben hinab, zog den Hund an sich und bog die Zweige auseinander.

Er erblickte Folgendes. Dicht hinter dem Graben lief die Mauer in einen Winkel aus. Hier befand sich eine kleine Pforte, welche aus dem Schlosse in den Garten führte. Unter einem der dicken Bäume gewahrte Goldacker eine reich gekleidete Dame, zu deren Füßen zwei Kinder im Grase spielten. Die Pforte stand offen, und neben ihr, an einem Haken, hing der Federhut eines Mannes, der soeben in das Innere der Burg gegangen sein mußte, denn auf der Bank bei der Dame lagen ein Paar dicke lederne Handschuhe und eine schwere Jagdpeitsche. Goldacker betrachtete die Dame aufmerksam. Das mußte sie sein, die verborgene Perle, die räthselhafte, von Niemand gekannte Geliebte, um deren willen Blut geflossen, Menschen verschwunden und die Gegend verödet ward. Sie schien allerdings bildschön zu sein. Schwarzes Haar von herrlicher Fülle, reich mit Perlen durchflochten, fiel über ihren Nacken, und die Arme zierten kostbare Ringe, in denen edle Steine blitzten.

Sie war in Betrachtung der Kinder versunken, und da sie das Haupt neigte, konnte Goldacker ihr Gesicht nicht erkennen. Plötzlich tönten Stimmen vom Burghofe her, es schallten Tritte. Schnell erhob die Dame den Kopf. Wie! – ist es möglich? täuscht den Lauscher die erregte Phantasie? die verborgene Dame, des Herzogs heimliche Liebe, es ist – Eva von Trott, die in der Gruft der Barfüßer zu Gandersheim ruht. Die Kniee schlottern dem Hauptmann; hat er ein Gespenst vor sich? trügt ihn eine Ähnlichkeit? nein – nein! sie ist es, die schöne Eva. Er hat sie vor Jahren am Hofe gesehen – gesehen, so genau betrachtet, wie die Schönheit verdient betrachtet zu werden, diese herrlichen Züge haben sich seinem Gedächtniß zu fest eingeprägt – kein Zweifel, sie ist zurückgekehrt aus dem Grabe und gebannt an diese unheimliche Burg, und obgleich der Hauptmann zu den Lutherischen übergetreten, machte er doch unwillkürlich das Zeichen des Kreuzes. In diesem Augenblicke tritt ein Mann durch die Pforte in den Garten, schreitet auf die Dame zu, umfängt und führt sie, indem er seine Lippen auf ihre Hand drückt, zu der Pforte. – Goldacker staunt. Er erkennt den Herzog Heinrich.

Vor den Augen des Hauptmanns drehen sich Personen, Wald und Schloß. Der Herzog bei dem Gespenste der Eva! – seiner Sinne nicht mächtig stürzt Goldacker vor, er muß wissen woran er ist. Er ruft laut. Die Dame flüchtet mit einem Schrei, der Herzog ergreift die Kinder und eilt ihr nach durch die Pforte, welche geschlossen wird. Lautes Getümmel hallt im Schloßhofe, und von der schnellen Folge des Erscheinens und Verschwindens ganz betroffen, steht der Hauptmann am Rande des Grabens. Eben so schnell aber kehrt ihm die Besinnung zurück. Die Nachrichten von getödteten oder verschwundenen Mitwissern des Geheimnisses fahren ihm durch den Sinn. Die Angst packt ihn, er hat dem Herzoge gegenübergestanden. Seinem Hunde pfeifend und seinen Degen ziehend, eilt er auf’s Gerathewohl in’s Dickicht von den Mauern des Schlosses hinweg. Nach wenigen Schritten wird der Raum frei von Bäumen, er hat sich wieder der Burg genähert, eilig wendet er sich, den tiefern Wald zu gewinnen – zu seinem Heile! denn kaum haben die schützenden Bäume ihn aufgenommen, da blitzt es hell auf von der Mauer, eine Dampfwolke steigt empor, ein Schuß kracht, bei dem Haupte des Flüchtenden vorüber pfeift eine Kugel und zerschmettert die Rinde eines Eichenstammes, deren Splitter durch die Luft wirbeln. – –




Dies geschah im Jahre 1541. Mochte nun Goldacker’s Entdeckung den letzten Stoß gegeben haben, oder waren schon früher sichere Anzeichen vorhanden – genug, auf dem Reichstage zu Regensburg klagten die evangelischen Stände und die Familie von Trott den Herzog Heinrich vor Kaiser und Reich an: „Er kerkere die todtgeglaubte Eva lebend auf Staufenburg ein.“ Das war ein Unglücksjahr für den Herzog. Der Krieg brach an, er ward verklagt und Eva mußte flüchten, denn da man ihren Aufenthalt erspäht, war ihres Bleibens nicht länger. Kurze Zeit vor ihrer Flucht stürzte im Schlosse zu Wolfenbüttel das Dach ein, der Schornstein des Kamins in der Herzogin Maria Gemach kam auf unerklärliche Weise in Brand. Wenige Tage darauf starb die gekränkte Gattin Herzog Heinrich’s. Jetzt konnte der Herzog seiner Liebe ungestört leben. Wo war Eva?

Sie irrte umher von der Staufen- zur Löwenburg. Auch dort blieb sie nicht sicher. Schon hatte der Krieg der schmalkaldischen Fürsten gegen Heinrich begonnen, ihre siegreichen Schaaren drangen in sein Land. In finsterer Nacht, beim Heulen des Windes floh Eva auf kleinem Wagen, die zitternden Kinder um sich, nach der Feste Schöningen.

Aber der Sturm des Krieges tobte zu mächtig. Schon nach vierzehn Tagen mußten sie Alle von der Feste hinwegziehen. Gleich wandernden Seiltänzern führten sie ihre Habe mit und flüchteten nach Halberstadt.

Hier schlug eine bittere Stunde. Eva mußte sich von ihren Kindern trennen, von ihnen, um deren Zukunft willen sie die siebenjährige Einkerkerung erduldet! Denn wie schwer sie auch gefehlt – der freudigen Stunden hatte sie nur wenige genossen und oft genug Reue über das Geschehene an den Tag gelegt; nur weil sie hoffte, den Kindern werde Heinrich ein Vater sein, blieb sie eine Gefangene der Staufenburg.

Die schmalkaldischen Fürsten suchten Alles hervor, um ihren Gegner in bösen Ruf zu bringen. Sobald sie als Sieger in Wolfenbüttel einzogen, wurden alle Theilhaber des Geheimnisses verhaftet und verhört; sie gestanden. Die Gruft bei den Barfüßern ward geöffnet, aber nur ein leerer Sarg gefunden; wohin das Bild gekommen, wußte kein Mund zu berichten.

Während des Krieges selbst gingen die Verhandlungen wegen des Fräuleins von Trott, von deren Leben man überzeugt war, deren Aufenthalt man aber vergeblich erspähte, zwischen Kaiser, Herzog und Familie hin und her. Kein Abschluß erfolgte.

Die Quellen für den Ausgang des seltsamen Handels fließen von da ab immer spärlicher. Eine Sage läßt Eva, vergessen von Heinrich, ein zweites Verhältniß mit Philipp von Hessen eingehen. Allerdings tauchte 1551 eine Eva von Trott in Cassel wieder auf, allein obgleich das wohl die ehemalige Bewohnerin der Staufenburg gewesen sein muß, ihre Zuneigung zu Philipp ist nicht erwiesen.

Es lag aber eine Strafe in den Schicksalen, welche Heinrich und seine Geliebte ereilten. Sie hatten mit dem ernsten, feierlichen Vorgange, der da erlöst, Frieden giebt und heilig ist – mit dem Tode, ein frevelhaftes Spiel getrieben. Der Unerbittliche rächte sich. Verschollen, vergessen, in der That eine lebende Leiche, wie sie diese einst vorgestellt, verbrachte Eva den Rest ihrer Tage in klösterlicher Abgeschiedenheit zu Hildesheim. Sie hatte noch vier Kinder auf der Burg geboren, alle versanken in die Nacht [508] der Vergessenheit oder starben; blos ein Sohn, Heinrich, gelangte zu Ehren unter dem Namen von Kirchberg. Er kannte seine Mutter nicht. Herzog Heinrich gewann nach mancher Prüfung die Oberhand. Aber fast einsam stand er im Alter. Die meisten seiner rechtmäßigen Kinder starben, und in der blutigen Schlacht bei Sievershausen fraß der Tod die zwei herrlichen Söhne des Herzogs vor den Augen des jammernden Vaters. – Von der Staufenburg ist heute kein Stein mehr zu erblicken. – –




Ein hohes Fest der Glaubenstreue.

An dem „Steinthore“ zu Coburg war 1732 eine steinerne Kanzel, nach außen gerichtet, angebaut worden, damit, wie die Chronik erzählt, von ihr aus der Obergeistliche der Stadt jene 6000 „Salzburger Emigranten“ festlich empfangen und mit Gottes Wort trösten und stärken konnte, die ihr Leidensweg aus der Heimath nach Sachsen und Brandenburg vom 21. Juli bis 12. September jenes Jahres zu dieser Stätte führte.

Diese Kanzel gehörte zu den Steinen, welche selber reden. Solche Steine predigen von dem Ernste, der Reinheit und Treue des deutschen Gemüths in allen heiligen Dingen und von der Tapferkeit und dem Opfermuth des deutschen Volkes im Festhalten und Vertheidigen der religiösen Ueberzeugung, zu der es sich einmal bekannt hat.

Die Ueberzeugung aber von dem Heile der Reformation hatte so unaufhaltsam das gesammte deutsche Volk durchdrungen, mit alleiniger Ausnahme der von der Selbstsucht beherrschten Geistlichkeit und der von der Geistlichkeit geleiteten Selbstsucht, daß, ohne die Verbindung der weltlichen Macht mit dem Pfaffenthum, über Deutschland die so oft beklagte Zwietracht im Glauben nicht gekommen sein würde. Die Reformation war ein Fortschritt, dem das ganze deutsche Volk entgegenjubelte. Es ist nicht aus der Geschichte zu vertilgen, daß schon im Jahre 1522 an der Stephanskirche in Wien ein evangelischer Prediger angestellt war und daß Kaiser Maximilian II. seinen Sohn Rudolf vor Angriffen gegen die Protestanten in Wien ernstlich verwarnte, „sintemal fast das ganze Volk und die Handwerksleute in der Stadt lutherisch sind.“

Ja, das Herz des Volkes war hingerissen von der deutschen That des muthigen Mönchs von Wittenberg, das einfache, klare, warme Gotteswort war ihm ein Labsal geworden; vor Allem steht aber als das eigentliche Wesen der Reformation da: das Volk hatte Partei für Gott und Christus genommen, die es von manchen Priestern der herrschenden Kirche durch Prunk und Hoffahrt im Cultus entwürdigt, die Beide es unter dem Marien- und Heiligendienst meist kirchlich vernachlässigt sah, und diese Parteinahme für Gott und Christus war die wahre Quelle jener trotzigen Glaubenszuversicht, die in dem Kampfliede der Protestanten: „Eine feste Burg ist unser Gott!“ sich am herrlichsten ausspricht und die, aller Welt und Gewalt gegenüber auf das Bündniß mit Gott und dem Gottessohn pochend, für dieses Bündniß und seine himmlischen Verheißungen alle Freuden dieses Lebens dahingehen konnte. Mit tiefer Ehrfurcht blicken wir auf jene Menschen zurück, deren Seelen solcher Kraft fähig waren, mit Rührung erfüllt uns ihre fromme Zuversicht in aller Trübsal, mit Wehmuth ihr standhafter Wandel im Elend.

Um so empörender ist die Mißhandlung dieses reinen treuen Volksherzens durch die Gewaltgriffe der Diplomatie, die zu allen Zeiten sich durch ihre Rücksichtslosigkeit gegen das Gefühl der Massen ausgezeichnet. Durch den Passauer Vertrag (31. Juli 1552) schien allerdings die Reformation sicher gestellt und Luther’s weise Mahnung um das, was allein allem Jammer und Unglück der Zwietracht ein Ende machen konnte, um Gewissensfreiheit, endlich erfüllt; aber auf dem Reichstage zu Augsburg, 1555, siegte bei den Bestimmungen des Religionsfriedens die List der Herren über das Volk: die Fürsten hatten vor Allem für ihre politische Machterweiterung über Ritter, Bürger und Bauern gesorgt. „Nur daraus,“ sagt ein deutscher Geschichtsschreiber, „erklärt es sich, wie ein Vertrag geschlossen werden konnte, der unter allen, die jemals in Deutschland verabredet wurden, offenbar der ruchloseste war und der mit Nichts zu vergleichen ist, als mit dem Triumvirat im alten Rom, bei dessen Abschluß die drei römischen Tyrannen sich wechselsweise ihre Anhänger aufopferten und zur Schlachtbank lieferten. Auf diesem ewig mit dem Fluch der Geschichte gebrandmarkten Reichstag wurde der Grundsatz aufgestellt: „cujus regio, ejus religio“, d. h. welchem Glauben der Fürst folgt, demselben Glauben soll auch das Volk folgen. Dadurch wurden nicht nur alle protestantischen Unterthanen katholischer Herren – und auch umgekehrt – der grausamsten Rache preisgegeben, sondern die Religion eines jeden Landes hing von jetzt an von der Laune des jeweiligen Fürsten ab. Gefiel es diesem überzutreten, so mußte das ganze Land mit übertreten, und die Pfalz liefert ein Beispiel, wie auf diese Weise wirklich ein Land seinen Glauben vier Mal wechseln mußte, wobei das Sträuben der Natur und Vernunft durch Kerker, Henker, Brand und Verwüstung besiegt wurde.“

– Ja, wäre in Deutschland an jeder Stätte, wo eine Gräuelthat an einem Menschen um des Glaubens willen verübt worden ist, ein Denkstein errichtet, wir schauderten vor dem Säulenwald, der von den Verbrechen der Deutschen gegen sich selbst zeugte.

Desto höher ehren wir die Denkmale und Erinnerungsstätten, wo die Standhaftigkeit des Volkes einen Sieg des Glaubens feierte. Solcher giebt es nicht viele mehr, die meisten sind vergessen oder verschwunden, wie die steinerne Kanzel in Coburg mit sammt ihrem Thore. Wo aber das Volk ihr Gedächtniß erhalten hat, da feiern noch heute die Enkel die Ehre der tapfern Altvordern. Vor eine solche Stätte wandern wir heute an der Hand der Kunst, die uns zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs in den Hof des Kollegiums zu St. Anna in Augsburg führt.

In dem großen deutschen Glaubens- und Verheerungskriege gehörte Augsburg zu denjenigen freien Reichsstädten Süddeutschlands, die am schwersten zu leiden hatten. Augsburg war ohne seine Schuld in der katholischen Welt zu dem Rufe eines Hauptsitzes der Reformation gekommen, weil es durch den Reichstag von 1530 gleichsam der Taufpathe des neuen Bekenntnisses geworden war. Mehr als in irgend einer andern Reichsstadt, wie in Nürnberg, Frankfurt, Ulm, Reutlingen, Hall, ging die Bürgerschaft in Augsburg mit großer Rücksicht bei der Aufnahme der kirchlichen Bewegung zu Wege; ihr drohten zu mächtige Feinde in nächster Nähe, zudem war die Stadt nicht nur ein Bischofssitz, sondern sie erfreute sich zugleich als eine Lieblingsstätte des Kaisers Maximilian der einträglichen und glanzverbreitenden kaiserlichen Hofhaltung. Wenigstens trat man hier nicht mit wilder, sieglustiger Hast gegen die Verehrer der alten Kirche auf. Denn obwohl die Bürger und ihr Magistrat seit Jahrhunderten mit dem Domcapitel, bischöflichen Ansprüchen und geistlicher Gerechtsame im Kampfe lagen, so hatte ein ganz besonderes Glück gerade damals der Stadt in dem Bischof Stadion einen milden und friedliebenden Mann gegeben. So ging denn die Ausbreitung der neuen Lehre still, aber doch so rasch vor sich, daß schon 1530 der beim Reichstage von Kaiser Karl V. angeordneten Frohnleichnams-Procession nicht hundert Bürger von Augsburg folgten. Wie bewegt aber auch sonst diese Zeit in Deutschland war, hier herrschte zwischen den Anhängern der alten und der neuen Kirche ziemlicher Friede. Selbst die ersten zehn Jahre des Dreißigjährigen Kriegs erschütterten ihn wenigstens äußerlich nicht.

Das Alles ward plötzlich anders, als im Jahre 1629 jener Kaiser Ferdinand II., der in der Geschichte den Beinamen „Deutschlands Unglück“ führen sollte, die Brandfackel seines „Restitutionsedicts“ auch in diese Stadt schleuderte. Die kaiserliche Commission, welche in allen Kreisen des Reichs die Bisthümer, Abteien, Propsteien, Klöster, Hospitäler und sonstigen geistigen Stiftungen, die seit dem Passauer Vertrag, also seit 1552, in den Besitz der Evangelischen übergegangen waren, zu verzeichnen hatte, um sie der alten Kirche zurückzugeben, trat in Augsburg mit besonderer Schärfe auf. Kaiser Ferdinand soll damals gelobt haben, gerade diese Stadt dem römischen Glauben wieder ganz zu unterwerfen, und die Maßregeln der Commission entsprachen einem solchen Gelübde. Am 8. August 1629 wurden sämmtliche (14) evangelische Prediger abgesetzt und die acht fremden darunter mit Weib und Kind in die Verbannung geschickt, alle evangelischen Kirchen gesperrt, mehrere niedergerissen, die Schulen geschlossen und die Lehrer abgedankt.

Damit nicht genug, mußten alle Kinder katholisch getauft werden, [509] die sechs in der Stadt gebliebenen evangelischen Prediger regelmäßig in den katholischen Kirchen erscheinen. Spione schlichen von Haus zu Haus, um zu erspähen, ob irgendwo protestantische Kirchenlieder gesungen würden, oder wer sich weigere, die katholischen Kirchen zu besuchen, denn auch Das war Jedermann streng geboten. Selbst der evangelische Gottesdienst auf dem (untern) Gottesacker und der Besuch der Kirchen von Ulm und Oettingen wurde streng untersagt. Nichtkatholiken erhielten kein Bürgerrecht, nichtkatholische Arme kein Almosen. Wie der Katechismus, so wurden alle übrigen protestantischen Andachtsbücher weggenommen, der fernere Verkauf derselben verhindert. Evangelische Stiftungen gingen ohne Weiteres in den Besitz der herrschenden Partei über, und das St. Annen-Gymnasium sammt der werthvollen Stadtbibliothek nahmen die Jesuiten für sich in Anspruch. So war denn jede öffentliche Aeußerung der religiösen Ueberzeugung, welcher das Volk sein Herz geweiht hatte, unmöglich gemacht, die „Ruhe des Kirchhofs“ hergestellt.

Der Hof des Collegiums zu St. Anna in Augsburg von 1632 bis 1648.

Noch nachhaltiger sorgten für diese Ruhe die furchtbaren Leiden des Krieges, der nun auch über Schwaben seine Brandstätten und Leichenfelder ausbreitete. Wie wenige Jahre genügten, um in dem Herzogthum Würtemberg die halbe Million Einwohner bis auf 48,000 zu vernichten, so verheerend gingen sie auch über Augsburg hin. Die Stadt wurde drei Mal belagert, zwei Mal erobert und erduldete eine viermalige Regierungs- und folglich auch gewaltsame Glaubens-Veränderung.

Die schlimmste Zeit begann mit dem Jahre 1634, und als ob es nothwendig gewesen, daß die einst so blühende Stadt die kommenden Gräuel doppelt fühle, hatte ein kurzes Lächeln des Glücks sie gleichsam erst herbeiziehen müssen. Durch Gustav Adolf’s Siegeszug war im Jahre 1632 auch Augsburg von seinen Drängern befreit. Jetzt waren die Evangelischen Alleinherren, sie erhielten ihre Kirchen und Schulen wieder und beriefen nicht blos ihre Prediger und Lehrer zurück, sondern besetzten mit ihren Glaubensgenossen auch alle städtischen Aemter. Die Zeit der Klage war für die Katholiken gekommen, und sicherlich hat der einmal aufgewühlte Glaubenshaß es ihnen nicht an Ursache dazu fehlen lassen. Da wendete sich abermals das Kriegsglück, Gustav Adolf war gefallen, die Schlacht bei Nördlingen für die Schweden verloren, und das siegreiche kaiserliche und baierische Heer legte sich vor Augsburg, das nun Alles entgelten sollte, was die Schweden in Baiern gesündigt hatten. Vor Allem wurde der großen, volkreichen Stadt alle Zufuhr abgeschnitten. Die Hungersnoth wüthete bald so, daß selbst Mäuse, Leder, Stroh, Aas und endlich sogar das Fleisch der Leichen zur Nahrung diente. Als 60,000 Menschen dem Hunger und der Pest geopfert waren, öffneten die Uebrigen die Thore.

Der unermeßliche Jammer der Besiegten vermochte nichts über die Hab- und Rachgier der Sieger. Alles Eigenthums, aller Rechte, selbst der Kinder beraubt, die in Schaaren fortgeschleppt wurden, um auswärts katholisch erzogen zu werden, sahen die armen Bewohner Augsburgs auch die letzte Freiheit des Unglücks, dem Elend der Heimath durch Auswanderung zu entfliehen, sich entrückt, denn eben weil die Stadt so sehr entvölkert war, durfte Niemand mehr sie verlassen. Obwohl die Fürsten den Krieg längst nicht mehr als bloßen Religionskrieg führten, war im Volk der Glaubenshaß noch ungeschwächt. Eine katholische Obrigkeit gebot nun in der Stadt und zeigte gegen die Evangelischen so wenig, wie diese vorher gegen die Katholischen, daß sie der „Religion der Liebe“ huldige. Nachdem den Protestanten Alles wieder genommen war, was die Katholiken für sich beanspruchten, und das war eben Alles, von den bürgerlichen und kirchlichen Rechten bis zu den Kirchen selbst, gestattete man ihnen nur Eines, aber in diesem Einen liegt der bitterste Hohn von Seiten ihrer Gegner, und aus diesem Einen erblühte für die festen, treuen, unwandelbaren Gemüther der Männer und Frauen, denen so Unerhörtes für ihre religiöse Ueberzeugung zu dulden auferlegt war, der Lorbeer des Siegs, der ihrem Andenken seit mehr als zweihundert Jahren alljährlich von [510] Neuem geweiht wird. Dieses Eine ist: man hatte den Evangelischen Augsburgs zwar alle Kirchen bis zum kleinsten Gotteshäuschen entrissen, aber die Ausübung ihres Cultus verwehrte man ihnen nicht; man wies ihnen dazu den offenen Hof des Collegiums zu St. Anna an.

Und vierzehn Jahre lang war dieser Hof der Augsburgischen Protestanten einzige Kirche und der Himmel ihr Dach. Auch zwei Pfarrer hatte man ihnen gelassen, und diese predigten aus dem Fenster eines der Gebäude des Hofes. Die große Mehrzahl dieser Glaubenstreuen mußte schutzlos im Freien stehen, aber keine Unbill der Witterung und der Jahreszeit verdrängte sie von der einzigen Stelle, wo sie „ihr Bündniß mit Gott und Christus“ aufrecht erhalten konnten![2]

Als endlich, 1648, der Tag kam, wo „die Trompeter durch das ganze Reich flogen, um allen Heeren, allen belagerten Städten, den zitternden Fürsten, dem thränenbleichen Volke und den Ruinen und Gräbern den Frieden zu verkünden“ – war nur für diese Augsburger die Erlösung noch nicht gekommen. Der katholische Magistrat hatte durch Dr. Johann von Leuxelring, der seit 1645 als „Kanzler der Stadt Augsburg“ beim Friedenscongreß in Münster fungirte, Augsburg als eine rein-katholische Stadt darstellen lassen und Alles aufgeboten, um die seit vierzehn Jahren dort herrschenden Zustände zu erhalten. Erst „nach unsäglicher Arbeit, Unkosten, Schreiben und Reisen an die verschiedenen königlichen, kurfürstlichen und fürstlichen Höfe mit anhaltendem Suppliciren und Bitten“ – gelang es den Augsburgern, und namentlich durch den unermüdlichen und muthigen Rechtsgelehrten Johann David Hörwart, endlich die Wiederherstellung ihrer Religionsfreiheit und die Wiedereinsetzung in ihre Rechte und geistlichen und weltlichen Besitzthümer zu erringen. Am 23. Mai 1649, einem Pfingstfeste, wurden alle ihre ehemaligen Kirchen den Evangelischen wieder geöffnet, und am 8. August 1650 feierten die standhaften Protestanten Augsburgs nach einundzwanzigjähriger Trübsal, ihr erstes Dank- und Freudenfest des Friedens und des Siegs.

Sie hatten sich’s verdient, ihr Fest, diese eisernen Alten. Und daß sie, trotz ihrer äußerlichen Starrheit, das rechte, warme, gute Herz dazu mitbrachten, zeigten sie damit, daß sie zwei Tage darnach die Friedensfeier von den Kindern in Kinderweise wiederholen ließen. Sie nannten den Tag das „Kinder-Frieden-Fest“.

Noch heute begehen die Augsburger Augsburgischer Confession beide Feste. Wie vor 204 Jahren zieht am 8. August die evangelische Bevölkerung in die mit Laubwerk, Gewinden und Blumenkränzen geschmückten Kirchen, wo die Prediger die Ehre der Väter und den Sieg ihres Glaubens preisen.

Und dennoch ist dieses Fest nur ein halbes, denn seine andere Hälfte ist Trauer – die alte Trauer über die Zerrissenheit des Vaterlandes, die nicht einmal die Bürger einer Stadt und nicht einmal vor Gott zur vollen Einigkeit kommen läßt! –

Ist’s auch ein schöner, ein wohlthuender Gedanke, die Ehre der Väter heilig zu halten, so sollten wir Deutsche der Gegenwart doch gar ernstlich fürsorgen, daß solche Feste nicht die Zwietracht verewigen. Ist es nicht möglich, von einer solchen Feier den Geist fern zu halten, welcher „den Anderen“ den Stachel des Hasses mit jedem Jahre von Neuem in die Herzen drückt, dann begnüge man sich mit der Thatsache, daß die Ehre der Väter in der Geschichte steht und dort ihre Verewigung findet, soweit Menschen dieses Wort aussprechen dürfen.

Dagegen sollte keine Hand je greifen nach den Kränzen des Kinder-Friedens-Festes des 10. August! Aber reißet an diesem Tage die alten Schranken der Kirchengrenzen nieder, alle Ihr glücklichen Eltern von Augsburg! Laßt Euere Kinder ein gemeinsames Friedensfest feiern, so lange Ihr Alten selbst dessen noch nicht fähig seid! Als die Trompeter durch das Reich flogen, den Frieden zu verkünden, haben Katholiken und Protestanten gemeinsam geweint vor Freude über das Ende der Schrecknisse und vor Schmerz über das Elend des Vaterlandes. Zweihundert Jahre haben die Deutschen nicht besser gemacht, sie lassen noch heute vom Buchstaben sich die Seelen verhärten. So gönnet das Fest des wahren Friedens wenigstens Eueren unschuldigen Kindern! Vielleicht ist der Anblick solcher Einigkeit mächtig genug, um Euch aus Kinderaugen das Wort der Versöhnung zu predigen.

Fr. Hofmann. 




Strafpredigt für Mütter und Erzieher.
Der angefütterte Blödsinn.

Es giebt ein Organ im menschlichen Körper, welches zum großen Nachtheile der ganzen Menschheit von den Erziehern viel zu wenig gekannt und beachtet wird. Daher kommt es denn aber auch, daß der Mensch der Jetztzeit nur das Product des Zufalls und nicht das einer naturgemäßen, vernünftigen Erziehung ist. Ob ein Mensch gut oder böse, klug oder dumm, herrschsüchtig oder sclavisch, abergläubisch oder aufgeklärt u. s. f. ist, das hat er in der Regel nur dem Zufalle, nicht selten in Gestalt einer alten Kindermuhme, zu verdanken. Das darf aber nicht so fortgehen; eine auf die im menschlichen Körper herrschenden göttlichen Naturgesetze gegründete richtige Erziehung muß andere, bessere, vollkommenere und gesündere Zukunfts-Menschen schaffen. Und das kann nur mit Hülfe jenes Organs erreicht werden, welches Gehirn heißt und in der Schädelhöhle des Kopfes, von einer festen knöchernen Wand rings umgeben, geschützt liegt.

Das Gehirn ist nämlich derjenige Apparat unseres Körpers, mit dem wir denken, fühlen, wollen und dem wir unser Selbstbewußtsein verdanken. Nur mit Hülfe dieses Apparates ist das Denken, Fühlen und Wollen möglich. Aber alle diese sogenannten geistigen Thätigkeiten ist das Gehirn nicht etwa schon von Geburt an auszuführen im Stande, sondern es müssen diese Thätigkeiten ganz allmählich im wachsenden Gehirne angeregt und in dasselbe hineingewöhnt, erzogen werden. Ebensowenig wie ein Mensch schon mit der Fähigkeit zu tanzen auf die Welt kommt, auch wenn er die schönsten Beine mitbringt, oder Clavier zu spielen, wenn auch seine Finger und Arme noch so wohlgebildet sind, ebensowenig kann der Neugeborne, wenn er auch im Besitze eines noch so guten Gehirns ist, damit geistig thätig sein, und er wird es auch niemals damit sein können, wenn das Gehirn nicht dazu angehalten, daran gewöhnt wird. Kurz, das muß erlernt werden und zwar, wenn es ein zeitgemäßes, in die Gegenwart passendes sein soll, durch Uebungen, welche von Erziehern geleitet werden, die das Gehirn richtig zu behandeln verstehen und mit den Fortschritten in der menschlichen Cultur, vorzugsweise aber in den Naturwissenschaften gehörig vertraut sind. Wollte man ein Kind, ehe es nach den richtigen Gesetzen der Menschlichkeit denken gelernt hat, einem Hexenverfolger zur Erziehung übergeben, so würde es gar nicht lange dauern, um in diesem jungen Menschen den festen Glauben erzeugt zu finden, daß es ein Gott wohlgefälliges Werk sei, Hexen so viele, als man ihrer nur habhaft werden kann, zu verbrennen.

Es steht unwiderruflich fest: nur wer ein Gehirn hat, kann denken, fühlen und wollen lernen; – und nur wer ein gut gebildetes Gehirn hat und nur der, dessen Gehirn richtig dazu erzogen wird, kann dies ordentlich lernen. Der Mensch hat zur Zeit von allen Geschöpfen das vollkommenste Gehirn und kann deshalb auch, sobald dasselbe nur durch richtige Erziehung zum richtigen Arbeiten gewöhnt wird, am vollkommensten denken, fühlen und wollen. Das Thier mit seinem kleinern, unvollkommnern Gehirn wird dies, auch bei der sorgfältigsten Erziehung, niemals in solcher Vollkommenheit thun können, wie der Mensch. Wohl aber kann ein Thier, zumal eins aus den höheren Thierclassen (Affe, Hund, Elephant etc.), weit verständiger sein und handeln als ein Mensch, dessen Gehirn unvollkommen entwickelt oder von aller Erziehung fern gehalten wurde, wie dies bei Blödsinnigen [511] der Fall ist. Was übrigens die Erziehung (Gewöhnung) des Gehirns zum immer bessern, vollkommnern Thätigsein betrifft, so läßt sich nicht blos bei den Menschen, wenn wir die jetzigen mit den früheren vergleichen, sondern auch bei den Thieren ein bedeutender Fortschritt wahrnehmen. Viele unserer jetztlebenden Thiere (wie Hunde, Pferde und andere Hausthiere) sind weit klüger und besser als ihre Vorfahren, und das macht blos ihre besser gewordene Erziehung nicht nur durch den Menschen, sondern auch durch die schon etwas gebildeteren Eltern dieser Thiere. – Ausführlicheres über das Gehirn und seine Thätigkeit findet sich in der Gartenlaube Jahrg. 1860, Nr. 51 und 1861, Nr. 47 und 52. – Wir wollen jetzt nachweisen, wie eine falsche Ernährung des Kindes im ersten Lebensalter dem Gehirne so schaden kann, daß es zum richtigen Erlernen seiner Thätigkeiten ganz unfähig wird und für’s ganze Leben blödsinnig bleibt.

Beim neugeborenen Menschen zeigt sich die ovale Kapsel, in welcher das Gehirn eingeschlossen liegt und die den obersten Theil des Kopfes, den sogen. Schädel, bildet, noch nicht überall knöchern hart, wie dies später der Fall ist, sondern stellenweise noch häutig-sehnig oder knorplig-weich und elastisch, so daß sie deshalb allmählich auch noch ausgedehnt (der Schädel größer) werden und einen immer größer werdenden Raum in ihrem Innern (eine sich erweiternde Schädelhöhle) enthalten kann. Die größten und auffälligsten weichen Stellen am Kindeskopfe heißen „Fontanelle“, und von diesen ist beim Neugebornen die über der Stirn befindliche große viereckige Fontanelle als „Plättchen“ bekannt. Sie wird erst im zweiten Lebensjahre hart und läßt bis dahin die Bewegungen des Gehirns fühlen und sehen. Außerdem befinden sich aber auch noch zwischen den einzelnen schon verknöcherten Partieen der Hirnkapsel (d. s. die sogen. Schädelknochen) ausdehnbare häutig-knorplige Säume oder Streifen (Nahtknorpel), welche eine Vergrößerung des Schädels gestatten.

Nur bei dieser Einrichtung, daß nämlich die Hirnkapsel auch nach der Geburt noch längere Zeit ausdehnbar ist, wird es dem Gehirne möglich bis zu der Größe zu wachsen und dabei den Schädel zu vergrößern, welche zu seinem ordentlichen geistigen Thätigsein nöthig ist. Bei dem Umfange, welchen das Gehirn zur Zeit der Geburt und in den ersten Lebensjahren hat, ist vom Verständig-Sein und Werden gar keine Rede, und es würde also das Gehirn, wenn es diesen Umfang zeitlebens behalten müßte, niemals zum ordentlichen Denken, Fühlen und Wollen befähigt werden können. Der Mensch mit einem solchen kleinen Gehirne muß für’s ganze Leben mehr oder weniger blödsinnig bleiben. Und das eben ist gar nicht selten der Fall, wenn die Hirnkapsel früher als es sein sollte, vielleicht sogar bald nach der Geburt vollständig hart wird und nun nicht mehr durch das Gehirn erweitert werden kann. Das Gehirn wird dadurch in seinem Wachsthume aufgehalten, bleibt widernatürlich klein und behält zeitlebens die Größe und Thätigkeit wie beim Kinde. Natürlich wird in solchen Fällen auch der Kopf in seinem obern oder Schädeltheile auffallend klein erscheinen. Man bezeichnet diesen durch vorzeitiges Hartwerden (Verknöchern) der Hirnkapsel bedingten und wegen der dadurch gehemmten Entwickelung des Gehirns von Blödsinn begleiteten Zustand als Kleinköpfigkeit, Mikrocephalie.

Wie kann nun ein solches vorzeitiges, Blödsinn mit sich führendes Hartwerden (oder Verknöchern) und Kleinbleiben der Hirnkapsel (des Schädels) zu Stande kommen? Die Wissenschaft ist zur Zeit noch nicht im Stande, mit Sicherheit darüber genaue Auskunft zu geben; auch sind die Ursachen ohne Zweifel verschiedenartige. Mit großer Wahrscheinlichkeit läßt sich aber annehmen, daß eine dieser Ursachen eine widernatürlich große Menge desjenigen Stoffes im Blute ist, welcher die Verknöcherung zu Stande bringt, den Knochen ihre Härte und Festigkeit verleiht und ohne welchen die Knochen weich, biegsam, knorplig-häutig bleiben. Dieser Stoff heißt „Knochenerde“ und besteht vorzugsweise aus phosphorsaurem Kalk, dem etwas kohlensaure Kalkerde und phosphorsaure Talkerde beigemischt ist. Die Knochen erhalten diese Erde aus dem Blutstrome; in’s Blut gelangt sie durch die genossenen und verdauten Nahrungsmittel, und diese nehmen sie aus der uns umgebenden anorganischen Natur, aus dem Erdboden und Mineralreiche auf. Der Zahn der Zeit zernagt den kalkhaltigen Fels zu Trümmern; diese werden Staub; Wind und Regen bringen den Staub in die Ebene, dort düngt er den Acker, die Wiese, und dient der Pflanze als Nahrung, welche, von Thieren und Menschen verzehrt, denselben die erdigen Stoffe zuführt, aus denen die Knochen sich aufbauen und erhalten. Auch das harte Trinkwasser, welches Kalksalze enthält, sorgt für den Bedarf unseres Leibes an Knochenerde. – Was der Mangel an Kalkerde in der Nahrung anrichten kann, läßt sich am besten bei den Hühnern wahrnehmen, die, wenn sie nicht Kalk genug zu sich nehmen, Eier nicht mit harter, sondern mit ganz weicher, hautartiger Schale legen.

Da wir nun wissen, daß die Knochenerde durch die Speisen und Getränke unserm Blute und durch dieses den Knochen zugeführt wird; da wir ferner mit ziemlicher Sicherheit vermuthen können, daß, wenn zu viel oder zu wenig von dieser Erde in das Blut geschafft wird, die Knochen, als hauptsächlichste Ablagerungsstelle für dieselbe, auch am meisten dadurch zu leiden haben: so ist es doch sicherlich erlaubt, zu fürchten, daß, wenn einem kleinen Kinde, zumal dem Säugling, dessen Knochen noch nicht vollständig gehärtet sind, eine kalkreichere Nahrung, als sich gehört, verabreicht wird, dadurch die noch weichen Knochen desselben widernatürlich schnell, nämlich vor der gehörigen Zeit, hart werden, die Hirnkapsel also viel zu zeitig unausdehnbar wird. Beim Erwachsenen mit vollständig ausgebildeten Knochen schafft der gesunde Körper den im Uebermaß genossenen Kalk durch den Urin wieder fort, ohne daß derselbe während seines Verweilens im Blute auffallende, der Wissenschaft bis jetzt bekannte Störungen veranlaßt hätte. Beim Kinde findet er dagegen in den noch nicht verknöcherten Partien eine bequeme Ablagerungsstätte.

In der Muttermilch befindet sich die Knochenerde in solcher zweckmäßiger Menge und Beschaffenheit, daß sie die Verknöcherung der noch weichen kindlichen Knochen weder widernatürlich beschleunigt, noch verlangsamt. Die Milch ist deshalb auch, abgesehen von ihren übrigen, dem kindlichen Körper ebenfalls angepaßten und unentbehrlichen Bestandtheilen (besonders Käse und Butter), das allein naturgemäße und zweckmäßige Nahrungsmittel für den Menschen in seinem ersten Lebensalter. Nur ganz dumme Mütter können sagen: „Mein Kind wird von der Milch nicht satt “ – Bei kranken Frauen will man die Milch reicher an Mineralbestandtheilen, zu denen ja die Salze der Knochenerde gehören, gefunden haben, und deswegen schon dürfen kränkliche Mütter und Ammen nicht stillen. – Die Kuhmilch enthält weit mehr Mineralbestandtheile, als die Mutter- und Ammenmilch, und es muß deshalb dieser Milch, beim Aufziehen des Kindes damit, etwas Wasser, sowie auch Milchzucker und Sahne zugesetzt werden. – Eine mehlige, breiige Nahrung ist für das Kind im ersten Lebensjahre die allergefährlichste, insofern sie viel zu reich an erdigen und unverdaulichen Stoffen und viel zu arm an nährenden Bestandtheilen ist. – Auch das Wasser, welches zur Verdünnung der Kuhmilch benutzt wird, ist nicht unberücksichtigt zu lassen, da ein mit großen Mengen Kalksalzen versetztes, sogen. hartes Wasser die kindlichen Knochen doch vielleicht auch vorzeitig hart machen könnte. Kalkreiches Quell- und Brunnenwasser läßt sich durch halb- bis einstündiges Kochen in einem offenen Gefäße weich und zum Gebrauche für Kinder tauglich machen. Die durch Kohlensäure aufgelösten Kalksalze werden nämlich durch das beim Sieden des Wassers stattfindende Entweichen der Kohlensäure in ihren festen Zustand zurückgeführt und scheiden sich dann in dem getrübten Wasser bei der Ruhe als ein weißlicher oder bräunlicher Bodensatz ab, von dem man das Wasser vorsichtig abgießt. In Gefäßen, welche zum andauernden Erhitzen größerer Quantitäten Wassers dienen, setzt sich der Kalk oft in harten steinartigen Krusten ab und wird Kesselstein (fälschlich Salpeter) genannt.

Angefüttert könnte also der Blödsinn dadurch werden, daß man einen jungen Weltbürger seine naturgemäße Nahrung, und das ist die Menschenmilch, nicht saugen läßt, sondern denselben durch künstlich zubereitete, wohl gar durch breiige Nahrung aufzieht und daß man dadurch zum vorzeitigen Hartwerden des Schädels, sowie zum Kleinbleiben des Gehirns Veranlassung giebt.
Bock. 
[512]
Blätter und Blüthen .

Die Todten in der Ulkebüller Kirche. Nur wer die volle Furchtbarkeit von Schlachtfeldern und Leichenstätten kennt, wird, wenn es gilt, ohne Bangen sein eigenes Dasein auf das Spiel setzen, denn die Schrecken des Toden liegen als erlebt hinter ihm. Aber er wird zurückschaudern vor dem Gedanken, je wieder in das wüste Kriegsgeschrei grundloser Streitsucht oder überreizten Ehrgeizes mit einzustimmen! Heutzutage liefert man nur noch Schlachten, um den Zeitpunkt herbeizuführen, wo es keine Schlachten mehr geben wird. Darum ist eine solche Statt des Todes der ganzen Menschheit geweiht und heilig, eine Station mehr auf dem steilen Pfade nach dem Tempel der Freiheit und des Friedens, doch heilig vor allem Andern ein Feld, das den Sieg der Sache der Freiheit und des Fortschritts schaute. –

Im Morgenglanze lag Sonderburg vor uns, noch in seinen rauchenden Trümmern schon in seiner Lage an dem tiefblauen Ostseewasser, geschmückt durch das mächtige Bauwerk des alten Schlosses, das einst Dänemarks und der Herzogthümer größten, blutbeflecktesten und unglücklichsten gemeinsamen Herrscher, den Adelsfeind und das Opfer des Adels, Christian II., siebenzehn Jahre lang gefesselt hielt. Dann hatte hier Herzog Johann der Jüngere residirt, von dessen Sohne Alexander sowohl die Augustenburgische, als die Beckische, durch König Friedrich’s VI. Gnade mit dem Titel der „Glücksburger“ beschenkte Linie des Oldenburgischen Hauses abstammt. Welch ein Wechsel der Zeiten seitdem! Jetzt hielten, zum zweiten Male in reichlich zwei Jahrhunderten, Brandenburger die Wache vor jenem Schlosse, preußische Krieger füllten die Stadt, die in keinem der früheren schleswig-holsteinischen Feldzüge dem Danebrog hatte entrissen werden können. Jetzt wird sie frei, in ihren Trümmern. Noch in den Straßen war drei Tage vorher gekämpft worden, die Höhe dort mit den Windmühlen hatte den letzten erbitterten Widerstand der Dänen-gesehen; nun waren dort die letzten Spuren des neulichen Kampfes vertilgt, die Todten moderten in der Erde, um deren Besitz sie lebend gerungen; in ihrem grünen Glanze, mit rothen und blauen Blumen untermischt, wogten die Kornfelder friedlich im Morgenwinde. Nach Nordosten hin, nach der Ulkebüller Kirche müsse, so hieß es, wer noch die tiefen Fußspuren des vorüberschreitenden Kriegsgottes sehen wolle.

Drei Hamburger Turner schlossen sich uns an, ernsthaft, ja gramvoll dreinschauend. Sie suchten einen Jugendfreund und Bundesbruder, der zu den Opfern der Eroberung gehörte, von Freundeshänden sollten seine Reste zur Ruhe getragen werden. Auch sie hatte man nach der Ulkebüller Kirche gewiesen, wo noch gegen fünfzig Leichen, Dänen wie Preußen, erst den Abend vorher von ihren Todesstätten zusammengetragen, der Beerdigung harren sollten.

Schon der Weg dahin war ein Schlachtfeld. Hierhin hatte sich die Flucht des dänischen Centrums gezogen, von Nordwesten nach Südosten zu, quer über Felder, Wiesen und Wald. Frische Gräber an einzelnen einsamen Punkten deuteten auf die Opfer des jüngsten Kampfes, eingescharrt, wo sie gefallen waren; breite und tiefe Fußspuren in den Gräben und Zäunen, umgebogene Gesträuche, vor Allem aber ganze Reihen blauer Patronenhülsen, symmetrisch auf den Boden gestreut, veranschaulichten den Gang des Gefechtes. Noch hingen hie und da Bajonnete und Seitengewehre in den Gebüschen, obgleich nach derartigen Gegenständen kriegerischer Brauchbarkeit das Feld natürlich längst abgesucht war; massenhaft dagegen lagen in den Gräben die geringfügigeren Utensilien des Soldaten, und die charakteristischen Holzpantoffeln und Holzschuhe verriethen in ihrer großen Anzahl nur zu deutlich, welche Nation hier in der blinden Angst wilder Flucht selbst ihre Fußbekleidung fortgeworfen hatte. Dazwischen, als werthlos aus den Tornistern ihrer gefallenen oder entflohenen Feinde von den Preußen ausgeschüttet, häuften sich dann wieder zahlreiche Briefe, so viele von ihnen ich gelesen habe, von melancholischem Inhalte, Sehnsucht nach dem Frieden, Hoffnungen, Wünsche und Gebete für die glückliche Heimkehr des Sohnes, Bruders, Geliebten oder Gatten und Versorgers aussprechend, die vielleicht schon im tiefen Grunde schliefen.

Dann machte der Weg eine Biegung; vor uns, friedlich von blühenden Bäumen umgeben, lag die Ulkebüller Kirche. Ich blieb stehen, ich kannte die Gegend. Vor gerate zehn Jahren war ich, damals ein Schüler der schamlos danisirten Flensburger Gelehrtenschule, bei Gelegenheit einer Schulfestlichkeit, wie sie dort jährlich veranstaltet wurden, desselben Weges gekommen, unwillig der Danebrogsfahne folgend, die von einigen Knaben eingewanderten dänischen Stammes dem Zuge vorangetragen wurde; jetzt, wo die glühenden Träume von blutiger und glorreicher Befreiung meines Vaterlandes Wahrheit geworden waren, schritt ich wieder über diese Erde dahin, um die theuren Opfer des Streites zu schauen! Noch giebt es eine ewige Gerechtigkeit und kein Unrecht bleibt ungesühnt, aber wer belebt die Herzen wieder, die in langjährigem hoffnungslosem Kampfe verzweifelten und brachen?

Schon klirrten die schweren Riegel des kleinen Gotteshauses. An zwei geöffneten Grüften, die ihrer Todten harrten, vorüber schritten wir die Eingangsstufen hinan. Ein tiefer Athemzug, ein Blick: dort, auf den Steinfliesen des Kreuzganges, zwischen die Kirchenstühle gebettet, ruhte die Ernte des Todes.

Das war der Tod in seiner ganzen schlichten Furchtbarkeit: das jähe Versiechen des eben noch schäumenden Lebensstromes. Deutete nicht die wachsbleiche Farbe, die kleine schwarzgeränderte Wunde in Kopf oder Brust an, daß die Seele dem Körper längst entflohen sei, man hätte die Dahingestreckten schlummern geglaubt, am Orte des Friedens sich erholend für neue blutige Mühsale. Im staubigen schwarzgrauen Mantel lagen die Sieger da, am Eingange der Kirche, als wollten sie den weiter unten gebetteten Feinden den Ausgang verwehren. Unnöthige Sorge, die so oft Fliehenden flohen hier nicht mehr, ein Stärkerer, als ihre Furcht, bannte sie an ihre Schlummerstätte!

Wir stiegen über die Kirchstühle hinweg, um in schauerlicher Lust das Gepräge der Vernichtung aus den Zügen der Einzelnen zu betrachten. Selbst im Tod ist keine Gleichheit, auch hier waltet ein willkürliches Geschick. Wie lächelnde Kinder, wunderbar schön in ihrer tiefen Weichheit, zeigten sich Einige, den Kopf auf den Arm gelegt, wie Jemand, der sich zu tieferem Schlafe bequemer betten will, oder die Hände fromm gefaltet, in seliger Zuversicht. Auf andern Angesichtern war der kriegerische Muth verewigt; noch zu leben schienen sie mit der trotzigen Stirn, der geballten Faust, im siegreichen Anstürmen zur Ruhe gelegt. Schrecklicher war wieder Andern der Tod erschienen; mit verzerrten Gesichtern, einen unsäglich schmerzlichen, bittern und vorwurfsvollen Zug um den blassen Mund mit den hindurchschimmernden, unheimlich blanken Zähnen, schienen sie die Verzweiflung des Todes in das Jenseits mit hinüberzunehmen. Durch den Rücken geschossen auf wilder Flucht, wie ein Hirsch mit jähem Sprunge tief zusammengestürzt, das Gesicht wie in die Erde gebohrt, die weit vorgestreckten Hände und krampfhaft verschlungenen Beine wie eingewühlt in den Grund, als ob sie nach vergeblicher Rettung vom schrecklichen Tode gegraben hätten, lag ein Däne da; das gebrochene Auge und den stummen Mund unheimlich weit aufgerissen, wie durchschauert von einer entsetzlichen, unerwarteten Kunde, ein Anderer desselben Stammes. Den schrecklichsten Eindruck endlich hinterließen zwei Dänen, bei welchen der Tod offenbar augenblicklich eingetreten war; das durchaus leere, gänzlich ausdruckslose Gesicht mit dem eigenthümlich schwer dahingestreckten Körper schaute so stumpf und bleiern darein, daß man fast irre ward an diesen einstigen Wohnungen menschlicher Seelen. Wohin mochte die Psyche geflattert sein, so winzig und unentwickelt, ohne Denkmäler eigner Erlebnisse, einem unbeschriebenen Blatte vergleichbar?

Ein halb erstickter Aufschrei unterbrach diese schmerzlichen Gedanken. Unsere Begleiter hatten gefunden, was sie suchten. Sie umstanden die Leiche ihres Cameraden, sie knieten vor ihr nieder, sie hoben sie empor. Ein jugendlich kräftiges Gesicht, von blondem Haar umrahmt, unentstellt durch irgend einen schmerzlichen Zug, ernsten und gefaßten Ausdrucks, wie fast alle preußischen Leichen, nur geadelt durch die Marmorblässe der noch immer lebensvollen Züge, schaute uns einen Augenblick an, dann glitt das Haupt des Todten wieder auf die Steinquadern hinab, langsam und sanft, als könne er Schaden nehmen. Die Freunde küßten seine bleichen Lippen, sie schnitten Locken von seinem Haupthaar. Wir aber wandten uns ab, um dem Schmerz sein Recht tiefer Einsamkeit zu lassen; sorgsam über Leichen hinwegsteigend, gewannen wir den Ausgang.

Das also der Tod, wie ihn Helden suchen und Dichter besingen, der Tod für die köstlichsten Güter des Lebens! Und es war nur ein kleiner Theil der Opfer gewesen, welche die Befreiung nur dieses Stückes deutscher Erde gefordert hatte! Ich trauerte um die Todten, aber ich beneidete sie. War es nicht mein, des Landeskindes, Recht und meine Pflicht, so dazuliegen auf blutig erkauftem Grunde oder, den Helm mit Eichenlaub geschmückt, jetzt stolz in Siegesfreude einherzugehen? Unglückseliges Land, das sich Freiheit und Recht von seinen Brüdern entreißen und wieder erwerben lassen mußte! –

Die Sommersonne beschien den kleinen Friedhof, auf dem viele Generationen friedlicher Landleute von ihren kleinen Mühen und Freuden ausruhten, beschien die beiden langen tiefen Grüfte, die schon der Schläfer im Gotteshause harrten. Ueberreiche Saat des Blutes und der Thränen, wirst du als nutzlos verstreut den Zorn des Himmels erregen, oder einen Erntetag den Friedens und der Freiheit aufgehen lassen über diesem schönen und tief unglücklichen Lande?
C. M. 

Deutsche Turn-Zeitung.
Blätter für die Angelegenheiten des gesammten Turnwesens.
Organ der deutschen Turnerschaft.
Unter verantwortlicher Redaction von F. Goetz herausgegeben von G. Hirth.
Wöchentlich 1 Bogen für vierteljährlich nur 12 Ngr.

Seit ihrer Begründung im Jahre 1856, in einer der Entwickelung des Turnwesens wenig günstigen Zeit, ist die „deutsche Turnzeitung“ bis heute geistiger Mittelpunkt der turnerischen Bestrebungen im Vaterlande gewesen. In ihr fanden sich die Vertreter aller Ansichten zum friedlichen Meinungsaustausch zusammen; anregend und vermittelnd zugleich wurde sie von großem Einfluß auf die äußere Gestaltung und Festigung des Vereinsturnwesens. Ist nun auch dieses letztere das nächste Feld ihres Wirkens, so ist sie doch nicht minder um die Förderung des Turnens in Schule und Heer bemüht, auf dessen Betrieb ein guter Theil der bürgerlichen und kriegerischen Tüchtigkeit beruht. In den Kreis ihrer Thätigkeit hat die Turnzeitung endlich noch das Feuerlöschwesen und die Volkswehrfrage gezogen, deren Bedeutung von keinem Einsichtsvollen mehr geleugnet werden kann. Als das gediegenste, vollständigste, verbreitetste und billigste Blatt der einschlägigen Literatur können wir die „deutsche Turnzeitung“ allen Turnern, Turnlehrern und Freunden und Förderern des Turnwesens auf’s Angelegentlichste empfehlen.

Leipzig, im August 1864.
Die Verlagshandlung von Ernst Keil. 

  1. Unser Hans geht auf Heirath aus, aber der Alte ist ihm noch nicht günstig.
  2. Unser Holzschnitt stellt einen solchen Gottesdienst im Collegiumshofe dar. Das Original der Zeichnung findet sich in einem alten Kupferstichwerke: „Augspurgisches Friedens-Gedächtnis, Das ist: Alle, so genannte, Friedens-Gemälde, welche seit anno 1650 etc. an dem, von Einer Hohen Obrigkeit Aug. Conf. allhier verordneten Kinder-Frieden-Feste, nemlich Mittwochs den 8. Augusti, der sämmtlichen Evangelischen Schuljugend etc. mit einem beygedruckten Carmine ausgetheilet worden.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Heil der Seel.