Die Gartenlaube (1862)/Heft 34
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No. 34. | 1862. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.
Zwei Welten.
Da kamen dem jungen Manne plötzlich Mangold’s letzte
Worte in’s Gedächtniß; er blieb stehen und wandte sich langsam
nach dem Dasitzenden. „Du wolltest noch etwas in Bezug auf
Mrs. Graham sagen, Heinrich?“ fragte er.
„Erst werde mit Deinen Betrachtungen über den Brief fertig – es muß Deinem Gesichte nach so viel Besonderes darin stecken, daß mir jetzt alle übrigen Gedanken vergangen sind!“
„So viel Besonderes, Heinrich, daß ich es Dir, als einem so eifrigen Mitgliede der Untersuchungspartei, nicht einmal werde anvertrauen können!“
„Heiliges –! jetzt wirf mich nur im Ernste mit dem unruhigen Volke zusammen!“ rief der Tischler aufspringend; „was verstehe ich denn von dem ganzen Krimskrams? Ich bin mitgelaufen, weil aller Orten der Name Deines Principals genannt wurde und ich es für meine Schuldigkeit hielt zu horchen, um Dich warnen zu können. Wer sich aber niemals treffen ließ, war Herr Hugo Zedwitz, und nachher sagte mir Marquart, daß er Dir die Augen heller gemacht hätte, als nöthig sei, wenn Du nur sehen wolltest! Meinst Du wirklich, ich schliche mich Abends zu meinem Mädchen in des Comptrollers Haus, wenn ich mich viel um den ganzen Spectakel kümmerte?“
Hugo nickte befriedigt. „Du sollst Alles erfahren, denn ich muß selbst mit Dir über meine nächsten nothwendigen Schritte reden,“ erwiderte er, „erst aber laß mich wissen, was Du zu sagen hattest; in Augenblicken, wie den jetzigen, kann Alles von Wichtigkeit sein!“
„Nun ja, Dich wenigstens mag es interessiren!“ versetzte der Tischler, während er mit einem halb muthwilligen Blicke zu dem Freunde aufsah. „Ich wollte nur sagen, daß das eine ganz sonderbare Ehe ist, in welcher Deine Prinzessin mit ihrem Manne lebt. Seit den vier Wochen, die sie jetzt zusammen wohnen, haben sie sich nur bei den Mahlzeiten getroffen und auch da nicht immer. Er schläft auf der einen Seite des großen Hauses, sie aber auf der andern und hat zum Ueberflusse in der offenen Nebenkammer noch die Mulattin bei sich. Er ist den Tag über in der Stadt, kommt aber auch vielfach in der Nacht nicht heim, und der alte Henderson bleibt dann in dem Hause, um die Frauenzimmer nicht allein zu lassen. Die junge Frau lebt ganz zurückgezogen für sich, kaum daß sie einmal einen Gang in die Stadt macht, und die Mulattin hat behauptet, ihre Mistreß sei gerade noch so wenig richtig verheirathet als sie selber!“
Hugo hatte mit immer starrer werdendem Auge dem Erzähler, der mit sichtlichem Behagen die Wirkung seiner Mittheilung bemerkte, in’s Gesicht geblickt; plötzlich aber wandte er sich hinweg, als sei er sich selbst seines gespannten Ausdrucks bewußt geworden. „Dienstboten-Klatsch, Heinrich!“ sagte er, „sie mögen nicht glücklich mit einander leben, das ist aber Alles!“
„Wie der Herr Referendar befehlen, und mich kümmert auch die Sache nicht!“ erwiderte der Tischler mit einem neuen Zug von Muthwillen um den Mund; „im Uebrigen aber hat der alte Henderson bei Leib und Leben Stillschweigen über das Verhältniß geboten, und bei diesem wäre wohl am leichtesten der rechten Wahrheit auf die Spur zu kommen!“
Hugo war, dem Freunde den Rücken zukehrend, an’s Fenster getreten; er hatte nicht die Kraft in sich gefühlt, den Eindruck, welchen das Erzählte auf ihn gemacht, in seinem Gesichte zu verbergen, und noch konnte er sich bei dem Gedanken an die mögliche Wahrheit der Angaben eines seltsamen, alle seine Nerven durchrieselnden Gefühls nicht erwehren. Die Aeußerungen Jessy’s, das sie einer unabweislichen Nothwendigkeit gefolgt sei, aber nichts zu bereuen habe – daß nirgends eine Ursache sei, die ihr den kleinsten Theil seiner Achtung rauben könne! erhielten jetzt für ihn eine eben so bestimmte Bedeutung, wie manche bisher räthselhafte Aeußerung Henderson’s. Dann aber tauchte plötzlich die Behauptung des Alten in ihm auf, daß das Mädchen durch irgend einen teuflischen Streich gefangen und zu der Heirath gezwungen worden sei; er erkannte, daß sie sich vor einer Selbstentwürdigung gegen den ihr aufgedrungenen Mann gerettet hatte, aber doch um ihr ganzes Lebensglück betrogen war, und ein Zorn erhob sich in ihm, daß er unwillkürlich die Hände ballte, zugleich aber, um seiner Ohnmacht zu helfen willen, hätte weinen mögen. Einen Augenblick wohl war es ihm gewesen, als solle ihm, diesem unerwarteten Stande der Dinge gegenüber, eine neue Hoffnung aufgehen, in der nächsten Secunde aber hatte er auch schon seinen eigenen „Wahnsinn“ erkannt, und zuletzt blieb nur noch der eine Gedanke, sich zum bestimmten Entschluß erhebend, in ihm stehen, wenigstens Dem auf den Grund zu kommen, was sie zu ihrem Opfer vermocht, was ihn selbst um sein bestes Glück betrogen hatte; er meinte ohne eine solche Aufklärung kaum jemals wieder ruhig werden zu können.
Und so wollte er sie noch einmal sprechen, ehe er die Stadt verließ, wenn sie sich auch kaum freiwillig zu einer Zusammenkunft herlassen würde und ihm selbst ein persönlicher Abschied doppelt schwer werden mußte.
Noch einige Secunden lang blickte er sinnend durch das Fenster, dann wandte er sich langsam wieder nach dem Gefährten. „Ich werde morgen in Folge dieses Briefs einen harten Zusammenstoß
[530] mit meinem Principal haben, Heinrich, werde dann sein Geschäft verlassen und auch jedenfalls die Stadt aufgeben, da mir hier doch kaum eine andere Aussicht, als Barkeeper oder Hausknecht zu werden, bliebe. – Nachher erkläre ich Dir Alles,“ beantwortete er ein erschrockenes Aufsehen des Tischlers, „höre jetzt nur weiter. Vor dieser Katastrophe nun hätte ich gern mit Mrs. Graham ein Gespräch unter vier Augen, mochte aber sicher sein, daß ich ihren Mann nicht im Hause treffe und daß sie sich nicht aus irgend einem Grunde vor mir verleugnen läßt. Kannst Du mir hierzu einen Weg angeben, da Du so bekannt mit den Verhältnissen im Hause bist?“
Aus Heinrich’s Gesicht war nach der letzten Wendung der Rede der Ausdruck von Besorgniß schon wieder geschwunden, und nach einem schlauen Aufblick gegen den Freund begann er nachdenklich seine Nase zu reiben. „Ich denke, die Sache kann gemacht werden,“ erwiderte er nach einer Weile bedächtig. „Du gehst mit mir nach Dunkelwerden durch die Hinterthür, und ich will schon sorgen, daß wir erfahren, ob der Comptroller im Winde ist. Dann wartest Du, bis die Mistreß nach dem Parlor geht, wie sie es stets nach dem Abendessen thut, und ich richte es ein, daß Dich die Mulattin ohne Weiteres hinauf bringt; wo es etwas Heimliches gegen ihren neuen Herrn gilt, ist sie ohnedies stets bei der Hand!“
Hugo blickte eine Secunde lang überlegend vor sich nieder und nickte dann entschlossen. „Also um sechs Uhr treffen wir uns hier am Hause!“ sagte er, dem Freunde die Hand reichend.
„Um sechs Uhr hier am Hause!“ wiederholte dieser; „jetzt aber stecke mir ein Licht auf, damit ich mir in meiner Dunkelheit nicht lauter Gespenster vermale!“ – –
Zwei Stunden später ritt Hugo die Höhe nach Winter’s Farmhause hinauf. Er fühlte, daß er nicht ganz ohne Abschied von Carry gehen durfte, die vom ersten Augenblicke seiner Ankunft an ihn mit der ganzen Freundlichkeit ihres Wesens umsponnen hatte; und wenn er auch wußte, daß er nie eine tiefere Empfindung für sie hätte hegen können, wenn er auch um des Mädchens willen froh war, daß die plötzliche Nothwendigkeit des Scheidens seinem Zögern ein Ende machte, so konnte er sich doch bei dem Gedanken an ihr frisches, lächelndes Gesicht, au ihr großes, lebendiges Auge kaum eines leichten Wehgefühls erwehren.
Als er die Treppe nach der Vorhalle hinaufschritt, trat sie ihm, wie von einem innern Glücke strahlend, aus der Vorhalle entgegen. „O, heute werden wir Sie länger hier haben, Mr. Zedwitz,“ rief sie, ihm die kleine runde Hand reichend und ihn nach dem Parlor geleitend. „Vater wird gegen Abend kommen und er hat mir aufgetragen, Sie bis dahin hier zu halten, er muß wohl Wichtiges mit Ihnen zu reden haben!“
Er sah in ihre lebendigen, glücklichen Züge, und es erschien ihm fast wie eine Barbarei, mit dem kalten Worte ihre Illusionen zu durchreißen. Aber er hatte keine Wahl.
„Und dennoch werde ich bald wieder gehen müssen, Miß,“ erwiderte er langsam, ihre Hand in der seinen festhaltend, „ich komme nur, um Abschied zu nehmen – ich verlasse morgen die Stadt!“
Sie blickte ihn an, als verstehe sie ihn nicht. „Abschied nehmen? Verreisen? Davon hat doch Pa nichts gesprochen!“ sagte sie, während ein leichter Farbenwechsel in ihrem Gesicht spielte.
„Er weiß auch noch nichts davon,“ erwiderte er, die Nothwendigkeit erkennend, schnell zum Ziele zu gelangen; „es sind Verhältnisse eingetreten, die mich zwingen, Mr. Winter um meine Entlassung zu bitten, aber ich konnte doch nicht gehen, ohne Ihnen für alle mir erwiesene Freundlichkeit zu danken, Miß Carry!“
Seine Stimme war bewegter geworden, als er selbst gewünscht hatte, und die Frische in ihrem Gesicht wich plötzlich einer völligen Blässe. „Aber das – das ist ja doch unmöglich,“ stammelte sie, während es um ihren weichen Mund zuckte, als dränge sie gewaltsam den Glauben an seine Worte zurück. „Pa sagte ja erst heute noch, daß er Pläne mit Ihnen habe – es kann ja nur ein Mißverständniß sein –“
„Lassen Sie uns den Abschied nicht schwer machen, Miß Carry,“ bat er, ihre Hand drückend, „es muß sein, und so fragen Sie mich auch nicht weiter –“ der Sprechende fühlte sich, den zitternden Augen des Mädchens gegenüber, weich werden und machte eine Bewegung nach seinem Hute zu greifen; sie aber legte plötzlich beide Hände um seinen Arm.
„Sagen Sie mir doch, warum, Mr. Zedwitz, warum?“ rief sie in hörbar durchbrechender Erregung; im nächsten Augenblicke aber wandte sie sich von ihm, als könne sie der hervordringenden Thränen nicht mehr Herr werden.
In dieser Weise konnte er nicht gehen. „Carry,“ sagte er, ihr einen Schritt nachtretend und in dem Bestreben, sie zu beruhigen, seine Hand leicht um ihre Schulter legend; da fiel sie im ausbrechenden Weinen, wie von aller Kraft verlassen, in seine Arme. „Ist es denn unmöglich, daß Sie bleiben – Sie müssen doch erst den Vater sprechen,“ schluchzte sie, „ist es denn ganz unmöglich? “
Hugo, mit der eigenen Weichheit kämpfend, fühlte sich in Verlegenheit, wie die Scene zu enden. „Unmöglich sollte Niemand von der Aenderung eines Entschlusses sagen,“ erwiderte er, um nur ihre Erregung zu dämpfen. „Ich werde morgen früh erst ein Gespräch mit Mr. Winter haben – darum lassen Sie uns aber auch jetzt ruhig scheiden, Miß Carry!“
Sie hob den Kopf und lächelte ihn unter Thränen an. „O, wenn es nur an uns liegt,“ sagte sie, „dann weiß ich, das Sie bleiben!“ Ihr wiederaufblühendes Gesicht, ihre weichen, frischen Lippen blickten ihm verlockend entgegen; er fühlte in diesem Augenblicke, daß es nur an ihm lag, seinem Schicksale eine Wendung zu geben, die äußerlich ihm jede Befriedigung geschaffen haben würde; aber die Erkenntniß der entscheidenden Minute ließ ihn auch rasch die augenblickliche Lockung überwinden. „Good bye denn, Miß Carry,“ sagte er ihre Hand drückend und dann nach seinem Hute greifend; er sah noch, wie sie, ohne seinen Gruß zu erwidern, wie in plötzlich neu erwachter Besorgniß ihm nachblickte; dann aber schloß sich die Thür zwischen ihnen, und der Deutsche eilte mit einem tiefen Athemzuge nach seinem Pferde. Er ritt im scharfen Trabe davon, bis er die Grenze der Besitzung erreicht; dann aber mäßigte er, als wolle er ruhiger seine Gedanken ordnen, den Lauf des Thieres. Wenn er Jessy nicht gekannt, wenn es sich hätte nachweisen lassen, daß Winter ohne Schuld in Graham’s Betrügereien verwickelt worden wäre – „ja wenn!“ rief er halblaut, ohne den Nachsatz zu bilden, und vor dem Gedanken an die jungfräuliche Frau und die Zusammenkunft, welche er sich heute mit ihr zu verschaffen gedachte, schwand jeder Eindruck, welchen die eben durchlebte Scene in ihm hinterlassen. – –
Die Straßen der Stadt zeigten bereits die schnurgeraden Linien der Gasflammen, ohne daß diese im Stande gewesen wären, die eingebrochene Finsterniß mehr als zu einem Halbdunkel zu erhellen, als Hugo in Mangold’s Begleitung einen Theil des aristokratischen Stadtviertels durchschritt und endlich in eine enge und durch starke Breterwände gebildete Seitengasse einbog.
„Jetzt mir nur langsam nach, ich kenne hier jeden Stein und jede Pfütze wie bei Tageslichte!“ sagte der Tischler halblaut und faßte die Hand des Freundes, ihn an einer der Seitenwände entlang leitend; bald aber öffnete er behutsam eine Thür, welche den Einblick in einen mit Backsteinen gepflasterten Hof bot, der zum Theil durch das aus den Fenstern eines großen Hauses fallende Licht beschienen war, und zog Jenen nach sich. „Hier bleibe stehen, bis ich zurückkomme!“ flüsterte er, den Freund nach einer dunkeln Ecke des umschlossenem Raumes führend, „ich werde recognosciren, und Du sollst schnell genug erfahren, wie es steht!“
Er verschwand in dem dunkeln Theile des Hofes, und Hugo erhielt Muße, sowohl das Haus vor sich zu mustern, als sich noch einmal zu wiederholen, was er ihr, die ihn wohl jetzt am wenigsten erwartete, zu sagen gedachte. Er fühlte trotz seines festen Entschlusses sein Herz klopfen, und erst als er nach verhältnißmäßig kurzer Zeit den Tischler leise und hastig zurückkommen hörte, kehrte mit der nahenden Entscheidung auch seine volle Sicherheit wieder.
„Alles ausgezeichnet, und die vielen Umstände wären wohl nicht einmal nothwendig gewesen!“ rief Mangold mit gedämpfter Stimme, noch ehe er völlig heran war. „Die Mulattin kennt Dich ja und scheint wohl auch noch mehr zu wissen – es fehlte nicht viel, so hätte sie Dich gleich selber geholt. Graham wird vor spät Nachts nicht erwartet, also frisch vorwärts!“
Hugo sah sich einem niedrigen, erleuchteten Erdgeschoß zugeführt – er blickte durch den offenen Eingang in die Küche, und fast wollte ihm jetzt dieser Weg in das Haus kaum passend erscheinen; indessen ließ ihm das braune Kammermädchen, das ihm mit einem seltsam leuchtenden Blicke entgegentrat, keine Zeit, einen andern Entschluß zu fassen. „Mistreß ist allein im Parlor, ich werde [531] Sie führen, Sir!“ sagte sie eilig und schritt ihm damit nach dem anstoßenden offenen Speisezimmer voran, von wo aus eine kurze Treppe nach der erleuchteten Vorhalle des Hauses hinauf führte. „Hierher, Sir!“ flüsterte die Führerin, als Beide die letzte Stufe leise erstiegen, und legte ihre Hand an das Schloß der nächsten Thür; kaum aber war er ihr gefolgt, als sie diese rasch öffnete und ihn mit einem lauten: „Mr. Zedwitz, Ma’am!“ in das Zimmer schob.
Jessy saß an dem von einer bronzenen Gaslampe erleuchteten Mitteltische, im Durchblättern einer Anzahl elegant gebundener Bücher begriffen, und blickte auf, als habe sie die Meldung nicht verstanden; kaum war aber ihr Auge auf den Dastehenden gefallen, als sie sich mit einem tiefen Erröthen erhob, in der nächsten Secunde aber, erschreckend bleich geworden, nach dem Tische griff, als wolle sie sich daran halten. „Mr. Zedwitz!“ sagte sie nach einer kurzen Weile, in welcher sie theilweise Meisterin ihrer Ueberraschung geworden zu sein schien, in welcher ihr aber auch Hugo, unvermögend ein Wort zu sprechen, gegenüber gestanden hatte.
„Ich habe Sie erschreckt, Ma’am,“ sagte der Letztere jetzt langsam herantretend; „ich konnte aber die Stadt nicht verlassen, wie ich es morgen thun werde, ohne Sie noch einmal gesehen zu haben – und vielleicht hätten Sie mir, der auf Ihre Zeilen nicht einmal geantwortet hat, weil er nicht daran glaubt, der nur Auge in Auge zu Ihnen reden wollte, ein letztes Wort nicht bewilligt!“ Den Eingetretenen hatte bei dem Anblick ihrer Züge, bei der Fassungslosigkeit, welche sie bei seinem Erkennen überkommen, eine Erregung ergriffen, die ihn jetzt Worte sprechen ließ, an die er vorher kaum gedacht. „Und nicht wahr, Sie weisen mich nicht weg, da ich Sie nach diesen letzten Worten doch niemals wieder sehen werde? – nicht wie damals, als Sie ein ähnliches Wort zu mir sprachen,“ unterbrach er sich mit einem Lächeln, das wie ein tiefes Weh in sein Gesicht trat; „ich werde selbst dafür sorgen, daß ich Ihren Weg nicht wieder kreuze!“
„Was haben Sie mir noch zu sagen, Mr. Zedwitz?“ fragte sie leise, während ihre bleichen Züge eine eigenthümliche Starrheit annahmen; „ich habe mich in voller Aufrichtigkeit gegen Sie ausgesprochen und hätte jetzt kein Wort hinzuzusetzen noch wegzunehmen.“
Er blickte ihr einige Secunden lang schweigend in die großen Augen, die jetzt in völlig ausdrucksloser Ruhe den seinigen begegneten. „Es mag so sein!“ sagte er dann, sich sammelnd; „und ich kam auch nur hierher, um Abschied zu nehmen und noch einmal Ihre Hand zu drücken. Da es doch aber ein Abschied für’s Leben ist, so möchte ich gern Ihr Bild in voller Klarheit und Sicherheit in meiner Seele mit mir nehmen – und nicht wahr, Sie möchten ebenfalls, daß, wenn ich auch an Sie nur zurück denken darf, wie an eine Todte, ich dies doch ohne trübende Zweifel thun könne?“
„Was ist es, Sir?“ fragte sie mit leise bebender Stimme.
„Sie haben zu mir von einer unabweisbaren Nothwendigkeit gesprochen, die Sie in Ihre jetzigen Verhältnisse geführt,“ fuhr er jetzt in völliger Fassung fort. „Es ist ja völlig richtig, was Sie mir früher angedeutet, daß ich kein Recht zum Fordern einer Erklärung habe; später aber sind Sie mir als Freundin entgegengetreten, welche, um der vollen Achtung des Freundes willen, sich ihm mit ganzer Offenheit gab – darf dieser Freund nun wohl nach dem, was ihm noch dunkel ist, fragen? Sie mögen nichts in Ihrem Handeln zu bereuen haben; dennoch weiß ich ja, daß bei allen Gaben, mit welchen der Himmel Sie überschüttet, Ihr Leben ein unglückliches und verfehltes geworden ist. Und soll ich nun mit diesen Widersprüchen gehen, die mich peinigen, die mir Ihr ganzes Wesen in ungelöste Zweifel hüllen und mir nie eine ungetrübte Rückerinnerung gestatten werden? – Aber ich will Sie nicht quälen,“ setzte er mit leisem, traurigem Kopfschütteln hinzu, als es jetzt wie der Ausdruck eines peinlichen Kampfes in ihre Augen stieg, „sagen Sie mir, daß ich gehen soll, und ich gehe auch ohne Antwort!“
Sie richtete langsam den gesenkten Kopf auf, ihr Blick ward ruhig und sicher, und ein Hauch von Röthe trat wieder in ihre Wangen. „Ich werde Ihnen sagen, was zu Ihrer Zufriedenheit so nothwendig scheint,“ sagte sie langsam, „vielleicht bin ich es Ihnen sogar schuldig, und es ist mit zwei Worten abgethan. Dann aber gehen Sie und – gedenken Sie meiner wie einer Todten!“
Sie schien einen Augenblick ihre Kraft zusammen zu nehmen. „Mein Vater gilt für reich,“ fuhr sie dann leiser fort, „er ist es nicht, und im letzten Jahre verbarg er nur mühsam durch Graham’s Unterstützung seine Verlegenheiten. Ich habe zwei Geschwister, und mit einem Bruche von Mr. Winter’s Geschäfte wäre ihre Zukunft sowie die meiner Eltern ruinirt gewesen. Da bot Graham dem Vater eine gegenseitige Verbindung an, die diesen nicht nur aller augenblicklichen Gefahr entreißen, sondern ihm auch mit der Zeit den frühern Wohlstand zurückgeben und die Zukunft meiner Familie sichern mußte; der Preis dieser Rettung aber war eine Verbindung Graham’s mit mir –“
Hugo schüttelte in einer ihn plötzlich überkommenden Erregung so heftig den Kopf, daß die Sprecherin mit großen, befremdeten Augen innehielt. „Das ist es, das ist der teuflische Streich!“ rief der junge Mann, wie in gänzlicher Selbstvergessenheit die Faust gegen die Stirn pressend. „O, Miß Jessy – Sie haben mir ja erlaubt, Sie so zu nennen,“ fuhr er in einer Art Ekstase fort, „lassen Sie uns einen Augenblick ruhig reden – ich weiß ja wohl, daß Alles zu spät ist, aber Sie müssen klar werden um Ihrer selbst willen!“ Er griff nach einem Stuhle und zog ihn nach dem Tische, während Jessy, ihn wie in einer plötzlichen beängstigenden Ahnung anblickend, mechanisch ihren früheren Sitz wieder einnahm.
„Um Mr. Winter vom finanziellen Ruin zu retten, sagen Sie, haben Sie sich geopfert?“ begann Hugo, sich niederlassend und mit Macht sein Aeußeres zur Ruhe zwingend, „und wer hat Ihnen von einer solchen Lage Ihres Vaters gesagt?“
„Mein Vater selbst, Sir!“ erwiderte sie, ihn groß anstarrend. „O, Henderson hatte Recht!“ rief Hugo kopfschüttelnd und, auf’s Neue von seiner Erregung übermannt, die Hand gegen die Augen drückend. „Ihr Vater, Miß Jessy, hat sich, seit es auf Sie hätte einen Einfluß üben können, noch nie in einer Geldverlegenheit befunden,“ fuhr er dann fort, „hat jedes Jahr mit vergrößertem Vermögen abgeschlossen, und seine bedeutenden festen Geldanlagen sind heute noch so wenig angegriffen, als sie es seit vielen Jahren waren, und wenn Mr. Winter heute für reich gilt, so ist er das auch in dem vollen Maße, als es nur angenommen werden mag!“
Ihr Gesicht nahm eine marmorne Blässe und Unbeweglichkeit an. „Aber was können Sie von Mr. Winter’s Verhältnissen wissen?“ sagte sie mit hörbarer Anstrengung, obgleich die Worte, alles Tones beraubt, kaum vernehmlich waren. „Er hatte mir sein Wort an Eidesstatt gegeben, daß nur in seiner Verbindung mit Graham noch ein Heil für ihn sei –“
„O, weil er völlig in den Schlingen dieses Menschen hing,“ unterbrach sie der Deutsche mit dem vollen Ausdrucke seiner innern Bewegung, „oder wohl auch nur, weil er vom Teufel der Gewinnsucht geblendet war, denn er mag sich nicht so leicht umgarnen lassen. Haben Sie denn gar nichts gehört von den letzten Geschäften der Beiden, die den Comptroller der Gerechtigkeit überliefern und Mr. Winter nur frei ausgehen lassen werden, wenn jener schweigt? – Und woher ich den Stand der Geschäftsverhältnisse kenne?“ fuhr er fort, „hat mich denn nicht Ihr Vater zu seinem Geschäftsrepräsentanten machen wollen, habe ich denn nicht seit drei Wochen die Bücher vor mir gehabt und zu meinem eigenen Studium die Jahresabschlüsse, so weit sie mir nur zugänglich waren, Posten für Posten durchgenommen?“
Sie sah ihn einige Secunden schweigend und starr, mit fast unnatürlich weit geöffneten Augen an, dann erhob sie sich langsam, that zwei Schritte, seitwärts, wankte und brach, ehe noch Hugo aufspringen konnte, neben einem der Divans in die Kniee, mit dem Kopfe in die Polster fallend. Als sich ihr aber der junge Mann in peinlichem Schrecken nähern wollte, streckte sie abwehrend den Arm nach ihm aus, und im nächsten Augenblicke brach ein erstickter Wehruf, wie aus brechendem Herzen, aus ihrem Munde. „Betrogen, betrogen! geopfert um des Dollars willen, geopfert von dem eigenen Vater!“
„Jessy, um Gotteswillen, fassen Sie sich!“ bat Hugo, „es ist ja noch lange nicht Alles für Sie verloren, und wer weiß, ob Sie nicht Ihre ganze Kraft für das, was noch kommen mag, nöthig haben werden!“
Sie schnellte empor und drückte die Hände gegen ihre Schläfe. „O, es kann nichts Gräßlicheres kommen,“ rief sie mit halbgebrochener Stimme und begann einen raschen Gang durch das Zimmer, „und ich hätte auch nimmermehr daran glauben können, wenn sich nicht schon mir selbst eine bestimmte Ahnung aufgedrängt hätte.
Mein Gott, o mein Gott, warum denn mir das?“
[532] Der junge Mann stand rathlos vor diesem Ausbruche eines Schmerzes, der sein Echo, wenn auch in anderer Weise, in seinem eigenen Herzen fand – da klopfte es an die Thür; aber erst als diese sich hastig geöffnet und das Gesicht der Mulattin sich mit einem drängenden: „Mr. Graham kommt, Ma’am, Henderson sagt, er müsse sogleich hier sein – Mr. Graham, Ma’am!“ hereingesteckt hatte, blieb die Angerufene stehen und schien sich der äußern Eindrücke wieder bewußt zu werden.
„Mr. Graham?“ wiederholte sie wie mechanisch; dann aber blitzte es in ihrem Auge plötzlich auf. „Er kommt recht, er kommt recht!“ rief sie wie in neu ausbrechender Erregung. „Treten Sie hier herein, Sir, bis ich Sie als Zeugen rufen werde!“ wandte sie sich an den Deutschen, während sie nach der Thür zu dem hintern Parlor schritt und diese öffnete. Als aber jetzt Hugo in voller Besorgniß um ihren Zustand die Hand gegen sie ausstreckte und, ohne seiner schmerzlichen Bewegung Zwang anzulegen, sagte: „Ich stehe Ihnen mit meinem Leben zu Gebote, Miß Jessy, aber Sie reiben sich in dieser Weise auf – gehen Sie erst mit sich selbst zu Rathe, was Sie thun wollen!“ – da faßte sie seine Hand mit einem fast krampfhaften Drucke, und in ihren bleichen, erregten Mienen zuckte es, als halte sie mit Macht einen hervordringenden Thränenstrom zurück. „Ich weiß, wie Sie es mit mir meinen – die Ihnen nichts mehr danken kann,“ sprach sie, „aber lassen Sie mich jetzt handeln, ich würde irrsinnig werden, wenn ich Alles in mich verschließen müßte.“
Von außen klang das Geräusch eines Schlüssels im Schlosse der Hausthür und schien wie elektrisch auf die junge Frau zu wirken. „Das ist er, gehen Sie – er soll Sie erst sehen, sobald es nöthig ist!“ rief sie halblaut, und Hugo, der Nothwendigkeit folgend, trat in den völlig dunkeln Raum, dessen nur halb verschlossener Eingang ihm jedoch den freien Blick über das vordere Zimmer gestattete.
Nach wenigen Secunden öffnete sich dort geräuschvoll die Thür, und Graham trat ein, blieb aber bei dem Erblicken Jessy’s, die, sich leicht auf den Tisch stützend, ihn erwartete, stehen. Der Deutsche bemerkte auf den ersten Blick, daß der Comptroller aus einer Trinkgesellschaft kommen müsse. Sein Gesicht war stark geröthet, während seine Augen einen eigenthümlich schläfrigen Ausdruck zeigten; der Hut, welchen er erst jetzt abgenommen, hatte zum großen Theile auf dem Hinterkopfe gesessen, und zu alle diesem stimmte völlig das Gelächter, welches der Eingetretene nach dem ersten Blicke auf die ihn Erwartende aufschlug.
„Guten Abend, dear, Jessy! Sind Sie versteinert über mein zeitiges Heimkommen?“ begann er; „aber nur nicht so ängstlich, Kind, es ist nichts Besonderes passirt, ich habe nur ein paar liebevolle Worte mit Ihnen reden wollen.“ Er lachte von Neuem. „Sie wissen doch, daß wir morgen, der ganzen Untersuchungslumperei zum Trotz, hier große Gesellschaft haben werden? Nun, Dear, der möchte ich zum ersten Male meine Frau vorstellen, das heißt meine wirkliche Frau, verstehen Sie mich, Jessy? ich sage: meine wirkliche Frau – verstehen Sie mich?“
„Nein, ich verstehe Sie nicht!“ klang Jessy’s Stimme in voller Sicherheit. Hugo hatte, wenn er den Comptroller im Auge behalten und selbst einigermaßen gedeckt sein wollte, die Aussicht nach ihr aufgeben müssen. „Ich sehe aber, daß Sie in einem Zustande sind, der Sie am wenigsten fähig macht, Damengesellschaft zu suchen!“
„Zustand – pshaw!“ erwiderte er wegwerfend, „Winter war in einem ganz andern Zustande und ist doch zu seiner Frau gegangen. Sie verstehen mich also nicht? nun, so lassen Sie uns wenigstens setzen, um uns zu verständigen!“ fuhr er phlegmatisch fort, den nächsten Stuhl im Bereiche seines Arms herbeiziehend, sich schwerfällig darauf niederlassend und dann die Füße weit von sich streckend. „Sie wollen stehen bleiben? auch gut! Sie haben Ihren freien Willen; aber es wird doch für Sie selbst gut sein, wenn Sie mir jetzt aufmerksam zuhören!“ Er bog den Oberkörper vor, ließ die halbstieren Augen über die ganze Gestalt der vor ihm Stehenden laufen und brach dann in ein neues Lachen aus. „Ich denke eben an den alten Spitzbuben, dem Sie eine so verdammt gute Tochter gewesen sind – entschuldigen Sie, Jessy, ich meinte Ihren Vater; er hat mir heute Abend erst richtig erzählt, wie ich dazu gekommen bin, Sie zur Frau zu erhalten – was Sie eben „Frau sein“ nennen! Das geht aber nun nicht länger so, und da Sie eine gute Tochter sind, so werden Sie sich fügen! Die Sache steht also folgendermaßen: Die Lumpen, die sich das Untersuchungscommittee nennen, sind mir wegen einiger Privatgeschäfte, die ich zusammen mit Ihrem Vater gemacht habe, auf den Fersen und sie möchten mich und ihn am liebsten aufhängen, wenn sie es könnten. Der alte Fuchs, das heißt Ihr Vater, Jessy, hat sich aber vorgesehen, und sie werden ihn aus dem Garne lassen müssen, wenn ich nicht rede. He, Kind, verstehen Sie das? es können immer ein zehn Jahre Staatsgefängniß dabei herauskommen, wenn ich mir nichts daraus mache. Und ich mache mir nichts daraus, wie ich überhaupt auf mein ganzes Leben, das Sie zu Grunde gerichtet haben, nichts mehr gebe. Niemals eine ordentliche Heimath, niemals eine Familie, vom Morgen bis zum Abend unter Fremden, damit man nur sein eigenes Hans nicht zu sehen braucht – was soll ich endlich mit einem solchen Leben? – Er ist in schwerer Sorge, Ihr Pa,“ fuhr er mit einem häßlichen Lächeln fort, „die Sache mag allerdings unangenehm in seiner Lage sein, und so habe ich ihm gesagt, daß, wenn sich nur mein Leben anders gestaltete, ich sowohl ihn frei halten, als für meine eigene Freiheit sorgen würde, müßte ich auch mit meiner Frau ein paar Jahre außer Landes gehen – und er hat mir gesagt, daß sein Haus für eine Tochter, die ihn in’s Unglück bringe, nie einen Schutz bieten werde, ich solle nur meine Rechte geltend machen. – Aber mir kann nichts helfen, was erzwungen ist,“ fuhr er fort, seine aufglühenden Augen auf die Dastehende geheftet, „entweder kann ich mir morgen sagen, daß ich eine wirkliche Frau und eine wirkliche Häuslichkeit habe, oder ich kümmere mich um das ganze Leben nicht mehr, und Sie mögen dann wenigstens als Vergeltung fühlen, was es heißt, wenn der Mann und der Vater im Staatsgefängnisse sitzen!“ Erblickte sie mit dem gleichen Ausdrucke zwei Secunden lang schweigend an, dann erhob er sich plötzlich und schritt mit halb wankendem Schritte ans sie zu. „Jessy, seien Sie vernünftig und machen Sie uns nicht Alle unglücklich – geben Sie mir einen Kuß!“
„Zurück, Sir!“ klang Jessy’s halb entsetzte Stimme, „oder ich rufe um Hülfe!“
Hugo stand, mit nervös bebenden Gliedern, zu irgend einer That fertig.
„Zu Hülfe? gegen einen liebevollen Mann im eigenen Hause?“ höhnte der Trunkene, „jetzt, Täubchen, ziere Dich nicht, die Zeit des Spaßens ist vorüber!“
Hugo sah ihn die Arme erheben, und im nächsten Moment war auch der Hausherr in der ganzen Breite des Zimmers zurückgeschleudert, während die stattliche Figur des Deutschen zwischen ihm und der Bedrohten hoch aufgerichtet stand.
Graham schien von dem plötzlichen Angriffe völlig seiner Gedanken beraubt zu sein; er blickte die unerwartete Erscheinung eine Zeitlang wie geistesabwesend an, bis ihm mit einem Male das Gefühl seines Hausrechts zu kommen schien. „Wer ist das? wer sind Sie? mit welchem Rechte sind Sie hier, Sir?“ fragte er, mit stierem Auge näher kommend, während sich langsam seine rechte Hand in die Brusttasche seines Rockes schob.
„Mit dem Rechte, das jeder Gentleman hat, wenn er eine Lady von Brutalitäten bedroht sieht!“ erwiderte Hugo fest. „Wünschen Sie indessen meine nähere Bekanntschaft, so stehe ich Ihnen jeden Augenblick zu Diensten! – Gehen Sie, Ma’am!“ wandte er sich mit einem kurzen Blicke nach Jessy, die noch immer, Entsetzen in ihren Zügen, an den Tisch gelehnt stand, „mit dem Herrn Comptroller werde ich selbst ein weiteres Wort reden!“
„Nein, gehen Sie!“ schrie Graham, in dessen Gesichte eine plötzliche Wuth aufloderte, und im gleichen Moment starrten dem Deutschen die sechs Mündungen des von Jenem hervorgerissenen Revolvers entgegen; Jessy ließ einen Angstschrei hören und machte eine Bewegung, als wolle sie sich vor ihren Beschützer stürzen; dieser aber hatte, noch ehe Graham sich eines Angriffs hatte versehen können, mit einem windschnellen Griffe das Handgelenk seines Gegners gepackt und hielt es mit eisernem Drucke fest.
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An einem heitern Frühlingstage des Jahres 1696 erblickte die geistreiche Sophie Charlotte, die Gemahlin des prachtliebenden Kurfürsten von Brandenburg, das kleine, eine Meile von Berlin entfernte Dörfchen Liezen oder Lützen genannt. Die stille, ländliche Umgebung gefiel ihr besser, als das geräuschvolle Treiben des Hofes. Sie beschloß, sich daselbst niederzulassen, und kaufte zu diesem Zwecke das ihrem Oberhofmeister, Baron Debrzinsky, gehörige Landgut für 25,000 Thaler. Der berühmte Baumeister Schlüter erhielt den Auftrag, ihr ein Schloß zu bauen, das später durch seinen Nebenbuhler Eosander[WS 1] von Göthe vergrößert und mit einer stattlichen Kuppel versehen wurde. Durch den bekannten Gartenkünstler Le Nôtre wurde in französischem Geschmack der Park angelegt. Die innere Einrichtung war reizend, wenn auch in dem so oft mit Unrecht geschmähten Rococostyl jener Zeit. Ein großer Saal diente zur Bibliothek, ein zweiter zum Concertzimmer. Die Kurfürstin liebte die Musik, sie spielte das Clavier, sang und componirte selbst ganz ausgezeichnet; ihre Musikaliensammlung kostete eine Tonne Goldes, und das Instrument, das sie benutzte, war ein kostbares Geschenk ihrer Cousine, der originellen, durch ihren Briefwechsel bekannten Herzogin von Orleans. Ein drittes Zimmer enthielt das feinste japanische und chinesische Porzellan, und in einem vierten waren die Leuchter, ein kleiner Kaffeetisch, ein vollständiges Kaffeeservice und selbst die Roste des Kamins von gediegenem Golde, ebenfalls ein Geschenk des galanten Kurfürsten. Das schöne Schloß erhielt den Namen Lietzenburg; erst nach dem Tode seiner hohen Besitzerin wurde es ihr zu Ehren von dem untröstlichen Gatten Charlottenburg genannt.
In diesen Räumen verkehrte Sophie Charlotte, die „philosophische“ Königin, wie sie von ihren Zeitgenossen bezeichnet wurde; hier musicirte, studirte und philosophirte sie, um den Grund der Dinge zu erforschen. Ihre Wißbegierde war so groß, daß ihr der berühmte Leibniz eines Tages sagte: „Es ist gar nicht möglich, Sie zufrieden zu stellen. Sie wollen das Warum des Warum wissen.“ – In diesem Garten wandelte sie mit ihren Hofdamen, dem witzigen Fräulein von Pöllnitz und der liebenswürdigen Frau von Bülow, die sie mit den übrigen Cavalieren und den Damen ihrer Umgebung ausschickte, um zwei gleiche Blätter zu suchen, da Leibniz einst behauptet hatte, daß es in der Welt nicht zwei sich vollkommen gleichende Dinge gebe. Der Philosoph hatte Recht, denn jedes der gefundenen Blätter war bei genauer Prüfung von dem anderen verschieden. In diesen Sälen gab Sophie Charlotte jene heiteren Feste, bei denen es so lustig herging und die von der berühmten Feder eines Leibniz geschildert und verewigt sind. Hier wohnte sie dem auf ihre Veranlassung veranstalteten theologischen Turniere ihrer Geistlichen mit dem Jesuiten Vota, dem witzigen und weltklugen Beichtvater August des Starken bei, wo mit den Waffen des Geistes und mit bewunderungswürdigem Freimuthe über die Wahrheiten der reformirten und der katholischen Religion gestritten wurde. Welche Erinnerungen knüpfen sich an Charlottenburg und seinen Park, die das Andenken an die schöne, geistreiche Fürstin gleichsam geweiht hat!
Nach ihrem Tode wurde Charlottenburg einigermaßen vernachlässigt, da ihr Sohn, der bekannte Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., hauptsächlich in Potsdam residirte, wo er seine Riesen bei der Garde fortwährend unter Augen hatte. Statt des Claviers rasselte jetzt die Trommel, und die Philosophen und Schöngeister mußten den Generälen und dem Tabakscollegium mit seinen Hofnarren weichen. Auch sein Nachfolger, Friedrich der Große, zog Potsdam oder vielmehr Sanssouci Charlottenburg vor. Oben auf der hohen Terrasse versammelte der König die Helden seiner Tafelrunde, die Ritter vom Geiste, Lord Keith, den Helden ohne Furcht und Tadel, den liebenswürdigen d'Argens, den witzigen Lamettrie und den Fürsten der Denker und Dichter, Voltaire, der mit seiner Feder, wie mit dem Schwerte, die Welt beherrschte. Selten nur kehrte der große König nach dem verwaisten Charlottenburg zurück, das während des siebenjährigen Krieges von einem sächsischen Streifcorps geplündert und verwüstet wurde. Die erbitterten Feinde schlugen Thüren und Fenster in dem Schlosse ein, zerbrachen die kostbaren Möbel und großen venetianischen Spiegel, schossen mit Kugeln nach den aufgehängten, unschätzbaren Bildern und verunstalteten die herrlichen antiken Marmorstatuen, die Friedrich aus der Polignac’schen Sammlung erstanden hatte; selbst die in dem Schlosse befindliche Kapelle wurde nicht geschont und von den Barbaren vielfach geschändet. Als der Feind wieder abzog, bot das arme Charlottenburg einen traurigen Anblick; die Zimmer, in welchen die geistreichste Königin geweilt, waren
- ↑ Vorlage: Ersander
[534] von rohen Horden bewohnt und entweiht worden, der herrliche Park glich einer Wildniß, die ganze Umgebung einer traurigen Wüste. Aber gerade in dieser Zerstörung erinnerte sich der König an das von ihm vernachlässigte Charlottenburg. Sobald der Hubertusburger Friede geschlossen war, gab er den Befehl, so schnell als möglich das geplünderte Schloß und besonders die ruinirte Kapelle wieder herzustellen, zur nicht geringen Verwunderung des alten Castellans, der wohl wissen mochte, daß die Frömmigkeit im Allgemeinen nicht die stärkste Seite des großen Königs war.
Am 30. März 1763 hielt der Sieger seinen Einzug in Berlin. Vom frühen Morgen an wogten die Straßen von einer fröhlich bewegten Menschenmenge, da Niemand den Triumph des Helden versäumen wollte. Alt und Jung strömte nach dem Frankfurter Thore, durch das er kommen mußte. Die Bürgerschaft stand in zwei Reihen längs der Königsstraße; die Kaufmannschaft, mit ihrem Führer, dem patriotischen Handelsherrn Gotskofsky, an der Spitze, paradirte hoch zu Rosse; in ihren Reihen erblickte man den guten Marquis d’Argens, der bald in gutem Französisch, bald in schlechtem Deutsch sich mit seinen Nachbarn unterhielt und das Lob seines königlichen Freundes in allen Zungen sang. Auch die Bürgerschützen und das ehrsame, seit den ältesten Zeiten angesehene Schlächtergewerk hatte sich eingefunden; die Väter der Stadt waren versammelt, um den Vater des Vaterlandes zu begrüßen, der Bürgermeister hielt seine pomphafte Anrede in der Tasche bereit, und die weißgekleideten Jungfrauen ihre Lorbeerkränze und Gedichte. Seit dem frühen Morgen schon wurde der König erwartet. Stunde auf Stunde verging, aber er kam nicht; es ward Mittag, und noch immer ließ sich der große Friedrich nicht sehen. Die Bürger wunderten sich und wurden ungeduldig, die Väter der Stadt machten lange Gesichter, und die weißen Jungfrauen klagten über ihre grau gewordenen Kleider. Als aber der Abend heranrückte und der Held des Tages noch immer nicht erschienen war, da entstand eine allgemeine Verstimmung und man hörte laute Klagen, bis sich die Nachricht verbreitete, daß der bescheidene Sieger, der einer Welt in Waffen getrotzt, in der Dunkelstunde wie ein Dieb in sein Schloß heimlich sich gestohlen, um den ihm zugedachten Ehrenbezeigungen zu entgehen. Zur Entschädigung aber für die vereitelte Freude gab er den guten Berlinern zwei Millionen Thaler Kriegssteuern zurück, was ihren Schmerz über den verunglückten Einzug wohl gelindert haben mag.
Der König selbst aber eilte nach Charlottenburg, wohin er heimlich seine Kapelle unter Anführung des berühmten Kapellmeisters Graun in die Schloßkapelle bestellt hatte, um ein von diesem eigens zu dem Zwecke componirtes „Tedeum“ aufzuführen. Die zerstörte Kapelle war wieder hergestellt, auf dem Altar brannten die Lichter, und die Musiker standen voll Erwartung der glänzenden Versammlung hinter ihren Pulten und an ihren Instrumenten. Aber auch diesmal harrten sie vergebens auf den prächtigen Hofstaat, auf all die Prinzen, Generäle, Gesandten, Minister, Kammerherren, die nach ihrer Meinung dem Tedeum beiwohnen sollten. Endlich öffneten sich die Thüren, und der König erschien mit dem dreieckigen, welthistorischen Hute auf dem Kopfe und mit dem Krückstock in der Hand. Kein Mensch begleitete ihn, keine Pagen gingen ihm voran, keine Leibhusaren folgten ihm; er war allein. – Die Musiker sahen sich verwundert an, als auf ein Zeichen des Königs der berühmte Graun den Taktstock schwang und das Tedeum in der einsamen Kapelle erschallte. Bei den ersten Tönen der Musik nahm der König den Hut von seinem Haupte und stand auf; dann setzte er sich wieder und hörte mit andächtigem Schweigen zu. Es war ein feierlicher Augenblick, wo Friedrich der Große sich vor Gott beugte und das Walten der Vorsehung mit Dank anerkannte. Er wollte und brauchte keine Zeugen für seine Frömmigkeit, die bei ihm tiefer auf dem Grunde seiner Seele lag, als bei andern Fürsten, welche nicht wie er denken und sagen: „In meinem Lande kann jeder nach seiner Façon selig werden.“ Solches aber geschah in der Kapelle zu Charlottenburg, die gewiß noch keinen schöneren und erhabeneren Gottesdienst seitdem gesehen hat. –
Auf die Tage des Glanzes unter Friedrich dem Großen folgten schwere, traurige Zeiten für das Volk und das preußische Herrscherhaus. Der alte Waffenglanz erblich bei Jena vor dem Genie Napoleon’s. Friedrich Wilhelm III. mußte mit der geliebten Königin Louise seine Hauptstadt verlassen und nach Königsberg fliehen. Dort schaarten sich um ihn die besten Männer seiner Zeit, die edelsten Kräfte, mit deren Hülfe die Wiedergeburt des fast untergegangenen Staates bewirkt wurde. Ein neuer Geist war erwacht, und an die Stelle der verrotteten Zustände trat ein frisches Leben. Die Königin stand in dieser trüben Periode muthig dem hohen Gatten zur Seite; sie richtete ihn auf, sie erfüllte ihn mit Vertrauen; sie wurde sein Leitstern in der dunklen Nacht und bald der Mittelpunkt aller besseren Elemente, die sie mit zarter Weiblichkeit, mit seinem Takt zu verbinden und zu dem großen Werke zu stärken wußte. Wo die Schroffheit des Königs zurückstieß, sein scheues Wesen befremdete, versöhnte ihre Anmuth und Milde, vermittelte sie die entgegengesetzten Ansichten, die widerstrebenden Meinungen zum Besten des hülfsbedürftigen Vaterlandes. Aber es war ihr nicht vergönnt, ihr Werk gekrönt zu sehen, die Stunde der Befreiung, den Sturz des übermüthigen Siegers zu erleben. Zu groß war ihr Leid, zu tief die Kränkung gewesen; ihr Herz war gebrochen, und sie konnte sich von dem furchtbaren Schlage nicht wieder erholen. Sie starb, um der Schutzengel ihres Volkes zu werden. –
In Charlottenburg ruht die Königin Louise in dem von Schinkel auf Befehl des Königs errichteten Mausoleum. Eine dunkle Fichtenallee führt zu ihrem Grabe, über dem sich der Trauertempel des genialen Baukünstlers in würdiger und zugleich erhabener Einfachheit von geschliffenem ägyptischem Granit erhebt. Wir treten ein und erblicken ihre Statue von der Meisterhand des berühmten Rauch. Der Marmor scheint zu leben, die auf dem Sarkophag liegende Königin zu athmen. Ein unendlicher Zauber ist über die lieblichen Züge ausgegossen, welche die Heiligkeit des Grabes und den süßen Frieden des Schlummers vereinen. Tod und Schlaf verschmelzen zu einem wunderbaren Bilde und umschweben die entzückende Erscheinung. Auf dieses Grab legte Friedrich Wilhelm III. den Lorbeer nieder, welchen ihm die Töchter Berlins überreichten, als er im Triumph von Paris nach seiner Hauptstadt zurückkehrte. Wieder wogte das Volk in den Straßen Berlins; von dem Brandenburger Thore, das die wiedergebrachte Victoria schmückte, bis zum königlichen Schlosse drängte sich die Menge, um den aus so schweren Prüfungen siegreich hervorgegangenen König und die tapferen Freiheitskämpfer zu begrüßen. Es war ein Tag des Jubels und der Freude: Frauen umarmten ihre zurückkehrenden Männer, Kinder ihre Väter und vor Wonne weinende Mütter ihre wiedergeschenkten Söhne. Aber in die Freude mischte sich auch der Schmerz, und manches Auge füllte sich mit Thränen beim Andenken an die glorreich gebliebenen Vaterlandsvertheidiger. Das schönste Mädchen der Stadt reichte Friedrich Wilhelm III. den Lorbeerkranz unter dem Jauchzen des begeisterten Volkes. In der Dämmerstunde, als die Residenz in einem Meer von Glanz schwamm und die Freudenfeuer hell aufloderten, wandelte ein hoher Mann in der dunklen Fichtenallee, welche zu dem Mausoleum in Charlottenburg führt; er war allein, ohne jede Begleitung. Der Hüter des Grabes empfing ihn und schloß die eheren Pforten auf. An der Ruhestätte der geliebten Königin kniete Friedrich Wilhelm III. zum stillen Gebet hin und legte das noch frische Lorbeerreis auf das Grab der unvergeßlichen Louise.
Das sind die Erinnerungen, welche sich an Charlottenburg und seinen Garten knüpfen; Sophie Charlotte, Friedrich der Große und die Königin Louise sind die Genien, die es umschweben, und die alten Bäume des Parkes rauschen und singen im Abendwind von vergangener Schönheit, Größe und Liebenswürdigkeit, so daß den Wanderer unwillkürlich ein wehmüthiges Gefühl und die Erinnerung an die Geister beschleicht, die einst hier gelebt, gebetet und geweint haben.Thierleben auf einer Eiche.
Ich habe oft bei einbrechendem Abend am Fuße unseres Waldkönigs gelagert und den wunderbaren Stimmen gelauscht, welche sich mit dem singenden Sausen des Laubgewölbes über mir mischten. Dieses leise und doch so vernehmliche Summen, Brummen, Schnurren, Geigen, das lautere Anprallen der in die grüne Fluth sich niederlassenden Nachtfalter, das Rieseln thierischer Auswürfe auf den Blättern, das Knistern der arbeitenden Freßzangen, die letzten Noten der Drossel, der Jagdruf der aus dem Baumloche fahrenden Eule, – liegt nicht in dieser Musik ein reiches Stück Waldpoesie? .
Ich habe mich dann oft in die luftigen Aeste geschwungen, um mitten in dieses thierische Kleinleben hinein zu schauen, und die Mühe war so lohnend, als hätte ich auf des Berges höchster Spitze eine Aussicht in die weite, freie Gotteswelt gesucht. Schon am Stamme beginnt die große Kette der Hausgenossenschaft. An ihm hinauf laufen Ameisen in ganzen Zügen. In der aufgesprungenen Rinde eines stärkeren Astes haben sich Eichen-Blattläuse angesiedelt. Sie sind fast so groß wie kleine Stubenfliegen und senken ihren Rüssel in das Holz, um den Saft der Eiche zu trinken. Hierher ist der Zug der Ameisen gerichtet. Sie stehen mit den Blattläusen auf freundnachbarschaftlichem Fuße und liebkosen sie durch sanfte Berührungen mittelst der Fühlhörner. Dafür kredenzen ihnen diese aus den beiden Röhren des Hinterleibes einen süßen Saft, nach dem die Ameisen sehr begierig sind. Die Bewirtheten wenden sich zur Heimath und werden durch neue Züge ersetzt, bis die Gastfreunde ihr Letztes hergegeben haben.
Etwas unbescheidenere Fresser birgt der Stamm in seinem Innern, Larven, welche hier für Jahre ihre Heimath aufgeschlagen haben. Wer in einer stillen Nacht das Ohr an den Stamm legt, hört ihre harthornigen Kiefern im Holze schroten. Aus ihnen entwickelt sich, wenn die Zeit gekommen ist, der Feuerschröter, jener stattliche, mit hirschgeweihartigen Mandibeln ausgerüstete Käfer, der königliche Spießbock, welcher bis 4 Zoll lange Fühlhörner besitzt, der goldgetüpfelte Prachtkäfer und viele andere. Und wenn sie der Nährmutter entschlüpfen, um ihren ersten Ausflug in die Welt zu versuchen, so scheiden sie doch nie für immer. Bald sehen wir den Feuerschröter wieder am Stamme sitzen und mit der pinselförmigen Zunge den süßen Saft lecken, welchen dieser aus seiner Ueberfülle abfließen läßt, und auch die Uebrigen gehen und kommen, wie Kinder, die das Vaterhaus nimmer vergessen können.
Aber siehe doch den sonderbar gebildeten Knorren an der Stelle, wo der Stamm sich zu verästeln beginnt. Man muß genau hinsehen, um zu entdecken, daß er ein großes Raupennest ist, die gemeinschaftliche Wohnung der Processionsraupen. Es ist noch Tag, und vor Abends ist hier weiter nichts zu sehen, als das Nest. Aber wenn die Sonne zum Untergange sich neigt, dann beginnt der wohlgeordnete Zug der Insassen, stammaufwärts, zuerst eine, hinter ihr wieder eine, und mehrmals eine; dann macht die Avantgarde Halt, und die übrigen Geschwister – denn alle, oft 600 und mehr, stammen von einer Mutter – stellen sich in Rotten zu zwei, drei und vier auf, und nun geht der Zug weiter nach einem Aste, den sie über Nacht vollständig entlauben, und gegen Morgen geht der Zug in gleicher Weise in das Nest zurück! Ich habe mehrmals diese sonderbaren Wanderungen beobachtet, und wenn die Ordnung des Zuges auch nicht immer dieselbe blieb, so war doch eine gewisse Regelmäßigkeit der Aufstellung nicht zu verkennen. – Nach der letzten Häutung fertigen die Raupen das für die Puppenruhe bestimmte Nest, bereiten aus Seide und den eigenen Haaren jede für sich ein Gespinnst und streifen endlich die Haut ab. Und da hängen nun die Puppen schichtenweise und eng zusammen, bis im August der ausgebildete Schmetterling die Puppenhülle sprengt und das Freie gewinnt.
Ganz so friedlich ist jedoch der Lebenslauf der Processionsraupe nicht, wie er hier dargestellt ist. Zweig auf, Zweig ab rennt auf flinken Beinen ein Raupenjäger, ein Käfer, der Sykophant genannt; seine Flügeldecken strahlen von grünem Gold und von Kupferglanz; stark ist er und edel gebildet, – ein echter Strauchritter. Ihm fällt täglich der friedlichen Wallfahrer eine Menge zum Opfer. Noch verderblicher wird ihnen seine Larve, die sich oft zu drei und vier in das Nest einschleicht und würgt nach Herzenslust, die Raupen mögen sich zwischen den schneidigen Kiefern krümmen, wie sie wollen. Aber nach einer ungewöhnlich starken Mahlzeit liegt sie träge da und unfähig, sich zu rühren. Da geschieht es gar nicht selten, daß ihre kräftigeren Cameraden trotz des Ueberflusses an Raupen über sie herfallen und sie auffressen.
In der Nähe der Nester der Processionsraupe finden sich fast stets kleine weiße Puppen an 3–4 Zoll langen Fäden zu Dutzenden aufgehängt. Aus diesen Cocons fliegen Schlupfwespen aus, deren Larven früher den Körper einer Raupe bewohnten und sie bei lebendigem Leibe aufgefressen haben. Unter diesen entdeckt man auch braune Cocons mit einem weißen Bande in der Mitte.
Sie gehören ebenfalls einer Schlupfwespenart an und besitzen das Vermögen zu springen. Wenn ein starker Windstoß die Puppe auf ein nahes Blatt oder zwischen feines Gezweige geworfen hat, dann springt sie so lange nach allen Richtungen hin, bis sie wieder frei geworden ist und an ihrem Seile abwärts hängt. Wenn aus diesen Cocons im nächsten Jahre die Wespen ausschlüpfen, dann zeigen sich auch solche anderer Art. Die Larven derselben müssen also in den Puppen gewohnt und ihre Wirthe aufgefressen haben. So waren also drei Thiere verschiedener Art in einander geschachtelt, und das ist eins der interessantesten Stücke aus dem Naturhaushalte, das einmal einen besondern Rahmen verdient.
Wir können nicht umhin, noch einige Fälle wunderbarer Planmäßigkeit mitzutheilen, welche die sinnige Naturbetrachtung, wenn sie auch vom wissenschaftlichen Standpunkte aus jede Annahme vorausgesetzter Zwecke verwerfen muß, doch als Gottesordnung aufzufassen sich nicht entbrechen kann. Von Wenigen verstanden, von Vielen auch nicht einmal geahnet, spielen ewig die Triebfedern der Natur, ringen Tausende von Kräften nach bestimmten Zielen. Und ob sie auch, wie zu gegenseitiger Vernichtung gerüstet, gegen einander stürmen, – immer ist die Frucht des Kampfes Kraftausgleichung, Ebenmaß und Harmonie in Gottes schöner Welt.
Der Großkopf, die Raupe der Schwamm-Motte, lebt vornehmlich auf Eichen und vermehrt sich in manchen Jahren so außerordentlich, daß ganze Waldungen entlaubt dastehen, wie mitten im Winter. Wenn man unter den befallenen Bäumen hinweggeht, dann fällt der Auswurf der Fresser nebst Blattfragmenten in solcher Menge auf den Hut, daß man im Regen zu gehen meint. Ist aber ein wirkliches Regenwetter im Anzüge, dann ziehen sich die Raupen von den Blättern hinweg und legen sich in einem dichten Häufen am Stamme an, und zwar an einer Stelle, die dem Regen nicht zugänglich ist. Im Sommer findet man ihre unverhältnismäßig dicken Puppen „gestürzt“ in hohlen Eichen oder an anderen vor dem Wetter geschützten Orten hängen. An ihnen beobachtet Réaumur, daß jede derselben, wenn eine Schlupfwespe naht, um sie anzubohren, sich in ihrem Gespinnste wie eine Spindel umdreht, wohl eine Minute lang, und dann wieder die gleiche, aber rückgängige Bewegung macht, bis der Feind sich zurückgezogen hat. Es mag dies also das Mittel sein, sich der Angriffe ihrer Verfolger zu erwehren. Oft erkranken sie zu Hunderten und bleiben ermattet auf dem ersten besten Blatte sitzen. Die Schlupfwespen-Made, die den Fettkörper in dem Leibe ihres Wirthes aufgezehrt hat, bohrt sich heraus und bereitet sich zwischen der Raupe und dem Blatte ein Doppelgespinnst, sodaß es den Anschein gewinnt, als ob sie von jener bebrütet würde. Die erschöpfte Raupe aber geht bald zu Grunde.
Ich könnte die Zahl dieser kleinen Lebensbilder leicht noch um Hunderte vermehren; aber es ist dem Leser nun schon einleuchtend, daß die Eiche eine reichbevölkerte Thierherberge ist und unendlichen Stoff zu den interessantesten Zeichnungen bietet. Es giebt in der That kaum einen Theil des Baumes, der nicht in verschiedener Weise bald als Fraß, bald als Wohnung, bald als beides zugleich von Insecten verwerthet würde, und auch nicht einmal die feine Oberhaut bleibt unangetastet.
Vor Allen ist es eine Raupenart, welche in der Anfertigung einer Hülse aus Blättchen der Oberhaut eine merkwürdige Geschicklichkeit entwickelt. Die Hülse ist stets an einem jüngeren Zweige befestigt und besteht aus zwei länglich-dreieckigen Flügeln, welche die breite Seite oben und die Spitze unten haben und mit den Seitenwänden aneinander stoßen und so eine Art von Schutzdach [536] bilden. Jedes Blatt ist überaus kunstreich aus kleinen rechteckigen Stückchen der Oberhaut des Zweiges in der Weise zusammengesetzt, daß sie mit den Seiten aneinander stoßen. Unter diesem Schutzdache liegt die Raupe verborgen. Von Zeit zu Zeit aber streckt sie den Kopf heraus, zieht mit den scharfen Kiefern ein Stück der Epidermis ab, geht wieder zurück und heftet das neugewonnene Baumaterial mit Fäden an den Rand des noch unfertigen Blattes.
Hat sie 3–4 Täfelchen in dieser Weise befestigt, so geht sie an das andere Blatt, um es ebensoweit zu fördern, sorgt aber stets dafür, daß bei dem Hervorgehen aus der Hülse der hinterste Theil des Körpers zu Hause bleibe. Die ganze Hülse erhält endlich die Gestalt einer dreieckig zusammengefalteten Spitzdüte. Ist aber der Bau beendet, dann schließt die Raupe den Spalt und die obere Mündung, indem sie die Ränder der Blätter durch Seidenfäden zusammenzieht, und nun gewinnt sie Zeit, an ihrer Metamorphose zu arbeiten. Will der Leser einmal dem Fortschreiten dieser interessanten Arbeit zusehen, so muß er gewandt genug sein, bis zu den äußersten Zweigen zu klettern, und zudem ist die Hülse schwer zu entdecken, da sie nur die Länge eines halben Zolls erreicht.
Nicht geringere Kunstfertigkeit zeigen mehrere auf der Eiche lebende Raupen aus der Gruppe der Blattwickler. Wenn die Blätter im Frühjahre ihre größte Ausdehnung erreicht haben, dann findet man deren viele, welche zusammengerollt sind. Diese Blattrollen waren im vergangenen Frühjahre in auffallender Menge vorhanden, sodaß einzelne Bäume dadurch ein ganz fremdartiges Ansehen gewannen. Die Form der Hülsenarbeit ist nicht gleich, indeß deutet diese Verschiedenheit nicht immer auf verschiedene Raupenarten, sondern ist bisweilen durch Zufälligkeiten in der Blattform bedingt. Bald ist das Blatt von der Spitze her in 2–3 Windungen nach unten bis zur Mitte der Fläche gerollt, und gleicht dann der unter dem Namen der Weinhippen bekannten Leckerei; bald ist das Blatt nach oben, bald von der Seite her bis zur Mittelrippe, bald von einem Rande nach dem andern aufgerollt, bald bilden zwei oder mehr Blätter eine einzige Rolle.
Die Mechanik der Blattrolle ist einfach genug, um sie zu verstehen. Zuerst heftet die Raupe an einem beliebigen Lappen des Blattes – vorzüglich gern wählt sie einen solchen, der schon von Natur gekrümmt ist – einen Seidenfaden an, befestigt denselben gegen die Mitte des Blattes und verstärkt diese Schnur, indem sie mit großer Geschwindigkeit mit dem Kopfe 2–300 Mal von dem Rande nach der Mitte hinschlägt. Dabei verfährt sie so, daß die Fäden zwei sich kreuzende Schichten bilden und dadurch um so größere Festigkeit erhalten. Dergleichen Schnüre legt sie bei der ersten Krümmung etwa drei an. Indern die Bänder durch das Austrocknen sich verkürzen, wird die beabsichtigte Krümmung des Blattes wesentlich verstärkt. Ist die erste Windung der Hülse vollendet, so schlüpft die Raupe hinein und arbeitet bei der Anlage neuer Bänder von den beiden Oeffnungen her oder unter dem Rande hervor. Nun geht die Raupe an die zweite Reihe von Bändern. Sie heftet dieselben auf dem Rücken der ersten Windung an und führt sie wieder bis zur Blattfläche. Dadurch rollt sich das Blatt noch weiter ein, und die ersten Bänder werden schlaff.
In dieser Weise arbeitet sie fort, bis die Rolle, wenn sie bis zur größten Breite des Blattes vorgerückt ist, von 10–12 Schnüren gehalten wird. Die so bereitete Hülse ist die nunmehrige Wohnung der Raupe, und die Wände derselben, die ihr Schutz gegen Unwetter und Feinde bieten, dienen ihr zugleich, von innen heraus, zur Nahrung. Ist die Rolle bis zur letzten Windung aufgezehrt, dann fertigt die Raupe eine neue an, doch geht sie bei dieser viel weniger sorgfältig zu Werke und bedient sich zum Anheften nur einfacher, sich kreuzender Fäden. In dieser neuen Hülle übersteht sie gewöhnlich auch ihre Verwandlung.
Eine andere, jedoch zu derselben Gruppe gehörige Raupe arbeitet in etwas verschiedener Weise. Sie wickelt einen einzelnen Lappen zu einer Düte, verstopft die Oeffnung mittelst eines anderen Lappens und verbindet denselben durch die vorhin beschriebenen Bänder mit der Hülse. Mit Uebergehung unzählig vieler anderer nicht minder interessanter Formen von Hülsen und Gespinnsten, sowie der bizarrsten Thiergestalten, werfen wir nur noch einen kurzen Blick auf die Gallen. Es ist bekannt, daß die Gallwespenarten die Oberhaut gewisser Pflanzen mittelst eines Legestachels durchbohren und ihre Eier in die Oeffnung schieben. Die meisten derselben sind auf die Eiche angewiesen. Der durch Verwundung des Zellgewebes erzeugte Reiz bewirkt einen verstärkten Saftzufluß und veranlaßt dadurch die Bildung jener Auswüchse, welche wir Gallen nennen, und die eigentlich Nichts sind, als die Kinderstuben jener Insecten. Zahlreich, wie die Arten der Gallinsecten, sind die auf der Eiche gefundenen Gallenformen. Sie sitzen bald auf der oberen, bald auf der unteren Seite der Blätter, bald mitten im Zellgewebe, an den Zweigen, an den Blattstielen, an den Knospen, an den Blüthenkätzchen, an den Napfhüllen und anderen Theilen des Baumes. Wie in Färbung und Consistenz, sind sie auch in Größe und Bildung unter sich verschieden. Bald gleichen sie glatten oder warzigen Kugeln, wie die für technische Zwecke aus der Levante eingeführten Galläpfel, bald sind sie glocken-, pauken- oder nierenförmig. Zuweilen stehen sie in größerer Zahl an einem langen Stiele, und dann glaubt man eine Johannisbeertraube zu sehen. Allerliebst sind einige Gallbildungen, welche an jene Emailknöpfe erinnern, wie das Landvolk sie sonst am Hemde zu tragen pflegte, und an kleinere, von den Posamentieren aus Seide gefertigte Knopfformen. Allezeit aber schließen sie die Wiege der Larve eines Gallinsects ein, welche, wenn ihre Zeit und Stunde gekommen ist, die Wand durchbricht, um sich in der Erde zu verpuppen.
So habe ich den Leser kaum von etwas Anderem unterhalten, als von Ungeziefer, wie man die niederen Thierformen zu bezeichnen pflegt, und dennoch flößen sie dem aufmerksamen Beobachter Interesse ein und haben uns so manches bunte, bewegte Lebensbild sehen lassen.
Zwar ist es eben kein erfreulicher Anblick, wenn mitten in der Fülle des Frühlings die Bäume kahl und grau zum Himmel empor starren. Aber in der That ist eine allgemeine, dem Pflanzenwuchse verderbliche Entlaubung eine seltener eintretende Calamität, welcher, mit Ausschluß der Nadelhölzer, die Waldbäume, und die Eiche zumal, eine fast unüberwindliche Lebenskraft entgegensetzen. Dazu werden die Raupen, wie wir gesehen haben, durch ihre dazu bestellten Wächter, Laufkäfer, Schlupfwespen, Raubwespen, Raubfliegen, Raupenfliegen, Wanzen und Spinnen, gebührend in Schranken gehalten. Wohl scheinen sich dieselben, wie träge, verschlafene Wächter, dann und wann um ihr Amt wenig zu kümmern; aber wenn jene ungebetenen Gäste auf dem höchsten Punkte der Machtentwickelung angekommen sind, dann wachen sie auf und rücken, mit Lanze und Schwert bewaffnet, in das Feld, und in der Regel ist das Gleichgewicht bald wieder hergestellt. Da diese Zuchtmeister der Raupen, Larven und anderen „Ungeziefers“ meist weit kleiner sind, als die ihrer Ueberwachung Anvertrauten, so entziehen sie sich leicht, wie alle Vigilanten thun, profanen Blicken. Um so interessanter aber ist es, sie kennen zu lernen und ihren geheimen Gängen nachzuspüren, und ihr Thun erscheint um so harmloser, als die Quelle desselben allein in mütterlicher Fürsorge und das Ziel in der Brutpflege gesucht werden muß.
Und über das Alles – wie würde es wohl aussehen, wenn der Fluch, der schon tausendfach über die Verwüster ausgesprochen worden, in Erfüllung ginge? Ist nicht an das niedere Thierleben das höhere in seinen anmuthigeren Formen gebunden, und würden wir nicht, wenn er Erhörung fände, alle unsere liederreichen Vögel aus Wäldern und Gärten scheiden sehen müssen? Würden wir uns wohl dazu verstehen können, unsere Nachtigallen, Grasmücken, Amseln, Drosseln und viele andere weniger melodienreiche Vögel, deren Stimmen den großen Chor verstärken und die uns durch ihr munteres, bewegliches Wesen erfreuen, unserem Eigennutze zu opfern? Selbst die Eiche gewann, trotz ihrer eigenen Herrlichkeit, in den Knabenjahren erst dann meine volle Theilnahme, als ich in ihr eine große Thierherberge kennen lernte. Sie wurde mir später eine freudenreiche Lehrstube, in die ich mich, so oft es nur zu ermöglichen war, von den harten Schulbänken flüchtete. Und noch heute finde ich in dem pulsirenden Leben des Eichbaumes manchen frischen Gedanken, der mich von der Abmattung des Alltagslebens heilt. Am ausgiebigsten an Material zur Beobachtung sind die großen Bäume, wie sie am Rande des Eichenwaldes zu stehen pflegen. Der gemeine Mann nennt sie wegen ihrer prangenden Schönheit Bräute. Wer sie verstehen lernt, gewinnt sie lieb wie eine Braut.
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Prediger der Wüste.
Der Engländer, der mit seinem kühnen Unternehmungsgeiste, mit seinen industriellen Speculationen und kaufmännischen Berechnungen den ganzen Erdkreis umfaßt, der so rastlos arbeitet und ein Interesse so erfolgreich nach den fernsten Welttheilen hin verfolgt, fühlt das Bedürfniß, sich von Zeit zu Zeit auf einen möglichst engen Kreis zu beschränken, sich in wohlthuender Gedankenlosigkeit zu erholen und die Süßigkeit des Nichtsthuns und Nichtsdenkens in seinen Kirchen zu genießen. Da hört er jeden Sonntag die lange, lange Liturgie, deren Worte ihm so vertraut geworden sind, daß sie allen Sinn für ihn verloren haben, und dann eine Predigt, die vom Geistlichen abgelesen wird und deren leidenschaftslose Gemeinplätze nicht im Stande sind, ihn in dem dolce far niente seiner Sonntagsruhe zu stören. Mehr bedarf er nicht. So entspricht der englische Sonntag, der namentlich den von der Industrieausstellung herbeigezogenen französischen Journalisten so unerträglich erscheint, einem thatsächlichen Bedürfnisse und ist wirklich eine nationale Institution. Wenn man lange in England gelebt und gearbeitet hat, so gewöhnt man sich an diese wohlthuende Sonntagsruhe, in der das ganze bürgerliche Leben stille steht und der allgemeine Geistes- und Körperschlummer durch kein Geräusch gestört und durch keine Aufregung unterbrochen wird, so sehr, daß man sie ungern vermissen würde. Der englische Sonntag ist nur in so weit langweilig, als die Langeweile zum englischen Comfort gehört. Ein Fremder kann an diesem Tage namentlich in London sehr interessante Lebensstudien machen.
Heute ist Sonntag und zwar ein Sonntag, wie er sein soll. Eine wohlthuende Mattigkeit senkt sich vom unbewölkten Himmel auf alle glücklichen, arbeitsfreien Wesen herab, kein Lüftchen regt sich in den Gesträuchen meines Gartens vor dem Hause, die Natur hält vor Vergnügen den Athem an, und nichts stört Dich im Genusse der süßen Langeweile, die auf heißen Sonnenstrahlen herniederfährt und dem auf seinen Lehnstuhl geworfenen Engländer ein Gebetbuch oder ein Zeitungsblatt in die Hand drückt. Nur das Gebimmel der Kirchenglocken belebt die Straßen mit stillen Feiertagsmenschen. Wer nicht zur Kirche geht, wie der Arbeiter, der Luft schöpfen muß, oder der Fremde, der seine Beine an das häufige Aufstehen und Niederknieen nicht gewöhnen kann, der schlendert in die Parks, in denen es auch Sonntag ist und wohin wir uns von dem Leser heute begleiten lassen wollen.
Wir sind auf dem Wege nach dem Hyde-Park, wo das Londoner Sonntagsleben seinen charakteristischsten Ausdruck zu finden pflegt. Während der Wochentage ist dieser öde, baumlose Park in den Händen der Aristokratie und ihres Gefolges von fashionablen Bummlern, Taschendieben und Flunkeys, wie man die Livréebedienten mit ihren stattlichen Puderzöpfen und hellfarbigen Plüschhosen zu nennen pflegt. Das Bischen Natur, das mit den aristokratischen Liebhabereien verträglich gefunden wird, ist durch allerhand Schnörkeleien zu etwas Besonderem gemacht worden. Die Bäume sind zu vereinzelt, um Schatten, und die Grasflächen zu vertreten und verstäubt, um Farbe gewähren zu können. Der Hyde-Park ist eben nichts als eine ungeheuere Rennbahn für die reitende und fahrende Aristokratie, ein Corso, dessen einziger Schmuck in eleganten Equipagen und Toiletten, in luxuriösen Pferden und Geschirren besteht. Uns ist dieser Park widerlich. Jeder Mensch, dem Du begegnest, sieht aus, als wolle er Dir die Uhr aus der Tasche stehlen oder habe Dich im Verdachte eines ähnlichen Anschlags auf seine eigenen Taschen. Natur, Grün und Waldeinsamkeit sind uns lieber als geschminkte Herzoginnen, gepuderte Flunkeys und silberne Pferdegeschirre; daher ziehen wir den benachbarten Kensington Garten dem Hyde-Park bedeutend vor.
Aber am Sonntag ist die ganze Physiognomie dieses Parks verändert. Das Volk hat Besitz von ihm ergriffen und betrachtet ihn als sein unbestrittenes Eigenthum. Nach allen Seiten über die ungeheuere Fläche hin wogen geputzte Arbeitermassen, die sich bei näherer Betrachtung in einzelne Familiengruppen auflösen. Frauen und Kinder müssen heute Luft schöpfen, nachdem sie die ganze Woche über in den dunstigen Gassen und Höfen von Mary-le-bone oder in der erstickenden Atmosphäre enger Werkstätten zugebracht haben. Wer hier Völker-Studien machen will, der findet reichlichen Stoff dazu. Da haben wir den vorkaiserlichen Franzosen, der schon durch seine Tracht ankündigt, daß er nicht mehr in die moderne Welt gehört. Noch immer trägt er seinen biegsamen Barrikadenhut, seinen schlichten vormärzlichen Knebelbart, das flatternde Halstuch und die ungezwungenen Beinkleider, als habe die Weltgeschichte seit zwölf Jahren still gestanden und warte auf seine Beihülfe, um sich wieder in Bewegung zu setzen. Eine intelligente, verwitterte Arbeiterphysiognomie, die theilnahmlos auf das fremde und unbegriffene Leben blickt. Seine Haare werden grau, und die vom Elend durchfurchten Züge des einsamen Mannes beleben sich nur auf Augenblicke, wenn er einem vorkaiserlichen Genossen im Haufen begegnet und wehmüthig die Hand drückt. Diese interessanten Gestalten, die noch vor wenigen Jahren einen wesentlichen Bestandtheil des Londoner Straßenlebens bildeten, sind in neuerer Zeit ziemlich selten geworden; Tod, Auswanderung und Amnestie haben unter den flüchtigen Kämpfern der 1848er Revolution bedeutend aufgeräumt; aber des Sonntags im Hyde-Park kann man sicher sein, solche lebendige Proteste gegen den 2. December zu finden. Viel zahlreicher sind natürlich die kaiserlichen Franzosen vertreten. Man erkennt sie leicht an ihrem heldenmütig spitz gedrehten Barte, dem frivolen kleinen Hütchen, der ängstlichen Toilette und der frechen Casernenphysiognomie, womit sie den Hohn der Londoner Straßenjugend und die trotz aller Verbrüderungsexperimente unversöhnliche Antipathie des englischen Arbeiters herausfordern.
Das bei weitem zahlreichste fremde Element unter dem Sonntagspublicum des Hyde-Parks bilden jedoch die deutschen Arbeiter, von den elegant gekleideten Uhrmachern und Juwelieren an, die eine imposant crinolirte Flamme aus der Putzmacherlinie am Arme spazieren führen, bis zu den ärmlich bezahlten Zuckersiedern von Whitechapel, die mit ihren breiten norddeutschen Gesichtern und vaterländischen Sonntagsröcken allsonntäglich aus den rauchigen und schmutzigen Gassen des Ostends an’s Tageslicht kommen und die babylonische Sprachverwirrung des Hyde-Parks mit ihrem gemüthlichen Plattdeutsch vermehren. Daneben classische Banditengesichter aus Italien, die heute feiern müssen, da ihr Drehorgelgeschäft mit den englischen Sonntagsgesetzen unverträglich ist; struppige Dänen, die jeden glattgekämmten Menschen für einen Schleswig-Holsteiner zu halten scheinen und sich inmitten der vielen Tausende von Sonntagsbesuchern mißtrauisch allein halten; viereckige, scharfmarkirte Schweizer, kriegerische Polen und Ungarn, natürlich Generäle oder Obristen, Griechen, Hindus, Türken, Neger – – alle Nationen senden Sonntags ihre Vertreter nach dem Hyde-Park. Matrosen in ihren blauen Hemden, Leibgardisten in ihren rothen Uniformen scheinen die Tausendsappermenter der Sonntagsvergnügungen zu sein, und zahlreiche Polizeidiener finden sich unter dem Haufen zerstreut, beschäftigen sich jedoch mehr mit den Herzen ihrer heute in seidenen Kleidern ausgerückten Köchinnen, als mit der Bewachung des Publicums. Am Sonntag wird im Hyde-Park nicht gestohlen, und wenn nicht gerade eine brennende Frage auf der Tagesordnung steht und Gelegenheit zu stürmische Volksversammlungen unter freiem Himmel giebt, so geht Alles in der größten Ordnung zu.
Da es sich nicht mit der Hochachtbarkeit eines christlichen Gentleman verträgt, die Sonntagsruhe seiner Pferde und Kutscher zu stören, so sieht man wenig Equipagen, und die wenigen, welche sich auf dem Corso blicken lassen, gehören Quäkern, Juden, deutschen Gesandten und ähnlichen heidnisch gesinnten Leuten.
„Rotten-Row“ ist im unbestrittenen Besitze von einigen Miethkleppern, auf denen sich verwegene Ladengehülfen, die gestern ihren Wochenlohn erhalten haben, herumtummeln. Geschlecht ist gar nicht vorhanden, weder ganze, noch halbe, noch Viertelswelt. Unter den Spaziergängern lassen sich jedoch auch vereinzelte hervorragende Personen und selbst Personagen erkennen, die unbemerkt und unbekümmert ihren Gedanken oder ihrer Verdauung nachgehen. Jene hohe, etwas nach vorn gebeugte Gestalt mit dem langen, nach hinten flatternden Haar, der griesgrämigen orientalischen Physiognomie und dem sorglosen schwarzen Anzuge ist Mr. Disraeli, der Mann mit dem ungeheueren Ehrgeize und den scharfen jüdischen Epigrammen, der Chef einer großen Partei, die ihn haßt und fürchtet und doch nicht entbehren kann, der glänzende Vertreter eines Conservatismus, der mit seinen radicalen Neigungen in unversöhnlichem Widersprüche steht. Er scheint allmählich unter dem [538] niederdrückenden Gewichte dieses Widerspruches zu erliegen und ist in wenigen Jahren sehr alt geworden, aber immer noch der größte Redner des Unterhauses, sobald er seiner mühsam unterdrückten Leidenschaft freien Lauf lassen kann und im aufregenden Sturme der Debatte vergißt, daß er mit Leib und Seele an eine altersschwache, zukunftslose und zerfallende Partei geschmiedet ist. Um zu wissen, was in dem Inneren dieses Mannes vorgehen muß, brauchen wir nur sein Haus, das hier hinter den Bäumen hervorblickt, zu betrachten. Ein großes, kahles, abstoßendes Eckhaus, ein Bild der Ungastlichkeit, das fast immer hinter verschlossenen Gardinen und Fensterläden liegt. Es fröstelt einen, wenn man dieses nackte, gegen die Außenwelt abgeschlossene, finstere Gebäude nur anblickt. Der Mann, der in diesem Hause wohnt, muß sehr einsam in der Welt dastehen. Der Weg, den der Verfasser von „Vivian Gray“ zu gehen hatte, um zu diesem Hause zu gelangen, führt über manche gescheiterte Hoffnung. Um dieses Ziel zu erreichen, mußte er eine wohlhabende Wittwe heirathen, seinen Jugendneigungen entsagen und sich zum Werkzeuge einer Partei hergeben, die ihn als ein nothwendiges Uebel betrachtet und in vollständige gesellschaftliche Vereinsamung getrieben hat. Er bleibt stehen und blickt mit starrem Auge zu Boden. Woran mag er denken?
So ziemlich in der Mitte des Parks auf einer leichten Anhöhe steht eine größere Anzahl von Bäumen beisammen. Man nennt diesen Platz die „Wüste“, und diejenigen Individuen, welche hier ihre Sonntagsvorstellungen geben, heißen „Prediger der Wüste“. Straßenprediger findet man zwar überall in London, aber sie werden wenig beachtet und müssen eine sehr gute Lunge besitzen, wenn sie durch das Singen der einleitenden Hymne einen Haufen um sich versammeln wollen, der noch dazu sich gewöhnlich wieder verläuft, sobald vom Gesang zur Predigt übergegangen wird; sie sind meistens die bezahlten Sendlinge frommer Vereine und nicht auf den unmittelbaren Erfolg ihrer Leistungen angewiesen. In den Parks dagegen herrscht das Princip der freien Concurrenz. Wenn es einem Prediger nicht gelingt, seine Zuhörer zu fesseln, so muß er sie zu seinem Rivalen unter dem nächsten Baum wandern sehen; er darf also vor Allem nicht langweilig sein und kann sich nur auf seine eigenen Kräfte verlassen. Im Hyde-Park predigten heute etwa 15 Prediger zu gleicher Zeit und zum Theil in offener Opposition zu einander. Der Prediger, der gewöhnlich einen handfesten und lungenkräftigen Assistenten zur Seite stehen hat, stellt sich auf eine Bank oder schwingt sich auch auf die untersten Aeste eines Baumes, liest zwei Strophen einer Hymne vor und beginnt mit seinem Gehülfen zu singen, immer die Worte des Gesanges in den Pausen vorlesend. Gelingt es ihm, ein hinreichend zahlreiches Publicum auf diese Weise herbei zu singen, so geht er nach Schluß des Gesanges zum Gebet und dann zur Predigt über. Das Publicum hat allen Vortheil von dem Princip der freien Concurrenz, nach welchem hier seine religiösen Bedürfnisse befriedigt werden. Der Geistliche in seiner Kirche weiß, daß er seine Heerde für eine Stunde sicher hat, denn es würde ganz gegen alle Respectabilität sein, die Kirche vor dem Ende der Predigt zu verlassen. Aber ein „Prediger der Wüste“ weiß, daß er seine Zuhörer interessiren muß, um sie beisammen oder ruhig zu halten. Nicht nur muß er im Stande sein, ihre Aufmerksamkeit zu fesseln, sondern auch schlagfertig etwaigen Einwürfen begegnen, die ihm aus dem Haufen gemacht werden. Wenige der wohlbestallten Londoner Geistlichen würden in der „Wüste“ zu predigen vermögen. Diese Prediger der Wüste sind roh und ungebildet, zum großen Theil wahrscheinlich Heuchler und Aufschneider, aber sie besitzen einen gewissen Grad von Beredsamkeit und verstehen es, durch pikante Witze oder eindringliche Verzückungen, durch starkwirkende Versinnlichung der Höllenstrafen oder durch schmackhafte Schilderung der himmlischen Seligkeit ihr Publicum zu erregen und zu fesseln. Man findet nur sehr selten wirkliche Geistliche unter ihnen, gewöhnlich sind es junge Leute, bei denen die Gnade eben zum Durchbruche gekommen ist und die Wiedergeburt vortrefflich anzuschlagen scheint, denn sie werden dick und fett dabei und bilden einen wohlthuenden Gegensatz zu ihren atheistischen Rivalen, deren halbverhungerte Physiognomien zur Genüge anzeigen, daß der Atheismus ein schlechtes Geschäft in England ist.
Zunächst blieben wir unter einem Baume stehen, auf dem ein wohlbekannter Wüstenredner seine Tribüne aufgeschlagen hatte. Mit stürmischer Beredsamkeit protestirt er allsonntäglich von demselben Baume herab gegen alle politischen und socialen Gesetze, welche ihn umgeben, und findet dann schließlich den Grund des Uebels in dem Bestehen der Religion, die er mit großer Heftigkeit zu vernichten droht. Seiner heutigen Predigt oder Vorlesung legte er die neulich erfolgte Verurtheilung eines neunjährigen Kindes wegen Wilddieberei als Text zu Grunde und verlas den betreffenden Bericht aus einer Penny-Zeitung. Der Abwechselung halber begaben wir uns unter einen benachbarten Baum, um dem „jungen Evangelisten aus Rochdale“ für einige Minuten zuzuhören; kehrten jedoch bald wieder zurück, da wir befürchteten, daß die allzu große Süßigkeit seiner Worte uns Magensäure verursachen würde. Bei unserer Rückkehr fanden wir den Atheisten in heftiger Disputation mit einem Rivalen begriffen, der das Aussehen eines dissentirenden Geistlichen hatte. Die Streitfrage war: ob sich, die Autorität der Bibel angenommen, irgend eine Stelle zur Rechtfertigung der Todesstrafe finden lasse. Um beide Kämpfer schaarte sich eine Partei, die durch Zurufe, Pfeifen und Händeklatschen ihren eigenen Kämpen zu ermuntern und den Gegner zu entmuthigen suchte. Die Disputanten erhitzten sich und schienen eben im Begriff zu sein, sich in die Haare zu fahren, um die Bedeutung des Textes: „Wer eines Menschen Blut vergißt etc.“ durch physische Beweisgründe zum Abschlüsse zu bringen. Für den Freund gesetzlicher Ordnung und positiver Religion mußte es erfreulich sein zu bemerken, daß bei dem bevorstehenden Faustkampfe der Vertheidiger der bestehenden Gesetze die größten Vortheile haben würde, denn er war nicht nur viel größer und vierschrötiger als der Anarchist, sondern schwang auch eine dicke Bibel über seinem Haupte, während sein Gegner nur mit einem dünnen Zeitungsblatte bewaffnet war. Als die Dinge zu diesem entscheidenden Punkte gediehen waren, begannen zwei kolossale Gardisten, die der Auslegung des Textes mit ziemlich verblüfften Mienen zugehört hatten, plötzlich ein sehr einsichtiges Interesse an den Vorgängen zu bethätigen, und die Jungen, welche um den Zuhörerkreis herumsprangen und jubelten, waren natürlich in Ekstase. Beide Disputanten standen auf einer der kreisförmigen Bänke, die unter einigen Bäumen angebracht sind, und die Discussion war schon sehr persönlich geworden, als zu unserer großen Enttäuschung der Vertheidiger des Gesetzes plötzlich verschwand, wahrscheinlich niedergerissen von den Kämpen der Anarchie. Es ließ sich in dem Tumulte schwer erkennen, was eigentlich vorging, aber nach einem großen Aufwand von Geschrei und Durcheinanderrennen fanden sich die beiden Gegner plötzlich unter zwei verschiedenen Bäumen, etwa 200 Schritt von einander getrennt, und nahmen ihr Geschäft so ruhig wieder auf, als ob nichts vorgefallen wäre, jener das Vorspiel zu einer Hymne singend und dieser aus seiner Zeitung gegen die Tyrannei der Gesetze und die Verderblichkeit der Religion donnernd.
Diese Kämpfe finden nicht immer unter demselben Baume statt, sondern gewöhnlich befinden sich die Widersacher unter oder auf zwei gegenüberstehenden Bäumen. Auf einen Atheisten kommen jedoch mindestens ein halbes Dutzend Orthodoxe, und es ist vielleicht ein neuer, aber gewiß schlagender Beweis für den Werth der Orthodoxie, daß diejenigen, welche für dieselbe im Hyde-Park predigen, fetter sind, als diejenigen, welche dagegen predigen. Verschiedenen Neubekehrten, welche nun Andere auffordern, in ihre Fußstapfen zu treten, scheint die Gnade wunderbar zu bekommen.
Dies ist um so auffallender, da die Polizei nicht gestattet, mit dem Hut herumzugehen, sondern den erwähnten Atheisten, der sich zuweilen von der Noth zu diesem Mittel verleiten zu lassen scheint, schon mehrmals wegen Bettelns verhaftet und vor den Bezirksmagistrat geführt hat. Freilich kann sie nicht verhindern, wenn der „junge Evangelist von Rochdale“ seine Adresse angiebt und erklärt, daß er bereit sei, mit denen, welche seinen geistlichen Rath suchen sollten, zu einer bestimmten Tageszeit zu beten. Dieser populärste Prediger der Wüste ist ein kurzer, rothhaariger Junge von etwa 18 Jahren, der gar nichts Besonderes an sich zu haben scheint, aber zwei Stunden lang beten, predigen und singen kann, ohne eine Pause zu machen oder das geringste Anzeichen von Ermüdung zu verrathen. Die Predigten sind ziemlich alle über einen Leisten, und der Prediger spielt unter jedem Baume die Rolle eines lebendigen Exempels der zum Durchbruch gekommenen Gnade. Seine Kenntniß von den Wirkungen der christlichen Wiedergeburt ist viel größer als von den Erfordernissen der englischen Grammatik, die gewöhnlich abscheulich maltraitirt wird. Die Poesie der Hymnen, die meistens nach der Melodie eines populären Gassenhauers gesungen werden, ist im höchsten Grade abgeschmackt. Ein Refrain: [539]
„Oh, the Lamb, the bleeding Lamb,
The Lamb upon Calvary etc“
erregte besonders den sarkastischen Widerspruch des Atheisten, der zwar offenbar schlechte Geschäfte in der „Wüste“ macht, aber mehr Humor und Kritik besitzt, als seine glücklicheren Rivalen. Er hat immer den aufmerksamsten Zuhörerkreis um sich. Das aber ist eben das Große der englischen Freiheit, daß die wühlerischesten Grundsätze im offenen Park gepredigt werden dürfen, und Staat, Religion und Gesellschaft sich nicht darum zu bekümmern brauchen. Den glänzendsten Beweis dafür liefert das englische Sectenwesen selbst.
Wie viel Secten es in England eigentlich giebt, ist schwer zu sagen; aber so viel wissen wir, daß kein Religionsstifter daran zu verzweifeln braucht, hier Gläubige zu finden, falls er im Artikel „Unsinn“ nur irgend welche nennenswerthe Concurrenz auszuhalten vermag. Der Mormonismus ergänzt sich vorzugsweise aus dem englischen „angeborenen Verstand“ (common sense); der religiösen Phantasie eines Geistlichen aus Wales verdankte Joe Smith die zum „Mormon“ umgestaltete Novelle. Dr. Cumming prophezeit den Untergang der Welt für 1867 in Büchern und von der Kanzel und ist einer der fashionablesten Prediger Londons, dessen gläubige Bewunderer sich namentlich in den höheren Ständen befinden. Ein Mr. Congreve hat vor Kurzem dem Comte’schen Cultus in Wandsworth einen Tempel eröffnet, und der ganze hierarchische Unsinn, zu dem sich der berühmte Philosoph in sonderbarer Abirrung von seinem Buchstabenglauben verleiten ließ, wird hier als ernsthafte Thatsache gepflegt. Der Platonist Mr. Taylor opferte in seinem Hinterstübchen zu Walworth dem Jupiter einen Widder, und wenn die Religion der Platonisten auch seitdem ausgestorben ist, so liegt dies wohl nur daran, daß Platonismus einen Aufwand von philosophischen Gedanken verlangt, der dem Vertriebe dieser Religion am hiesigen Markte nicht günstig sein konnte. Erweckungen, Tischrücken und Geisterklopferei, diese modernsten Offenbarungen unseres aufgeklärten Zeitgeistes, finden in keinem anderen Lande so viele Priester und Gläubige, als im freien Albion, dem Vaterlande Bacon’s und Locke’s, das noch Voltaire als das Paradies der skeptischen Aufklärung zu preisen vermochte. Dicht neben dem südlichen Districttempel der Mormonen „über dem Wasser“ that sich vor einiger Zeit eine neue Religion auf, deren Hauptglaubensartikel in der großen Trommel bestanden zu haben scheint und die deshalb so geräuschvoll wurde, daß die Polizei Auftrag erhielt, im Namen der Sabbathsordnung dagegen einzuschreiten; die Trommel lockte die Gläubigen herbei, und ein altes Weib machte sie selig, indem es ihnen unmittelbar von Gott empfangene Befehle mittheilte und sich – wie der denuncirende Constabler aussagte – in seiner Ekstase „zuweilen auf den Kopf stellte“. Ob diese interessante Religion noch existirt, wissen wir nicht; aber sollte sie auch dem Verbote der großen Trommel erlegen sein, so braucht der „common sense“ deshalb keineswegs an einer genügenden Zufuhr religiöser Nahrung zu verzweifeln.
Soeben ist hier ein Buch erschienen unter dem Titel: „Miranda. Ein Buch in drei Theilen: Seelen, Zahlen, Sterne. Mit Bestätigungen der alten und neuen Christuslehren, aus Wundern, die bisher in der Bibel unbemerkt geblieben sind, aus Thatsachen und Daten der Geschichte und aus Stellung und Bewegung der Himmelskörper. Gedruckt und verlegt von James Morgan, 48 Upper Marylebone-street, London.“ Der Verfasser dieses tiefen Werkes weist nach, daß sich die zweite Person der Dreieinigkeit bis auf den heutigen Tag in 49 Menschwerdungen offenbart habe. Die 49. fand statt am 20. April 1812 und hat ihre messianische Wirksamkeit mit der Herausgabe des vorliegenden Buchs begonnen. Die Aufgabe, welche diesem neusten und größten Messias geworden ist, besteht darin, alle bisher bestandenen Religionen zu einer einzigen zu vereinigen und auf den Cultus des Feuers zurückzuführen. Der Name dieser neuen und vollkommensten Religionsbekenner soll „O-Christians“ sein und mit dem Baue ihres Tempels, wofür das Buch sehr umständliche Anweisungen erhält, sofort begonnen werden, sobald die nöthigen Fonds gezeichnet sind. Sollte der fleischgewordene Messias des O-Christenthums nicht vor dem Beginn des Tempelbaues in’s Irrenhaus gesteckt werden, so können wir dieser neuen Religion eine blühende Zukunft versprechen, denn ihr Programm enthält eine Complication des Unsinns, die noch weit über das Mormonenthum hinausgeht und aus John Bull’s „angeborenen Verstand“ unwiderstehlich wirken muß.
Solche ungewöhnliche religiöse Leckerbissen sind jedoch vorzugsweise nach dem Geschmacke der ärmeren Classen, welche von den Gütern dieser Welt so wenig abbekommen haben, daß sie Gourmands nach den Gütern jener Welt geworden sind. Der respectable, d. h. reiche und angesehene Engländer ist gewöhnlich viel bescheidener in seinen religiösen Ansprüchen und begnügt sich mit seiner staatskirchlichen Orthodoxie. Je weniger ihn dieselbe zum selbstthätigen Denken auffordert, desto vollständiger entspricht sie seinen Bedürfnissen. Der deutsche Pietismus, der eine ungewöhnliche Gefühlserregung und zugleich ein gewisses theologisches Studium voraussetzt, hat hier kein Glück. Die anglicanische Dogmatik wird eigentlich auch von den Dissenters nicht angegriffen, die ganze Meinungsverschiedenheit bezieht sich auf die Form des Kirchenregiments. Seitdem die orthodoxe Reaction gegen den Gedanken des 18. Jahrhunderts, die in England am heftigsten und siegreichsten war, vollendete Thatsache geworden, fühlte sich der englische Clerus so zufriedengestellt in seinem von den herrschenden Classen getragenen Machtbesitze, daß er selbst die Theologie als überflüssig aufgab. Es befand sich kein Feind mehr im Felde, den er hätte bekämpfen müssen. Als daher die „Essayisten“ neuerdings die Resultate der deutschen Bibelkritik gegen ihn zu Felde führten, hatte er keine anderen Waffen gegen sie, als die Machtsprüche mittelalterlicher Gerichtshöfe, Inquisition und Ketzergesetze. Der deutsche Rationalismus entspricht in der That ebenso wenig als die philosophische Kritik dem Geiste des heutigen Englands.
Als ich im Jahre 1852, nach langer einsamer Irrfahrt durch die schneebedeckten Steppen, den Missouri bei den Dörfern der Otoe- und Omaha-Indianer in halbverhungertem Zustande erreichte und mich einigen dort stationirten weißen Pelztauschern anschloß, vernahm ich viel über einen deutschen Künstler, der sich daselbst längere Zeit aufgehalten hatte und dann, in Verfolgung seiner weiteren nicht ungefährlichen Studien, den Missouri hinaufgegangen war. Die Eingeborenen erinnerten sich seiner mit einer gewissen Scheu, weil er es verstand, die „Seelen der Menschen auf das Papier zu zaubern“, und mehr noch weil einzelne der portraitirten Persönlichkeiten später von der Cholera hinweggerafft wurden. Jener Künstler war Fred. Kurz.[1] Ich kreuzte seinen Pfad und er den meinigen, ohne daß wir je zusammengetroffen wären.
Wenn Deutsche sich in fernen, fremden Landen begegnen (und Deutschland hat ja fast in jedem Winkel der Erde einige Vertreter aufzuweisen), so fühlen sie gewöhnlich Theilnahme für einander; selbst auch dann, wenn sie nur durch die Kunde mit einander bekannt wurden, erwacht ein gegenseitiges Interesse. Erfüllt von solcher Theilnahme liefere ich gern die Beschreibungen zu den Skizzen des talentvollen Fred. Kurz, doppelt gern, weil sie durch Wahrheit im Ausdruck, ja in jeder einzelnen Linie verrathen, wie der Künstler durch die in der freien, noch unentweihten Natur empfangenen Eindrücke zum Enthusiasmus hingerissen wurde, ohne sich bei der bildlichen Darstellung, wie so häufig geschieht, zu phantastischen Ausschmückungen und Ueberschreitungen verleiten zu lassen. So bei dem vorliegenden Prairiebrand. Nur wer selbst die grausige Gefahr des „eilenden Feuers“ kennen lernte, die von Entsetzen ergriffenen Geschöpfe, gleichviel ob Menschen oder Thiere, beobachtete, wie sie mit allen Zeichen tödtlicher Erschöpfung ihre Flucht zu bewerkstelligen suchten, und wie aus jedem ihrer Blicke, aus jeder ihrer Bewegungen ein stummes und doch so beredtes Flehen um Erbarmen sprach, nur der vermag, wie hier geschehen, im Bilde seine Erfahrungen so verständlich wiederzugeben.
Doch nicht immer, man darf sogar behaupten, in den wenigsten Fällen, tritt das entfesselte Element in so drohender Weise auf; denn nicht überall entsprießen dem Boden üppig und [540] hoch wuchernde Grasarten, die dem Feuer massenhafte Nahrung bieten, und nicht immer wirft sich der Sturm hinter die lodernden Flammen, um sie wüthend und Alles verderbend durch die endlosen Ebenen zu peitschen.
Wo der wandernde Bison noch heute seinen tiefausgetretenen Pfaden folgt, wo die flinken Mustangs heerdenweise umher schwärmen, die schöngezeichneten Antilopen ihr munteres Spiel treiben und Millionen harmloser Prairiehündchen aus ihren Erdhöhlen hervor jeden neuen Tag mit ausgelassenem Gekläffe begrüßen, da bedeckt auf Tausende und aber Tausende von Quadratmeilen, mit Ausnahme der oft sehr umfangreichen Flußniederungen, kurzes, fettes Gras den tennenähnlichen Boden. So lange der Brand sich innerhalb der Grenzen dieser niedrigen Vegetation hält, verfolgt er nur langsam und ungefährlich die ihm von den Luftströmungen vorgeschriebene Richtung. Der Mensch schreitet dort mit Leichtigkeit über die schmale feurige Kette hinweg, während es den Thieren ohne übermäßige Anstrengung gelingt, sich durch die Flucht der vermeintlichen Gefahr zu entziehen oder nackte Regenschluchten zu gewinnen, von wo aus sie dann mißtrauisch die über sie hineilenden Rauchwolken beobachten. Wie in dem alten Sagen entlehnten Paradiese, so bewegen sich an solchen Stellen Geschöpfe, die von der Natur darauf angewiesen wurden, sich gegenseitig zu bedrohen oder zu meiden und zu fürchten, friedlich durcheinander. Der Hirsch und die Antilope sind uneingedenk der verderblichen Zähne des nahen Wolfs, ihres Erbfeindes; der Panther übersieht den zottigen Bison, den er durch einen einzigen Sprung zu erreichen vermöchte; und Raubgier wie Scheu, beide Gefühle treten zurück vor der gemeinsamen Furcht vor einem martervolleu Untergange. Sie drängen sich aneinander vorbei, sie schauen zu den schwarzen Rauchwolken empor, aber nach der Ebene hinauf wagen sie sich sobald nicht wieder; es sei denn, daß der Brand am Rande der vegetationslosen Schlucht ersterbe, anstatt über dieselbe hinwegzusetzen, oder daß schlaue Jäger, von denen sie mittelst des absichtlich angelegten Feuers bis dorthin gehetzt wurden, nach Herzenslust mordend, ihre tödtlichen Geschosse unter sie versenden.
Wenn das Feuer von den Eingebornen an geeigneten Stellen zum Treiben des Wildes gebraucht wird, so zünden sie doch viel häufiger die Prairie an, um strichweise auf ihren Revieren jungen und saftreichen Graswuchs für ihre Pferde zu erzielen. Es geschieht dies vorzugsweise im Hochsommer und Herbst, wenn die in Saat geschossenen Halme geschmacklos und holzartig geworden sind, oder unter den glühenden, fast senkrechten Strahlen der Sonne verdorrten. Wo vor wenigen Tagen erst der wilde Brand unaufhaltsam hintobte, da gewahrt man dann lichtgrüne Keime dichtgedrängt die befruchtende Aschendecke durchbrechen, und nach einigen Wochen schon hat sich die schwarze staubige Ebene wieder in nahrhafte Weide verwandelt. Oft verdankt aber auch der Prairiebrand sein Entstehen feindlichen Gefühlen, die ein Stamm gegen den andern hegt; oft dem Zufall oder dem Muthwillen. Jedenfalls bleibt es immer gefährlich, unüberlegt und sorglos, den zündenden Funken der Prairie um sich greifen zu lassen; denn wo die erste Rauchsäule emporwirbelt, das weiß man genau; doch wo der verderbliche Brand endigt und welche Opfer er zuweilen fordert, das liegt außerhalb der Grenze menschlicher Berechnung.
Wiederum betrachte ich die gelungene Zeichnung, und mit einem Gemisch von Wehmuth und Freude fühle ich mich zurückversetzt in die Zeiten meines unstäten Wanderlebens. Kleine Begebenheiten, die einst an Ort und Stelle kaum beachtenswerth schienen, erhalten bestimmtere Umrisse und Formen, und indem sie sich bunt aneinander reihen, gewinnen sie einen erläuternden, belehrenden Charakter.
Es war eine schreckliche Nacht! Dichte Schneemassen trieb der Sturm vor sich her; heulend brach er sich zwischen den Council-Bluffs, und sausend fuhr er über den Missouri, der schon seit Monaten in den starren Fesseln des strengen Winters lag. Das kleine Blockhaus aber, welches zum Tauschverkehr mit den Eingeborenen errichtet worden, das schüttelte er, als wenn er es habe von der Stelle rücken wollen. Im breiten, geräumigen Kamin glimmten dicke übereinander geschichtete Holzblöcke und erhellten schwach die rohen Wände des viereckigen Gemachs, und nur zeitweise, wenn der Sturm wüthend und im tiefsten Baß in den hölzernen Schlot hineinschlug, Asche und Funken wild in der Stube umherschleuderte und die, Flammen wieder anfachte, theilte sich allen Gegenständen eine glühend rothe Beleuchtung mit. Büchsen, Bogen, gefüllte Köcher und sonstige indianische Waffen standen in den Ecken oder hingen an den Zapfen, die zwischen die Balken in die mit Lehm zugestopften und verschmierten Fugen getrieben worden waren; auf dem staubigen Fußboden dagegen reckten und dehnten sich zwischen farbigen wollenen Decken, Büffelhäuten, Bärenpelzen, Biber- und Otterfellen wohl an achtzehn Omaha-Indianer. Sie lagen dicht neben einander und füllten das Gemach so aus, daß man nur mit größter Vorsicht zwischen ihren Leibern hinzuschreiten vermochte. Ich selbst lag vor dem Kamin, die Füße der wärmenden Gluth zugekehrt; an meiner rechten Seite befand sich Henry Fontanelle, ein Halbindianer, während Ongpa-tanga, oder der „große Hirsch“, der Omaha-Häuptling, sich zu meiner linken ausgestreckt hatte und an diesen sich ein zwanzigjähriger Bursche von demselben Stamme reihte. Letzterer war mir schon am Tage, seines krankhaften Aussehens wegen, aufgefallen, doch war ich bei dem lebhaften Tauschhandel zu sehr in Anspruch genommen worden, als daß ich Erkundigungen über den Grund dafür hätte einziehen können.
Der scharfe Schnee, getrieben von heftigem Luftzuge, knisterte gegen die kleinen Fensterscheiben; der Saft in den verkohlenden Blöcken siedete und zischte, und sprengte zuweilen, wenn in Dampf verwandelt, mit lautem Geräusch Splitter los, doch diese einschläfernde Musik wurde übertönt durch die monotonen Melodien, mit welchen sich einzelne Krieger in den Schlaf sangen. Der Gesang harmonirte mit der ganzen Umgebung, klang aber unheimlich, indem die auf dem Rücken liegenden Männer mit der Hand den Takt auf der eigenen nackten Brust schlugen, in Folge dessen die Töne in regelmäßigen Pausen abgebrochen wurden und sich dumpf und pfeifend den Lungen entwanden.
Meine beiden nächsten Nachbarn schliefen schon, und Einer nach dem Andern verstummten die Krieger. Eine kurze Zeit hindurch vernahm man neben dem Toben des Sturmes nur noch die tiefen Athemzüge der Ruhenden. Der junge Omaha, der neben seinem Häuptling lag, war der Letzte, der die Augen schloß; kaum hatte aber der Schlaf sein Bewußtsein gefesselt, so begann er in so kläglicher Weise zu jammern und zu stöhnen, daß ich nicht anders glauben konnte, als eine schmerzhafte Krankheit übe ihre Martern an ihm aus, oder ein heftiger Krampf schnüre ihm die Brust zusammen. Ich richtete mich auf und blickte zu ihm hinüber. Er lag, wie seine Gefährten, auf dem Rücken, aber seine Brust hob und senkte sich mit sichtlicher Anstrengung, und immer schmerzlicher waren die Laute, die aus seinem halbgeöffneten Munde hervordrangen. Ich rief ihn an; er rührte sich nicht, worauf ich mich fester in meine Büffelhaut wickelte, um die klagenden Töne, so viel wie möglich, von mir auszuschließen. Doch vergeblich, sie ließen mich nicht zur Ruhe kommen. Da erhob sich Fontanelle von seinem Lager. Die abgekühlte Temperatur mußte ihm empfindlich auf die Glieder gefallen sein, denn er trat an die mit Asche bedeckte Gluth, schürte in derselben, thürmte die glimmenden Blöcke behutsam übereinander, daß sie, mehr Wärme ausströmend, hell aufflackerten, und traf dann Anstalt, sich wieder hinzulegen. Ich bat ihn, den jungen Omaha vorher anzustoßen und denselben dadurch dem Einfluß böser Träume oder dem vermeintlichen Alpdrücken zu entreißen.
„Laßt ihn nur stöhnen,“ entgegnete Fontanelle, indem er sich an meine Seite warf, „es ist seine Medicin, es wäre unrecht, ihn zu wecken.“
„Seine Medicin?“ fragte ich verwundet.
„Gewiß,“ erwiderte der Halbblütige mit feierlichem Ausdruck; „das Prairiefeuer spricht aus ihm.“
Meine ferneren Fragen beantwortete Fontanelle dadurch, daß er mir die Geschichte des jungen Omaha erzählte.
„Ungefähr vier Jahre mag es her sein, als Nis-ka dort drüben seine Verwandten auf einem Jagdzuge nach den Quellen des Papillon begleitete,“ hob er an, nachdem er mir sein Gesicht zugekehrt hatte. „Die Sioux dehnen ihre Jagdzüge ebenfalls bis in jene Gegend aus; es ist daher für die Omahas gerathen, beständig auf ihrer Hut zu sein. Die Gesellschaft, in welcher sich Nis-ka befand, hatte eine erfolgreiche Jagd abgehalten; die Büffelhäute waren, um den Packthieren die Last zu erleichtern, roh ausgegerbt und getrocknet worden; und während der ganzen Zeit ihres Aufenthaltes hatten die weit umherstreifenden Jäger keine einzige verdächtige Spur entdeckt. Sie wähnten die Sioux fern, vergaßen die stets unerläßliche Wachsamkeit und Vorsicht und begaben sich am Abend vor ihrem Aufbruch, wie sie schon immer gethan, so
[541][542] sorglos zur Ruhe, als wenn sie von den Wigwams ihres Dorfes oder von den dicken Wänden dieses Gemachs umgeben gewesen wären. Die ersten Stunden der Nacht verstrichen in ungestörter Stille; plötzlich aber wurden sie durch heftiges Poltern geweckt, mit welchem die in der Nähe der Zelte gepflöckten Pferde an den Leinen zerrten. Als sie die Augen aufschlugen, erkannten sie sogleich an dem hellen Schimmer, der durch die Zeltwände fiel, welcher Art die Gefahr sei, die ihnen drohte; kaum aber traten sie in’s Freie, so wurden sie auch inne, daß an ein Entrinnen nur mit Hinterlassung aller Habseligkeiten zu denken sei. Der ganze westliche Horizont war in Flammen gehüllt, und zwar hatte sich der Feuerstreifen ihrem Lager schon bis auf hundert Ellen genähert. Unglücklicher Weise waren sie von hohem, saftreichem Grase umgeben, welches das schnelle Erzeugen eines Gegenfeuers unmöglich machte, während auf der andern Seite ein starker Nordwestwind heftig in die Flammen blies, die grünen Halme weit vorweg durch die mitgeführte Hitze dörrte und zum leichten Raub für den Brand herrichtete. Zeit war nicht mehr zu verlieren; die Weiber schwangen sich auf die nächsten Pferde, die Kinder wurden ihnen von den Männern zugereicht, und im nächsten Augenblick waren diese beritten und sprengten den Ihrigen nach. Nur Nis-ka blieb zurück; die Sorge um seine jüngern Geschwister hatte ihn zu lange beschäftigt, denn als er zu seinem Pferde hineilen wollte, stürmte ein halbes Dutzend flüchtiger Büffel vorüber, und ihnen nach folgte sein Pferd, sein einziges und letztes Mittel zur Rettung. Es hätte eiserner Ketten bedurft, um das entsetzte Thier zu halten; die Lederleine war zu schwach gewesen.
Das unvermeidliche Verderben vor Augen ergriff Nis-ka in der Todesangst eine Büffelhaut, hüllte sich in dieselbe ein und stürzte den Flammen entgegen. Er gelangte lebendig durch den Feuerstreifen hindurch; aber das Gras war zu hoch, des brennbaren Stoffes zu viel, als daß er unverletzt hätte bleiben können. Auf dem ganzen Körper mit Brandwunden bedeckt, erreichte er eine sichere Stelle, wo er sich, den Tod erwartend, niederwarf.
Seinen Gefährten war es unterdessen nach scharfem Rennen geglückt, in dem breiten sandigen Bette eines fast ausgetrockneten Flüßchens ein Unterkommen zu finden; doch nur mit vereinigten Kräften und unter den größten Anstrengungen vermochten sie ihre Pferde zu halten, die wild kämpfend sich den fliehenden Hirschen, Büffeln, Antilopen und Wölfen anzuschließen trachteten. Aus der verhältnißmäßig geringen Zahl dieser Thiere ließ sich übrigens leicht errathen, daß der Brand noch keinen großen Weg zurückgelegt hatte und von einigen Sioux, die sich zu schwach fühlten, die Gesellschaft der Omaha’s offen anzugreifen, mit schlauer Berechnung geschürt und gelenkt worden war.
Bei Anbruch des Tages begaben sie sich zurück nach der alten Lagerstelle. Sie fanden ihre Habe von den Flammen verzehrt oder von der Hitze zusammengeschrumpft, den armen Nis-ka dagegen weit abwärts in der Nähe einer Quelle, mit dem Tode ringend. Die Omaha’s sind weise, sie kennen manche brandstillende Mittel; auch Nis-ka wurde durch die Bemühungen seiner Verwandten wieder hergestellt und nach dem heimathlichen Wigwam geschafft. Seine Wunden sind gut geheilt und vernarbt; wenn er aber die Augen zum Schlafe schließt, dann befindet er sich mitten im Feuer – es spricht der wilde Prairiebrand aus ihm – es ist seine Medicin, durch welche er vor dem eilenden Feuer warnt – es wäre unrecht – ihn zu wecken –“
„Wecken“ – wiederholte Henry Fontanelle noch einmal kaum verständlich, und dann war er fest eingeschlafen.
Der Sturm rüttelte heftiger an dem alten Blockhause, heulend fuhr er in den hölzernen Schornstein und grimmig schnob er in die Gluth des Kamins; der scharfe Schnee knisterte gegen die kleinen Fensterscheiben, und glimmende Holzstückchen explodirten unter der heißen Asche. Die Indianer träumten; aus der Brust des jungen Omaha’s aber sprach fort und fort der wilde Prairiebrand. Erst gegen Morgen hatte ich mich hinlänglich an die traurigen Töne gewöhnt, um ebenfalls noch einige Stunden schlafen zu können.
Das erste deutsche Bundesschießen in Frankfurt a. M.
Die Reden, der ernste Gehalt des heiteren Festes, in denen sich die Hoffnungen, die Wünsche, aber auch die Forderungen des deutschen Volksgeistes manifestirten, gaben hier und da Veranlassungen zu Scenen, die das Gemüth tief ergreifen und den phantasiereichen Beschauer hinreißen mußten. Wir wollen nur eine erwähnen. Auf dem letzten officiellen Banket hatte Curti aus St. Gallen, Mitglied des Schweizer Nationalraths, uns die Grüße seiner in die Heimath zurückgekehrten Landsleute überbracht. Er hatte glänzend gesprochen, mit attischer Beredsamkeit. Doppelt wirksam waren seine Worte, weil er ein ehrwürdiger Greis mit jugendlichem Feuer ist, weil er gleichsam in officieller Eigenschaft den Ausdruck der Stimmung des schweizerischen Nationalrathes wiedergab. „Seid Ihr nicht Eine Nation?“ hatte er begeistert ausgerufen. „Und habt Ihr nicht Ein Land, Eine Sprache, Eine Wissenschaft und Kunst, Eine Gesittung, Eine Geschichte, Eine Zukunft? Habt Ihr nicht miteinander gekämpft in ernsten, großen Tagen, und habt Ihr nicht miteinander Euch frei gemacht? und die Interessen selbst, verlangen Eure Interessen nicht die Größe Deutschlands? Und darf ich nicht in Euere Herzen greifen, um herauszufragen: Ist es nicht bei Euch eine gemeinsame Ueberzeugung, daß Deutschland eine große Mission geworden ist, Schwerpunkt zu sein in Europa für alle großen Interessen der Humanität und des Fortschrittes? des reinen makellosen Fortschreitens eines geläuterten Humanismus? Was gilt es aber nun? Ausdauer, Beharrlichkeit für die höchsten Güter des Lebens, für die Ehre einer Nation und für ihr Voranstehen auf dem Punkte, auf dem Platze, den ihr die Vorsehung angewiesen hat. Da darf man wohl etwas aushalten und bestehen! Und sind nicht die alten Wahlsprüche die Eueren? Hier stehe ich, ich kann nicht anders! und eine Idee, zehntausendmal vereitelt, darf nicht aufgegeben werden; ein richtiger Gedanke, richtig einmal ausgesprochen, ist des Erfolges sicher; der Wahrheit der Natur der Dinge kann nichts widerstehen. Darum hinaufgeschaut und auf Gott vertraut und auf den Genius in Euch, auf den Genius Europa’s, auf den Genius der Menschheit. Sie sind in Italien auch nicht verzagt und sie haben Großes errungen, und wenn sie noch in schwierigeren Verhältnissen stehen, sie werden Mehreres erringen; Deutschland kann nicht hintan sein! Also auf den glücklichsten Schluß und den ganzen, nachhaltigen, segensvollen Erfolg Eures Festes – wie ihn die Besten Eurer Nation unter Euch, und die Besten Eurer Nation unter den Freunden, Förderern und Theilnehmern desselben gedacht und, ich bin es sicher, ganz gewiß festhalten werden, daneben aber noch einmal auf die bleibende Verbrüderung des nachbarlichen, kleinen Ländchens mein doppeltes, dreifach donnerndes Hoch!“
Kaum hatte der edle Greis, der mit der feurigen Zunge der Wahrheit und Begeisterung geredet und wie ein gottgesandter Prophet dagestanden hatte, geendet, als sich eine Anzahl deutscher Mädchen, hingerissen von der zündenden Gewalt seiner Worte, um ihn schaarten und ihm ihre dankbaren Gefühle für seine herzlichen Worte durch Ueberreichung ihrer Sträuße ausdrückten. Der alte Mann wußte sich gut zu revanchiren. Er drückte jeder der blühenden und glühenden Jungfrauen einen väterlichen Weihekuß auf die Stirne und ermahnte sie, in ihrer Gesinnung zu beharren und, wenn sie einstens Gatten und Söhne bekommen, sie in diesem Geiste zu stählen. Es war ein erschütternder Moment, wie die athemlos lauschenden Mädchen hochklopfenden Herzens an den Lippen der ehrwürdigen Attinghausen-Erscheinung hingen, wie sich nach und nach eine andächtige Gemeinde um die kleine Gruppe sammelte. Diesen Kuß werden die deutschen Mädchen ihr Lebtag nicht vergessen, und ihre Kinder und Kindeskinder werden davon erzählt bekommen.
Aber nicht allein in der Festhalle wurden patriotische Reden gehalten, es fiel auch außerhalb derselben manches begeisterte Wort vor Tausenden von Zuhörern. Besonders waren es die Uebergaben verschiedener Fahnen am Gabentempel, welche Veranlassung zu schönen, weihevollen Feierlichkeiten und zu warmen Versicherungen der Freunde und Brüder im Auslande Veranlassung gaben. An den Deutschen im Auslande waren die bedeutungsvollen Tage nicht spurlos vorübergegangen. Beglückwünschende Schreiben und Telegramme an das Centralcomité liefen massenweise aus allen Ländern ein, wo Deutsche in größerer oder kleinerer Anzahl in freiwilligem oder gezwungenem Exil zusammen wohnen. Es ist hier am Orte zu erwähnen, daß überhaupt die eingelaufenen theilnehmenden Grüße aus der Ferne in Poesie und Prosa, von Einzelnen und Gesellschaften, eine ganze Literatur bilden und gesammelt der sprechendste Beweis für die große und allseitige Theilnahme sein werden, welche das Fest überall, auch in weiter Ferne, bei Denen gefunden, die verhindert waren persönlich in Frankfurt zu erscheinen.
Eine warme Sympathie hatte das Fest vor Allem bei den Deutschen in Amerika gefunden, welche auch in der neuen Heimath treu am Vaterlande hängen. Eine Deputation derselben war sogar über das Weltmeer gekommen, um das Fest verherrlichen zu helfen. Am zweiten Festtag überreichten [543] sie am Gabentempel dem deutschen Schützenbund das Sternenbanner in Gegenwart des Herzogs von Coburg, des Vorstandes des deutschen Schützenbundes, der Comitemitglieder und einer großen Anzahl Schützen und Festtheilnehmer. Mit der größten Hochachtung vor dem deutschen Volke, das überall voran ist, wo es die wahren Interessen der Civilisation zu vertreten gilt, das jetzt in Amerika in den Kampf für Freiheit und Recht Hunderttausende von Streitern gestellt hat, sprach Generalconsul Murphy in englischer Sprache. Der deutsche Schützenverein in Philadelphia hatte eine Adresse gesandt, die bei der Fahnenweihe verlesen wurde. Dies Schreiben ergriff alle Anwesenden durch den echt deutschen Sinn, die Herzlichkeit und Freimüthigkeit, die es durchwehte. Unter Anderem heißt es darin:
„Auch inmitten der schweren Prüfung, mit welcher jetzt unser amerikanisches Vaterland heimgesucht ist, und inmitten der schweren Pflichten, welche uns dieselbe auferlegt, vergessen wir nicht das deutsche Vaterland. Mit Jubel begrüßen wir die Stiftung eines großen deutschen Nationalschützenbundes! So ist es recht! Die Wehrhaftigkeit einer Nation ist ihr einziger Schutz, ihre einzige Macht nach innen und außen, und daß Nichts so sehr eine solche hebt, wie die Schützen-Vereine, das beweist uns die gepriesene Schlagfertigkeit der Bürger unsrer freien deutschen Städte in frühern Zeiten, und die Geschichte und die Volkswehr der Schweiz. Die Vereinigung aller deutschen Schützen-Vereine zu einem großen Nationalbunde ist uns sichere Gewähr, daß das deutsche Bewußtsein in mächtigem Voranschreiten ist. Sobald auf der Fahne aller deutschen Patrioten das Motto zu lesen sein wird: „Freizügigkeit in ganz Deutschland!“ so wird das deutsche Bürgerthum aus den Ruinen der Kleinstaaterei sich mit Macht erheben, und ihm wird Eure Fahne mit der Inschrift: „Allgemeine Wehrhaftigkeit!“ siegreich voranschreiten, zur Begründung des neuen Volksstaates der deutschen Union. Glück ans! theure Landsleute und Waffenbrüder! Voran aus der schweren Bahn, die Ihr so muthig betreten! – Möge auch für Deutschland die Zeit bald anbrechen, wo als Unterbau für ein einiges Volksreich fest begründet ist: Einheit des Maß-, Münz- und Gewichtssystems, Handels- und Gewerbefreiheit und Freizügigkeit ohne alle Paß- und Polizeibehinderung im ganzen deutschen Vaterlande. Der Staat, der aus solcher Grundlage errichtet wird, steht fest ohne Wanken – ihn erschüttert kein Sturm von außen oder innen – und Volksheer auf Volksheer erhebt sich freiwillig in der Stunde der Gefahr für seine Vertheidigung, seine Macht, seinen Ruhm und seine Größe. Denn seine Erhaltung ist die Erhaltung der Wohlfahrt Aller. Unsere Union giebt davon das Beispiel!“
Tags darauf übergaben die Schweizer das eidgenössische Kreuz an den Frankfurter Schützenverein, das jedoch Dr. S. Müller dem ganzen Deutschland gewidmet wissen wollte und es so entgegennahm. „Nicht in den Farben der Cantone erscheinen wir hier; nein, wir sind Bürger eines Landes, denn für uns giebt es nur eine Schweiz, wie es für Euch Deutsche nur ein Deutschland giebt. – – Euch, deutsche Schützenbrüder, Euch, Bürger Frankfurts, Dir, Deutschland, Du Vaterland der Denker und Dichter, Euch Allen, die Ihr aus allen Weltgegenden Germaniens zu diesem Nationalfest geeilt seid, reichen wir die Bruderhand. Die freie Schweiz ist gekommen, mit dem freien Deutschland sich zu verbrüdern.“
Das war ein offenes, aufrichtiges Manneswort und ans solchem Munde doppelt werthvoll. Die Schweizer wissen, was sie wollen. In diese dargebotene Bruderhand eines Volkes, das sich eines festen, geordneten Staatswesens und freien Bürgerthumes erfreut, dürfen wir getrost einschlagen und wir haben eingeschlagen.
Kaum waren die preußischen Abgeordneten abgereist, am vorletzten Festtag, als gegen Abend am Gabentempel auch die Wiener dem Schützenbunde eine Fahne übergaben. Die Wiener Fahne zeigt auf der Vorderseite das reich in Gold gestickte Wappen der Stadt Wien auf weiß-rothem Seidengrunde, rückwärts aber auf dem Felde von grüner Seide eine Scheibe auf zwei Stutzen ruhend, mit goldgesticktem Eichenlaub umschlungen und auf Blättern die Namen der Schießstände in der nächsten Nachbarschaft von Wien tragend. Der Schaft endet in einer reich vergoldeten Hellebarde mit dem Reichsadler. Der Redner, der die Fahne übergab (Stuböck aus Wien), betonte besonders die Liebe, mit der die größte Stadt Deutschlands an Deutschland hänge und verwahrte sich nochmals im Namen Deutsch-Oesterreichs gegen das „Schmerzenskind“, fügte aber zugleich hinzu: „Wir Deutsche in Oesterreich haben einen schweren Stand, da wir umringt sind von verschiedenen Nationalitäten. Sind wir erst zur vollen Geltung gekommen, dann werden wir auch mit Macht eintreten.“
Noch eine Fahnenübergabe hat stattgefunden keine freudvolle, aber eine tief erschütternde. An einem düstern, regnerischen Abend zog unter Anführung eines umflorten Banners die rüstige Turnerschaar der Schleswig-Holsteiner nach dem Gabentempel. Von seinen Stufen herab sprach Graf Baudissin mit jenem heiligen Zorne, den das Bewußtsein des Rechts und das Gefühl erlittener Schmach eingiebt, von dem Schandflecke, der auf dem deutschen Namen haftet und den wir dem Geiste jenes Hauses in Frankfurt verdanken, das jetzt auch mit den deutschen Farben zu liebäugeln anfängt. „Wollt Ihr mir versprechen, diese umflorte Fahne zu ergreifen, sobald die Stunde ruft, und nicht eher zu rasten, als bis Ihr sie uns zurückgebracht habt, und bis an der Stelle des schwarzen Flores die deutschen Farben wehen werden?“ Und ein tausendstimmiges Ja machte die Lüfte erzittern. „Darf ich meinen Landsleuten die Versicherung geben, daß sie auf die deutsche Jugend zählen können?“ – „Ja, ja, das dürfen Sie!“ erschallte es wieder in begeistertem Chorus. Das war ein Schmerzensschrei in all den Jubel und die Festfreude hinein, der so lange Nachhallen möge’ bis diese große, die größte Schuld Deutschlands getilgt ist ans dem Schuldbuch der Geschichte.
Noch eines Theiles der Festgeschichte, der nicht wenig dazu beitrug, die Gemüther zu heben und dem Feste den echt deutschen Charakter zu wahren, dürfen wir nicht vergessen, des Antheiles, den die Kunst, den der Gesang an dem Feste hatte. Schützen, Turner und Sänger – diese Trias ward während des Festes in unzähligen Gedichten und in Inschriften als der wahre Mittelpunkt aller Bestrebungen der Gegenwart gepriesen – sie war beim Feste selbst in der schönsten und förderlichsten Weise verkörpert. Der Antheil, den die Turner nahmen, ohne die das erste Bundesschießen kaum zu ermöglichen gewesen wäre, ist schon früher berührt und gewürdigt worden. Aber auch die Sänger haben das Ihrige gethan und das ernste Streben und seine hohen Ziele im Liede verherrlicht. Schon am zweiten Festtage traten die verbündeten Männergesangvereine der Stadt (700 Sänger) auf einer eigens zu den Gesangesaufführungen gebauten Bühne zusammen und ließen ihre kräftigen vaterländischen Weisen über die Häupter einer Zuhörerschaft, die sich nach Zehntausenden zählte, dahinbrausen. Dem gesungenen Worte, das nicht Alle vernehmen konnten, kam das auf weite Entfernungen hin sichtbare lebende Bild zu Hülfe, zuerst die „Wacht am Rheine“.
Den Hintergrund des Tableau’s bildete die Gegend bei Caub am Rhein. Schützen stehen auf Vorposten. Da gewahrt der Posten den Feind. Es wird lebendig, die Wache verstärkt sich. Der Feind kommt näher, und man beschließt den Angriff. Mit gefälltem Gewehr ziehen die Schützen dem Feinde entgegen unter dem Klang der beiden Schlußstrophen des Liedes. Das zweite Bild, ein Barde in bengalischer Beleuchtung, erschien bei der mit Enthusiasmus aufgenommenen Hymne von Heinrich Neeb: „Frisch auf zum Siegen,“ eine Composition, die schon beim vorjährigen Nationalfeste in Nürnberg Tausende von Herzen entflammt hatte. Die verbündeten Männergesangvereine brachten dann noch an einem andern Festabend das mit vielem Beifall aufgenommene „neudeutsche Schützenlied“ von Friebel und verschiedene Chöre zur Aufführung. Wieder ein anderer Abend war durch den Frankfurter „Liederkranz“ würdig ausgefüllt. Er brachte ein Festspiel von Dr. H. Weismann mit Chören seines Dirigenten Gellert zur Aufführung, welches in hochpoetischer Weise dem Einheitsgedanken des Festes zum Ausdruck verhalf und dadurch eine besondere Weihe erhalten hatte, daß Fanny Janauschek vom Hoftheater zu Dresden, die hochgefeierte Tragödin, einst der Stolz der Frankfurter Bühne und der Liebling des Publicums, die Rolle der Germania übernommen hatte. Ihre majestätische Erscheinung, ihr machtvolles Organ und ihr schwunghafter Pathos einten sich zu einem Bilde der Germania, das einen gewaltigen Eindruck machte und einen namenlosen Jubel unter der andächtig lauschenden Menge hervorrief.
So war jeden Abend dafür gesorgt, daß die vielen Tausende, welche bis spät in die Nacht den hell strahlenden Festplatz erfüllten und nur zum kleinsten Theile in der Festhalle Platz finden konnten, Aug’ und Ohr anregende Unterhaltung fanden. Zu verschiedenen Malen wurden auch großartige Feuerwerke abgebrannt mit bengalischen Beleuchtungen des Platzes, welche von magischer Wirkung waren.
Der weite Festplatz vermochte die zahllose Menge der Festgenossen nicht alle zu fassen. Es war daher sehr gut, daß dieselbe aus einem zweiten viel größeren Raume, auf der Bornheimer Haide, wo kein Entrée erhoben wurde, sich nach Lust ausbreiten konnte. Hier war eine ganze Stadt von Wirthschafts- und Verkaufsbuden und von Sehenswürdigkeiten aller Art entstanden, und ein echt volksfestliches Treiben in großartigem Maßstabe spielte sich hier zwei Wochen hindurch vom frühen Morgen bis zum späten Abend in ununterbrochener Bewegung ab. Da fehlte auch nichts, was zu einem großen Jahrmarkt gehört, vom Kunstreitercircus bis zum Kasperle-Theater, Caroussels, Mordgeschichten, Seiltänzer, Wahrsagerinnen, Schießstände, Harfenistinnen und Riesenschweine. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend tobte, schwirrte und sauste es auf dieser Haide wie in einem Riesenbienenkorbe.
So war unter Spiel und Ernst das Ende des schönen Festes herangenaht. Schon in der Mitte der Festwoche und noch mehr in der zweiten Hälfte derselben waren die meisten Gäste wieder von dannen gezogen, alle voll des Lobes über die treffliche Anordnung und Leitung des Festes durch das Comite, und voll des Dankes für die überaus herzliche und gastfreundliche Aufnahme, die sie gefunden hatten. Die am weitesten hergekommen waren, blieben am längsten da, – die Oesterreicher und die Tyroler. Am Abend des 21. feierten sie in der Halle ihren Abschied. Sie jodelten und sangen Alpenlieder, daß es eine Lust war.
„Frankfurt, du, du bist mei Freud’!
Da hab’n d’ Madeln sakrisch Schneid.
Zwar giebt’s keine Gamslen zu derjagen,
Aber Becher zum Vertragen.“
Und unter einem lustigen Jodler flogen die Hüte in die Luft, und die ganze Halle gerieth in freudige Bewegung.
Des andern Tages – eben hatte um 4 Uhr die Preisvertheilung stattgefunden – holten die Baiern und die Tyroler ihre Fahnen in der Halle ab. Die Scheidestunde war gekommen. Manchem schmucken Hochlandssohne stahl sich da ein salziges Tröpflein hinter die Wimpern, – aber er wischte es weg und verjubelte seinen Trennungsschmerz in desto lauteren Juchschroa’s. Eben hatten sich die Tyroler und die Oesterreicher unter ihre Fahnen geschaart und zum Abzug angeschickt, als Einer rief: „Wir begleiten die Tyroler nach der Bahn! Wer geht mit?“ Gesagt, gethan. Im Nu hatte sich ein improvisierter Zug gebildet, Comitémitglieder, Turnerschützen Turnerknaben, Publicum und – nicht zu vergessen, die Festjungfrauen die bei der Preisvertheilung noch einmal im Festornate zugegen gewesen waren, Allen voraus die Münchener Musik. Unter Gesang und Musik ging’s durch die Stadt. Die Kränze waren zwar schon verwelkt, aber die Herzen noch frisch. Die Fenster flogen auf, und manche Schöne warf „ihrem Schützen“ noch eine Kußhand und ein duftendes Sträußlein zu, das dieser mit seinem Preisbecher auffing. Wie eine Lawine vergrößerte sich der Zug, bis er endlich am bairischen Bahnhof angelangt war. Hier gab es rührende Abschiedsscenen. Das Händedrücken und Umarmen wollte kein Ende nehmen. Eine der Festjungfrauen, und noch dazu eine protestantische, gab einem Tyroler, der sie darum bat, auf Geheiß des [544] Festvorstandes Dr. Sigmund Müller einen Kuß für das ganze Land Tyrol. Was der Herr Bischof von Brixen zu diesem Ketzerkuß sagen mag, und ob sich das Land Tyrol dieses Friedens- und Versöhnungskusses erinnert, wenn die treue Heerde von den geistlichen Oberhirten wieder zu einer Protestantenhetze aufgeboten wird?
Es bleibt uns nur noch übrig, aus der langen Reihe von Preisgekrönten die Namen der ersten Preisträger auf den einzelnen Festscheiben anzuführen. Leider können wir auf eine nähere Beschreibung der herrlichen Ehrengaben, welche im Gabentempel während des ganzen Festes die sehnsüchtigen und bewundernden Blicke vieler Tausende auf sich zogen, hier nicht weiter eingehen. Die schönsten und werthvollsten derselben, wie das Nationalvereins-Trinkhorn und den Wiener Pokal, findet der Leser auf der Illustration der Gartenlaube.
Die ersten Preise gewannen: Auf der Feldfestscheibe „Heimath“ August Böllert in Düsseldorf. 1000 Festthaler, Ehrengabe der Stadt Frankfurt (Werth fl. 1750). – Auf der Feldfestscheibe „Schill“ Joseph Feldmann aus Glarus. Ein silbernes Trinkhorn, Ehrengabe von Herzog Ernst (Werth fl. 368). – Auf der Feldfestscheibe „Palm“ Kaufmann Weber in Hausen (Schweiz). Oelgemälde vom Turnerbund in Baiern. (Werth fl. 500). – Auf der Feldfestscheibe „Andreas Hofer“ Fridolin Schwitter aus Neffles (Glarus). Ein silbernes Besteck, Ehrengabe des alten Bürgervereins in Frankfurt. (Werth fl. 400). – Auf der Feldfestscheibe „Körner“ von Suri in Köln. Ein silbernes Trinkhorn von den Schützen in Wien. (Werth fl. 700). – Auf der Standfestscheibe „Deutschland“ Holzhändler Bechtel in Hanau. Elfenbeinpokal der Stadt Wien. (Werth fl. 1300). – Auf der Standfestscheibe „Rhein“ Revierförster Enslin aus Schwäbisch-Gmünd. Ein silberner Pokal vom Liederkranz in Frankfurt. (Werth fl. 400). – Auf der Standfestscheibe „Donau“ Schlosser Bergmann aus Innsbruck. Eine Whitworth-Büchse von den Deutschen in Manchester. (Werth fl. 500). – Auf der Standfestscheibe „Elbe“ Küfermeister Spamann aus Ravensburg (Würtemberg). Ein silberner Tafelaufsatz von den Deutschen in Prag. (Werth fl. 750). – Auf der Standfestscheibe „Weser“ Metzger Hausmann aus Ellen (Schweiz). 100 Ducaten vom Fürsten Thurn und Taxis in Regensburg. – Auf der Standfestscheibe „Oder“ Fabrikant Faller aus Lenzkirch (Baden). Ein goldner Pokal von der Schützengesellschaft in Coblenz. (Werth fl. 105).
Das zweite deutsche Schützenfest findet nach dem Beschluß des Schützentages in Bremen statt. Hoffen wir, daß bis dahin das erste schon seine reichen Früchte für das Gesammtleben der Nation getragen habe!
Fr. D. in Stadtberge. Ihre Verse für „die verlassenen Brüder“ sprechen dasselbe aus, was wir so oft in Prosa gesagt haben: Es wird für die Schleswig-Holsteiner vielleicht nicht zu viel gesungen und geredet, aber sicherlich zu wenig gegeben. Das wiederholen wir hiermit und glauben damit, auch ohne den Abdruck Ihres Gedichts, Ihrem Wunsche nachzukommen. Ebenso wollen wir nicht mit Hülfe der Poesie „zum Schwert“ greifen lassen.
Frau X. X. in B. Wenn wir Ihren Brief, dessen Inhalt sich um den Hauptpunkt dreht: „Wie können sich denn so viele Menschen vermessen wollen, in’s Regieren hineinzureden, das sie nicht gelernt haben?“ mit Ihrer Namensunterschrift drucken ließen, so dürften Sie aller Wahrscheinlichkeit nach sehr bald mit einigen Orden geschmückt werden. Das genüge Ihnen als Antwort, wie es jedenfalls auch für unsere Leser deutlich genug gesprochen ist.
Anonymus. Wir wiederholen, daß alle Einsendungen, die auch gegen die Redaction Anonymität spielen, ohne irgendwelche Berücksichtigung in den Papierkorb wandern.
Das gilt auch Ihnen, Herr oder Frau oder Fräulein R. O. P. in Berlin, mit Ihren „Sonntagsgedanken“.
Ebendeshalb: P. S. in L. – Visir auf! Wir müssen allezeit wissen, wer durch uns sich an die Leser der Gartenlaube wenden will. Es drängt sich jetzt oft so viel Verdächtiges an die freie Presse heran, daß wir diese Vorsicht und Strenge unserem Publicum schuldig sind.
C R. in L. bei S. Ein baierisches Artilleriebild aus dem badischen Bürgerkrieg, ein Stückchen Geschichte, das wir gern mittheilten, wenn der Inhalt schließlich doch nicht zu dürftig würde.
Den Herren Verfassern zweier Einsendungen, „Die Schützenfeste“ und „Pariser Briefe“, deren Namensunterschriften wenigstens für eine Briefadresse nicht lesbar genug geschrieben sind, bemerken wir hier, daß die Manuscripte zur Verfügung stehen.
Th. R. in Innsbruck. Ihre „Vagabunden“ sind, nach Ihrem Wunsche, vernichtet worden.
M. 21. Berlin. „Berliner Briefe“ erhalten wir schon übergenug. Ihre kleine Mittheilung über „J. Mosen und den Berliner Handwerkerverein“ eignet sich besser für die Tagespresse. Sie steht zur Verfügung.
J. M. R. 311. „Ein Ostermorgen“, vielleicht einmal zu brauchen; Ihre sogenannten historischen Berichtigungen sind werthlos.
sind ferner (bis zum 11. August) eingegangen: 46 fl. rhn. von dem Vororte des pfälzischen Turnerbundes als Ertrag einer Sammlung in den Turnvereinen: Kaiserslautern 11 fl. 23 Xr., Neustadt 8 fl. 2 Xr., Frankenthal 6 fl., Zweibrücken 4 fl., Speyer 2 fl. 10 Xr., Grünstadt 2 fl., Kusel 2 fl., Edenkoben 1 fl. 40 Xr., Ludwigshafen 1 fl. 45 Xr., Dürkheim 1 fl. und Maikammer 1 fl., sowie von einem „alten Batterie-Cameraden“ in Kaiserslautern 5 fl. mit dem Motto: „Deutschem Geist und deutscher Kraft – Deutscher Kunst und Wissenschaft“, übersendet durch H. Weber in Kaiserslautern; – 2 Thlr. 8 Ngr. 2 Pf. gesammelt den 25. Juni beim Königsschießen in Siebenlehn, durch C. Ruscher, Vorst.; 2 Sgr. aus A. bei B. „von einem armen Teufel“ mit dem Motto: „Wenig mit Liebe“; 7 Thlr. 15 Ngr. von den Abonnenten der Gartenlaube zu Cüstrin, durch E. Erich; 5 Thlr. vom Turnverein zu Zwönitz, durch J. A. L. Kochern, Turnw.; 2 Thlr. von einigen deutschen Knaben in Lübeck; 2 Thlr. von A. S. in Wülfinghausen (K. Hannover); 1 Imperial (5 Thlr. 15 Ngr. 5 Pf.) von sechs deutschen Locomotivführern der Peterhofer Eisenbahn, durch C. Wahl in St. Petersburg; – 38 fl. österr. W. von mehreren Bewohnern der Stadt Leitmeritz in Böhmen, durch Bäckermeister B. Hlawaizek; 3 fl. 42 Xr. rhn. von einer Landpartie nach Bergen, durch Buchh. Klein in Hanau; 5 Thlr. 9 Sgr. Namens des preuß. Flottenvereins zu Beneckenstein im Harz, durch den kgl. Kreisrichter Breusche; 1 Thlr. 15 Sgr. ges. in Hohenleuben durch Amtsactuar Eisel das.; 7 Thlr. ges. in dem Gewerbe- und Bürgerverein, durch Weinknecht; 2 Thlr. ges. bei einer Abschiedsbowle in Halver (Westphalen); 10 Thlr. vom Gewerbeverein zu Crimmitzschau; 1 Thlr. von der Gesellschaft Eintracht in Pausa, durch den Vorst. Lohmeyer; 1 Thlr. Ueberschuß einer Turnfahrt in Plauen; 1 Ducaten und 4 Thlr. 5 Ngr. ges. in Bernstadt in Schlesien, durch H. v. Blandowsky das.; 2 Thlr. gesamm. bei der Pilz’schen Hochzeit in Reichenbach in Schlesien, durch Alex. Herrmann in Königszelt; 4 Thlr. 7 Ngr. ges. von 21 Lesern der Gartenl. in Seifhennersdorf, durch Kirchschullehrer Jacob das.; 4 Thlr. 3 Ngr., ges. bei einer heitern Zusammenkunft der Gesellschaft Ressource in Greiz, m. d. Motto: „Tief von des Meeres düsterm Gründe – erheben Schätze sich an’s Licht, Drum, Deutsche, reicht die Hand zum Bunde – vergeßt des Deutschen Bauer nicht!“ 1 Thlr. ges. bei der Turner-Fahnenweihe in Ludwigshafen, durch M. Gebhard; 1 fl. rhn. von Fr. Carl Müller in Oberursel; 7 Thlr. 25 Ngr. ges. unter den Beamten der Subdirection einer Feuerversicherungs-Gesellschaft in Berlin, durch H. L. Steinthal; 5 Ngr. von Hr. Dr. K. in Plauen; 3 fl. österr. W., ges. von einer kleinen Abendgesellschaft zu Tiefenbach, durch W. Sch. in Dessendorf; 1 Thlr. von Rittergutsbesitzer Pister in QUednau; 1 Thlr. von E. Weimar in Jena; 1 Thlr. 3 Ngr. abermals von einigen Turnern in Wesel, durch H. Brücker das.; 1 Thlr. von einer Leserin der Gartenlaube; 20 Thlr. „als einen kleinen Beitrag zu einer deutschen Ehrensache, ges. auf dem ersten Turnfeste der Herzogthümer in Rendsburg am 14. Juli,“ übersandt durch Adv. P. L. Gottburgsen das.; – 40 Thlr. von den Deutschen in Odessa, durch Emil Berndt, welcher einen Aufruf an seine Landsleute in jener Stadt am Schwarzen Meer erließ, aus dem wir folgende Worte mittheilen müssen: „Wilh. Bauer bedarf vorläufig nur die geringe Summe von 12,000 Thlr., um ein Werk auszuführen, welches für die gesammte Menschheit von unberechenbarem Nutzen sein wird. Es wäre ein Hohn für das ganze deutsche Volk, wenn es sich auch diesmal von den praktischen Engländern um den Ruhm dieser deutschen Erfindung bringen ließe, wodurch selbstverständlich, nach alter Weise, der Erfinder selbst um seine schwer verdienten Früchte betrogen würde. Ich lasse also hiermit die Bitte an Sie ergehen, zur Unterstützung unseres Wilhelm Bauer eine Gabe nach Kräften zu opfern, wodurch wir zugleich den Deutschen „im Reiche“ thätlich beweisen, daß auch in uns noch ein Herz für Deutschlands Ehre schlägt.“ Gruß und Dank solchen Landsleuten!
Ueber das Gesammtergebniß der bisherigen Sammlungen berichten wir nächstens in einem besondern Artikel. Die Summe dieser (18.) Quittung beträgt 142 Thlr. 27 Ngr. 7 Pf., 41 fl. österr. W. und 50 fl. 42 Xr. rhn.
Bei Ernst Keil in Leipzig ist erschienen:
Vorschuß- und Creditvereine
als Volksbanken.
Preis 1 Thlr.
Wenn seit dem Erscheinen der zweiten Auflage dieses Buches die Zahl und die Bedeutung der Vorschuß- und Creditvereine in außerordentlicher Weise und ohne Unterbrechung zugenommen, die Bewegung sich über ganz Deutschland ausgebreitet hat, so ist rücksichtlich der inneren Ausbildung, der immer solideren Begründung dieser nützlichen Institute geradezu eine neue Epoche für sie eingetreten. Die gegenwärtige Auflage ist daher wiederum vollständig umgearbeitet und ein ganz neues, um circa 8 Bogen vermehrtes Buch, wie es nothwendig war, um dem neuen Sachstande zu entsprechen.
- ↑ Rudolf Friedrich Kurz (1818–1871), Schweizer Maler