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Die Gartenlaube (1862)/Heft 19

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1862
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[289]

No. 19.   1862.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Zweimal gelebt.

Einer wahren Begebenheit nacherzählt
von Günther von Freiberg.
Motto: „Hoffe doch bei mir noch zu erwarmen
Wärst Du selbst mir aus dem Grab gesandt!“
(Goethe, Braut von Korinth.)
1.

Die nordische Novembernacht erreicht ihren Höhepunkt von Unheimlichkeit, Frost und Nässe in London, wo der weltbekannte Nebel sich wie ein großes Leichentuch über Strom und Straßen breitet. Die Themsestadt im Spätherbst, nach Mitternacht, gewinnt ein förmlich gespensterhaftes Ansehen. Sobald die gasstrahlenden Magazine geschlossen, verwandelt sich die Residenz in den vollständigen Schauplatz jener haarsträubenden Gauner- und Mordgeschichten, in denen Jack Sheppard’s „Nebelritter“ eine so wichtige Rolle spielen. Besonders ist gewissen Stadtvierteln eine so schauerliche Stille, eine so trostlose Oede eigen, daß der vereinzelte Nachtschwärmer sich eines unwillkürlichen Grauens nicht erwehren kann, muß er sie in später Stunde passiren: kein erleuchtetes Fenster weit und breit; hier und da, in großen Entfernungen, schimmern bleiche Laternen spärlich durch die bleigraue Atmosphäre; der Pfiff des Wächters tönt nicht bis dahin; kein Wagen rollt vorüber – nur die dumpfen Schläge einer Thurmuhr unterbrechen mit geisterhaftem Dröhnen die Todtenstille, nur auf den hohen Dächern seufzen die alten Wetterfahnen gar kläglich im Winde. „Das ist die wahre Spukezeit der Nacht,“ sagt der Engländer mit Hamlet, hüllt sich fröstelnd in den naßbestäubten Mantel, umschließt kräftiger den bleigefüllten Knopf des Stockes und eilt mit seinen „langen Hacken“ so schnell als möglich eine belebtere Gegend zu erreichen.

Solch eine öde und traurige Straße ist die Bond-Street. Obgleich zahlreich bewohnt, herrscht doch auf ihren Wegen und Stegen eine auffallende Oede, die, je später es wird, um so mehr zunimmt. Gerade deshalb wird sie gern von Gelehrten und Aerzten bewohnt, die sich dort ungestört den Studien überlassen oder sich von ihnen ausruhen können, und dem Forscher, dem Nimmermüden, ist solch eine lange, klamme Novembernacht gerade willkommen, wo er bei der Lampe hinter dichtgeschlossenen Läden über sein Werk sinnt und brütet.

Einer dieser rastlos Thätigen wachte um zwei Uhr gegen Morgen in einem zweistöckigen Hause der obengenannten Straße. Es war ein warmes, trauliches Gemach, vom gedämpften Schein der Arbeitslampe erhellt; auf grünseidner Tapete hingen werthvolle, alte Oelgemälde in geschnitzten Rahmen aus Ebenholz; längs den Wänden liefen Bücherbreter, die Tausende von schweren Bänden enthielten; aus den dunkelüberzogenen Möbeln, über den moosfarbenen Teppich gestreut, lagen Manuscripte, einzelne Hefte von Zeitschriften und Broschüren. Da war im ganzen Zimmer kein trivialer Gegenstand, wie Nippes und dergleichen, zu sehen; jedes Einzelne gediegen, von einem gebildeten Geschmack geprüft. Dennoch fehlte jene Anmuth, welche die Nähe eines weiblichen Wesens verräth; Alles war zu dunkel, zu ernst, wie gewöhnlich in Wohnungen, wo Männer allein haushalten. Besonders ließ das Menschengerippe neben dem Schreibtisch darauf schließen, daß der Eigenthümer des Studirzimmers unumschränkter Herr in seinen Räumen sei, denn ohne Zweifel hätte das schöne Geschlecht sich gegen die Anwesenheit des Skelets aufgelehnt. Vielleicht auch gegen die wilde Unordnung, mit welcher chirurgische Instrumente, Phiolen, kleinere und größere Schädel auf den Tischen und Stühlen umherlagen.

Aber ein ordnungsliebendes Weib gab es nun einmal im ganzen Hause nicht, denn der schöne, blasse Mann im schwarzsammetnen Hausrock, der dem Gerippe gegenüber saß, war unverheirathet bis an sein achtunddreißigstes Jahr gekommen. Wie so viele berühmte Männer hatte er, der erste Anatom Londons – dessen Vorlesungen und vielfältige Schriften die höchste Anerkennung genossen – zur Liebe keine Zeit, vollends zum Heirathen keine Neigung gehabt. Seine Feuerphantasie, seine kühnen Ansprüche hatten ihn niemals finden lassen, wovon er in seinen Mußestunden träumte.

In Studien vertieft, führte er, unberührt von der Gesellschaft, sein anstrengendes Leben, wie sehr man es auch bedauerte, daß Oliver bei seinem interessanten Aeußern, dem bedeutenden Vermögen, das sich täglich vergrößerte, so wenig mit der Welt verkehrte. Aber selbst in dieser Zurückgezogenheit übte er einen entschiedenen Zauber auf die Londoner; man erzählte sich, manchen großmüthigen, genialen Zug von ihm; er imponirte den Männern durch seine Kenntnisse, und die Frauen verehrten ihn wie einen „wunderthätigen Magus“.

In jener Nacht schienen Oliver’s Gedanken nicht so ausschließlich wie sonst bei seinen Manuscripten – deren er eins corrigirte – zu verweilen; vielmehr fuhr er öfters hastig von der Arbeit auf, blickte zerstreut nach der Thür, legte die Feder aus der Hand und neigte horchend den Kopf. Hatte er während einiger Secunden gelauscht, so zog er seine Uhr und behielt sie beim Weiterschreiben in der Hand.

Endlich erhob er sich und ging mit untergeschlagenen Armen [290] durch das Zimmer … bald darauf sank er von Neuem in den Stuhl und spielte, ein Raub nervöser Unruhe, mit den Fransen der Armlehne.

„Wie lange das dauert!“ sprach er ungeduldig und riß, ohne es zu wissen, ein Stück Franse von seinem Armsessel.

Kein Gegenstand eines Stelldichein kann sehnsüchtiger erwartet werden, als Oliver zu warten schien. Immer mehr nahm seine Aufregung zu … sein Athem ging sehr kurz … er wischte sich den Schweiß von der brennenden Stirn … …

Da klingelte es leise. Mit der Schnelle des Gedankens stieß Oliver eine Tapetenthür auf, eilte die Treppe hinab an eine Hinterpforte und öffnete behutsam. Mit halber Stimme fragte er in die Dunkelheit hinaus:

„Dick? Jackson? Seid Ihr’s?“

„Ja, ja, Sir! Nur schnell; unsre Bürde wiegt nicht leicht in den Händen und noch weniger leicht auf dem Gewissen –, wenn’s Geld nicht schwerer als Alles wöge!“

Oliver ließ zwei Männer ein, die einen langen Tragekorb angeschleppt brachten.

„Hinauf in mein Zimmer,“ ordnete Oliver an; „Ihr wißt ja Bescheid.“

„Ja, Sir, das wissen wir, so wahr wir ehrliche Todtengräber sind.“

„Und Schurken!“ murmelte der Arzt, „doch gepriesen sei Eure Büberei; was würde sonst aus der Wissenschaft!“

Und er trat aus dem Hause in einen einsamen Hof und spähte durch den Nebel, ob Jemand lausche. Es regte sich nichts; auch war von dem dichten Schleier dieses Nebels jede geheimnißvolle That verdeckt.

Oliver trat wieder in den Flur zurück, verriegelte das Pförtchen und begab sich auf sein Zimmer, wo die beiden Todtengräber soeben eine in Linnentücher gehüllte Leiche auf einen langen niedrigen Tisch niedergelegt hatten.

„Ihr ließet mich warten,“ klagte der Arzt.

„Wir eilten, so sehr wir konnten.“

„Ist’s ein Mann oder eine Frau?“

„Eine Frau.“

„Wie lange in der Gruft gewesen?“

„Kaum zwei Stunden. Spät Abends langte die Leiche auf dem Kirchhof an, begleitet vom Pastor und einer weinenden Lady.“

„Und wißt Ihr, wie sie heißt und wer sie war?“

„Du liebe Zeit! Wenn wir das von Jedem, den wir begraben, wissen sollten! Es ist eine Fremde, die von weit her kam, so viel ich hörte. Eine Einheimische ist es nicht.“

„Gut. Hier sind Eure beiden Börsen. Wie gewöhnlich wird gegenseitig reiner Mund gehalten. Ein Criminalproceß ist eine langweilige Sache, die Haft im Zuchthaus noch langweiliger. – Nun macht Euch fort. Gute Nacht! Wartet, ich werde Euch das Haus aufschließen. – So!“

Der alte Dick flüsterte Oliver beim Fortgehen noch in’s Ohr: „Sie werden zufrieden sein, Sir! So etwas haben Sie nie gesehen! Mir kamen die Thränen in die Augen, als wir die Nuß geknackt hatten und den weißen Kern erblickten. Bald hätt’ ich gemeint, Jackson, der Junge, wäre närrisch über das schöne Weibsbild geworden.“

„Nur vorsichtig, daß Euch Keiner sieht!“

„Nichts für ungut, Herr, das rothseidne Tuch, worin sie eingeschlagen war, hab’ ich mir genommen –“

„Immerhin!“

„Hab’s der Kitty gegeben; das arme Ding hatte sein Lebtag keinen Bettvorhang.“

„Nur fort!“

Die Männer gingen. Voller Ungeduld flog Oliver die Treppe hinan und trat vor den leblosen Körper.

Es überlief ihn, als er die Decke von der Leiche heben wollte. Unwillkürlich ließ er das bereits erfaßte Tuch wieder aus der Hand fallen, eine sonderbare, ihm sonst fremde Erregung bemächtigte sich seiner. Und doch war es nicht das erste Mal, daß die Todtengräber, mit denen er in heimlichem Einvernehmen stand, den Leichenraub für ihn betrieben. Dies gefährliche, aber einträgliche Gewerbe ging in England seinen Gang, trotzdem viele Familien, um sich dagegen zu schützen, des Nachts besondere Wächter an den Gräbern ihrer Angehörigen ausstellten.

Oliver holte zunächst die zur Section erforderlichen Instrumente herbei und goß frisches Oel auf die Lampe. Sodann warf er den Rock ab, streifte die Hemdsärmel auf und lüftete endlich, seine Beklemmung kaum bemeisternd, die Hülle der Todten.

Ein lauter Schrei ob des Entzückens oder des Entsetzens? – entfuhr ihm.

Da lag wie in süßem Schlummer ein zauberhaft schönes, blutjunges Weib vor ihm; wenn auch tief blaß, doch nur mit der Blässe der Leidenden, nicht der Todten. Nur das Gesicht, umflossen von langen, schwarzen Locken, in denen einzelne, welke Rosen hingen, nur die marmorweißen Schultern waren frei; den übrigen Körper, der nicht minder schön sein konnte, hüllten weiße Tücher ein.

„Ist es eine Vision?“ rief Oliver außer sich, und es durchrieselte ihn heiß und kalt. „Mein Gott – mein Gott, wie schön sie ist! – Ein einzig Mal in meinem Leben sah ich ein solches Profil – aber nicht in Wirklichkeit, nur auf der Leinwand – in Paris auf Ary Scheffer’s göttlichem Gemälde Francesca von Rimini. Und dieser Dante’schen Heldin gleicht sie! Welche Tragik um die Brauen, um die Lippen! – Weib, bist Du „im Kusse gestorben“, wie Shakespeare sterben läßt?“

Schweigend starrte er das herrliche Weib an und konnte sich nicht satt sehen an ihren Reizen. Seine Hände zitterten. Wie ein Zauber zog es ihn nieder auf die Kniee an die Seite des schönen Leichnams. „Hab’ ich darum Nächte durchwacht,“ rief er, „darum geforscht und gestrebt, um jetzt nicht einmal im Stande zu sein, diese schöne Hülle durch ein Mittel, durch irgend einen Balsam unentstellt zu erhalten? – Sie zerlegen? Nimmermehr! vor ihrer Schönheit beugt sich meine Wißbegierde.“

Er sank mit dem Kopf auf die eiskalte Schulter der Todten, und drückte seine heiße Fieberwange gegen ihre Stirn. Lange Zeit lag er so; er vergaß die Welt um sich her. „O,“ rief er endlich schmerzzerrissen, „daß ein Wunder geschähe, daß ich im Stande wäre, sie in’s Leben zurückzurufen, – daß mein glühender Athem ihren bleichen Lippen Purpur anhauchte! Daß ein Messias an ihr Lager träte, daß er spräche: „stehe auf und wandle!“ und ich mit ihr fliehen könnte weit – weit von hier! – Grausame Wirklichkeit! Sie läßt uns stets nur Seligkeiten ahnen, und gewährt sie nie!“

In wilder Gluth küßte er die erstarrten Hände der schönen Leiche. „Der einzige heiße Wunsch in meinem Leben, er bleibt mir unerfüllt!“ stöhnte er erschöpft.

Eine Wanduhr, die im Zimmer tickte, erinnerte ihn daran, daß die Zeit nicht still stand und der Tag nicht fern sein konnte. – Eine Anwandlung bittern Trotzes folgte seinem leidenschaftlichen Schmerz. Er warf mit plötzlich wiederkehrender Entschlossenheit die Decke über die Todte und entfernte sich einige Schritte von ihr, dann öffnete er ein Fenster, beugte sich hinaus und sog die kalte Nachtluft ein. Das beruhigte ihn etwas; – er schloß das Fenster und sprach dumpf vor sich hin: „Wo gerieth ich hin? Wo war ich? – Bin ich noch derselbe Oliver, der mit kaltem Blute eherner Festigkeit seine Bahn wandelte? – Lächerlich! Ich stehe im Begriff, eines schönen Gesichtes halber meine Wissenschaft zu vergessen, und wünsche thöricht die Auferstehung eines mir unbekannten Weibes. – Nicht da hinaus! Noch bin ich nicht völlig von Sinnen!“ –

Und mit fest aufeinander gepreßten Lippen nahm er das blinkende Messer vom Boden auf, zog mit fester Hand die Hülle von der Leiche und wollte das Werk der Zerstörung beginnen – – da – - - all ihr Götter! zuckt ihre Wimper ....

Dieses Mal hat Oliver keine Kraft mehr aufzuschreien; – ein Gefühl namenloser Angst und rasenden Entzückens schnürt ihm die Kehle zu; – noch hält er das Messer konvulsivisch in der Hand, - - siehe! die Mundwinkel der Scheintodten beben – –

Kaum daß Oliver noch so viel Besinnung hatte, zu einem Becken kalten Wassers zu schwanken, beide Hände hinein zu tauchen und sich die Schläfen zu netzen, um seiner Sinne Herr zu werden, denn er glaubt sich von einem wüsten Traum bethört. Unsichern Blickes tritt er zu der Auflebenden – es ist kein Traum, - - sie holt Athem - - das Blut strömt warm durch ihre Adern - - Oliver schleudert das Messer weit von sich, schließt jubelnd, lachend und schluchzend das schöne Weib in die Arme und erspäht trunken ihren ersten Blick und legt seine Hand auf ihr klopfendes Herz. Dann, mit heißer Inbrunst auf die Kniee stürzend, ruft er unter strömenden Thränen: „Sie lebt! Allmächtiger Gott, sie lebt!!“

Aufspringend, sie umfassend, trägt er die holde Last aus dem [291] dumpfen Studirzimmer in ein freundlicheres Nebengemach. Hier beobachtet er, beim Schein des anbrechenden Tages, wie sie sich ferner erholt. Eine unendliche Seligkeit strahlt aus seinen Blicken.

„Wag’ es Einer,“ bebten seine brennenden Lippen, „Dich mir wieder zu entreißen! Für mich haben sie Dich aus der kalten Erde geholt, – einzig mir bist Du bestimmt. Mögen sie, die Dich verloren, um Dich trauern, ich kann Dich ihnen nicht zurückgeben. Ich begehe ein Verbrechen, doch müßte ich die Kraft eines Gottes besitzen, um hier zu widerstehen! Ich bin nur ein Mensch, – ich kann, ich will nicht größer sein! – Der Scheintod, wie die Erfahrung uns lehrt, vernichtet das Gedächtniß; o laß es ganz erloschen sein. Du Himmlische! Laß nur mich fortan in Deinem Herzen leben! – London, fahr wohl! Ruhm und Wissenschaft, fahrt hin! Ich flüchte mich in ein Blumenparadies und wünsche nichts mehr auf Erden, als selige Verschollenheit!“ - - -

Als das purpurne Frühroth das Gemach mit einer Strahlenglorie übergoß und ein warmes Rosenlicht auf die Wangen der in’s Leben Zurückgekehrten hauchte, richtete diese sich empor und sank in die offenen Arme Oliver’s, lächelnd, verklärt, als wäre sie seit lange ihm zu eigen gewesen.


2.

„Schönes Damaskus! Wie ein Smaragd aus der Einfassung gelber Topase hebst du dich mit deinen grünen Palmen, deinen Federn und Maulbeerbäumen aus dem goldnen Sand der syrischen Ebene empor! Weithin erschimmern deine Paläste, deiner Moscheen funkelnde Minarets, und mit silbernen Armen umschließt der Baradâ deine rosenduftigen Gefilde, du Stadt der Khalifen und Fatimiden, du Stadt der bunten Bazare, der üppigen Bäder, der glänzenden Waffen – schönes Damaskus, welches Abulseda für das erste der vier irdischen Paradiese erklärt! –

„Selig, wer durch deine Thore einzog! Selig, wer el Guta gesehen, den meilenweiten Garten, der deine Mauern umgrenzt, worin das Getreide reift unter dem Schatten der Bäume! Selig, wer in den Wallnußalleen, am fluthenden Quell die Königin der Früchte, die Aprikose von Damaskus genossen, wer in den Weinbergen die Traube gepflückt, die Zeni-Traube, die während sieben Monden am sengenden Kusse der Sonne reift! – O Allgütiger, o Allwissender, segne unser schönes Damaskus, Allah!“

Diese Strophen recitirte ein singender Bettler zu Damaskus vor einer eleganten Kaffeehalle unweit der Paulus-Krypte, wo sich zur Zeit des Nachmittaggebetes Hunderte von Menschen versammeln, die kühlere Tageszeit, jeder auf seine Weise, zu genießen. Ein buntes, wüstes Treiben, aber pittoresk und farbenblendend! Dichter gedrängt, als auf dem Toledo zu Neapel, hastiger und mannigfacher, als in den Straßen Constantinopels, wälzt sich der unabsehbare, engverstrickte Menschenknäuel über die Märkte und Gassen der syrischen Hauptstadt an dem Zuschauer vorüber. Die phantastischen Bilder einer Laterna magica sind nicht so überraschend, wie die wechselnden Gruppen jenes wirbelnden Straßengewühls, durch welches der gelbe Aegypter sich mit der Elasticität einer Schlange windet, während er seine schlagfertigen Witzworte rechts und links an die ambulirenden Krämer vertheilt, die ihre Esel mühsam vorwärts ziehen, den „Markt der Sattler“ zu erreichen.

Dazwischen klappert der Limonadenverkäufer mit seinen metallenen Tassen, deren ihm fünf Stück an den Fingern seiner rechten Hand herabhängen, und ruft oder singt dazu in langtremulirendem Tone: „Erfrische dein Herz! Lösche die Hitze!“ bis ein verdursteter Neger oder ein bestaubter Pilger aus Mekka von dem Fruchtsaft begehrt. Noch lauter preisen die Brod- und Obstverkäufer ihre Waare an, die unterwegs an die Diener und Dienerinnen der Vornehmen das Meiste absetzen und mit dem Rest einen Platz unter den Hallen der Khans einnehmen, inmitten der Topfstricker, Zigeuner und Wasserträger. Durch diese lebendige, gesticulirende, schreiende Menge zieht der edle Beduine von Palmyra stumm und stolz seinen Pfad; ernst und gemessen wie ein Bibelkönig schreitet der herrliche Sohn der Wüste in stiller Majestät einher, und manch ein Damascener Stutzer in hochrothem Burnus blickt mit Neid auf die hohe, gebietende Erscheinung des Steppenbewohners, während der Türke in Kaftan und Tarbusch und der Kurde im gestickten Kleide mißtrauische Blicke auf den Schweigsamen werfen, der langsam den Kameeltreibern, den bewaffneten Bauern, den schlanken Maroniten folgt, bis ein Trupp musicirender Soldaten die Aufmerksamkeit von ihm ablenkt.

Und mitten in diesem brausenden Geschwirr singt der Bettler an jedem Nachmittag das Loblied auf seine Stadt: „Schönes Damaskus! Wie ein Smaragd aus der Einfassung gelber Topase hebst du dich aus dem goldnen Sand der syrischen Ebene empor!“ – –

Auf eben dieses Lied lauschte an eben diesem Orte eine Anzahl rauchender oder Mocca schlürfender Turbanträger und Europäer, die sich an einem Novembertage, wie gewöhnlich, unter der großen Kaffeehalle versammelt hatten.

Ein November in Damaskus ist heißer, als ein nordischer Juli; führen auch die Nächte Regenschauer und Stürme herbei, die Bäume der Landschaft grünen und blühen um so frischer und paradiesischer, und zahllose Sträuße, gewunden aus Rosen, Myrthenbeeren und Epheudolden, werden von den Negrillos und abyssinischen Knaben feilgeboten.

Die ernsten Patrizier und bronzefarbenen Scheiks bekümmerten sich wenig um die Blumen, sie wendeten ihre Aufmerksamkeit und ihre Kupfermünzen eher dem Sänger zu. Asad, der Kranzwinder, hatte jedoch seit einiger Zeit einen fremden Sidi (Herr) unter der Halle des Khans bemerkt, der ihm jeder Zeit einen Strauß abkaufte. Diesen guten Kunden zu erreichen, bemühte sich der junge Abyssinier an jenem Novembernachmittage, und schlug sich zu diesem Zweck tapfer durch das Gedränge bis an das Kaffeehaus.

Seinen Henkelkorb aus Weidengeflecht auf dem krausen Lockenkopfe balancirend, trat er bald vor einen jungen Mann, der vereinzelt, ohne aus dem Nargileh zu rauchen, auf dem persischen Teppich saß. Der Fremde trug einen halb orientalischen, halb europäischen Sommeranzug, den schwarzen, weißgefütterten Burnus um die Schultern geschlagen und den Tarbusch (Fez) auf das lichtbraune Haar gedrückt. In seiner ganzen Erscheinung sprach sich deutlich aus, daß er ein Abendländer sei, obgleich seine sanften, regelmäßigen Züge, sein melancholischer Blick an den Beduinen der syrischen Wüste erinnerten.

„Rosenspende aus den Dörfern des Wiesenlandes, o lieber Herr,“ bat Asad mit lieblicher, einschmeichelnder Stimme, indem er vor dem schweigsamen jungen Manne niederkniete und ihm seinen schönsten Strauß darbot; „sieh, Rosen, weiß wie der Schnee der Gebirgskluft Menin – und rothe, purpurn wie Hennah auf den Nägeln der Sultana Ibrahim Paschas!“

Während dieser pomphaften Anrede ließ der schwermüthige Gast des heitern Khans eine Geldmünze in die braune Hand Asad’s gleiten, ohne weder den Knaben, noch seine Blumen anzusehen. Dem abyssinischen Kinde glänzten die Augen vor Lust und Gier; seine aufgeworfenen Lippen stammelten auf italienisch einige Dankesworte, worauf er in die Höhe sprang, seinen Korb schwenkte und in wilden Sätzen wie eine Tigerkatze von dannen lief, unterwegs mit der Zunge schnalzend.

So, in ununterbrochenem, athemlosem Laufe erreichte er das Thor, welches aus Damaskus nach der Guta führt. Außerhalb des Gitters hielt eine junge Negerin auf einem milchweißen kräftigen Esel. Auf diese und den Esel kam Asad nickend und winkend zugestürzt und rief frohlockend schon von Weitem: „Beim Leben unsers Herrn Jehjâ, heut ist es mir geglückt, er hat meine Rosen!“

Bedenklich blickten die sengenden Augen der Schwarzen durch den rothblumigen Gesichtsschleier, indem der redselige Knabe fortfuhr: „Gieb Acht, Tochter des weißen Nils, in zwei Stunden ist er an Ort und Stelle, – und dann regnet es uns Beiden für jedes italienische Wort einen Fransâwîje (ein Napoleond’or). Wetze den Pfeil deines Züngleins!“

„Sohn des Dämons,“ rief die dunkle Haremszofe, ihrem Begleiter die Zügel des Esels zuwerfend, „nimmer will ich zur Betrügerin an meinem Brodherrn werden. Vergissest Du, daß Schweigen die erste unserer Pflichten ist? Reden ist Silber, doch Schweigen ist Gold!“

„Doch wenn Dir Silber mit Gold belohnt wird, wie dann?“ warf der Knabe hin, in welchem die Geldgier kochte.

„Dann schlag’ ich die Augen nieder, verstopfe die Ohren und bezwinge mein Herz,“ ermahnte die Sclavin, während der Esel sehr langsam unter der Last der Wohlbeleibten und zweier überladener Marktkörbe vorwärts zu schreiten begann.

[292] Asad zuckte die Achsel und hieb mit einer Haselgerte durch die Luft. „Und wem haben wir denn Schweigen gelobt?“ setzte er nach einer Pause mit Verachtung hinzu, „dem Giaur!! der Schwur hat keine Geltung.“

„Was dienst Du ihm, wenn Du ihn verachtest?“

„Er ist milde, denn sein Blut ist Wasser, wie das Blut aller Ungläubigen; seine Hand ist immer offen, und ich liebe ihn, aber betrügen muß ich ihn doch; Asad vermag die Giaur nicht zu achtem“

Die Nasenflügel des Abyssiniers zitterten, und mit unendlichem Selbstgefühl schloß er: „Asad ist glücklich, wenn er den klugen Franken überlistet, bei der Seele Hassan’s und Hussein’s.“

Die Negerin, zu indolent, um länger über dieses Thema zu streiten, erwiderte nichts, sondern scheuchte die blitzenden Insecten von den Eßwaaren in den Körben, die zu beiden Seiten des breiten Sattels herabhingen und die allabendlich auf dem Markte in der Stadt mit Geflügel, Weizenbrod, Zuckerpasteten und anderen Delicatessen gefüllt wurden. Den sonstigen Lebensbedarf an Milch, Butter und köstlichen Früchten lieferte der Meierhof der fruchtbaren Guta, den die Herrschaft Asad’s und der schwarzen Messaouda bewohnte.

Schweigend erreichten die beiden Dienstboten jenes entzückende, quellenreiche Gartenland, welches Angesichts des Libanon seine Myrthengärten und Rosendörfer stundenweit ausbreitet.

Bevor Messaouda ihr Saumthier in das Gehege leitete, von wo aus der Pfad sich sanft hinabsenkte und zum Hofe und der Villa führte, bevor sich die Negerin von ihrem Begleiter trennte, neigte sie sich ein letztes Mal zu ihm und fragte gutmüthig vertraulich: „Und wenn er Dich fragte, was antwortetest Du, da Du nichts weißt?“

„Ich weiß genug, um zu antworten, genug, um den fremden Tauber lüstern zu machen auf den weißen Vogel, der dort oben mit gebundenen Fittigen im Pavillon verschmachtet!“

Ein Schrei entfuhr Messaouda. „Du setzest Dein Leben ein! Der Franke ist eifersüchtiger auf sein junges Weib, als der Padischah von Damaskus auf die Lust seiner Augen. Laß Dir’s gesagt sein!“

„Kein Giaur ist eifersüchtig, Tochter des Nils,“ lachte Asad und schlug auf dem sammetweichen Rasen einen Purzelbaum. Der weiße Esel legte die Ohren zurück und bäumte sich empor, worauf er in sausendem Galopp dem Stalle zulief, unbekümmert um die Negerin, die sich schreiend an seiner Mähne festhielt, während der schadenfrohe Asad sich vor Lachen der Länge nach in den Klee warf. - -

Kühler erhoben die Winde sich, rosiger erglühten die Wölkchen am tiefblauen Himmel, zärtlicher girrten die Turteltauben in den persischen Silberpappeln, und aus den Wiesen und Weinpflanzungen empor stieg ein sinnberauschendes Arom, ein Weihrauch von Wohlgeruch: da öffnete sich eine dichtverhangene Thür im obersten Stockwerk jener luftigen Villa der Guta, und auf eine Terrasse – gleichsam ein schwebender Garten der Semiramis – trat ein junges Frauenbild in köstlichen Kleidern heraus.

Langsamen Schrittes bewegte sie sich bis an das grünumrankte Gitter vor und schaute feuchten, sehnsüchtigen Blickes über die glanzumgossene Landschaft, über den schillernden Wiesenquell, an dessen Ufer eine Schaar junger Lämmer weidete; doch wie von dem Abendroth geblendet, schloß die Einsame alsbald die Augen und sank ermattet auf ein weiches Polster, welches, mit einer kühlen Binsenmatte überdeckt, auf der Terrasse unter einer Palme lag.

Angesichts dieser südlichen Zauberpracht, die das kälteste Herz in seinen Tiefen wendet, angeduftet von der violetten Passionsblume, von tausend Rosen, die trotz der späten Jahreszeit in bunten Porzellan-Vasen auf dem Balcone blühten, verharrte das reizende, junge Weib in trostloser, starrer Gleichgültigkeit, wie verloren in quälende Gedanken. – Ein gelber Papagei war tändelnd auf ihre Schulter geflogen und zog eine Strähne ihres lose schweifenden Lockenhaares durch seinen krummen Schnabel; – umsonst; die bleiche Herrin, die unter der Last ihrer Juwelen seufzte, achtete nicht der herausfordernden Zärtlichkeit des kleinen, gefiederten Freundes.


(Fortsetzung folgt.)



Ein Kämpfer für das Kaiserhaus.

Mit dem Abschlusse des Pariser Friedens von 1815 glaubte man für immer die schweren Wolken beseitigt, die Europa mit so vielen und großen Leiden überschüttet. Nun droht uns doch von gleicher Seite das gleiche Unheil. Fast scheint es, daß Fürsten und Völker diese zweite Katastrophe erdulden müssen, weil sie die erste vergessen und nicht gelernt haben, auf welchen Grundlagen ihre Freiheit, ihr Wohl, ihre Größe ruhen. Da ist es Zeit, daß man, wo die Gespenster der Vergangenheit spuken, auch ihre großen Gestalten aus dem Grab beschwöre, um sich durch sie in einer haltlosen Gegenwart für die Kämpfe, die vielleicht nahe bevorstehen, zu stärken. So steig denn aus den Gewölben deiner Gruft bei den Franziskanern zu Innsbruck, steig empor, du alter Rothbart mit der Kutte und dem Säbel in der Hand, wie du einst gestritten gegen die Horden und Heere der Nation, welche sich rühmt, an der Spitze der Civilisation voran zu schreiten. Solche Erinnerungen thun noth, wenn wir damit auch nicht sagen wollen, daß die da drüben über dem Rhein die schlimmsten Feinde des deutschen Vaterlandes sind. Die größten haben wir näher zu suchen.

Da lebte zu St. Martin im Pusterthale ein Bäuerlein auf seinem Hofe und mochte oft genug bedenklich den Kopf schütteln, wenn es sah, wie seine sieben rüstigen Kinder die Schüssel mit Schwarzplenten fast eben so schnell leerten, als sie aufgesetzt worden. Der Aelteste, der Hans, hatte einen offenen Kopf, und da meinen in Tyrol die Leute, daß ein solches Büblein nothwendig Priester werden und so seinem Hause die höchste Ehre auf Erden verschaffen solle. Hans, geboren am 28. October 1776, machte sich in seinem siebzehnten Jahre auf und trat als Schüler in das Gymnasium zu Botzen, obwohl er eigentlich lieber mit dem Stutzen in der Hand den Gemsen nachgestiegen wäre oder vor der Scheibe um das Best gerittert hätte. Bald sollte er jedoch die Bücher in den Winkel werfen und die Waffen tragen. Im Jahre 1796 bedrohte der Franzose die Grenze Tyrols, Haspinger zog mit den Schützen aus, der Feind gab ihm jedoch keine Gelegenheit, sich als Krieger zu erproben, und es blieb beim müßigen Vorpostendienste im Thale von Ampezzo, bis der Sieger von Arcole die Oesterreicher zurückwarf. Auch jetzt suchte der Feind die Berge Pusterthals nicht heim. Ungeduldig beschloß Haspinger, der um jeden Preis einen Franzosen beim Kragen packen wollte, allein auf die Streife zu gehen, und schlich wie ein Wolf auf den einsamen Gebirgspfaden zwischen Tyrol und Venetien lauernd umher. Endlich begegnete er einem welschen Bauer. Seine erste Frage war nach dem Feinde. Jener zeigte auf einen Baum, unter dem ein französischer Officier stand, beschäftigt, die Gegend zu recognosciren. Der junge Schütz schlich hinter ihm heran, trat plötzlich vor und setzte ihm den Stutzen auf die Brust. Betroffen übergab ihm der Officier den Degen und wollte ihm auch seine goldene Taschenuhr überreichen, Haspinger wies sie zurück, indem er nicht der Beute wegen, sondern das Vaterland zu vertheidigen ausgezogen sei. Er führte nun den Gefangenen, welcher sehr über die Verwegenheit erstaunt war, mit der er fern von den Seinen sich mitten unter den Feind geschlichen, nach Tyrol zurück und übergab ihn dem Commandanten des österreichischen Militairs, dem Fürsten Reuß.

Die Ehre blieb nicht aus; es wurde ihm die silberne Tapferkeitsmedaille zugeschickt, als er wieder nach Botzen zurückgekehrt war. Doch sollte er nicht lange auf den Bänken des Gymnasiums Schulstaub schlucken; im Frühling des Jahres 1797 bedrohten die Franzosen neuerdings Südtyrol, und ein Aufruf des Landesguberniums führte die Schützen auf’s Neue in den Kampf. Joubert rückte mit großer Macht gegen Brixen vor, seine Avantgarde überschritt die Klause und eilte bis in die Nähe von Sterzing. Dort bewahrt noch in der Capelle am Wege ein schlichtes Bild mit der Unterschrift:

„Bis hieher und nicht weiter
Kamen die französischen Reiter.“

die Erinnerung an dieses Ereigniß. Sie mußten umkehren! Als Joubert am 2. April vorrückte, waren die Höhen bereits ringsum von Schützen besetzt, ein wüthendes Gefecht, dessen heftigste Angriffe um das Dorf Spinges hin und her wogten, entspann sich und dauerte im tiefen Schnee von 9 Uhr Morgens bis 5 Uhr Abends. Als den Schützen die nassen Gewehre versagten, ertönte der wilde Ruf: „Dreinschlagen, dreinschlagen!“ Mit aufgehobenem Kolben tobte der Landsturm daher und warf Alles vor sich nieder. Da fiel Reinisch, der kühne Schmied von Bolders, gleich Winkelried die Brust von Bajonneten durchbohrt, nachdem er zuvor mit einem [293] Morgenstern neun Franzosen den Schädel eingeschmettert; da stritt das Mädchen von Spinges und stieß mit der Heugabel jeden Feind, der sich zum Angriff auf die Mauer des Friedhofes emporschwang, hinunter, daß er nichts mehr bedurfte als des Todtengräbers. Haspinger that auch mit, wie sich das von selbst versteht, er ging jedoch, als die Friedensunterhandlungen eingeleitet wurden, wieder nach Botzen zurück. Im Jahre 1799 fing der Kriegstanz neuerdings an; Massena besetzte Graubündten; sein Untergeneral Dessolles schlug am 25. März den österreichischen Gamaschenhelden Laudon, obwohl dieser, von Schanzen gedeckt, eine unverhältnißmäßige Ueberzahl Geschütz und Soldaten besaß, bei Taufers in einer halben Stunde so, daß er eiligst davonlief, seinen Degen, welcher noch im Kloster Marienberg als Andenken aufbewahrt wird, weg warf und in der Tracht eines Bauers über die Gletscher nach Innsbruck floh, wo er endlich verschnaufte. Diese Niederlage ist eine der schmählichsten, welche das Protectionssystem hochadeliger Herren über Oesterreich gebracht; der schlichte Verstand der Tyroler Bauern hielt sie für einen Verrath, weil er die kolossale Dummheit der Generale nicht anders begreifen konnte.

Haspinger im Kampfe.
Originalzeichnung von H. Plüddemann.

Endlich raffte sich Feldmarschalllieutenant Bellegarde aus seiner Unthätigkeit auf. Unter Anderm kam es am Wormserjoche zu einem Gefechte, wobei auch die Schützen mitwirkten. Der Eingang eines Passes war durch eine Schanze gesperrt; Haspinger, der Student von Botzen, erstieg zuerst die Höhe, einem Franzosen, der[WS 1] ihn von der Brustwehr hinabstechen wollte, entriß er das Gewehr, schlug ihn damit nieder, erschoß einen Officier und machte einen andern gefangen. Der Feind floh, und er schickte ihm aus dessen eigenem Geschütz, das er rasch gewendet hatte, noch einen Schuß nach. Im Jahre 1802 trat Haspinger in den Orden der Kapuziner und erhielt den Klosternamen Joachim. Als er im Auftrage der Obern am 22. October 1804 von Meran über den Jaufen nach Sterzing wanderte, kam er am Wirthshause des Andreas Hofer vorbei, der, den Bettelmönchen als frommer Herbergvater bekannt, auch unsern Haspinger, als er mit dem Schnappsack über dem Rücken vorbei trottete, einlud und über Nacht behielt. So trafen diese zwei Männer, welche bald ein gemeinsamer Ruhm verherrlichen sollte, zum ersten Male zusammen. Nach dem Kriege von 1805, welcher Tyrol an Baiern brachte, ging Haspinger in das Kloster nach Schlanders.

[294] Die Ursachen, welche den Ausstand von 1809 herbeiführten, sind weltbekannt, es genügt daher, sie hier nur kurz anzudeuten.

Die österreichische Regierung hatte trotz des conservativen Nimbus, mit welchem servile Schreiber sie so gern schmücken, so manchen Eingriff in die Rechte des Volkes gethan, der allgemeine Mißstimmung erregte, sich jedoch sorgfältig gehütet, die Gefühle des Klerus und der Bauern zu verletzen. Im Gegentheile! Man schaffte sogar die heilsamen Reformen des Kaisers Joseph ab; in der Hoffnung, der Tyroler werde beim Läuten der Kirchenglocken vergessen, daß ihm der Fiscus den Seckel leerte und die Regierung ein politisches Recht um das andere fortnahm. Das glückte auch, weil die Baiern in thörichter Nivellirungswuth nichts schonten und so die Mißgriffe der Oesterreicher noch als Vorzüge erscheinen ließen. In neuester Zeit haben Manche, die Verhältnisse der Vergangenheit gründlich mißkennend, den Heldenkampf von 1809 als einen albernen Pfaffenrummel bezeichnet; es giebt jedoch einen Punkt, wo der Kampf für die Religion der Väter ein heiliger wird und Jedermann, möge er nun was immer für einen Standpunkt des Glaubens einnehmen, wenn nur nicht jeder Funken idealer Begeisterung in seiner Brust erloschen ist, an die Seite der Bedrängten tritt. Kaiser Joseph schaffte die Stolgebühren und so manchen Unfug ab; die Folgezeit hat ihn gerechtfertigt, am besten dadurch, daß sie sehnsüchtig einen Mann wie ihn herbeiwünscht; wer wagt es jedoch zu vertheidigen, wenn der baierische Commissär den Prior der Kapuziner zum Frühstücke einlud und ihn hohnlachend im Bett zwischen zwei Schanddirnen liegend empfing, wenn er die geweihten Kirchengeräthe verkaufte, wenn er einem Juden ein Meßgewand über den Rücken hing und ihn sodann vor den Augen des Volkes mit dem spanischen Rohr herumfuchtelte, wenn er die harmlosen Mönche ohne Grund mit Soldaten zusammentreiben und auf die roheste Weise escortiren ließ? Darunter befand sich 1808 auch Haspinger. Trotzig sagte er zum Officier. der die Wache anführte: „Vielleicht dauert es nicht lang, daß ich Euch escortiren lasse!“ Für diese kecke Aeußerung wurde er unter ganz besondere Aufsicht gestellt.

Es war im April 1809. Der Wanderer schreitet durch die Hochthäler, schon umfächeln ihn laue Lüfte, über den schneeigen Kanten der Berge wölbt sich der blaue Himmel, kein Laut unterbricht die Stille; – da jauchzt er unbesonnen auf, Donner antwortet ihm, und er liegt begraben unter dem Sturz der Lawine. So erging es den Baiern. Die Geister der Rache schwebten ob ihren Häuptern, sie ahnten es nicht, denn unter all den Tausenden, Männer, Weiber, Kinder – war kein Verräther. In dieser Skizze können wir den Gang der Ereignisse nur andeuten, sofern wir das Eingreifen Haspinger’s zu schildern haben, welcher als Feldpater mit einigen Schützencompagnien gegen Rusca in das Trientinische vorrückte. Damals schrieb er in sein Tagebuch: „Nun endlich fand Joachim Gelegenheit zu zeigen, welch’ Eifer für das Wohl seines Vaterlandes und geliebten Monarchen in seinem Herzen brannte; er zog unter Anrufung des göttlichen Beistandes und im vollen Vertrauen, daß Gott die gerechten österreichischen Waffen segnen würde, muthvoll mit seinen biedern Landsleuten dem Feinde entgegen.“ Die Schützenhauptleute, welche weniger Kriegserfahrung besaßen, als der Feldpater, überließen diesem gern die Führung der Vorhut. Auf dem Marsche traf er bei Pergine mit einer Schaar von zwanzig Franzosen zusammen, welche sich allsogleich in einen Bauernhof warfen und sich hier mit äußerster Anstrengung wehrten. Als das Feuer verstummt war, drangen die Schützen in das Haus und fanden die tapfern Soldaten alle todt oder sterbend herumliegen. Während dieser Vorgänge hatte der österreichische General Chasteler glücklich sein theueres Haupt nach Kärnthen gerettet. Lefèbvre rückte am 19. Mai bis Innsbruck vor und ließ dort, nachdem ihn Napoleon abgerufen, Deroy mit 7000 Mann zurück, eine Macht, die er ausreichend hielt, Tyrol gänzlich zu unterwerfen. Für schulgelehrte Generäle wäre dieses allerdings mehr als genug gewesen; Buol retirirte eiligst gegen den Brenner und reizte dadurch die zum Widerstand entschlossenen Bauern so, daß ihm einer derselben unter dem allgemeinen Gelächter der Soldaten, welche auch dort, wie 1859, besser waren als ihre hochadeligen Führer, mit einem Faustschlag den Hut in den Schädel trieb. Das Volk erhob sich in den Thälern, über den Brenner zog Andreas Hofer mit den Männern Passeiers und stellte sich, den linken Arm im grünen Hosenträger, an die Brücke bei Matrei, wo sich die Straße theilte, um die Landesvertheidigung zu mustern. Bald den rechten, bald den linken Fuß aufhebend, deutete er an, wo die Hauptleute hinziehen sollten: „Ihr marschirt zum Paschberg,“ sagte er zu Gasteiger, „und wenn’s den Feind trefft, so werft ihn hinab in’s Thal.“ Das war sehr einfach, jedenfalls aber besser, als die Kriegswissenschaft österreichischer Officiere, deren Commando meistens auf Retirade lautete. Der beste Stratege Tyrols war der Zufall und die Verblendung des Feindes, der beste Taktiker Speckbacher, der überall die List des Wildschützen anwendete; Haspinger verstand es vor allen, das Volk fortzureißen und zu fanatisiren. Er war 33 Jahre alt, ziemlich groß gewachsen, das Gesicht grobknochig, die Nase gebogen, unter den buschigen Brauen loderten zwei graue Augen, stets unruhig, bei der leisesten Aufregung aber zornige Blitze schießend, von Mund und Kinn hing in langen Zotteln ein fuchsrother Bart herab. Seine wilde Beredsamkeit, unterstützt von großem Bilderreichthum, gesteigert durch die Gluth mönchischer Ekstase, entflammte die Bauern, daß sie ihm wie einem Propheten blindlings folgten, und selbst die Sterbenden glaubten noch im Schlachtendampf den Himmel offen zu sehen und die Siegeslieder der Engelchöre zu hören. Ein Bauernbube sagte, er möchte gern vorwärts, getraue sich aber nicht, aus Furcht getroffen zu werden. Der Kapuziner ermuthigte ihn: wenn er auf die Mutter Gottes hoffe, könne ihm nichts geschehen. Nun trat der Knabe keck vor und erlegte einen Feind nach dem andern. Die besten Schützen hatten Ladknechte bei sich, denn das Laden des Stutzens erfordert viel Sorgfalt, wenn der Schuß genau gehen soll, und man bedarf daher langer Zeit. Gegen Abend wurden einige Gefangene gebracht, Haspinger erkannte augenblicklich den Officier, der ihn einst escortirt hatte, und erinnerte ihn an jenes traurige Zusammentreffen. Dieser erschrak, der Mönch beruhigte ihn jedoch und ließ dem Ermatteten von seinem Diener Speise reichen.

Das war nur ein Vorspiel gewesen, die Schlacht begann erst vier Tage später, am 29. Mai. Vorher entfernte Haspinger einige Schützenhauptleute, die sich feig benommen, auch einige Compagnien waren davon gelaufen. Dessenungeachtet belief sich die Macht der Tyroler auf beiläufig 20,000 Mann, Der Kapuziner befehligte den linken Flügel bei der Gallwiese und stürmte wüthend vor. Da traf ihn eine Flintenkugel aus nächster Nähe in der Magengegend, so daß er wankte. Die tödtliche Wirkung ward gehemmt durch ein metallenes Kreuz, welches er in einem Säckchen eingesteckt hatte. Es wurde zersplittert, die platt gequetschte Kugel fiel unschädlich zu Boden. Bei den Bauern machte dieser Vorfall einen mächtigen Eindruck, jeder glaubte an den sichtbaren Beistand des Himmels und drängte vorwärts. Bald entspann sich ein heftiges Handgemenge. Ein feindlicher Soldat rannte mit gefälltem Bajonett auf Haspinger los, laut ausrufend: „Hab’ ich Dich, Du Schwanz!“ Dieser lenkte kaum mit dem Stocke den Stoß ab; ein Schütze, der die Gefahr bemerkte, schoß über seine Schulter den Soldaten nieder und versengte dabei dem Pater den rothen Bart. Der Feind gewann Raum, die Schützen begannen zu weichen. Da lief Haspinger herbei und schrie: „Haltet Ihr so Wort? Habt Ihr vergessen, daß Ihr mir, als ich Euch die Generalabsolution ertheilte, zugesagt, den letzten Tropfen Blut für Religion und Kaiser zu opfern? Lebt wohl, ich gehe dem Feinde allein entgegen und werde Euch, wenn ich falle, vor dem Richterstuhle Gottes verklagen!“ Die Tyroler ermannten sich; gegen Abend war der Sieg erfochten. Haspinger war todtmüde; die rauhe Kutte hatte ihn an mehreren Stellen aufgeschunden, er sank ohnmächtig zusammen und mußte eine Strecke getragen werden.

Am nächsten Morgen hatte er sich jedoch erholt und marschirte zu Innsbruck ein, welches der Feind aufgegeben harte. Streng der Ordensregel gehorchend verfügte er sich in das Kapuzinerkloster, wo ihm der Provincial, wenig erbaut von seinen blutigen Thaten, welche mit dem Friedensamte des Priesters im Widerspruche standen, heftige Vorwürfe machte. Haspinger nahm sie demüthig an, sich erbietend, dem klösterlichen Gehorsam Folge zu leisten und in die Zelle zurückzukehren. Als dieses der Sandwirth hörte, eilte er allsogleich zum Provincial und forderte ihn auf, den Mönch herauszugeben. „Wenn Alles für das Vaterland Opfer bringt, das Weib den Mann, Eltern den Sohn, so könnt Ihr Kapuziner schon auch was thun; ist’s Euch nicht recht, so werde ich nicht lange fragen und den Joachim doch behalten!“ Der Vorsteher konnte sich nicht weigern, Joachim kniete nieder, empfing den Segen und gleichzeitig [295] ein schwarzes Kreuz, wie man es in die Hände der Sterbenden zu legen pflegt.

Ein österreichischer Officier, erstaunt über den glänzenden Erfolg des Treffens, fragte den Kapuziner, wo er denn das Kriegführen gelernt habe. Dieser erwiderte kurz angebunden: „Von den Oesterreichern nicht, von den Franzosen.“ Vorläufig bedurfte er jedoch seiner Kunst nicht mehr, das Land war frei und blieb es, bis in Folge des Waffenstillstandes von Znaim sich neuerdings die Schaaren der Feinde heranwälzten.

Hofer rief das Volk zu den Waffen, Haspinger bot zu Clausen von der Kanzel die Schützen auf und war bereits am Morgen des zweiten August schlagfertig, um gegen Brixen aufzubrechen. Tyrol schien jedoch verloren; Lefèbvre hatte Innsbruck besetzt und seine Colonnen schon bis Sterzing vorgeschoben, man redete von Frieden, und die Führer der Tyroler begaben sich auf die Flucht. Nur der Kapuziner verlor den Muth nicht, entschlossen, den Kampf mit einem Häuflein Schützen aufzunehmen und dem General Royer gegenüber jeden Vortheil des Bodens zu benutzen. Von dem Felsen, auf dem jetzt die Wälle der Franzensveste trotzen, zieht sich ein enger Paß gegen Mittewald, überall treten die Berge nahe an die brausende Eisack, bei Spinges überspannt sie, hoch über dem Abgrund schwebend, die Laditscher Brücke. Diese Schlucht endet erst nach anderthalb Stunden bei Sack, unweit Mittewald; wie Oasen mitten unter düstern Föhren und Felsen breitet sich hier und da ein grüner Fleck aus, auf dem ein Wirthshaus steht, so bei Oberau. An der schmalsten Stelle erinnert ein Kreuz aus Stein an die Vernichtung der unglücklichen Weimaraner, denn auch hier stritten für fremde Botmäßigkeit deutsche Brüder gegen deutsche Brüder. Dieser Ort des Schreckens heißt noch die Sachsenklemme. Am 4. August entspann sich das Gefecht; General Royer ließ drei gefangene Schützen vor den Augen ihrer Landsleute als Rebellen erschießen. Nun folgt die schrecklichste Episode des Kampfes. Besser als jeder Augenzeuge hat sie Immermann in seinem „Trauerspiel in Tyrol“ geschildert, ein Werk, welches lange Zeit für Oesterreich verboten war. Das Volk sollte sich nicht mehr an seine großen Thaten erinnern; allein wenn auch Metternich, der treue Diener des Kaisers Franz, die Polizei erfunden hätte, hätten sie nicht schon vor ihm glückliche Genies erfunden, – über den Trank des Lethe konnte er doch nicht verfügen. So erinnerten sich die Tyroler stets an das, was sie für den Kaiser gethan, besonders im Vergleiche mit dem, was er für sie that, und die Bewilligung neuer Festtage, nebst der Einführung der Jesuiten, befriedigte das fromme Volk doch nicht ganz. Habsburgs Dank oder Undank seinen Völkern gegenüber ist sich aber stets gleich geblieben.

Immermann giebt den Sachverhalt ganz genau, wenn er Mayer erzählen läßt:

Wir lagerten bei Laditsch.
Da hörten wir, der Royer zieh’ heran
Durchs Felsenthal. Was sollten wir beginnen
Allein mit uns und schwächer in der Anzahl?

5
So sprachen wir den Berg um Hülfe an,

Und redlich hat der Berg sie uns geleistet.

Wir klimmten in der Felsensäulen Mitte,
Da grade, wo sie ob der Brücke hangen,
Die schmal und spärlich überbaut den Fluß,

10
Und lösten alte Lärchen aus den Wurzeln,

Und hoben Felsenblöck’ aus ihren Betten,
Und rammten in das Erdreich schwache Pfeiler,
Und legten erst die Lärchen auf die Pfeiler,
Und schoben dann die Blöcke auf die Lärchen.

15
Jetzt luden unsre guten Büchsen wir

Und hingen still wie Gemsen an den Zacken.

Nicht lange drauf, da kamen hergezogen
Die hüpfenden Franzosen in der Tiefe.
Sie trippelten in Hasten über’s Brücklein

20
Und sahen aus von oben klein wie Mäuse.

Und als die rechte Zeit gekommen war,
Gab ich das Zeichen mit der Jägerpfeife,
Und unsre Buben löseten die Stützen.

Da hob der Berg zu dröhnen und zu wandern an,

25
Und ging als wie ein rollend Weltgericht

Hinunter in die Tiefe! – Allsobald
Klang ein erschrecklich Wimmern aus dem Schlunde,
Geschrei und Heulen, wie dicht bei uns, tönte,
Drauf stieg ein Dampf empor und rollte qualmend

30
Die Schlucht bedeckend bis zu unsern Füßen.

Wir aber schossen durch den Dampf hinab,
Daß, wer noch lebt’, empfing vom Blei sein Grab!

Wie nun der Staub verzogen war, so stiegen
Wir von dem Grat und gingen zu den Feinden.

35
Da sah’n wir nichts als Stein gethürmt auf Stein,

Gebrochne Augen, rauchendes Gebein!
Die Brücke lag in Trümmer und die Eisack,
Von wild verschränkten Todtengliedern starrend,
Sprang wie ein rasend Unthier über’s Schlachtfeld.

Einen echt biblischen Zug hat der Dichter nicht beigesetzt. Als die Steinlawine niedergegangen war und man von oben die ungeheure Verwüstung übersah, fiel Haspinger mit den Schützen auf die Kniee und dankte Gott für den Untergang der Feinde, dann wurde noch ein Gebet gesprochen, daß der Herr ihren Seelen, welche jetzt vor seinem Richterstuhl ständen, gnädig und barmherzig sein solle. Indeß war der Kampf noch nicht beendigt, sondern es wurde, da der Feind noch immer neue Schaaren nachschob, noch lange mit wechselndem Erfolg gestritten. Erst am 5. August Abends gelang es, die tapfern Sachsen im Wirthshause von Oberau, wo sie sich zusammengedrängt hatten, durch einen allgemeinen Sturm zu bezwingen und gefangen zu nehmen. Darauf hielten die Tyroler Kriegsrath, voll Siegesfreude entsandten sie Boten an Hofer, auch ihn zum raschen Vorgehen auffordernd. Denn noch war nicht Alles gewonnen. Am 6. Aug. marschirte das Gros vom Armeecorps Lefèbvre’s zu Sterzing ein. Allsobald beorderte der General einen Studenten, Namens Pichler, nach Mauls mit einem Schreiben, worin er verlangte, die Schützen möchten das Gewehr strecken. Haspinger schlug es ab. Da bestimmte der Herzog von Danzig den nächsten Morgen zum Angriffe, Haspinger wurde davon durch einige Zeilen der Nagelwirthin, wo jener im Quartier lag, verständigt. Es gelang den Baiern unter Wittgenstein, im Engpasse vorzudringen; Lefébvre rückte freudig nach, dabei über die Sachsen schimpfend, daß sie Tags zuvor als Feiglinge unterlegen seien. Da konnte sich ein deutscher Officier nicht halten und rief ihm zu: „Marschall, die Tyroler kennen Sie noch nicht!“ Er sollte sie bald darauf kennen lernen. Als sich hinter seinem Rücken zu Mauls Gepäck, Kanonen und Soldaten häuften, wodurch Verwirrung entstand, brach der Landsturm von Rodeneck ein und jagte durch die wuchtigen Kolbenschläge, mit denen er auf die dichten Massen eindrang, Alles in die Flucht, was nicht erschlagen wurde. Der stolze Marschall mußte umkehren; da es nicht möglich war zu Pferd zu entrinnen, stieg er ab und kletterte über das umgestürzte Fuhrwerk in solcher Hast, daß ihm Hut und Mantel entfiel. Er hatte nun das verfluchte Bauernpack kennen gelernt und bequemte sich jetzt sogar zu unterhandeln. Weil aber Haspinger überspannte Forderungen stellte, so fuhr Lefébvre mit seiner gewohnten Derbheit auf und antwortete im gröbsten Casernenstyle:

„Du bist ein rothbarteter Saukerl, bekommen wir Dich, so
lasse ich Dir jedes Haar einzeln ausraufen. Der erste Baum
sei Dein Galgen. Steht Ihr nicht eilends von Eurem Vorhaben
ab, so lasse ich alle Häuser in Brand stecken und werde
das Kind im Mutterleib nicht verschonen.“

Daraus erwiderte Haspinger: „Euer Excellenz! Wenn ich ein Saukerl bin, wie Sie mich gütigst benennen, oder was vielleicht nur irrig geschrieben wurde, so können Sie die angedrohten Grausamkeiten in Ausführung bringen. Ich bin jedoch der Ansicht, daß Sie den Leidenskelch schon voll gefüllt haben und daß Sie durch erneuerte unmenschliche Handlungen die Tyroler nur noch wüthender machen würden. Uebrigens wollen auch wir Ihrem guten Beispiele folgen: morgen mit den ersten Sonnenstrahlen sollen die drei gefangenen Officiere auf unsern äußersten Vorposten aufgehangen, die Mannschaft aber, deren Zahl Sie besser wissen als wir, erschossen werden. Nächstdem sage ich Ihnen zum letzten Male, daß ich eher meinen letzten Blutstropfen für meinen angestammten Kaiser verspritzen, als ihm durch eine Unterwerfung an Sie meineidig werden werde. In einer Stunde hoffe ich Antwort.

Adieu!
J. H.“

Auf diesen Brief, den Schallhammer mittheilt, zog der Marschall gelindere Saiten auf; es erfolgte die Auswechselung der Officiere gegen einige Schützen. Nachts brach Lefébvre von Sterzing auf, um über den Brenner zurückzukehren. Freilich nicht unbemerkt von den Schützen. Diese eilten ihm verstärkt durch die Schaaren Speckbacher’s und Hofer’s nach, überall sandten sie in die langen Heersäulen ihre Kugeln, der Marschall hielt sich nicht mehr für sicher; nachdem er über die gestickte Uniform den Mantel eines gemeinen Soldaten geworfen, ging er wie ein Troßknecht [296] zwischen zwei Reitern, um sich dadurch zu decken. Das war anders als er gehofft; er konnte nachdenken, was sein Herr und Meister zu dieser Niederlage sagen würde. Hätten die Tyroler von Obernberg und Pfitshaus rechtzeitig den Brenner gesperrt, so wäre keine Maus entronnen, und er hätte sich müssen in das Schicksal Dupont’s bei Baylen fügen. So aber fehlte trotz aller Tapferkeit und List im Einzelnen nur zu häufig die Einsicht des Handelns im Großen und Ganzen.

(Schluß folgt.)


Die Malzextractomanie.

Braunbier, Bitterbier, Braunschweiger Mumme, Porter, Hoff'sches Malzextrakt, Trommer’sches concentrirtes Malzextrakt.

Nachdem die Revalenta arabica, Goldberger’s Rheumatismusketten und das Anacahuiteholz glücklich beseitigt sind, nachdem der Stern des Aepfelweins, des Bullrich’schen Salzes, der Strahl’schen und Morrison’schen Pillen im Untergehen begriffen ist, sind wir nun in die Aera des Malzextraktes eingetreten. Und diese Aera wäre wirklich nicht so übel, wenn dabei nur Schwindelei und Aberglaube nicht gar so arg mitspielten. Denn als leichte Nahrungsmittel sind die verschiedenen Malzpräparate und Bierarten allerdings nicht zu verachten, nur dürfen sie nicht über den Spahn bezahlt und als heilkräftige Medicin, wohl gar als Universalheilmittel ausposaunt werden, wie dies eben der Fall ist.

Daß manche Kranke nach dem Gebrauche des Malzextractes Besserung ihres Leidens eintreten sahen, ist durchaus nicht wegzuleugnen oder wunderbar; doch braucht deshalb daran das Malzextrakt noch lange nicht schuld zu sein. Trotzdem ist es dem Laien zu verzeihen, wenn er diesem Extrakte seine Besserung zuschreibt, da ja selbst die meisten Aerzte ebenso wie die Charlatane und Homöopathen denjenigen Mitteln und Hokuspokusen, die sie gerade vor dem Besser- oder Gesundwerden eines Kranken anwendeten, den glücklichen Erfolg zuschreiben, während doch neben dem Naturheilungsprocesse (s. Gartenl. 1855, Nr. 25) noch eine Menge anderer günstiger Umstände die Besserung oder Heilung veranlaßten.

Wann wird denn wohl endlich einmal der Mensch in der Schule mit Hülfe der Kenntnisse der göttlichen Naturgesetze so zum Denken erzogen werden, daß er über Ursache und Wirkung (über post hoc, ergo propter hoc, weil darnach, also auch darum, weil’s darauf kommt, darum’s auch daraus kommt; s. Gartenl. 1859, Nr. 33 u. 38) vernünftiger als jetzt urtheilen lernt? Sobald sicherlich noch nicht! Und darum wird man auch noch lange, sogar von Seiten sogen. gebildeter Leute, den Geheimmitteln und den Heiltausendsasas, wie dem Herrn Postsecretär und Sanitätsrathe Dr. Lutze in Cöthen, dem Herrn Schuster und Heildirector Lampe in Goslar, der Frau Müllerin Graf in Schleiz und noch vielen andern heilkünstelnden Laien mehr Vertrauen, als wissenschaftlich gebildeten Aerzten schenken. Daß Hrn. Lutze’s mit Lebensmagnetismus zusammengerührte homöopathische, entweder auf die rechte oder auf die linke Körperhälfte wirkende Arzneien oder dessen lebensmagnetischer Hauch und meilenweit wirkender Willensmagnetismus wirklich unglaubliche Heilwunder verrichten können, das ist Vielen weit glaubhafter, als daß dieser ihr Glaube Blödsinn ist. – Daß der Schuster Lampe, der vorzugsweise mit einer Abkochung von Faulbaumrinde und aromatischen Kräutern curirt, die Krankheiten blos durch Besehen des Auges und Befühlen des Hinterhauptes und Nackens des Patienten sicherer erkennen soll, als ein wissenschaftlich gebildeter Arzt mit Hülfe der physikalischen Diagnostik, das werden sicherlich viele Leser der Gutzkow’schen „Unterhaltungen am häuslichen Heerde“, wo dieser Lampe als „Ritter vom Geiste“ verherrlicht wird, ganz natürlich finden. – Und daß Frau Graf durch Besichtigen des Urins eines Kranken sofort nicht nur die Krankheit, sondern auch das entsprechende Abführmittel wirklich weiß (denn ohne Abführung bei dieser Künstlerin keine Heilung), das muß doch wohl auch geaberglaubt werden, denn sonst hätte diese Purgirheilkünstlerin nicht auf Lebenszeit die Concession erhalten, im ganzen reußischen Lande zu curiren und sogar einen Handel mit selbstbereiteten Geheimmitteln (wie mit Choleratropfen, Flußtropfen, Augentinctur) zu treiben, was geprüften Aerzten nicht erlaubt ist. – Aber zu was wären denn die dummen Gedanken da, wenn sie nicht gedacht werden sollten?

Daß nun nach dem Gebrauche von Malzextrakten, ebenso wie nach Anwendung von tausend anderen Firlefanzereien, Besserung und Heilung einer Krankheit eintreten kann, hat seinen Grund, wie oben schon gesagt wurde, im Naturheilungsprocesse, der aber auf mannigfache Weise und durch mancherlei Zufälligkeiten und Umstände unterstützt, von hemmenden Einflüssen befreit oder wohl auch überhaupt erst in Thätigkeit gesetzt wurde. – Gar häufig kommt z. B. vor, daß gerade in dem Momente, wo der Krankheitsproceß seine höchste Höhe erreicht hat und die Naturheilung eintritt, irgend ein neuer Arzt oder ein besonders angepriesenes geheimes oder öffentliches Medicament herbeigeholt wird. Diesem wird dann natürlich die ganz aus freien Stücken eintretende Aenderung des Leidens zum Bessern zugeschrieben. Und solche, sogar ganz plötzliche Aenderungen werden sehr häufig bei acuten, fieberhaften, entzündlichen und krampfhaften Krankheiten (zumal bei Brustleiden) beobachtet. – Es sind ferner die Fälle gar nicht selten, wo ein Kranker durch unzweckmäßige, wirklich wirksame allopathische Heilmittel, falsche Diät und Curen längere Zeit maltraitirt wurde und dann, sobald er von diesen absteht, durch den nun freiwaltenden Naturheilungsproceß geheilt wird. Daß man nun diese Heilung irgend einem angewendeten unschädlichen Etwas zu verdanken aberglaubt und nicht der Natur, ist bei der Urtheilslosigkeit der meisten Menschen ganz natürlich. Zu den Krankheiten, welche sich in der Regel sofort bessern, wenn der Kranke zu quacksalbern aufhört, gehören vorzugsweise die Magen- und Darm-, überhaupt die Unterleibsleiden. – Sehr oft tritt Besserung und Heilung einer Krankheit deshalb ein, weil Patient unter günstigern, dem Naturheilungsprocesse förderlichen Umständen zu leben beginnt. So wirkt z. B. heilsam: der Luft- und Temperaturwechsel auf Hustekranke, die veränderte Diät auf Magenleiden, eine sonnigere, wärmere und trocknere Wohnung auf Schmerzkrankheiten, eine ruhigere Lebensweise auf Nervöse und Schwächliche, das Vergessen von Kränkungen, Verlusten u. dgl., sowie überhaupt die Befreiung von Sorgen etc. auf Hirnleidende u. s. f. Aber freilich werden solche Umstände beim Schwinden des Leidens ganz ignorirt und dafür irgend ein gebrauchtes lebendes oder todtes Heilding als Helfer ausposaunt. – Manchmal spielt auch die Phantasie des Kranken beim Besserwerden eines Leidens nach der Anwendung eines übersinnlichen, sympathetischen, lebensmagnetischen, somnambülischen oder homöopathischen Hokuspokus die Hauptrolle, und Patient jubelt viel zu frühzeitig über seine Heilung. – Es passirt ferner auch, daß ganz zufällig gerade zu der Zeit, als ein Kranker ein neues Etwas in Gebrauch zog, der Krankheitsproceß einen naturgemäßen Stillstand machte, und nun muß natürlich jenes Etwas die Ursache davon sein. Solche Stillstände kommen bei Lungenschwindsucht gern vor, und darum werden als ganz ausgezeichnet gegen diese Krankheit oft die allerblödsinnigsten Curarten gerühmt. – Kurz, in nur äußerst wenigen Fällen von Heilung und Besserung eines Leidens hat das Arzneiliche oder Quacksalbrige, was geholfen haben soll, wirklich Hülfe gebracht.

Mit den Malzextracten als Heilmittel hat es nun auch keine andere Bewandniß, als mit allen andern unschädlichen Quacksalbereien; man schreibt ihnen ganz mit Unrecht Heilkraft zu und aberglaubt, daß alles Gute, was nach ihrem Gebrauche im Verlaufe der Krankheit zu Tage tritt, durch sie auch veranlaßt sei, während man dies doch dem Naturheilungsprocesse und diesem oder jenem andern günstigen Umstände zu danken hat. Höchstens nützen die Malzpräparate als schwache, leicht verdauliche Nahrungsmittel, die um so nahrhafter sind, je mehr Malz sie enthalten, wie das Trommer’sche concentrirte Malzextrakt und die Braunschweiger Mumme. Jedoch ist ihr Nahrungswerth stets und insofern ein nur geringer und einseitiger, als sie vom Hauptnahrungsstoffe, von der (stickstoffhaltigen) Eiweißsubstanz nämlich, nur äußerst wenig enthalten, und von (stickstofflosen, kohlenwasserstoffigen) fettbildenden und zur Wärmeentwicklung verwendbaren Substanzen auch nicht gerade viel besitzen. Jedenfalls müßte man zur richtigen Kräftigung des geschwächten Körpers neben einem Malzextracte noch eiweißhaltige Nahrung (Milch, Ei, Fleisch) zu sich nehmen.

[297] Uebrigens können unter Umständen Malzextracte nicht nur nicht nützen, sondern sogar schaden. So ist z. B. bei Magenleiden das Trinken kalten Extractes (Bieres) insofern von Nachtheil, als die Kälte auf die krankhafte Veränderung der Magenschleimhaut und auf deren Heilungsproceß störend einwirkt. Eben solchen nachtheiligen Einfluß übt bisweilen auch noch die fixe Luft (Kohlensäure) des Malzextractes auf ein Magenübel aus, und deshalb ist Magenkranken anzurathen, das Malzextrakt (Bier) verschlagen und abgestanden zu genießen. Auch Brustkranken mit Heiserkeit ist dieser Rath nützlich. – Für Kinder und leicht erregbare Personen, besonders für Frauen, ist nicht selten der, wenn auch nur geringe, Spiritusgehalt eines Malzextraktes doch nicht zusagend und häufig sogar unangenehme Beschwerden (Herzklopfen, Hitze, beschleunigtes Athmen) verursachend.

Von allen Malzextrakten ist, wenn sich ein Geschwächter denn durchaus mit Hülfe von Bierstoffen und nicht durch Milch, Ei und Fleisch stärken will oder kann, das Trommer’sche concentrirte Malzextrakt (welches vom Brauereibesitzer Heinrich in Greifswalde bereitet und verkauft wird) das am meisten nahrhafte und, weil es ganz rein und frei von Weingeist und Kohlensäure ist, auch das unschädlichste. Es ist deshalb dem kohlensäurereichen, spiritushaltigen und mit Kräutern versetzten Hoff’schen Malzextrakte (was vielleicht Biertrinkern besser munden wird, als das Trommer’sche) weit vorzuziehen. Auch hat das Trommer’sche Extrakt, dem übrigens auch eine entsprechende Quantität des reinen bittern Extraktivstoffes des Hopfens zugesetzt ist, den Vortheil, daß es sehr haltbar und deshalb auf Reisen verwendbar ist, daß es mit jeder beliebigen Flüssigkeit, sogar mit kalter und heißer Milch, gemischt und nach Belieben verdünnt werden kann. Die große Wohlfeilheit des Trommer’schen Extractes gestattet ferner auch, daß dasselbe auf längere Zeit als diätetisches Mittel selbst von Unbemittelten gebraucht werden kann, was von dem bei weitem weniger nahrhaften Hoff’schen Malzextracte, von welchem ein kleines Fläschchen 71/2 Ngr. kostet, obschon es kaum 2 Ngr. werth ist, nicht gesagt werden kann. Außer dem Trommer’schen Malzextracte sind noch die Braunschweiger Mumme, das Bitterbier und der Porter zu empfehlen, nur enthalten diese Biere viel Kohlensäure und etwas Spiritus.

Das Hoff’sche Malzextract, welches nach der von Hoff selbst bekannt gemachten Analyse des Prof. v. Kletzinsky in Wien nur als ein einfaches Braunbier bezeichnet werden kann, dem wahrscheinlich noch eine Abkochung einiger unschuldiger Kräuter (von Faulbaumrinde, meinen einige Chemiker) beigegeben ist, wird von Hrn. Hoff leider als ein Geheimmittel (dessen Zusammensetzung- und vegetabilische Zuthat auf geheimer Wissenschaft beruhen sollen.) für einen unverhältnißmäßig hohen Preis verkauft und in den Zeitungen auf eine ganz widerwärtige Weise als eine Universalmedicin, „von welcher der Prinz von Dänemark erst kürzlich eine größere Nachbestellung telegraphirte“, ausposaunt. Es soll besonders bei Brust. und Unterleibsbeschwerden, sowie bei Körperschwäche und Nervenleiden Wunder thun, und „erst vor wenigen Wochen nahm Seine Durchlaucht der Prinz von Bentheim die innern Räume der Hoff’schen Brauerei persönlich in Augenschein, um die Fabrikationsquelle des ihm so wohlthuenden Gesundheitsbieres kennen zu lernen; auch sprach sich Seine Durchlaucht sehr belobigend über die zweckmäßige und geschmackvolle Einrichtung aus-“ Der Werth des angeblich wohlschmeckenden Hoff’schen Malzextract-Gesundheitsbieres, „was einzig und allein in Berlin bereitet wird, weil seine Fabrikation ein Geheimniß in sich birgt“, und was nach dem Ausspruche des Dr. Raudnitz in Wien „eine neue Aera im medicinischen Kreise hervorrufen wird“, soll sich übrigens, wie ein Lobhudler dieses Bieres in der Volkszeitung schreibt, in überzeugendster Weise aus dem Range der Kundschaft des Hrn. Hoff beweisen lassen, denn im östlichen Theile Europa’s sind es der Kaiser von Oesterreich und der König von Griechenland, in der entgegengesetzten Seite dieses Welttheils die Könige von Belgien, Holland, Dänemark und Hannover, sowie der Kaiser von Frankreich, welche Hrn. Hoff Anerkennung zollten. Telegraphisch nach Wien berufen, wurde Hr. Hoff zu einer Audienz vor den Kaiser befohlen; ebenso huldvoll wurde er in den Tuilerien empfangen, und erst neuerdings hat der König der Belgier demselben „ein ungemein schmeichelhaftes Schreiben zugesandt“.

Wären bei der Hoff’schen Malzextractwirthschaft diese widerlichen und sich immer und immer wiederholenden Reklamen und Lobhudeleien, der übermäßige Preis und die Ansprüche dieses Extractes auf ein Geheim- und Universalheilmittel nicht, so könnte sich das Herz eines mittelscheuen Heilkünstlers wirklich über den abergläubischen Gebrauch dieses Braunbieres freuen, denn lieber als Arznei ist’s dem Verfasser bei allen den Krankheiten, wo es heilsam sein soll, aber niemals ist, in jedem Fall, und daß es verlantschten aristokratischen, sowie überhaupt verquacksalberten Mägen wohler als nippernäppische Päppelein und Mixturen thut, steht auch fest. So wie die Sachen aber jetzt stehen, muß man die Hoff’sche Malzextracterei in den Grund hinein hassen, obschon die so und so oft abgedruckten Atteste von angeblich Geheilten durch dieses Braunbier sicherlich ganz echt und wohlgemeint sind. Daß übrigens auf die vereinzelten Glücklichen, denen das Malzextract angeblich geholfen haben soll, viele Tausende kommen, denen es nichts genützt, ja vielleicht sogar geschadet hat, ist in der Ordnung und kommt bei allen fanatisch und käuflich gelobhudelten Modemitteln vor. Und nun schließlich noch Hoff’schen Malzextractomaniacis den Rath: „Man wolle sich zur Garantie der Echtheit dieses Extractes stets vom Vorhandensein des Hoff’schen Etiquetts und Siegels überzeugen“, denn man bedenke, „daß sich an den Namen, Hoff’scher Malzextract, bereits eine Geschichte knüpft, die in den medicinischen Annalen mit unvergänglichem Ruhme bei der spätern Nachwelt glänzen wird“, und daß, „als Seine Majestät, der jetzt regierende König von Preußen, noch als Prinz, sein Dienstjubiläum feierten und die Stadt Breslau demselben eine Deputation zusandte, das Deputations-Mitglied Hr. Hoff hervortrat und dem Prinzen einen Pokal mit Malzextract überreichte, der dem hohen Jubilar so lieblich schmeckte, daß er ihm die schmeichelhaftesten Lobeserhebungen deswegen machte.“ Kurz, es steht das Hoff'sche Malzextract als ein „Unicum da, welches als solches noch die größten Erfolge erzielen wird.“ Nun, Leser, hast Du hoffentlich genug von dieser Braunbierlobhudelei!

Bock.




Erinnerungen.

Von Franz Wallner.
Nr. 3. Originale aus Alt-Wien
Saphir – Bäuerle - Castelli – Graf Schandor – Raimund und sein „Thal der guten Leute“.

Wer jetzt die Kaiserstadt besucht, wird es kaum für denkbar halten, wenn man ihm erzählt, daß Wien vor kaum zwanzig Jahren die billigste Hauptstadt Europas gewesen. Die fröhlichste, die vergnügungssüchtigste und gastfreundlichste ist sie noch immer, nur übersteigen die Preise, welche der Wiener jetzt für seine Vergnügen zu zahlen hat, die der Pariser und Berliner Amüsements um das Doppelte. Die Volksfeste in der Brigittenau, im Augarten sind verschwunden, der „Wurstlprater“ hat seine originelle Physiognomie verloren, und mit diesen Herrlichkeiten ist einer der pikantesten Reize der Hauptstadt für den Fremden verschwunden, nämlich die Beobachtung des Volkes in seiner ungebundensten Fröhlichkeit. Der Wiener Pöbel ist von einer Gemüthlichkeit, von einer Harmlosigkeit, die man nie im Norden, am allerwenigsten aber in Berlin findet. Das sogenannte „Volk“ in Wien verhält sich zu dem in Berlin, wie Milch zu Blausäure. Bei dem tollsten Uebermuth wird man beim Oesterreicher selten eine Rohheit, ein Ausarten gegen den Gebildeteren treffen, während der „richtige“ Berliner ohne „Keilerei“ kein Zusammensein der Massen denken kann. Die neueste Zeit hat traurige Beispiele für meine Behauptung geliefert, und zwar bei Gelegenheiten, welche ihrer Natur nach zu nichts weniger als zu Ausbrüchen der Gemeinheit Veranlassung gaben. Ich erinnere an die Säcularfeier der Universität, an das Leichenbegängniß Humboldt’s, an das Schillerfest, an die Einzugsfeierlichkeiten bei der Krönung etc.

[298] Ob Wien seinem früheren strengen Polizei-Regime die gute Mannszucht der unteren Volksclassen dankt, ob dies allein in der Gutmüthigkeit derselben liegt, vermag ich nicht zu beurtheilen, wenn ich gleich Grund habe, das Letztere anzunehmen. Allein nicht nur der „gemeine Mann“, wie er in Wien genannt wird, vermag sich dem tollsten und doch liebenswürdigsten Uebermuth hinzugeben, auch die gebildetsten und geistreichsten Menschen sind dessen fähig. Welch’ eine Unzahl von drastischen Anekdoten haben in dieser Beziehung Bäuerle, Castelli, Saphir, Korntheuer, Deinhardstein und die übrigen Humoristen des alten Wiens hinterlassen! Freilich waren es eben nur Späße, denen eine gewisse kecke Derbheit und Rücksichtslosigkeit anklebte, eigentlichen Witz hatte unter den genannten wohl nur Saphir, dessen Calembours sich mit den besten französischen messen konnten. Z. B. sagte er nach dem Tode eines unbeliebten Feldmarschalls, der aber mit großem Gepränge begraben wurde, dem Befehlshaber der österreichischen Truppen sei nach seinem Tode etwas gelungen, was er während seines Lebens nie zu Stande gebracht, „er habe die Armee in Flor gebracht.“ Einst begegnete er dem Regisseur des k. Hoftheaters, der ihm in größter Eile mittheilte, daß wegen Erkrankung des Herrn Anschütz die größte Repertoirverlegenheit herrsche, und man noch nicht wisse, was Abends gegeben würde. „Da ist leicht abzuhelfen,“ sagte Saphir, „gebt zwei Pausen von Costenoble und ein kleines Stück dazu, so seid Ihr fertig.“ Costenoble war ein sehr beliebter, aber seiner unendlichen Kunstpausen wegen bekannter Schauspieler. Einst fuhr Saphir mit Pokorny von Wien nach Preßburg. An der Grenze bat ihn Pokorny, ihm zu erlauben, seinen Namen anzunehmen, da er seinen Paß vergessen habe und als Theaterdirector sich keinen Unannehmlichkeiten aussetzen wolle. „Sie können ja,“ meinte er zu Saphir, „den Namen des nächstbesten Bekannten als den Ihrigen nennen, wir drücken den Beamten einen Gulden in die Hand, und die Sache ist in Ordnung.“ Er setzte hinzu, er wünsche überhaupt nicht, daß man in Wien erführe, er sei ohne Paß über die Grenze gegangen, was damals von der Polizei sehr unangenehm bemerkt wurde. Saphir gab Pokorny seinen Passirschein, und der Letztere antwortete an der Grenze auf die Frage um Stand und Namen:

„Ich bin der Schriftsteller Saphir aus Wien.“

„Und ich,“ fiel Saphir dem erstarrten Pokorny in’s Wort, indem er dem Aufseher den bekannten Gulden in die Hand drückte, „ich bin der Theaterdirector Pokorny aus Wien, habe aber keinen Paß bei mir.“

„Aber was treiben Sie denn?“ rief ärgerlich Pokorny, „ich will ja incognito bleiben.“

„Ich auch,“ entgegnete ganz trocken Saphir.

So gerne aber Saphir rechts und links Hiebe austheilte, so unangenehm war es ihm, wenn er selbst einmal solche einstecken mußte. Während seines Aufenthaltes in Pesth war ein Schauspieler Namens Melchior das stete Stichblatt seines Witzes. In der Posse „Die falsche Catalani“ rächte sich der gekränkte Histrione dadurch, daß er in der Rolle des Zeitungsschreibers Pfiffspitz in sprechend ähnlicher Maske Saphir copirte, der in einer Loge des ersten Ranges unter den Zuschauern sich befand. Das Haus erdröhnte vor Jubel, als der Doppelgänger des bekannten scharfen Kritikers auf der Bühne erschien. Der Beifall wurde immer lebhafter, je sichtlicher sich Saphir darüber ärgerte. Nach dem Schlusse des ersten Actes begab er sich zum Polizeidirector in die Loge und bat dringend, es möge dem Schauspieler Melchior verboten werden, ihn ferner auf der Bühne zu persifliren. Der Chef der öffentlichen Sicherheit machte ihm begreiflich, daß dies heute nicht mehr anginge, versprach ihm durch Bestrafung des Künstlers volle Genugthuung und gab Saphir den Rath, da die Aehnlichkeit hauptsächlich durch einen hellen gelblichen Rock hervorgerufen würde, in dem er allgemein bekannt sei, während des Zwischenakts nach Hause zu fahren, diesen abzulegen und in einem dunklen Kleide zu erscheinen. Während Saphir diesen Rath befolgte und sich in einen blauen Frack stürzte, das einzige Kleidungsstück, welches er damals außer dem hellen Rock sein eigen nannte, ließ der Polizeidirector dem Melchior untersagen, im zweiten Act wieder in dem auffallend gelblichen Rock auf der Bühne zu erscheinen. Allein man denke sich das vor Beifallsjubel erdröhnende Haus, als durch einen tückischen Zufall oder berechnete Malice Saphir in seinem blauen Frack recht ostensible in den Vordergrund der Loge trat und einige Minuten darauf Saphir-Melchior auf der Bühne ebenfalls im blauen Frack erschien!

Eine ganz entgegengesetzte Natur als der verbissene Saphir war der alte Bäuerle. Von unbegrenzter Gutmüthigkeit und ebenfalls mit der Cardinaltugend der Wiener, einer wahrhaft orientalischen Gastfreundschaft behaftet, war Bäuerle, trotz seines enormen Einkommens, ebenfalls stets in chronischer Geldverlegenheit. Die Theaterzeitung, die er 25 Jahre lang mit großem Geschick und im Geschmack des leichtbeweglichen Wiener Völkchens redigirte, war damals, so unglaublich dies heutzutage von einem Theaterblatt klingen mag, eine Macht, wurde von aller Welt, im Palast wie in der Hütte gelesen, und brachte per fas dem Eigenthümer eine ganz ansehnliche Summe ein, ohne des nefas zu gedenken, welches die Sehnsucht aller dramatischen Künstler, in der Theaterzeitung recht von Herzen gelobt zu werden, in den Säckel des in diesem Punkte sehr zugänglichen Bäuerle zauberte. Derselbe war eine der bekanntesten und beliebtesten Persönlichkeiten von Wien, nicht nur als Herausgeber der vielgelesensten Zeitung, als Vater der eigentlichen Localposse und Schöpfer des Staberl, sondern hauptsächlich als prächtiger Gesellschafter, als Erfinder und Verbreiter einer zahllosen Menge von Schwanken, als lebendiges Lexikon von Anekdoten, die er mit hinreißender Laune zu erzählen wußte. Und doch starb der Mann, der mit allen Fasern seines Ich’s in seinem theueren Wien wurzelte, fern von seinem Vaterlande, in Basel, wohin ihn seine Gläubiger zur Flucht gezwungen hatten. Allein und von aller Welt verlassen, überfiel den alten Mann im fernen Land Noth, Entbehrung und Siechthum; das Jahr 1848, welches in Oesterreich das alte verrottete Zeitungsmonopol aus den Händen der paar Personen riß, die mit demselben beglückt waren, und neue Concurrenzjournale in Unmassen auftauchen ließ, hatte auch den guten Bäuerle vom Throne der österreichischen Bühnenherrschaft gestoßen und in’s Exil getrieben. Friede seiner Asche! –

Glücklicher als sein Humorverwandter College starb jüngst in hohem Alter der wackere Dichter I. F. Castelli, geehrt, geachtet, wohlhabend und beliebt bei Alt und Jung, in den günstigsten Verhältnissen. Castelli war der eigentliche Erfinder vom „Wiener Jux“, eine Species von Scherz, die recht eigentlich der Metropole an der Donau angehört. Was die keckste Laune eben eingab, das wurde sofort in Scene gesetzt und ausgeführt, selbst auf die Gefahr hin, eines zu tollen Spaßes wegen mit der Behörde in Conflict zu kommen. Als Adjutant des Jux-Generals Castelli fungirte damals Deinhardstein, der aber seine Laune nicht, wie sein Vorbild, bis in’s höchste Greisenalter bewahrte. Castelli war bis an sein Ende Vorsteher einer Gesellschaft von Künstlern, Schriftstellern etc. „die grüne Insel“, die berühmt wegen ihrer tollen Streiche war. Aber folgen wir heute den lustigen Brüdern in den k. Redoutensaal und belauschen wir deren Treiben während eines Maskenballes.

Dort steht ein junger, schüchterner Mensch, ängstlich in einen Winkel gedrückt und sich offenbar in dem rauschenden bunten Gewühle nicht heimisch fühlend. Castelli geht rasch auf ihn zu und fragt entschieden:

„Sie haben ein Freibillet auf diesen Ball?“

Der fremde Jüngling sieht ihn erstaunt an und murmelt ein leises „Ja.“

„Nun also, warum tanzen Sie nicht?“

„Ich kann nicht tanzen.“

„Das fehlte noch! wenn man ein Freibillet hat, so muß man tanzen, und zwar die ganze Nacht. Das ist eine heilige Verpflichtung! Ich bin Ballcommissär und habe das Recht darauf zu sehen, daß die Ordnung aufrecht erhalten wird. Wer sind Sie? Wie heißen Sie?“

„Ich bin Kürschnergeselle und heiße Weiß.“

„Also, Herr Weiß, fordern Sie eine Dame auf und tanzen Sie.“

„Sehr wohl, Herr Commissär.“

Er tritt mit einer Dame, die er um einen Tanz bittet, in die Reihen, bleibt aber auch sofort stecken. Die Tänzerin blickt ihn erstaunt an und ruft: „Ja, was ist denn das, Sie können ja nicht tanzen?“

„Ich muß tanzen, ich habe ein Freibillet.“

„Was kümmert denn das mich?“

Und mit einer hingemurmelten, eben nicht sehr schmeichelhaften Bezeichnung läßt die Maske den verblüfften Kürschnergesellen stehen, der sich leise in die entgegengesetzte Ecke des Saales verkrümelt, doch sofort von seinem Freibilletcontroleur aufgefunden wird.

[299] „Was ist denn das, Sie obstinater Mensch, Sie tanzen ja schon wieder nicht? Wenn Sie nicht tanzen, so lasse ich Sie augenblicklich verhaften.“

„Herr Commissär,“ ruft verzweiflungsvoll unser Weiß, indem er sich den Todesschweiß von der Stirne wischt, „ich kann nicht tanzen. Wenn Sie mich nicht dispensiren, so will ich lieber nach Hause gehen.“

„Nun gut, so will ich diesmal Nachsicht haben. Sie brauchen nicht mehr zu tanzen. Bleiben Sie hier und amüsiren Sie sich gut.“

Unter den lautesten Dankesversicherungen entfernte sich der junge Mann mit freudestrahlendem Gesichte.

„Siehst Du den Domino mit der großen Nase?“ frug Castelli nach einer Weile. „Gieb acht, mit dem giebt’s einen Hauptjux.“

Er geht auf sein Opfer los, schlägt es kräftig auf die Achsel, indem er ihm zürnend zuruft:

„Du bist denn doch ein nichtswürdiger Kerl, Du läßt mir da Deine Frau auf dem Halse, weißt wie eifersüchtig sie ist, und gehst mir nichts Dir nichts auf den Maskenball. Sie ist wüthend und wartet unten beim Thore auf Dich. Geh sogleich hinunter, Du schlechter Mensch!“

„Sie verkennen mich, ich bin nicht der, welchen Sie meinen.“

„Ah,“ poltert Castelli, indem er den Schlag auf die Schultern des Dominos noch viel kräftiger wiederholt, „da hört denn doch Alles auf. Mir mache keine Wippchens vor, geh hinunter zu Deiner Frau, sonst bring ich sie wahrhaftig in den Saal herauf, und dann sollst Du Deinen Spectakel erleben.“

„Aber,“ ruft der Mann aus, indem er die Larve vom Gesicht reißt, „überzeugen Sie sich doch, daß Sie sich irren.“

Wie erwartet, starrt ein erbostes, aber sehr dummes Antlitz dem Dichter entgegen.

„Entschuldigen Sie,“ erwidert der Letztere, „ich habe Sie wirklich verkannt, ich muß nur gleich meinen Freund aufsuchen, seine arme Frau vergeht vor Ungeduld.“

Deinhardstein, der die Scene beobachtet hat, meint, der Spaß wäre doch etwas zu derb, und sie würden einmal Unannehmlichkeiten davon haben, während ihn Castelli versichert, daß die Geschichte noch nicht zu Ende sei, sondern „der Jux“ erst los ginge.

Während sich die Menschenmenge im dichtgedrängten Saale herum treibt, hat Castelli seinen Domino nicht aus den Augen gelassen, und nachdem er ungefähr eine Viertelstunde verstreichen ließ, segelt er auf ihn los, haut ihn mit einem furchtbaren Handschlag auf den Rücken und ruft, scheinbar mit äußerster Entrüstung:

„Du Sacrementskerl, so eben habe ich einen äußerst honetten und liebenswürdigen Herrn Deinetwegen gehauen, augenblicklich geh hinunter, Deine Frau wartet auf Dich.“

„Himmel-Donnerwetter, Herr,“ ruft der Gefoppte, die Larve herab reißend, „ich bin ja wieder der Nämliche!“

„Merkwürdig,“ sagt Castelli, indem er denselben ganz verdutzt stehen läßt, „Sie sind wirklich wieder der Nämliche! Gehen Sie lieber nach Hause, sonst schlage ich Sie heute Nacht noch einige Male.“

Ehe sich der Domino von seinem Erstaunen erholen kann, hat sich Castelli an den Arm Deinhardstein’s gehängt, und sie promeniren ruhig in dem Saale herum.

Alle diese Scherze waren weder zart noch sinnig; wir theilen sie auch nur hier mit, weil sie Hauptzüge im Bilde des alten, läppischen, vermetternichten Wiens sind. Man glaubt es heute kaum, daß solche Kindereien damals von Mund zu Mund gingen, und der ganzen Residenz Stoff zum Gelächter gaben.

Zu den damaligen Tagesfiguren Wiens gehörte auch der Schwiegersohn des Fürsten Metternich, der ungarische Graf Schandor, einer der tollsten Wagehälse seiner Zeit. Der kühnste Reiter, machte er sich kein Gewissen daraus, mit seinem Gaul über den offenen Kram einer erschrockenen Obstfrau und diese selbst weg zu setzen, vor den Maßregeln der Polizei war der Schwiegersohn des allmächtigen Premiers ja sicher.

Einst schlug er einem andern Cavalier eine sehr namhafte Wette vor, daß er, Graf Schandor, es dahin bringen wolle, an einem öffentlichen Orte arretirt zu werden, ohne sich die geringste ungesetzliche Handlung zu Schulden kommen zu lassen. Die Wette wurde angenommen, und der nächste Tag zur Ausführung bestimmt.

Graf Schandor begab sich, in ärmlichen, aber reinlichen Kleidern, in eine entfernte Vorstadt und ließ sich im Kaffeehause eine Tasse schwarzen Kaffees geben. Als der Marqueur die Bezahlung verlangte, sah sich der Graf ängstlich um und zog endlich aus dem Stiefel eine Banknote von tausend Gulden, mit der Bitte, ihm heraus zu geben. Der Kellner brachte sofort seinem Herrn Nachricht von dem Vorfall, der nichts Eiligeres zu thun hatte, als dem nebenan wohnenden Polizei-Bezirks-Commissar davon Kunde zu geben. Dieser seinerseits ließ schleunigst den „verdächtigen“ Fremden durch einen Polizeimann verhaften und vor sein Antlitz sistiren.

„Wie kommt Er,“ frug barsch der Beamte, „zu den tausend Gulden, die Er im Kaffeehaus wechseln lassen wollte?“

„Das geht Sie nichts an, warum lassen Sie mich arretiren?“

„Das wird sich finden! Warum hatte Er das Geld in dem Stiefel stecken?“

„Ist das gesetzlich verboten? Kann nicht Jedermann sein Geld aufbewahren, wo er will?“

„Das wird sich finden! Wie heißt Er?“

„Graf Schandor!“

„Ist Er verrückt?“

„Ich nicht, aber Er scheint mir verrückt, daß Er einen Menschen verhaften läßt, der nicht das Geringste verschuldet hat, blos weil er sich im Besitz von tausend Gulden befindet. Begleiten Sie mich in das Palais meines Schwiegervaters, dort wird sich das Weitere finden.“

Natürlich kehrte sich die Scene um, der zum Tod erschrockene Beamte legte sich auf’s Bitten, erhielt natürlich volle Verzeihung, und – Graf Schandor hatte seine Wette gewonnen. –

Am 30. Aug. 1836 erscholl in Wien die Trauerkunde, Ferdinand Raimund, der Liebling des Publicums, der Dichter des „Verschwenders“, des „Rappelkönigs und der Menschenfeind“ etc., der geniale Schauspieler, habe sich in einem Anfall von Trübsinn erschossen.

Kaum hat je eine durch und durch gemüthvollere poetische Natur als Raimund die deutsche Bühne geziert. Derselbe hatte sich in dem reizend gelegenen und damals noch nicht von der Eisenbahncultur beleckten Guttensteinerthal eine kleine Besitzung gekauft, die ihm unbeschreibliche Freude gewährte. Die tiefe ländliche Abgeschiedenheit, die romantische Gegend und der prächtige, frische Menschenschlag, welcher den fremden, stillen Mann sehr bald bei hundert Gelegenheiten als Wohlthäter verehren lernte und ihm mit Achtung und Herzlichkeit entgegen kam, waren eben so viele Anziehungspunkte für die zart besaitete Künstlerseele. Er lud seinen Freund, den Schauspieler Landner, dringend ein, ihn zu besuchen. „In mein Thal,“ pflegte er zu sagen, „ist noch keine böse Leidenschaft eingedrungen, die Menschen, die es bewohnen, sind alle noch so unverdorben und schuldlos, wie sie aus der Hand des Schöpfers kamen; ich nenne es daher nur das Thal der guten Leute.

Als Landner endlich, der vielfachen Aufforderung des wackeren Raimund Folge leistend, ihn auf dessen Landsitz heimsuchte, fand er die Behauptung des Freundes bei dem ersten Ausflug bestätigt. Es war ein Sonntagsmorgen, stiller Gottesfriede schien über der prachtvollen Landschaft zu schweben, ehrbar und sittig ging Jung und Alt, die Gebetbücher in den gefalteten Händen haltend, dem entfernten Kirchlein zu. Der Ton des Glöckchens, welches zum Gottesdienst ries, gab der Scene ein ungemein feierliches Colorit. Bei dem Anblick Raimund’s zogen die Männer freundlich grüßend die Hüte vor dem verehrten Manne, die Weiber knixten achtungsvoll und bescheiden. Raimund kannte alle Namen, alle Verhältnisse der Einzelnen, knüpfte über die letzteren, wo es am Platze schien, ein kurzes Gespräch an, kurz sein ganzes Wesen schien gehoben und freudig verklärt. „Habe ich nicht Recht?“ rief er dem Freunde in seliger Stimmung zu, „kannst Du Dir ein größeres Glück denken, als hier auszuruhen von den Qualen meines Berufes, im Schooße dieser himmlischen! Natur, hier unter diesen prächtigen Menschen? Habe ich nicht Recht, diesen paradiesischen Fleck „das Thal der guten Leute“ zu nennen?“

Horch, ein Mißton schallt durch die Luft!

Dort vom Kruge her ertönt ein widerliches Gejohle, ein junger Bursche, den Hut schief auf dem Kopfe, taumelt, offenbar betrunken, mit erhitztem, wuthentbranntem Antlitz dem Dichter entgegen.

„Hansl,“ ruft dieser entsetzt, „Hansl, Du bist b’soffen!“

„Ja,“ schrie dieser, „ich war auf dem Amt, um mir mein Recht zusprechen zu lassen. Mein Vater, der Lump, will mir die Hütte nicht abtreten, ich will ihm aber schon zeigen, wer der Herr ist! Hinaus werfen laß ich den alten Spitzbub’n!“ –

[300]Das Thal der guten Leute!“ murmelt Landner leise vor sich hin.

Raimund schlägt beide Hände vor das schmerzbewegte Antlitz und stürzt lautlos, wie vom bösen Gewissen gejagt, seinem Hause zu. Als Landner zurückkam, hatte sich Raimund in seine Stube eingeschlossen, und alle Versuche, ihm eine Antwort zu entlocken oder zu ihm zu dringen, waren fruchtlos. Erst nach vierundzwanzig Stunden kam er zum Vorschein, machte Anstalten nach Wien zurück zu reisen, ohne des Vorfalls auch nur mit einer Sylbe zu gedenken. Still und verschlossen, wie er stets war, wenn nicht Außergewöhnliches die scheinbare Eisrinde um das warme Künstlergemüth schmolz, erwähnte er auch später nie mehr „das Thal der guten Leute“.


Menagerie-Bilder.
Nr. 3. Ein gebildeter Orang-Utang.

Wenn diese Zeilen als Menageriebild überschrieben sind, so ist dies eigentlich nicht ganz richtig, wenigstens in einer deutschen Menagerie oder „Freßgesellschaft“, d. h. einer wandernden, wird man wohl noch nie einen solchen Affen gesehen haben, obgleich mancher andere Affe dafür ausgegeben wird. Einerseits ist dieses Thier, abgesehen von seiner Seltenheit, schon so sehr durch seine vielbesprochene Menschenähnlichkeit berühmt, daß sein alleiniger Besitz vollkommen hinreicht, ein großes Publicum anzuziehen, andererseits würden seine in Europa ohnehin gezählten Tage durch die kaum zu vermeidende nachlässigere Behandlung in einer größeren Menagerie nur noch mehr verkürzt werden. Der Orang-Utang z. B., von welchem ich hier sprechen will, wurde jeden Abend von seinen Besitzern auf dem Arme in deren Wohnung getragen, um da im Bett zu schlafen, und erst des Morgens wieder in die zur Schau bestimmte Breterbude gebracht, und seine Eigenthümer ließen ihn überhaupt nie aus den Augen. Das ist aber bei dem Mitbesitz zahlreicher anderer Thiere nicht gut möglich.

Wer nur einmal einen lebendigen Orang-Utang gesehen hat, wird ihn nicht wieder vergessen und kaum im Stande sein, ihn mit anderen Affen verwechseln zu können. Am ehesten könnte dies vielleicht dem nicht scharf Beobachtenden mit dem Schimpanse passiren, diesem eigentlich noch seltneren afrikanischen Orang-Utang. Der Schimpanse, den ich einst lebend sah, zeigt dasselbe ruhige Gebahren wie sein Vetter, und auch die Form des Kopfes bot, abgesehen von den viel größeren Ohren, im Ganzen nur wenig Abweichendes. Leider litt dieser Schimpanse schon an der unvermeidlichen Schwindsucht, ein trockener Husten quälte ihn sehr, und das wollene Kleid, welches ihm sein Besitzer angezogen, konnte ihm nicht sein heimisches Klima, am wenigsten die feuchtwarme Luft seiner Wälder ersetzen. Auch war der Affe selbst sehr besorgt um seine Decken und Kleider. Hing man sie ihm auf eine in der Nähe befindliche Leiter, so stieg er schleunig hinauf, um sie wieder zu holen, und als es ihm ein Besucher damit zu bunt machte, so sprang er wüthend von seinem Tische herunter und versuchte seinen Feind in die Füße zu beißen. Trotzdem sein Besitzer den Affen jede Nacht in einen wohlverwahrten Kasten schloß, so starb er doch in Kurzem, und ich sah ihn als Leiche auf dem Paradebett. Rings umgeben von einer Masse blühender Topfpflanzen lag auf einem schneeweißen Bett die kleine schwarzhaarige Gestalt, die Hände auf der Brust gekreuzt, so daß man sich unwillkürlich nach dem noch fehlenden Crucifix umsah.

Viel größer als dieser noch sehr kleine und junge Schimpanse war der erste Orang-Utang, welchen ich sah. Er wurde gleichzeitig mit einigen andern kleinen Affen in einem geräumigen Saale gezeigt, und bewegte sich ganz frei in demselben herum. Manchmal lag oder saß er bis über die Ohren in seine Decken gewickelt auf seinem Tische, oder er unternahm auch wohl einen Spaziergang im Saale. Dann zog er den Schwarm des Publicums immer hinter sich von einer Stelle zur andern, in zwar ziemlich aufrechtem Halten des Körpers, aber immer sich auf die geballten Hände der langen Arme stützend. Kein Philosoph kann ein ernsteres Gesicht machen, als das seinige war, wenn er dann mit Kennermiene sich vor den Ofen setzte, die Thür öffnete und die Asche herausnehmend dieselbe aufmerksam besah, wobei er, wie in träumerische Gedanken versunken, den Blick lange nicht wegwandte. Einen merkwürdigen Gegensatz bot es aber, wenn er das für ihn und seine Genossen errichtete, mit Seilen versehene Turngerüst erkletterte. Gleich einer ungeheuern Spinne streckten sich die langen Arme aus, um nach Erfassen eines neuen Haltpunktes den Körper nachzuziehen, eine ganz andere Bewegungsart als die der andern stets springenden Affen. Im Gegensatz zu diesen kleinen, überaus muntern, immer lärmenden Affen, welche seine Gesellschaft bildeten, geschahen die Bewegungen des Orang immer langsam, gemessen und schweigend, ja selbst wenn er auf seinem Lager sitzend vielleicht geneckt wurde und plötzlich die Hand nach dem Störenfried ausstreckte, so geschah dies immer noch mit einer gewissen ernsten Ruhe. Auch dieser Affe starb übrigens kurz nachher.

Diese beiden angeführten Affen, der Schimpanse sowohl als der Orang-Utang, hatten Nichts gelernt und Nichts vergessen, man hatte sie aus Rücksicht auf ihre Gesundheit nicht mit Erlernen von Künsten und dergleichen geplagt, und so bewegten sie sich nur in ihrer ungenirten Affenweise. Daher wurden dieselben auch in dieser Beziehung durch einen zweiten Orang-Utang, welchen ich sah, bedeutend in Schatten gestellt, denn derselbe war in der That ein gebildeter Orang-Utang. Es war ein Weibchen, und wenn ihm eine vom Schneider gefertigte Kleidung fehlte, die ja ohnedies den Anblick des Thieres beeinträchtigt hätte, so war es von der Natur selbst wie mit einer Jacke bekleidet. Langes, braunes, starkes Haar bekleidete nämlich die langen Arme und die obere Hälfte des Körpers, während die untere nebst den Beinen fast kahl war. Ein schwacher, wie nach vorn gekämmter Backenbart umgab das grauschwarze Gesicht, aus welchem den Beschauer ein Paar braune, so menschenähnliche Augen ansahen, daß man über diesen Augen die häßliche Gesichtsform gänzlich vergessen konnte. Der Gedanke an Seelenwanderung scheint beim Anblick solcher Augen gar nicht mehr so phantastisch.

Diesem Orang-Utang war nun gelehrt worden, Alles auf möglichst menschliche Weise zu thun. War es Essenszeit, so wurde ihm sein gekochter Reis auf einem Teller gereicht und ein Löffel dazu. Er aß mit demselben ziemlich geschickt, und nur manchmal passirte es ihm, daß er den Löffel verkehrt, d. h. mit der unteren Seite nach oben in den Reis steckte und daher nichts in das Maul brachte. Dann wurde er wohl ärgerlich und bückte sich auf den Teller, um mit den Lippen schnell eine Portion zu fassen, aber ein Wort seines Herrn brachte ihn sofort wieder zum Bewußtsein seines höheren Standpunktes. Beim Trinken aus einem Glase zog er es allerdings vor, wenn die Flüssigkeit zur Neige ging, lieber durch Verlängerung der Lippe das weniger Gewordene zu erreichen, als durch einfaches Höherhalten des Glases.

Gab man dem Orang-Utang einen Hut, eine Mütze, so setzte er diese sofort richtig, den Schirm nach vorn, auf den Kopf und gefiel sich offenbar nicht wenig in diesem Schmuck, und ich kann den lächerlichen Moment nicht vergessen, als ich dies zum ersten Male sah. Gerade in dem sich fortwährend gleichbleibenden, ernsten Gesichtsausdruck bei solchen Handlungen lag das ungeheuer Komische derselben. Gleichwohl kann ich nicht leugnen, daß gerade dieses lautlose, ernste Vornehmen menschlicher Handlungen bei einer so menschenähnlichen, behaarten Gestalt auf mich immer den Eindruck des Dämonischen gemacht hat. Besonders wenn das Thier herumging, so konnte man sich beim Anblick der gekrümmten Gestalt mit der Glatze und dem Backenbart des Gedankens an einen der Erde entstiegenen Gnomen kaum erwehren.

Die meisten Affen suchen bekanntlich Alles dessen sie habhaft werden können, zu zerbeißen und nur im Zerstören ihre Lust zu haben, unser Orang-Utang hingegen war offenbar auf die weise Anwendung der ihm überlassenen Dinge bedacht. Zu meiner großen Verwunderung versuchte er z. B. ein Paar Handschuhe sofort anzuziehen, und obwohl es ihm nicht gelang und er den rechten und linken verwechselte, so war er sich doch offenbar über den Zweck derselben vollkommen klar. Ein dünnes Spazierstöckchen nahm er [301] in die Hand, sich darauf stützend, als der Stock sich aber bog, wurde er zweifelhaft über die richtige Anwendung, und fing an, groteske Bewegungen damit zu machen. Nur von dem Zweck einer Zeitung – es war die Berliner Kreuzzeitung – schien er keine Kenntniß zu haben, oder war es Mißachtung der politischen Richtung, genug, er nahm das ihm dargebotene Exemplar, und nachdem er einen kurzen Blick darauf gethan, so legte er es ruhig hin und setzte sich darauf zum nicht geringen Gelächter der Anwesenden. Jedenfalls durchzuckten Fortschrittsideen seinen Schädel. Natürlich erstreckte sich seine Bildung auch auf die nöthige Reinlichkeit, obgleich ihm hier noch mitunter Schwachheiten passirten. Wurde dies aber bemerkt und gerügt, so retirirte er dann mit um so beschleunigterem Tempo auf das betreffende Gefäß, um dann um so geduldiger darauf zu verweilen.

Ein gebildeter Orang-Utang.

Viel weniger intelligent war ein dritter Orang-Utang, welchen ich lebend sah. Es war dies ein Männchen und auffallend durch eine vor den Ohren beginnende, unter der Kehle am stärksten entwickelte Wamme. Ob dies bereits eine Andeutung der Geschwulst war, welche sich bei dem Männchen der einen Art Orang-Utang findet, kann ich nicht sagen, zur Verunstaltung des Thieres trug sie jedenfalls bei. Auch fehlte diesem Exemplar der Backenbart gänzlich, vielleicht eben durch die Entwickelung der Wamme.

Wenn es einmal gelänge, den Orang-Utang in seiner Freiheit erschöpfend zu beobachten so müßten diese Beobachtungen jedenfalls von außerordentlichem Interesse sein. Sein geselliges Leben, sein Verhaltniß zu den anderen Thieren seiner Heimath und noch viele andere Punkte dürften so viel des Neuen und Unerwarteten bieten, daß nur die Unzugänglichkeit seiner Waldungen für die Europäer es erklärlich macht, warum nicht schon seinetwegen allein Forscher dies Wagniß unternommen haben. Freilich scheint der Gorilla, dieser gewaltige, durch Chaillu’s Reisen bekannt gewordene Affe Afrikas dem Orang-Utang den Rang streitig machen zu wollen, aber gerade, wenn die Berichte dieses Reisenden von der Furchtbarkeit dieses Affen wahr sind, so dürften noch viele Jahre vergehen, ehe wir denselben lebend sehen, und er also unserm Interesse und Verständniß näher gerückt wird. Denn nur das lebende Thier läßt die wahre Vorstellung davon in uns zurück, allen Abbildungen und Museen zum Trotz.

L.


[302]
Im Grindewald-Gletscher.
Von A. Diezmann.
(Fortsetzung.)


„Sie gingen schweigend und langsam durch einen weiten, hohen, runden Saal, um den herum zierliche Säulen liefen und in den von einem unsichtbaren Punkte aus ein dämmerndes Licht, wie das sanfteste Mondlicht oder wie Morgenschein, fiel. Wunderlich geformte, schimmernde Sträucher und Blumen, die in dem Lichte blitzten, als wären sie von Krystall, standen in Gruppen geordnet zwischen den Säulen. In der Mitte des Saales warf ein Springbrunnen seine Strahlen empor, die dann, in Millionen Perlen zerflatternd und zerstäubend, plätschernd in ein alabasterweißes Becken fielen. Von einer Seite her hörte man ein sanftes Klingen, wie von entfernten silberhellen Kinderstimmen. Als die Jungfrau mit ihrem Begleiter zwischen zwei der Säulen hindurchgegangen war, standen sie an einem Vorhang, der sich nur mit dem leichten bläulichen Dufte vergleichen ließ, welcher bisweilen über den Bergen liegt. Zu beiden Seiten des Vorhanges standen je zwei ganz in Grau gekleidete Zwerge, je Einer mit glattem, jugendlichem Gesicht und schelmisch lächelnden Augen und ein Alter mit großem weißen Bart, finsterer Miene, runzeligem Gesicht und traurig ernsten Augen. Sie verneigten sich gleichzeitig, als die Jungfrau herantrat, und zogen rasch den Vorhang zurück, der sofort hinter den Eintretenden sich wiederum schloß. Der Jäger befand sich mit seiner Führerin in einem Gemach, bei dessen Anblick er staunend und wie geblendet stehen blieb. Eine Schaar ganz kleiner, weißgekleideter Mädchen, mit blitzendem Schmucke reich geziert, kam ihnen entgegen und schlang unter leisem Gesang zierliche Tänze um sie. Die Luft war lieblich frisch, wie an einen Frühjahrsmorgen, und in dem Gemach glänzte ein Licht wie Morgenroth, so daß Alles darin aus Gold und Rubinen zu bestehen schien. Dabei war es erfüllt von berauschendem Duft, wie von den edelsten Alpenkräutern und seltensten Blumen. An der einen Seite stand eine Art Ottomane, die aussah, als sei sie aus frischgefallenem Schnee und aus Silber zusammengesetzt. Die ganze Wand gegenüber bildete ein riesengroßer Spiegel. Zu beiden Seiten desselben gruppirten sich die winzigen weißen Mädchen, auf einen Wink der Gebieterin aber verschwanden sie. Diese selbst trat an den Spiegel und nahm den Schleier nebst den blitzenden kleinen Sternen aus dem Haar, das nun in langen, blonden Ringellocken auf die vollen, blendend weißen Schultern fiel. Dabei schien sich zugleich der Ausdruck des Gesichtes gänzlich zu verändern, denn während es bis dahin ernst, kalt, ja streng gewesen war, wurde es nun heiter mild und kindlich lieblich, so daß der Jäger freudig erstaunt und ermuthigt ihr einen Schritt näher trat.

„Ich habe Dich lange beobachtet,“ begann sie, und ihre Stimme klang unbeschreiblich schmeichlerisch weich und süß vertraut; „ich kenne den furchtlosen Muth Deines Herzens und die Kraft Deiner Glieder. Ich weiß, daß Du nicht tändelst und liebelst mit den Mädchen auf den Bergen, wie die andern Burschen, weil Du fühlst, daß Du zu Höherem und Besserem bestimmt bist. Ich werde Dich erhöhen, denn ich bin die Beherrscherin dieser Berge. Meine Macht ist groß und unberechenbar die Zahl meiner Diener, die stets bereit stehen, auf einen Wink meine Wünsche zu erfüllen und meine Befehle zu vollziehen. Aber die Macht allein giebt das Glück nicht, und ich bin nicht glücklich. Ich stehe allein und empfinde es schmerzlich. Seit langer Zeit schon fühlte ich in mir ein tiefes, unklares Sehnen, das ich nicht zu deuten vermochte. Erst als ich Dich gesehen und wiedergesehen hatte, verstand ich es, und nun weiß ich, was sich mir im Busen regt.“

Sie hielt inne, sah den Jäger mit einem Blicke an, der ihn ihr völlig gewann, und setzte dann in einem Tone hinzu, welcher aus der tiefsten Tiefe ihres Herzens zu kommen schien:

„Liebe mich, o liebe mich! Und ich will Dich groß und glücklich machen, wie es ein Sterblicher noch nie gewesen ist.“

Diese Worte, noch mehr aber der Ton, in dein sie gesprochen wurden, und die Blicke, die sie begleiteten, überwältigten den Jüngling so, daß er die Arme ausbreitete und die Holde ungestüm an seine Brust wie seine Lippen auf die ihrigen preßte. Aber entsetzt ließ er alsbald die Arme sinken und entsetzt zog er den Mund zurück, denn die Jungfrau, die er berührt hatte, war kalt wie Eis und das Gesicht, selbst die Lippen, weiß wie Schnee. Sein Herz, das so heiß geschlagen, erstarrte fast an dem kalten Busen, und der Athem, der sein Gesicht berührte, war eisiger Hauch.

„Bleibe!“ flüsterte sie ihm flehentlich zu. „Fürchte Dich nicht, denn an Deinem Busen will und werde ich erwarmen.“

„Laß mich!“ entgegnete der Jüngling, indem er sich aus ihren Armen loszuwinden suchte, als wären sie Schlangen, die ihn erdrücken wollten.

„Liebe mich, o liebe mich!“ wiederholte sie. „Mein Glück ist meine Rettung und Deine Seligkeit.“

„Ich erstarre!“

„Ich lasse Dich nicht,“ sagte sie, „Du gelobtest mir denn wiederzukommen, wann und so oft ich Dich rufe.“

Ihre Augen suchten die seinigen, und er konnte der Macht derselben nicht widerstehen; er schwur auf ihren Ruf wieder zu kommen, zugleich aber versuchte er von Neuem sich loszumachen und zu entfliehen.

„Noch einen Augenblick, Geliebter!“ bat sie. „Du ahnst nicht, wie wonnig wohl mir die Wärme thut, die von Dir ausgeht. Merke auf! Wenn Abends die Höhen meiner Alpen glühen, so nimm es als ein Zeichen, daß ich Dich hier erwarte, aber wehe Dir, wenn Du Deinen Schwur brichst, wie es feige Menschen oft thun!“

Während sie so sprach, ließ sie ihre Arme allmählich von ihm los, und er wollte nun hinweg eilen. Sie aber hielt ihn noch einmal zurück.

„Nein!“ sagte sie. „Gehen sollst Du nicht. Meine Diener bringen Dich in Deine Wohnung.“

Gleichzeitig legte sie ihm die Hand auf das Herz, das unter der Kälte derselben schwächer und schwächer schlug, bis er endlich wankte und auf den weichen Sitz niedersank. Die Sinne waren ihm vergangen und das Leben schien ganz von ihm gewichen zu sein.

Trugen ihn die Diener der Jungfrau, wie sie gesagt, hinweg? Er wußte es nicht, aber am Morgen erwachte er in seinem Bett.

Er rieb sich die Augen und sah sich um. Hatte er geträumt, oder war Alles wirklich geschehen? Den Eindruck, der ihm geblieben, konnte er indeß nicht von Herzen einen erfreulichen nennen, wenn er sich auch gestehen mußte, daß die Jungfrau, die er in seinen Armen gehalten, schön und liebreizend und daß namentlich ihre Augen zauberisch verlockend gewesen. Wäre nur nicht die Eiseskälte von ihr ausgegangen! Noch jetzt empfand er einen gewissen Schauer, wenn er daran dachte. Freilich hatte sie ihm gesagt, sie würde an ihm und durch ihn erwärmen. Geschah dies einmal wirklich, dann, ja dann mußte sie um noch viel verführerischer und entzückender sein. Wenn dann warmes Blut durch ihre Glieder floß, färbten sich gewiß auch ihre Wangen und Lippen roth, und ihre Schönheit erblühete vollständig. Konnte er diese Umgestaltung bewirken, die sie ihre Rettung und ihr Glück genannt hatte, so war es in der That eigentlich kein großes Opfer von ihm, sie einige Mal noch erkaltend in den Armen zu halten, zumal diese Kälte sicherlich mehr und mehr abnahm und allmählich minder erschreckend wirkte. Ueberdies war sie, wie sie ihm gesagt, die mächtige Herrin und Beherrscherin der Berge, und wenn er auch nur geringen Werth auf die Schätze legte, die sie ihm vielleicht ertheilen konnte, so schmeichelte es doch seinem Ehrgeize und seinem Stolze, durch sie über alle Sterbliche, wenigstens über alle seine Bekannte weit und breit, dadurch erhoben zu werden, daß die Mächtige vor den Söhnen der Herren und reichen Bauern ihm, dem armen Jäger, ihre Liebe schenkte. Er war deshalb bald entschlossen, von Neuem die aufzusuchen, die ihn bereits den Geliebten genannt hatte.

Der Tag war sonnenhell, Adler-Fritz aber blieb gegen seine Gewohnheit daheim, nicht etwa, weil er eine gewisse Ermattung fühlte, sondern weil er in der Nähe sein wollte, wenn die Geliebte ihm das weithinleuchtende Zeichen gebe, in ihre Arme zu eilen. Mit wachsender Sehnsucht harrte er dem Abende entgegen. Endlich kam er, aber nicht der leiseste goldene Schimmer ließ sich an den schneebedeckten Berghäuptern sehen, und da das verabredete Zeichen ausblieb, wagte es auch der Jäger nicht, seine Unbekannte aufzusuchen.

[303] Mißmuthig, nach den Ursachen grübelnd, die sie wohl fern halten könnten, fast verzweifelnd saß er lange in seinem Hause und erst spät begab er sich zur Ruhe. Als der Morgen wiederum anbrach und die Hoffnung ihn aufrichtete, am Abende dieses Tages werde gewiß seine Sehnsucht befriedigt werden, schlichen die Stunden unbegreiflich langsam dahin, als wollten sie ihn reizen durch ihr Zögern, oder als sollte die Sonne gar nie wieder untergehen. Sie rückte indeß allmählich dem Horizonte näher, endlich sank sie hinab und – die Hochzeitsfackel leuchtete hell und weit in das Land hinein: die höchsten Spitzen der Schneeberge sahen aus, als würden sie mit geschmolzenem Golde übergossen und als ströme die feurige Gluth funkensprühend, mit Staub von Rubinen und Diamanten überstreut, an den Seiten herab. Adler-Fritz stand bereits oben an dem Gletscher, um sofort bereit zu sein, wenn er durch solches Alpenglühen beschieden werde. Die kleinen Lichter, die ihn bei seinen frühern Wanderungen geführt hatten, stellten sich ebenfalls wieder ein, und diesmal erkannte er, entweder weil er genauer hinsah, oder weil sein Auge bereits befähigter war, geisterhafte Wesen zu sehen, daß das, was er für Flämmchen gehalten hatte, ganz kleine, wie Nebelgestalten halbdurchsichtige Zwerge waren, die auf den zierlichen Köpfchen ein Flämmchen, einen Lichtschein trugen, wie Leuchtkäfer. Sie trippelten und tänzelten eifrig vor ihm her und bald gelangten sie an die ihm schon bekannte Eingangshalle. Die Herrin des Eispalastes aber zeigte sich diesmal nicht schon hier, der Jäger wurde vielmehr von einer Anzahl jener kleinen weißen Mädchen empfangen, die er schon einmal gesehen hatte und denen er ohne Scheu folgte. Der große Saal war jetzt durch viele Tausende von kleinen schimmernden Lichtern erhellt. Zu beiden Seiten jenes bläulichen Vorhanges stellten sich die Führerinnen auf; er theilte sich von selbst, um den Jüngling einzulassen, und schloß sich dann hinter ihm. In dem Gemache, das wiederum der lieblichste Duft erfüllte, das aber nicht in röthlichem Lichte glänzte, sondern durch eine an der Decke schwebende schwachleuchtende Kugel nur dämmernd erhellt war, empfing ihn die Gebieterin. Sie saß auf dem weißen Sitze und winkte, neben ihr Platz zu nehmen.

„Willkommen!“ sagte sie. „Und wohl Dir und – mir, daß Du Wort gehalten hast!“

Sie erschien ihm heute so schön, dabei aber so voll Hoheit, daß er nicht sogleich wagte, den ihm bezeichneten Platz einzunehmen, sondern sich vielmehr unwillkürlich vor ihr auf die Kniee niederließ. Sie lächelte, bog sich zu ihm, ganz nahe zu ihm nieder, so daß ihr Gesicht das seinige fast berührte, und sagte freudig bewegt: „Siehst Du, daß bereits nach Deiner ersten warmen Umarmung, nach Deinem ersten heißen Kusse ein leichter rosiger Schein auf meinen Wangen sich zeigt, wie der erste Morgenschimmer am Himmel vor dem Aufgang der Sonne? Fühlst Du, daß mein Athem Dich minder kalt anweht? Auch hier“ – und sie legte die Hand auf den Busen, „beginnt es leise sich zu regen wie im Wintereise, wenn der erste warme Frühlingshauch darüber geht. Ich bin hoffnungsfroher als je.“

Während sie so sprach und der Jäger sich überzeugte, daß allerdings ihre Wangen sich leicht zu röthen begannen, beugte sie sich noch tiefer hinab, drückte ihre Lippen verlangend auf die seinigen und zog ihn zu sich empor. Da er nun nicht mehr zweifeln konnte – weil ihm ja der Augenschein den bereits beginnenden Erfolg zeigte –, daß er zu bewirken vermögen werde, was sie von ihm wünsche; da das Glück, welches ihn nach dem Gelingen erwartete, ihm nicht nur immer wünschens-, sondern auch opferwerther erschien; da ferner ihre Augen schon jetzt in gar zu verlockender Sprache zu ihm redeten, legte er seine Arme um sie und drückte sie fest und lange an sich, als wolle er auf einmal alle Wärme aus sich in sie überströmen lassen. Vielleicht, daß das ersehnte Wunder der Verwandlung schon jetzt und vor seinen Augen geschah! Sie aber schmiegte sich an ihn, und ihre Lippen sogen begierig den warmen Hauch von seinem Munde ein. So lange sie ihn dabei ansah, dauerte er aus, obgleich die Kälte, die von ihr ausging, mit immer tiefer dringendem Schauer ihn erfaßte; als sie aber die Augen, die ihn gebannt hielten, in süßem Schmachten schloß, ließ er auch matt die Arme sinken und sprach leise:

„Ich sterbe!“

Kaum hatte er sich zurückgelehnt, um sich zu stützen, so vergingen ihm die Sinne.

Am andern Morgen erwachte er wiederum in seinem Bette, ohne zu wissen, wie er dahin gekommen. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Nie hatte er so lange geschlafen. Er, der bisher die Müdigkeit nur in Folge von anstrengenden Bergwanderungen gekannt hatte, fühlte eine seltsame Schwäche in allen Gliedern, und es fröstelte ihn fortwährend. Langsam stand er auf und langsam ging er hinaus, sich in den wärmsten Sonnenschein zu setzen. So saß er lange, sich über sich selbst verwundernd, aber ohne sich zu beklagen, denn er zweifelte keinen Augenblick, daß die sonstige Kraft und Wärme bald zurückkehren würde. Während er sich noch so sonnte, wie Einer, der von schwerer Krankheit erstanden ist, trat sein alter Vetter vor ihn hin, der gekommen war, mit ihm zu reden, und nun kopfschüttelnd vor ihm stehen blieb.

„Was ist Dir?“ fragte er. „Hast Du das Fieber?“

„Nein, Vetter, das Fieber ist es nicht.“

„Was ist’s sonst? Du siehst ganz verändert aus, bleich und matt und sitzest hier in der Sonne?“

„Ich bin spät in der Nacht, oder vielmehr früh am Morgen über die Gletscher gekommen, und die kalte Luft …“

„O, ich habe Dich wohl beobachtet. Was treibst Du? Schon mehrere Tage bist Du nicht wie gewöhnlich zur Jagd ausgegangen. Du schleichst umher wie ein Träumender und wanderst in den Nächten draußen wie ein irrer Geist, der keine Ruhe finden kann. Drückt etwas Dein Gewissen? So gehe in den Beichtstuhl, erleichtere Dein Herz durch ein offenes Geständniß und thue Buße.“

„Vetter, ich habe ein Mädchen gesehen …“

„Also verliebt bist Du? Nun, solches Leiden vergehet meist gar bald. Aber Verliebten ist es sonst immer zu heiß, und Dich fröstelt es?“

„Es ist kein gewöhnliches Mädchen … Oben auf dem Gletscher sah ich sie. Sie ist schön wie keine Andere, reich und mächtig …“

„Auf dem Gletscher? Wie kam sie dorthin und wer ist sie?“

„Ihren Namen kenne ich nicht, ich weiß nur, daß sie mich liebt. Eine hohe stolze Gestalt in weißem Gewande erschien sie mir ..“

„Unglücklicher! Die Eisjungfrau? Hat sie Dich verlockt? Dann wehe Dir und uns Allen!“

„Die Eisjungfrau? Ja, die Beherrscherin der Berge, so nennt sie sich. Habt Ihr von ihr schon gehört? Ihre Macht ist groß und die Zahl ihrer Diener unberechenbar. Sie will mich erhöhen über Alle und glücklicher machen, als alle Sterblichen.“

„Verloren, zeitlich und ewiglich verloren sind Alle, die in die Gewalt der bösen Geister fallen.“

„Sie ist kein böser Geist. Wer ihr nur einmal in die Augen gesehen hat, kann es nicht glauben. Sie will und wird in meinen Armen erwarmen und dann mit mir glücklich sein.“

„Tödten wird sie Dich! Kehre um von dem Pfade des Bösen, auf den Du Dich verirrt hast, so lange es noch Zeit ist. Vertraue Dich unserm frommen Priester an, daß er Dir beistehe mit der Kraft der heiligen Kirche.“

„Ich glaube ihr, die mich liebt, mehr als allen Priestern und hoffe, daß meine Kräfte ausreichen werden, um auszuführen, was sie wünscht und was ich begonnen habe.“

Er erzählte dann, was er bisher gesehen und gethan; wie aber auch der alte Vetter ihn beschwor, abzulassen, er betheuerte wiederholt, treu den Schwur zu halten, den er der Geliebten gethan.

Er setzte in der That seine nächtlichen Besuche fort, so oft das Glühen der Alpen ihn berief, bisweilen mehrere Nächte hinter einander, bisweilen nach kürzern oder längern Zwischenräumen.

Der Frühling verging und es war hoher Sommer geworden. In dieser ganzen langen Zeit hatte der Adler-Fritz nicht einmal seine gewohnte Bergwanderung unternommen, denn alle seine Lust und Freude daran war dahin, wie die Kraft dazu geschwunden. Selbst der nicht eben sehr ermüdende Gang hinauf zu dem Gletscher fiel ihm bei jeder Wiederholung beschwerlicher. Er verfiel von Tage zu Tage mehr, und die Leute im Orte betrachteten ihn mit furchtsamer Scheu, wenn auch nicht ohne theilnehmendes Mitleid, denn Alle hatten vernommen, daß er mit der gefürchteten Eisjungfrau verkehre, und Alle erwarteten, daß sie selbstsüchtig ihm die Wärme seines Leibes und damit das Leben entziehen werde. Er selbst mußte sich sagen, daß er kaum noch ein Schatten von dem sei, was er gewesen, aber er erzählte immer und immer hoffnungsvoll dem alten Vetter, der ihn fast täglich besuchte und mit herzlichem Zuspruch ihn ermahnte, doch von dem bösen Geiste zu lassen, der [304] ihn um sein Lebensglück und sein ewiges Seelenheil bringen werde, daß die Geliebte bei jedem Besuche, den er ihr gemacht, schöner erblüht, heiterer und des Glückes sicherer sei, daß ihre Liebkosungen ihn entzückten und daß er lieber sterben als sie entbehren wolle. Aber er werde nicht sterben, denn es gelte nur noch eine kurze Zeit auszudauern, dann sei die Erlösung vollbracht und damit sein und der Jungfrau Glück festbegründet.

In der ganzen Gegend umher schien eine Veränderung vorzugehen. Noch nie war der Schnee auf den Bergen so schnell und so reichlich geschmolzen. Er schwand sogar an Stellen, welche selbst die ältesten Leute nie schneelos gesehen hatten. Von den Gletschern rann das Wasser, wie von beschneiten Dächern im warmen Sonnenschein. Die Wasserfalle waren so zahlreich und so voll wie nie. An Tausenden von Punkten perlten und sprudelten neue Quellen und Quellchen hervor, die ihr Gewässer in kleine Bäche sammelten, welche sodann in munterm Tanz und unter lustigem Geplätscher hinunter in das Thal hüpften. Auf den Matten wuchs das Gras in nie gesehener Ueppigkeit die Kräuter und Blumen dufteten stärker als je, und selbst an Stellen, die sonst nur Eis bedeckt hatte, keimten und sproßten junge Gräser hervor. Die Geisbuben und die Wildheuer jubelten, denn während die Erstern ihre kletterlustigen Thiere zu lockendem Grün auf Höhen führen konnten, die sonst, von Eis verhüllt, kaum eine Gemse zu betreten wagte, fanden die Letzteren das duftigste Gras in Fülle auf zahlreichen kleinen neuentstandenen Matten, die kein Grundbesitzer sich noch angeeignet hatte.

Bäteli allein achtete nicht auf die ungewöhnliche Fruchtbarkeit der Matten, nicht auf das Gedeihen ihrer Kühe und nicht auf den reichlichen Milchertrag, den sie gaben. Still und schweigsam verrichtete sie ihre Arbeiten, während sie sonst sorglos und heiter in den Himmel hinein gejodelt und mit der Lerche um die Wette gesungen hatte. Sie betete täglich mehrmals für den Adler-Fritz, wie sie ihm versprochen hatte, noch häufiger, ja den ganzen Tag hindurch, dachte sie an ihn und jeden Tag schaute sie sehnsuchtsvoller nach ihm aus, denn Wochen, Monate sogar waren vergangen, ohne daß ihre Augen ihn erblickten. Hatte sie sich getäuscht, als sie sich eingeredet, er habe sie gern und werde sie lieben, wie sie – kaum wagte sie es sich selbst zu gestehen – ihn schon liebte? Warum kam er nicht wenigstens einmal in ihre Nähe, wie sonst so oft? Sie wäre ja zufrieden gewesen, sie würde sich sogar glücklich gepriesen haben, wenn sie ihn nur einmal gesehen. Sollte er sein Herz einer Andern zugewendet haben, oder ... ?

Sie konnte diesen Gedanken nicht ausdeuten. Warum hatte er sie ersucht zu beten, daß Gott ihm gnädig sein möge? Warum nicht, daß er ihn behüten und bewahren wolle auf seinen gefährlichen Wanderungen? Sollte er etwas begangen haben oder begehen wollen, das ihm Gottes Gnade und Barmherzigkeit nöthig machte?“

(Schluß folgt.)


Freies deutsches Hochstift für Wissenschaften, Künste und allgemeine Bildung zu Frankfurt a. M.

Zeugniß und Empfehlung zur Unterstützung der deutschen Erfindung der Schiffshebung und Taucherschifffahrt.

Nachdem Herr Wilhelm Bauer von München, zufolge einer in der „Gartenlaube“ gegebenen Anregung, vom „Freien deutschen Hochstifte“ zur Vorlage seiner Erfindungen hierher berufen, zunächst am 3. d. M. vor dem Verwaltungsrathe und einem engeren Kreise aller hiesigen Sachverständigen der bezüglichen Wissenschaften und Künste, sodann, aus Grund der ihm einstimmig von den ausgezeichnetsten Fachmännern zu Theil gewordenen Anerkennung, auch in unserer ordentlichen öffentlichen Sitzung am 6. d. M. und demnächst am 8. und 13. d. M. im hiesigen volkswirthschaftlichen und im Arbeiterbildungs-Vereine die gesammte Grundlage und den wirklichen Beweis der Ausführbarkeit seiner nun schon seit mehr als zehn Jahren vergeblich ihrer Verwerthung zur Ehre des Erfinders und des deutschen Namens entgegenharrenden Erfindungen vorgelegt hat, erklären wir diese seine Erfindungen, vermittelst deren es ohne Zweifel möglich sein wird, versunkene Schiffe unzerstört, mit allem Gute, aus Tiefen bis zu mehreren hundert Ellen zu heben und zu bergen, ferner unter dem Wasser, mit willkürlichem Wechsel der Tiefen, frei nach allen Richtungen zu fahren, zu sinken und zu steigen, Arbeiten der verschiedensten Art zu verrichten, wissenschaftliche und andere zweckdienliche Beobachtungen zu machen, im Falle eines Krieges aber die Küsten des Vaterlandes gegen Kriegsfahrzeuge jeglicher Art in nachdrücklichster Weise zu vertheidigen, für durchaus begründet und ausführbar, in volkswirthschaftlicher, wissenschaftlicher und kriegerischer Beziehung für höchst wichtig und der Unterstützung des ganzen deutschen Volkes würdig!

Wir schließen uns daher der Bitte des zu Leipzig für diesen Zweck zusammengetretenen Hauptausschusses an, zu Stadt und Land zum Behufe der Ausführung zunächst der die Schiffshebung betreffenden Erfindung Wilhelm Bauer’s Beisteuern zu sammeln, deren Beförderung an den Leipziger Hauptausschuß (Herrn E. Keil) jede deutsche Buchhandlung gern übernehmen wird.

     Frankfurt a. M., den 19. April 1862.
Namens des Verwaltungsrathes des „Freien deutschen Hochstifts“
G. H. Otto Volger, Dr., d. Z. Obmann.               

Briefkasten.

Für Wilhelm Bauers „deutsches Taucherwerk“ sind ferner (bis zum 28. April) eingegangen : 50 fl. 50 Kr. östr. W. und 3 Thlr. pr. E. durch A. Kamm in Prag, und zwar 15 fl. 40 Kr. von Mitgliedern des deutschen Turnvereins das., 35 fl. 10 Kr. u. 3 Thlr. von Lesern d. Gartl. (eine zweite Liste für denselben Zweck macht noch die Runde); 3 Thlr. durch A. Fischer von Lesern d. G. in Soldau (Ostpreußen); 1 Thlr. von Frl. Rose in Züllichau; durch E. Rehfeld in Posen 2 Thlr. von R. Garfey, 1 Thlr. von F. Stephan, 1 Thlr. von E. R.; – durch Wendlin Gyse in Hanau 15 fl. rh. von der Hanauer Turngemeinde, als erster Beitrag; von einem Leser d. G. in Aarau 1 dorthin verirrter Anhalt-Bernburgischer Segenthaler; durch H. Schmidt in Friedland (bei Waldenburg in pr. Schlesien) 20 Sgr. von Gr. Walzel in Weckelsdorf bei Braunau in Böhmen und 10 Sgr. von ihm; 1 Thlr. aus Ichtershausen; 1 fl. rh. von H. u. K. in Mainz; durch C. Zülch in Carlshafen 2 Thlr., gesammelt bei einer vertr. Maibowle auf der Juliushöhe; 10 Thlr., gesammelt durch Klette in Langenbielau (Schlesien), erste Sendung; 3 Thlr. P. u. M. K. Berlin und Stettin; durch Pf. Junkelmann in Rastenberg (Weimar) 2 Thlr., ges. auf dem Rathskeller und im Verein das.; durch Lehrer L–sch in Zaasch bei Delitzsch 2 Thlr. von Les. d. Gartenl.; 25 Thlr. von R. Schärff in Brieg „als ein für vier Jahre zinsloses Darlehn“; 4 Thlr. von A. Vogel in Altona – „Augenzeuge jenes Kieler Unglücksversuches, von dem ich schon damals die Ueberzeugung mit mir nach Hause nahm, daß dem Manne, trotz Spötter und Lacher, dennoch die Zukunft gehöre. Ich habe mich nicht geirrt und freue mich dessen!“ – 1 Thlr. 15 Sgr. von Mitgliedern des Humboldt-Vereins zu Talge bei Osnabrück; 4 Thlr. 20 Sgr. von einer deutschen Familie in Moskau; 1 Thlr. von L. ans Hannover; 1 Thlr. von S. aus Leipzig; 10 Thlr. vom Leipziger Künstler-Verein; durch Herm. Eckner in Königsbrück 1 Thlr. 14 Gr. 4 Pf. gesammelt; 1 Thlr. von C. M. K. in Dresden; von zwei deutschen Jünglingen aus Brdbg. 12 Sgr. in Briefmarken: „Das Eine muß wohl in das Andre greifen, damit das Ganze kann gedeihen und reifen!“ – 4 Thlr. Ertrag einer Sammlung in der Gesellschaft „Erholung“ zu Sebnitz; 10 Ngr. von fünf Mitlesern der Gartenl. in Pausa; durch Auditor Jul. Keßler in Dermbach 3 Thlr. gesammelt; 1 Thlr. 6 Ngr, von mehreren Lesern der Gartenl. in Oberrößlau bei Wunsiedel; 15 Ngr. von A. Steiner in Breslau; durch T. Löffler in Mannheim 1 fl. 36 Kr. rhn von einer Frühschoppengesellschaft, 1 fl. von L.; durch Wollnzihn, Strömer und Blenning 21 Thlr., Ertrag einer Zehngroschen-Sammlung und einiger anderer Beitrage, wie von der Packhofsfeuerwehr 1 Thlr., A. 5 Sgr., K. 1 Thlr., A. K. 15 Ngr,; 2 Thlr. von dem „kleinen Comptoir“ in Magdeburg; 5 Thlr. von einem Augenzeugen, am 23. Juni 1861, bei der Hebung des versunkenen Dampfschiffs „Ludwig“ auf dem Bodensee; 5 Thlr. von H. K – n in Leipzig; 2 Thlr. von Franz Schubert aus Leisnig (Sachsen), wohnhaft in Holte bei Osnabrück; 2 Thlr. von M, M. in Algier; durch Dr. Georgi 3 Thlr. vom naturwissenschaftlichen Verein zu Reichenbach i. B.; durch I. Gabriel Seeberger im Mkt. Redwitz in Baiern 14 fl. rhn, von mehreren Mitgliedern der dortigen Bürgergesellschaft, und 2 fl. 30 Kr. von einer kleinen Gesellschaft bei Posthalter Popp in Schindellohe in Baiern. – Mehrere buchhändl. Sendungen, die noch nicht erhoben sind, quittiren wir in der nächsten Nummer der Gartenlaube. – Die „2 Thlr. aus Dresden“ (in Nr. 13) waren von „zwei Leserinnen der Gartenlaube“.

Brieflich angekündigt sind 100 fl. vom Turnverein in Offenbach und gegen 1400 fl. rhn. gesammelt in den Kreisen der Arbeiter und Handwerker in Nürnberg.

Das Frankfurter Journal brachte die Nachricht, daß der Antrag an den Nationalverein gestellt sei, Bauer’s Erfindungen mit 50,000 Thaler zu unterstützen. Diese Notiz ging in viele Zeitungen über, und ward schlieslich bis zu der Behauptung verdreht, daß der Nationalverein Bauer’s Erfindung ganz in die Hand genommen habe. Das ist durchaus unwahr. Bauer’s Unternehmen ist ein ganz allgemeines; der Nationalverein hat bis heute sich sogar noch nicht einmal zu einer Beisteuer dazu bereit erklärt.

Der Fortgang unserer Sammlung ist ein erfreulicher. Wir hoffen, wenn uns das deutsche Volk wie bisher unterstützt, noch vor dem Schluß dieses Jahres die Summe von 12,000 Thalern erreicht zu haben. Dennoch würde die Erfindung um ein Jahr ihrer Thätigkeit verkürzt, sollte Herr W. Bauer während dieser Sammelzeit brach liegen. Bei der Sicherheit, welche sowohl die Sammlungen, als die Ausbeute der Erfindung gewähren, liegt die Frage nahe, ob nicht (etwa 16 bis 20) bemittelte Gönner der Sache, wie bereits von zwei Seiten geschehen, eine Summe von 8000 Thaler vorschießen wollen, um das deutsche Taucherwerk sofort beginnen zu können.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: er