Die Gartenlaube (1857)/Heft 3
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No. 3. | 1857. | |
Verfehltes Leben.
Der Herr von Rixleben hatte sie eingeladen, sofort zu seiner Mutter nach Harthausen zu kommen. Sie sagte in ihrer Antwort das zu, und wurde seitdem mit heißer Sehnsucht auf Schloß Harthausen erwartet, und zwar nicht blos vom Major; die Generalin, die den einzigen Sohn über Alles liebte, schien der Ankunft der künftigen Schwiegertochter beinahe mit noch mehr Ungeduld zu harren, als er selbst. Diese Ungeduld war zugleich mit einem gewissen geheimnißvollen Wesen verknüpft, als wenn sie eine recht große Ueberraschung beschlossen habe.
Schon waren acht Tage des Monats Mai verstrichen. In den ersten Tagen des Aprils halte der Major die Einladung an seine Braut abgesandt, und in der Mitte desselben – der Postenlauf in Deutschland war damals noch ein langsamer – war ihre Antwort eingegangen, daß sie in den nächsten drei Tagen abzureisen hoffe, daß sie seiner Anweisung gemäß reisen, und ihr Eintreffen in Holzminden ihm von dort aus unmittelbar nach ihrer Ankunft anzeigen werde. Seitdem waren drei Wochen vergangen. Schon seit zehn Tagen hätte die so heiß Ersehnte angelangt sein können, und war noch nicht da; auch keine Zeile war von ihr eingetroffen, durch welche ihr Ausbleiben entschuldigt oder erklärt worden wäre. Man hatte seit jenen letzten wenigen Zeilen, in denen sie ihre nahe Abreise ankündigte, nicht die geringste Nachricht von ihr. Die Bewohner des Schlosses Harthausen befanden sich in großer Unruhe, der Major in einer fast peinlichen. Er stand jeden Morgen schon mit dem Anbruche des Tages auf, kleidete sich rasch an und ging den Weg nach Holzminden hinunter, um dem Boten zu begegnen, der, der Abrede gemäß, unmittelbar nach der Ankunft seiner Braut von dort abgeschickt werden sollte. Spätestens um drei Uhr in der Nacht – zu jener Jahreszeit also schon des Morgens – mußte der Postwagen in Holzminden anlangen, und um vier Uhr spätestens mußte der Bote abgehen können. Die anderthalb Meilen zwischen der Stadt und dem Gute waren auf dem allerdings beschwerlichen Wege, der durch Gebirge und Waldung führte, in zwei bis drittehalb Stunden zurückzulegen. Um sechs oder halb sieben Uhr konnte der Bote in Harthausen sein; um halb sechs, manchmal schon um fünf Uhr, konnte er dem ihm entgegen gehenden Major begegnen. Der Major ging ihm jeden Morgen bis sechs, halb sieben Uhr entgegen; kein Bote begegnete ihm. Getäuscht zurückgekehrt, wartete er noch bis neun, zehn Uhr, bis der tägliche Briefbote aus Holzminden kam; immer vergebens. Der Briefbote gab sein Packet ab; auch dieses brachte keine Zeile von ihr, keine Zeile über sie, und die Unruhe um sie wurde mit jedem Augenblicke peinlicher, für den Major fast unerträglich.
Wieder hatte der Major von Rixleben seine gewöhnliche Morgenwanderung auf dem Wege nach Holzminden angetreten; er hatte schon früh halb fünf Uhr das Schloß verlassen; jetzt war es acht Uhr Morgens und er war noch nicht zurück.
Die Generalin von Rixleben saß mit ihrer Nichte Emma auf der Terrasse an der Rückseite des Schlosses, in der schönen, frischen Morgenluft ihr Frühstück verzehrend. Erstere war eine schöne, alte Dame; ihr Gesicht zeigte große Güte, ihr Benehmen anspruchslose Einfachheit. Ihre Nichte Emma war ein, wenn auch nicht schönes, doch hübsches junges Mädchen von kaum etwas mehr als fünfzehn Jahren, noch mehr Kind als Jungfrau, mit einem frischen Gesichte, mit leicht schmollenden Lippen und mit melancholischen, schwärmerischen Augen.
Die Aussicht von der Schloßterrasse gehörte zu den reizendsten an jenen herrlichen Ufern der Weser. Geradeaus, den Strom hinunter, konnte man weit dessen durch Aecker und Wiesen und Buschwerk sich windenden Lauf verfolgen. Rechts, jenseits des Flusses bedeckten die hohen, dunklen Bäume des Sollingerwaldes weithin sich erstreckende und hoch sich erhebende Berge, die bald keck bis dicht an das Wasser vorsprangen, bald in langen und tiefen Schluchten zurücktraten. Links dehnte sich eine reich bebaute Landschaft aus mit weiten Feldfluren, freundlichen Dörfern, von weißen Wegen und Landstraßen vielfach durchschnitten. Unmittelbar vor der Terrasse lag der wohlerhaltene Schloßgarten.
Die Generalin und ihre Nichte blickten starr in die Gegend hinein, aber sahen nichts von deren Schönheiten. Ihre Augen folgten nur unruhig dem Laufe des Stromes, an dessen linker Seite durch offenes Acker- und Wiesenland der Weg von Holzminden sich zog, weiter unten in einem Gehölze und dann hinter Anhöhen sich verlierend. Die Blicke der Generalin verriethen neben der Unruhe zugleich Besorgniß. Die Unruhe der Nichte schien bald mit einer gewissen hastigen Ungeduld verbunden, bald auf kurze Zeit in einem stillen, wie schmerzlichen Nachsinnen sich zu verlieren. Beide saßen schweigend neben einander. Auf einmal flog die Nichte heftig in die Höhe.
„Da kommt Hermann!“ rief sie, indem ihr Gesicht sich verfärbte.
„Ist er wieder allein?“ fragte die Generalin. „Meine Augen tragen nicht so weit.“
„Es ist Jemand bei ihm.“
[34] „Endlich –“
„Es ist der gewöhnliche Briefbote.“
„Irrst Du Dich nicht?“ fragte die Generalin. „Der Briefbote kommt vor neun Uhr nicht; nur dann kommt er früher, wenn zufällig die Fahrpost ganz ausgeblieben ist, und er mithin auf das Ausgeben ihrer Briefe nicht zu warten braucht.“
„Ich erkenne ihn genau,“ versetzte die Nichte. „Er trennt sich so eben jetzt von Hermann, und schlägt den Weg nach dem Dorfe ein.“
„Er wird die Briefe für das Schloß an Hermann abgegeben haben.“
„Von ihr wird keine Nachricht dabei gewesen sein. Hermann geht langsam, verstimmt.“
„Der arme Hermann!“
„Und die arme Marie!“ setzte das Mädchen hinzu. „Es muß ihr ein Unglück, ein großes Unglück begegnet sein.“
„Auch ich fürchte das.“
„Tante, wenn sie gestorben wäre! Ich habe so schwere Ahnungen.“
„Du bist leicht aufgeregt, Emma!“
„Der arme Hermann! Und die arme Marie! O, Tante, es muß entsetzlich sein, so fern von dem Geliebten, so allein zu sterben –“
„Kind,“ sagte die Generalin, halb verwundert, halb von der Angst des Mädchens mitergriffen, „wie kommst Du zu solchen Gedanken?“
„Und,“ fuhr die Kleine fort, „so nahe am Ziele, nach so langem Harren, so schwerem, bitterem Leiden. Wie unglücklich muß diese gute Marie gewesen sein! Wie liebe ich sie! Nein, nein, sie kann nicht gestorben sein. – Wie will ich sie lieben!“
Ein Herr schritt durch den Garten die Terrasse herauf; es war der Major von Rixleben. Ein hoher, stolzer Mann, mit festen, aber nicht harten Gesichtszügen, mit einem etwas finsteren, aber nur schwermüthig finsteren Blicke. Man sah es ihm an, daß er viel gelitten, aber auch, daß er seine Leiden stets mit Kraft und Würde getragen habe. Trotzdem hatte er nicht wehren können, daß das Leiden ihm ein älteres Aussehen über seine Jahre hinaus gegeben hatte. Ein kräftiger und ein schöner Mann war er gleichwohl noch immer.
Die Nichte sprang ihm entgegen; die Generalin folgte ihr. Er küßte diese, und reichte jener die Hand.
„Der Weg war wieder vergebens, Hermann?“
„Ich weiß es nicht, Mutter!“
„Wie?“
„Ich bin in einer großen Unruhe; der Postwagen ist in Holzminden nicht angekommen. Dagegen ist die Nachricht eingetroffen, daß er zwischen Carlshafen und Lauenförde umgeworfen und die Achse gebrochen habe. Bis er reparirt sei oder bis andere Wagen herbeigeschafft worden, haben die Reisenden liegen bleiben sollen. Vor Mittag erwartet man sie nicht in Holzminden.“
„Man hat also Nachricht von ihnen? Auch ob eine Dame unter ihnen war?“
„Der Briefbote wußte nichts davon.“
„Armer Hermann, ich kann mir Deine Unruhe denken.“
Die Nichte Emma hatte aufmerksam, beinahe mit angehaltenem Athem zugehört. Auf einmal trat sie rasch zu dem Major und ergriff dessen Hand.
„Hermann, Du mußt Gewißheit haben; Du selbst darfst nicht nach Holzminden; ich fahre hin. Ist Marie nicht unter den Reisenden, so kehre ich auf der Stelle zurück; ist sie aber da, so führe ich Deine Braut in Deine Arme.“
Sie sprach leidenschaftlich und lächelte, während ihre Augen glänzten, als wenn sie feucht wären.
„Immer so heftig, Emma,“ warnte besorgt die Generalin.
„Du erlaubst mir doch, hinzufahren, liebe Tante?“
„Wenn Hermann nichts dagegen hat –“
„Hermann –!“ Sie sah ihn bittend mit den feucht glänzenden Augen an.
„Fahre, mein gutes Kind.“
Emma eilte in das Schloß, den Wagen zu bestellen. Die Generalin und der Major folgten ihr langsam.
Kurz vorher hatte sich Folgendes zugetragen: An der andern Seite der Weser, etwas oberhalb des Schlosses, befand sich eine Fähre zur Vermittelung des Verkehres zwischen den benachbarten Dörfern und Gütern zu beiden Seiten des Stromes. Aus den Bergen des Sollingerwaldes führte eine schmale Bergstrecke dahin. In dieser Strecke war eine einspännige Bergchaise näher gekommen; sie fuhr bis an das Fährhaus. Dort stieg eine einzelne Dame aus; ein Reisekoffer wurde von dem Kutscher aus dem Wagen getragen. Der Kutscher empfing dann von der Dame seine Bezahlung, und kehrte mit seiner Chaise in das Gebirge zurück.
Unmittelbar darauf trat der Fährmann aus seinem Häuschen; er wechselte ein paar Worte mit der Dame, zog den Fährkahn näher an das Ufer, hob den Koffer der Dame auf, legte ihn in den Kahn, sprang’ in diesen, half der Dame einsteigen, stieß von dem Ufer ab und ruderte nach dem gegenüberliegenden, in der Richtung des Schlosses Harthausen.
Die Dame hatte sich still auf eine Bank in dem Nachen gesetzt, und saß auch während der Ueberfahrt schweigend, hatte aber schon vor dem Einsteigen forschende Blicke auf das Schloß und dessen Umgebung geworfen; zuweilen wiederholte sie diese während der Fahrt. Meist aber waren ihre großen schwarzen Augen in tiefem Nachsinnen auf das Wasser gerichtet, so nachdenklich, so starr, so versenkt, als wenn sie in den Wogen oder unten in dem dunklen Gründe des Stromes ihr Schicksal, ein dunkles, schweres Schicksal suche. Dabei war sie äußerlich vollkommen ruhig; ihr Busen bewegte sich nicht, kein Seufzer drängte sich über ihre Lippen; unterdeß war das andere Ufer erreicht. Die Dame sprang leicht aus dem Nachen. Der Fährmann befestigte sein Fahrzeug mit einer Kette an einem Pfahle; dann folgte er der Dame mit ihrem Koffer. Es mußte das schon vorher so mit ihm verabredet sein.
Der Nachen hatte dicht an dem Garten angelegt, der das Schloß umgab. In der Nähe befand sich in der Hecke ein Pförtchen; zu diesem führte der Fährmann die Dame. Es war nicht verschlossen. Beide traten in den Garten und schlugen den Weg zum Schlosse ein; der Schiffer mit dem Koffer auf der Schulter ging voraus, die Dame folgte ihm. In dem Garten war Niemand. Das Schloß war fast fortwährend durch Bäume und Strauchwerk verdeckt.
Die Dame folgte dem Fährmann mit sicherem Schritt. Ihre Augen suchten nur das Schloß, und schienen die Fenster, die Mauern durchbohren zu wollen, wenn es zuweilen hinter den Bäumen durch das Strauchwerk hervorsah. Wie vorhin in den Wellen und auf dem Grunde des Stromes, schien sie jetzt ihr Schicksal hinter den Mauern, in dem Inneren des Schlosses zu suchen.
Sie wurde unruhiger, ihr Gesicht war von einer eigenthümlichen, fast leichenähnlichen Blässe überzogen. Einige Schweißtropfen standen auf der Stirn, sie schienen trotz der Wärme des Maimorgens kalt und kältend zu sein. Die Augenhöhlen schienen sich zu erweitern, ein dunkelblauer, beinahe bräunlicher Rand umgab sie. Ihr Busen hob sich; schwer drängte der Athem sich zwischen den weit geöffneten Lippen hervor. Als der Pfad einmal eine kleine Anhöhe hinanführte, mußte sie ihre Schritte einhalten; es war, als wenn die Kniee ihr brechen, der Athem ihr ausgehen wolle. Sie raffte sich zusammen, und folgte mit erneueter Kraft dem Fährmanne. Ihr Auge blickte durchbohrender, finsterer nach dem Schlosse, aber es blickte fortwährend mit einem unwandelbar festen Entschlusse.
Sie erreichte die Terrasse vor dem Schlosse, und stand auf derselben Stelle, auf der wenige Minuten vorher die Generalin mit ihrem Sohne und ihrer Nichte gestanden hatte. Auch dort wurde sie von Niemandem bemerkt. Sie hielt einen Augenblick an, sie war noch etwa zehn Schritte von dem Schlosse und der Thür entfernt, die in dasselbe hineinführte. Sie warf plötzlich einen wilden, einen wie zwischen Leben und Tod suchenden Blick auf das Schloß, auf die Thür; dann drehete sie sich wie unwillkürlich, rasch und heftig um. Ihr Auge schweifte zurück in die Gegend, aus der sie gekommen war, es schweifte in derselben Richtung weiter, den Strom hinauf, über die hohen Berge des Solling hinüber. Widersprechende Gedanken schienen ihr Inneres zu durchfliegen; Entschlüsse schienen in ihr mit einander zu kämpfen; aber das Alles dauerte nur einen Augenblick. Ihr Auge blickte wieder finster, und der unwandelbar feste Entschluß, der sich vorher darin ausgesprochen hatte, stand deutlich in dem blassen Gesichte.
Sie setzte den Fuß wieder voran, dem Schlosse zu, langsam, aber fest und sicher. In dem Schlosse war Alles still; niemand [35] zeigte sich, auch an den Fenstern nicht. In dem Augenblicke, als die Dame die Schwelle der Thür überschreiten wollte, bog um eine Ecke des Schlosses ein Wagen und fuhr auf den Perron der Terrasse. Im Nu stürzte eilig aus dem Schlosse, durch die nämliche Thür, in welche die Dame eintreten wollte, ein junges hübsches Mädchen; es war Emma von Rixleben, die Nichte der Generalin.
Sie flog überrascht vor der Dame zurück. Die Fremde hielt ruhig ihre Schritte an. Emma hatte sich schnell erholt, und nahete sich der fremden Dame; aber wie sie eben überrascht zurückgeflogen war, so wäre sie jetzt, von einem anderen Gefühle plötzlich ergriffen, beinahe noch einmal zurückgewichen. Sie sah in ein selten so regelmäßiges, schönes Gesicht; aber die Farbe dieses Gesichtes war von einer erschreckenden Blässe; die feinen Lippen waren in diesem Augenblicke fast violett; die großen, schwarzen Augen stierten wie verwirrt, wie in einen bodenlosen Abgrund, vor sich hin. Vor wem stand das unschuldige und unbefangene, mit der Welt und ihren Leidenschaften und Lastern und all’ ihrem Treiben noch unbekannte Kind? Welche Gefühle, welche Begierden, welche Leidenschaften regten das Innere dieser Fremden bis zu solchem Ausdrucke, bis zu solcher Entstellung ihres Aeußeren auf? Und welche Gedanken, welche Gefühle regte der Anblick plötzlich in dem Innern des jungen Mädchens wach? War es Furcht, Entsetzen, Haß, Widerwillen? War es vielleicht noch zugleich ein anderes Gefühl? Jedenfalls konnte sie nur mit Widerstreben sich der Fremden nahen.
Dieser schien der Eindruck nicht zu entgehen, den sie auf das Mädchen machte; auch der Grund schien ihr nicht unklar zu sein. Sie belebte und milderte schnell den Blick ihrer Augen, und hatte eine solche Gewalt über sich und ihr Aeußeres, daß sie auch sofort ihrem ganzen Gesichte einen anderen Ausdruck, selbst seiner Farbe einen Anhauch von Leben verleihen konnte.
„Emma?“ fragte sie freundlich das Kind, das mit fragendem Blicke, aber zu scheu vor ihr stand, um ihrer Frage auch durch Worte Ausdruck zu geben.
Bei dem so freundlich ausgesprochenen Namen fuhr das Mädchen heftig zusammen; aber gewaltsam raffte sie sich auch sofort wieder auf.
„Also Marie?“ rief sie. „Sie sind Marie? O endlich, endlich! Wie wird Hermann sich freuen!“
„Wo ist er?“ fragte die Fremde.
„Kommen Sie! Kommen Sie! Ich führe Sie zu ihm. Ich hatte es ihm ja versprochen, und war auf dem Wege zu Ihnen, Sie abzuholen!“
Sie hatte die Hand der Dame ergriffen und wollte sie mit sich fortziehen, in die Thür, in das Haus. Aber auf einmal stürzte eine Fluth von Thränen aus ihren Augen, sie preßte wie krampfhaft in ihren Händen die beiden Hände der Dame, sie drohete umzusinken. Die Fremde hielt sie in ihren Armen, und legte sie an ihre Brust; sie selbst zitterte heftig.
„Was ist Ihnen, meine liebe Emma?“
Das Mädchen schlug die Augen zu ihr auf; sie begegnete einem liebevollen Blicke.
„Werden Sie mir nicht böse,“ bat sie. „Die Ueberraschung! Meine Heftigkeit! Die Tante muß mich oft darüber schelten; auch Hermann. Aber sein Sie mir nur nicht böse. Wir lieben sie Alle so sehr! Auch ich, auch ich! O, wie wird Hermann sich freuen, wie werden wir Alle glücklich leben!“
Sie hatte sich vollkommen wieder erholt und aufgerichtet, war auch ruhiger geworden. „Kommen Sie,“ fuhr sie fort, „ich führe Sie gleich zu Hermann, er ist bei seiner Mutter. Ich löse mein Versprechen; wie wird er überrascht werden; erst in zwei Stunden konnte man uns erwarten.“
„Sie wußten hier von meiner Ankunft?“ fragte die Dame.
„Wir hatten nur gehört, daß der Postwagen umgeworfen habe. Hermann war in großer Unruhe. Um ihn desto eher aus der Ungewißheit zu reißen, beschloß ich, Ihnen entgegen zu fahren. Sie wissen, er darf nicht.“
„Gutes Kind!“
„Sie waren also wirklich in dem Wagen?“
„Ich es war.“
„Und Sie haben keinen Schaden genommen bei dem Unfall?“
„Gottlob, nein!“
„Aber wie können Sie schon hier sein? Nach unserer Berechnung wären Sie zu dieser Zeit kaum in Holzminden eingetroffen?“
„Ich miethete in Lauenförde einen Wagen, in dem ich direkt durch das Gebirge hierher fuhr.“
„Das haben Sie schön gemacht.“
Emma war wieder das völlig unbefangene Kind, das über Plaudern die heftigsten Gefühle der Augenblicke vorher vergessen konnte. So führte sie die Dame in das Haus, und durch den Flur zu einer Thür.
„Dort,“ sagte sie, „dort ist Hermann bei der guten Tante. Lassen Sie uns leise gehen, wir wollen Beide überraschen.“
Je unbefangener und ruhiger das Kind wurde, desto unruhiger wurde wieder die Fremde. Sie schien jetzt sich Gewalt anthun zu müssen, um nicht umzusinken; sie drückte jetzt krampfhaft die Hand des Kindes, das sie führte, und zitterte heftig und immer heftiger. Ihr Gesicht wurde wieder leichenblaß; sie schien auf einmal alle ihre Gewalt über sich verloren zu haben. Die Thür hatten sie erreicht, Emma riß dieselbe auf.
„Marie ist da!“ rief sie in das Zimmer hinein.
Der Major saß mit der Generalin im Sopha, in einem Gespräche begriffen. Beide sprangen bei dem Rufe auf.
Die fremde Dame stand noch in der Thür, halb hinter dem jungen Mädchen, das sie führte; der Major konnte sie nur halb sehen. Sie sah den hohen, kräftigen, stolzen, schönen Mann, und neben ihm die schöne, ehrwürdige alte Dame. Ihr Auge irrte unstät auf den beiden edlen Gestalten. Auf einmal schien es sich mit einem Nebel zu bedecken; es starrte, als wenn es nichts mehr sähe; sie war dem Umsinken nahe.
„Marie, meine Marie!“ rief der Major.
Er war auf sie zugeflogen, hatte sie in seinen Armen aufgefangen, und trug nun die Ohnmächtige auf das Sopha.
„Marie, meine theure, meine geliebte Marie!“
Sie schlug die Augen wieder auf; sie lag in seinen Armen, an seiner Brust; er bedeckte sie mit seinen Küssen.
„Hermann, mein Hermann!“ lispelte sie.
Der Major jauchzte auf. „O, endlich höre ich auch Deine Stimme wieder.“
Sie umfing ihn mit ihren Armen und erwiederte seine Küsse.
„Ich habe Dich wieder!“
„Nichts soll uns mehr trennen.“
„Nichts!“ sagte die Generalin, die an der Seite des Paares stand.
Marie erhob sich; die Generalin schloß sie in ihre Arme. „Mein theures, theures Kind!“
„Gütige Mutter meines Hermann, schenken Sie auch mir Ihre Liebe.“
„Auch Deine Mutter, meine Marie! Wir Alle lieben Dich, Du edle Dulderin. Wie viel hast Du gelitten, um Hermann’s willen, und ich wußte es nicht; ich wußte nicht, wo Du warst, und konnte Dich nicht trösten, nicht aufrichten, nicht lieben!“
Marie hatte sich erholt; ihr Gesicht hatte wieder Farbe, ihre Augen wieder Glanz bekommen. Die Generalin schien sich in den Anblick des schönen Mädchens zu verlieren.
„Wie bist Du schön, Marie!“ rief der Major.
„Ich bin sehr gealtert,“ erwiederte sie erröthend. „Ich fürchtete, Du müßtest mich um zehn, anstatt um drei Jahre älter wiederfinden.“
Der Major sah sie prüfend an. „In der That,“ sagte er, und er erblaßte plötzlich, als wenn er einen tiefen Stich in das Herz bekommen habe. Aber schmerzlich lächelnd setzte er schnell hinzu: „Konnte es anders sein? Drückt in solcher Zeit nicht ein Jahr schwerer als zehn andere? Auch ich habe gealtert. Wie sehr wirst Du mich verändert gefunden haben!“
„Ich sehe nur meinen theuern Hermann, der so unglücklich war, dessen Leben fortan, wenn es nach meinen Wünschen geht, nur Glück sein soll.“
Man sah nur Glück in den schönen Gesichtern des Paares; nur Glück umstrahlte das würdige Gesicht der Generalin.
Aber in einem andern Gesichte zeigte sich der Ausdruck einer tiefen, schmerzlichen Trauer. Emma von Rixleben nahete sich nicht der Gruppe der Glücklichen. Sie stand am Fenster, allein, verloren wie in ahnende, schwer ahnende, ängstliche Träume. Und wer sie so sah, mußte meinen, sie sei plötzlich, in dem kurzen Zeitraume von wenigen Minuten, aus einem unbefangenen Kinde zu einer Jungfrau gereift, deren Herz schon angefangen habe, bange und leidend zu schlagen.
[36] Es war am Abend desselben Tages. Die Liebenden saßen beisammen auf dem Sopha in dem Zimmer der Mutter; nur Emma war bei ihnen. Sie erzählten einander aus der traurigen Vergangenheit, ihre Leiden, ihre Drangsale, aber auch ihre Hoffnungen. Sie waren glücklich in der Erinnerung, auch in der Erinnerung an die Leiden.
Emma hörte ihnen still zu. Sie war glücklich mit ihnen. Jene schwarzen Ahnungen, jene ängstlichen Träume schienen aus ihrer Brust völlig verschwunden zu sein.
Die Erinnerung an die vergangenen Tage führte die Liebenden auch auf ihre letzte Trennungsstunde zurück. Sie hatten sich in Königsberg zum letzten Male gesehen.
„Erinnerst Du Dich, Hermann?“ fragte Marie. „Es war gegen sieben Uhr Abends, als wir Abschied von einander nahmen auf eine so lange, so unglückliche Zeit. Mein Vater wohnte damals auf der Klapperwiese, in der Nähe des Philosophendammes. Wie oft hatten wir über die sonderbaren Namen lachen müssen, und auch über die sonderbaren Gestalten mit den hohlen Gesichtern und wüsten Haaren, die immer so tiefsinnig auf dem Philosophendamme umherwandelten, und von denen Jeder ein Kant sein wollte. Wie anders, wie schwer war uns an jenem Abende um’s Herz. Wir suchten uns gegenseitig und uns selber Muth zuzusprechen, die Trennung könne höchstens ein halbes Jahr dauern; es müsse ja nothwendig bald eine bessere Zeit kommen; die furchtbare Schlacht, der Du entgegen gingst, müsse eine glückliche Entscheidung bringen. Aber im tiefen Innern unserer Seele stand dennoch der Unglaube, und wir konnten in unseren Worten keinen Trost finden.“
„Wie Du jede Einzelnheit noch so genau weißt,“ sagte der Major.
„Kann man solche Augenblicke, und überhaupt eine solche Zeit vergessen? Ich muß aber auch aufrichtig sein. Du weißt, ich habe stets gewissenhaft mein Tagebuch geführt.“
„Und Du besitzest es noch?“
„Gewiß.“
„Wir werden uns oft daran erfreuen und erheben. Aber wir haben bisher fast nur von meinen Schicksalen gesprochen, erzähle Du auch nun von Dir.“
„Mein Leben war einfach.“
„Einfach in Leiden –“
„Warum Dich damit betrüben? Und gerade heute, in den ersten Stunden unseres Wiedersehens?“
„Doch Eins hast Du mir noch nicht mitgetheilt, den Grund Deines langen Ausbleibens.“
Marie sann nach. Der Schatten einer schmerzlichen, schreckhaften Erinnerung zog über ihr schönes Gesicht.
„Es war ein trauriger?“ fragte der Major.
„Ein sehr trauriger. Eine der schwersten Stunden, nein, bis jetzt die schwerste Stunde meines Lebens. Aber Du hast Recht, ich darf Dir nichts verhehlen. Ich hatte eine ältere Schwester; Sie hieß Antoinette –“
„Eine Schwester? Ich habe nie von ihr gehört.“
„Mein Vater hatte verboten, auch ihren Namen nur noch zu nennen. Sie sollte seine Tochter, sie sollte meine Schwester nicht mehr sein. So vermied ich auch gegen Dich, von ihr zu sprechen.“
Der Gedanke an sie war auch ein so trauriger. Sie war schon früh das Opfer der Verführung eines Nichtswürdigen geworden, eines französischen Offiziers. Sie hatte mit ihm das väterliche Haus verlassen, und war ihm ohne den Segen des Vaters in die Welt gefolgt. Es war mit ein Grund seines frühen Todes. Wir erfuhren sehr bald, daß der Verführer wegen unehrenhaften Betragens den Abschied erhalten habe, und als Spion und Betrüger umherziehe. Antoinette kehrte nicht zu uns zurück. Später hörten wir nichts weiter von ihr. Unmittelbar vorher, als ich zu Dir abzureisen im Begriffe stand, erhielt ich die Nachricht, daß sie krank und verlassen in einem kleinen Städtchen an der sächsischen Grenze liege. Ich eilte zu ihr, und komme von ihrem Todtenbett. Sie hatte von ihrem Verführer nicht lassen können. Eine wunderbare Gewalt hatte sie an ihn gefesselt, in Noth und Elend. Elend und Gram und Vorwürfe hatten sie aufgezehrt.“
Die Erzählende weinte bei der traurigen Erinnerung. Der Major drückte ihr mitleidig die Hand. Sie sah ihn dankend an. Aber auf einmal bedeckte Leichenblässe ihr Gesicht. Ihr Blick war dem Auge Emma’s begegnet, und sie hatte in einen wie elektrisch zündenden Strahl eines plötzlichen, furchtbaren Mißtrauens getroffen.
Die Generalin trat in das Zimmer; sie war in Feierkleidung. Die gute Dame hätte sofort an dem, freilich damals sehr einfachen Hofe ihrer vormaligen Herrin, und noch immer angebeteten, schönen Königin Louise in Berlin erscheinen können. Auch ihr Gesicht hatte den Ausdruck des Feierlichen und zugleich des Geheimnißvollen. Geheimnißvoll war ihr Walten schon den ganzen Tag seit der Ankunft der Verlobten ihres Sohnes gewesen, wie man freilich auch schon seit vierzehn Tagen hatte beobachten können, daß sie irgend etwas Geheimes vorhabe.
„Meine Kinder,“ sagte sie zu den Liebenden, „ich habe eine recht große Bitte an Euch, die Ihr mir nicht abschlagen dürft. Ich habe mich so lange darauf gefreut, schon seit dem Tage Deiner Ankunft, Hermann; und wie oft schon weit früher; es ist ja einer der Lieblingsgedanken des Mutterherzens.“ Sie sah freundlich lächelnd die Liebenden an. „Und Ihr fragt nicht einmal, worin meine Bitte bestehe? Ein Zeichen, daß Ihr sie errathen habt.“
Sie hatte Recht darin. Der Major wagte nicht, geradezu in die Augen seiner Verlobten zu sehen. Diese hatte verschämt die Augen zu Boden gesenkt.
Auch Emma hatte die Bitte errathen. Sie saß blaß und zitternd da; ihr Blick heftete sich mit einer beinahe fast tödtlichen Angst auf die Verlobte ihres Vetters.
Der Major wollte seiner Mutter antworten. Auf einmal sprang das junge Mädchen auf.
Indische Wassernoth.
Fast in derselben Zeit, in welcher Frankreich im vorigen Jahre von ungeheuern Ueberschwemmungen heimgesucht wurde, litt auch Indien in noch weit ausgedehnterer und verderblicher Art durch beispiellose Wassersnoth. Die großen Ströme dort, der Indus und der Ganges, mit zahlreichen Beiflüssen, traten über ihre Ufer und ergossen sich über das umliegende Land. Der Ganges stieg z. B. in Mirzapur fünfzig Fuß über seinen gewöhnlichen Stand. Die Fluten, die er über das Land ergoß, glichen einem Meere, und sie schwemmten Städte und Dörfer hinweg. Viele Tausende von Menschen fanden ihren Tod; und der Schaden, den die Wasser anrichteten, beträgt viele Hunderte von Millionen Thalern. Eigenthümlich schauerlich war der Anblick, den die überschwemmten Gegenden gewährten, denn man sah in diesem neu entstandenen Meere hier und da einzelne hohe Gebäude, auf Anhöhen ganz kleine Dörfer, an sehr vielen Stellen aber die Kronen hoher Palmen und anderer indischer Bäume hervorragen, während nach allen Richtungen hin Böte fuhren, um Unglückliche wo möglich zu retten, die entweder mit den Fluten selbst kämpften, oder sich auf die Dächer von Gebäuden, auf die Gipfel von Hügeln oder auch auf Bäume geflüchtet hatten. Die Strömung riß Hausgeräthe aller Art, Stücke von Häusern, ja ganze kleine Bambusgebäude mit sich fort. So weit die Ueberschwemmung reichte, wurden die Ernten vernichtet, aber so traurig dies für die Bewohner in der nächsten Zeit sein wird, gilt es doch auch zugleich als Segen für die Zukunft, denn das Wasser setzt eine große Menge Erde ab und führt den Feldern, die dort noch nie, seit sie bebaut worden sind, also seit Tausenden von Jahren, ein Theilchen Dünger empfangen haben, neue Fruchtbarkeit zu, wie ja bekanntlich in Egypten die Ueberschwemmung des Landes durch den Nil auch das einzige Düngemittel ist.
Bei jener grauenhaften Ueberschwemmung in Indien in einer Ausdehnung von vielen Hunderten von Meilen kamen unter herzzerreißenden auch solche Scenen vor, die Verwunderung, wohl gar ein Lächeln zu erregen im Stande waren. Es wimmelt dort bekanntlich von wilden Thieren, Schlangen und anderem Ungeziefer. Alles was lebt, fürchtet den Tod; es vergaßen darum bei dem Herannahen der verderblichen Flut selbst die wildesten Raubthiere ihre Mordsucht und sie dachten an nichts, als an die Rettung
[37]ihres Lebens. Die erbittertsten Feinde achteten nicht auf einander, ja es kam vor, daß sie neben einander auf einer Anhöhe oder gar auf einem Baume Schutz vor dem Wasser suchten.
Eine solche Scene, eine solche gefährliche Nachbarschaft, zeigt unser Bild. Eine riesige Schlange hat sich auf einen Baum geflüchtet und sich da bequem zusammengeringelt und zurecht gelegt, auch zur größeren Sicherheit mit dem eigenen Schwänze angebunden. Eine andere, die sich verspätet hat, erreicht soeben noch den Fuß desselben Baumes, blickt sehnsüchtig hinauf und wird, aber vergebens, hinaufzuklettern versuchen. Zwischen diesen beiden Ungethümen sehen wir einen Tiger, der verzweiflungsvoll über das neue Meer hinblickt. Mürrisch, wie ein eingefangener verstockter Verbrecher, der keine Möglichkeit, zu entkommen, vor sich sieht, versunken in trübe Gedanken darüber, daß diesmal sein Ende wohl unvermeidlich sein dürfte, sitzt er zusammengekauert zwischen zwei Aesten und stiert gerade vor sich hin, selbst ohne auf die gefürchtete Gegnerin, die Schlange über ihm oder auf die von unten heraufkommende zweite zu achten.
Auf dem Gipfel des Baumes haben sich Adler und andere Vögel niedergelassen, die wohl verwundert, aber nicht bekümmert sich umschauen, da sie ja wissen, daß das Wasser ihnen nicht verderblich werden kann.
Wahrhaft komisch nahmen sich manche Bäume aus, auf denen sich ganze Schaaren von Affen gesammelt hatten, die in den possirlichsten Stellungen da saßen, auf das von ihnen so sehr gefürchtete nasse Element hinabsahen, um die besten Plätze unter einander sich kratzten und bissen und dabei einen unaufhörlichen Lärm verführten.
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In unmittelbarer Nähe des Hafens, mit der Aussicht auf das wimmelnde Schiffsgewühl gibt es Läden, wo auch der verwöhnteste Matrose Alles bekommen kann, was sein Herz begehrt. Dahin führt jetzt der Schlafbaas seinen Pflegling, und während dieser aus den ihm vorgelegten Herrlichkeiten auswählt, was seiner Figur angemessen ist, was ihm am besten zu Gesicht steht und was er selbst am liebsten leiden mag, unterhält der Baas den Händler, bedingt mit ihm den Preis, und das Geschäft wird eben geschlossen, ohne daß der neu zu equipirende Matrose ein Wort darüber verliert. Wenige Käufe gehen so rasch und zu so gegenseitiger Zufriedenheit beider Parteien vor sich. Wenn der Matrose kauft, ist er immer ein Gentleman. Pfui doch, wer möchte handeln, wenn man sich ein nettes Stück Zeug auf den Leib schaffen will! Ueberlaßt das den Leuten von Fach. Matrosen rechnen nicht, das sind galante, genial gesinnte und genial lebende Bursche, die buchstäblich nach dem Worte der Schrift handeln, und immer nur für den einen Tag sorgen, dessen Sonne ihre Pfade bescheint. Ganz recht. „Sorget nicht für den andern Morgen; es ist genug, daß jeglicher Tag seine eigene Plage hat!“
„Aber wer bezahlt für solchen stockfremden Matrosen?“ höre ich den Leser fragen. „Niemand,“ lautet darauf die Antwort. Die Begleitung des Baases genügt vollkommen und ist dem Händler so gut, wie der beste acceptirte Wechsel. Er weiß, auf welchem Schiffe der schmucke Junge, der sich so eben bei ihm fein herausstaffirt hat, in Heuer steht, wie der Kapitain sich nennt, welchem Rheder es zugehört und von wannen es kommt. Dies genügt, denn damit wird zugleich angedeutet, daß die Mannschaft des Schiffes nach Verlauf einiger Tage für die ganze Dauer der Reise ihre Löhnung oder, wie man in der Seemannssprache sagt, ihre „Heuer“ empfängt. Darauf hin hat jeder Matrose offenen Kredit. Er darf sich kaufen, was ihm gefällt, was sein Herz begehrt, am Tage der „Abmusterung“ fällt ja sicher das Geld.
Ein Beinkleid von gewöhnlich blauem, oft auch schwarzem Tuche, eine seidene Weste, eine kurze mit Sammet verbrämte Jacke, welcher der Schmuck blanker Knöpfe nicht fehlen darf, ein buntes Seidentuch lose um den Hals geschlungen, das wieder in Ordnung gebrachte Haar mit glänzender Ledermütze bedeckt: so tritt der neu gekleidete Matrose in die Welt, und beginnt ein Leben, das mit den Worten in dulci jubilo sich allein richtig bezeichnen läßt. Er ist jetzt ein feiner Mann in seinem Sinn, völlig Herr seiner Zeit, unabhängig, und da das Blut fröhlicher Jugend in seinen Adern pulsirt, denkt er auf Nichts, als wie er in der kurzen Zeit seines Aufenthaltes am Lande jegliche Zerstreuung sich verschaffen, jedes Vergnügen bis auf die Hefen ausschlürfen mag. Um diesem Leben in Saus und Braus mit ganzer Seele sich hinzugeben, bedarf er weiter nichts, als Geld, denn er weiß, daß in See- und Handelsstädten dem freigebigen Manne alle Thüren sich erschließen, daß er mit klingender Silbermünze sich Alles, Was käuflich ist, zueignen kann.
Darum erwartet er mit Sehnsucht den Tag der „Abmusterung.“ Zwar fehlt es ihm nicht an dem Nothwendigen, denn er hat ja Kredit, und der Baas macht gern seinen Banquier, allein es genirt doch den freien Sohn der Meere, daß er nicht nach Belieben über die Kasse des Fremden verfügen darf. Er muß Maß halten, und das ist eine Eigenschaft, die unter hundert Matrosen kaum einer besitzt, wenn sie am Lande weilen. Endlich aber bricht der heiß ersehnte Tag an, die Mannschaft wird zum Schout bestellt, und in rosigster Laune, wenn es sich thun läßt, in zwei, drei, vier und mehr offenen Wagen, kommt die elegant gekleidete Equipage am Hause des Shout an.
Der Wassershout, gewöhnlich nur Shout genannt, ist eine sehr wichtige Person, die man in Städten des Binnenlandes nicht kennt. Je größer die Seestadt, je bedeutender ihre Schiffsahrt ist, desto einflußreicher wird die Stellung des Wassershout. Ihm nämlich liegt es ob, die Mannschaft jeglichen Schiffes, das einem Rheder der fraglichen Handelsstadt oder einer Gesellschaft von Rhedern gehört, einzurolliren, jedem Einzelnen ein Exemplar der Disziplinar-Ordnung bei Unterzeichnung des sogenannten Heuer-Kontraktes zu behändigen und diese der gesammten Mannschaft laut vorzulesen. Kurz er nimmt eine polizeiliche Stellung ein, die in großen Seestädten zu den einträglichsten Staatsämtern gehört. So veranschlagt man z. B. das Jahreseinkommen des Hamburger Wassershout auf 20,000, ja mehr Mark Cour. (8000 Thlr. pr. Cour.). In der Wohnung dieses Mannes empfängt auch der Seemann seine Gage nach jeder glücklich beendigten Reise, die, je nachdem sie von kurzer oder langer Dauer war, bald in einer kleineren, bald in größerer Summe besteht. Dies Auszahlen der Gage oder Heuer an die Mannschaft oder Equipage eines Schiffes, womit der bisherige Kontrakt erlischt, heißt die Abmusterung.
Folgen wir jetzt einer Anzahl Matrosen zum Hause des Shout. Es sind lauter junge, kräftige Burschen von gedrungenem Körperbau, sauber, ja elegant gekleidet. Leichter Sinn und Lebenslust funkelt aus den Augen Aller. Ihr Auftreten ist fest, etwas plump, Selbstbewußtsein mit einer nicht gar zu kleinen Beigabe von Trotz, den eine sorglose Gutmüthigkeit mildert, fehlt Keinem. Sie sind heiter, einige lustig gestimmt, und während der Steuermann ihre Ankunft im Bureau des Shout meldet, unterhalten sich die Uebrigen, die Straße wie ein Fahrzeug, das gegen den Wind lavirt, mehrmals kreuzend. Einige gehen Arm in Arm, rauchen Cigarren, und lassen kein vorüber wandelndes Dienstmädchen ungeneckt ziehen. Auf Mädchen scheinen es überhaupt Alle abgesehen zu haben, denn wo ein Lockenkopf sich am Fenster zeigt, dahin richten sich die Blicke der jungen Leute gewiß. Nur ist ihr Geschmack nicht dem Feinsten, am allerwenigsten dem Zarten zugewandt. Was diesen meerdurchpflügenden Menschen gefallen soll, muß derb, nicht zerbrechlich, mehr robust als zierlich sein. Darum auch haben jene rothbackigen Huldinnen, die dort auf den Zugängen einiger Kellerwirthschaften sitzen, Blumen im Haar und ein Lied auf den Lippen tragen, eine unwiderstehliche Anziehungskraft für die müssig Harrenden. Jetzt lassen sich ein paar verstimmte Harfen mit entsetzlich klirrenden Saiten hören, heisere Stimmen heben dazu ein lautes Lied an, das in kreischenden Schreitönen häuserweit zu vernehmen ist, und die Ohren aller Umwohner grausam peinigt. Dazu lockt das über der Kellerthür prangende Schild mit dem segelnden Schiff, an dessen Gaffel die Hamburger Flagge weht, und mit lautem Hurrah stürmt der ganze Trupp die Treppe hinab, nimmt Platz auf den braunrothen Bänken in dem deckenniedrigen Gastzimmer, und begehrt Wein und Grog in nicht geringen Quantitäten.
Nur, wer mit eigenen Augen sich von der Trinkfähigkeit solch’ junger Seeleute überzeugt hat, kann begreifen, was sie zu leisten im Stande sind. Matrosen genießen Alles rasch und mit seltenen Ausnahmen, im größten Uebermaße. Zu viel kann es diesen vom Augenblick und dessen Gunst lebenden Menschen nicht leicht werden, zu toll geht es ihnen nie zu. Nur so erklärt sich’s, daß gewöhnlich eine kurze Stunde hinreichend ist, die Köpfe der schnell lebenden, gesundheitstrotzenden Gesellen etwas zu illuminiren. Schon begleiten hämmernde Faustschläge taktartig das Saitengekreisch der Harfen, schon entschlüpft Einzelnen ein Juchschrei, schon stimmen Andere in unharmonischem Unisono die Melodie des Liedes an, das eben geklimpert wird; da unterbricht ein Wink und Ruf des Obersteuermannes das Frohleben der Glücklichen. Die Heuer ist abgezählt, die ein paar Stunden früher in großen Säcken zum Shout getragen wurde, und Jeder, vom Steuermann abwärts bis zum Kochsmaat und Kajütenwächter, kann den ihm zukommenden Antheil davon in Empfang nehmen.
Jubelnder als sie hinabstieg in den Keller, stürzt die Mannschaft jetzt die Stufen hinan, der Eine mit ein paar gewaltigen Sätzen die Breite der Straße überschreitend und ungestüm das Haus des Shout betretend, der Andere den Rundreim eines eben gesungenen Liedes vollends zu Ende trällernd, wieder Andere in verschobenen Dreiecken oder die Figur eines Kegelschnittes auf ihrem Wege beschreibend. Endlich verliert sich auch der Letzte stolpernd auf der Hausdiele des Shout, diese schließt sich, in den Kellern aber klimpern die Harfen fort und die grell schreienden Stimmen der fahrenden Virtuosinnen girren in lauter verlockenden Tönen. Es dauert nur kurze Zeit, dann öffnet sich die Thür des Shout von Neuem und mit freudeglanzenden Gesichtern gehen, springen, stolpern und rennen die Abgemusterten heraus, schwere Geldbeutel [39] tragend – den sauren, in einem ruhelosen, fortwährenden Gefahren ausgesetzten Leben erworbenen Verdienst eines ganzen Jahres! Daran jedoch denkt der Matrose in diesen Momenten höchsten Glückes nicht. Er jubelt, denn er ist ein vermögender Mann; sein Geist schwärmt, seine Phantasie füllt sich mit Bildern, wie er sie liebt, wie er sie ewig lange Monden entbehren mußte. Jetzt besitzt er, was ihm Genuß, Zerstreuung, Vergnügen, wie nur das Land sie bieten, verschaffen kann, und ohne weiter hinaus, ohne auch nur an die allernächste Zukunft zu denken, sinnt er nur darüber nach, wie er sein Leben einrichten soll, um alle die Herrlichkeiten, die ihm seine von Wein und Porter bereits erhitzte Phantasie vorzaubert, recht heiß, recht lange, recht von Grund aus durchzukosten.
Vorerst vertieft er sich wieder in die Kellerräume. Abermals wird Wein, Porter, Ale, Grog, Punsch, kurz was vorhanden ist und was der Uebermuth des plötzlich reich Gewordenen begehren mag, aufgetragen. Die hundert Mal gehörten Lieder werden auf’s Neue begehrt und gesungen, manchmal auch geschrieen, um nicht zu sagen, gebrüllt. Trommelnd begleiten zehn, zwanzig und mehr Fäuste den Takt der Melodie, die oft von einem Hussah, einem gellenden Jubelschrei, einem jauchzenden Lachtriller unterbrochen wird. Darauf folgen Toaste, dem Schiffsherrn, dem Kapitain, der nächsten Reise, den Schönen und ihren Schwestern geltend, welche die Harfe schlagen oder schlagen könnten, jeder eingeleitet mit dem Commandoruf: Eins, zwei, drei, worauf ein wändeerschütterndes „Hurrah“ lang gedehnt nachhallt.
Dies Toben währt so lange, bis die Nüchternsten unterhaltendere Erheiterungen vorschlagen. Dem Redebegabtesten bleibt der Sieg. Man bezahlt die Zeche, wenn es nicht bereits geschehen sein sollte, denn Geld ist ja in Ueberflnß vorhanden. Harte preußische Thaler und dänische Spezies rollen und klirren auf Tischen und Bänken. Einer der Lustigsten spielt Fangeball mit seiner Heuer, indem er das silbergefüllte Taschentuch, das er als Börse benutzt, emporwirft und wieder auffängt, bis der lose geschürzte Knoten sich löst, und ein wahrer Jupiterregen sich über Haupt und Schultern des ausgelassenen Jongleurs ergießt. Dies Intermezzo erhöht noch die Heiterkeit der Ueberglücklichen. Alles bückt sich, fällt wohl auch und stößt sich, um das in alle Ecken rollende Silber wieder einsammeln zu helfen, und da Jeder grundehrlich ist, so befindet sich der Lustige alsbald wieder im vollen Besitz seines Eigenthumes, das er jetzt in allen Taschen, nicht eben sehr sicher, so gut es gehen mag, unterbringt.
Inzwischen ist es vor den Kellern sehr lebhaft geworden. Es warten hier nicht nur eine Anzahl Droschken, um die Jubilirenden weiter zu befördern, wenn ihnen die Kellerräume zu eng und dunstig werden, auch Bittende, dem einst schön gewesenen Geschlecht zugehörend, haben sich eingefunden, um die Mildthätigkeit der jungen Männer in Anspruch zu nehmen. Gewiß, man hat ein Recht, der Mehrzahl junger Matrosen eine gewisse Rohheit vorzuwerfen, dies äußerlich rohe Wesen schließt aber durchaus eine ihm tief in’s Herz gewachsene Gutmüthigkeit und Nächstenliebe nicht aus. Wenige geben lieber und mit heitererm Gesicht, als der Matrose, der seinen schwer verdienten Lohn so eben eingesäckelt hat. Der Vornehme und Reiche, dem mit zitterndem Flehwort die darbende Armuth um ein Almosen bittet, verabreicht wohl, ist er gut bei Laune, dem Bittenden einen Schilling, der abgemusterte Matrose dagegen gibt ohne Widerstreben großmüthig, zu oft leider nur ohne zu fragen, ob diese Freigebigkeit auch angewandt sei und gute Früchte trage. Er gibt, weil er besitzt, und da er mit Zukunftssorgen sich nie das Herz beschwert, so gibt er Jedem, der zu rechter Zeit die Hand ausstreckt, wenn er sich, immerfort singend und johlend, in die Sammetpolster des Wagens wirft, daß die Glasscheiben oft klirren und brechen. Nun ist der Wagen voll, ein Ueberzähliger springt trotzdem noch mit geraden Beinen hinein, ein Anderer schwingt sich gelenken Fußes zum Kutscher auf den Bock, die glänzenden Ledermützen der Exaltirten wirbeln unter grüßendem Hurrahgeschrei in der Luft, und mit dem Gesange des von deutschen Matrosen noch immer hoch in Ehren gehaltenen Liedes: „Schleswig-Holstein etc.“, an das sich so viele große, erhebende und wehmüthige Erinnerungen knüpfen, donnern die fortrollenden Wagen über das holprige Pflaster.
Durch seinen Beruf an starke Aufregungen gewöhnt, hat der Matrose wenig Sinn für feine und stille Genüsse. Bei ihm muß Alles ätzend und geräuschvoll sein. Wo es recht laut, recht wild und toll zugeht, da befindet er sich am wohlsten. Auch am Lande kann er nicht leben, ohne in dem Getümmel, das ihn umtost, das Brechen aufgewühlter Meereswogen, die fürchterlichen Schauer alle Masten und Planken eines Vollschiffes erzittern machender Sturzseen zu fühlen. Die Lust an solchen Vergnügungen steigert sich bei ihm mit der wachsenden Erhitzung durch geistige Getränke, und hat er bisher an sich gehalten, jetzt, wo er über ein kleines Vermögen verfügt, vermag er den Lockungen nicht länger zu widerstehen, die in der weltbekannten Vorstadt Hamburgs, in den Tanzsälen St. Pauli’s tausend und aber tausend Seefahrern winken.
St. Pauli oder „der Hamburger Berg,“ wie man früher sagte, ist das Paradies aller Matrosen und wird es so lange bleiben, als Hamburg sich eines blühenden Seehandels zu erfreuen hat.
Es ist der Mühe werth, das Treiben in jenen Lokalen, wo der junge Seemann vorzugsweise gern verkehrt, zu betrachten, obwohl wenig Gutes davon gesagt werden kann. Ein Splitterrichter thut besser, seine Schritte niemals dahin zu richten, denn man opfert hier weder der keuschen Vesta noch den Grazien. Es ist ein Stück Urweltsleben, das sich vor unsern Blicken entfaltet, ein Leben, wie es nur zügellose Genußsucht, blind waltende Leidenschaft und die lechzende Gier nach heißester Sinnenlust zu schaffen vermag. In diesen großen Etablissements, welche die Eigenschaften von Wirths- und Kaffeehäusern, von Tavernen und Grogschenken, von Tanzsälen und Tempeln feiler Venuspriesterinnen in sich vereinigen, schwelgt sich der Matrose während seines Landaufenthaltes müde und satt. Hier lockt grelle Musik ihn zum rasenden Tanze, in dem er sich mit hochgeschürzten, heißglühenden Nymphen schwingt, bis athmendes Keuchen der Brust ihm Ruhe gebietet. Freigebig wirft er mit den eben erst eingesäckelten Silberstücken um sich, jeden Händedruck lächelnder Schönen, jede Liebkosung schmeichelnder Hände theuer bezahlend. Wein, Punsch, Grog, Nigus, Champagner fließen in Strömen. Die Lust macht ihn rasend, er wüthet förmlich im Genusse, und so lange noch eine Geige klingt, ein Triangel klirrt und der verführerische Glanz einer weißen Schulter seine Sinne kitzelt, stürzt er sich von Genuß zu Genuß. Nur physische Erschöpfung gebietet ihm, dem maßlosen Schwelgen endlich ein Ziel zu stecken.
Zweierlei ist zu bewundern bei diesen allwöchentlich mehrmals sich wiederholenden Festins, die „In die vier Löwen,“ wie auf dem Schilde zu lesen steht, oder in den „Drei Kronen“ und andern Lokalen stattfinden, ich meine die unverwüstliche Ausdauer der menschlichen Natur und die Ordnung, welche ungeachtet des wahrhaft dämonischen Durcheinanders dennoch fast immer aufrecht erhalten wird. Denn hier dominirt nicht etwa der deutsche Matrose allein, in diesen Sälen, wo man ein Chor thyrsusschwingender Bacchantinnen im Arm halbtrunkener Faune wieder aufleben zu sehen meint, hier hat der gelbliche Finne mit seiner kugelrunden Pudelmütze, der schlanke elastische Sohn Andalusiens mit dem feueräugigen Don Juansantlitze, der ewig kühle Engländer, der klotzige derbe Jüte von Lymfjord, der rasche, kecke und dabei immer galante Bonvivant aus der Provence, der phlegmatische Holländer, der tückisch blickende Mulatte und der finstere Mohr, dessen dunkles Antlitz unter dem feuerrothen Tarbusch wahrhaft satanisch glänzt, gleichen Antheil und vollkommen gleiches Recht an Allem, was es Anziehendes und Begehrenswerthes für ihn gibt. Die Hölle Dante’s würde um ein ergreifenderes Bild reicher sein, hätte der Dichter derselben nur eine Nacht solchem Matrosen- und Phrynenballe beigewohnt. Der Anblick dieser wild entfesselten Sinnenlust, die nichts weiter will, als maßlos schwelgen im Genusse, hat etwas satanisch Erhabenes. Es ist ein Bild höllischen Freudentaumels in irdischer Goldumrahmung. Man wird festgehalten und abgestoßen davon, bezaubert und angewidert, aber das Auge ist gebannt von dem Geiste, der diese Welt beseelt, die matt und röchelnd erst beim Grauen des Tages in bleiernen Schlaf versinkt.
Es kommt nicht selten vor, daß jubelnde Matrosen an der Seite ihrer Auserwählten in zwei oder drei bacchantisch durchlebten Nächten den ganzen Verdienst einer Jahresreise, d. h. zwischen 200 und 300 Thalern pr. Cour. verausgaben. Man hat aber nie gehört, daß sie ob solcher Verschwendung sich trübe Gedanken oder gar Vorwürfe machten. Ein tüchtiger Matrose bleibt stets gesucht, der Hafen liegt voll segelfertiger Schiffe, eine neue Heuer ist also bald gefunden. Und wenn dann nach wild durchlebten Tagen und Nächten, die ihn niemals gereuen, eine neue Monatsgage in seiner [40] Tasche klingt, wagt er doch noch einen letzten Gang in den verführerisch glänzenden Hörselberg auf St. Pauli, vor dessen Pforte kein getreuer Eckard abwehrend sitzt, denn Morgen, singt die lebenslustig geschürzte Lippe:
Wozu sollte er sich kasteien? Wozu enthaltsam sein? Wenn Neptun ihm grollt und die Meerfei verlangend die kühlen Arme nach ihm ausstreckt, kann er schon wenige Tage später auf dem Seemannsleichenpfühl grüner Algen oder in den phantastischen Gemächern der Korallenkönigin zum ewigen Schlummer gebettet liegen.
Was wird nun aus der elftausend Mann starken, jetzt wirklich aufgelösten deutschen Fremdenlegion? Die Engländer haben dreitausend Mann für das Kap der guten Hoffnung gekauft und eingefangen, ein Schiff voll nach Amerika gesegelt und Andern das Reisegeld für Amerika oder die Heimath gegeben. Aber Viele müssen es vorziehen, letzterer auch ferner zu entsagen, und den Meisten fehlt „der Sinn, nach Amerika zu segeln, wo sie ohne König kegeln, wo sie ohne Spucknapf spei’n, bewohnt von Gleichheitsflegeln.“ Diese Letzteren gehen aber, wie sie Gelegenheit und Zufall zieht oder stößt, in alle Welt und lehren alle Heiden, wie’s just kommt. Sie finden und fressen und schlagen sich sogar durch, und sind vielleicht in allen Lagen gegen ihre Brüder am Kap zu beneiden. Wenn es dreißig Mann in Colchester gelang, zwei Regimenter Engländer mit Hurrah und Steinen in die Flucht zu schlagen[1] und überall, in Kneipen und Damen gegenüber zu herrschen, so ist uns für diese verlorenen Söhne des Vaterlandes nicht bange. Sind doch schon Manche glücklich „unter die Haube“ gekommen, Einige sogar empor, nämlich an den Galgen. Letzteres ist nicht nur gut gegen Zahnschmerzen, sondern auch gegen alle andern Uebel dieses Lebens. Für Alle diese ist gesorgt, und die übrigen zerstreuten Schafe finden auch ohne Hirten noch irgendwo Weide und einen barmherzigen Bruder, der ihnen die Wolle abscheert. Aber die Kapianer? Denen sei Gott gnädig. Nachdem die Engländer in mehreren Kaffernkriegen die Feinde ihrer Kapkolonie mehrmals vernichtet haben, stehen sie jetzt mit Weib und Kind und Nachkommenschaft alle wieder auf, um beiläufig auch die Engländer „zu civilisiren.“ Davor fürchten sich die Engländer rasend und haben deshalb Geld und Gaunerei in Massen aufgeboten, Deutsche als lebendige Mauern zwischen sich und die Kaffern zu schieben.
Das ist eine heroische Aufgabe für unsere dreitausend Herren Brüder, zumal da sie Palmerston größtentheils kurz vor ihrer Abreise noch Knall und Fall verheirathete, so daß sie gleich damit anfangen müssen, Mauern für die Engländer, für ihre eigenen Herde, für Weib und schreiende Wiege zu bauen. Außerdem das Feld, das ihnen die englische Regierung schenkt, denn der Mensch lebt nicht von Mauersteinen allein. Sodann läßt sich ohne Geologie denken, Was das für Feld ist, das die Engländer verschenken. Kurz, es sieht schon, noch ehe man den ersten Kaffer erblickt, sehr schwarz und wild aus. Dazu kommt aber, daß der große Kaffernprophet und Zauberdoktor Unchlakasa auf die radikalste und raffinirteste Weise eine Erhebung und Ausrottung der Engländer vorbereitet hat, die entsetzlich werden muß. Er hat ihnen alles Vieh und die ganze künftige Ernte weggenommen, um seinen Kaffern im Wahnsinn hungriger Wölfe die einzige Kornkammer, die einzige Rettung ihres Lebens in den englischen Niederlassungen und erschlagenen Körpern zu zeigen. Unchlakasa’s Prophezeiungen verkündigen die jetzige Auferstehung aller Kaffern, die während des vergangenen Jahrhunderts gestorben sind, vorausgesetzt, daß die jetzt Lebenden seine Befehle ausführen. Diese laufen darauf hinaus, daß sie all’ ihr Vieh verkaufen oder tödten, alle ihre Vorräthe von Lebensmitteln verbrennen, und ihre Felder und Gärten unbestellt lassen sollen. Niemand soll Lebensmittel oder Eigenthum behalten, mit Ausnahme einer Axt, die sich Jeder, der sie noch nicht besitzt, anschaffen muß. Diese Politik sieht ziemlich klar und kräftig aus. Nach den neuesten Nachrichten tödten die Stämme der Goleiko’s und T’Slombie’s, so wie andere Kaffernhorden ihre Viehheerden zu Tausenden, Andere verkaufen sie für ein Viertel, ein Achtel ihres Preises. Der Prophet sagt nämlich, daß, so wie die Lebenden sich alles Eigenthums, aller Lebensmittel entledigt hätten, die Todten auf ein gegebenes Zeichen von ihm mit sämmtlichem Vieh aus einer Höhle beim Flusse Kei auferstehen, hervormarschiren und einen Sturmwind loslassen würden, der alle Weißen vom Antlitze der Erde in’s Meer treiben würde. Wenn nichts von diesen Prophezeihungen eintrifft, stellt sich doch gewiß der Sturmwind ein, den die lebenden, hungrigen Wölfe von Kaffern selbst darstellen und ausführen werden.
Der Prophet Unchlakasa hat mehrere Jünger, unter denen sich besonders einer, Namens Kreli, auszeichnet. Er überredete mehrere Stämme, welche über „Säen oder Nichtsäen“ Rath hielten, sich gläubig für das Letztere zu entscheiden und so die großen Reformpläne des Propheten: „Ausrottung alles Lasters und Bekehrung oder Auskehrung aller Weißen,“ zu unterstützen. Was man bei den Kaffern Laster nennt und als Tugend preist, geht unter Anderem aus einem Kriegsgerichte unter den T’Slombie’s hervor. Das Kriegsgericht verurtheilte einen Mann ihres Stammes wegen Feigheit, weil er in einem Kampfe blos einen Mann, zwei Weiber und mehrere Kinder todtgeschlagen, und nicht einmal alle zum großen Festessen als Braten geliefert habe.
Und das sind noch lange nicht die Schlimmsten, wie denn überhaupt die braunen, sehnigen, schlanken Kaffern von Natur intelligent, scharfsinnig und nicht ohne Sinn für Menschlichkeit sein sollen. Ganz anders noch sieht’s unter den noch frei umherwüthenden, kurzen, stämmigen, im breiten, hervorstarrendem Maule zähnefletschenden Buschmännern aus. Der Missionär Fleming, der ein ganzes Buch aus seinen Erlebnissen in Südafrika schrieb, schildert mehrere Arten von Buschmännern, z. B. die Namagua’s, so:
„Man weiß von ihrem häuslichen, socialen Leben noch nicht viel, da nur wenige Missionäre, die sich unter dieselben wagten, zurückkehrten. Was durch sie bekannt ward, lautet entsetzlich. In geschlechtlicher Beziehung kennt man keine Liebe, keine Treue, da die wildeste Polygamie herrscht und Weiber und Kinder auf die bestialischste Weise mißbraucht und oft beinahe oder ganz getödtet werden. Wenn ein Vater die Mutter von sich stößt oder die kämpfenden Mütter sich an einander rächen wollen, werden allemal die Kinder der unterliegenden Partei gemordet. Der Missionär Kicherer, von Geburt ein Deutscher, der eine Zeit lang unter ihnen lebte, erzählt von Beispielen, daß Mütter ihre Kinder Löwen vor die Hütte hinauswarfen, weil diese nicht abziehen wollten, ehe ihnen ein Almosen hinausgegeben wurde. Kinder hören überhaupt auf, von der Mutter beachtet zu werden, sobald sie kriechen können. Man merkt selten eine Spur von Weiblichkeit unter Müttern und Mädchen. Sie morden ihre Kinder zuweilen ohne irgend eine sichtbare Veranlassung, ohne daß man sie deshalb bestraft oder nur tadelt. Wenn sie ihren abgeweideten Platz verlassen, von Feinden verfolgt werden, auch aus Rache gegen den Vater, werden Kinder erstickt, erwürgt, lebendig begraben oder schlechtweg auf der brennenden, ausgetrockneten Ebene liegen gelassen. Eben so geht’s bei der Flucht oder beim Aufbruch nach einer andern Gegend alten Leuten, die nicht mehr selber vorwärts können. Man läßt sie einfach zurück, im günstigen Falle mit einer mit Wasser gefüllten Straußeierschale und einem Stück Fleisch, so daß sie eben nur ihren Hunger- und Verschmachtungstod verlängern können. Diese Namagua-Buschi’s (Buuschi’s, wie man eigentlich statt Buschmänner sagen müßte) sind die personifizirte, fortwährende Wuth und Feindschaft gegen alle sie umgebende Welt. Sie beißen und schlagen auf Alles los, was ihnen in den Weg kommt, tolle Hunde in Menschengestalt. Was sie beißen, fressen sie auch im Nothfalle. Sie können ausgetrocknete alte Stiefeln mit Sohlen und Hacken verschlingen und verdauen. Zuweilen kratzen sie tief in den harten Boden hinein und fressen die Wurzeln der Bäume, die sie nicht ausreißen können, an Ort und Stelle ab. Thier- und Menschenblut trinken sie warm und deren Fleisch essen sie nicht selten [41] roh. Sie haben Grade in ihrer Wuth gegen andere Menschen und hassen andere farbige, eingeborene Racen grimmiger, als die Weißen, mit denen sie zuweilen verkehren und Tauschhandel treiben. Wenn sie einzelne Hottentoten oder Fingo-Kaffern erwischen können, werden diese unter ausgesuchten Qualen zu Tode gemartert. So erzählt Mr. Shaw in seinen „Erinnerungen an Südafrika“ von einem Hottentoten, den die Namagua’s fingen, bis an den Hals in einen Sumpf eingruben und ihn noch mit Erde und Steinen umgaben, daß er sich nicht wieder herausarbeiten konnte. Nachdem sie sich eine Zeit lang über die entsetzliche Lage ihres Opsers gefreut hatten, ließen sie ihn zurück, um den Raubvögeln, die den lebendigen Kopf umkreisten, Platz zu machen. Er brachte über vierundzwanzig Stunden in dieser Lage zu, bis ihn Stammesgenossen entdeckten und befreiten. Er erzählte dann, wie es ihm gelungen sei, die gierigen Raubvögel, die den ganzen Tag auf ihn losstürmten, abzuhalten, durch fortwährende Bewegungen mit den Augen und dem Munde und herzhaftes Zischen und Schreien.
Der natürliche, unkultivirte Mensch ist und bleibt Produkt des Bodens, auf welchem er entsprang und in welchen er zurückkehrt, Produkt des Klima’s, der Bodenformation und der Landschaftlichkeit. Selbst der gebildete Mensch bedarf einer bedeutenden moralischen Kraft, um dieser Abhängigkeit Herr zu werden. „Niemand wandelt ungestraft unter Palmen,“ sagt Goethe. Die Natur, welche den Kaffer und Buschmann umgibt, ist eben so menschenfeindlich und giftig, wie er, felsig, sonnenglühend, wimmelnd von giftigen Käfern und Insekten, Schlangen und Reptilien, Löwen und reißendem, blutgierigem, mitleidlosem Wild anderer Art. Es gibt kleine, unscheinbare Käfer, deren Biß starke Menschen nach einigen Stunden tödtet, und Schlangen, wie sie kein anderer Erdtheil so tödtlich und giftig aufweisen kann. Die fürchterlichste dieser Reptilien ist die Peitschenschlange, zwei bis drei Fuß lang und in ihrer braunen Farbe und Gestalt an den Bäumen hängend wie eine Hetzpeitsche. Sie kriecht zwischen den Baumzweigen und deren Schlingpflanzen umher, wickelt oben ihren Hintertheil um einen Zweig und läßt den übrigen Körper zwischen Zweigen und Blättern herunterhängen, bis sie eine Beute erwischen kann. Sie stürzt sich auf sie und verursacht durch ihren Biß augenblicklich Bewußtlosigkeit und Erstarrung. In diesem Zustande saugt sie ihrem Opfer blos das Blut aus und läßt es für andere giftige Thiere liegen. Von Boden- und Grasschlangen gibt es besonders drei Arten, eine dreifüßige braune mit schwarzen Flecken, eine seltene schwarze von etwa derselben Größe und eine grüne, die sich in ihrer Farbe genau mit dem Grase, in welchem sie sich herumwindet, vermischt, so daß man sie selbst dicht dabei nicht von demselben unterscheiden kann. Uebrigens gewöhnt sich der Mensch auch an solche Natur, und der Gebildete lernt sie beherrschen. Ein englischer Offizier ging einmal mit einem Freunde in’s Kafferland hinein auf die Jagd und frühstückte auf einem Grashügel. Als er die Hand auf den Boden drückte, um sich zu erheben, griff er den Hals einer großen Schlange, die sich blitzschnell um seinen Arm wickelte und ihren Hals aus dessen Hand zu ziehen suchte. Statt aber loszulassen, wie neunundneunzig unter hundert Anderen gethan haben würden, griff er nur fester zu und hielt fest, während er mit der andern Hand ein großes Einlegemesser aus der Tasche zog, es mit Hülfe der Zähne öffnete und dann mit einem Schnitt den Kopf der Schlange abhieb. Wäre er nicht an Schlangen gewöhnt gewesen, würde er losgelassen und geschrieen haben und verloren gewesen sein.
Mit den Schlangen um die Wette treiben Addern und Vipern ihr Vergiftungshandwerk. Am tödtlichsten ist der Biß der sogenannten Puff-Adder, mit zwei Zoll langem und eben so breitem Kopfe, fünf Zoll im Umfange, drei Fuß lang, rund und dick bis an das Ende des Schwanzes, strohgelb unten, oben mit Braun gemischt, mit funfzehn Bogen von dunklerer Farbe, dreieckig mit dem offenen Rachen, in welchem zwölf Fangzähne dick und fest starren. Die beiden vordersten, 3/4 Zoll lang, sind hohl und krumm und mit Giftsäckchen gefüllt, die sich beim Bisse spritzend leeren und das Opfer oft augenblicklich tödten. Dieses tödtlichste Reptil Afrika’s hat noch die tückische Gewohnheit und Geschicklichkeit, rückwärts auf seine Beute zu springen. Wer das nicht weiß, wird von dem scheinbar rasch davonspringenden Scheusale furchtbar überrascht. Ein Mann, von einer solchen Adder in’s Knie gebissen, starb noch an demselben Tage, obgleich das Bein bald nach dem Bisse amputirt worden war.
Das sind fürchterliche Feinde, welche der deutschen Fremdenlegionäre harren, aber nicht die schlimmsten. Entsetzlicher ist’s, von kleinen Käfern gebissen zu werden und daran rettungslos zu sterben, entsetzlicher noch, über Nacht von hungerwüthenden Kannibalen überfallen und seiner Habe, seines Lebens beraubt und mit Weib und Kind gefressen zu werden. In einem früheren Artikel über die holländische Transvaal-Republik haben wir mitgetheilt, aus welchem Grunde die Republikaner einen entsetzlichen Vertilgungskrieg gegen einen Kafferstamm unternahmen, weil sie noch einige gekochte Gebeine ihrer geraubten Weiber und Kinder in deren Töpfen gefunden.
Die Kapkolonie war den Engländern einst etwas werth, als der Welthandel dort noch einer Zwischenstation, eines Depots bedurfte. Seitdem man aber mit Dampf die Welt, so zu sagen, „in einem Futter“ umsegelt, hat sie alle Bedeutung, allen Werth verloren. Die Kapstadt ist verlassen, die regelmäßigen Verbindungen, der Austausch und die Umladung von Waaren haben aufgehört. Sie ist ein verlorner Posten, an welchen man keine neuen Kaffernkriege wagen will, obwohl man die dort wohnenden Engländer nicht ohne Weiteres Preis geben darf. So kaufte und preßte man sich Deutsche zusammen, die gerade am Vorabende eines der radicalsten und grimmigsten Einfälle der Kaffern ankamen.
Es sind allerdings dreitausend kräftige, disziplinirte, größtenteils gebildete Jünglinge und Männer, die durch gehörige Benutzung ihrer physischen und geistigen Mittel sich gegen ganze Legionen wilder Menschen und Bestien zu halten und zu gedeihen im Stande sind, wie sich ja auch die holländische Transvaal-Republik hält. Und so wollen wir nicht ohne Hoffnung von unsern Brüdern am Kap der guten Hoffnung scheiden, besonders nicht die Hoffnung, daß sie auch den Engländern ihre Haare auf den Zähnen zeigen werden, wie sie dies mit Erfolg schon mitten in England thaten.
Der Ocean auf dem Tische noch einmal.
„Der Ocean auf dem Tische,“ welchen wir einst schilderten[2] und der in Deutschland allenthalben und sogar in Asien u. s. w. so viele Liebhaber fand, ist jetzt in England nicht nur eine allgemeine Staatszimmer-Decoration, sondern auch ein in vielen, stets sich mehrenden Läden feil gebotener Industrie- und Handelsartikel geworden. Damals wußten wir auf viele Anfragen und Bestellungen keine sichere Antwort zu geben, da wir nicht das Risiko übernehmen konnten, aus unbestimmten, fernen, theueren Quellen Deutschland unter Meerwasser zu setzen, und den Transport wunderbarer, zarter, vegetabilischer, besonders vegetabilisch-animalischer Gebilde auf unser Gewissen zu nehmen. Jetzt ist das etwas Anderes. Man verschickt alle Tage lebensvolle kleine Oceane mit der Eisenbahn, und kann auch Deutschland damit versorgen. Wer sich einen mit Pflanzen, Thierpflanzen und Thieren belebten Ocean anschaffen will, den verweisen wir auf die Bedingungen und Vorsichtsmaßregeln, in einer der früheren Nummern der Gartenlaube zusammengestellt[3] und auf diesen Artikel.
Das Hauptoceangeschäft Londons ist das von Mr. W. Alford-Lloyd, 19 und 20 Portland Road, Regents Park, wo alle möglichen Aquarien, lebendige Seethiere, Seegewächse und sonstige Materialien zum lebendigen Studium der Meeresnaturgeschichte vorräthig und feil geboten werden, im Durchschnitt 15,000 [42] Exemplare und Species von Gewächsen und Thieren des Meeres, Vertreter von mehr als 200 Gattungen. Die für sie gefüllten Tischoceane zwischen Spiegelglasplatten enthalten mehr als 1000 Gallonen Seewasser. Sie werden von einer Anzahl eigens dazu eingeübter Fänger von verschiedenen Gestaden aus immer wieder frisch versorgt, so daß durch den Absatz kein Mangel entsteht. Bereits leben viele Hunderte von Menschen blos von diesen schönen neuen Schätzen aus dem Meere, das überhaupt Ernten liefert, fruchtbar und ergiebig, wie kaum eine zu Lande. Von diesen Schnittern des Meeres sprechen wir ein andermal.
Die Marinefauna und Flora Lloyds ist bis jetzt die reichste und vollständigste und bietet selbst Bewohnern des Meeresstrandes, die sich leicht selbst einen Ocean auf dem Tische beleben könnten, große Vortheile, da nicht nur die größte Auswahl von allerhand nöthigen und bequemen Bestandtheilen und Hülfsmitteln geboten wird, sondern auch die Laien (und wir sind es noch ziemlich alle) die nöthige Belehrung und solche Arten von Thieren und Gewächsen zusammengestellt erhalten, die zu einander passen und den gläsernen Käfig vertragen können.
Die Entdeckung einer Methode, Seewasser künstlich nachzumachen, die wir ebenfalls in einer früheren Nummer der Gartenlaube[4] mittheilten, gibt nun in Verbindung mit diesem schönen, neuen „Seehandel“ Jedem leichte Gelegenheit, die Naturgeschichte der Meerestiefe aus lebendiger Quelle zu studiren, und nicht nur sein Zimmer auf die neueste und nobelste Weise zu schmücken, sondern sich auch täglich Genüsse zu verschaffen, die früher allgemein verschlossen waren.
Wir können übrigens nicht umhin, zu bemerken, daß das künstliche, mit der größten chemischen Genauigkeit componirte Seewasser nach den Erfahrungen des Direktors der Zoophytenhäuser im zoologischen Garten des Regents-Parkes zu London, auch wenn die chemische Analyse nicht den geringsten Unterschied von dem natürlichen entdecken kann, sich nie als wohlthätig für Thiere und Pflanzen erwies. Sie halten sich wohl darin selbst ziemlich lange, gedeihen aber nicht, wachsen nicht, sondern verschrumpfen in der Regel mit der Zeit, während sie im natürlichen Seewasser sich vermehren, wachsen und frischer zeigen. Dies ist zugleich wieder ein Beispiel, daß die Natur auch für den feinsten Chemiker noch ihre Geheimnisse hat. Wir können auch auf chemischem Wege nicht den „Odem Gottes,“ nicht das Geheimniß der Lebensfreude in unser wissenschaftliches Seewasser hauchen.
Bei den jetzigen Kommunikationsmitteln wird es daher rathsam und im Ganzen nicht kostbar sein, sich in Hafenstädten Lieferanten natürlichen Seewassers zu verschaffen. Die Ausgabe ist nicht oft nöthig, da man selbst im Zoophytenhause zu London schon ganzer siebzehn Monate in einigen Aquarien das Wasser nicht erneuert hat, ohne den darin lebenden Gebilden zu schaden. Das Wasser hält sich also lange, vorausgesetzt, daß es lebenskräftig erhalten, ventilirt und mit Sauerstoffquellen versorgt wird.
Für Herren von „Seen im Glase“ wird es von Interesse sein, zu erfahren, daß in dem Etablissement Lloyd’s auch solche Süßwassergeschöpfe gehalten und verkauft werden, die selten oder nie lebendig gesehen und beobachtet werden konnten, und daß Aquarien oder vielmehr Wasserpflanzen-Treibhäuser seltene Farren, Lichenen und Moose und noch seltenere amphibische Pflanzen und Thiere zum Beobachten und Studiren in ihrem geheimnißvollen Wachsen und Bewegen bieten.
In Bezug auf die Wasserbehälter Lloyd’s bemerken wir, daß sie nicht blos im Allgemeinen zur beliebigen Aufnahme von Pflanzen und Thieren, sondern mit Rücksicht auf Bedingungen des Lichts, der Brechung, Stärke und Richtung desselben, des Wasserdruckes, der Tiefe u. s. w., für bestimmte Gattungen von Pflanzen und Thieren construirt werden. Man hat dabei theuere Erfahrungen und Studien der Thiere in ihren natürlichen Zuständen zu Grunde gelegt. Nur die äußerlichen Formen und Arrangements sind für Zwecke der Dekoration und Schönheit eingerichtet, so daß die Aquarien zu anmuthigen Zimmerverzierungen werden. Wer hier die Schönheit und Pracht hoch anschlägt und die Mittel nicht scheut, kann erstaunliche Prachtwerke bekommen, welche jeden andern Luxus im prächtigsten Saale verdunkeln. Es gibt drei Stockwerk hohe Oceane mit Springbrunnen, beweglich auf kostbaren Ständern und strahlend in goldenen Kanten. Doch nichts geht über die Strahlen der Sonne, die ihre Seesterne und Thierblumen unten mit allen Farben des Regenbogens umspielt und über das freudige Aufperlen von Lebenslust aus grauen und rothen Geweben und Haufen von Seegewächsen.
Endlich findet man in Lloyd’s Etablissement alle möglichen wissenschaftlichen Werke, Zeitschriften und Abbildungen, die sich auf die betreffenden Zweige der Naturwissenschaft beziehen, so daß man sich theoretisch und praktisch Raths erholen kann.
Die Preise der verschiedenen originellen Verkaufsartikel sind sehr elastisch: für grüne Seegewächse von 4 zu 8 Pence, rothe 6 bis 12, Zoophyten (Madreporen) 1 bis 2 Schillinge, See-Anemonen 6 Pence bis 7 Schillinge für’s Stück, für nackte und behaus’te Hydroiden 6 bis 12 Pence, Sternenfische und in Thürmchen wohnende Meerwürmer 6 Pence bis 2 Schillinge 6 Pence, Crustaceen 6 bis 18 [43] Pence, Barnaclen 6 bis 12, Polyzoa ebenso, Mollusken von 6 Pence für’s Dutzend bis 18 Pence für’s Stück, entsprechende Fische von 6 Pence bis 2 Schillinge.
Im Allgemeinen kann man also annehmen, daß etwa jeder Bewohner des künstlichen Oceans auf dem Tische durchschnittlich 10 Sgr. kosten würde. Rechnet man hierzu die Preise von Behältern 1 bis 21 Pfund für’s Stück und die Fracht für Uebersendung (wenn man es nicht vorzieht, Letztere zu Hause machen zu lassen), kann man sich ungefähr berechnen, wie viel man wohl für eine solche neue, noble Bereicherung seiner Studien und Freuden würde anlegen müssen. Die größten Behälter, durchaus von Spiegelglas, für 21 Pfund sind 6 Fuß lang, 3 Fuß breit und 2 Fuß 6 Zoll tief. Von da fallen sie in der Größe und im Preise bis zu 1 Pfund und sind dann 1 Fuß 4 Zoll lang, 91/2 Zoll breit und 9 Zoll tief. Die praktische Hauptform derselben ist dieselbe, wie wir eins in Abbildung beifügen. Außerdem gibt es achtkantige, runde und noch andere Formen für den verschiedenen Geschmack von Liebhabern, dazu „trocknes Seewasser“ d. h. Pfundpackete der nöthigen Bestandtheile dazu à 1 Schilling, hinreichend für etwa 3 Gallonen Seewasser, Mikroskope, Linsen, Marington’s Mikroskop zum Studium der lebendigen Seethiere u. s. w. in ihrem Elemente (à 32 Thaler), Tropfgläser zur Lüftung des Wassers, ebenso Spritzen, Röhren und Löffel, Guttapercha-Heber, Steinkrüge, eingeflochten, zur Versendung von Thieren in Seewasser, kurz alle Werkzeuge, die zur Haltung und Pflege eines Marine-Aquariums gehören.
Summa Summarum würden in Deutschland etwa 50 Thlr. dazu gehören, um sich ein gutes, wohlassortirtes, mittelgroßes Aquarium der Art auf den Tisch zu setzen oder auf einen eigenen Ständer, den man sich übrigens in Deutschland selbst billiger und geschmackvoller herstellen kann, eben so den Glasbehälter. Zur Modellirung eines Ständers und Glasbehälters eignen sich Felsen, Wasserpflanzen, Schilfe u. s. w. Man könnte sich den Ständer so formiren, daß es scheint, als würde der gläsern ewigverschlossene Ocean von bewachsenen Felsen und Wasserpflanzen getragen. Diese lassen sich von Blech sehr gut treiben und mit entsprechenden Farben lackiren. Ein bloßes hölzernes gehobeltes und gedrechseltes Tischbein für solche Zwecke, wie man’s in England hat, sieht immer geschmacklos aus.
Man hat übrigens auch hier angefangen, nach besseren Modellen zu arbeiten, z. B. nach folgendem: einem sechsseitigen Aquarium auf einem Schilffuße und einer Krone für entsprechende Blumen und Pflanzen und einem Einsatze für Aufnahme von Wasser- und halbaquatischen Gewächsen. Man sieht hier wenigstens, welche Schönheit und seltenen Gebilde der Natur sich in und an Aquarien mitten in unserem Zimmer acclimatisiren, verdichten und zu einer unerschöpflichen Quelle der interessantesten Studien und Genüsse vereinigen lassen.
Uebrigens wird die neue, aus dem Meere steigende Industrie und der Handel damit sich wohl auch in deutschen Hafenstädten mit der Zeit ansiedeln und die Konkurrenz die Preise so civil machen, daß es mit Ernst und wirklichem Interesse jedem anständigen Menschen leichter wird, sich ein solches Aquarium, als einen neuen Rock anzuschaffen. In London gibt es schon ein paar Dutzend Geschäfte, die in Billigkeit der Preise um den Vorrang kämpfen. Unter solchen Verhältnissen kann es Schreiber dieser Zeilen[5] schon mit gutem Gewissen übernehmen, Personen und wissenschaftlichen Instituten, denen es auf möglichst rasche Anschaffung eines Oceans im Zimmer ankommt, seine Hülfe und Vermittelung anzubieten, wenn sie es nicht vorziehen wollen, sich an den Eigenthümer des vorher erwähnten Hauptgeschäfts oder an Mr. Smith, 164 Johnstreet Road oder Mr. Bohn, Essexstreet, Strand, unmittelbar selbst zu wenden.
Die neue, auf die Oberfläche des Tages und mitten in unser bequemes Zimmer heraufbeschworne lebensvolle Wunderwelt der Tiefe verdient schon ein kleines Opfer, welches sicherlich die reichsten Zinsen wissenschaftlicher Freude tragen wird. Ich studire und genieße diese wunderbaren Gebilde nun schon seit länger als einem [44] Jahre, so oft ich irgend eine Stunde für den zoologischen Garten oder eine Privatsammlung erübrigen kann, und sie erscheinen mir immer wieder neu, immer wunderbarer, geheimnißvoller, bezaubernder in ihrer Metamorphosen- und farbenreichen Doppelnatur von Pflanze und Thier. Auch die Gebilde, welche losgelöst von dem Boden, als animalische Formen gelten, weichen so sehr von den Geschöpfen süßer Wasser ab, daß sie schwimmend, kriechend, sich windend und schlängelnd in ihrem ungestörten Leben als Beute oder Beutemacher, in ihrer List und Vorsicht, den im blumigen Scheine der Unschuld lauernden Zoophyten-Armen zu entgehen u. s. w. immer interessant bleiben und nie langweilig werden, eine Tugend, die man oft den besten Menschen absprechen oder wenigstens etwas stärker wünschen muß. Und mit welcher Wonne weidet sich das Auge auf den sammetnen Wiesen, welche die Felsen des durchsichtigen, durchsonnten, mit lebendigen Thierblumen besternten Miniatur-Meeres überteppichen! Die feinsten, grünen, cocongewebten Hauche von Ulven, Enteromorphen und Cladophoren streben empor, dazwischen strahlen rosig und sanguinisch eßbare Iridäen, Delesserien, Corallinen, Rhodomelen und Gracillarien und steigen saftig aus dem Grunde stolze Blätter und Blüthen hoch über den kleinen, blanken Meeresspiegel empor. Sternenfische scheinen und glitzern farbenspielig zur Sonne empor, die schneeigen Baumkronen der Anemonen erröthen rosig und aurorafarben, übergolden sich und wechseln die Farbe öfter, wie ein gewisser Bürgermeister 1848. Kleine, arme Ritter stecken ihre Trompeten oben zum Thurme heraus und blühen die zartesten Hauche von Farbentönen, die bei der leisesten Berührung wie ein Blitz verschwinden und das Insekt, das ihre zarten Hauche von Fangfäden berührte, mit in ihren Thurm hineinziehen.
Die dicken, lebendigen, weidenartigen Baumkronen der Edwardsia vestita, einer erst neuerdings entdeckten See-Anemone, starren wie Speere in der Sonne und manches unvorsichtige Geschöpfchen stürzt sich mitten in seiner Lebensfreude dazwischen, ohne Arnold-Winkelried’sche Absichten, und verschwindet im Nu mit allen den zahllosen Spießen und Speeren im Stamme. Die schlangenhaarige Anemone, Actinia anguicoma, läßt ihre lebendigen, räuberischen Haare und Hände wie todt hängen, um die lustig umherschießende Garneele (Shrimp, die alle Tage hundertzentnerweise in England zum Thee gegessen werden) desto sicherer zu machen und im Nu mit hundert Schlangenumarmungen in ihren Stumpf und Stamm hineinzuwürgen. Ich berührte einmal das Schlangenhaupt einer solchen Actinia mit einem Stäbchen, das sie mir sofort aus der Hand riß. Nur mit der größten Schwierigkeit gelang es mir, das unverdauliche Stäbchen aus ihren hundert Armen und Zähnen herauszuwickeln. Arme und Zähne, Haare und Hände, Kopf und Magen, alle diese Ausdrücke passen für die sonderbaren Glieder dieser wunderlichen Launen und Träume der Natur zwischen den Grenzen animalischer und vegetabilischer Gebilde; aber sie passen deshalb auch nicht, weil diese Ausdrücke einen animalischen Organismus voraussetzen. Spricht man dagegen von Stamm, Wurzel, Zweig u. s. w., sind dies auch wieder hinkende Vergleiche, da diese sonderbaren Thierpflanzen eben lebendig thierische sind. Die speciellen Kunstausdrücke der Zoophytologen sind aber ohne gelehrten Commentar noch unverständlicher, so daß wir der Kürze wegen vorläufig nur der Anschauung im Allgemeinen zu Hülfe kommen wollen. Wir finden daher einige der Creaturen des abgebildeten Aquariums noch besonders und deutlicher mit Holzschnitt eingedruckt, zunächst die Edwardsia vestita, die „bekleidete“ Anemone, welche indessen ihr Kleid, wie ein einziges Paar Hosen oder wie einen Sack hat fallen lassen, um weidenbaumartig rasch heraus zu wachsen und mit ihren schieferartigen, farbenspielenden Tentakeln jedes beliebige damit in Berührung kommende Thierchen hangend einzuschließen, sich damit in den Stamm hineinzuziehen und verschlossen zu bleiben, bis das Verdauungsgeschäft abgemacht ist und neuer Appetit die Räuberspeere aussendet, ihn zu befriedigen. In Zeiten großer Gefahr verschwindet oft nicht nur die Krone, sondern auch der Stamm und steckt sich in den Sack unten, der über dem Kopfe zugebunden wird und mit seiner gepanzerten Außenseite, wie eine Festung, jedem Angriffe trotzt. Auch denkt kein Raubthier unten so leicht an einen Angriff gegen einen so harten, unscheinbaren Klumpen, als welcher das Geschöpf jetzt erscheint, da Niemand vermuthet, was für Schönheit und Fülle sich darin verstecke.
Auf der andern Abbildung sehen wir oben rechts die schlangenhaarige Actinia anguicoma mit ihren perlenweißen, hängenden Tentakeln, baumstammartigem Körper von blasser Orangefarbe und den kleinen, noch helleren Tuberkeln daran. Links darunter hat sich ein Seestern (Goniaster equestris) mit Scharlachgrundfarbe und blaßgelben Punkten und Lichtern entfaltet, der in Zeiten der Gefahr sich zu einem farblosen Klümpchen zusammenwickelt. Die Thierblume unten rechts ist ein Sternfisch anderer Art, Palmysses membranaceus, blaß strohgelb mit purpurrother Stickerei auf seiner Oberfläche. Links daneben ist die stark fünfstrahlige Cribella oculata in der Mitte von tiefer Rosenfarbe, nach den Enden abnehmend und bis zum Weiß verschwindend. Oben links ein Echinus miliaris, im Hintergrunde darüber Zweige des maritimen Baumes Rhodomela subfusca mit rother Grundfarbe und rothen Farbentönen in seinen arabeskenartigen Zweigen.
Dieser in Holz geschnittene Blick in die heraufbeschworene oceanische Unterwelt gelte jetzt zugleich als Scheideblick dieses Artikels und als aufmunternder Wink zu Versuchen, ihn aus seinen hölzernen Banden zu flüssigem, dauerndem Leben im Putzzimmer zu erlösen, wo er mehr Genuß gewähren mag, als die todten, koketten Schätze von Tassen und Silbergeräthen im Schranke mit Spiegelwänden, welche durch Wiederschein noch einmal so viel dazu lügen sollen.
Schönheitstaufen. In Paris schminken heut zu Tage alle Frauen ihre Gesichter: die häßlichen und die hübschen, die jungen und die alten. Alle schminken sie mehr oder weniger kunstgemäß, mehr oder minder kühn, mehr oder minder grotesk – Alle aber retouchiren sie das Gesicht, das ihnen Gott gegeben hat.
Diese Tätowirung der civilisirten Frauen (die Leserin verzeihe uns den Ausdruck) nennt man repiquer, eine Bezeichnung, die sich schwer in’s Deutsche übersetzen läßt und die deshalb hier unübersetzt bleiben muß. Es ist ein Kunstausdruck, der aus den Ateliers hervorgegangen, und die Pariserinnen meinen, es gebe keinen treffenderen für die Sache.
Alle Frauen sind, wie wir sagten, heute mit dieser Kunst beschäftigt; die Schuld davon trägt der Schriftsteller Théophile Gautier, der die schwarzen Augen des Orients, die schwarz-atlasnen Augenwimpern, die Reize des bläulichen Weiß und des funkelnden Schwarz, die von einem fast unsichtbaren Thau bedeckten, blendenden Schultern, kurz alle Effekte zu glühend besungen hat, welche die Natur gar nicht spendet und die man im Gegentheil sehr leicht durch Silberglätte, Bleiweiß, Antimonium und alle die übrigen Präparate gewinnen kann, die diesem kleinen Laster zu Gebote stehen.
Er hat dadurch allen Pariserinnen den Kopf verdreht, die jetzt alle einen Teint haben wollen, weiß wie Silber, wie Schnee oder Milch, glänzend wie die Haut der Viper und roth wie Nacarat, namentlich aber erpicht sind auf den funkelnden Sammetblick der Peri’s.
Pädagogik. Bei der großen Bedeutung einer gesunden Erziehungskunst
für den Kulturgang des Menschengeschlechts, auf welchem jedes Menschenleben
ein Schritt – vorwärts oder rückwärts – ist, dürfen wir nicht
unterlassen, von Zeit zu Zeit auf wichtige pädagogische Schriften aufmerksam
zu machen, wichtig für „Schule und Haus.“ Jetzt liegen uns drei
solche Bücher vor von dem unermüdlichen Vorkämpfer für Hebung und
Befreiung der Schule: Direktor A. Diesterweg. Es sind dies dessen
jüngst erschienenes „Pädagogisches Wollen und Sollen“ und
„Pädagogisches Jahrbuch für 1857.“ Beide Bücher, namentlich das
erstere, sind reiche Fundgruben von beherzigenswerthen Fingerzeigen für
Lehrer wie für denkende Eltern. Das dritte Buch ist die bei Enslin in
Berlin erschienene „Populäre Himmelskunde und astronomische Geographie“
(fünfte Auflage). Die Ziffer fünf enthebt uns eines empfehlenden
Wortes. Für Lehrer ist dies ein unentbehrliches Buch. – Von
dem bekannten Oltrogge erschien unter dem Titel: „Auswahl aus der deutschen Dichtung,
von der ältesten Zeit bis auf die Gegenwart
in chronologischer Ordnung, mit kurzen Biographieen,“ ein für alle
Schulen und zum Selbstunterricht eingerichtetes Handbuch der deutschen
Literaturgeschichte, das wir der strebenden Jugend und allen Schulen bestens
empfehlen.