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Die Gartenlaube (1854)/Heft 14

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1854
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 14. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Die Candidaten-Braut.
Von Amely Boelte.

An den Ufern der Ostsee liegt in einer Fläche das Städtchen R…a. – Sandfelder umgeben es ringsum, auf denen der Roggen spärlich gedeiht, ein Flüßchen schlängelt sich bescheiden durch dieselben, dessen seichte Ufer Binsen dicht beschatten, hinter denen verborgen ein rohes Steinbild des alten heidnischen Gottes Radegast zu schauen ist. – Kein Punkt bietet sich in der ganzen Umgebung, auf dem das Auge gefesselt weilte, kein Hügel und kein See bildet hier eine Gruppe, die man mit dem Worte „schön“ bezeichnen könnte. Das Städtchen selbst, mit seinen rothen Dächern, und dem geraden hohen Thurm, der sich oben wie plötzlich abdacht, und mit einer mit einem Kreuze versehenen goldenen Kugel verziert ist, steht da, als wäre er von Knabenhand, gleich einer Spielerei, dort aufgestellt. Die Straßen, deren es nur drei zählt, sind still und einsam. – Geht Jemand über dieselben, rollt ein Wagen, verläuft sich ein Kind, so blickt sogleich aus jedem Fenster ein Auge, um die ungewohnte Begebenheit nicht unbeachtet zu lassen. – Der Eingang eines jeden Hauses hat eine Glocke, die das Eintreten eines Fremden verkündet, der dann unaufgehalten an die Thüre des Wohnzimmers klopft und eines Hereins gewärtig ist.

Von Handel und Verkehr ist in einem solchen Orte keine Rede. – Was hätte man hier wohl auf den Markt zu bringen? – Jeder Handwerker arbeitet, was sein Genosse von ihm entlehnt und baut daneben ein Stückchen Ackerland an, das für seine Familie die hinreichenden Feldfrüchte liefert. Nach Außen hin gehen seine Produkte nicht, es sei denn in die umliegenden Dörfer, die allerdings, da sie kein Zunftrecht haben, auf den Städter angewiesen sind. Still und ruhig leben die Leute von Tag zu Tag hin, das Jahr vergeht wie die Stunde, das Treiben der Welt kümmert sie wenig, ihre Interessen reichen meistens nicht über die Feldmarken hinaus.

Aber wie abgeschieden auch eine solche kleine Stadt liegen mag, so bedarf sie doch immer der ganzen Regierungsform, deren ein größerer Ort theilhaftig wird, und auch hier konnte man sich in dieser Hinsicht über keinen Mangel beklagen. Der Ort hatte einen Bürgermeister nebst drei Senatoren, einen Stadtrichter, einen Amtmann, der die Bauern verurtheilte, und zwei Prediger. – Dies waren die sogenannten Honoratioren, die vornehme Welt, die mit einander umging und ihren Kindern erlaubte, sich zu kennen. Auch ein paar Aerzte wurden diesem Kreise zugerechnet; denn sie waren ja auch Studierte, und nur die Unstudierten konnten hier auf keinen Zutritt rechnen.

Ein so kleiner Cirkel von gebildeten Menschen, der so ganz auf einander angewiesen ist, muß nothwendig in sehr nahe Berührung gerathen, und diese bringt nicht immer Segen. Die Frauen besonders, die für den Rang ihrer Männer einzustehen haben, und außerdem noch Vergleiche über ihre gegenseitige Kleidung anstellen müssen, finden es oft sehr schwierig, hier die rechte Mitte zu halten. Die beiden Prediger des Ortes lebten fast unter einem Dache, so nahe grenzten ihre Wohnungen an einander, und ihre Gärten, die an dieselben stießen, waren nur durch eine niedrige Dornenhecke geschieden. Der erste Geistliche, der Herr Präpositus Liebig, war schon ein bejahrter Mann und hatte bereits seine vierte Gattin heimgeführt. Er wollte nicht aus der Gewohnheit kommen, sagte er, und entschloß sich darum nach dem Absterben einer jeden, rasch zu einer neuen Heirath, wobei von einer eigentlichen Wahl auch nicht viel die Rede war; denn sich lange umzusehen, das wäre unbequem gewesen. Irgend ein Mädchen seiner Bekanntschaft, das nicht zu anspruchsvoll war, und eine sogenannte Versorgung um jeden gebotenen Preis annahm, genügte, und die Sache wurde ohne Verzögerung abgeschlossen. – So hatten sich denn im Laufe der Zeit vier Familien unter seinem Dache gebildet, und der Herr Präpositus Liebig fand es mitunter schwierig, seinen Kindern die Mittel zu einer Erziehung zu gewähren, die dennoch das einzige Kapital war, welches sie aus dem älterlichen Hause hinwegführen konnten. Wurde für die Söhne nur noch einigermaßen gesorgt, erhielten sie wenigstens den nothwendigen Schulunterricht, um sie sowohl zum Studiren, als auch zu irgend einem sonst von ihnen zu wählenden Stande zu befähigen, so geschah dagegen für die Töchter um so weniger. Verheiratheten sie sich, so wußten sie ja lange genug; denn dort im Norden erwartet man von einer Frau eben nicht mehr, als daß sie Mutter werde, und ihre Kinder selbst nähre. Fand sich aber keine solche Versorgung für sie, so mußten sie auf dem Lande die Wirthschaft lernen und dadurch ihren Unterhalt gewinnen. Ob darin eine Aussicht für ihre spätern Lebensjahre begründet lag, das war eine Sache, die man im Schooße der Zeiten ruhen ließ.

Der zweite Prediger, Herr Sommer, war ein Mann in seinen besten Jahren und gehörte damit seiner ganzen Richtung nach schon einer andern Aera der Bildung an. Er war hager und schmächtig gebaut, und die hochrothen Flecken auf seinen spitz hervortretenden Backenknochen deuteten den prekären Zustand seiner Gesundheit an. Er hatte ein Auge für alles Schöne, er dichtete und malte und beschäftigte sich mit der Literatur, aber immer nur in Dilettantenweise, um müßige Stunden auszufüllen, und nicht, [156] um etwas zu leisten, woran auch Andere Freude hätten. Um das zu erreichen, fehlte ihm schon die Ausdauer, oder vielmehr jene Kraft des Willens, die kleine Hindernisse besiegt, um einem bestimmten Ziele zuzujagen. Bei ihm entschied stets die Neigung des Augenblickes und leicht ließ er sich hierhin und dorthin bewegen, wie gerade die Umstände es wollten, denen er zu allen Zeiten unterthan war. Er besaß dabei die glückliche Blindheit, diese Schwäche nie in sich zu gewahren. Seine Gattin, die, wie die meisten Frauen, gerne die Herrscherin spielte, erhielt ihn in dieser glücklichen Selbsttäuschung durch die übertriebendsten Schmeicheleien, mit denen sie seine Talente bis in den Himmel erhob, und dafür ganz, ganz stille das ganze Haus nach ihrem Kopfe gehen ließ. Sie war klug und listig, und verstand es, seine Schwächen zu benutzen; der Herr Pastor Sommer war daher auch noch nie im Stande gewesen, ihr gegenüber einen Wunsch durchzusetzen, den sie nicht billigte. Durch die Gewohnheit bereits vertraut mit dieser Eigenthümlichkeit seines Ehelebens, versuchte er es nun schon nicht mehr, selbständig aufzutreten, Wie groß ihre Gewalt über ihn war, hatte sie ja bewiesen, als sie ihn gegen seinen Willen und seine Absicht zu ihrem Gatten machte. Sie waren in derselben Stadt geboren und aufgewachsen und der Knabe hatte sich dem Kinde spielend verlobt und Ringe mit ihr gewechselt. – Seine Laufbahn rief ihn dann in eine ferne Gegend, und erst als ihm ein Amt geworden, sah er den Ort wieder, wo er seine Kindheit verbracht. – Leonie Starke war jetzt bereits der ersten Blüthe beraubt; während er eben erst zum Manne reifte, hatte sie schon das Alter überschritten, das man mit dem Worte „jugendlich“ bezeichnet. Er sah sie wieder, aber ohne sie zu mahnen an vergangene Tage, ohne scheinbare Erinnerung ihrer kindischen Beziehung. Das entsprach ihren Plänen nicht. – Eine Fluth von Thränen erwiederte seine kalte Begrüßung, Klagen und Vorwürfe folgten, die ihm ein Bild ihrer wahrhaft rührenden Treue entwarfen, einer Treue, die in den vielen Jahren, die er abwesend war, nimmer wankte und keiner der vielen Versuchungen wich, die ihr in den Weg getreten sein sollten, bis er endlich erweicht, den Ausdrücken ihrer Verzweiflung dadurch ein Ende machte, daß er ihr seine Hand zu erneuertem Bündnisse bot. Sie hatte nun erreicht, was sie wollte und war nicht Willens, das schwer errungene Gut wieder fahren zu lassen. Sie versicherte, keine Stunde mehr ohne ihn leben zu können, und beharrte darauf, ihn sogleich zu begleiten, obgleich an seinem neuen Bestimmungsorte noch keine Art von Vorrichtung getroffen war zu dem Empfange einer Frau.

Diese Ehe wurde mit einem einzigen Kinde gesegnet, einem Mädchen, das nach ihrer Mutter den Namen Leonie erhielt. So wie die Kleine geboren war, begab sich der Pastor in sein Studierzimmer, setzte sich in sehr erregter Stimmung an seinen Schreibtisch und machte ein Gedicht auf das Vatergefühl beim Anblick des erstgeborenen Kindes, dessen Dasein ihm ernste Verpflichtungen auferlegte, deren Bedeutsamkeit er mit großem Verständniß schilderte. Als er es vollendet, ging er damit zu seiner Gattin, und sobald dieselbe im Stande war, ihm zuzuhören, trug er ihr es mit vielem Ausdrucke vor. Sie war von dem Inhalte tief ergriffen, pries ihr Kind glücklich, daß es einen solchen Mann „Vater“ nenne, und gelobte schließlich auch, in ihren Mutterpflichten das Höchste zu leisten, und der Kleinen selbst die erste Nahrung zu reichen. Leonie war gesund und stark und gedieh zusehends. Eine gute Wärterin war für sie besorgt und diese ließ es dem Kinde in den schönen Sommertagen nicht an Luft und Bewegung fehlen. Kam die Zeit der Mahlzeiten heran, die die kleine hungrige Erdenbürgerin mit lauter Stimme sehr häufig begehrte, so kehrte sie mit ihr bei irgend einer gutmüthigen Bürgersfrau ein, die auch ein Kind hatte, und bat diese, der kleinen Leonie die Brust zu reichen. Die Frau Pastorin mochte ohnehin nicht so oft gestört sein, sie war auch mitunter gar nicht zu finden, hatte eine Freundin besucht, eine Einladung zum Kaffee angenommen, eine Promenade auf das Land gemacht, und war recht froh darüber, daß die Wärterin so gute Auskunftsmittel zur Beköstigung der Kleinen auffand. – Es blieb am Ende fast keine Mutter übrig in ganzen Orte, die das Kind nicht nähren geholfen. Dem Vater war dies unbekannt. Die Frau Pastorin kam häufig mit der Kleinen auf dem Arme in sein Studierzimmer, hieß ihn das wundervolle Kind herzen, und verfehlte nie, das Gedeihen desselben auf ihre Rechnung und die sorgsame Erfüllung ihrer Mutterpflicht zu setzen.

„Aber wie sollte ich auch nicht gerne jedes Opfer bringen für ein Wesen, das Dich Vater nennt!“ setzte sie dann noch hinzu, und kitzelte sein Ohr mit Liebesworten und Schmeicheleien, die er, wie oft auch gehört, doch mit stets erneuertem Wohlgefallen hinnahm.

„Sie liebt mich doch ungemein!“ sagte er sich dann im Stillen, und konnte es nicht über sich gewinnen, sie durch einen Tadel zu kränken, so nahe ein solcher auch häufig vorlag; denn trotz aller dieser vorgeblichen Liebe wurde für des Gatten Bequemlichkeit und Pflege auch nicht im Geringsten gesorgt. Die Frau Pastorin schlief bis zehn Uhr, um die unruhigen Nächte einzuholen, sagte sie. So war denn das Frühstück der Fürsorge einer dummen Magd übergeben und der Herr Pastor mochte selbst mit der Kaffeemaschine umherlaufen und versuchen, wie er den Mokkatrank bereite. Da im Haushalte überhaupt jede Vorsorge fehlte, so war auch der Mittagstisch oft schlecht, ja oft gar nicht bedacht, und der Hausherr auf die erste beste Speise angewiesen, die sich eilig bereiten ließ, und seiner schwachen Konstitution gar nicht zusagte. – Es fehlte seinem häuslichen Leben auf die Art alle Behaglichkeit, und sein sinniges Hinleben unter Versuchen auf dem Kunstgebiete, fand eine unangenehme Unterbrechung durch die mangelnde Ordnung und Pünktlichkeit im Uhrwerke des Haushaltes. – Hatte er mitunter eine Vorstellung gewagt, so war eine solche Fluth von Thränen und Liebesversicherungen erfolgt, daß er endlich jedem Kampfe gegen Waffen entsagte, denen kein Mann gewachsen ist.

Die kleine Leonie fing an zu lallen; bald stammelte sie den Vaternamen, der, zum ersten Male gehört, mit so süßem Klange berührt, und endlich trugen auch die kleinen Füße sie allein zu ihm hin. Das waren Freuden, die sein Herz rein hinnahm, und die eine Stimmung zurückließen, welche er gleich in ein Gedicht übertrug. – Das kleine Mädchen spielte nun schon allein vor dem Hause und im Garten, und bald gesellte sich hier ihr kleiner Nachbar, der jüngste Sohn des Herrn Präpositus, zu ihr, der, obwohl um ein Jahr älter, doch gerne mit ihr als Spielgefährtin verkehrte; denn auch er war das einzige Kind seiner Mutter und von seinen Stiefgeschwistern um viele Jahre geschieden.

Da die kleine Leonie nun nicht mehr getragen zu werden brauchte, so entließ die Frau Pastorin die Wärterin, die sie nun eine unnütze Ausgabe dünkte, und das Kind war von da an so ziemlich sich selbst überlassen. Ihre Mutter hatte die Gewohnheit des langen Schlafens beibehalten. Um sie nicht zu stören, kroch sie daher früh aus ihrem Bettchen, rief die Hausmagd, daß sie sie ankleide und eilte dann zu ihrem Nachbar. Bald lebte sie fast den ganzen Tag dort. – Die Frau Präpositus Liebig freuete sich, wenn das geliebte Söhnchen mit seiner kleinen Freundin spielte. Der Knabe war ja ihre ganze Freude.

Nicht mehr jung, alleinstehend in der Welt, für ihren Unterhalt auf eine Mädchenschule angewiesen, der sie seit zwanzig Jahren vorstand, war ihr die Wahl des Herrn Präpositus ein Glück, das sie dankbar hinnahm. – Sie hatte nun einen Beruf gefunden, der auch ihrem Herzen etwas bot; sie konnte durch ihre Pflege und Sorgfalt den Lebensabend eines Mannes verschönern, dem sie Dankbarkeit schuldete, sie konnte hoffen, sich dadurch seine Zuneigung zu gewinnen. Mehr begehrte sie nicht, als dies zu erreichen. –

Nach einem mühseligen Leben der Pflicht, die wenig Anerkennung und weniger Lohn gefunden, war es schon ein Glück, einem Andern etwas durch das Herz zu sein, und Auguste Liebig empfand es wohlthätig, nach so langem Entbehren die Sphäre gefunden zu haben, wo das Weib in ihr seine Rechte geltend machen durfte. Ein eigenes Kind an die Brust zu drücken, darauf rechnete sie nicht, und bei der Zahl ihrer Stiefkinder durfte sie auch kaum einen solchen Wunsch hegen. Als nun dennoch ein Knabe geboren ward, legte sie ihn scheu und zögernd dem Gatten in die Arme, mit der Bitte, dem Kleinen nicht entgelten zu lassen, daß er hier unwillkommen sei.

Der Präpositus nahm die Begebenheit auf, wie etwas, durch das man seinen Frieden nicht muß stören lassen, und bald erholte sich seine Gattin auch so weit wieder, um den Haushalt auf gewohntem Fuße fortzuführen. Mehr bedurfte er nicht zu dem Maße seines Glückes. – Er war in seinem Studierzimmer unter seinen Pfeifen, kam nur zu den Mahlzeiten in das Wohnzimmer, und fand seine Unterhaltung außer dem Hause, entweder an einem Vergnügungsorte oder in einem Club. Die Frau Präpositus saß [157] indessen still daheim, freuete sich an ihrem Kinde, und arbeitete unablässig für das Haus und die große Familie. Die im Orte üblichen Kaffee’s der Damen machte sie nie mit, so oft ihre Nachbarin sie auch dazu veranlassen wollte. Sie fand ganz einfach kein Vergnügen daran. Durch ihre Verhältnisse auf ein ernstes Leben hingewiesen, hatte sie nie das Bedürfniß gefühlt, die Zeit durch leeres Geplauder zu tödten; stand ihr eine Stunde zu Gebote, so benutzte sie sie gerne, um ein gutes Buch zu lesen, und dieses Geschmackes halber hatte man sie im Orte lange mit dem Beinamen der „Gelehrten“ bezeichnet. Als Frau, meinte man, würde sie davon zurückkommen; das alternde Mädchen hatte sich dadurch nur hervorthun wollen; aber man irrte. Auguste Liebig lebte jetzt im Gegentheile noch weit eingezogener, denn sie bedurfte der Menschen um so weniger, je mehr ihr Herz ausgefüllt war.

Ihr kleiner Sohn wuchs nun heran und sollte von ihr seinen ersten Unterricht erhalten. Sie trat eines Morgens bei ihrer Nachbarin ein und fragte diese, oh sie nichts dagegen habe, wenn Leonie die Stunden theile?

„Gewiß nicht!“ versetzte die Frau Pastorin erstaunt. „Ich begreife nur nicht, meine Liebe, woher Sie die Zeit nehmen wollen? – Sie haben einen so großen Haushalt zu besorgen, daß eine Frau, meiner Meinung nach hinreichende Beschäftigung darin finden müßte.“

„Freilich wohl!“ versetzte Auguste Liebig sanft; „wer nicht, wie ich, sein ganzes Leben hindurch genöthigt gewesen ist, gleichsam mit der Uhr in der Hand seinen Tag zu verleben, der würde die Zeit nicht ausreichend finden. Durch die Gewohnheit, keine Minute zu verlieren, mache ich es allein möglich, und mein Stundenplan ist schon entworfen.“

„Aber mein Gott, liebe Frau Präpositus, haben Sie denn geheirathet, um sich so fortzuplagen? Ich würde es mir, in Ihrer Stelle, jetzt etwas leichter machen. Das kann man als Frau wenigstens davon haben.“

„Ich halte es für meine Pflicht, so viel zu leisten, als in meinen Kräften steht. Ich war ein armen Mädchen und habe Liebig nichts mitgebracht, als meinen Kopf und meine Hände, die müssen nun auch als Kapital verwerthet werden. – Bei so vielen Kindern und einer kleinen Einnahme ist die sorgsamste Eintheilung nöthig.“

„Auf die Art haben Sie aber nichts von Ihrem Leben. – Ihre Schule machte Ihnen am Ende noch weniger Sorgen, dächte ich, und eine Frau allein hilft sich immer leichter durch.“

„Meine Sorgen werden reichlich aufgewogen durch mein Kind,“ sagte Auguste Liebig mit einer Thräne im Auge, die ihr die tiefe Empfindung des Glückes auspreßte; „und dann ist es mir eine solche Herzensfreude, dem Vater desselben sein Leben recht, recht behaglich zu machen, alle seine Wünsche zu errathen und zu fühlen, daß ich ihm vergelte, was er an mir gethan.“

„Sie sind wirklich seltsam, die Sache so hoch aufzunehmen! Ich habe auch kein Vermögen gehabt; darum fällt es mir aber nie ein, zu denken, daß ich meinem Gatten Dank schuldig bin.“

„Das ist mit Ihnen ein Anderes. Sie waren so viel jünger und konnten auf Neigung Anspruch machen. Die Liebe gleicht dann Alles aus, das begreife ich wohl.“

„Wie romantisch Sie sind, liebe Frau Präpositus! – Wenn man Sie sprechen hört, sollte man meinen, es rede ein Mädchen von achtzehn Jahren.“

Auguste lächelte. „Vielleicht, weil ich meinen Empfindungen Worte leihe, weil ich ausspreche, was mir das Herz bewegt, während Sie Alles in sich verschließen.“

„Behüte! Das sollte mir noch fehlen? Aber mich bewegt nichts. Woher sollte das auch kommen? Mein Mann ißt, trinkt, schläft, und ein Tag gleicht dem andern. Hätte man nicht mitunter eine Partie Whist, so wäre die Zeit ewig.“

„Und mir reicht sie nie aus. So verschieden geht es uns.“

„Ja, weil Sie immer arbeiten wollen, und dazu fühle ich mich nicht berufen. Ich möchte meiner Leonie nicht das Lesen lehren, Sie könnten mir bieten, was Sie wollen.“

„Und ich bin so glücklich, daß mein theures Kind nur Alles durch mich und von mir erhalten soll, daß ich jetzt schon bedaure, kein Latein zu verstehen, und ihn später doch den Händen, eines Lehrers übergeben zu müssen. Dafür aber soll er den Vortheil haben, Talente auszubilden, was andern Knaben so oft abgeht, weil es den Aeltern zu kostbar wird und auch, weil sie die Mühe scheuen, dem Kinde die Lust dazu einzuflößen, denn das erfordert sorgsame Pflege. In Bezug auf dies theure Kind kömmt mir nun die Vorschule meines Lehreramtes zu statten. Nur möchte ich jetzt Alles noch viel besser wissen und verstehen, um es ihm so recht gründlich lehren zu können.“

„Gütiger Himmel! Sie werden ja ein wahres Wunder aus ihm machen! – Und wenn meine Leonie das theilen soll, so können wir uns glücklich schätzen.“

Hier unterbrach sie der Eintritt des Herrn Pastor Sommer, der, nicht auf Besuch rechnend, noch im Schlafrock war.

„Sieh da, liebe Frau Nachbarin! Sieht man Sie auch einmal?“ begrüßte er diese. „Sie sind stets geschäftig, wie eine Biene, und nie sichtbar, so oft ich auch zu Ihrem Gatten komme.“ Er rückte dabei einen Stuhl an den Tisch und nahm neben ihr Platz. „Was macht denn Ihr liebes Söhnchen? Auch den habe ich ja lange nicht gesehen! – Aber wie kalt es hier ist. Leonie! Hat man denn nicht geheizt?“

„Gewiß, mein Herzensmännchen! – Aber Deine Dichternatur braucht mehr äußere Wärme, als wir andern Sterblichen, eben weil Du so viel ausgiebst. Du Guter, mußt Dich hier nicht lange aufhalten.“

Er rieb sich die krankhaft magern Hände und zog den Schlafrock enger um sich zusammen.

„Ist Ihnen warm hier?“ fragte er Auguste Liebig.

„Das kann ich nicht sagen, obwohl ich im Mantel sitze,“ versetzte diese, und richtete dabei ihren Blick auf ihn, mit jener forschenden Theilnahme, die aus dem Herzen kommt. „Sie sehen überhaupt nicht gut aus. Sind Sie denn auch recht vorsichtig in Ihrer Diät, und genießen nahrhafte Speisen?“

„Gott! Er lebt ja fast von der Luft, er ist ja ganz Geist, dieser einzige Mann!“ fiel die Pastorin ein.

„Um so mehr muß er es sich zur Pflicht machen, sich zu nähren,“ versetzte Auguste. „Liebig ist nicht krank, aber dafür in Jahren vorgerückt, wo die Pflege auch zu ergänzen hat. Ich bereite ihm daher jeden Morgen selbst irgend ein Frühstück, eine starke Bouillon, eine Chocoladen oder etwas der Art, das nahrhaft ist und ihm schmeckt, und ich bilde mir ein, er gedeiht dabei.“

„Sie verziehen ihn,“ sagte Sommer mit eigenthümlichem Lächeln.

„Mein Ludwig fühlt sich noch zu jung, um mir es zu gestatten, mit Nahrungsmitteln auf ihn einzustürmen,“ bemerkte die Pastorin mit gezierter Freundlichkeit.

„Ich glaube, Sie würden es nicht zu bereuen haben, wenn Sie Ihrer lieben Frau gestatteten, Sie auch zu verziehen,“ sagte Auguste. „Ich bin ein halber Arzt, erlauben Sie mir einmal Ihren Puls!“ – Sie zählt, aufmerksam. „Ich verpflege so gerne,“ sagte sie dann. „Darf ich Sie einmal in die Kur nehmen?“

„Gott! das könnte ich ja auch, wenn er nur nachgeben wollte.“

„Du bist ja aber den ganzen Morgen nicht sichtbar, und dann gerade entbehre ich einer Fürsorge am Meisten.“ sagte der Pastor…

„Aber die gute, vortreffliche Magd ist ja zu Deiner Bedienung ganz da,“ entgegnete die Frau.

„Wenn alles Uebrige besorgt ist. Mein Zimmer wird nicht geheizt, mein Kaffee ist nicht trinkbar, und ich wandere umher wie ein irrender Geist,“ sagte er mit ironischem Lächeln.

„So sind die Männer, gute Frau Nachbarin,“ fiel die Pastorin ein. „Das Mädchen ist da; aber nicht einmal fordern will er! Und weil ihm jetzt kalt ist, so friert er immer.“

Auguste stand auf. Sie mochte die Veranlassung nicht geben, eine so unerfreuliche Erörterung weiter fortgesponnen zu sehen.

„Man kann sich selten auf Dienstboten verlassen,“ sagte sie. „Wir Frauen haben den Vortheil davon, den Männern dadurch um so unentbehrlicher zu sein, und hierin liegt doch unser größter Stolz und unsere beste Befriedigung. – Ich hoffe, Sie erlauben es mir, Sie auch ein wenig verziehen zu dürfen, lieber Herr Pastor! Wir wohnen ja wie in einem Hause, und meine Mühe wird durch ein bischen mehr oder minder nicht vergrößert.“

Sie schied von beiden Gatten auf das Freundlichste entlassen.

„Welch eine musterhafte Frau,“ sagte der Pastor, als die Thüre sich hinter ihr geschlossen. „Ein wahrer Schatz für den Präpositus!“

„Ich kann sie nicht ausstehen!“ versetzte seine Gattin. „Diese Empfindsamkeit! Immer will sie etwas Anderes vorstellen, als [158] die übrigen Frauen! – Nun mischt sie sich an Ende noch gar in mein Hauswesen; aber das soll ihr schlecht bekommen!“

„Aber Leonie, sie ist ja die Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit selbst! – Sie sagt ja kein Wort gegen Dich!“

„Schöne Bescheidenheit das! Voller Eitelkeit ist sie. Siehst Du nicht, daß sie es auf Dich abgesehen hat? – Sie will Dir Suppen kochen und Dein Kind erziehen; und das soll ich zugeben?“

„So thue es doch selbst!“

„Da haben wir es schon!“ Sie brach in Thränen aus. „Ich arme, unglückliche Frau! Hin ist mein Glück! Ich besitze den begabtesten aller Sterblichen und vermag es nicht länger, ihn zu fesseln. Diese Falsche, diese Coquette, diese kleinliche Principienreiterin will mir das Herz meines angebeteten Ludwig abwendig machen! – Auf meinen Knieen flehe ich Dich an, geliebtester aller Ehemänner, laß mich diese Schmach nicht erleben! Tödte mich, wenn Du willst, aber erhalte mir Deine Liebe!“

„Ich bitte Dich, Leonie, steh’ auf! Es ist ja auch nicht die geringste Veranlassung zu einer solchen Scene. Wenn unser Kind nun käme und seine Mutter in dieser Stellung träfe!“

„Mag sie kommen, Ludwig! Mag sie doch Zeuge sein, was ein liebendes Weib empfindet, wenn die Funken der Eifersucht in ihrem Busen erglühen. – Mag sie kommen! Sie soll neben mich knien und die gefalteten Hände zu Dir erheben; ihren Bitten wirst Du nicht widerstehen.“

„Was soll ich denn aber thun, Leonie? Was willst Du denn eigentlich?“ fragte der Pastor mit der Miene eines Verzweifelnden, während die rothen Flecken auf seinen Wangen noch röther wurden und sein Auge einen fieberhaften Glanz bekam.

„Was ich will? Großer Gott! Das fragst Du noch? – Das Gelübde Deiner ewigen, unverbrüchlichen Liebe will ich; denn ohne diese bin ich nichts und das ganze Leben ist eine Wüste für mich. Sage, daß Du ganz mein bist; gelobe es mir und ich ziehe getrost von dannen.“

„Hier meine Hand darauf, Leonie, daß Du auch nicht die geringste Ursache hast, an einen Wankelmuth meines Herzens zu glauben. – Rege Dich doch aber nicht mit solchen nutzlosen Scenen auf, ich bitte Dich darum!“

Sie stand auf und bedeckte seine dünne weiße Hand mit Küssen. „Wer liebt, wie ich liebe, der kann nicht auf dem Pfade gemeiner Alltäglichkeit mit seinen Empfindungen wandeln!“ sagte sie. „Du hast mir Deine Hand darauf gegeben, so glaube ich Dir; denn Du bist ein Ehrenmann. Ich gehe jetzt, mich anzukleiden, für Dich! Denn wem möchte ich sonst gefallen, als ihm, welchem die ersten Gefühle meines Herzens gewidmet waren?“ – Sie stürmte hinaus, und der Pastor kehrte langsam in sein Zimmer zurück. Als das Mittagsessen aufgetragen war, begegneten sich beide Gatten auf’s Neue. Die Suppe war versalzen, das Fleisch ausgekocht und geschmacklos; aber der Pastor verlor keine Silbe darüber, ja er beherrschte sogar seine Miene, um nur die Veranlassung zu einer neuen Scene zu vermeiden.




Die deutsche Industrieausstellung in München.

Welch’ drohende Wetterwolken auch am politischen Horizonte Europa’s schweben, wie immer auch ein gewaltiger Zusammenstoß zwischen Ost und West unvermeidlich geworden zu sein scheint, kurz, ob Alles auf den Ausbruch eines Weltbrandes deute, noch ist im Augenblicke die Gefahr nicht so groß, um die Begehung des friedlichen Festes, das die deutsche Industrie nächstens in München feiern will, zu stören. Daß der gegenwärtige Zeitpunkt deshalb für eine Schaustellung deutscher Industrie ein glücklicher sei, wollen wir nicht sagen, denn die allgemeine öffentliche Stimmung ist eine trübe und bekümmerte, die industriellen Unternehmungen liegen zum Theil darnieder oder stocken, und zur Hälfte gebrochen ist die Zuversicht der Industrie, die eine so erschütternde Gefährdung ihrer Interessen durch die europäischen Regierungen um einer politischen Frage willen, nicht für möglich hielt. Man hatte sich lange in dem Gedanken gewiegt, daß die ungeheuern in industriellen Unternehmungen angelegten Summen eine unumstößbare Bürgschaft für den Weltfrieden sein müßten, daß ein Weltkrieg zu den Unmöglichkeiten gehöre, und nun, wenn er auch noch nicht da ist, so pocht er doch drohend an die Pforten, und alle Berechnungen haben sich als trügerisch erwiesen.

Die politischen Verwickelungen, unter denen ebenfalls auch die Londoner Weltindustrieausstellung vorbereitet wurde, waren bei Weitem weniger gefährlicher Art als die gegenwärtigen, doch schien damals Deutschland der Schauplatz eines Bürgerkriegs werden zu wollen, während die jetzige Haltung der deutschen Regierungen vor Allem darauf berechnet ist, von dem gemeinsamen Vaterlande wenigstens die unmittelbaren Drangsale des Krieges fern zu halten. Gönnen wir daher immerhin unsern Nachbarn in Osten und Westen des Kriegsruhms leicht verwelkliche Lorbeeren, und beklagen wir uns nicht ob den Kontrasten, daß, wenn vielleicht unweit unserer Grenzen des Krieges Stürme rasen, wir an die Isar friedlichen Göttern opfern gehen.

Der Zauber, den der für die große Londoner Ausstellung erbaute Glaspalast ausübte, ist ein so nachhaltiger gewesen, daß man für alle ähnlichen Fälle von dieser Art Construction nicht mehr zurückzukommen scheint. Der Engländer Paxton ist damit der Gründer eines neuen Baustyls geworden, der auch für das Ausstellungsgebäude in München festgehalten worden ist, und wie der Londoner Glaspalast in Hydepark erhebt sich der Münchener in leichten und eleganten Formen an der Stelle des ehemaligen botanischen Gartens. Die grünenden Pflanzen und duftigen Blumen mußten den Erzeugnissen menschlichen Gewerbfleißes Platz machen!

Die Erdarbeiten wurden mit dem 18. Oktober v. J. begonnen, am 27. Februar d. J. aber richtete man zu dem Gebäude, von welchem wir heute unsern Lesern eine Abbildung geben, die erste Säule auf, und in nicht viel mehr als drei Monaten wird es beendet sein, da die Eröffnung der Ausstellung für Mitte Juni anberaumt ist. Der schnelle Aufbau so mächtiger Räumlichkeiten und die Möglichkeit, diese sofort den Erzeugnissen der Industrie zu öffnen, konnte einzig und allein durch das dazu verwendete Material, Eisen, Glas und Holz, erzielt werden. Die Zuarbeitung aller Theile (die Eisenarbeiten gingen aus der rühmlich bekannten Gießerei des Herrn Kramer-Klött in Nürnberg hervor) konnte im Voraus stattfinden, und so lag der ganze Glaspalast eigentlich schon aufgeschichtet da und braucht nur noch Stück an Stück zusammengefügt zu werden. Da nur trocknes Material dabei zur Verwendung kommt, so sind die auszustellenden Gegenstände keinen, aus der sonstigen Feuchtigkeit neuer Gebäude entspringenden Nachtheilen ausgesetzt.

Der gesammte Bauplan rührt von dem Oberbaurath Voit in München her, der, nachdem sein Entwurf die Genehmigung erhalten, auch mit der Oberleitung des Baues betraut wurde. Das Ausstellungsgebäude bildet demnach ein Rechteck von 800 Fuß Länge und 160 Fuß Breite, in der Mitte rechtwinklich durchschnitten von einem 285 Fuß langen und 160 Fuß breiten Transsept[1]. Das Langschiff und Transsept sind in drei Schiffe getheilt, von denen das Mittelschiff 80 Fuß breit, und jedes der Seitenschiffe 40 Fuß breit ist. Die Seitenschiffe sind wieder jedes durch eine Säulenreihe getheilt, auf welcher die Umfassungswand des über die Seitenschiffe beträchtlich emporragenden Mittelschiffs ruht; das Transsept seinerseits steigt wiederum höher hinan als das Mittelschiff. Hierdurch entsteht eine dreifache Abstufung, die verbunden mit dem durch das Transsept und die östlichen und westlichen Anbauten bewirkten Hervortreten einzelner Theile, dem ganzen Gebäude ein belebtes äußeres Ansehen giebt, zu dessen Verschönerung die feinen eisernen Verbindungsglieder, die glänzenden Glasmassen, die obenhinziehenden durchbrochenen Gallerien und endlich die aufgesteckten Fahnen nicht wenig beitragen. Der Münchener Glaspallast ist jedenfalls ein Gebäude von gefälligern Formen geworden, als es der Londoner war, allein der Typus ist der gleiche geblieben, und der weniger baukundige Beschauer wird [159] immer ein und denselben Krystallpalast zu erblicken glauben. Der Gesammtflächenraum des Gebäudes mißt 134,400 Quadratfuß, wozu noch 34,800 Quadratfuß Gallerien und 80,000 Quadratfuß Tischraum kommen. Die Baukosten werden etwa die Summe von 11/2 Mill. Gulden erreichen. Besser als alle diese Zahlen und Größenverhältnisse wird unsere Abbildung den Lesern das Ausstellungsgebäude veranschaulichen.

Das Industrie-Ausstellungs-Gebäude in München.

Die Betheiligung der deutschen Industriellen, die österreichischen inbegriffen, ist außerordentlich, und die bisher zur Aufstellung angemeldeten Gegenstände nehmen schon einen größern Raum in Anspruch, als vorhanden ist. In allen deutschen Staaten sind von den Regierungen aus Comitéen ernannt worden zur Regelung der Zusendungen; an der Spitze der Ausstellungscommission in München steht Staatsrath v. Fischer. Entgegen dem in der Londoner Ausstellung befolgten Grundsatze werden die ausgestellten Gegenstände nicht nach Ländern, sondern nach Gattungen unterschieden werden. Es giebt dies zwar einen weniger umfassenden Ueberblick über die Gesammtindustrie eines jeden einzelnen Landes, gewährt aber dafür den Vortheil, die gleichen Industriezweige der verschiedenen Staaten besser vergleichen zu lassen. Die Eintheilung selbst findet in zwölf Gruppen statt, als 1) Mineralien und Brennstoffe, 2) landwirthschaftliche Erzeugnisse, 3) Chemikalien und Farben, 4) Nahrungsmittel und häusliche Consumtionsgegenstände, worunter auch Seifen und Beleuchtungsgegenstände zählen, 5) Maschinen, 6) Instrumente, 7) Gespinnste und Gewebe, 8) Metallwaaren und Waffen, 8) Glas und irdene Waaren, 10) Holzwaaren und Kurzwaaren, 11) Papier, Schreib-und Druckwaaren, 12) alle Leistungen der bildenden Künste, sofern sie Gegenstände der Ausstellung werden können.

Noch niemals wurde der deutschen Industrie die Gelegenheit in so großartigem Maßstabe geboten, den von ihr errungenen Standpunkt vor den Augen des Publikums darzuthun, und wohl jedes deutsche Ländchen nennt hierbei irgend einen Industriezweig sein eigen, in welchem es keinen Vergleich zu scheuen braucht. Das vielseitig Gute, was durch diese große Schaustellungen der Industrie erzielt wird, ist schon oftmals hervorgehoben worden; ihr Werth besteht nicht darin, daß sie die Neugier der gewöhnlichen Besucher befriedigen, sondern daß sie den Wetteifer der Industriellen unter einander wecken, die höhern Fortschritte der Industrie verallgemeinern, den Consumenten für Entdeckung besserer Bezugsquellen die Mittel an die Hand geben, und neue Ideen anregen und wecken. Wir Deutsche können Anlässe, wie der vorliegende, außerdem als ein kleines äußeres Band der Nationaleinheit betrachten, so lange uns noch die stärkern Bande fehlen, und so begrüßen wir auch um deßwillen freudig die deutsche Industrieausstellung in München. Würde sich denn noch bis zum Juni der politische Horizont wieder aufklären, so blieb uns für das völlige Gelingen des Unternehmens an der Isar kein Wunsch zu thun übrig.

[160]
Eine Jagd auf entlaufene Neger.
(Fortsetzung.)

„Jene Sclaven bildeten ein Hauptlager im Mittelpunkte der Insel, an einer Stelle, die man noch jetzt Heinrichslager nennt. Das war ihre Festung; aber da es an diesem engen, trichterförmig ausgehöhlten Raume nicht für Alle genug zu essen gab, so bemächtigten sie sich, je nach der Jahreszeit, anderer Punkte der Ebene. Das wenigstunzugängliche unter diesen Lagern in zweiter Linie, wo sie sich nur vorübergehend und nie ohne Mißtrauen niederließen, weil man sie dort leicht erwischen konnte, grenzte an den großen Teich am Eingang in die Palmenebene. Von da stürzten sie sich durch den Fluß Sache auf die Pflanzungen von St. Benoit und St. Rose und stiegen wieder die Kaffeeebene hinan, um in die Thäler von St. Pierre herabzukommen. Die auf diesen Höhen in Ueberfluß wachsenden Palmen schafften ihnen leicht Nahrung; sie pflanzten dort auch Bananen und einige Wurzeln an, die Sonne reifte die Früchte dieser wilden Gärten ganz wie die unserer Obstgärten.

„Eines Tages entschloß man sich dieses Lager von zwei Seiten anzugreifen, zu einer Zeit nämlich, wo man vermuthete, daß sich die Flüchtlinge dort niedergelassen hatten; man war es müde immer über dem Kopfe unsichtbare Feinde zu haben. Man schickte einen Spion auf’s Gebirge, um sie aufzusuchen; man ergriff zweckdienliche Maßregeln und bemühete sich, auf zwei verschiedenen Wegen in die Palmenebene zu kommen. Die Leute von St. Benoit marschirten dem Flusse Sache entlang, und wir folgten dem Walle des weißen Holzes; an einem bestimmten Tage sollte man sich auf dem Plateau vereinigen. Bei derartigen Zügen fehlt es nicht an Strapatzen und Gefahren, aber man beunruhigte sich deshalb nicht: die Berge verlocken wie das Meer; man will sehen, was droben vorgeht, wie man wissen will, was da unten hinter dem Horizont geschieht. Zudem waren unsere Väter Abenteurer, wie ich Ihnen sagte, und wir haben von ihnen das peinigende Bedürfniß eines thätigen Lebens; sie durchforschten die Insel und drangen zuerst in diese Wälder, wo der Vogel sang, obwohl ihm Niemand zuhörte; unser Vergnügen war es, nur auf die Berge zu klimmen, in die Schluchten zu gleiten und überall zu suchen, ob es keinen Fleck mehr zu entdecken giebt. Wir wurden auch dadurch ermuthigt, daß unsere Schaar gewöhnlich von alten Creolen angeführt wurde, von alten Sklavenhändlern von Madagaskar, die hieher gekommen waren, um von ihren viel abenteuerlicheren Reisen auszuruhen und in unserem gastlicheren Klima von den aus Tintingua bekommenen Fiebern zu genesen; sehr oft brachten sie aus dem Malgachenlande keine großen Reichthümer mit, aber eine Masse wunderbarer seltsamer Geschichten, die wir uns von ihnen an den Haltstellen erzählen ließen.

„Auf diesen Zügen gingen wir immer barfuß: nur Sonntags zogen wir, wenn wir in’s Dorf gehen wollten, Schuhe an, um nicht mit den Mulatten, die nicht frei sind, verwechselt zu werden: aber im Felde war diese Auszeichnung überflüssig. Die Kürbisflasche an der Seite und die Flinte über der Schulter, durchdrangen wir lustig die Gehölze; jeder trug, außer einer Pfeife am Hutbande, ein Feuerzeug und Mundvorrath. Einige hatten auch an ihrem Gürtel eine kleine Hacke hängen, um die dicken Schlinggewächse zu durchhauen und Bäume zu fällen, die man als Brücken über die Abgründe legte. So bewaffnet glichen wir ein wenig einer Schaar Flibustier aus der alten Zeit; die Seesoldaten würden über uns gespottet haben, sie, die über unsere Milizen lachten, weil sie nicht regelmäßig marschiren. Wozu auch? Wir sind nicht Regimentern zugetheilt, um in der Fremde Krieg zu führen, aber wohl in Compagnien organisirt, um uns gegen die Gebirgsräuber und äußeren Feinde zu vertheidigen. Wenn man während der französischen Revolution an der Küste feuern mußte, so blieben keine Garnisonstruppen übrig, wir bekamen keine Hülfe und dennoch kämpften wir; wir schickten sogar unseren Verbündeten in Indien Verstärkungen zu. Die, welche man später anklagte, daß sie im englischen Solde stünden, glauben Sie mir es, meine Herren, das sind nicht die kleinen unbeschuhten Weißen.

„Ich machte diesen Zug in die Palmenebene als Freiwilliger mit, ich war kaum siebzehn Jahre alt, aber ich dachte, es sei nicht schwerer die Flüchtlinge zu jagen, als die Tülgel (Wasservögel) in den Felsen aus den Nestern zu nehmen. Und welches Kind aus unsern Kantonen hätte nicht hundertmal sein Leben gewagt, um diese Seevögel aus ihren Nestern zu nehmen? Wir kamen zuerst durch den Wald, der sich über den Vieux-Brulé hinzieht. Der Vulkan, der nun fast an der Südspitze raucht, scheint durch die ganze Länge der Insel gewandert zu sein, um dahin zu gelangen, wo er sich jetzt befindet; aber am Ende hat sich die Vegetation wieder darüber verbreitet. Auch findet man in Vieux-Brulé überall Holz auf dessen Haupt und Lava zu dessen Füßen, man geht immer auf etwas Glasartigem und die Bäume, die aus diesen seit Jahren erkalteten Feuerwogen hervorwuchsen, kreuzten zuletzt ihre Zweige, um ein fast undurchdringliches Unterholz zu bilden. Wenn die Sonne senkrecht auf diese schirmartig ausgespannten Zweige fällt, befindet man sich unter ihnen zwar im Schatten, aber man erleidet eine drückende Hitze. Die Füße brennen auf dem nackten Boden und das Gras, das hier und da sprießt, verwandelt sich in Staub oder vielmehr in Asche. Der Seewind eilt an diesen Abhängen vorüber, kaum fühlte man ihn, kaum regten sich die Blätter, so ist der Hauch wieder verschwunden; man hört ihn, wie er über den Wald fliegt, gleich als spottete er des keuchenden Reisenden.“

Die Erinnerung an diese heißen Tage erweckte im Creolen einen Durst, der bei ihm ziemlich etwas Gewöhnliches war. Er stillte ihn nun mit seiner Kürbisflasche, die schon geleert gewesen wäre, wenn wir nicht dafür gesorgt hätten, sie mit altem französischen Weine wieder zu füllen.

„Nach einem ziemlich beschwerlichen Tagesmarsche,“ fuhr er fort, „hielten wir in einer dieser Schluchten an, unter großen halb entwurzelten Takamas, die in der Erwartung einer Wasserhose, die sie hinabstürzen sollte, über den Abgrund hereinhängen. Hie und da schwangen sich über schattenliebenden Himbeerstauden die Baumfarrenkräuter in die Höhe, deren lange zackige Blätter, vom Stamme getrennt und im Kreise zerstreut, einer feurigen Sonne gleichen, die man an Festtagen in den Dörfern abbrennt. Ueber unsern Häuptern sahen wir durch eine Oeffnung, wo sich ein breiter Himmelsstreif zeigte, so blau wie die See in den Buchten, Palmenstengel vom Winde, wie Federbüsche am Eingange der Ebene bewegt. Wir brauchten nur noch einige Stunden zu steigen, um das Plateau zu erreichen, wo die Schwarzen lagerten; aber war das Wild, das wir suchten, noch dort?

„Das mußten wir wissen: ein junger Mensch aus der Schaar nahm es auf sich auf Recognoscirung auszugehen, und er sollte uns ein Signal damit geben, daß er einen Kieselstein in die Schlucht warf. – Wenn Quinola bei ihnen ist, sagten Einige von uns, so werden wir nur das Nest finden, die Vögel werden ausgeflogen sein. – Bah! erwiederte ein Anderer, wenn Quinola noch lebte, würde er sich unter den Banden zeigen! – Die Schwarzen, die man in den letzten Jahren aufgegriffen hatte, versicherten, daß er im Gebirge wohne, aber, da er das Zauberhandwerk verstände, so könnte er sich unsichtbar machen; sie nannten ihn den großen Ombia, den Oberpriester. Gewiß war es, daß man in den Städten schon lange die verspottete, welche Quinola lebend glaubten, in den Dörfern nahm man es ernster und bei seinem Namen zitterten die Kinder. Was mich betrifft, so dachte ich wohl, daß er im Gebirge leben könne ohne sich zu zeigen und daß er zu schlau sei, um anderen Flüchtlingen seine Zufluchtsstätte wissen zu lassen; trotzdem konnte ich den Schrecken nicht ganz überwinden, den der Gedanke an diesen Menschen, nämlich an diesen Schwarzen, seit meiner Kindheit einflößte; ich hatte mehr Grund als die Andern nicht beruhigt zu sein. Als ich einmal ziemlich weit vom Hause wegging Jamrosen zu pflücken, sah ich einen alten Malgache-Neger hinter mir, mit ganz weißen Haaren. Sie begreifen, meine Herren, daß ich mich bei seinem Anblick fürchtete und davon laufen wollte; aber er hielt mich auf, indem er mir in den Weg trat und sagte: „Moritz, Sie haben einen guten Schwarzen zu Hause, einen tüchtigen Arbeiter; wenn er sein Handwerk gut verstehen wird, werde ich ihm irgendwo einen schönen Baum zeigen, den er gerne fällen wird.“ Und darauf verschwand er im Gehölze. Heimgekommen wagte ich es niemals mit meinem Vater von dieser Erscheinung zu sprechen, die mich [161] quälte, er hätte mich ausgelacht; und da er mir gezürnt, wenn ich es Andern gesagt hätte, so behielt ich mein Geheimniß für mich.“


III

„Ich gedachte demnach jener Begegung,“ fuhr Moritz fort, und nahm mir vor, wohl Acht zu geben, wenn ich den alten weißhaarigen Schwarzen, den ich nicht kannte und der mich so vertraut bei meinem Namen genannt, entdecken solle. Während wir uns nun alle unter dem Felsen befanden, bekam ich Lust zu erzählen was ich erlebt hatte: aber die Furcht, nicht angehört zu werden, hielt mich alsbald zurück. Die Alten, die des Lügens gewohnt sind, bilden sich immer ein, daß die Jungen ihnen etwas aufbinden wollen und dann mag man auch nicht als Hasenfuß gelten, blos deshalb, weil man so unglücklich war, etwas mehr gesehen zu haben als Andere. Diese Gedanken durchkreuzten meinen Kopf und noch viele andere, denn man denkt nie so viel, als wenn man ein wenig müde ist. Nehmen Sie an, meine Herren, Sie legen sich in einem Walde; die Vögel und Insekten fangen an auf’s Schönste zu singen und zu summsen; setzen Sie Ihren Marsch fort, sie schweigen und verschwinden. So machen es die Gedanken, die das Gehirn belagern, wenn die Beine still stehen; sobald man sich wieder in Bewegung setzt, fliegt Alles davon!

„Nachdem wir öfters Halt gemacht hatten, hörten wir einen Kiesel an den Steinen der Schlucht niederfallen und nachdem er lange in dem zu unsern Füßen rollenden Gießbache in die Höhe geschnellt worden und endlich gefallen war, blieben wir stehen. Jeder bereitete sich vor, seinerseits den Abhang zu erklettern; zu dem Zwecke mußte man an den Lianen hinanklimmen, das Knie auf eine Felsspitze stützen, sich mit den Ellbogen an alte wurmstichige Wurzeln, die oft reißen, festhalten, und man fühlt, daß man rutscht. In solchen Momenten hascht man nach Allem, nach Dornen, Brombeerstauden, die die Hände blutig zerreißen, man reißt sich die Haut an den Füßen auf, man reibt sich die Haut im Gesicht wund im nassen Boden, man läßt eine ganze Flut von kleinen Steinen hinter sich rollen, die sich vom Boden ablösen und lärmend in den Abgrund fallen; endlich hält man sich an einem festeren Baumstamm im Falle fest, man schöpft wieder Athem und hat die Beruhigung, daß man um ein zwanzig Klaftern rückwärts gekommen ist.“

„Auf diese Weise,“ bemerkte der Doktor, befindet man sich nach einigen Stunden wieder gerade im Grunde des Flußbettes.“

„Und wenn man hinabsteigen will,“ bemerkte der Creole, „ist man wieder in derselben Verlegenheit; aber nach vielem Suchen entdeckt man einen weniger ungangbaren Weg; man klimmt hinan, man kommt langsam vorwärts, indem man den Athem anhält, ohne hinter sich zu sehen, die Augen auf den Gipfel des Berges geheftet, der immer zurückzuweichen scheint, denn die Berge sind im Allgemeinen zehnmal höher als sie scheinen. Es giebt im Leben viele Dinge, die entfliehen und sich entfernen, wenn man sie in der Hand zu haben glaubt. Auch geht man im Alter langsamer, weil man weiß wie lange man zu gehen hat; aber ich war damals jung und brannte vor Ungeduld die Höhe zu erreichen. Gelangweilt von dem Kampfe gegen einen so unüberschreitbaren Abhang, wandte ich mich ein wenig rechts über kleine Pfade, die ohne Zweifel von Ziegen herrührten. Ich fing an zu laufen und zu springen, ich kannte mich nicht mehr vor Freude. Plötzlich trat ich aus dieser Schattenmasse, die die benachbarten Gipfel über die Schlucht hinwarfen, und die Sonne blendete mich; das Herz schlug mir gewaltsam, weil ich zu schnell gegangen war, und auch weil ich am Rande des Palmenplateaus, das heißt, vor dem Lager der flüchtigen Neger war.

„Um diese Stunde dachte ich, sollen die Räuber schlafen und meine Gefährten werden noch zur rechten Zeit ankommen ehe sie sich wieder weiter begeben. Wir sind sicher sie zu ergreifen. Und ich rutschte vorsichtig durch das schwarze Holz; es gab hier und da abgebrochene Aeste; das Gras in meiner Nähe war zusammengetreten und Alles deutete darauf hin, daß ich mich dem Lager näherte und bald sollte ich den Beweis davon haben. Als ich meinen Kopf unter die Büsche steckte und mit der Hand die Wurzeln wegschob, die gerade deshalb so in einandergeschlungen zu sein scheinen, um den Vorübergehenden fallen zu machen, stieß ich mit dem Knie an ein spitzes Holz und ich empfand einen so heftigen Schmerz, daß ich schnell stehen blieb. Diese kleinen wohlgespitzten Hölzer, die im Feuer gehärtet und an die Wege gesteckt werden, die zu ihren Lagern führen, sind eine schreckliche Vertheidigungswaffe, worauf die Neger viel halten; wenn diese verdammte Erfindung die Patrouillen nicht zum Stillstehen zwingt, so zwingt sie dieselben wenigstens vorsichtig vorwärts zu gehen und schützt die Flüchtlinge also vor einem plötzlichen Ueberfalle. Ein Mann, ein Weißer, der eine Flinte auf der Schulter trägt durch einige Linien von einem Holzstücke, das sich in seine Fersen eingräbt, kampfesunfähig gemacht! … manchmal sogar für sein ganzes Leben gebrechlich, den Fuß nachzuschleppen in Gegenwart seiner Sclaven, die in’s Fäustchen lachen, und eine Geberde machen, als wenn sie sagen wollten: „Wenn ich einmal durchgehe, so wirst Du mich nicht fangen!“ – Das ist sehr erniedrigend! Meine Wunde blutete sehr; ich verband sie mit meinem Taschentuchn, nachdem ich das ganze Knie mit Branntwein eingerieben hatte und ging nicht weiter vorwärts; ich hätte sogar etwas darum gegeben, wenn ich einen Schritt weniger gegangen wäre. Dann weiß ich nicht, ob mir die Ohren in Folge des Schmerzes klangen, aber ich glaubte neben mir lachen zu hören. Ich horchte aufmerksam; eine Stimme, die mir nicht ganz unbekannt schien, redete, indem sie sich entfernte.…… Ich spanne den Hahn, ich wische den Stein ab und bessere ihn auf, indem ich mit meimem Messer darauf schlage, und wage mich dann an den Saum des Gehölzes. Was ich auf der Hochebene sah, meine Herren, hatte ich im Traume zu sehen geglaubt, wenn mich die von allen Seiten durchschimmernde Sonne nicht gezwungen hätte einzusehen, daß meine Augen wohl offen waren. Denken Sie sich gegen dreißig Schwarze, die am Fuße der Palmen herum gruppirt sind, die Einen ganz nackt, die Andern mit einer Decke bekleidet, die über der Schulter zusammengeknüpft war. wie die Hottentotten am Kap; diese einen Hut ohne Rand auf dem Kopfe und oben mit einer Weste ohne Aermel bekleidet, jene in eine einbeinige Hose eingeschlossen. Meistentheils hielten sie Stöcke in den Händen, die entweder die Form einer Keule hatten, oder mit eisernen Spitzen versehen waren; einige hatten spitzige Messer im Gürtel. Diejenigen, die mit Fetzen von den in den Wohnungen gestohlenen Gewändern bedeckt waren, sahen erbärmlich aus; die aber, deren Haut in der Sonne glänzte, frei im Naturzustande, stellten doch wenigstens wilde Menschen vor: der Schwarze ist in seine Farbe gekleidet. Es gab deren von verschiedenen Racen da; aber der alte Malgache, den ich suchte, befand sich nicht unter dieser Bande.

„Es schien mir, daß die Flüchtlinge eben ihr Mahl beendigten; man sah kleine Aschenhaufen, auf welchen sie ihre Bananen und süßen Kartoffeln gekocht und einige entblätterte Palmenstengel. Ich war hungrig und hätte gerne die halbreife Pfirsiche verzehrt, die ich in meinem Rocke hatte, aber ich stand dem Feinde gegenüber. Alle diese von Mühseligkeiten abgemagerten Sclaven, die sich durch tausend Gefahren eine oft nicht ausreichende Nahrung verschaffen mußten, die wie wilde Thiere, die die Flinte des Jägers fürchten, im Walde herumirren, die sich in Höhlen verbergen und auf die Stunde der Plünderung warten, alle diese von der Insel entronnenen Sclaven, wohin sie von zehn verschiedenen Orten der afrikanischen Küste geworfen worden waren, hatten demnach nur Einen Gedanken, und dieser eine Gedanke gab ihnen den Muth, ihr elendes Leben fortzusetzen; sie hatten sich von der Arbeit befreit und waren glücklich. Mit dem Unterschiede, daß sie nichts Liebliches an sich hatten und daß ihr Käfig offen war, erinnerten sie mich, als ich diese schlechten Schwarzen in der von Felsen umschlossenen Ebene sah, an die großen Vogelhäuser, in welchen die Pflanzer der Dörfer die Vögel aller Länder sammeln. Es gelüstete mich nun, sie durch einen Schuß mitten unter die Bande in ihrer Nichtsthuerei aufzustören, aber ein scharfer Pfiff weckte sie wie durch einen Zauber. In einer Sekunde standen sie auf ihren Füßen, ergriffen ihre Stöcke und wechselten einige Zeichen mit dem, der Lärm gemacht hatte. Es war ein kleiner untersetzter Malaye, ein guter Läufer: ich legte auf ihn in dem Augenblicke an, wo er auf die Hochebene heraustrat, aber er machte eine Geberde, als ob er mir Trotz bieten wollte; die Kugel pfiff an seinen Ohren vorüber, ohne ihn zu treffen. Ehe ich wieder geladen hatte, waren die Flüchtlinge in voller Verwirrung wie eine Ziegenheerde auseinander gefahren; sie liefen, setzten über [162] die Büsche und wanden sich durch Gehölze, um den Palmenberg zu erreichen. Die Creolen von St. Benedict, die von der Seite den Teichen her gerade in diesen Augenblicke ankamen, umzingelten sie wacker; meine Gefährten kamen rasch vom anderen Ende der Hochebene heran und einige Nachzügler von den Flüchtigen wurden zu Gefangenen gemacht. Man vertraute sie einer Abtheilung an, die sie in den Kerker bringen sollte, und kam überein, den Rest der Bande in seine letzten Verschanzungen zu verfolgen; ich war zu sehr im Feuer, um an meine Wunde zu denken und beschloß den Feldzug bis zum Ende mitzumachen.

„Man hatte einige Mühe die Gefangenen zu entwaffnen, denn sie wehrten sich wie die großen afrikanischen Affen mit Steinen und Stöcken. In solchen Fällen geräth man in Zorn und ist nicht immer seiner Herr. „Wo ist Quinola?“ fragte ein Creole einen alten Schwarzen, der einen Kolbenschlag auf die Stirne erhalten hatte. „Ich weiß es nicht,“ antwortete dieser. „Wann sahst Du ihn?“ „so eben erst.“ Und als wir uns überrascht ansahen, fügte er hinzu: „Quinola ist nicht todt; er will nicht auf der Insel sterben.“


IV.

„Quinola war ein Malgache,“ fuhr Moritz fort, indem er die Asche aus seiner Pfeift schüttelte, „und die Leute von Madagaskar sterben nicht gern fern von ihrem Lande; sterben ist für sie eine wichtige Angelegenheit, die man nicht außerhalb seiner Wohnung zur Zufriedenheit erledigen kann. Sobald ein Kranker die Augen schließt, so umgeben seine Verwandten das Haus und schießen vom Abend bis zum Morgen, um die bösen Geister zu entfernen, die seine Leiche entführen wollen. Am andern Tage kleidet man den Leichnam in seine schönsten Kleider und legt ihn in einen Sarg, ganz wie einen Christen und begräbt ihn dann außer dem Dorfe. Wenn er reich ist, bringt man ihn mit großem Pomp zu seinen Ahnen, die ihn in einem besondern Grabe erwarten, in Särgen von kostbarem Holze. Wenn er keiner hervorragenden Familie angehört, errichtet man eine Hütte an dem Orte seiner Bestattung und hängt vor dieser Hütte an eine Stange die Hörner der Rinder auf, die während seiner Krankheit für seine Genesung und bei Gelegenheit seines Todes geopfert wurden. Sie behaupten, daß der Verstorbene die Gestalt eines bösen Geistes annehme, denen, die ihn kannten, erscheine und zu ihnen im Traume spreche. Wir haben Sclaven aus Madagaskar, die mit den Wesen der andern Welt ihre Beziehungen fortsetzen, und wenn sich diese Erscheinungen oft wiederholen, so sind diese daran Schuld, wenn sie sich dem Kumner hingeben, wenn sie das Heimweh ergreift und sie in der Hoffnung sterben, zu denen zurückzukehren, die sie rufen. Endlich glauben sie, daß ein Todter manchmal wieder in der Gestalt eines Thieres oder einer Pflanze zu leben anfange; gewiß ist es, daß man auf dem Grabe eines durch seine Grausamkeit berühmten Häuptlings Schlangen sah, und alle Sklavenhändler können Ihnen sagen, daß in der Bucht von Antongil, nahe dem Hafen Choiseul im Lande der Antararten, an der Stelle, wo ein Anderer durch seine Tugend und Wohlthätigkeit berühmter Häuptling begraben wurde, ein prachtvoller Benzoebaum hervorspießte. Sie wissen es wohl, meine Herren, daß der Benzoebaum kleine gute Früchte in Ueberfluß giebt und daß er seine Zweige wie die Arme eines segnenden Priesters ausbreitet. Es giebt viele noch außerordentlichere Dinge auf dieser großen Insel, wo man mehr als zwanzig verschiedene Völker findet, die einen roh und wild, die andern verständig und empfänglich für Bildung, diese gekräuselt wie Kaffern, jene mit langen Haaren geschmückt, wie die Hindu von Pondichery. Wie Schade, daß es so schwer ist, sich an ihr Klima zu gewöhnen!

(Fortsetzung folgt.)




Die Stufenjahre des menschlichen Lebens.

Allen organischen oder lebenden Körpern, zu denen man die Pflanzen, Thiere und Menschen rechnet, ist von Natur eine gewisse Dauer ihres Daseins, eine Lebensdauer gegeben. Während dieser Zeit unterliegt die Materie dieser Organismen fortwährend dem sogenannten Stoffwechsel (s. Gartenlaube Jahrg. I. Nr. 39. S. 423) und gleichzeitig durchläuft jeder Organismus[2] eine festgesetzte Reihe von bestimmten Veränderungen, die man Entwickelungsstufen, Lebensabschnitte, Lebensalter, Lebensepochen, Lebensphasen oder Bildungsperioden benannt hat. An jedem Organismus läßt sich nämlich deutlich wahrnehmen, wie er entsteht, wächst, zu einer bestimmten Stufe der Vollkommenheit (Reife) gelangt, auf dieser einige Zeit verweilt, sodann allmälig wieder an Vollkommenheit abnimmt und endlich zu Grunde geht (stirbt), nachdem er in der Zeit der Reife seinem eigenen Organismus ähnliche Organismen erzeugt (sich fortgepflanzt) hat. Denn eine Urzeugung (generatio aequevoca), d. h. eine Erschaffung von Organismen ohne durch mütterliche Organismen, blos durch Verbindung chemischer Substanzen mit einander, wie bei der Bildung unorganischer (lebloser) Körper, existirt nicht. Ohne Saamen entsteht keine Pflanze, ohne Ei kein Thier.

Im menschlichen Leben, welches gegen 70 bis 80 Jahre währt, zeigen sich nun zuvörderst drei Hauptabschnitte, nämlich der der Entwickelung, der Reife und der Abnahme. Ein jeder dieser Abschnitte läßt aber wieder mehrere Zeiträume mit besondern Erscheinungen erkennen. Jedoch lassen sich diese Lebensepochen nicht nach bestimmten Jahren eintheilen, da die einzelnen Epochen, wie auch schon aus der allmäligen Ausbildung des Körpers hervorgeht, nicht schroff von einander gesondert sind, sondern nur ganz allmälige Uebergänge aus einer Epoche in die andere bilden; da ferner der Gang der körperlichen und geistigen Entwickelung sich bei dem Menschen weder streng an die Zahl der durchlebten Jahre bindet, noch auch bei allen Menschen auf der Erde gleich bleibt, sondern sich nach Klima, Lebensweise, Erziehung, Geschlecht, Temperament, Constitution, Abstammung, überstandenen Krankheiten u. s. w. etwas ändert. – Der Mensch, nachdem er vor seiner Geburt das Frucht-, Ei- oder Fötalleben (von 9 Monaten oder 40 Wochen oder 280 Tagen Dauer) durchlebt hat, tritt mit dem Erblicken des Lichtes der Welt in das selbstständige Leben ein und zwar zunächst in den

I. Zeitraum der Unreife, welcher von der Geburt an bis zum Eintritt der Reife (bei uns zu Lande etwa bis zum 20. Lebensjahre beim weiblichen, bis zum 24. Jahre beim männlichen Geschlechte) dauert und die Kindheit und Jugend in sich schließt. Es charakterisirt sich dieser Zeitraum hauptsächlich durch das fortwährende Wachsthum des Körpers und das Entfalten seiner Form. Er läßt sich in die folgenden Epochen trennen.

1. Alter des Neugebornen, jüngstes Säuglingsalter, umfaßt die ersten 6 bis 8 Lebenstage und zeichnet sich durch die am kindlichen Körper noch vorhandenen Spuren des früher bestandenen engern Zusammenhanges mit dem mütterlichen Organismus aus. Das Geschäft des Neugeborenen ist nur: zu athmen, zu schlafen, Milch zu trinken und Urin sowie Stuhl zu entleeren. Er bedarf hierzu: warme reine Luft, passende Milch, gleichmäßige Wärme, warme Bäder und mechanischen Schutz.

2. Das (spätere) Säuglingsalter begreift die ersten 9 bis 12 Monate des Lebens in sich und reicht bis zum Entwöhnen des Kindes von der Mutterbrust. In dieser Lebensepoche erwachen allmälig die Sinne zur Thätigkeit und erst durch diese zieht dann nach und nach der Verstand in das Gehirn ein. Schon jetzt muß aber die Erziehung (durch Gewöhnung) beginnen. Uebrigens geht das Wachsthum des Körpers ziemlich schnell vor sich und es [163] beginnt im 7., 8. oder 9. Lebensmonate der Ausbruch der sogenannten Milchzähne.

3. Das eigentliche Kindesalter oder das Alter der Milchzähne fängt mit dem Ende des ersten Lebensjahres an und endet mit dem eintretenden Zahnwechsel um das 7. Jahr. Die Ausbildung des Körpers und Geistes schreitet in dieser Periode im Verhältniß zu den übrigen Lebensaltern sehr bedeutend vor; der Körper wächst besonders in die Länge, wogegen die Fülle und Rundung der Glieder, eine Folge der starken Fettablagerung im Säuglingsalter, sich immer mehr und mehr verliert. Gegen das Ende des 2. Jahres ist der Ausbruch der 40 Milchzähne in der Regel beendet. – Dieses Lebensalter läßt sich, zumal hinsichtlich der Erziehung, recht wohl in zwei Zeiträume, in das erste und zweite Kindesalter, trennen. Das erste Kindesalter umfaßt das 2., 3. und bei etwas zurückgebliebener Entwickelung des Körpers vielleicht auch noch das 4. Lebensjahr in sich. Das Kind lernt stehen, gehen, kauen, sprechen und entwickelt einen großen Nachahmungstrieb, der von den Eltern neben der Gewöhnung mit zur Erziehung benutzt werden muß. – Das zweite Kindesalter begreift das 4., 5. und 6. Lebensjahr in sich und könnte vielleicht auch das Kindergartenalter genannt werden, weil jetzt die Hauserziehung kaum noch ausreicht oder gewöhnlich zu einseitig wird, während das spielende Kind unter andern Kindern sich vielseitiger entwickelt. Im Kindergarten (Spielschule, Vorschule) soll das Kind in moralischer, geistiger und körperlicher Beziehung für die Schule vorbereitet werden.

4. Das Jugend- (Knaben- und Mädchen-) oder Schulalter umfaßt die Schuljahre und reicht sonach in unserm Clima etwa vom 7. bis zum 14. (beim Mädchen) oder 16. Jahre (beim Knaben). Es beginnt mit dem Zahnwechsel und endet mit dem Eintritt der Mannbarkeit (Pubertät), der aber nach Geschlecht, Clima, Nation, Erziehung u. s. w. sehr verschieden ist.

5. Das Jünglings- und Jungfrauenalter reicht von der beginnenden Entwickelung der Pubertät bis zur Beendigung des Wachsthums, in unserm Lande beim männlichen Geschlechte etwa vom 16. bis 20., beim weiblichen vom 14. bis 20. Jahre. Es ist diese Periode das Alter des Reifens, so daß die wirkliche Reife noch nicht während derselben, sondern erst an ihrem Ende erreicht wird.

II. Der Zeitraum der Reife (das Mannesalter, Mittelalter, das gereifte, männliche oder stehende Alter) giebt sich durch die vollständige Ausbildung des Organismus kund und nimmt seinen Anfang mit der Beendigung des Wachsthums und der Pubertätsentwickelung. Es reicht diese Lebensepoche vom 20. oder 24. Lebensjahre bis etwa zum 40. oder 45. bei der Frau, bis zum 50. oder 55. beim Manne; der Körper steht jetzt auf der Höhe seiner Ausbildung gleichsam eine Zeit lang still. – Man könnte diesen Zeitraum in ein erstes und zweites Mannesalter trennen.

1. Das erste Mannes- oder Frauenalter, vom 20. oder 24. Jahre bis gegen das 40. oder 45. Jahr zeichnet sich durch Schlankheit, Behendigkeit und Kräftigkeit, Geistesfrische und Willensfestigkeit aus.

2. Im zweiten Mannes- oder Frauenalter verliert der Körper an Schlankheit und gewinnt durch größere Fettablagerung an Umfang und Rundung (Embonpoint), womit sich gewöhnlich die Liebe zur Ruhe und Bequemlichkeit verbindet.

III. Im Zeitraum der Abnahme oder des Welkens schreitet der Organismus allmälig, bei Einigen rascher bei Andern langsamer, wieder an Vollkommenheit abwärts und nähert sich so dem Tode. Wegen des sehr allmäligen Ueberganges von der Kraft des Mannes zur Gebrechlichkeit des Greises läßt sich der Anfang dieser Lebensperiode nicht fest bestimmen, auch fällt derselbe bei verschiedenen Menschen, vorzüglich nach ihrer früheren Lebensweise, auf verschiedene Jahre. Gewöhnlich nimmt man an, daß der Eintritt dieses Zeitraumes bei Männern zwischen das 50. und 60., bei Frauen zwischen das 40. und 50. Lebensjahr falle. Man trennt jedoch diese Periode in ein früheres und ein höheres Greisenalter.

1. Das erste oder frühere Greisenalter beginnt in der Mitte der 40er (bei der Frau) oder 50er Jahre (beim Manne) und dauert bis gegen das 70. Jahr. Es giebt sich durch Grauwerden der Haare, Abnahme der Kräfte, Runzelung der Haut und Ausfallen der Zähne, sowie durch allmälig zunehmende Schwäche der Sinnes- und Geistesthätigkeiten zu erkennen.

2. Im höheren Greisenalter, welches hinter dem 70. Lebensjahre liegt, sinkt der Mensch zu einer fast nur vegetativen Existenz und in geistiger Beziehung zur Kindheit herab.

Jedes der angeführten Lebensalter hat seine bestimmten Eigenthümlichkeiten und diese beziehen sich ebensowohl auf den Bau wie auf die Thätigkeit der verschiedenen Organe, ferner auch auf die Art der Erkrankung und die nöthige diätetische Behandlungsweise. Wollen wir nun über diese Eigenthümlichkeiten später ausführlicher sprechen, so mußte eine kurze Uebersicht der verschiedenen Lebensepochen vorausgeschickt werden und dies sei hiermit geschehen.
B. 




Die englischen und nicht englischen Freunde der Türkei.
Von H. B. in London.

Wenn die Rolle, welche England jetzt auf der Weltbühne spielt, auch nicht in das edle Heroenfach gehört, ist sie doch eine der bedeutendsten. Und seine jetzige Flotte im baltischen Meere unter Sir Charles Napier wird wenigstens im Stande sein, unerhörte Heldenthaten auszuführen: sie ist die größte, furchtbarste Flotte, die jemals auf irgend einem Meere erschien. Ich habe die Zahl der schwimmenden Kriegsungeheuer und ihrer Kanonenschlünde vergessen, da ich für solche Dinge ein schlechtes Gedächtniß habe, erinnere mich aber deutlich, wohl zwanzig Mal gelesen zu haben, daß die englische Seemacht noch nie so massenhaft, zahlreich und furchtbar vereinigt war, als jetzt unter Napier. Da England nun auch eine mächtige Flotte im schwarzen Meere und einen mächtigen Diplomaten in Constantinopel hat, drei Potenzen oder Potentaten, welche die britische Macht um Europa herum zweiarmig gegen Rußland repräsentiren, mag es nicht ohne Interesse erscheinen, diese drei Potentaten persönlich kennen zu lernen. Es sind der Rear-Admiral Sir Charles Napier, der englische Gesandte in Constantinopel Viscount Strafford de Redcliffe und Viceadmiral Deans Dundas, Chef der englischen Flotte im schwarzen Meere.

Napier’s Biographie stand neuerdings in zu viel Blättern, als daß wir sie mit gutem Gewissen wiederholen könnten. In der neuesten Geschichte ist er rühmlich bekannt durch seine Verdienste um Portugal, das England immer conservativ zu erhalten suchte, und um England in Syrien während des Streits mit Aegypten. Er gehörte bisher zu den 51 Rear-Admiralen der englischen Flotte, aus denen er nach langer Wahl und Qual als der tüchtigste für die gegenwärtige, vielleicht weltgeschichtliche Stellung herausgehoben ward. Beiläufig gesagt, giebt’s über den 51 Rear-Admirälen noch 21 Admiräle und 26 Vice-Admiräle, die alle gemeinsam wegen ihres hohen Alters berühmt sind. Unter 60 Jahren ist keiner für alles Gold der Welt mehr zu finden. Punch stellte sie deshalb auch auf den Schultern von Matrosen hängend mit ihren gepolsterten Krücken dar, um so die Russen vor Lachen fallen zu lassen. Und der verstorbene berühmte James Napier, einst eine Art weiser Tyrann Ostindiens, warf ihnen vor, daß sie nicht die Themse hinunterfahren könnten, ohne seekrank zu werden.

Was den Commandeur der Flotte im schwarzen Meere betrifft, so liegt in seinem Beinamen: „Held von hundert Schlachten“’ Beweises genug, daß er seefest ist und nicht zu den vornehmen, alten Herren gehört, welche durch kein anderes Verdienst, als daß sie nicht früher starben, mit der Zeitreihenfolge von Avancements Admirale wurden. Vice-Admiral Dundas – vollständig James Workley Deans Dundas, erster Commandeur des Geschwaders im mittelländischen Meere, wurde 1785 zu Calcutta in Ostindien geboren und steht demnach im Begriff, ein voller Siebziger zu werden. Er trat in den Marinedienst am 19. März 1799, machte die Expedition nach Holland (August 1799) mit, half 1801 [164] Alexandrien blockiren und in verschiedenen Zeiten Kriegsschiffe verschiedener Nationen zerstören oder erobern. Noch öfter that er dies später selbst als Commandeur verschiedener Kriegsschiffe. Die Aufzählung dieser Heldenthaten im Einzelnen wird die friedlichen Leser wohl wenig interessiren. Wir bemerken nur noch, daß er bei der Belagerung von Stralsund (1807) entschied und Kopenhagen erobern half. Eine Zeit lang vertrat er Greenwich im Unterhause.

Charles Napier.

Viscount Strafford de Redcliffe – früher in England mehr bekannt unter dem Namen Sir Strafford Canning, ist der Sohn eines reichen Londoner Kaufmanns. Der berühmte englische Staatsmann George Canning war sein Cousin. Er erhielt seine wissenschaftliche Bildung in Eton und auf der Universität Cambridge. Im Jahre 1807 machte ihn sein Cousin, George, damals Minister des Auswärtigen, zum Geheimsecretair, als welcher er manche diplomatische Sachen von Wichtigkeit zur Zufriedenheit ausführen half. Das Jahr darauf ward er mit einer speciellen Mission nach den Dardanellen geschickt, um die Türkei, die durch eine englische Expedition zur Eroberung der Dardanellen aufgebracht worden war, wieder zufrieden zu stellen. Er war damit bis zum 5. Januar 1809 beschäftigt, da er es weniger mit dem damaligen Sultan Mahmud, als mit den geheimen Einflüssen Rußlands und Frankreichs zu thun hatte, welche den Unfrieden zwischen der Türkei und England erhalten wollten. Da er sich so verdienstvoll in Constantinopel bewährt hatte, ernannte man ihn im April 1810 zum Secretair des englischen Gesandten daselbst und bald darauf zum bevollmächtigten Minister an der Stelle des zurückberufenen Gesandten Adair. Als solcher war er eine Hauptperson in den Friedensunterhandlungen zwischen der Türkei und Rußland zu Bucharest (1812). Bald darauf kehrte er nach England zurück, um 1814 Gesandter in der Schweiz zu werden, dessen Föderativstaat von 19 Cantons er gründen half. Von 1820 an war er drei Jahre nordamerikanischer außerordentlicher Gesandter, um 1824 über Petersburg wieder nach – Constantinopel zurückzukehren und die Anerkennung der griechischen Revolution durchzusetzen. Das hatte seine Schwierigkeiten, doch brachten es die drei Großmächte – England, Frankreich und Rußland – im Verein und in ihrem gemeinsamen besondern russischen Interesse dahin, daß die Türkei nach Zurückweisung der in London gemachten Freiheitsbedingungen für Griechenland, wo wenig oder gar keine wirklichen Söhne des alten Griechenlands mehr wohnen, durch die englische Schlacht bei Navarino (September 1827) gezwungen ward, Griechenland loszugeben freilich, ohne daß es frei ward. Der jetzige englische Gesandte in Constantinopel erwarb sich damals viel Verdienste in Feststellung der geographischen Grenzen zwischen der Türkei und Griechenland. Das Resultat ward am 7. Mai 1832 zwischen den vereinigten drei Großmächten – England, Rußland und Frankreich – und am 27. desselben Monats auch von Baiern unterzeichnet.

Sir Strafford Canning wurde 1832 als diplomatischer Missionair nach Lissabon und Madrid gesandt, und nachdem er im Parlamente mehrere Wahlkreise vertreten hatte, 1841 zum dritten Male als Gesandter nach Constantinopel geschickt, welches Amt er bis heute verwaltet. Im Jahre 1852 zum Pair erhoben, nahm er den Titel Viscount Strafford de Redcliffe an. Im Mai 1853 wurde er vom Minister des Auswärtigen der Türkei gefragt, was man in Bezug auf Menschikoffs Ultimatum von England zu erwarten habe? Er versprach im Namen seiner Regierung gütigen Beistand. Es folgte zwar Sinope, später freilich mancher Freundschaftsbeweis und eine baltische Flotte, aber bisher nicht Alles, was die Türken in Folge der Versprechungen Redcliffe’s erwartet haben mögen, wofür man übrigens ihn nicht persönlich verantwortlich machen kann. Seine sonstigen Verdienste um die Türkei werden als beträchtlich geschildert. Ihm wird die Abschaffung der Tortur zugeschrieben, die Abschaffung der Todesstrafe für Renegaten (d. h. Christen, die Muhamedaner geworden, zum Christenthum zurückkehrten), die Einführung gemischter Gerichtshöfe (Fremder und Türken) gegen angeklagte Europäer, und die Anerkennung der [165] Aussagen von Nicht-Muhamedanern, die Stiftung der protestantischen Kirche in Jerusalem und (während dieses Jahres) die Anerkennung vollständiger Glaubens- und politischer Gleichheit aller Volksklassen in der Türkei.

In wissenschaftlicher Beziehung wird er wegen der Unterstützung, die er dem englischen Gesandtschaftssecretair Layard für Untersuchung der (von einem Deutschen, der blos Schulze hieß, und verhungerte) entdeckten Hauptstadt Altassyriens, Niniveh, aus seinen Privatmitteln gewährte, und wegen der durch seine Bemühungen dem britischen Museum vermachten berühmten Budrum-Reliquien (Ueberbleibsel des Mausoleums, welches Artimisia, Königin von Carien, ihrem verstorbenen Gatten Mausolus setzen ließ), überhaupt als ein hoher englischer Gentleman gepriesen. Die Diplomatie aber hat es nicht mit dem Begriffe eines Gentleman, sondern mit stets sehr und jetzt besonders verzwickten Staats-Interessen zu thun, als deren Beamter Viscount Strafford de Redcliffe nie unabhängig handeln und werden kann.

Empfang fremder Offiziere im Lager bei Kalefat.

Im Ganzen stehen große Namen an der Spitze der englischen Freundschaft für die Türkei, aber noch keine „großen Männer.“

Neben diesen stolz klingenden Namen, die wir eben als gute Freunde der Türkei bezeichneten, fehlt es den Türken auch sonst nicht an Freunden, und wenn auch viele derselben ihre Sympathien nicht anders bethätigen, als durch fromme Wünsche für das angegriffene Volk, so hat sich auch eine andere nicht geringe Zahl zu thatkräftigem Handeln auf dem Schauplatze des Kampfes selbst eingefunden. Seit dem Ausbruch der Feindseligkeiten an der Donau, namentlich aber seit Mitte Oktober v. J., wo sich die türkischen Truppen auf dem linken Donauufer bei Kalefat festsetzten, ist die Schaar jener fremden Zugvögel immer mehr angewachsen. Das befestigte Lager bei Kalefat wird von ihnen am Meisten besucht, und viele haben in den mit Kalefat durch eine Schiffsbrücke verbundenen Widdin ihren bleibenden Sitz aufgeschlagen; ein Theil auch hat in der türkischen Armee Verwendung gefunden.

Ein türkisches Lager wie das in Kalefat, wo zu dem regulären türkischen und ägyptischen Militär, der Redif (Landsturm) und die asiatischen Irregulären, von denen wir in der vorhergehenden Nummer eine Abbildung gaben, kommen, bietet schon an und für sich einen pittoresken Anblick dar. Keinen Abbruch erleidet derselbe durch die Anwesenheit von Offizieren fast aller europäischen Nationen, die eine zum Theil abenteuerliche, aber eben deshalb um so glänzendere Soldateska bilden. Bei einer großen Parade in Kalefat sieht man sich von einer Unzahl der schimmerndsten und phantastischsten[WS 1] Uniformen umwimmelt, und der Commandant des Lagers, Achmed Pascha, empfängt fast jeden Tag Repräsentanten fremder Armeen, wobei es übrigens ohne alles Ceremoniell hergeht (s. d. Bild). Gewöhnlich geschieht dies am Schlusse der täglichen Exercitien und Manövres, ohne daß die Vorgestellten so wenig wie Achmed Pascha sich dann in Galauniform befinden, weshalb indeß der Empfang ein nicht minder herzlicher ist.

Von den in Kalefat anwesenden fremden Offizieren ist ein Theil mit Zustimmung ihrer respectiven Regierungen da, der bei weitem größere Theil gehört jedoch jener durch die politischen Ereignisse der jüngstvergangenen Jahre heimathlos gewordenen Menge an, die überall und nirgends zu Hause ist. Polen, Ungarn, Franzosen, Engländer, Schweden, Deutsche, Spanier, Amerikaner, Schweizer, Italiener, Kosacken, Moldauer, Walachen u. s. w. sind hinter den Wällen von Kalefat vertreten, und der Occident und Orient feiert gegenwärtig dort ein förmlichen Vermählungsfest. Neben den militärischen Gästen der Türken, hat sich auch eine Anzahl Journalisten, Mitarbeiter der bedeutendern englischen, französischen und deutschen Zeitungen eingefunden, doch sind auch sie meist ehemalige Militärs, oder wenn nicht, haben sie sich wenigstens einen Säbel umgeschnallt, und so bekommt man in Kalefat nicht leicht einen waffenlosen Mann zu sehen.

Die zahlreichen Kämpfe unter den Wällen von Kalefat liefern den dort anwesenden Kämpen fast aller Nationen hinlängliche Gelegenheit, ihre Kriegslust zu befriedigen, an den Tagen der Ruhe fehlt es dagegen auch nicht an ergötzlichen Scenen, wie sie jedes Lagerleben bietet. Vielleicht werden wir später aus diesen und jenen den Lesern der „Gartenlaube“ weitere Schilderungen bringen.

[166]
Blätter und Blüthen.


Ein Bild aus der Wüste. Unter den freien Beduinenstämmen Afrika’s und unter deren berühmten Pferden war besonders eins weit und breit berühmt. Es flog schneller wie die Sandwolke des Sturmes und hatte zartere Glieder als der Strauß. Der Fürst eines Stammes, mit Namen Doher, hatte schon große Massen von Vermögen geboten, um dieses Wunder der edeln Rosse zu kaufen, aber vergebens. In dem Brande seiner Sehnsucht konnte er keine Ruhe finden, so daß er endlich auf folgende List fiel, in den Besitz den Rosses zu kommen. Er beschmutzte sein Gesicht mit dem Safte eines Krautes, kleidete sich in Lumpen, band sich ein Bein beinahe bis an den Hals hinauf und gab sich so die bemitleidenswertheste Gestalt eines verkrüppelten Bettlers. So ging er, um auf Nober, den Eigenthümer des berühmten Rosses, im Freien der großen Wüste vor den Zelten zu warten, wo er vorbei kommen mußte. Als er Nober heranfliegen sah, schrie er ihm jämmerlich um Hülfe entgegen.

„Ein armer Fremder! Seit drei Tagen lieg’ ich hier ohne Wasser, unfähig, einen Schritt zu gehen. Ich sterbe. Hilf mir, Allah wird Dir’s lohnen.“

Nober bot ihm gütig sein Pferd an, er möge nur kommen, aber der Schurke erwiederte: „Ich kann nicht aus. Hilf mir aufstehen!“

Nober, vom Mitleid ergriffen, stieg ab, führte das Pferd dicht heran, und bückte sich, um ihm aufzuhelfen. Aber mit der Elasticität eines Gummiballes sprang Doher jetzt auf das Pferd, und mit ihm davon fliegend, rief er höhnisch: „Ich bin Doher. Nun hab’ ich Dein Pferd und Du hast es gehabt.“

Nober rief ihm nach, nur noch ein Wort zu hören. Seiner Sache gewiß, machte Doher in gehöriger Entfernung Halt und fragte höhnisch, was er ihm noch für guten Rath mitzugeben habe.

„Du hast mein edles Thier genommen.“ sprach Nober ruhig und edel. „Da der Himmel dies so zugegeben, wünsch’ ich Dir Glück dazu; aber ich bitte Dich herzlich, es niemals Jemandem zu erzählen, wie Du dazu gekommen bist.“

„Und warum nicht?“ frug Doher.

„Weil,“ erwiederte der edle Araber, „weil ein anderer Mensch dann leicht wirklich in Deiner vorherigen Lage gefunden werden könnte, ohne daß man ihm hilft, da man ihn einer gleichen That fähig halten könnte, wie Du mir gezeigt hast. So würdest Du manche That des Mitleids verhüten.“

So sprach er und wandte sich ab.

Doher, von der Wahrheit, dem Adel und der Schönheit dieser Worte plötzlich ergriffen, ritt herbei, sprang von dem Rosse, gab es dem Eigenthümer zurück und umarmte ihn. Nober lud ihn in sein Zelt. wo Beide mehrere Tage verlebten und treue Freundschaft schlossen für’s Leben.





Eine neue menschliche Erleuchtung. Bald wird auch das alte Wort, daß „man Niemandem in’s Herz schauen könne.“ auf das hin es auch in manchen Herzen so finster geblieben ist, seine Richtigkeit verloren haben. Es handelt sich nämlich ganz neuerdings um nichts mehr und nichts weniger, als um eine so vollständige Erleuchtung des menschlichen Körpers, daß man durch die durchsichtigen Leibesdecken dessen Inneres genau beobachten und seine verborgenen Schäden und Ungehörigkeiten bei Licht betrachten kann. Allen Ernstes will diese erstaunliche Entdeckung oder Erfindung, wie man will, der bekannte Doctor Quetelet gemacht haben und hat sie der Akademie der Wissenschaften in London in einer Abhandlung überreicht. Sein Mittel ist darnach ein concentrirter elektrischer Strahl, also eine Art Blitz, aber jedenfalls ohne dessen Wirkung, dessen Licht die innern Theile gewissermaßen illuminiren, die überliegenden Leibesschichten durchsichtig machen und so den obern Körper in einen Transparent verwandeln sollte. Dies lautet freilich etwas sehr seltsam und es wird jedenfalls recht sehr zu rathen sein, nicht eher zu glauben, bis man gesehen; denn wenn man dabei auch an die bekannte Erscheinung erinnert hat, daß, wenn man die Hand vor ein Kerzenlicht hält, die Finger in rosenrother Färbung etwas durchsichtig sich ansehen lassen, so ist davon noch sehr weit zur künstlichen Illumination unseres Leibes. Nicht dessen verhältnißmäßige Durchsichtigkeit ist zu bezweifeln, wohl aber das Gelingen des Versuches, ein derartiges Licht hineinzubringen. Die Zeit wird lehren, was an dieser wunderbaren Entdeckung ist, die alle Herzensgeheimnisse verrathen würde.





Vorschriften für Setzermädchen. In den vereinigten Staaten werden bekanntlich auch Mädchen in Setzereien verwandt. Eine dortige Zeitschrift der „American Courier“ hat folgende humoristische Statuten für dieselben in ihrer Druckerei erlassen: 1) Die Arbeiterinnen müssen zur bestimmten Stunde in der Offizin sein. 2) Während der Arbeitsstunden dürfen keine Motto’s und Liebesgeschichten gelesen werden. 3) Keine Arbeiterin darf einen Liebsten in der Offizin haben, noch darf dieser sie setzen sehen, 4) Es wird nicht darauf gesehen, wie die Arbeiterin zu Hause ihre Speisen zubereitet, wenn sie nur mit der Bleispeise und dem Speck gut umzugehen weiß. 5) Wenn sie in’s Redactionszimmer geht, um eine Correctur zu holen, darf sie nicht länger dort verweilen, als der Redacteur es verlangt. 6) Es ist nicht erlaubt, sich beim Holen der Korrektur küssen zu lassen. Der Redacteur darf dagegen von seinem Privilegium zu küssen oder zu schelten nach Belieben Gebrauch machen. 7) Ladys, die ihr Mittagessen mitbringen, dürfen keinen Eßsalon aus der Offizin machen und das Papier für die Probebogen als Tischtuch benutzen. 8) Jedes Mädchen, das gewillt ist, in den Stand der heiligen Ehe zu treten, muß dies vier Wochen vorher anzeigen, damit ihr Platz anderweitig besetzt werden kann. 9) Verheirathete Frauen dürfen nur geduldet werden, wenn es bekannt ist, daß sie verheirathet sind. 10) Beim Setzkasten darf nicht gelacht und mit den übrigen Arbeiterinnen geschwatzt werden. 11) Die Arbeiterinnen dürfen weder rauchen, noch Tabak kauen, noch Schnaps trinken. 12) Es darf weder geklatscht, noch dürfen Liebeslieder gesungen werden, auch darf den Arbeiterinnen nur dann freies Entrée zu Theater, Conkerten und andern Vergnügungsorten gegeben werden, wenn sie in Begleitung dahin gehen.





Eine innere Mission. Seit die speciell sogenannte innere Mission gewissermaßen zu einer Macht in unserm Culturleben geworden, konnten nicht alle für eine Fortbildung des Volkes begeisterte Gemüther sich mit der Art und Weise, wie der Zweck jener Mission verfolgt wird, einverstanden erklären. Sind doch die Missionen überhaupt vielfach nicht eben die hellste Seite unsrer Zeit, treten sie uns auch nicht immer in so greller Gestalt entgegen, wie, wenn wir lesen, daß der berühmte Chinesenapostel Gützlaff, der die Herzen und Börsen seiner andächtigen und frommen Zuhörer so geschickt zu öffnen gewußt, eine junge – steinreiche, d. h. pfundreiche Frau hinterlassen habe. Um so erquickender ist es, da und dort die Spuren einen stillen geräuschlosen Wirkens edler und bescheidener Menschenwesen zu begegnen. Verstehen wir unter innerer Mission jede Bestrebung, welche darauf hinausläuft, die Nebenmenschen zu belehren, zu erziehen, heranzubilden und in nützlichen Verrichtungen zu unterrichten, so haben wir von einer solchen in anerkennendster Weise zu berichten. In dem romantischen Oberhalbsteinthale Graubündens liegen die kleinen Ortschaften Suvognin, Tinigona und Lonters; die weibliche Jugend des Thales ist eine mit körperlichen und geistigen Kräften gesegnete. Dem Unterrichte von ungefähr 60 Mädchen aus diesen Dörfern in weiblichen häuslichen Arbeiten, im Stricken, Nähen etc. hat sich mit noch zwei Lehrerinnen das edle Fräulein Lina Latour unterzogen, der bereits die Sänger von Suvognin ihre Bildung verdanken. Auch eine angemessene Erziehung giebt sie ihren Schülerinnen, und zwar nicht nur ohne alle Bezahlung, sondern sie schafft auch noch die nöthigen Gegenstände für den Unterricht aus eignen Mitteln an und vertheilt sie unter die Mädchen. Dies nennen wir eine ächte Missionärin und Volksfreundin und die Früchte einer solchen Aussaat können nur gute sein und zur edlen Nacheiferung ermuntern. Es ist noch viel zu säen auf altem christlichen Boden, und tausende unserer nächsten Mitbrüder und Schwestern warten noch auf eine so ächt christliche Humanitätspriesterin. wie Lina Latour.





Peruanische Bäder. „Als ich in Peru am Meeresufer wandelte.“ erzählt ein kürzlich von dort zurückgekehrter Reisender, „bot sich mir ein sonderbares Schauspiel dar. Die dortigen Damen ließen sich auf den Schultern indischer Badewärter, lauter starker kräftiger Männer, die nur mit Beinkleidern bekleidet waren, in die See tragen, und wenn diese tief genug hineingegangen wären, fingen sie mit den Damen auf den Schultern an zu schwimmen. Dadurch kamen die Letzteren in eine horizontale Lage und konnten sich des Bades ebenso gut, als wenn sie selbst schwämmen, erfreuen. Auf diese Weise gingen sie Meilen weit in die See und ich hörte diese Badeart nachher allgemein von ihnen als die gesündeste und sicherste rühmen.“





Ein Luftballon als Siegestrophäe. Der interessante Artikel in Nr. 11. der Gartenlaube: „Der Luftballon als Kriegsapparat“ – erinnert mich daran, daß ein solcher Kriegsapparat in dem kaiserlichen Zeughause Wiens, als Siegestrophäe mitten unter eroberten Waffen aller Art prangt. Es ist dies ein Luftballon von scheinbar gewaltigen Dimensionen; – denn da er zusammengedrückt an der Decke hängt, lassen sie sich nicht genau erkennen; was dieser Flugmaschine aber den besonderen Werth verleiht, und was ihr wohl auch die Ehre der Aufnahme unter Trophäen viel ernsterer Art verschaffte, ist der Umstand, daß Napoleon sich dieses Luftballons bei einem seiner Feldzüge, und zwar zum Theil in eigener Person bedient haben soll. Bei welcher Gelegenheit dies geschehen sei, darüber giebt mein Gedächtniß, das nur die flüchtige Beschreibung des Führers durch diese gewaltigen Räume zum Anhaltepunkt hat, keinen Aufschluß, indeß könnte irgend ein Wiener Leser der „Gartenlaube“ gewiß nach einer Okular-Inspection sehr leicht Mittheilung darüber machen.

A.




  1. Der Londoner Glaspalast war 1848 Fuß lang und 408 Fuß breit.
  2. Organismen pflegt man diejenigen Naturerzeugnisse (wie Pflanzen, Thiere und Menschen) zu nennen, in welchen eine größere oder geringere Anzahl von Organen zu einem abgegränzten Ganzen) (Einzelwesen, Individuum) verbunden sind. Als Organe betrachtet man aber die aus sehr complicirt zusammengesetzten chemischen (organischen) Stoffe und aus Zellen gebildeten (organisirten) Theile, von denen ein jeder einen bestimmten, und zwar einem anderen Zwecke als der andere dient, alle aber in ihrer Thätigkeit von einander abhängend, zur Existenz des Ganzen vorhanden sind.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: phantatistschen