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Die Froschprinzessin

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Die Froschprinzessin
Untertitel:
aus: Chinesische Volksmärchen, S. 317–325
Herausgeber: Richard Wilhelm
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Eugen Diederichs
Drucker: Spamer, Leipzig
Erscheinungsort: Jena
Übersetzer: Richard Wilhelm
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
E-Text nach Digitale Bibliothek Band 157: Märchen der Welt
Eintrag in der GND: [1]
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[317]
96. Die Froschprinzessin

Am mittleren Yangtsekiang wird der Froschkönig sehr eifrig verehrt. Er hat einen Tempel; dort gibt es Frösche zu Tausenden und aber Tausenden, zum Teil von riesiger Größe. Wer sich den Zorn des Gottes zuzieht, in dessen Hause treten seltsame Erscheinungen auf: Frösche hüpfen auf Tischen und Betten umher; in schlimmeren Fällen kriechen sie selbst an den glatten Wänden empor, ohne daß sie herunterfallen. Verschiedene Arten von Vorzeichen [318] gibt es; aber alle deuten darauf hin, daß dem Hause Unglück droht. Dann geraten die Bewohner in große Furcht, schlachten ein Rind und bringen es als Opfer dar. So wird der Gott umgestimmt, und es geschieht nichts weiteres.

In jener Gegend lebte ein Knabe namens Siä Kung-Schong. Er war klug und schön. Als er etwa sechs, sieben Jahre alt war, kam eine grüngekleidete Dienerin in die Wohnung. Sie nannte sich selbst eine Botin des Froschkönigs und teilte mit, daß der Froschkönig seine Tochter dem jungen Siä vermählen wolle. Der alte Siä war ein ehrlicher und beschränkter Mann, und da ihm die Sache nicht paßte, schlug er es ab, weil sein Sohn noch zu jung sei. Trotz dieser Ablehnung wagte man aber doch nicht, nach einer anderen Lebensgefährtin für den Sohn zu sehen.

Einige Jahre waren darüber hingegangen, und der Junge wuchs allmählich heran. Man verabredete eine Heirat mit einem Fräulein Giang.

Der Froschkönig aber teilte ihr mit: „Der junge Siä ist mein Schwiegersohn; wie kannst du dich unterstehen, von verbotenen Früchten zu naschen!“ Da fürchtete sich der Vater Giang und nahm sein Wort zurück.

Der alte Siä ward sehr betrübt darüber. Er bereitete ein Opfer und ging in den Tempel zu beten. Er brachte vor, daß er sich unwürdig fühle, mit einem Gotte in Verwandtschaft zu treten. Da er aber ausgebetet hatte, zeigten sich in dem Opferfleisch und Wein große Maden, die wimmelnd umherkrochen. Er goß sie aus, bat um Verzeihung und kehrte voll schlimmer Ahnungen heim. Er wußte sich nun nicht mehr zu helfen und ließ den Dingen ihren Lauf.

Eines Tages ging der junge Siä auf der Straße. Da trat ein Bote auf ihn zu, der ihm den Auftrag des Froschkönigs überbrachte, daß er dringend gebeten sei, zu ihm zu kommen. Es blieb ihm nichts übrig: er mußte dem Boten folgen. Der führte ihn durch ein rotes Tor in prächtige, [319] hohe Gemächer. Im Saale saß ein Greis, der wohl achtzig Jahre alt sein mochte. Siä warf sich huldigend vor ihm nieder. Der Greis hieß ihn aufstehen und wies ihm einen Platz am Tische an. Bald kamen Mägde und Weiber herbeigedrängt, ihn anzuschauen. Da wandte sich der Greis zu ihnen und sprach: „Geht ins Gemach und saget, daß der Bräutigam gekommen!“

Eilends liefen ein paar Mägde weg. Nach einiger Zeit kam eine Alte aus dem inneren Gemach, die führte an der Hand ein Mädchen, wohl sechzehn Jahre alt und unvergleichlich schön. Auf diese wies der Greis und sprach: „Dies ist mein zehntes Töchterchen. Ich dachte mir, ihr beide passet wohl zusammen. Aber dein Vater hat wegen der Verschiedenheit der Rasse uns verschmäht. Doch ist die eigne Hochzeit eine Sache, die für das ganze Leben wichtig ist. Zur Hälfte nur vermögen sie die Eltern zu bestimmen. Schließlich kommt das meiste auf dich selber an.“

Siä hielt seine Blicke auf das Mädchen fest geheftet und gewann sie lieb in seinem Herzen. Schweigend saß er da. Die Alte sprach: „Ich wußt es wohl, der junge Herr ist einverstanden. Geht nur voraus, wir wollen dann die Braut Euch bringen.“

Siä sagte ja und eilte, es seinem Vater anzusagen. Sein Vater war ratlos in seiner Aufregung. Er gab ihm einen Vorwand und wollte ihn zurückschicken, um dankend abzulehnen. Aber Siä war nicht gewillt zu gehen. Während der Hin- und Widerreden war der Wagen mit der Braut schon vor der Tür. Eine Schar von Grünröcken umgab ihn, und das Fräulein trat herein und machte vor den Schwiegereltern eine höfliche Verbeugung. Als die sie sahen, waren sie beide froh, und auf den Abend ward die Hochzeitsfeier angesetzt.

Das neue Paar lebte in Frieden und Eintracht. Und seit der Heirat nahten sich die göttlichen Schwiegereltern häufig ihrem Hause. Waren dann die Kleider, die sie [320] trugen, rot, so stand ein Glück, waren sie weiß, so stand ein Gewinn in sicherer Aussicht. So wurde die Familie mit der Zeit begütert.

Seit der Verbindung mit den Göttern aber wimmelte es in Zimmern, Höfen und an allen Orten von Fröschen. Und niemand wagte, ihnen etwas zu tun. Nur Siä Kung-Schong war jung und rücksichtslos. War er in guter Laune, so kümmerte er sich nicht um sie; war er aber schlecht aufgelegt, dann kannte er keine Schonung und trat sie gar absichtlich zu Tode.

Die junge Frau war zwar im allgemeinen bescheiden und gehorsam, doch wurde sie leicht heftig. Sie war mit ihres Mannes Tun nicht einverstanden. Aber Siä tat ihr den Gefallen nicht, von seiner groben Art zu lassen. So tadelte sie ihn denn darob. Er aber wurde böse.

„Denkst du,“ sprach er, „weil deine Eltern Unglück über Menschen bringen können, werde sich ein rechter Mann vor einem Frosche fürchten?“

Die Frau vermied es ängstlich, den Namen „Frosch“ zu nennen; so ward sie denn ob seiner Rede zornig und sagte: „Seit ich in eurem Hause bin, haben eure Felder mehr Ertrag gegeben, und beim Verkauf habt ihr höheren Preis erhalten. Das ist doch nicht wenig. Nun aber bei euch alt und jung in der Wolle sitzt und sich herausgefüttert hat, machst du es wie die junge Eule, die ihrer Mutter die Augen aushackt, wenn sie flügge geworden.“

Siä wurde noch heftiger und fuhr los: „Schon lange sind mir diese Gaben als unrein zuwider. Solchen Besitz auf Söhne und Enkel zu vererben, bringe ich nicht über mich. Besser wäre es, wir trennten uns gleich.“

So verstieß er denn seine Frau, und ehe noch seine Eltern davon erfuhren, war sie schon fort. Die Eltern schalten und hießen ihn schleunigst gehen, um sie zurückzuholen. Er aber, noch in vollem Zorn, wollte nicht nachgeben.

In derselben Nacht wurden Mutter und Sohn krank. Sie waren matt und aßen nichts. Der Vater, voll Besorgnis, [321] ging in den Tempel, um Verzeihung zu erflehen. Er betete so ernstlich, daß nach drei Tagen die Kranken wieder gesund waren. Und auch die Froschprinzessin stellte sich wieder ein, und beide lebten glücklich und vergnügt zusammen wie zuvor.

Die junge Frau aber saß den ganzen Tag da, nur beschäftigt mit Putz und Schminke, und kümmerte sich nicht um weibliche Handarbeit. So mußte denn für die Kleider des Siä Kung-Schong immer noch seine Mutter sorgen.

Eines Tages war die Mutter ärgerlich und sprach: „Mein Sohn hat eine Frau, und doch hängt die ganze Arbeit noch an mir. Anderswo dient die Schwiegertochter der Schwiegermutter. Bei uns muß die Schwiegermutter ihre Schwiegertochter bedienen.“

Die Prinzessin hörte das zufällig. Aufgeregt kam sie herein und fing an: „Hab ich es etwa schon daran fehlen lassen, wie es sich gehört, des Morgens und des Abends nach Euch zu sehen? Was mir abgeht, ist nur, daß ich nicht aus Liebe zum schnöden Geld mir selbst alle Mühsal aufladen mag.“ Die Mutter antwortete kein Wort. Sie weinte nur still vor sich hin ob der erlittenen Beschämung.

Ihr Sohn kam dazu und bemerkte die Tränenspuren seiner Mutter. Er drang in sie nach dem Grund und erfuhr, was sich begeben. Er machte zornig seiner Frau Vorwürfe. Die machte Einwände und wollte ihr Unrecht nicht zugeben. Schließlich sprach Siä: „Besser keine Frau haben als eine, die ihrer Schwiegermutter keine Freude macht! Was kann mir der alte Frosch schließlich tun, wenn ich ihn böse mache, als daß er Unglück schickt und mir das Leben nimmt?“ So verstieß er abermals seine Frau.

Die Prinzessin verließ das Haus und ging weg. Am andern Tage brach im Wohnhaus Feuer aus, das auf mehrere Gebäude übersprang; Tische, Betten, alles war verbrannt.

Siä ergrimmte darob, ging in den Tempel, um sich zu beklagen: „Eine Tochter aufziehen, die ihren Schwiegereltern [322] nicht zu Gefallen ist, zeigt, daß man keine Zucht im Hause hat. Und nun bestärkt Ihr sie sogar in ihren Fehlern. Man sagt, die Götter seien höchst gerecht. Gibt es auch Götter, die die Menschen lehren, ihre Frau zu fürchten? Außerdem, die ganze Streiterei ging nur von mir allein aus. Meine Eltern hatten nichts damit zu tun. Gebührte Beil und Säge mir, gut, Ihr konntet es mir selbst zufügen. Aber Ihr habt es nicht so gemacht. So will ich denn auch Euer Haus verbrennen, um mir die Befriedigung der Rache zu verschaffen.“

Nach diesen Worten häufte er Brennholz vor dem Tempel zusammen, schlug Feuer und wollte es anstecken. Die Nachbarn strömten herzu und machten ihm Vorstellungen. Da fraß er seinen Zorn in sich hinein und ging nach Hause.

Als seine Eltern davon hörten, entfärbten sie sich vor großer Furcht. Zur Nachtzeit aber erschien der Gott den Leuten in dem Nachbardorf und befahl ihnen, das Haus seines Eidams wieder aufzubauen. Als es Tag ward, schleppten sie Bauholz an, und es drängten sich die Arbeiter. Und alle fingen an, für Siä zu bauen. Was er auch sagte, sie ließen sich nicht abhalten. Den ganzen Tag waren fortwährend Hunderte von Arbeitern unterwegs. Und nach ein paar Tagen waren alle Räume wieder neu gebaut, alle Geräte, Vorhänge und Möbel standen vollzählig da. Und als die Arbeit fertig war, da war auch die Prinzessin wiedergekommen. Sie stieg zum Saal empor und bekannte ihre Schuld mit vielen zärtlichen und liebreichen Worten. Dann wandte sie sich zu Siä Kung-Schong und lächelte ihm seitwärts zu. Im ganzen Haus war statt des Grolls die Freude eingekehrt. Und seitdem war die Prinzessin besonders friedfertig. Zwei Jahre vergingen, ohne daß ein böses Wort gefallen wäre.

Die Prinzessin verabscheute aber gar sehr die Schlangen. Einst tat zum Scherze der junge Siä ein kleines Schlänglein in ein Päckchen. Das gab er ihr und hieß sie es öffnen. [323] Sie wurde blaß und machte ihm Vorwürfe. Da wurde auch bei Siä Kung-Schong aus dem Scherze Ernst, und es gab böse Worte.

Endlich sprach die Prinzessin: „Diesmal will ich nicht warten, bis ich verstoßen werde. Nun ists endgültig aus.“ Damit ging sie zur Tür hinaus.

Der Vater Siä geriet in große Angst und züchtigte den Sohn selbst mit dem Stabe und bat den Gott um gütiges Verzeihen. Zum Glück folgte nichts Böses. Alles blieb still und ohne Laut.

So verging über ein Jahr. Siä Kung-Schong sehnte sich nach der Prinzessin und ging ernstlich in sich. Im geheimen schlich er sich in den Tempel des Gottes und klagte um die Prinzessin. Aber da war keine Stimme noch Antwort. Bald darauf hörte er auch noch, daß der Gott seine Tochter einem andern Manne verlobt habe. Da verlor er im Herzen die Hoffnung und suchte auch eine neue Verbindung einzugehen. Doch fand er trotz allen Suchens keine, die der Prinzessin gleichgekommen wäre. So mehrte sich denn seine Sehnsucht nach ihr. Er ging in das Haus Yüan, wohin sie, wie es hieß, versprochen worden. Da hatten sie schon die Wände gestrichen und den Hof gekehrt, und alles war zum Empfang des Brautwagens vorbereitet. Reue und Unwille übermannten ihn. Er aß nicht mehr und wurde krank. Seine Eltern waren ganz betäubt von der Sorge um ihn, unfähig, einen Rat zu ersinnen.

Plötzlich fühlte er mitten in seinem Hindämmern, wie jemand ihn streichelte und sprach: „Wie stehts mit unserm rechten Mann, der durchaus seine Frau verstoßen wollte?“

Er tat die Augen auf, da war es die Prinzessin.

Voll Freude sprang er empor und sprach: „Wie kamst du nur wieder?“

Die Prinzessin antwortete: „Eigentlich hätte ich nach deiner Art, die Leute schlecht zu behandeln, meines Vaters Befehl gehorchen und einen andern nehmen sollen. [324] Tatsächlich lagen auch schon lange die Brautgeschenke der Familie Yüan bei uns im Haus. Aber ich sann und sann und konnte es nicht über mich bringen. Für heute abend war die Hochzeit festgesetzt, und mein Vater hielt es für eine Schmach, das Brautgeschenk zurückzubringen. Ich nahm die Sachen selbst und stellte sie ihnen vor die Tür. Als ich herauskam, lief mein Vater neben mir her. ‚Verrückte Dirne,‘ sagte er, ‚daß du nicht auf meine Worte hörst! Wenn dir bei den Siäs es künftig wieder schlecht ergeht, so frag ich nichts danach. Mögen sie dich totmachen, heim kommst du mir nicht mehr!‘“

Gerührt von ihrer Treue fielen dem Siä die Tränen nieder. Die Diener eilten voller Freude zu den Eltern, ihnen die frohe Nachricht zu bringen. Als die es hörten, warteten sie nicht ab, bis die jungen Leute zu ihnen kamen, sondern liefen selber in das Haus des Sohnes, faßten sie bei der Hand und weinten. Der junge Siä war nun allmählich auch gesetzt geworden und ließ seinen Mutwillen. So ward die Liebe zwischen ihm und seiner Frau von Tag zu Tag aufrichtiger.

Einst sprach die Prinzessin zu ihm: „Früher, als du mich immer so schlecht behandeltest, da fürchtete ich, wir würden nicht beisammen bleiben bis ins Alter. Darum wagte ich nicht, einem unglücklichen Kinde das Leben zu geben. Nun ist das alles anders, und ich will dir einen Sohn gebären.“

Und richtig, nicht lange danach erschienen die göttlichen Schwiegereltern in roten Gewändern wieder im Haus, und tags darauf kam die Prinzessin nieder. Und zwei Söhne auf einmal konnte der glückliche Vater herzen.

Von da ab hörte der Verkehr mit Froschkönigs nicht mehr auf. Wenn jemand aus dem Volk den Gott zum Zorn gereizt, so suchte er erst bei dem jungen Siä Fürbitte zu erlangen und schickte Frau und Tochter in vollem Staat zu der Froschprinzessin, um sie anzuflehen. Lachte die Prinzessin, so war alles gut.

[325] Die Familie Siä hat eine große Nachkommenschaft. Die Leute nennen sie Froschmännchen. Nahestehende wagen nicht den Namen zu brauchen, aber Fernerstehende rufens ihnen nach.

Anmerkungen des Übersetzers

[404] 96. Die Froschprinzessin. Vgl. Liau Dschai.

„Froschmännchen“: Wa Dsï, der Schimpfname, der den Südchinesen von den Nordchinesen gelegentlich angehängt wird.