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Die Frauen in Indien

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Textdaten
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Titel: Die Frauen in Indien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 297–298
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Frauen in Indien.

„Nichts Besser’s lob’ ich mir an Sonn- und Feiertagen,
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit in der Türkei,
Die Völker auf einander schlagen.“

So sagt der ewige, bekannte Philister in Faust’s ewigem Ostermorgen.

Es ist gerade wieder Ostern, während ich hier schreibe. Wer sorgte diesmal für Krieg und Kriegsgeschrei zum Osterfeste? Die Engländer. Wenn diese nicht waren, wo sollt’s herkommen jetzt in dieser stillen, stillen Zeit zu Hause? Und wie besorgen sie’s dem Philister! Nicht Hirten in der Türkei, nein, noch viel weiter hinten in China und Indien „spalten sie sich die Köpfe, geht Alles durcheinander und nur zu Hause bleibt’s beim Alten,“ wie der zweite Philister sagt. Und nicht blos dahinten, ganz weit hinten sorgen die Engländer für unsere politischen Osterkuchen, auch zu Hause bei sich im Parlamente, wo sie Indien reformiren und dadurch das ganze Land in Bewegung setzen, weshalb sie auch die Reformen zu Hause wieder aufschieben.

Indische Frauen im Hause.

Was liegt am eigenen Hause? Es ist nobel, es ist erhaben, sich für die fernsten Völker und deren Wohl aufzuopfern, wie dies die Engländer für Indien thun. Das Parlament, heißt es, wird nichts weiter reformiren, als Indien. Für Indien hat man das Zollmaß der Größe für Rekruten erniedrigt und das Kaufgeld erhöht. Die Werbeofficiere lassen Geld und Bier und Schnaps fließen in den Kneipen, um Lust zu machen und gut zu kaufen. Bekommen sie doch auch noch für jede Quantität eingelieferte Waare Extra-Prämien. Man dachte sogar an Soldatenwerbung unter den Negern in Afrika für Indien. Alles für Indien und für die deutschen Philister, die wenigstens an Sonn- und Feiertagen ihr Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei haben wollen. Das Schlimmste scheint in Indien überwunden zusein. Scheint! Das Schlimmste kommt noch, die Reform! Sie liegt dem Parlamente zwar fix und fertig als Regierungs-Recept vor, aber sie muß erst parlamentarisch durch friedliche Interessen hindurchfiltrirt und dann auch den Indiern eingeimpft werden, diesen still wüthenden, zerfleischten, gegen Engländer todfeindlichen, in die verschiedensten Racen, Völker, Religionen, Stände, Classen und Kasten zerklüfteten, unverstandenen, fernen, verschlossenen, versteckten, unheimlich brütenden und lauernden Bewohnern ungeheuerer Ländermassen. Wie will die Reform den tiefgewurzelten Verhältnissen dieser Völker, ihrem furchtbaren Feudalismus zwischen Zemindar’s und Ryot’s (aristokratischen Grundeigentümern und Pächtern), ihrem Muhamedanismus, Brahmaismus und Buddhismus (in verschiedenen Secten) beikommen? Von alle dem ist in der Reform gar nicht die Rede. Es ist blos eine andere, problematische Reform des Formalismus, mit welchem Engländer Indien beherrschen sollen. Von inneren Verbesserungen weiß man auch nichts. Die allerwesentlichste wird nur beiläufig außerhalb des Parlaments von Zeitungen vorgeschlagen – die Erziehung des weiblichen Geschlechts in Indien. Napoleon sagte schon ganz richtig, daß das Wohl und Wehe der Länder und Völker von Frauen, Müttern, Erziehung des nachwachsenden Geschlechts und nicht von Diplomaten abhänge. In Indien haben die Eingebornen seit Jahrhunderten das weibliche Geschlecht ohne Erziehung [298] und Schule verwahrlost, die Hindu’s noch mehr, als die Muhamedaner, und die Engländer haben zwar ein „Jung-Indien“ geschaffen aus männlichen Individuen, aber keine jungen Mädchen und Frauen dazu, so daß das englische „Jung-Indien“ an den Frauen zu Grunde geht.

Jung-Indien ist eigentlich blos Jung-Bengalen, denn auf Bengalen beschränkt sich diese „Reform.“ Jung-Bengalen besteht aus jungen, brahminischen, reichen Hindu’s, die englische Regierungsschulen besuchen und daraus hervorgegangen sind. Es ist kein einziger Muhamedaner darunter. Diese hassen alles Christenthum und besonders Englischthum heißer, hartnäckiger als je. Miß Martineau erzählt in ihrer Geschichte Indiens, wie die jungen Muhamedaner in ihren Schulen alle Tage im tödtlichsten Hasse gegen Christen- und Englischthum unterrichtet werden.

Die Regierungsschulen der ostindischen Compagnie, theils Gymnasien, theils Universitäten, beschränken sich deshalb auf elastische, schlanke, empfängliche, listige, aristokratische junge Hindu’s. Sie lesen Shakespeare, Milton, Byron u. s. w., lernen einige Elementar-Wissenschaften und lassen sich dann anstellen. Das ist ihr Wissenschaftstrieb, d. h. sie lernen eigentlich nichts und bleiben außerdem Hindu’s, deren Bildung nur dazu dient, sie zu Sclaven und Opfern ihrer höheren Civilisation zu machen. Sie fahren oder schweben in Sänften in die prächtigen Säle der Hindu-Universität zu Calcutta, werfen sich auf seidene Kissen und hören zu, was der Professor sagt. Dann fahren oder schweben sie wieder fort zu luxuriösen Mahlen, in parfümirte Bäder, zu tanzenden Bajaderen mit Wein, seidenen Kissen, Gesang, Schwelgerei, Lust und Liederlichkeit! Alle sind verheirathet, sechzehnjährige Bengels mit elf- bis zwölfjährigen Mädchen, die zu Hause eingeschlossen sitzen bleiben, sich putzen und rauchen und durch ihre Stupidität den Mann desto schneller und länger von sich forttreiben, je civilisirter und emancipirter er durch die „Universität“ geworden. Die Köpfe und Herzen dieser Frauen sind öde, öde Wüsten, oft schön von außen, aber inwendig leer, leer, leer, roh listig, eifersüchtig auf ihre Colleginnen (denn Alle haben mehrere Frauen), träge, unbeholfen, nach Tabak stinkend, gelbzähnig, faltig und alt und welk im siebzehnten Jahre, Vogelscheuchen gegen die durch Tanz und Uebung und Umgang, Leben und Reisen frisch und graciös gewordenen mit denen denn auch Jung-Bengalen seine Abende zubringt, statt in seinem öden Harem zu Hause. Jung-Bengalen hat durch die englischen Regierungsschulen seine Götter verloren und keinen Gott, nicht einmal den der Wissenschaft und der moralischen und intellectuellen Kraft, bekommen: es sind Atheisten. Die Frauen zu Hause erscheinen ihnen wie Wahnsinnige in einer fieberischen Masse von Götterbildern und wahren Augiasställen von Aberglauben. So ist das öffentliche und Privatleben dieser jungen Hindu’s, auf welche die Engländer ihre Hoffnungen bauten, demoralisirt, zerrissen und verwahrlost durch und durch. Man hat bei dieser „Reform“ nicht an die Frauen gedacht.

Hier ist ein Harem eines solchen Jung-Bengalen, von einem Indier gemalt. Das Original, im Besitze des Prinzen Soltykoff, ist photographirt und danach in Holz geschnitten worden, wie wir es vor uns sehen. Sechs schöne Frauen eines jungen Bengalen in ihrem „Zenana“, worin sie ihr Leben, ärger verschlossen, als die der Muhamedaner, verkauern, verputzen und verrauchen. Einige tragen Ringe mit Diamanten in der Nase, wie dies in einer bestimmten Gegend noch Mode ist. Die beiden ohne Ringe sind Brahminentöchter Bengalens.

Ihre Zenana’s oder Gefängnisse bestehen aus leeren Wänden ohne Meubles. Sie kauern auf dem Boden herum, thun, denken und fühlen nichts und rauchen starken Tabak oder Opium dazu.

Zur Abwechselung kratzt diese oder jene sich einmal in den Haaren oder auf einer verstimmten Guitarre. Sie wurden von dem Manne unter bestimmten Ceremonien gekauft, damit er seinem Range und Stande und Reichthume gemäß sagen könne: Ich habe so und so viel Frauen, wie bei uns der Bauer nach der Menge seiner Pferde und Kühe für reicher oder ärmer gehalten wird. Nur daß diese Frauen nichts produciren, nicht einmal Kinder, die, wenn sie sich in einzelnen Fällen einstellen, weder einen liebenden Vater, noch eine zarte, mütterlich weise und gefühlvolle Mutter keimen lernen und zwischen dem entnervendsten Aberglauben und der Demoralisation väterlicher Civilisation elendiglich aufwachsen. An Jung-Bengalen sehen die Engländer nun, woran es fehlt: an Frauen und Müttern. Engländer, die Indien kennen, sehen dies ein, aber die indische Reform-Bill weiß noch nichts davon. „Erzieht das weibliche Geschlecht!“ rufen die wirklichen Reformer. Dieses ist aber verschlossener, als die Casse des echten Hindu. Wohl dem, der zu Hause säet und erntet und nicht, wie die Engländer, die Existenz der Heimath von solchen fernen, vergrabenen Schätzen abhängig machen muß!