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Die Flucht nach Aegypten (Gemälde der Dresdener Gallerie)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Adolph Görling
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Titel: Die Flucht nach Aegypten
Untertitel: Von Claude Lorrain
aus: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie
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Erscheinungsdatum: 1848–1851
Verlag: Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne
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Erscheinungsort: Leipzig und Dresden
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Quelle: Scan auf Commons
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[Ξ]

The Flight into Egypt.     Die Flucht nach Egypten.

[107]
Die Flucht nach Aegypten.
Von Claude Lorrain.

Niemand vermöchte sich des Eindrucks zu erwehren, den Claude Gelée, oder unter seinem bekannteren Namen, Claude Lorrain, durch seine Landschaftsdichtungen hervorruft. Ruisdael ist ein Meister in der Kunst, durch ein Landschaftsbild in dem Beschauer eine bestimmte Empfindung zu erwecken; nicht minder aber versteht es Claude Lorrain, die Natur künstlerisch zu einer Harmonie zu vereinigen, die gleich einem lyrischen Gedichte das Herz bewegt, nachdem sie das Auge, wie dies letztere das Ohr, ergötzt hat. Es ist die Idealität, getragen von der genial aufgefaßten und wiedergegebenen Naturwahrheit, welche bei Claude Lorrain diesen unbeschreiblichen Zauber der Landschaft bewirkt. Mit der höchsten Anmuth bekleidet, tritt uns in ihrer ewigen Jugendschönheit die Natur bei Lorrain entgegen. Ihre Reize sind in zwanglosester Weise in einen Brennpunkt vereinigt, dessen Strahl sicher auf den Beschauer wirkt.

Die „Flucht nach Aegypten“ ruft, gleich einem ebenso lieblichen als klaren und feierlichen Gedichte über den Gegenstand, alle die Träume jugendlicher Poesie wach, womit wir einst die [108] von Engeln geleitete Mutter des Himmelskönigs auf der lastbaren Eselin sitzend, vom treuen Joseph geführt, auf ihrer Reise nach dem Lande der wunderbaren Weisheit des Alterthums begleiteten. Den Schatten des herrlichen, dunklen Waldes, den Strom des lebendigen Wassers, den Felsen, welcher, der Ewigkeit trotzend, sich majestätisch, vom Sonnenlichte verklärt, erhebt, deuten zu wollen, würde eine Versündigung an dem Meister sein; denn das hieße nichts Anderes, als diese freie poetische Schöpfung in eine gebundene Symbolik zu übersetzen, wie wenn man aus den Wendungen und Uebergängen, aus dem Wechsel und der Zusammenstellung der Tonformen eines entzückenden Musikstückes den Gedanken herausfinden, die Wirkung zu erklären streben wollte, warum uns das Ganze eben so und nicht anders bewegt, wie es uns bewegt.

Wie aus dieser Auffassung von Lorrains Landschaften hervorgeht, so ist die Staffage in ihnen nebensächlich und dient meistens nur dazu, die eigentliche Seele des Bildes in einem bestimmt erkennbaren Zuge anzudeuten. Reizend, fast märchenhaft zeigt sich der Kern dieses Bildes, die Madonna mit dem Kinde, vom schirmenden Boten des Himmels geführt, im tiefen Dunkel des verschlungenen Waldpfades. Vor der Pracht der Landschaft könnte man diese heimliche Gruppe, die sich verbirgt, wie der Stern der Welt einst den bethlehemitischen Kindesmördern verborgen wurde, fast übersehen. Und doch wird die Landschaft erst vollständig, das Bewußtsein ihrer magischen Gewalt geht dem Beschauer erst dann völlig auf, wenn dieser Schlüssel, dieser Centralpunkt gefunden ist.

Die Mittel Lorrains sind ungeheuer groß. Lebenswarmer, kräftiger, duftiger als diese mit vollendeter Meisterschaft verschmolzenen und abgestuften Farbentöne Lorrains ist die Natur in den einzelnen Zügen, die der Maler harmonisch zusammenfaßt, selbst nicht. Eine transparente Leichtigkeit der Farbengebung dient dazu, Lorrains anmuthige Umrisse mit einer Eleganz zu umkleiden, die nicht weniger selten ist, als der dichterische Werth seiner landschaftlichen Schöpfungen.

Die Flucht nach Aegypten ist eine von Claude Lorrains Perlen. Nicht minder berühmt ist das Seestück mit Acis und Galathea, welches die Dresdener Gallerie bewahrt. Eine große Anzahl von Lorrains schönsten Blldern befinden sich in England theils im Besitze der Nation, theils von verschiedenen Großen. Seine größten Meisterwerke, die vier Tageszeiten, dem Kurfürsten von Hessen, dann der Kaiserin der Franzosen, Josephine, angehörend, befinden sich jetzt in der kaiserlichen Eremitage in Petersburg.