Die Erzgebirgische Societätsbäckerei u. Brauerei in Cainsdorf bei Zwickau
Auch über die Bäcker ist das Schicksal ergangen, wie über so viele andere Handwerker, denen die fabrikmäßige Anfertigung ihrer Waaren einen bedeutenden Theil der Beschäftigung früherer Zeiten aus der Hand nahm, was unleugbar für den Einzelnen oft großen Nachtheil, für das Ganze aber bedeutende Vortheile hat. Zu den Vortheilen gehört, daß die Consumenten die Waaren bedeutend billiger erhalten, und dann, da die Fabriken in der Regel ihr Augenmerk auf Einführung der neuesten Verbesserungen richten und auch richten müssen, wollen sie sich nicht von Nebenbuhlern überflügeln lassen, auch die kleineren Fabrikanten und Handwerker aus dem beliebten alten Schlendrian herausgerissen und auf die Bahn des Fortschrittes getrieben werden, wollen sie anders nicht an ihrem eigenen Ruin arbeiten.
Wohl hatte es den Anschein, als müßte grade das Bäckergewerbe dasjenige sein, welches von solchen Verhältnissen unberührt blieb, schon darum, weil man annahm, bei der massenhaften Produktion der Brodfabriken müsse viel Brod längere Zeit liegen bleiben, und somit altbacken werden, wohl auch Schimmel zutreten und das Gebäck trotz aller Vorsicht dem Verderben anheimfallen, aber altbackenes Brod ißt bekanntlich Niemand gern, und in dem guten Glauben: „der Schimmel macht helle Augen“ wird gewiß auch Niemand verschimmeltes Brod essen, wenn er frisches haben kann. – Als man aber die Sache nur erst ernstlich versucht hatte, fanden alle gegen die Anlegung von Brodfabriken erhobenen Einwände in der Erfahrung ihre beste Widerlegung. Man fand, daß sich dieser Fabrikzweig mit Erfolg im Großen betreiben ließ, so gut wie jeder andere, oder eigentlich mit mehr Erfolg, denn Brod ist kein Modeartikel und kann also auch nie durch die launische Göttin Mode beeinträchtigt, oder wohl gar zu Grunde gerichtet werden, wie es bei anderen industriellen Etablissements häufig der Fall ist, die allein auf die Mode gegründet, auch durch die Mode fallen.
Der Anfang zu den Brodfabriken wurde dadurch gemacht, daß man in verschiedenen Landgemeinden Gemeindebäckereien anlegte, wo das Brod gleich in Masse gebacken wurde, und das einzelne Hausbacken wegfiel, und man fand, daß das Brod auf die Weise, wenn auch nicht immer besser war – denn dieses hängt zu sehr von der Beschaffenheit des Mehls und von der praktischen Tüchtigkeit des Bäckers ab – so doch mit weit weniger Kostenaufwand, namentlich mit ansehnlicher Ersparung des Heizungsmaterials hergestellt wurde. Diese Resultate riefen da und dort Nachahmungen hervor, doch nur in Landgemeinden und nicht in dem Grade, wie es bei der Sache wohl wünschenswerth wäre; in den Städten konnte sich diese Einrichtung nur in den allerseltensten Fällen Eingang erzwingen, da die Bäckergerechtigkeit mit allen ihren Anhängseln sich ihr hindernd in den Weg stellt und die Bäcker sich für ihre Person weit besser standen, wenn sie bei dem alten Verfahren blieben.
In Folge der bekannt gewordenen Resultate der Gemeindebacköfen wurden nun in Frankreich, Belgien [117] u.s.w. die ersten Versuche in großartigerer fabrikmäßiger Herstellung des Brodes gemacht und diese drängten zur Annahme neuer Verbesserungen, so wurden Backöfen neuesten Systems gebaut und Knetmaschinen eingeführt, wodurch man nicht nur in Stand gesetzt war, große Massen Teig auf einmal zuzubereiten, sondern das ganze Verfahren reinlicher und somit auch weit appetitlicher wurde. Wird doch so oft darüber Klage geführt, daß es in manchen Backstuben keineswegs so reinlich zugeht, wie es sein soll und wirklich ist auch manches Mal ein Blick in eine solche Bäckerwerkstatt hinreichend, um einem den ganzen Appetit nach Brod gewiß auf viele Tage zu verleiden. – Nun stellte es sich auch heraus, daß die Brodfabriken das Brod wohlfeiler und folglich auch besser und schneller verkaufen konnten als viele Bäcker, die ihr Gebäck nur mit vielem Aufwande von Brennmaterialien herzustellen vermochten, indem sie in der Regel bei ihren alten Backöfen bleiben, die zum großen Theil fast noch ganz so sind, wie sie vor zweitausend Jahren bei den Griechen und Römern waren, wie die Ausgrabungen in dem im Jahre 79 nach Christo durch einen Aschenregen aus dem Krater des Vesuv verschütteten Pompeji bewiesen haben. Die Backöfen haben in der letzten Zeit überhaupt viele Verbesserungen erfahren, doch sind manche dieser Verbesserungen von sehr zweifelhaftem Werth, und will man gerecht sein, so muß man sagen: trotz allen seinen Mängeln ist der Backofen der guten alten Zeit ungleich schätzbarer und praktischer, als manches kostspielige Bauwerk neuesten Systems.
Die erste Knetmaschine wurde im Jahr 1811 von dem Meister Lambert in Paris gebaut und er nannte sie Lambertine nach seinem Namen, doch hat sie dem Erfinder keineswegs die gehoffte Unsterblichkeit errungen, sie glich einem Butterfasse, war nicht hinlänglich zweckentsprechend und gelangte nie in Aufnahme. Seit jener Zeit sind über dreißig verschiedene Maschinen construirt worden, von denen die des Engländers Clayton ohne Widerrede die sinnreichste und praktischste ist.
Auch Deutschland konnte sich der Einrichtung von Brodfabriken nicht lange mehr verschlossen halten, und das erste derartige größere Etablissement entstand in Berlin. Dann folgten andere Orte und auch die sächsischen Städte blieben nicht zurück. In Sachsen entstanden die Brodfabriken in der Hofmühle in Plauen bei Dresden, in Dresden selbst, in Leipzig, Chemnitz u.s.w.
In Zwickau, welches, so wie seine Umgegend, in Folge seiner unerschöpflichen Kohlengruben einen so überraschend schnellen Aufschwung in industrieller Hinsicht genommen, war schon längere Zeit die Rede gewesen, eine Brodfabrik zu gründen, und so die Umgegend im weitesten Kreise mit gutem und billigem Brod zu versorgen, Herr Johann Gottlieb Claus sen., Fabrikant in Zwickau, nährte diese Idee vorzüglich und nahm sich deren Ausführung mit so regem Eifer an, daß er als eigentlicher Gründer des ganzen Unternehmens zu betrachten ist.
Es bildete sich ein Verein zum Zweck der Anlage einer Brodfabrik und einer Lagerbierbrauerei, und auch die Anlage einer Mahlmühle wurde beschlossen, da man von der Ansicht ausging: wolle man ein wirklich gutes Brod herstellen und des Gelingens stets gewiß sein, so müsse man auch das Material dazu, das Mehl, selbst bereiten.
Man beschloß die Ausgabe von dreitausend Stück Actien à siebzig Thaler, und nachdem von diesen eintausendvierhundert Stück gezeichnet waren, und man auch den dazu geeigneten Platz in Cainsdorf bei Zwickau erworben hatte, wurde im Jahre 1856 der Bau und zwar zunächst mit dem Bäckereigebäude begonnen. Der Betrieb der Bäckerei und der Mühle konnte schon im Jahre 1857 eröffnet werden, der der Brauerei im Jahre 1858. Vollendet wurden sämmtliche Gebäude im Jahre 1859. – Der Betrieb hat seinen guten Fortgang und hat sich von Jahr zu Jahr wesentlich erweitert.
Sehr wohlthätig zeigte sich dieses Etablissement im Jahre 1859 während der großen Ueberschwemmung durch die Mulde, indem von hier aus nicht nur die Stadt Zwickau sondern auch die ganze Umgegend mit Brod versorgt wurde.
Dieses unter der Firma [118]
- Erzgebirgische Societäts-Bäckerei und Brauerei in Cainsdorf
bestehende Etablissement liegt eine kleine Stunde von Zwickau, an dem linken Muldenufer und an der obererzgebirgischen Staatseisenbahn, mit welcher es durch eine Zweigbahn verbunden ist, und hat in seiner nächsten Nachbarschaft das großartige Eisenhüttenwerk „Königin Marienhütte“ – in deren Nähe sich auch der Haltepunkt der Eisenbahn befindet –, die Steinkohlenwerke zu Planitz, Bockwa, Oberhohndorf u.s.w., und die wohl renommirte, interessante Geitnersche Treibegärtnerei auf den brennenden Kohlenflötzen zu Planitz.
An Gebäuden umfaßt das Etablissement
- a) das Comptoir mit Directoralzimmer;
- b) das Bäckereigebäude mit vier Backöfen für Steinkohlenfeuerung, erbaut von Karl Hedrich in Glauchau, welche täglich zehn- bis elftausend Pfund Brod liefern;
- c) das Mühlengebäude mit dem Local für Brod- und Mehlverkauf; die Mühle ist nach amerikanischem System, hat vier Mahlgänge, ist aber für acht dergleichen angelegt;
- d) das Maschinen- und Kesselhaus, mit einer Dampfmaschine von dreißig Pferdekraft und es ist für den weiteren Betrieb eine zweite dergleichen noch aufzustellende Maschine fundirt;
- e) die Stallung für Pferde, Ochsen und Schweine mit dazugehöriger Knechtwohnung und den nöthigen Futterräumen;
- f) das Brau- und Malzhaus, welches so groß angelegt ist, daß jährlich zwanzigtausend Eimer Lagerbier gebraut werden können;
- g) das Kühl- und Faßhaus mit unterbauten Sommerbierkellern;
- h) das Maschinen- und Kesselhaus für den Brauereibetrieb, die Dampfmaschine hat fünf Pferdekraft, pumpt das zum Brauen erforderliche Wasser aus der Mulde, treibt die Maischmaschine, Bier- und Würzpumpen, so wie den Malz- und Gerstenaufzug;
- i) das Aufzugschachtgebäude mit mechanischem Triebwerk für die Mühle und Brauerei zur direkten Verbindung mit der Zweigeisenbahn; und
- k) ein Beamtenhaus mit Garten.
Das Etablissement besitzt außerdem noch ein Wiesengrundstück und einen Theil Waldboden und es ist für Erweiterungen der Gebäude, sollten sich dieselben noch nothwendig machen, hinreichender Raum vorhanden.
Das gesammte Etablissement umfaßt Bäckerei, Müllerei und Brauerei, und erzeugt sonach Brod, Mehl und Bier, welches in der nächsten Umgegend und der Stadt Zwickau, wie aber auch, insbesondere Bier, nach Außen versandt wird. Die Nachfrage nach allen Erzeugnissen ist bisher stets so stark gewesen, daß ihr kaum genügt werden konnte.
Wie schon erwähnt, besitzt das Etablissement zwei Dampfmaschinen, außer diesen sind noch diverse Hilfsmaschinen mit Transmissionen vorhanden.
Das Etablissement steht unter Leitung des Herrn Heinrich August Becker, als Direktor des Vereins. Angestellt sind ferner ein Buchhalter (Herr Bernhardt Littmann), ein Inspektor (Herr Albert Eisner), ein Braumeister (Herr Döschenmeyer), ein Obermüller, ein Oberbäcker, ein Hausverwalter, und fünfunddreißig bis vierzig Personen.
Das Etablissement hat in den nächst gelegenen Orten der Umgebung, außerdem in Zwickau, Leipzig, Berlin, Breslau u.s.w. Verkaufsetablissements.
Noch sei bemerkt, daß ein Hedrichscher Ofen allein täglich fünftausend Pfund Brod zu liefern im Stande ist, und es hat sich hier herausgestellt, daß wenn man den Karren (fünf Dresdner Scheffel) Steinkohle zu 1 Thlr. 15 Ngr. rechnet, dreihundertundsechzig Pfund Brod mit zwei Neugroschen Aufwand für Feuerungsmaterial gebacken werden, während das Backen einer gleichen Menge Brod in mit Holz geheizten Oefen neun und einen halben Neugroschen (die Klafter zu sechs Thalern gerechnet) in Anspruch nimmt.
[119] Ein Besuch dieses Etablissements ist höchst interessant, und man kann hier ohne Schwierigkeiten dem ganzen Verfahren der Brodbereitung folgen. – Von dem Mehlboden wird das Mehl durch schrägliegende Trichter in Drahtcylinder geführt, wo es gesiebt wird und sich in einen Kasten mit verschiedenen Fächern entleert, je nach der mehr oder minder schweren Beschaffenheit. Das locker herabgefallene Mehl in Haufen wird hier vorläufig erwärmt, sodann aber werden in den Mehlfässern kleine Partien abgewogen und in die Nähe eines Ofens gestellt.
Ein hochliegender Behälter enthält das zur Teigbereitung nöthige Wasser, welches durch die Nähe der Backöfen warm erhalten und nach dem Abgange durch ein von Dampf getriebenes Pumpwerk ersetzt wird. Nun wird Mehl und Wasser der Knetmaschine zugeführt, in welcher sich schon der Sauerteich befindet, und hier, zu dem Teige verarbeitet; ist dieser Teig hinreichend geknetet, so küppt man den Trog um und der Teig wird durch die Maschine in einen unteren auf Rädern ruhenden Trog geschoben, worauf man ihn auf einer durch den Saal laufenden Eisenbahn bis an das Ende derselben, wo er durch eine Maschinerie auf höher liegende Schienenstränge gehoben und durch neuhinzukommende Tröge immer weiter vorgeschoben. Hier oben geht der Gährungsprozeß vor sich, nach dessen Beendigung der Teig nochmals in die Knetmaschine kommt und unter Zusatz von neuem Mehl von dieser nochmals durchgearbeitet wird. Ist dieses geschehen, kommt der Teig wieder in den unteren Trog, der nun auf einem zweiten Schienenwege in die Wirkstube gerollt wird, wo der Teig ausgewirkt, abgewogen und zu Broden geformt wird, die auf Gerüsten nach den Oefen befördert werden. Die fertigen und ausgekühlten Brode werden dann mittelst eines Aufzuges in die Brodniederlage gehoben und sind nun zum Verkauf bereit. Ueberall verrichtet der Dampf die mechanischen Arbeiten und es herrscht überall die größte Ordnung und Pünktlichkeit, so wie auch über die größte Reinlichkeit bei allen Verrichtungen, geschehen sie nun durch Maschinen oder durch Menschenhände, gewacht wird.
Dieselbe Ordnung und Pünktlichkeit herrscht auch in der Mühle und in der Brauerei, wo man nicht minder die zweckmäßigsten Einrichtungen findet.
Die von der obererzgebirgischen Eisenbahn abzweigende Bahn führt in die Felsenkeller unter der Brauerei, wo die mächtigen Tonnen mit dem köstlichen Lagerbier sogleich verladen und unmittelbar aus dem Keller in alle Welt versendet werden.