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Die Elektricität im Dienst der Heilkunde

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Titel: Die Elektricität im Dienst der Heilkunde
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, 26, S. 425, 432–434, 508–510
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[425]

Elektrisationsmethode im vorigen Jahrhundert

[432]

Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit.

Die Elektricität im Dienst der Heilkunde.
I.

Scheinet es nicht, geneigter Leser, als wenn wir jetzo in einem elektrischen Seculo lebten? Man höret in unseren Tage von keiner Materie so viel sprechen, als von der Elektricität. Die öffentlichen Zeitungen haben bishero beinahe mehr von dem elektrischen als kriegerischen Feuer Meldung gethan. Schon damalen, vor ohngefähr zehen Jahren, als die Elektricität in Deutschland wiederum mehrers getrieben und bekannt wurde, waren derselben Versuche als neue Wunder, ja, wenn ich es frey sagen darf, zuweilen als Hexereyen von vielen Zuschauern gehalten und aligesehen.“ Also beginnt Herr Johann Gottlieb Schäffer, der Weltweisheit und Arzneigelahrtheit Doktor und praktischer Arzt zu Regensburg, die Vorrede eines im Jahre 1752 herausgegebenen Werkes „Die elektrische Medicin oder die Kraft und Wirkung der Elektricität in dem menschlichen Körper und dessen Krankheiten“ in welchem er die mannigfachsten mittels elektrischer Apparate erzielte Heilungen, insbesondere gelähmter Personen, schildert. Sollte man nicht glauben, diese einleitenden Worte zu einem für die damalige Zeit höchst beachtenswerthen und mit wissenschaftlicher Strenge durchgeführten Werkchen wären in unserem Jahrzehnte geschrieben? In der That war das allgemeine Interesse, welches die großen Entdeckungen Benjamin Franklin’s auf dem Gebiete der Elektricitätslehre im vorigen Jahrhundert hervorriefen, ganz analog der heutige Bewegung! Es waren nicht nur Männer der Wissenschaft, welche im vorigen Jahrhundert diesem neuen Zweige der Naturlehre ihre Aufmerksamkeit zuwendeten, sondern in den höchsten Kreisen, an den großen und kleinen fürstlichen Höfen damaliger Zeit galt es als „standesmäßig“, sich mit elektrischen Studien und elektrischen Experimenten zu befassen.

Eine der damals üblichen Methoden der Elektricitäts-Erzeugung ist aus unserer Abbildung (S. 425) ersichtlich. Mittels des von einem Abbé gedrehten großen Schwungrades einer Guericke’schen Elektrisirmaschine wird eine Schwefelkugel in rasche Umdrehung versetzt, welcher der linksstehende Kavalier dadurch, daß er durch Andrücken seiner gut getrockneten Hände die Kugel reibt, Elektricität entlockt. Diese eigenthümlich erzeugte Reibungs-Elektricität findet ihren Weg durch den Körper eines Mannes, [433] welcher auf einem an seidenen Stricken befestigten Brette schwebt. Derselbe läßt den elektrischen Strom durch einen mit einem Ringe versehenen Metallstab über dem Kopfe der rechts sitzenden Dame ausstrahlen, wodurch die Haare derselben angezogen werden. Der elektrische Strom fließt durch den Körper der Dame in die Erde ab. Durch diese Art von isolirter Körperstromleitung sollte die Wirkung der Elektricität erhöht werden. Mittels solch primitiver Methode der Elektricitäts-Erzeugung wurden trotzdem im vorigen Jahrhundert manche merkwürdige Heilresultate erzielt, von denen die Chroniken jener Zeit zu berichten wissen.

In Folge der Ende des vorigen Jahrhunderts (in dem Jahre der großen französischen Staatsumwälzung 1789) von Galvani entdeckten Berührungs-Elektricität, des Galvanismus, wobei bekanntlich durch Berührung von Metallen und erregenden Flüssigkeiten in einfacher Weise Elektricität entsteht, wurde die sogenannte Reibungs-Elektricität, die man mittlerweile durch sich drehende geriebene Glasscheiben zu erzeugen gelernt hatte, für die praktische Verwendung in den Hintergrund gedrängt.

Nicht nur die Vervollkommnung und Vereinfachung der Erzeugung elektrischer Ströme hatte zu einer Aenderung in deren Anwendungsweise für den menschlichen Körper Veranlassung gegeben, sondern auch die hohe Entwickelung der Elektrophysiologie in unserem Jahrhundert verdrängte die Reibungs-Elektrisirmaschine, indem die Physiologen sich vornehmlich bei ihren Untersuchungen mit Erfolg des galvanischen Stroms bedienten.

Krankenbehandlung in dem elektrotherapeutischen Kabinet des Professors Charcot auf der Salpétrière zu Paris.

Es ist von hervorragenden deutschen und ausländischen Gelehrten, in erster Linie durch die auf diesem Gebiete bahnbrechenden Arbeiten des Berliner Professors Dubois-Reymond, erwiesen worden, daß der thierische und menschliche Körper selbst elektrische Ströme zu erzeugen vermag. An ausgeschnittenen Muskel- und Nervenstücken lassen sich mit feinen Meßinstrumente elektrische Ströme nachweisen, ja es ist sogar experimentell schon vor vielen Jahren die Beobachtung gemacht worden, daß die Magnetnadel eines sehr empfindlichen, bei physiologischen Forschungen benutzten Meßinstruments, des sogenannten Multiplikators, ausschlägt, wenn eine Anzahl von Menschen dadurch, daß sie sich gegenseitig die Hände reichen, eine Kette bilden und die letzten dieser Kette je ein cylindrisches Metallstück zur Hand nehmen, das durch eine Drahtleitung mit dem erwähnten Zeigerapparat in Verbindung gebracht ist. Wenn nun auf ein gegebenes Zeichen die in die Kette Eingeschlossenen eine kräftige Beugung des Vorderarmes vornehmen, schlägt die Magnetnadel des Zeigerapparates nach einer bestimmten Seite aus, ein Beweis, daß ein elektrischer Strom vorhanden war, welcher jene Bewegung der Nadel verursachte. Unter den Thieren ist es insbesondere der Frosch, welcher mannigfach zu einschlägigen Experimenten herhalten mußte. Bekanntlich hat auch Galvani in Folge Experimentirens mit frisch getödteten Fröschen seine große oben erwähnte Entdeckung gemacht. Die Elektricitäts-Erzeugung im lebenden Körper dient einer Anzahl von Thieren sogar zur Fristung ihres Lebens. Die elektrischen Fische, Raja torpedo, der Zitterrochen, Gymnotus electricus, der Zitteraal und Malopterurus electricus, der Zitterwels, besitzen eigenthümliche, nach Dubois-Raymond zu dem Muskelsystem gehörige elektrische Organe, die vom Gehirn aus regiert werden. Mit diesen elektrischen Organen vermögen die Thiere je nach ihrer Größe und ihrem Alter kleinen beziehungsweise größeren Thieren, ja sogar im Wasser in ihre Nähe kommenden Menschen lähmende, unter Umstanden den Tod herbeiführende elektrische Schläge auszutheilen. Die Thiere benutzen diese Kraft sowohl als Waffe zur Vertheidigung gegen äußere Angriffe, als auch aggressiv zur Beschaffung der nothwendigen Nahrung. Die willkürliche Verwendungsweise der diesen Thieren eigenen elektrischen Energie wird durch die Ganglienzellen ihres Gehirns bestimmt, welche durch Nervenstränge mit dem elektrischen Organ verbunden sind.

Auch die Muskelthätigkeit der höheren Thiere und des Menschen hängt von großen Nerven- und Ganglienzellen ab, welche im Rückenmark und im Gehirne ihren Sitz haben. Von diesen Organen gehen alle Lebensthätigkeiten aus. Ob es sich bei der Uebersetzung des Willens in Muskelbewegung um ein elektrisches oder ein anderes Nervenfluidum handelt, ist bis jetzt trotz der mannigfachsten physiologischen Untersuchungen noch nicht erwiesen. So viel aber steht fest, daß durch von außen auf Gehirn, Rückenmark, Nerven und Muskeln einwirkende elektrische Ströme alle Arten von Bewegungen bei gesunden Thieren und dem gesunden Menschen ausgelöst, sowie daß die mannigfachsten Lebensthätigkeiten, die im Muskelsystem, in den feinsten Vertheilungsbezirken des Blutes, oder in den Drüsen vor sich gehen, durch von außen in geeigneter Weise einwirkende elektrische Ströme zu erhöhter Thätigkeit gereizt werden können. Funktionelle Störungen auf den betreffenden Gebieten werden durch für jeden einzelnen Fall in ihren Eigenschaften richtig zu wählende elektrische Ströme wieder zu normaler Thätigkeit in vielen Fällen zurückgeführt. Welche Apparate und Methoden heut zu Tage zu diesem Zwecke in Gebrauch, und welche Schranken der elektrischen Behandlung von Krankheiten gezogen sind, soll durch die folgenden Erörterungen klargelegt werden.

Die, wie oben erwähnt, schon im vorigen Jahrhundert zu Heilzwecken benutzte, aber gänzlich in Vergessenheit gerathen gewesene Reibungselektricität ist jüngst wieder zu namhafter Geltung gekommen. Vor mehreren [434] Jahren (1877) zog nämlich der berühmte Nervenarzt Professor Charcot in Paris in Folge des Studiums jener alten Schriften die Elektrisirmaschine für ärztliche Zwecke von Neuem in den Bereich seiner Thätigkeit. Freilich waren mittlerweile auch die maschinellen Vorrichtungen der sogenannten statischen Elektricitätserzeugung durch geeignete neue Konstruktionen bedeutend verbessert worden und zu einer gewissen Vollkommenheit gediehen. Dr. Holtz, früher in Berlin, und Professor Töpler in Dresden konstruirten sogenannte Influenz-Elektrisirmaschinen, welche es ermöglichten, kontinuirliche elektrische Ströme von hoher Spannung für gewisse Zwecke der elektrischen Heilkunst zu erzeugen und zu verwenden. Unsere Abbildung (S. 433) stellt das große elektrotherapeutische Kabinet des Professor Charcot in Paris dar, welches derselbe auf seiner Abtheilung in der Salpêtrière, einem großen Krankenhause für Nerven- und Gemüthskranke, hat einrichten lassen.

Fast alle in der modernen Elektrotechnik in den jüngsten Jahren zu Tage getretenen Errungenschaften werden in dem erwähnten großen Heilinstitute zu Paris verwerthet. Zwei große, durch Glaskasten vor Staub geschützte Influenz-Elektrisirmaschinen werden mittels Transmissionsriemen in rasche Umdrehung versetzt und geben ihre Ströme an die auf dem Tabourete sitzenden Personen ab. Die bewegende Kraft wird durch eine Dampfmaschine erzeugt, welche in einem dem elektrotherapeutischen Kabinette benachbarten Gebäude steht, und mittels Dynamomaschine und Transmissionswellen den beiden Influenzmaschinen zugeführt.

Von den positiven Polen derselben führt je ein Leitungsstab auf das Elektrisirtabouret, während von den negativen Polen die negative Strömung zur Erde geleitet wird und von hier aus durch eine Kette dem Elektrisirstabe des behandelnden Arztes zufließt.

Im Hintergrunde des Saales, auf unserem Bilde links, sehen wir einen Elektrisirtisch mit den verschiedensten elektrotherapeutischen Apparaten und Meßinstrumenten zur Behandlung mittels des galvanischen Stroms. Im Vordergrunde des Bildes erklärt der ärztliche Dirigent der Anstalt einem besuchenden Arzte die interessanten Apparate und deren Wirkungsweise. Der Zudrang zu dieser öffentlichen Heilstätte ist so groß, daß täglich zwei- bis dreihundert Patienten daselbst Hilfe suchen; es muß daher immer eine größere Zahl von Leidenden zugleich, wie es unsere Abbildung zeigt, dem elektrischen Strome ausgesetzt werden. Auf die Krankheitsformen, welche sich zur Behandlung mit den erwähnten hochgespanten Strömen eignen, ebenso wie auf die Anwendung des galvanischen und faradischen Stroms zu Heilzwecken, werden wir in einem zweiten Artikel zurückkommen.


[508]
II.

Die im Dienste der Heilkunde zur Geltung kommenden elektrischen Ströme sind dreierlei Art. Sowohl die durch Reibungs- und Influenzmaschinen erzeugte Elektricität, als auch der einfache galvanische Strom und der unterbrochene oder sogenannte Induktionsstrom kommen je nach Lage des Erkrankungsfalles zur Verwendung. Thatsache ist, daß der Strom der Influenzelektrisirmaschine vornehmlich durch Fernwirkung einen gewissen Einfluß auf den menschlichen Körper ausübt, während der galvanische Strom eine größere chemische, zugleich die Nervenkraft hebende Eigenschaft besitzt und der unterbrochene, der faradische Strom geeigneter erscheint, mechanische Wirkungen hervorzurufen, Muskelbewegungen auszulösen und in gewissen Fällen durch seine der Heilgymnastik ähnlichen Wirkungen die Ernährung des Körpers im Allgemeinen zu heben. Der Strom der aus der Schulzeit den Meisten schon bekannten Reibungselektrisirmaschinen ist demnach vorzugsweise am Platze, wenn auf das Nervensystem im Allgemeinen eingewirkt werden soll, und kommt bei Behandlung der Allgemeinerkrankungen desselben in Betracht; hierher sind die Fallsucht, die Starrsucht, das Zittern, die Schüttellähmung, der Veitstanz und die Hysterie zu rechnen. Die in der That bewundernswerthen Heilresultate, welche Professor Charcot in seinem in unserem ersten Artikel geschilderten heilelektrischen Institute zu Paris erzielte, gehören vorzugsweise in dieses Gebiet der Nervenkrankheitslehre.

Eine höchst bemerkenswerthe heilkräftige Beeinflussung der atmosphärischen Luft hat der Strom der in unserem ersten Artikel („Gartenlaube“ Seite 433) abgebildeten großen Maschinen durch deren reichliche Ozonbildung zur Folge. Die Luft, die wir athmen, besteht bekanntlich aus Sauerstoff, dem Lebensgase, und Stickstoff. Wird der Sauerstoff der Luft elektrischen Einflüssen ausgesetzt, so gewinnen seine belebenden Eigenschaften einen höheren Grad der Wirksamkeit; der in dieser Weise elektrisirte Sauerstoff wird mit dem Namen „Ozon“ bezeichnet, da er einen eigenthümlichen stärkenden Geruch annimmt und das altgriechische Wort „ozein“ in dieser Sprache den Begriff „riechen“ im Sinne von „ausdünsten“ bezeichnet. Der erfrischende und belebende Einfluß auf das Nerven- und Gemüthsleben, den wir bei einem Spaziergange nach einen heftigen Gewitter empfinden, ist ausschließlich die Folge jener eigenthümlichen Ozonbildung, welche in der Atmosphäre in Folge der elektrischen Entladungen der Gewitter entsteht.

Es ist durch namhafte Aerzte, insbesondere in jüngster Zeit durch den Professor der Arzneimittellehre Dr. Binz in Bonn, erwiesen, daß sowohl der natürliche Ozongehalt der Atmosphäre, als auch künstlich erzeugte Ozonluft einen außerordentlich günstigen Einfluß auf Nervenleidende auszuüben im Stande ist und insbesondere durch Einathmung von Ozon eine nachhaltige schlafbringende Wirkung erzielt wird.

Die Verwendung der zweiten Elektricitätsgattung, des galvanischen Stroms – von dem verstorbenen Professor R. Remak zu Berlin in die ärztliche Praxis eingeführt – ist am Platze, wenn auf das Gehirn und das Rückenmark eingewirkt werden soll, sowie in den Fällen, wo [509] eigenthümliche örtliche Veränderungen in den Eigenschaften der Nerven angestrebt, und drittens, wenn Vorgänge speciell chemischer Natur im menschlichen Körper erregt werden sollen. Die dritte Stromesgattung, der unterbrochene oder faradische Strom, dessen Einführung in die Praxis wir dem französischen Arzte Duchenne de Boulogne verdanken, wird zumeist dann empfohlen, wenn es sich um eine Kräftigung des Muskelsystems, um Muskelübungen nach stattgehabten Lähmungen, um Hautreize sowie um eine Erhöhung der Thätigkeit der Unterleibsorgane und als Folge hiervon um Kräftigung des Gesammtorganismus bei Schwächezuständen handelt. Auch auf dem Gebiete der Chirurgie wird der elektrische Strom benutzt, und zwar theils zu Aetzungen, theils zur Zerstörung von Geschwülsten.

Leiten wir einen galvanischen Strom durch eine schwach salzhaltige Flüssigkeit, so wird letztere vollkommen zersetzt; die Salze zerspalten sich in ihre Urformen und begeben sich deren kleinste Theilchen, je nachdem sie geeigenschaftet, entweder an den positiven oder negativen Pol des eingeleiteten Stromes. Gleichzeitig zersetzt sich das Wasser in seine Bestandtheile, Wasserstoff und Sauerstoff. Wird nun in ähnlicher Weise ein elektrischer Strom in eine Geschwulst eingeleitet, entweder dadurch, daß man zwei befeuchtete, mit dem Strome in Verbindung stehende Platten auf die Geschwulst aufsetzt, oder daß man mit dem Strome verbundene Nadeln in die Geschwulst einsticht, so entsteht eine Zersetzung der in der Geschwulst vorhandenen Säfte; die Ernährung der Mißbildungen wird durch den elektrischen Strom beeinträchtigt; diese zerfallen allmählich in ihre Einzelbestandtheile und verschwinden nach mehrfacher Wiederholung des Experimentes allmählich vollkommen. – Die geheimnißvolle Heilwirkung des galvanischen Stroms auf das Nervensystem wird von hervorragenden Autoritäten theils ebenfalls auf chemische Wirkungen, theils auf noch nicht hinreichend erklärte Effekte zurückgeführt, durch welche die Ernährungsverhältnisse der Nerven im Allgemeinen gebessert und insbesondere die Schmerzen bei sogenannten Neuralgien gelindert werden.

Die sogenannten elektromotorischen nerven- und Muskelpunkte des Armes und der Hand.

Der galvanische und faradische Strom werden aber nicht nur in der Medicin zu Heilzwecken benutzt, sondern auch zur Erkennung von Krankheiten herangezogen. Während der galvanische Strom mehr über das Verhalten der Nerven Aufschluß giebt, zeigt der faradische Strom eine gesunde oder krankhaft afficirte Muskelthätigkeit an, welche bei beiden Stromesarten in eigenthümlichen, sichtbaren Muskelzuckungen zur Beobachtung gelangt. Aus derartigen Erscheinungen vermag der Arzt Schlüsse auf den Grad der Erkrankung des Nerven- und Muskelsystems zu ziehen.

Wie wichtig die Kenntniß der Anwendung elektrischer Ströme ist, geht aus unserer oberen Abbildung hervor, woselbst in den Arm eines Menschen diejenigen sogenannten Muskel- und Nervenpunkte eingezeichnet sind, an welchen die üblichen Elektrisirknöpfe aufgesetzt werden müssen, um unter Zuhilfenahme der richtig gewählten Stromstärke die gewünschten Wirkungen zu erzielen. In gleicher Weise sind über den ganzen menschlichen Körper zerstreut Nerven- und Muskelpunkte unter Zugrundelegung anatomischer und physiologischer Forschungen aufgefunden worden, die insbesondere bei den oben erwähnten elektrischen Untersuchungen des erkrankten Körpers eine bedeutende Rolle spielen und deren Kenntniß als die Grundlage der gesammten modernen Elektrotherapie aufzufassen ist. – Neben der Elektrisation einzelner Körpertheile wurde in den jüngsten Jahren in Folge bahnbrechender Arbeiten zweier amerikanischer Aerzte, Beard und Rockwell, noch die sogenannte allgemeine Elektrisation in den Bereich der Thätigkeit der Heilwirkungen des elektrischen Stromes gezogen und als ein Specifikum gegen eine Erkrankung des Nervensystems erkannt, welche heut zu Tage leider eine ungemeine Verbreitung gefunden hat. Die rasche Arbeit unserer Zeit, die Anforderungen, welche das moderne Kulturleben im Kampfe ums Dasein an den Einzelnen stellt, die Ueberanstrengung der Kräfte zu geistiger Arbeitsleistung sowie die moderne Genußsucht rufen bei vielen, welche der sogenannten gebildeten Klasse angehören, jene nervöse Abspannung hervor, die den vierzigjährigen Mann zum Greise umwandelt, dem jugendfrischen Weibe den Stempel der Bleichsucht auf die Stirn drückt und jenes vielgestaltige Nervenleiden zeitigt, das unter dem Namen der Neurasthenie oder Nervenschwäche in den jüngsten Jahren mannigfach beobachtet worden ist.

Hydro-elektrisches Bad mit Batterieschrank und Stromregulirungsapparaten.
Von R. Blänsdorf’s Nachfolger in Frankfurt a. M.

Die Ausübung der gegen dieses Leiden gerichteten, oben erwähnten Heilmethode ist aber sowohl für den behandelnden Arzt, als für den Patienten eine in hohem Grade zeitraubende und lästige, da täglich während etwa einer Stunde der gesammte Körper des Patienten mittelst geeigneter Instrumente elektrisch bearbeitet und befahren werden muß – Man hat in dem elektrischen Wasserbade einen Ersatz für jene Methode gefunden, eine Form der Elektrisation, welche ohne Belästigung für Arzt und Patient gestattet, die gesammte Körperfläche der einheitlichen Wirkung des Stromes auszusetzen. In der unteren Figur sehen wir eine elektrische Wasserbad-Einrichtung, wie solche in dem Großherzoglichen Friedrichsbade zu Baden-Baden, auf der Universitätsklinik zu Heidelberg sowie in einigen deutschen Privatheilanstalten für Nervenleidende neuerdings eingeführt worden sind. An der aus Holz gezimmerten Badewanne sind seitlich je drei und oben und unten je eine große, durch Holzrahmen verdeckte Metallplatte eingelassen, welche dem in dem Badewasser befindlichen Patienten elektrische Ströme von allen Seiten her zuführen; solche verdanken ihre Entstehung den in dem beistehenden Schranke befindlichen Apparaten. Der obere offene Theil des Schrankes enthält unter Anderem auch eigenthümliche Richtungsgeber des Stroms, mittelst deren es dem das Bad verabreichenden Arzte ermöglicht ist, in dem Wasser elektrische Strömung von den verschiedensten Stromstärken auf den badenden Körper einwirken zu lassen. Die unleugbaren Wirkungen der Methode, welche mittlerweile von verschiedenen deutschen Aerzten, insbesondere durch Hofrath Dr. Stein (Frankfurt a. M.) in dem Buche: „Die allgemeine Elektrisation zur Behandlung der Nervenschwäche“, sowie durch Dr. Eulenburg (Berlin) und Dr. Lehr (Wiesbaden) in deren Broschüren „Die hydroelektrischen Bäder“ Bestätigung gefunden haben, zeigen sich in folgenden Wirkungen; „besserer Schlaf, rasche und bleibende [510] Wiederkehr des Appetits bei nervöser Dyspepsie, Regelung der Funktionen des Darmkanals, Linderung neuralgischer Schmerzen, Beseitigung der Gemüthsverstimmung, Zunahme des Körpergewichts durch eintretende bessere Ernährung, sowie als Gesammtresultat der Behandlung die sichtliche Mehrung der Fähigkeit zu geistiger und körperlicher Arbeit.“

Leider hat die Einführung derartiger Methoden in die Praxis, trotz ihrer Vorzüge für die leidende Menschheit, den großen Nachtheil, daß das Kurpfuscherthum auch ihrer sich bemächtigte. Es kann demnach nicht nachdrücklich genug davor gewarnt werden, elektrische Kuren von nicht dem ärztlichen Stande angehörigen Personen ausführen zu lassen. Durch unsere anatomische Figur auf S. 509 beabsichtigen wir darauf hinzuweisen, wie wichtig bei der Anwendung elektrischer Ströme die Kenntniß der einzelnen Nervenbezirke sei. Die Elektricität ist in der Hand des Erfahrenen eines der hervorragendsten Heilmittel, in der Hand des Laien unter Umständen ein zerstörendes Gift, insbesondere aber in der Nähe der Centralorgane des Nervensystems, des Gehirns und des Rückenmarks, in ungeeigneter Weise applicirt, weit gefährlicher, als der Inhalt vieler mit dem bekannten Todtenkopfe und einem Ausrufzeichen versehenen Behälter der Apotheke. Wer demnach glaubt, daß eine elektrische Behandlung ihm von Vortheil werden könne, der wende sich vertrauensvoll an seinen Arzt, und dieser wird, falls er sich nicht selbst mit der einschlägigen Specialität befaßt, den richtigen Weg weisen und den geeigneten Mann bezeichnen, bei welchem die entsprechende Hilfe zu finden ist. Nur auf dieser Basis kann sich das die Elektricität als Heilmittel empfehlende Wort des Leiters der Universitätsklinik zu Heidelberg, eines der bewährtesten Forscher auf einschlägigem Gebiete, des Professors Wilhelm Erb, bewahrheiten, wenn derselbe sagt:

„Die Elektricität ist ein so außerordentlich mächtiges und vielseitiges Heilmittel, daß derselben speciell bei den mannigfaltigsten Erkrankungen des Nervensystems so evidente und zweifellose Resultate zugeschrieben werden dürfen, wie kaum einem anderen Mittel. Die Erfahrungen der letzten dreißig Jahre lassen darüber nicht den mindesten Zweifel, daß die Elektricität bei Krämpfen und Lähmungen, bei Erkrankung der Nerven im Allgemeinen, ebenso wie bei solchen des Gehirns und des Rückenmarks im Besonderen, sich hilfreich – oft in ganz eminentem Grade hilfreich – erweisen kann, und daß ihrer Einführung in die Heilkunde eine wesentlich günstigere Beeinflussung mancher Erkrankungsformen zu verdanken ist; es ist nicht zu viel gesagt, wenn wir hier betonen, daß die Heilerfolge nicht selten selbst den kundigen Arzt durch ihre zauberhafte Raschheit und Vollständigkeit in Erstaunen versetzen.“