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Die Edda (Simrock 1876)/Ältere Edda/Gudhrûnarkvidha önnur

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Das andere Gudrunenlied
aus: Die Edda (Simrock 1876)
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Zusammenfassung: 15. Lied der Heldensagen in der „Älteren Edda“
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[208]
31. Gudhrûnarkvidha önnur.
Das andere Gudrunenlied.

König Dietrich war bei Atli und hatte dort die meisten seiner Mannen verloren. Dietrich und Gudrun klagten einander ihr Leid. Sie sprach zu ihm und sang:


1
Die Maid der Maide   erzog mich die Mutter

Im leuchtenden Saal.   Ich liebte die Brüder,
Bis mich Giuki   mit Gold bereifte,
Mit Gold bereifte   und Sigurden gab.

2
So war Sigurd   bei den Söhnen Giukis

Wie über Halme   sich hebt edler Lauch,
Wie hoch der Hirsch ragt   über Hasen und Füchse
Und glutrothes Gold scheint   über graues Silber.

3
Bis mir nicht gönnen   mochten die Brüder

Den Helden zu haben,   den hehrsten aller.
Sie mochten nicht ruhen,   nicht richten und schlichten
Bis sie Sigurden   erschlagen ließen.

4
Vom Thinge traurig   traben hört ich Grani;

Sigurden selber   sah ich nicht.
Alle Rosse waren   roth von Blut
Und in Schweiß geschlagen   von den Schächern.[WS 1]

5
Gramvoll ging ich   mit Grani reden,

Befragte das Pferd   mit der feuchten Wange;
Da senkte Grani   ins Gras das Haupt:
Wohl wuste der Hengst,   sein Herr sei todt.

6
Lange zaudert’ ich,   zweifelte lange

Bevor ich den Volkshirten   frug nach dem König.

[209]
7
Gunnar hing das Haupt;   doch Högni sagte

Mir meines Sigurd   mordlichen Tod:
Jenseits des Stroms (Rheins)   erschlagen liegt er,
Den Guthorm fällte,   zum Fraß den Wölfen.

8
Sieh den Sigurd   gegen Süden dort,

Höre Krähen   krächzen und Raben,
Adler jauchzen   der Atzung froh,
Und Wölfe heulen   um deinen Helden. —

9
„Wie hast du mir, Högni,   des Harms soviel,

Dem wonnewaisen   Weibe gesagt?
Daß Raben und Falken   das Herz dir zerführten
Weiter über Land   als du Leute kennst!“

10
Högni antwortete   mit einem Mal

Des sanften Sinnes   mit Schmerz beraubt:
„Das gäbe dir, Gudrun,   erst Grund zu weinen,
Wenn Mir auch die Raben   zerrißen das Herz!“

11
Vor ihrem Anblick   einsam ging ich da,

Die Brocken zu lesen   von der Wölfe Leichenschmaus.
Ich schluchzte nicht,   noch schlug ich die Hände,
Brach nicht in Klagen aus   wie Brauch ist der Frauen,
Da ich schmerzvoll saß   über Sigurden.

12
Die Nacht dauchte mich   Neumonddunkel,

Da ich sorgend saß   über Sigurds Leiche.
Viel sanfter würden   die Wölfe mir scheinen,
Ließen sie mich   das Leben missen,
Oder brennte man mich   wie Birkenholz.

13
Ich fuhr aus dem Forst;   nach der fünften Nacht

Naht ich den hohen   Hallen Alfs.
Sieben Halbjahre   saß ich bei Thora,
Hakons Maid   in Dänemark.

14
In Gold stickte sie   mich zu zerstreuen

In deutschen Sälen   dänische Wikinge.

[210]
15
Wir bildeten künstlich   der Krieger Spiele,

Die Helden der Herscher   in Handgewirke;
Rothe Ränder,   Recken des Hunnenlands,
Mit Helm und Harnisch   der Herscher Geleit.

16
Vom Strande segelten   Sigmunds Rosse

Mit goldnem Schiffshaupt,   geschnitztem Steuer.
Wir wirkten und webten   die Waffenthaten
Sigmunds und Siggeirs   südlich in Frone.

17
Da hörte Grimhild,   die gotische Frau,

Wie tief ihre Tochter   betraure den Gemahl.
Sie warf ihr Gewebe fort,   winkte den Söhnen,
Das zu erfahren   frug sie und sprach:
Wer Buße wolle   der Schwester bieten,
Den erschlagnen Gatten   vergelten der Frau?

18
Gunnar erbot sich   ihr Gold zu bieten,

Ihren Harm zu sühnen,   und so auch Högni.
Da fragte sie ferner,   wer fahren wolle
Die Säumer zu satteln,   die Wagen zu schirren,
Den Hengst zu tummeln,   den Habicht zu werfen,
Den Bolzen zu schießen   vom Eibenbogen?

19
Waldar den Dänen   und Jarisleif,

Eimod zum dritten   und Jarisskar
Führten sie vor mich,   Fürsten gleich.
Rothe Waffenröcke trugen   des Langbärtgen Recken,
Hohe Helme   und helle Brünnen,
Breite Schwerter,   die braungelockten.

20
Ein Jeder verhieß mir   herlichen Schmuck,

Herlichen Schmuck   mit schmeichelnden Reden,
Ob sie mich möchten   für manches Leid
Auf Trost vertrösten;   aber ich traute nicht.

21
Grimhild brachte   den Becher mir dar,

Den kalten, herben,   daß ich Harms vergäße.
Der Kelch war gekräftigt   aus der Quelle Urds,
Mit urkalter See   und sühnendem Blut.

[211]
22
In das Horn hatten sie   allerhand Stäbe

Röthlich geritzt;   ich errieth sie nicht.
Den langen Lindwurm   des Lands der Haddinge,
Ungeschnittne Ähre   und Eingang von Thieren.

23
Im Gebräude beisammen   war Bosheit viel,

Allerlei Wurzeln   und Waldeckern,
Thau des Heerdes   und Thiergeweide,
Gesottne Schweinsleber,   die den Schmerz betäubt.

24
So vergeben   vergaß ich da

Der Gespräche Sigurds   all im Saal.
Könige kamen   vor die Kniee mir drei
Ehe sie selber   naht’ und sagte:

25
„Ich gebe dir, Gudrun,   das Gold empfange,

Dein volles Erbgut   nach des Vaters Tod,
Blanke Ringe,   die Burgen Hlödwers
Und des todten Fürsten   Fahrniss all.

26
Hunische Töchter,   die Teppiche wirken

Und Goldgürtel,   dich zu ergetzen.
Du allein sollst schalten   über die Schätze Budlis
Mit Gold begabt   als die Gattin Atlis.


Gudrun.
27
Keinem Manne mehr   will ich vermählt sein,

Noch Brynhildens   Bruder haben.
Mir geziemt nicht   mit dem Erzeugten Budlis
Das Geschlecht zu mehren   und zusammen zu leben.


Grimhild.
28
Nicht wolle den Harm   den Helden vergelten,

Begannen wir Giukungen   gleich den Zwist.
So sollst du laßen   als lebten dir beide,
Sigurd und Sigmund,   wenn du Söhne gewinnst.


Gudrun.
29
Nicht mag ich mich mehr   ermuntern, Grimhild,

Und keinem Helden   Hoffnung gewähren,
Seit ich schwelgen   an Sigurds Herzblut
Den Raben sah,   den raubgierigen.

[212]
Grimhild.
30
Ihn hab ich von Allen   den edelstgebornen

Der Fürsten befunden   und in Vielem den besten.
So freie den Fürsten:   bis dich feßelt das Alter
Wirst du verwaist sein,   wählst du nicht Ihn.


Gudrun.
31
Biete mir nicht   das bosheitvolle,

So aufdringlich   mir dieses Geschlecht.
Dem Gunnar giebt er   grimmen Tod,
Schneidet dem Högni   das Herz aus dem Leibe.
Nicht fänd ich dann Frieden   bevor ich das Leben
Gekürzt dem freveln   Kriegsbrandschürer. —

32
Mit Grausen hörte   Grimhild das Wort,

Denn ihren Kindern   kündet’ es Verderben
Und den Untergang   all ihrem Geschlecht.


Grimhild.
33
Noch leih ich dir Land   und Leute viel,

Winbiörg, Walbiörg,   willst du sie haben.
Nimm sie lebenslang   und laß den Zorn.


Gudrun.
34
Nun will ich ihn kiesen   unter den Königen;

Doch wider Willen,   auf der Freunde Wunsch.
Nie wird der Gatte   Glück mir bringen,
Meine Söhne büßen   der Brüder Mord. —

35
Rasch auf die Rosse   saßen die Recken da,

Die welschen Weiber   zu Wagen hoben sie.
Sieben Tage   durchtrabten wir kaltes Land,
Über See setzten   wir sieben andre,
Durch dürre Steppen   gings die dritten sieben.

36
Da hoben die Wächter   der hohen Burg

Das Gitter empor:   durch die Pforte ritten wir.
Atli weckte mich;   aber ich schien ihm
Der Vorahnung voll   von der Freunde Tod.

[213]
Atli.
37
So haben auch neulich   mich Nornen geweckt;

Vergönnte das Graunbild   günstige Deutung!
Ich wähnte dich, Gudrun,   Giukis Tochter,
Mir die Brust durchbohren   mit blankem Dolch.


Gudrun.
38
Der Traum von Dolchen   bedeutet Feuer,

Holde Heimlichkeit   der Hausfrau Zorn.
Ich brenne dir bald   ein böses Geschwür aus,
Ich heile und lindre,   wie leid du mir seist.


Atli.
39
Reiser im Garten   sah ich ausgerißen,

Die ich da wachsen   laßen wollte.
Entrauft mit der Wurzel,   geröthet im Blut
Und aufgetragen,   daß ich sie äße.

40
Ich sah von der Hand   mir Habichte fliegen

Ohne Atzung,   dem Untergang zu.
Ihre Herzen wähnt ich   mit Honig zu eßen
Sorgenschwer,   geschwollen von Blut.

41
Welfe wähnt’ ich   entwänden sich mir,

Ich hörte sie harmvoll   heulen und wimmern.
Ihr Fleisch, fürcht ich,   war faul geworden:
Mit Ekel aß ich   von dem Aase da.


Gudrun.
42
Dir werden Schächer   im Schlafgemach richten,

Den Lichtgelockten   die Häupter lösen:
Sie werden erschlagen   nach wenig Nächten,
Kurz vor Tag, und aufgetischt. —

43
Seitdem lieg ich   den Schlummer meidend

Trotzig im Bette:   thun will ich so.

Anmerkungen (Wikisource)

Siehe auch Anmerkungen des Übersetzers zu diesem Lied.

  1. Schächer – Räuber, Mörder (DWB)