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Die Böhmenkönigin in Schwaben

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Textdaten
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Autor: Gustav Schwab
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Titel: Die Böhmenkönigin in Schwaben
Untertitel:
aus: Gedichte. 1. Band, S. 340–346
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Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: Stuttgart und Tübingen
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Quelle: Google und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[340]

Die Böhmenkönigin in Schwaben.

Nach der Weise: Mag ich Unglück nicht widerstahn etc.[1].

O Böhmenland mit Bergen stolz,
Mit dunklem Holz,
Mit süßen frischen Quellen!
Was hörest du für frommen Schall

5
Im Widerhall

Aus deinen Thälern schwellen?
Wer singt so schlicht
Vom Glaubenslicht?
Wer wiegt so fein

10
Den Kummer ein

Auf sanften Liedeswellen?

Maria, deine Königin,
Erneut im Sinn,
Die hat so hell gesungen,

15
Durch Ungarn und durch Böhmen ist

Von Jesus Christ
Ihr heilig Lied gedrungen;
Wohl durch das Schloß,
Wohl durch den Troß,

20
Bis in den Saal

Zum Ehgemahl
Hat es sich frei geschwungen.

[341]
Herr Ludwig steht im Eisenkleid,

Macht sich bereit,

25
Will mit dem Türken ringen.

Er spricht ergrimmt: „wer darf so frei
Von Ketzerei
An meinem Hofe singen?
Auf Riesen wag’

30
Ich jetzt den Schlag;

Da kommt der Zwerg
Von Wittenberg,
Legt meinem Weibe Schlingen!“

„Drum wand’re, Frau, aus meinem Haus

35
Zur Fern’ hinaus,

Laß dich nicht Fürstin nennen!
Leg’ ab dein würdig Königskleid,
Laß das Geschmeid
Von deinem Halse trennen!

40
Fleuch meinen Grimm,

Die Harfe nimm,
Ja sing’ dich fort
Von Ort zu Ort,
Ich mag dich nicht mehr kennen!“

45
Sie schaut ihn an voll Lieb’ und Treu’

Doch ohne Reu’,
Sie thät, wie er befohlen.
Durch Berg und Thal, ihr wohlbekannt,
Im Böhmerland

50
Sie wandelt fort verstohlen;

Ein Schloß bald lauscht,
Ein Quell bald rauscht;

[342]
In’s Saitenspiel

Sie endlich fiel,

55
Da sang sie unverhohlen:


„Richt’, wie ich woll’, ich jetzt mein Sach,
(Weil ich bin schwach,
Und Gott mich Furcht läßt finden)
So weiß ich, daß kein’ G’walt bleibt fest;

60
Ist’s allerbest’, –

Das Zeitlich’ muß verschwinden.
Das ew’ge Gut
Macht rechten Muth,
Dabei ich bleib’,

65
Wag’ Gut und Leib;

Gott helf’ mir’s überwinden!“

Und wo die Elb’ im Grunde tost,
Trat sie getrost
Hervor in fremde Lande;

70
Die fromme, schöne Harfnerin

Sie ziehet hin
Im ärmlichen Gewande;
Hoch ist ihr Muth,
Grüßt Sachsen gut,

75
Wo schon das Licht

Durch Wolken bricht;
Da wird ihr leicht die Schande.

Doch sehnt sie sich in’s Ferne weit,
Zur Einsamkeit

80
In tiefen Thalgewinden.
[343]
Wann birgt sie wieder Felsenwand?

O Böhmenland,
Wo wird sie neu dich finden?
O Brunn, o Wald,

85
Vom Lied durchhallt!

O Berges Schutz,
Du Menschentrutz!
Sie sah euch all’ verschwinden!

So wallet sie durch’s eb’ne Land

90
Im flachen Sand,

Bis sie zur Stätt’ ist kommen,
Wo schöne Hügel, rund und grün,
Drauf Reben blühn,
Sie wieder aufgenommen.

95
Doch weilt sie nicht;

Im Abendlicht
Steigt wie ein Traum
Ein Bergessaum,
Dort ruft das Ziel der Frommen.

100
Das ist die theure Schwabenalb,

Die allenthalb
Blau nach der Eb’ne winket,
Wo man auf Haiden hoch und kühl
Fern vom Gewühl

105
Die reinen Lüfte trinket,

Wo Blüthenduft
Zu Thale ruft;
Man wandert schnell,
Bis man am Quell

110
In Waldesschatten sinket.


[344]
Und als sie durch der Thäler Pfad

In Wälder trat,
Aus denen Felsen stiegen,
Und als sie auf den Spitzen rings

115
Sah rechts und links

Die alten Burgen liegen,
Da sang sie hell
An einem Quell,
Da flog der Hall

120
Vom Bergeswall

Wie Engelsstimmen fliegen.

„Ich habe dich mein Böhmenland,
Von Gott gesandt,
Willst du mich hier umschließen.

125
Es steigt dein Berg, es schießt in’s Thal

Dein Wasserstrahl,
Und deine Wälder sprießen!
Auch Gottes Licht
Ist ferne nicht!

130
Es rauscht, es muß

Des Heiles Fluß
Bald durch dies Land sich gießen!“

Vom Berge grüßet alt und grau
Ein Schloß[2] die Frau,

135
Zerrissen, ausgestorben.

Dort zieht die fremde Herrin ein,
Ein Kämmerlein

[345]
Hat sie sich bald erworben;

Sie singt voll Ruh

140
Den Trümmern zu:

„Kein G’walt bleibt fest,
Sey’s allerbest’,
Das Zeitlich’ ist verdorben!“

Sie wallt an jedem Tag den Weg,

145
Den Felsensteg,

In’s tiefe Dorf hernieder,
Ein Heilbrunn, wie im Vaterland,
Quillt aus dem Sand,
Und labt die müden Glieder;

150
Im Kirchlein steht

Sie oft und fleht
Für den Gemahl
Um Gottes Strahl;
Sie singt viel Sehnsuchtslieder.

155
So lebet sie von Jahr zu Jahr,

Selbst arm, sie war
Der Armen Trost und Segen.
Da tönt im Dorf ihr einst von Krieg,
Von Türkensieg

160
Verworrne Klag’ entgegen.

„O Frau, so fromm!
Komm, bete, komm!
In Ungarn ist
Der Widerchrist!

165
Ein König ist erlegen!“


[346]
„Es liegt des Königs Ludwig Rumpf

Versenkt im Sumpf,
Sein Haupt ist abgeschlagen!“
Die Fürstin starrt, es bricht in Schmerz

170
Das treue Herz,

Sie kann nicht weiter fragen.
Die Harfe schweigt,
Ihr Haupt sich neigt,
Sie sinket um

175
Verbleicht und stumm,

Wird todt hinweggetragen.

Ihr eignes Lied, das sangen leis,
Zu Gottes Preis,
Viel Mägdlein fromm und Knaben;

180
Da ward sie, wie im Vaterland,

Am Bergesrand
Beim kühlen Quell begraben,
Ihr Lob erschallt,
Durch Thal und Wald,

185
Sie harrt des Herrn,

Sie ruhet gern,
Die fremde Frau, in Schwaben.


  1. Dies Lied, aus welchem der sechste Vers unsrer Romanze
    entlehnt ist, schreibt die Sage der Königin Maria zu.
  2. Beim Bade Ueberkingen.