Zum Inhalt springen

Die Aufsätze „Zur Geschichte der Socialdemokratie“

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Franz Mehring
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Aufsätze „Zur Geschichte der Socialdemokratie“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 184
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[184] Die Aufsätze „Zur Geschichte der Socialdemokratie haben mir neben vielen Zeichen freundlicher Anerkennung, für welche ich aufrichtig dankbar bin, auch eine Reihe minder befriedigter Zuschriften eingetragen. Es fehlt mir der Anlaß, näher auf ihren Inhalt einzugehen, um so mehr, als sie sich meist gegenseitig aufheben. Die Einen feiern Lassalle, Engels und Marx als „Könige“ und schelten mich einen „Kärrner“, die Andern wieder verspotten meine „Unwissenheit“, weil ich „Autodidakten“, wie jenen Männern, eine wissenschaftliche Bedeutung zuspreche. Aus diesen Anfeindungen von links und rechts vermag ich nur die tröstliche Ueberzeugung zu schöpfen, daß ich mich auf dem rechten Wege befinde. Meine Aufsätze wollen die Socialdemokratie weder feiern, noch über sie schimpfen. In beiden Beziehungen ist schon so überschwänglich viel gethan worden, daß ich mir gern an der bescheidenen Aufgabe genügen lasse, einem gebildeten Leserkreise, und zwar dem größten und sichtlich aufmerksamsten, den wir in Deutschland haben, ein anschauliches und – so weit möglich – unbefangenes Bild der Bewegung zu liefern.

Wenn seit Erlaß des Socialistengesetzes nicht die Zeit für eine sachliche Prüfung dessen gekommen ist, was die moderne Socialdemokratie ist und was sie will – wann in aller Welt soll die Zeit kommen? Wann hat denn je die allgemeine Weltlage so sehr die gespannteste Aufmerksamkeit jedes denkenden Menschen auf dieses Problem lenken müssen, wie gegenwärtig, wo die russischen Nihilisten in den fürchterlichsten Gräueln schwelgen, die französischen Communards täglich kecker ihr Haupt erheben, aus einem großen Theile der britischen Landbevölkerung die unheimlichsten Symptome auftauchen, die Bakunisten in Italien und Spanien ihre Maulwurfsarbeit nach wie vor eifrig betreiben und – last not least – die deutsche Socialdemokratie trotz alledem in unverminderter Stärke fortbesteht, wie noch jüngst der preußische Minister des Innern im Abgeordnetenhause mit vollem Recht hervorhob?

Auch ist es jenen Zuschriften viel weniger um die Sache selbst zu thun. Sie enden fast alle mit der theilweise von sehr albernen Drohungen begleiteten Forderung, zu widerrufen, daß Lassalle, Engels und Marx jüdischen Blutes seien. Im Interesse ihrer Urheber ließe ich diese Kundgebungen gern unerwähnt, wenn ich nicht in der That einen Irrthum zu berichtigen hätte. Von glaubwürdiger Seite und in schicklicher Form wird mir gleichfalls mitgetheilt, daß Engels aus einer alten deutschen Familie stammt, und ich nehme davon pflichtgemäß die gebührende Notiz. An der betreffenden Stelle meiner Aufsätze bemerke ich selbst, daß über die äußeren Lebensumstände von Engels nur wenig bekannt sei; unter diesem Wenigen hatte ich aber in den verschiedensten Schriften die niemals widerrufene Angabe seiner jüdischen Abstammung gefunden. So peinlich es mir, wie jedem sorgfältigen Schriftsteller, natürlich ist, eine thatsächliche Unrichtigkeit, sei es auch wider Wissen und Willen, verbreitet zu haben, so gereicht es mir doch auch wieder zu einiger Genugthuung, dadurch die Beseitigung eines Irrthums veranlaßt zu haben, der sich seit mehr als drei Jahrzehnten in der einschlägigen Literatur fortschleppte.

Was Lassalle und Marx angeht, so halte ich meine betreffenden Behauptungen in vollem Umfange aufrecht. Einsichtigen und unbefangenen Lesern brauche ich wohl nicht erst aus einander zu setzen, daß ich damit weder etwas für, noch etwas wider das Judenthum habe sagen wollen. Ich habe einfach eine geschichtliche Thatsache erwähnt, deren Unterdrückung eine absichtliche Entstellung und Fälschung gewesen sein würde. Ohne gebührende Berücksichtigung ihrer jüdischen Abstammung sind die schöpferischen Führer des revolutionären Communismus in ihrem eigentlichen Wesen gar nicht zu verstehen; weit besser, als ich dies nachzuweisen vermöchte, ist es namentlich bezüglich Lassalle’s noch kürzlich von einem angesehenen Gelehrten jüdischer Herkunft nachgewiesen worden. Mit Drohungen und Schmähungen ist dagegen nichts auszurichten; diese kläglichen Versuche eines geradezu unerhörten Terrorismus verfallen von selbst dem Urtheile jedes anständigen Menschen.

     Berlin, im Februar 1880.
Franz Mehring.