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Die Abbassiden

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Georg Arnold Wolff und Victor Schweitzer
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Titel: Die Abbassiden
Untertitel: Einleitung des Herausgebers
aus: Platens Werke. Herausgegeben von G. A. Wolff und V. Schweitzer. Kritisch durchgesehene und erläuterte Ausgabe. 2 Bände; 2. Band
Herausgeber: Georg Arnold Wolff, Victor Schweitzer
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Bibliographisches Institut
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Erscheinungsort: Leipzig und Wien
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[225]

Die Abbassiden.
Ein Gedicht in neun Gesängen.
1830.


[227]

Einleitung des Herausgebers.




Das berühmte Chalifengeschlecht der Abbasiden[1], das seinen Namen von dem Ahnherrn Abbas trägt, herrschte zu Bagdad, der prächtigen, in Mesopotamien an den Ufern des Tigris gelegenen Hauptstadt, über die Anhänger Mohammeds, die Welt der „Gläubigen“, mehr als fünfhundert Jahre (750–1258). Ihr glänzendster Vertreter ist Chalif Harun al Raschid[2], d. h. „der Gerechte“ (786–809), unter dessen Regierung das gewaltige Reich auch in Kunst und Wissenschaft zu hoher Blüte gedieh. Noch heute erfreut er sich Weltruhms als Held zahlreicher Geschichten in „Tausendundeiner Nacht“, der berühmten, im 15. Jahrhundert verfaßten arabischen Rahmenerzählung, in welcher das kluge Mädchen Schehersad durch immer neue spannende Märchen den grimmigen Sultan von seiner schlechten Gewohnheit abbringt, die Geliebte, bei der er einmal geruht hat, jeweils töten zu lassen.

Aus dieser Sammlung, die Platen bereits 1822 im Verfolg seiner orientalischen Studien „außerordentlich angezogen hatte“ („Tagebuch“, S. 231), wählte er teils ganze Novellen, teils einzelne Züge, um daraus das wundervolle Märchenbild der „Abbassiden“ zusammenzustellen. So entlehnte er die Geschichte vom Zauberpferd der gleichnamigen Erzählung[3], Assads und Amins Erlebnisse in der Magierstadt entnahm er der „Geschichte Nureddins mit Enis Aldjelis“[4], aus [228] „Sindbads Reisen“ wählte er die Episode vom Walfisch, dessen breiter Rücken für eine Insel gehalten wird, das Motiv vom Vogel Rock und dem Diamantthal, die Rettung auf ein Eiland durch Ergreifen eines ins Meer ragenden Baumastes.[5]

Platen begann die „Abbassiden“ Ende 1828 in Siena während seiner Arbeit an dem größern Epos „Die Hohenstaufen“; er berichtet am 19. Dezember 1828 an Fugger: „Während ich über den Hohenstaufen brüte, schreibe ich einstweilen ein komisches oder ariostisches Epos, wozu ich den Stoff aus ‚Tausendundeiner Nacht‛ nehme.“ Es sollte ursprünglich 10 Gesänge umfassen und den Titel „Assur und Assad“ führen. Viel Schwierigkeit bereitete es dem Dichter, die rechte Form zu finden. Er begann mit Stanzen, ging dann zu Hexametern über, versuchte es auch einmal mit der Nibelungenstrophe, kehrte zum Hexameter zurück und gelangte erst spät, im April 1830, zu dem endgültigen Entschluß, ein „Gewand“ zu wählen:

„Ganz schlicht und einfach und bequem zu fassen,
Das kaum verhüllt den Stoff in keusche Massen.“

(S. 231[6].) Er schreibt an Fugger (Rom, den 16. April 1830, „Nachlaß“ II, 198): „Die dummen Leute sollen sehen, daß ich meine Verskunst nicht nötig habe, um etwas Gutes zu schreiben, ja, wie ich glaube, etwas weit Besseres, als ich bisher geschrieben habe.“ Die Verse sind fünffüßige Trochäen, in denen die epischen Volkslieder der Serben abgefaßt sind, und die auch Goethe im Klagesang der Frauen des Asan Aga angewendet hat.[7] Indem der Dichter mit den Trochäen Daktylen und Spondeen wechseln läßt, vermag er den Klang reicher zu modulieren; z. B. S. 249:

„Ihm beflügelte rasch der Gefühle Chaos
Seines Herzens lauten Schlag;“

oder S. 297:

 „Die Beute
Doppelter Drangsal wählt der hoffende Jüngling
Schmerzensvolleren, aber ungewissern
Untergang.“

[229] und zahlreiche andere Stellen. − Am 16. Januar 1830 berichtet Platen aus Rom den Frizzoni, seinen Freunden: „Im ersten Feuer habe ich bereits sechs Gesänge geschrieben“ („Nachlaß“ II, 190 f.), und von der gleichen Anzahl gibt er Fugger Kunde (Rom, 6. Februar 1830, „Nachlaß“ II, 194) mit dem Zusatze: „Ich denke in jedem Fall im Frühling oder im Sommer die noch fehlenden vier Gesänge hinzuzufügen und das Werk dann im Spätjahr herauszugeben.“ Aber am 6. Juli sind es immer nur erst sechs Gesänge, die er, wie er den Eltern aus Sorrent schreibt, bei Bunsen vorgelesen habe. Erst am Ende des Jahres, am 12. Dezember, teilt er seinen lieben Frizzoni aus Neapel die gute Nachricht mit, daß „das kleine Epos vollendet ist“.[8] Er fügt hinzu: „Was jedoch die Bekanntmachung desselben betrifft, so wird sie noch großen Verzögerungen unterliegen, da ich mit Cotta nicht ins reine kommen kann.“

In der That ließ die Veröffentlichung noch lange auf sich warten. Der Grund liegt in Platens Worten, die er wieder an die Frizzoni (Neapel, 19. April 1831, „Nachlaß“ II, 220 f.) richtet: „‚Die Abbassiden‛ für ein lumpiges Honorar abzugeben, wäre unklug; weil ich nicht einsehe, warum ich der einzige sein soll, der so schlecht honoriert wird, und weil ich zum Teil von dem Ertrag meiner Arbeiten leben muß, denn was ich sonst noch habe, reicht keineswegs aus.“[9] Ein Dr. Rost, ferner der Historiker Ranke und der Bonner Jurist Böcking bemühten sich vergeblich um einen Verleger. Erst 1833 gelang es ihm, durch Vermittelung eines gewissen Huber, „der ihn in München 1832 besuchte, dann später ein Gedicht schickte“ („Nachlaß“ II, 345), das Epos in dem zu Wien erscheinenden Almanach „Vesta“ aufgenommen zu sehen. Die selbständige Ausgabe erschien nach vielen, zum Teil vergeblichen Verhandlungen, z. B. mit Sauerländer in Frankfurt a. M., erst 1835 bei Cotta und war im November vollendet, aber Platen schied aus dem Leben, ehe er ein fertiges Exemplar zu Gesicht bekam.

[230] Wie sehr das Gedicht feinfühlende Zeitgenossen zu packen vermochte, lehrt eine schöne Charakteristik desselben durch Gündel, der an Platen nach Durchlesung des Epos schrieb („Nachlaß“ II, 373): „Ich fand mich sogleich von der Schönheit des Gedichtes angezogen und ununterbrochen bis ans Ende festgehalten, wo das kunstreiche In- und Durcheinander jener lieblichen Schöpfungen so befriedigend sich abschließt. Es fühlt sich die Phantasie, ohne alle Ermüdung, mannigfach bereichert. Die verschiedenen Märchen gestalten sich, indem sie auseinander sich entwickeln, sich wieder ineinander verschränken und, obgleich selbständig ein jedes für sich, zum gemeinsamen Ziele gelangen, zu dem schönsten Ganzen; und so erscheint Ihr Gedicht, in dem Gebiete der Märchenwelt, ein entzückendes Familienepos, bei dessen Behandlung sich auf die sinnigste Weise griechische Kunst mit morgenländischer Art und Sitte verschwistert hat. Doch wird die Phantasie nicht bloß ergötzt, unser Gemüt sieht sich in gleichem Maße durch den innern Gehalt des Gedichtes gerührt und erhoben. Es weht durch das Ganze die zarteste Sittlichkeit; das Ingredienz des Bösen ist nur insoweit vorhanden, als es zur Verklärung des Schönen wirkt.“

Gegenüber dieser liebevollen, nicht unverdienten Charakteristik sei indes auch des nicht minder gerechten Vorwurfs gedacht, den ein Rezensent der „Blätter für litterarische Unterhaltung“[10] dem Dichter macht: daß er nämlich zu sehr in weite Fernen schweife und übersehe, daß die Poesie das Leben der Gegenwart schildern und gestalten solle.

Böswillig müssen freilich karikierende Angriffe erscheinen, wie sie der Dichter in den „Epigrammen“ (Bd. I, S. 274) gegenüber einem Kritiker zurückweist, von dem Platen den Frizzoni aus München am 15. Januar 1834 („Nachlaß“ II, 288) schreibt: „Der Rezensent sagt, durch das ganze Werk herrsche eine aalglatte Kälte, und die Charaktere seien wie hölzerne Hofschranzen, die sich umeinander herumbewegten. Es sei, fügt er hinzu, in Deutschland allgemein bekannt, daß ich durch äußere Glätte den gänzlichen Mangel an Gehalt zu verstecken suche.“[11]


  1. Platen schreibt weniger richtig „Abbassiden“; in der Ausgabe der „Werke“ von 1839 setzten die Herausgeber gänzlich falsch „Abassiden“, und diese Schreibung erbte in allen späteren Drucken bis zu dem textgeschichtlich epochemachenden von 1877 fort, welcher die von dem Dichter gewählte Orthographie wieder einführte.
  2. Über ihn vgl. G. Weil, „Geschichte der Chalifen“, Bd. II, S. 126–172 (Mannheim 1848), und besonders A. v. Kremer, „Kulturgeschichte des Orients unter den Chalifen“, Bd. II, S. 61 ff. (Wien 1877).
  3. „Tausendundeine Nacht.“ Übersetzt von G. Weil. 3. Aufl., 2. Abdr., Stuttgart 1872, Bd. I, S. 338–354.
  4. A. a. O., Bd. I, S. 324 ff., 332–338.
  5. A. a. O., Bd. I, S. 357, 363 f., 358.
  6. Vgl. Platen an Minckwitz (Neapel, 28. August 1835, Nachlaß VII, 416): „Diejenigen, die das einfache Versmaß der ‚Abbassiden‛ tadeln, verweise ich auf den Prolog, wo ich mich ausdrücklich darüber ausgesprochen.“
  7. Vgl. über das Versmaß Putz in Schnorrs „Archiv für Litteraturgeschichte“, Bd. 10, S. 534 f. (Leipzig 1881).
  8. Vgl. Platen an Bunsen vom 25. Dezember 1830 in F. Nippold, „Ch. K. J. Freiherrn von Bunsen“, Bd. I, S. 365 (Leipzig 1868): „Was das morgenländische Gedicht betrifft, so ist es seit dem 19. dieses fix und fertig. Ich habe die drei letzten Gesänge in sieben Tagen geschrieben und also die fast jahrelange Pause hinlänglich eingebracht. Es thut mir leid, daß ich Ihnen damals den Brouillon der sechs ersten Gesänge vorgelesen, da das Gedicht eigentlich bloß als Ganzes Effekt macht, und erst am Schlusse sich zeigt, wie die zerstreut scheinenden Märchen durch eine Art verbunden sind, wodurch eins das andere bedingt.“
  9. Über die weiteren Schicksale von der Drucklegung vgl. „Nachlaß“ II, 224, 225, 227, 236, 245, 251, 255, 262, 275, 281, 282 f., 285 f., 345.
  10. 1835, Nr. 322, S. 1328.
  11. Eine lebhaft anerkennende Kritik vergleiche dagegen in Gersdorfs „Repertorium der gesamten Litteratur“, Bd. 6, S. 91 (Leipzig 1835).

Text der Ausgabe von 1847