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Die „Münchener“ und ihre Dichter

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Textdaten
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Autor: Rudolf von Gottschall
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Titel: Die „Münchener“ und ihre Dichter
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 173–175
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die „Münchener“ und ihre Dichter.

Max Grube.   Herman v. Schmid.   Maximilian Schmidt.   Franz Koppel-Ellfeld.
Ludwig Ganghofer.   Hans Neuert.   Max Hofpauer.   Philomene Hartl-Mitius.

Wohlbekannt unter dem Namen der „Münchener“ ist das Schauspielensemble, das unter der Leitung des bayerischen Hofschauspielers Max Hofpauer auf deutschen Bühnen seit einem Jahrzehnt mit großem Erfolg gastirt. Die Münchener sind die oberbayerischen „Meininger“; wo sie erscheinen, da weht Alpenluft über die Bühnen, da bauen sich die Sennhütten und Dörfer vor unsern Augen auf, da hören wir die Zithersoli, sehen den Schuhplattltanz und die wackeren Aelpler verstatten uns einen Blick in ihr Leben, wo freilich alles so zugeht wie anderswo; denn ein Arkadien giebt’s nirgends mehr und überallhin kommt der Mensch mit seiner Qual.

Nachdem das Gärtnerplatztheater in München schon seit dem Jahre 1870 durch das Engagement geeigneter Kräfte sein Ensemble vervollständigt hatte, so daß es in der Pflege des Volksstückes Treffliches leisten konnte, fand im Juni 1879 der erste Gastspielausflug des gesammten Schauspielerpersonals und zwar nach Berlin statt, wo ein dreiwöchiger Gastrollencyklus am Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater bahnbrechenden Erfolg hatte. Im nächsten Jahre wurde neben Berlin auch Dresden in den Bereich der Gastspielreise gezogen und seitdem ist die Gesellschaft der Münchener fast an allen deutschen Bühnen aufgetreten, überall bei der Wiederkehr willkommen geheißen wegen der prächtigen Frische und Naturwahrheit ihrer Leistungen und der harmonischen Wirkung eines wohlgeschulten Zusammenspiels.

Die geschäftliche und künstlerische Leitung des ganzen Unternehmens liegt in den Händen von Max Hofpauer, der auch das finanzielle Risiko desselben trägt. Max Hofpauer wurde im Jahre 1846 in München geboren als Sohn eines städtischen Beamten; anfangs für die kaufmännische Laufbahn bestimmt, besuchte er mehrere Handelsschulen; doch nach dem Tode seiner Eltern folgte er seiner innersten Neigung, die ihn zur Bühne führte. Er spielte zuerst an mehreren kleineren bayerischen Theatern, fand dann als jugendlicher Liebhaber eine Stellung an dem Schweriner Hoftheater, das damals unter Wolzogens Leitung stand, und wirkte später am Hamburger Stadttheater vorzugsweise in der Tragödie. Doch sein Talent neigte sich mehr dem komischen Genre zu. Nach einer kurzen Anstellung am Wiener Hofburgtheater, veranlaßt durch die sehr günstige Meinung, die Laube von seinem Talent hegte, kehrte er nach München zurück, wo er seit dem Oktober 1870 neben den hervorragenden Komikern einen Platz behauptet hat. Bald wurde er auch zum bayerischen Hofschauspieler ernannt.

Max Hofpauer hat alles gethan, um seinem Ensemble eine stimmungsvolle Originalität zu sichern. Naturwahrheit, die aber zum Herzen zu sprechen versteht, war die Losung. Er brauchte keine historischen Studien aus Kostümwerken und Waffensammlungen wie die Meininger, die bayerischen Berge waren sein Museum. Die Herren Quaglio und Sohn in München malten ihm Dekorationen, welche sich von den üblichen Theaterlandschaften wesentlich unterscheiden und das Gepräge des lokalen Gebirgscharakters mit demjenigen künstlerischer Eigenart verbinden. Hofpauer vermied beim Arrangement der Scenen alles Schablonenhafte; nirgends finden wir ein regelrecht arrangirtes „Arkadien“; es macht alles den Eindruck des Natürlichen, Ungezwungenen; kleine Züge absichtlicher Unordnung erhöhen diesen Eindruck. Die Kostüme sind nicht minder naturwahr; wir erinnern nur an die Hosen des Geißbuben Loisl, welche Hofpauer in dem „Herrgottschnitzer von [174] Ammergau“ trägt als ein Geschenk des Malers Defregger, der sie ihm aus den Bergen mitgebracht. Echt sind auch alle die andern Trachten, besonders der Staat der Bäuerinnen.

Das vortreffliche Zusammenspiel ist ebenfalls ein Verdienst der Leitung; es ist anzuerkennen, daß die schauspielerische Eigenthümlichkeit dabei ihr gutes Recht behält, daß nichts von einer peinlichen Dressur zu bemerken ist, die alles über denselben Kamm schert; nur alles Verkünstelte und Affektirte ist ausgeschlossen, derartige überwuchernde Ranken werden abgeschnitten. In den Volksscenen, die ein lebendiges Bild des oberbayerischen Volkslebens vorführen, klappt alles; nichts drängt sich vor, nichts schleppt nach; und dabei hat man nicht das Gefühl, daß vor unsern Augen das Räderwerk eines abgezogenen Mechanismus sich abspielt; es wird mit Lust und Liebe gespielt, und in jedem Mitwirkenden scheint eine Ader des fröhlichen Volkslebens in den Bergen zu pulsiren. Was aber Hofpauers darstellendes Talent betrifft, so ist seine feine Komik, die nur selten ins Groteske übergeht, meist von unwiderstehlicher Wirkung, sein Geißbub Loisl im „Herrgottschnitzer“ ist eine köstliche Genrefigur; sein Stiglschuster im „Austragstüberl“ ein höchst ergötzlicher Vagabund, sein Gemeindediener Schlaucherl im „Prozeßhansl“, den wir auf unserem Bilde sehen, amüsirt nicht minder durch den verwegenen Gebrauch der Fremdwörter, ganz wie sein Urbild, der Gerichtsdiener Holzapfel in Shakespeares „Viel Lärm um nichts“; er besitzt ebenso viel Durst wie Amtsbewußtsein. Daß Hofpauer auch ernste Aufgaben durchzuführen versteht, beweist er als „Geigenmacher von Mittenwald“ in der Dorftragödie dieses Namens.

Als Bühnenleiter hat Max Hofpauer vor allem für ein seiner Auffassung entsprechendes Repertoire und für die geeigneten darstellenden Kräfte gesorgt. Er wurde hierin vom Glück begünstigt; das Gärtnerplatztheater bot ihm von Hause aus einen festen Stamm tüchtiger Künstler und die junge bayerische Dichterschule, angeregt und gefördert durch so lebensvolle Darstellung ihrer Werke, ermüdete nicht in ihrer Schaffenslust und bereicherte stets von neuem das Repertoire der Wanderbühne. Das Theater am Gärtnerplatz hatte bereits früher eine große Zahl von Volksstücken namhafter Autoren wie Anzengruber, Mosenthal Auerbach, Gerstäcker, Arthur Müller u. a. zur Aufführung gebracht, aber die Aera der oberbayerischen Bauernstücke beginnt erst mit 1880. Der Senior dieser Dramatiker ist Herman von Schmid (geb. 30. März 1815, gest. 19. Oktober 1880), den Lesern der Gartenlaube“ ein alter Freund, jahrelang durch einen Vertrag mit Ernst Keil als ständiger Mitarbeiter unserem Blatte verbunden gewesen. Er verdankt der „Gartenlaube“, wie er selbst sagt, seinen Namen und seine Beliebtheit, seit 1865 war er Dramaturg des Münchener Aktientheaters; nachdem an Stelle dieser Bühne 1870 das königliche Volkstheater am Gärtnerplatz getreten, wurde er Direktor desselben. Nichts natürlicher, als daß er einzelnen seiner Erzählungen dramatische Gestalt zu geben suchte, um sie auf seiner Bühne einzubürgern. Von diesen Schauspielen gehört noch jetzt „Die Z’widerwurz’n“ dem Repertoire der Hofpauerschen Truppe an. Das Stück ist eine einfache Idylle mit einer oft selbstgenugsamen Genremalerei von Land und Leuten und behandelt eine schlichte Herzensgeschichte. Eine andere Erzählung von Herman von Schmid „Almenrausch und Edelweiß“ ist von Neuert für die Bühne bearbeitet worden; es ist in diesem Stücke mehr Lyrik und Romantik als in den Bauernstücken jüngsten Datums. Unser stimmungsvolles Bildchen zeigt uns die Sennerinnen in der dichterisch angeflogenen Sennhüttenscene. Den Hintergrund der Handlung bilden die Kämpfe der Wilddiebe mit den Forstbeamten. Auch des angesehenen Bauern und Schulzen Sohn Mentl ist diesem verbotenen Jagdvergnügen mit Leib und Seele ergeben; er geräth mehrfach in Konflikt mit dem gräflichen Jäger. Nun begiebt es sich, daß dieser mit den Wilderern handgemein und bei der einsamen Wanderung durch die Klamm von einem derselben angefallen und gestochen wird. Er nennt als Thäter den Mentl, der zugleich sein Nebenbuhler ist, und dieser wird für schuldig erklärt und zu einer Zuchthausstrafe verurtheilt. Seine Freiheit aber erhält er wieder durch seine Geliebte, die Sennerin Evi, die er zu seiner Frau machen wollte; doch der Vater, ein stolzer Bauer, gab nicht seine Einwilligung zur Ehe des Sohnes mit der „hergelaufenen Dirne“. Evi gelingt es indeß, den wahren Schuldigen in dem verwundeten und verfolgten Wilddieb zu entdecken, der, von ihr versteckt, zuletzt selbst sein Verbrechen eingesteht.

Das bekannteste Zugstück der Münchener ist indeß „Der Herrgottschnitzer von Ammergau“, von Ganghofer und Neuert verfaßt. Wie Herman von Schmid steht auch Ganghofer der „Gartenlaube“ nahe; unsere Leser haben sich an seinen größeren und kleineren Erzählungen, an seinen frischen Skizzen aus dem Alpen- und Jagdleben öfters erfreut; wir brachten vor kurzem (im Jahrgang 1887) eine Lebensbeschreibung und Charakteristik des Dichters. Ludwig Ganghofer, geboren am 7. Juli 1855, ist ein Liebling unseres Lesepublikums. Mit Recht sagt ein Wiener Kritiker von ihm, daß seine Erzählungen Waldgeruch haben und daß man in allen seinen Geschichten etwas von der Bergluft spürt. Hans Neuert ist auch Mitarbeiter fast aller der anderen Autoren. Er ist der oberbayerische Dramaturg; er versteht sich auf die dramatische Technik; er weiß alles zuzustutzen und knapp zusammen zu fassen für die bühnenmäßige Wirkung, dies oder jenes wirksame theatralische Moment einzufügen und, da er selbst ein begabter Charakterdarsteller ist, auch der schauspielerischen Kunst in einzelnen Scenen willkommene Aufgaben zu stellen. Er wurde im Jahre 1838 in München geboren und machte seine ersten theatralischen Versuche in Volksschauspielen in Schongau, dann am Münchener Vorstadttheater. Eine Zeitlang war er in Regensburg Regisseur des Stadttheaters; seit 1872 ist er Schauspieler am Münchener Volkstheater, seit 1877 Dramatiker.

Der große dramatische Treffer der Verbündeten Ganghofer und Neuert, „Der Herrgottschnitzer von Ammergau“, erinnert an die berühmte „Geyerwally“; den Inhalt desselben bildet die zum Tode betrübte und himmelhoch jauchzende Liebe eines jungen Paares, welche durch anscheinende gegenseitige Feindseligkeit hindurch zuletzt zur vollen Hingebung führt. Des Stückes Heldin, die Loni, hat eine Aehnlichkeit mit der Königin Elisabeth, die ihrem geliebten Essex vor versammeltem Kriegsvolk eine Ohrfeige giebt; nur daß die Loni ihren Pauli, den sie so königlich behandelt, nicht hinrichten läßt, sondern ihn um Verzeihung bittet und ihm schließlich ihre Liebe erklärt. Aehnlich wie in den neufranzösischen Schauspielen rafft sich die Handlung im dritten und vierten Akte aus der Reihenfolge von Genrebildern, aus der sie bisher bestand, zu zwei großen Scenen auf. Eine Wiedererkennungsscene spielt mit herein: Vater und Tochter finden sich; denn Loni ist das Kind des alten Pechlerlehnl, des Dorfbettlers. Auf dem figurenreichen Mittelbilde aus dem zweiten Akte sehen wir fast alle Mitwirkenden, links im Vordergrunde den Pechlerlehnl mit seiner Loni, dahinter den Maler, den Herrgottschnitzer, in der Mitte seine Mutter und den köstlichen Geißbuben, der zur Sennerin emporblickt.

Das zweite Repertoirestück von Ganghofer-Neuert, „Der Prozeßhansl“, hat zum Helden einen eigensinnigen Bauern, Lahndorfer, der an Prozeßwuth leidet und durch einen Lawinensturz gebessert wird. Damit hat es aber folgende Bewandtniß: Lahndorfer verstößt gegen das Gesetz, welches verbietet, an bestimmten, durch Lawinen gefährdeten Stellen abzuholzen. Da kommt die Lawine eines Tages hernieder und begräbt seinen vor kurzem wiedergefundenen Sohn. Dieser wird anfangs für todt gehalten, was den Alten in Verzweiflung versetzt; doch der Sohn kommt wieder zu sich. Der Vater macht dann aber eine kurze Krankheit durch, und als er wieder genesen ist, da hat er den Prozeßhansl ausgezogen und ist ein vernünftiger Mann geworden. Er heirathet die Botenlisl, die Mutter seines Toni; alle Liebeshändel im Stücke führen zum gewünschten Ziel. Das Motiv ist in den mittleren Akten des Stückes sehr wirkungsvoll ausgebeutet; im übrigen zersplittern sich der erste und der letzte Akt.

Weit schwächer als diese beiden Dramen ist das dritte der Genossen: „Der Geigenmacher von Mittenwald“; es ist eine ins Oberbayerische übersetzte neufranzösische Komödie oder, wenn man will, Tragödie. Die Afra, die den Geigenmacher Loni heirathet, liebt den jungen Vitus, der unverhofft zu ihrer Hochzeit zurückkehrt. Die beiden umarmen und küssen sich, aber nur, um auf immer Abschied zu nehmen. Der Gatte belauscht sie; er ist kein Othello, aber er fühlt seitdem sein Leben zerstört und hegt Selbstmordgedanken. Er wird indeß von einem anderen, einem frei umherlaufenden Mörder, mit dem er zusammengeräth, getödtet. Vitus und Afra können sich lieben, ohne durch den Schatten eines Selbstmörders gestört zu werden.

Ebenfalls ein Dichter der Münchener ist Maximilian Schmidt, der durch seine Erzählungen aus dem oberbayerischen Walde (1863) sich zuerst einen Namen machte. Dort in Eschlkamm [175] wurde er geboren (25. Februar 1832), als Sohn eines Zollbeamten, studirte an technischen und polytechnischen Lehranstalten, trat dann in die Armee, machte die Feldzüge von 1866 und 1870–1871 mit und nahm als Hauptmann krankheitshalber seinen Abschied. Alle seine Erzählungen haben gesunde Frische, einen ungezwungenen Ton und schrecken vor lebenswahrer Derbheit nicht zurück. Er hat mit Neuert zusammen mehrere seiner Erzählungen dramatisirt. Auf dem Repertoire der Münchener erhält sich ihr gemeinsames Werk: „Im Austragstüberl“. Der Held desselben ist ein junger Bauer, der sich zu thörichten Spekulationen verleiten läßt und ein Darlehn nach dem andern aufnehmen muß; die steinalten Eltern sind ein würdiges Paar wie Philemon und Baucis; der alte Vater hat gespart und rettet den Sohn aus den Händen des Wucherers. Es fehlt in dem Stücke nicht an Rühr- und Effektscenen. Unser Bild zeigt uns eine solche Rührscene, die Versöhnung des übermüthigen jungen Bauern mit seiner Frau.

Auch ihre Birch-Pfeiffer hat die bayerische Dorfgeschichte: Frau Philomene Hartl-Mitius, Schauspielerin am Gärtnerplatztheater, geboren am 14. April 1852 in München. Ihr Erstlingswerk war „Der Protzenbauer“ (1880), die Münchener führten früher auch einigemal „Die schlaue Mahm“ und in letzter Zeit „Am Wetterstein“ auf. In beiden Stücken läßt die Verfasserin etwas deutsche Reichsluft in die oberbayerischen Dorfgemeinden wehen und bringt soldatisches Leben in die Idylle. Die Handlung des Volksstückes „Am Wetterstein“ hängt mit dem letzten Kriege zusammen. Anne, die nette Tochter des Müllerwirths, sagt sich von ihrem Bräutigam Hans los; denn sie kann mit ihm nicht mehr Staat machen, seitdem er als einarmiger Invalide aus dem Feldzuge zurückgekehrt ist. Schon schenkt sie den Zuflüsterungen eines anderen Gehör, der um ihre Hand wirbt. Doch finden sich die Herzen der Verlobten noch einmal, bis bei einem bäuerlichen Tanzvergnügen ein neuer Zwiespalt ausbricht. Erst nachdem in einer Gewitterscene, nach einer feindseligen Begegnung der beiden Nebenbuhler im Unwetter, Hans aus der vom Blitz getroffenen Sennhütte mit eigener Gefahr Anne errettet hat, wird von beiden aufs neue der nunmehr dauernde Bund geschlossen. Auf unserem Bilde sehen wir die Versöhnungsscene.

An diese Hauptscene des Stückes erinnert lebhaft die Hauptscene in dem Schauspiel: „Hanns im Glück“, welches, von zwei nichtbayerischen Autoren verfaßt, auf der Bühne der Münchener Glück machte. Die Verfasser sind Max Grube, der hervorragende Charakterdarsteller, der, am 25. Februar 1854 in Dorpat geboren, seine Studien besonders bei den Meiningern machte, dann in Bremen, Leipzig, Dresden engagirt war und zuletzt, nachdem er wieder zu den Meiningern zurückgekehrt, für das Berliner Hoftheater gewonnen wurde, und Franz Koppel-Ellfeld, geboren in Ellfeld im Rheingau, gegenwärtig als Dramaturg und Theaterkritiker in Dresden lebend. Grube hat früher ein ernstes Drama verfaßt, dessen Held der geniale Christian Günther war. Koppel-Ellfeld hat außer mehreren Lustspielen eine Tragödie „Spartacus“ gedichtet und ein im Elsaß spielendes Schauspiel „Marguerite“. So hatten beide Proben eines dramatischen Talents gegeben, welche auf das gemeinsam verfaßte Volksstück gespannt machen durften. Und es rechtfertigt diese Spannung durch Momente von großer dramatischer Kraft, besonders in der Klammscene. Hanns im Glück, ein übermüthiger Geselle, der das Schicksal siegesgewiß herausfordert, lebt mit seiner Schwester Midei in brüderlicher Liebe zusammen. Da ergiebt es sich, daß diese nicht seine Schwester ist. Midei liebt Sepp. Dieser wendet sich zunächst von ihr ab, weil sie ihm mit einem Makel behaftet scheint; dafür erklärt jetzt Hanns Midei für seine Braut und diese folgt ihm willig. Sie kann aber Sepp, wie dieser sie, nicht vergessen, und Hanns wird von Zorn und Eifersucht erfaßt. Bei der gemeinsamen gefährlichen Arbeit in der Klamm gerathen die beiden aneinander; diese Scene ist auf unserem Bilde dargestellt. Als Sepp dann bei der Arbeit verunglückt, zögert Hanns anfangs, ihn zu retten, bis das Erscheinen von Sepps Vater den Ausschlag giebt und Hanns der Lebensretter seines Rivalen wird. Freilich hat er nachher das Zusehen, er erkennt, daß Midei den Sepp noch immer liebt, verzichtet, und „Hanns im Glück“ muß anderswo sein Glück suchen. Die großen Scenen des Stückes sind jedenfalls von bedeutender Wirkung und auch sonst haben die beiden Schriftsteller den oberbayerischen Volkston wohl getroffen.

So reichhaltig ist das Repertoire der oberbayerischen „Meininger“. Es ist wahr, ähnliche Situationen wiederholen sich oft in dieser Volksdramatik. Die Wiedererkennungsscenen zwischen Vätern und natürlichen Söhnen und Töchtern finden sich sehr häufig, ebenso die in anfänglicher Feindseligkeit sich äußernde Liebe; auch giebt es stehende Figuren: der hartköpfige Bauer, der edle junge Liebhaber, die Vagabunden jeder Art. Gleichwohl sind doch im ganzen die Bilder wechselnd und durch die Eigenart der verschiedenen Schriftsteller mannigfach schattirt.

Außer dem Repertoire und dem wohleinstudirten Zusammenspiel tragen natürlich die einzelnen darstellenden Kräfte selbst wesentlich zum Erfolge des künstlerischen Unternehmens bei. In einigen Fächern haben dieselben im Laufe der Jahre gewechselt. So hat anfangs die talentvolle Elise Bach besonders als Loni im „Herrgottschnitzer“ und in andern Rollen Triumphe gefeiert, in den letzten Jahren war sie nicht mehr Mitglied des Gastspielensembles. An ihre Stelle trat dann Kathi Thaller, eine geborene Gratzerin, die ihre künstlerische Laufbahn bei österreichischen Wanderbühnen begann dann am Dresdener Residenztheater, am Carltheater in Wien, am Prager Landestheater engagirt war und 1884 in die Hofpauersche Truppe eintrat. Kathi Thaller ist aus etwas derberem Holze geschnitzt als Elise Bach es war, aber sie galt mit Recht für die Primadonna der oberbayerischen Naivetät; sie erinnerte bisweilen an die Geistinger in ihren jüngeren Jahren, so besonders als Resl in der letzten Scene des „Prozeßhansl“; einen köstlichen Humor entwickelt ihre Schusternandl im „Austragstüberl“, den liebenswürdigen Trotzkopf Resi in „Die Z’widerwurz’n“ spielt sie mit selbstbewußtem Trotz und überquellendem Gefühl. Die schalkhaften Wendungen gelingen ihr vortrefflich; sie weiß oft köstliche Lichter aufzusetzen. Ihre Loni ist energisch in ihrem Haß, rührend in ihrer Liebe und Reue. Auch Kathi Thaller ist jetzt aus dem Ensemble geschieden; jüngere Talente voll Werdelust eifern ihr mit Glück nach. So Elsa Jenke, eine Tochter und begabte Schülerin des bayerischen Hofschauspielers und Regisseurs Jenke. Eine echte Künstlerin ist Amalie Schönchen, die Frieb-Blumauer der oberbayerischen Dorfkomödie (geboren 1836); ihr Lonerl-Trautl im „Herrgottschnitzer“, die alte Waberl im „Austragstüberl“, ihre schlaue Mahm sind lauter Kabinetsstücke mit sauberster Zeichnung und feinster Schattirung. Die jugendlichen mehr sentimentalen Liebhaberinnen spielte in der letzten Saison Frl. Carli Hücker und von ihren Leistungen heben wir besonders die Anne in „Am Wetterstein“ und die Midei in „Hanns im Glück“ hervor. Sie spielt sympathisch und mit warmer Empfindung. Von allerliebster Keckheit sind die Schenkmädchen des Frl. Anna v. Volkmar und die frischen Sennerinnen des Frl. Wunderle.

Neben Hofpauer ist Haus Neuert als trefflicher Charakterspieler eine Stütze des Repertoires, er weiß ebensogut die hartherzigen wie die zärtlichen Väter zu spielen. Prachtleistungen sind sein „Prozeßhansl“, der alte Vagabund Pechlerlehnl im „Herrgottschnitzer“, der alte Auszügler im „Austragstüberl“. Er charakterisirt scharf, schneidig und doch auch mit Wärme und gebietet über einen jovialen Humor. Der eigentliche Held und Liebhaber, durchaus geschaffen für diese kräftigen Alpensöhne, sowohl was seine Gestalt wie was sein volltönendes Organ betrifft, ist Hans Albert. Ohne ihn kann man sich das bayerische Volksschauspiel kaum denken; es wird schwer fallen, einen Ersatz für den nach Hannover engagirten Schauspieler zu finden. Sein Herrgottschnitzer, den wir hier in einem charakteristischen Bilde unsern Lesern vorführen, sein Geigenmacher Vitus, sein Toni im „Prozeßhansl“, sein Floßermartl in „Die Z’widerwurz’n“ sind Charaktere von echtem Schrot und Korn, sein Spiel und sein Organ haben in den großen Scenen Kraft und Wucht. Auch unter den anderen jüngeren und älteren, männlichen und weiblichen Kräften der Truppe finden sich tüchtige, talentvolle Darsteller.

Wir wünschen dem Gastspielunternehmen ferner fröhliches Gedeihen; diese Aufführungen erquicken wie ein Trunk frischen Quellwassers, nachdem uns soviel matte Limonade und abgestandene Getränke von der Bühne herab kredenzt worden sind.

Rudolf v. Gottschall.




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Almenrausch und Edelweiß. Pauli der Herrgottschnitzer. Am Wetterstein.
Der Herrgottschnitzer von Ammergau.
Im Austragstüberl. Der Prozeßhansel. Hanns im Glück.

Scenen aus den Volksstücken der „Münchener“.
Nach Photographien von Friedr. Müller in München und J. van Ronzelen in Berlin.