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Deutsche und französische Sprache

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Titel: Deutsche und französische Sprache
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aus: Das Ausland, Nr. 94–97. S. 373–374; 379–380; 382–383; 387–388.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
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[373]

Deutsche und französische Sprache.

[1]
Von einem Franzosen.

Während man die Geschichte der Kunst, der Literatur, der Sprache bei verschiedenen Völkern schrieb, hat man diese Geschichte durchaus nicht hinlänglich mit der des Volkslebens und des Bodens verknüpft, den das Volk baut und bewohnt. Wozu diese Trennung? Bezeichnen doch jene Ergebnisse der Einsicht und Bildung ein Volk viel besser als alle Ereignisse, die es mit andern Völkern in äußere Berührung bringen.

Die Art und Weise, wie sich ein oder mehrere Volksstämme zum Rang eines Volks erheben, die Momente, die fördernd auf die Sittigung eingewirkt, die Erschütterungen, die sie gestört und zu einer unförmlichen oder übereilten Cristallisation gemacht haben, der ganze Charakter des Volks – all dieß übt auf die Sprache einen eben so starken Einfluß als die Witterung, die Luft und die physische Natur überhaupt über den Körper und den Geist des Menschen üben. Ja jede große Revolution in der Wissenschaft oder im Staate bringt auch eine Revolution in der Sprache mit sich.

Wir können darum keine Betrachtung über deutsche und französische Sprache anstellen, ohne von den beiden Völkern und ihren bezeichnendsten Verschiedenheiten zu sprechen.

Das deutsche Volk, Entfaltung Eines Stammes, wenig gemischt, hat seinen Geschlechtern stets den Keim und Kern seiner Grundeigenschaften ungeschwächt vererbt. Es ist auch wirklich nicht schwer, bei den verschiedenen deutschen Stämmen die physischen und moralischen Grundzüge gemeinsamer Volksthümlichkeit zu finden und nachzuweisen. Der Boden, in welchen die deutschen Stämme ihre Wurzeln eingesenkt hatten, war noch jungfräulich, noch nicht von fremden Händen geformt und gemodelt. Die Römermacht während der Periode ihres höchsten Aufschwungs hatte kaum die Grenzen Germaniens zertreten, und als dieser Koloß zusammenstürzte, rollten seine Trümmer nicht auf den deutschen Boden, vielmehr kam die Reihe des Eroberns jetzt an die Deutschen. Als aber Kaiser Karls des Großen unnatürliches Reich, ein Verband der verschiedenartigsten Völker, aufgelöst und zertrümmert war durch die Inkraft der Volksthümlichkeiten, die sich auf eine freiere Weise zu regen anfiengen, hatten die Deutschen das Glück, wenn auch nicht Einen Staat, doch wenigstens gleichartige Staaten zu bilden. Die harmonische Entwicklung ihres Volkslebens, die von da an beginnt, zeigt sich in Religion, Gesetzen, Sitten, Sprache, Wissenschaft und Kunst.

Der Fall war in Gallien nicht derselbe. Lange vor der römischen Invasion war griechische Bildung in’s Rhonetal eingedrungen, und als Cajus Julius von Gallien schrieb, gab es daselbst verschiedene Völkerschaften[2] und [374] die Trennung der Einwohner in Herrschende und Beherrschte[3] bewies, daß das Land früher schon erobert worden war. Als in der Folge eine kleine Schaar Deutscher sich eines Theils von Gallien bemächtigte, war Gallien längst römische Provinz, vom Tempel bis zur kleinsten Scheidemünze Alles bloßer Nachdruck römischer Kunst. Vor und nach dieser Zeit ward das Land durchzogen von zahllosen Völkerschaften, die sich in den verschiedenen Theilen seines Gebiets ansiedelten; das Verderbniß einer eingepfropften und verfrühreiften Bildung verband sich mit der Rohheit der Barbarei. Alles war von Trümmern bedeckt. Die Denkmale der gebrochenen Herrlichkeit waren ausgebeutet wie Steinbrüche, und zehen verschiedene Völker hüllten ihre Armuth in eine geflickte Toga. Das kleine Reich der Franken in Gallien befestigte sich gleichzeitig mit andern Staaten daselbst, deren jeder besondern Brauch und Sprache hatte. Lange bestand nur spärlicher Zusammenhang unter den einzelnen Provinzen; überall aber pflanzte sich die Trennung zwischen Herren und Heloten fort.

„Die deutsche Sprache,“ sagt Jahn, „ist ein Werk aus einem Guß und Fluß.“ Niemand wird diese Wahrheit in Zweifel ziehen, wenn er die Gleichartigkeit der deutschen Wurzeln, die Gesetzmäßigkeit der Ableitungen, endlich den Umfang der Sprache in Bezug auf Bildung und Zusammensetzung der Wörter betrachtet. Ganz wie das Volk hat auch die Sprache nie durch Eroberung bleibend Noth gelitten; selbst mitten in Gallien erhielt sie sich lange Zeit hindurch rein und verschwand lieber, ehe sie Vermengung duldete; deshalb sind auch französische Wörter, die durch Zufall in einen deutschen Satz einschleichen, unangenehm dem Ohr, wie Sand den Zähnen. Die deutsche Sprache lebte und webte schon und trug, was sie nachher zu Tage förderte, in sich, als es eine französische Sprache noch nicht einmal gab.

In Gallien sprachen die Gebildeten lateinisch oder deutsch, jeder Landmann aber das grobe Patois seines Gau’s. Es bedurfte langer Zeit, bis aus der Mengung des Deutschen, Lateinischen, Keltischen etc. eine Art von Uebereinkunftssprache sich machte. Die Verschmelzung konnte aber nicht vollkommen werden und ist es noch nicht: die Sprache ist aus zu verschiedenen ja unvereinbaren Stoffen zusammengeworfen, so daß man stets die Ansätze erkennt.

In Frankreich bemerkt man oft in alten Kirchen, Festungswerken, selbst Häusern der Landleute einen Säulenknauf, der als Unterlage, ein Fries, das als Pfeiler gebraucht wird, eine umgekehrte Inschrift etc. Eben so in der Sprache. Das lateinische Zeitwort kann da oft zu einer Reihe von Begriffen gehören, die durch keltische oder deutsche Wörter ausgedrückt werden; es kann eine umgekehrte, eine verkürzte Bedeutung erhalten haben, es kann verstümmelt seyn wie ein antiquarisches Kunstwrack; um diese Stücke, die nichts miteinander gemein haben, zu binden, bedurfte es vieler kleinen Wörtchen als eines Kittes, es bedurfte der Partikeln, die jedes Wort stützen wie Krücken einen Hinkenden oder Lahmen. Die Gleichartigkeit der Wurzeln fehlt, oder besser, es giebt keine französischen Wurzeln. Wo es immer möglich ist zu dem Ursprunge der Wörter hinaufzusteigen, begegnet man Wurzeln aus fremden Sprachen. Und diese Wurzeln liegen entweder todt in dem Boden, der ihnen nicht zustand, oder sie haben nur zu oft nichts denn fehlgeschlagene Sprößlinge getragen, die, wie ausländische Pflanzen, selten zur Blüthe, fast nie zur Reife kamen. Es ist überaus schwer, in der französischen Sprache neue Wörter zu formen, und fast unmöglich, Zusammensetzungen zu bilden, weil Wörter von verschiedener Abstammung sich nicht gerne gatten.

[379] Wenn die deutsche Sprache, deren junge Wurzeln mit frischer Jugendkraft in einen noch nicht erschöpften Boden sich senkten, einem lieblichen Walde mit lauter großen und schönen Bäumen gleicht, so ist die schon in ihrer Kindheit durch die gleichzeitige Entwicklung zahlreicher Nebensprachen beengte französische Sprache ein Wald mit alten abgehauenen Stämmen, worauf eine Menge der verschiedensten Baumarten geimpft sind, die aber nur saftloses Holz treiben, und keine eigentliche Zeugungskraft besitzen.

Die deutsche Sprache hat ihre Mundarten, die französische [380] nur ihre Patois. Die Volksmundart jedes deutschen Gaues ist doch immer deutsch. Die Volkssprache jeder Provinz in Frankreich ist nicht eine Mundart des Französischen, sondern eine Abart von spanisch, italienisch, deutsch oder keltisch. Die Binnenprovinzen (das Thal der Loire ausgenommen) sprechen eine Sprache, die mehr oder weniger von diesen verschiedenen Patois enthält. Ein Provenzale wird nicht von dem Nieder-Bretagner verstanden, ein Languedoker nicht von dem Elsäßer oder Normannen, und keiner von ihnen in Paris, Blois und Tours: den einzigen Provinzen, wo die französische Sprache recht einheimisch ist. In den übrigen Theilen des Reichs ist sie völlig blos die gelehrte Sprache und die Sprache der Regierung, so daß man in mehr als Einem Gerichtshofe genöthigt ist, Zeugen wie Angeklagte im Patois zu verhören.

Als eine reine und ursprüngliche Sprache hat die deutsche Sprache ihre Mundarten, die alle, wie Schwestern, auf die gemeinsame Mutter hinweisen, und das angestammte Erbe zu vermehren thätig sind; die Patois der französischen Sprache sind enterbte Bastarde. Indessen finden sich die Spuren vormaliger wirklicher Provinzialsprachen noch in der gegenseitigen Eifersucht der verschiedenen Provinzen. Fragt man einen Einwohner von Avignon oder Marseille, ob er Franzose sey? so antwortet er: „Nein, Pottswetter, ich bin Provenzale.[4]“ „Vor den Leuten der Dauphiné bewahr uns der Herr!“ „Ein Normanne wiegt vier Juden auf.“ „Pariser – Maulaffe.“ „Lyoner – Nestling.“ Der Name Normanne, Dauphineer, Gascogner gilt überall gleich Gauner oder Prahler.

Die deutsche Sprache bedarf keines Zuwachses von andern Sprachen – (deshalb haben auch die Deutschen weit weniger als die Franzosen fremde Literatur und Kunst nachgeahmt, und findet man bei ihnen mehr Originalität) – sie genügt sich selbst, und in den durchgeführtesten Terminologien könnte sie, nöthigen Falls der griechischen Sprache entbehren. Sie schreitet frei dahin, und jedes Wort, das aus einer deutschen Wurzel richtig abgeleitet ist, tritt sofort in sein Bürgerrecht ein, ohne daß es vorher die Genehmigung der Journale, der Wörterbücher und der Akademien einzuholen genöthigt wäre. Diese Selbstgesetzgebung gehört zu den wesentlichen Vorzügen der deutschen Sprache. So wenig dagegen ist die französische Sprache im Stande, etwas aus ihrem eigenen Mutterboden zu ziehen, daß jeder Versuch, den Sprachgebrauch zu bereichern, als unerlaubte Neuerung angesehen wird, und die gänzliche Verstoßung der neugemachten Wörter, wenn sie nicht ein Schriftsteller von einer gewissen Autorität unter seinen besondern Schutz nimmt, ohne Weiteres zur Folge hat. Jeder, auch der unbedeutendste Kunstausdruck, ist aus dem Griechischen entlehnt, und immer, wenn man eine Wissenschaft studieren will, muß man zugleich eine Masse von ausländischen Namen erlernen. Da die Wörter mit ihren Bedeutungen lediglich conventionell sind, und sich einem Sprachgebrauch schmiegen, der jede Freiheit für Zügellosigkeit erklärt, so erhalten sie nicht eher als nach allgemeiner Einwilligung das Recht der Existenz und die Ehre des Wörterbuchs, und die Sprache selbst ist, wie die Sitten, ein Gegenstand des Modegeschmacks. So kann man im Französischen mit den anständigsten Wörtern, ohne daß man daran denkt, die schmutzigsten Dinge sagen; aber sich nicht tragen wie alle Welt, nicht fluchen oder schwören wie Jedermann, das heißt Sitte, Geschmack und Anstand verletzen. Geht man auf den Grund dieser Erscheinung zurück, so liegt er vielleicht schon in der Entstehungsart der französischen Sprache, die, wie sie sich mitten unter den Trümmern einer verderbten Civilisation gestaltete, nie eine Periode der Unschuld kannte, sondern schon in der Wiege eine Coquette war.

[382] Der Charakter der deutschen Sprache ist ein edler Ernst, den sie selbst im Scherz nicht verleugnet. Alles, was man im Französischen ernsthaft sagen will, kann possirlich gedreht werden. Die Franzosen sind mit ihrer Sprache umgegangen, wie Wüstlinge, welche das Mädchen, das sie zur Frau nehmen, verführen und schamlos machen. Ein Amalgam des Fremdartigsten, bietet die französische Sprache eine Masse von Wörtern dar, die, bei gänzlicher Verschiedenheit der Bedeutung, fast gleichen Laut haben: diese Wörter – wir meinen hauptsächlich die [383] Calembourgs[5] – sind wahre Fesseln für den Schriftsteller, der immer fürchten muß, etwas zu sagen, was er nicht sagen wollte; sie sind die Schmarotzerpflanzen, die das Mark der Sprache aussaugen, und ihr Wachsthum hindern. Dieser Uebelstand verliert sich jedoch in der ganz leichten Gattung der Poesie, die für die französische Sprache wie gemacht ist. Sie wirft dann jeden Zwang von sich und zeigt sich in allen ihren Reizen.

In der deutschen Sprache muß man genau die Bedeutung jedes einfachen oder Wurzelworts kennen, um das zusammengesetzte oder abgeleitete Wort richtig zu verstehen. Damit hängt der Vorwurf zusammen, welchen man der deutschen Sprache macht, daß sie etwas Schwankendes habe, daß ihr Schärfe und Bestimmtheit fehlen. Aber dieß kommt daher, daß ein deutsches Wort zu reich ist, um bestimmt zu seyn, daß es nicht nur die Vorstellung von dem Gegenstande erweckt, den es eben bezeichnet, sondern auch an das Wurzelwort mit seiner Grundbedeutung erinnert und zugleich noch die in den zusammengesetzten oder abgeleiteten Wörtern erscheinenden Modificationen der Grundbedeutung ahnen läßt. In einem deutschen Worte, gleichsam dem Bilde, welches einen Gedanken in allen seinen Situationen darstellt, kann man eine ganze Bahn geistiger Entwicklungen durchlaufen, und deswegen ist diese Sprache auch so wunderbar geeignet, das Leben der Seele zu malen, deren poetische Anschauungen unter den groben Pinselstrichen einer mehr materiellen Sprache die zarte Elasticität verlieren.

In der französischen Sprache hat jedes Wort seine beschränkte, seit langer Zeit festgestellte Bedeutung, welche das Vorzustellende in einer bestimmten Form des Seyns auffaßt, während die Grundvorstellung davon oft durch ein ganz anderes Wort ausgedrückt wird. Das Wort erhält seine Bedeutung gleichsam von seinem Buchstaben, über den es nicht hinausreicht; es ist ein Sclave, der immer zu einer und derselben Arbeit verdammt ist, ein Eunuche, der sich nicht begatten, der nicht zeugen kann. So erleidet auch die französische Wortverbindung weit mehr Beengung als die deutsche, welche nicht nur das Zeitwort häufig bis an das Ende einer nicht eben kleinen Periode aufspart, sondern auch manche Versetzungen erlaubt, so daß die oft sehr langen und verschlungenen Sätze große Aufmerksamkeit und Gedankenübung erfordern. Das Charakteristische der französischen Sprache ist ihre Positivität, vermöge welcher sie einen hohen Grad von Trockenheit und Unfruchtbarkeit besitzt, und zumal in der Poesie, wie Dubellay sagt, fremder Federn zum Fluge bedarf. Auf der andern Seite freilich täuschen die Wörter nicht durch Familienähnlichkeit; ein Schriftsteller, der die Sprache gut kennt, kann, abgesehen von jener calembourgschen Alliteration, was er sagen will, stets ohne Dunkelheit und Zweideutigkeit ausdrücken. Dieß ist ein großer Gewinn für die Wissenschaften, und man kann wohl zugestehen, daß in Werken dieser Gattung die französischen Schriftsteller denen anderer Völker zum Theil überlegen sind.

Die deutsche Sprache ist, wenn auch einzelne Mundarten von dieser Regel eine Ausnahme zu machen scheinen, im Ganzen eine wohlklingende Sprache mit starkem Accent. Um die französische Sprache gut zu sprechen, darf man gar keinen Accent haben, denn jeder Accent schmeckt nach der Fremde oder nach der Provinz: so daß die gute Aussprache eintönig und ausdruckslos ist. Uebrigens wenn die Franzosen ihr Vaterland außer Paris studirten, so würden sie finden, daß sich die französische Sprache in der Gegend von Blois (wie sie von den Bauern gesprochen wird), durch Tonfall, Accent und Wohlklang auszeichnet, Eigenschaften, die sie im Munde des Parisers nicht hat. Ein Mann verstand die französische Sprache zu bereichern, indem er, um alte Wörter und Redensarten zu verjüngen, in Blois, wo er geboren war, aus dem Volke, dem lebendigen Quell der Sprache, schöpfte. Dieser Mann ist der unglückliche Paul Louis Courrier, der als Opfer eines geheimnißvollen Meuchelmords, dessen Urheber noch nicht entdeckt sind, durch drei Kugeln fiel.

Mit den politischen Revolutionen gehen Ideen- und Sprach-Revolutionen Hand in Hand.

Als große Absonderungsprozesse sind sie um so gewaltsamer, jemehr fremdartiger Stoff, der ausgestoßen oder vernichtet werden muß, unter einem Volke sich angehäuft hat.

[387] In Deutschland haben sich Sprache und Verfassung allmälig entwickelt, ohne Rückschritt, ohne Umsturz, ohne Zerstörung. Um die Zeit der Reformation, dieser großen Epoche der moralischreligiösen Emancipation des Volks, nahm alles einen höhern Schwung, und machte auch die Sprache rasche Fortschritte: von diesem Augenblick an war sie entfaltet und kannte ihre reichen Erzgruben, deren Schachten Luther öffnete, die man fortan nur auszubeuten brauchte, ohne sich irre machen zu lassen. Luther, bewundernswerth eben so sehr durch den Scharfblick, womit er die Bedürfnisse und Forderungen seines Zeitalters errieth, als durch den Muth und die Thatkraft, womit er für die Befriedigung derselben kämpfte und arbeitete, Luther hat sein Volk weit vorwärts gefördert, noch mehr, er hat der Menschheit die Hand gereicht, um sie über den Rubikon zu führen.

In Frankreich glich der Gang der Bildung oft dem Schwindelgang eines Kranken, der den Veitstanz hat.

Carl der Große hatte schon eine deutsche Sprachlehre[6] entworfen, als die französische Sprache noch in die Gesindestube verwiesen war. Im Süden wurde jedoch die Volkssprache bald durch den Gebrauch veredelt. Hier, wo ihre Bestandtheile (fast blos Trümmer des Lateinischen) gleichartiger waren, schrieb jeder Chronikenschreiber mehr oder weniger in dem Patois seiner Provinz. Als die französische Sprache, Hofsprache geworden, sich zu entwickeln anfieng, ließ man gleich eine neue römische Ueberfluthung über sie ergehen. Dubellay und seines Gleichen mengten so viel Griechisch, Latein und Italienisch ein, daß es schien, als wollten sie eine Sprache mit der Inschrift schaffen:

Odi profanum vulgus.

Der verschriene Rousard hatte weit mehr Takt: „Man will,“ sagt er, „unsere Sprache zu einer Sklavin machen. Es gibt ja Wörter genug, die geboren französisch sind, die zwar ältlich, aber frei und französisch klingen; laßt uns sie nicht verlieren!“

Die akademische Meisterschaft, die sich die französische Sprache im Zeitalter Ludwigs XIV erwarb, wurde als ihre absolute Vollendung betrachtet. In derselben Zeit, da man den Gebrauch eines neuen Worts für eine Verletzung der [388] Gesetze des guten Geschmacks erklärte, ächtete man jeden Tag so viele alte und ausdruckvolle Wörter.

Im Zeitalter Ludwigs XV mußte man wohl neue Bezeichnungen für die politischen und philosophischen Wissenschaften suchen, aber man that es nicht recht im Geiste der Sprache, so daß nur wenige in’s Volk übergingen. Denn nicht die Gelehrten machen und bereichern die Sprachen, sondern das Volk.

Eine Masse neuer Begriffe, und folglich auch neuer Wörter hat endlich die Revolution in die Sprache eingeführt. Aber zu gleicher Zeit, welche völlige Auflösung alles Schönen und Guten in der Sprache der vorhergegangenen Perioden! welche Ueberschwemmung von Schwulst und Bombast! welche Zügellosigkeit! welche Nachläßigkeit! welche Incorrectheit im Stil und im Druck! Ein paar Sätze aus den Briefen des Abbé Duchesne, vom zweiten Jahr der Republik mögen dieses Urtheil andeuten: „Ja, ich ersticke vor Zorn; ja (verdammt!) alles, was ich sehe, alles, was täglich geschieht, bringt mich zur Verzweiflung. Welcher verwünschte Wahnwitz bemächtigt sich doch der Bürger! Dieses falsche Ehrgefühl, von dem unsre blödsinnigen Voreltern angesteckt waren, will wieder aufleben mehr als je!“

„Je mehr ein Staat bevölkert ist, desto reicher und mächtiger ist er. Dieß ist eine Wahrheit, die hol’ mich der Teufel (bougrement) wahr ist. Aber ich möchte rasend werden, wenn ich da eine Art Menschen sehe, buntscheckig, weiß, schwarz, grau, die meinen, sie seyen der Gesellschaft überaus nützlich, und Dickwänste, die ein paar Wochen die ganze Arche Noä vom Maulwurf bis zum Elephanten auffressen, und verdauen!“ – „Verdammtes Geschöpf, du zweifelst also noch ob die Siege der linken Seite auch ein Werk Gottes seyen? du zweifelst also noch, ob dein Gott sich schon den Juden überantwortet glauben würde, wenn er sich mitten unter den Raben der Aristokratie sähe? Sagt mir doch, ob es möglich ist, daß der Vater der Menschen nicht Patriot sey! Sag mir doch Einer, ob er Aristokrat seyn kann.“

Unter der Kaiserherrschaft war die Sprache durch ihre mathematische Trockenheit und durch die Kürze des militärischen Commandos ausgezeichnet. Die siegreichen Züge der Nation durch die Welt, weckten manch neues Element, aber der strenge Zwang des Augenblicks hemmte alle Fortschritte!

In unsern Tagen ist die Sprache im Allgemeinen correct, aber gesucht. Man hascht nach neuen Wörtern wie nach neuen Gedanken. Sie hat noch kein bestimmtes Gepräge: es ist eine Durchgangsperiode. Man gräbt die alten Quellen der Sprache wieder auf. Das Studium der Politik und Philosophie, der Geschmack an der deutschen Literatur zwingen neue Wörter zu suchen. Die Sprache ist ernster und züchtiger geworden. Wer heut zu Tage eine Pucelle schriebe, würde ausgezischt werden.

Aber die Sprache ist in den Wehen, wie das Volksleben; man muß die Stunde abwarten, um zu sehen, wes Geistes das Kind der Zeit seyn wird!


  1. Frankreich ist, nachdem die äußere Revolution geschlossen, in einer fruchtbaren geistigen Evolution begriffen, die sich durch einen sonst ungewohnten Ernst und ein inniges Eindringen in die Tiefe der Wahrheit ankündigt. So in der Wissenschaft und Poesie. Dort hört mathematische Einseitigkeit, hier Formenvergötterung auf. In dieser Werdezeit ringt auch die Sprache, die neuen Aufschlüsse und Ergüsse, Ahnungen und Anschauungen (meist von den Deutschen empfangen) wiederzugeben. Das Bedürfniß heischt neue Weisen und Wendungen, und zwingt die Sprache aus ihren akademischen Schranken herauszutreten. Einzelne Franzosen kennen, viele achten und lieben Deutschland. Unsern Herder, Schiller und Göthe lesen sie in der Ursprache oder in guten Uebersetzungen. Die Ersten des französischen Volks haben es nicht unter ihrer Würde gehalten, ihre Landsleute mit den Werken geistreicher Deutschen bekannt zu machen. Der sprechendste Beweis, wie sehr die alten Vorurtheile verschwunden sind, ist die französische Uebersetzung eines Werks, dessen Verfasser als der Repräsentant einer, wenn auch jetzt vornehm verachteten, doch gewiß schönen und in ihrer Art einzigen Periode betrachtet werden kann. Der Mann, der mehr als irgend einer zur Erweckung der schlummernden Nationalkraft beitrug, obwohl diese damals zunächst nur gegen Frankreich gerichtet war, findet in Frankreich selbst die schönste Anerkennung seiner Volksverdienste. Das deutsche Volksthum ist ins Französische übersetzt worden. Voilá, drückt sich der Verfasser unsers Artikels brieflich aus, voilà des faits, pour prouver les progrès de la Deutschheit en France. Voilà les véritables et saintes conquètes! Sollen wir in Deutschland gegen Deutsche weniger gerecht seyn als die draußen? Desselben Mannes aus dem Vaterland verbannte Kunst fand bald bei den Anwohnern der Seine, der Themse und des Hudson gastliche Aufnahme, und wäre ihr nicht zuletzt an den Ufern der Isar ein vorurtheilsfreier Schutz geworden, so hätten wir sie vielleicht nach einem Jahrzehend als eine Modewaare aus Paris oder London erhalten. Wir fügen bei, was das London Weekly Review vom 15 März schreibt: Professor Jahn, the renowned patriot, has, after many years of seclusion, reappeared as the author of an admirable work unter the title of Runenblätter, which may be regarded as a continuation of the masterly work „Deutsches Volksthum.“ Professor Jahn’s work is full of striking thoughts, expressed in a most original and manly style.“
  2. Hi omnes lingua, institutis, legibus, inter se differunt.
  3. Plebs paene servorum habetur loco.
  4. Non, tron de Diu (tonnerre de Dieu) je suis Provençal. Des gens du Dauphiné libera nos Domine. Il faut quatre Juifs, pour valoir un Normand. Parisien, badaud. Lyonnais, niais. (Niais, Nestling, wie im Isländischen Heimskr einen dummen, unerfahrenen, daheim hinter dem Ofen sitzen Gebliebenen, bezeichnet.)
  5. Von tausenden hier ein paar Beispiele dieser Schön-Geisterei, wodurch mehr als ein Petit-Maitre sein Glück macht und seinen Ruf begründet. Als Karl X als König in Paris einzog, war schlecht Wetter; als er nach seiner Krönung einzog, war gut Wetter: da sagte man: „Quand il a fait sa première entrée, il a plu, quand il a fait la seconde, il n’a pas plu. Bei der Geburt des Königs von Rom fragte Jemand: Warum ist der Taback so theuer? „Parceque l’empereur a un nouveau né (nez) et que nous fumons“ fumer heißt auch unzufrieden seyn.) Welcher Deutsche erinnert sich nicht von 1813–15 her der Witzeleien: le vilain ton (Wellington), le plus chèr (Blücher), les plus chiens (Prussiens), les autres chiens (Autrichiens)? Indessen ist die oft unzüchtige Wortspielsucht ziemlich vergangen, und man findet sie nur noch in dem Munde einiger Greise als Nachklang des Jahrhunderts Ludwigs XV und XVI.
  6. Eginhardi Vita Caroli Magni Cap. 29.