Der trunkene Gott
Weiße Marmorstufen steigen
Durch der Gärten laub’ge Nacht,
Schlanke Palmenfächer neigen
In des Himmels blaue Pracht.
Zecht in abendweichen Lüften
Alexander’s Lieblingsschaar;
Daß der Erde Herr sich labe,
Bietet ihm ein schöner Knabe
Kleitos neben Philipp’s Sohne
Furcht die Stirne kummervoll,
Der benarbte Macedone
Schlürft im Weine Zorn und Groll:
Die die erste Phalanx schlossen
In den Bergen kühl und fern –
Seinen dunkeln Muth zu kränken
Lüstet es den jungen Schenken
Träumt den Zug ins Inderland,
Lauschend liest den Traum das schlaue
„Bacchus bist du, der belaubte,
Mit dem schwärmerischen Haupte,
Der ins Land der Sonne zieht!
Ohne Heer kannst du bezwingen,
Winke nur und Indien kniet!“
Finster grollt der tapfre Streiter:
Durch der Wüste heißen Sand?
Immer ferner, immer weiter?
Siegst du mit der Wimper Winken,
Warum fechten wir und sinken
Wir für dich? Zum Schein und Spott?
Lebende kannst du belohnen,
Wecke sie, bist du ein Gott!“
Freust du auf der Erde dich?
Bist du die Gewalt des Ares,
Herr, bevor den niedern Thalen
Du dich nahtest ohne Strahlen,
Welches war dein himmlisch Amt?
Bist du Zeus? Bist du ein Andrer?
Dessen Stirne sonnig flammt?“ –
Traulich neigt der graue Fechter
Sich zum Ohr des Gottes hin,
Mit unseligem Gelächter
„Gast des Himmels, merklich sinken
Haupt und Schulter dir zur Linken[1],
Lastet dir der Erde Raub?
Dein Gebrechen schreit mit Spotte:
Alexander, du bist Staub!“
Eines Gottes Rachewut!
Alter Treue strömend Blut!
Auf den Mörder, auf die Leiche
Starrt der Schenk, der schreckensbleiche:
Kranz und Wunde! Fest und Grab!
Hier ein herrenloser Becher,
Rollt die Stufen sacht herab …
- ↑ Alexander war schief, seine rechte Schulter etwas höher als die schwächere linke.