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Der deutsche Reichsadler und die deutsche Kaiserkrone

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Autor: Karl Braun-Wiesbaden
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Titel: Der deutsche Reichsadler und die deutsche Kaiserkrone
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14-15, S. 233-235, 252-255
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[233]

Der deutsche Reichsadler und die deutsche Kaiserkrone.

Eine historisch-politische Plauderei von Karl Braun-Wiesbaden.
Erstes Capitel.

Nachdem das deutsche Reich an die Stelle des Norddeutschen Bundes getreten war und der König von Preußen, der bisherige Schirmherr des Norddeutschen Bundes, von den Regierungen und der Volksvertretung des neu geeinigteu Deutschland als „deutscher Kaiser“ proclamirt worden war, wurde durch kaiserlichen Erlaß vom 3. August 1871 das kaiserliche Wappen und die kaiserliche Standarte festgestellt. Der deutsche Reichsadler wurde neu geboren. Da aber die Heraldik und die Wappen-Wissenschaft heutzutage nur noch von einer geringen Anzahl deutscher Reichsbürger cultivirt wird, so bestehen bei vielen, sonst wohl unterrichteten Deutschen noch mancherlei Irrthümer hinsichtlich des Reichsadlers und des kaiserlichen Wappens, und diese Irrthümer führen zuweilen sogar zu Collisionen.

Ich erinnere mich, daß alsbald nach Aufrichtung des deutschen Reichs in Berlin einige Geschäftsleute, welche den Titel „Königl. Hof-Lieferant“ oder „Königl. Hof-Photograph“ etc. führten, und mit Recht führten, in einen Rechtsirrthum bezüglich der nunmehrigen Qualification dieses Prädicats verfielen und in Folge dessen sich „Kaiserlich und Königlich“ nannten und den preußischen Adler mit dem Reichsadler vertauschten. Sie wurden gezwungen, diesen Schritt rückgängig zu machen und den früheren Zustand ihrer Geschäftsschilder wiederherzustellen.

Auch in der Gegenwart sind einem neuen Theater in Berlin, welches, da es sich als „Deutsches Theater“ bezeichnet, es für zweckmäßig hielt, sich auch des deutschen Reichsadlers zu bedienen, daraus Schwierigkeiten entstanden, und es schweben, so viel ich weiß, heute noch Verhandlungen darüber, ob und inwieweit dieser Musentempel berechtigt ist, das Reichswappen oder den Reichsadler zu führen.

An diese praktischen Streitfragen reihen sich theoretische Irrthümer.

Der deutsche Reichsadler.

Viele glauben, die Erhebung des Königs von Preußen zum „deutschen Kaiser“ komme einer Wiederherstellung des alten „heiligen römischen Reiches deutscher Nation“ gleich, wie solches bis zum 6. August 1806 bestand, an welchem Tage Kaiser Franz II. durch eine feierliche Abdicationsacte die „Römisch-Deutsche“ Kaiserkrone niederlegte, das Band, welches ihn bisher an den Staatskörper des Reichs gebunden, für gelöst und die reichsoberhauptliche Würde nebst all ihren öffentlichen Befugnissen und Verpflichtungen für erloschen erklärte, und alle Kurfürsten, Fürsten und sonstigen Reichsstände, sowie alle Reichsangehörigen, die Richter der Reichsgerichte mit inbegriffen, von ihren Pflichten gegen das Reichsoberhaupt entband, indem er zugleich mit seinen sämmtlichen deutschen Erblanden, mit welchen er bisher dem deutschen Reichsverbande angehört hatte, aus demselben ausschied.

Ja, es sind sogar seiner Zeit Stimmen laut geworden, welche verlangten, Oesterreich solle die alten Reichs-Insignien, welche sich seit 1796 noch in seiner Bewahrung befinden, an das jetzige deutsche Reich herausgeben, und eine diplomatische Action in diesem Sinne begehrten, die aber, wie mir scheint mit Recht unterblieben ist.

Endlich kennen auch Viele nicht den Unterschied zwischen dem jetzigen Reichswappen und dem alten – ein Unterschied, welcher keineswegs nur auf heraldische Spitzfindigkeiten hinausläuft, sondern seine historisch-politische Bedeutung hat.

Unter diesen Umständen dürfte es nicht unzweckmäßig erscheinen, das Capitel vom deutschen Reichsadler und von der deutschen Kaiserkrone, welches bisher nur in staatsrechtlichen und heraldischen Fachblättern behandelt worden ist, in einer in den weitesten Kreisen verbreiteten volksthümlichen Wochenschrift, wie die „Gartenlaube“, zu erörtern, um den Sachverhalt aufzuklären, Irrthümer zu widerlegen und Mißverständnisse zu beseitigen.

Zu diesem Zwecke geben wir zunächst eine genaue bildliche Darstellung des „Reichsadlers“, wie solcher durch kaiserlichen Erlaß vom 3. August 1871 festgestellt worden ist. Zur Erläuterung des Bildes fügen wir hinzu:

Während der alte Reichsadler zwei Köpfe hatte, von welchen der eine nach rechts und der andere nach links sah, hat der neue nur einen Kopf, und dieser Kopf sieht nach rechts. Die Doppelköpfigkeit des alten Reichsadlers ist erst in späteren Zeiten entstanden. Ursprünglich war auch der alte nur einköpfig. Später aber scheint man zwei Köpfe für schöner und majestätischer gehalten zu haben. Denn auch den russischen Adler hat man mit zwei Köpfen ausgestattet. Alle alten Reichs-Publicisten haben die Doppelköpfigkeit entweder damit erklärt, daß der eine Kopf das römische Regiment, das Imperium Romanum, der andere das deutsche Regiment, das Imperium Germanicum, bedeute; oder sie haben die zwei Köpfe als ein Symbol der Wachsamkeit gepriesen, indem der Adler ausschaue nach allen Seite. Böswillige meinten, der Hauptkopf sehe nach dem österreichischen Haus- und der andere nur so ganz beiläufig nach dem Reichs-Interesse, Jener schaue donauabwärts, nach Belgrad, indem er die Rathschläge des Prinzen Eugen von Savoyen, des edlen Ritters, befolge, Dieser schaue donauaufwärts und rheinwärts, nach Frankfurt am Main, indem er die Rathschläge des Fürsten Metternich befolge. Doch das gehört für uns heutige deutsche Reichsbürger der Vergangenheit an. Wir sind zufrieden, wenn unser jetziger Reichsadler nur einen Kopf hat. Wir halten das für richtig, nicht nur in zoologischer, sondern auch in politischer Hinsicht.

Der jetzige einköpfige rechtsblickende schwarze Reichsadler hat rothen Schnabel, rothe Zunge und rothe Klauen oder „Fänge“. Man nennt das die „Waffen“ des Wappenthieres.

Der alte Reichsadler war (an beiden Köpfen) roth gezunget. Dagegen hatte er goldene Schnäbel, goldene Kronen und goldene „Fänge“. Der russische Adler dagegen ist wie der unserige roth geschnäbelt, roth gezunget und roth gefänget.

Der jetzige Reichsadler hat nicht auf seinem Kopfe eine goldene Krone sitzen, sondern es schwebt über dem Ganzen die sogenannte „Krone Karl’s des Großen“, gegen welche man antiquarische und heraldische Einwendungen erhebt, welche ich für meine Person für begründet halte. Ich will dieselben jedoch hier [234] nicht aus einander setzen. Sie haben für die Mehrzahl der Leser schwerlich Interesse, und selbst wenn die Wissenschaft Recht hat, vermag sie an der staatlichen Feststellung des neuen Wappens doch nichts zu ändern.

Der alte Reichsadler hält mit dem rechten Fange (vulgo Klaue) den Reichsscepter, in dem linken Fange den Reichsapfel. Der neue Adler hält nichts in den Fängen, sondern streckt dieselben aus einander.

Dagegen trägt er auf dem Brustschilde den gekrönten preußischen Adler, und dieser, der preußische Adler, hat in der rechten Klaue den Scepter und in der linken den Apfel, und auf der Brust trägt er das Wappenschild der Grafen von Hohenzollern, das mit Silber und Schwarz geviert ist, das heißt oben links und unten rechts Silber, und unten links und oben rechts Schwarz. So ist denn der jetzige Reichsadler zugleich eine Art bildliche Darstellung der Geschichte des preußische Herrscherhauses während der Stadien der Grafen von Hohenzollern, der Könige von Preußen und der deutschen Kaiser. Um das Wappen schlingt sich die Kette des Schwarzen Adlerordens. Aus der Kaiserkrone quellen unten zwei breite, mit Arabesken verzierte goldene Bänder hervor, welche nach rechts und links ab- oder herausfliegen.

Alles Uebrige ist aus der Zeichnung zu ersehen.

Damit sind denn die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Adler des alten heiligen römischen Reiches deutscher Nation und dem des gegenwärtigen „Deutschen Reiches“ nachgewiesen.

Zur Vervollständigung muß ich noch etwas über die deutsche Krone und über die deutschen Reichsinsignien sagen.

Was Kaiser Karl den Großen anlangt, so trägt derselbe auf gegenwärtig noch vorhandenen und als echt beglaubigten Siegeln, Münzen und Medaillen nicht eine Krone, sondern einen Lorbeerkranz, und dies stimmt überein mit der geschichtlichen Ueberlieferung, daß der Papst Leo, welcher im Jahre 800 Karl den Großen zu Rom als Imperator Romanus krönte, ihm hierbei eine römische Lorbeerkrone aus Gold auf das Haupt gesetzt hat. Unter den späteren Reichskleinodien hat sich jedoch diese Lorbeerkrone nicht vorgefunden.

Das „heilige römische Reich deutscher Nation“ ist erst im Jahre 962 unter Otto dem Großen gegründet worden. In demselben hat es, wie uns die goldene Bulle Kaisers Karl IV. (1356) belehrt, dreierlei verschiedene Kronen gegeben, nämlich:

1) die goldene,
2) die silberne und
3) die eiserne Krone.

Die erste war die eigentliche Reichskrone und wurde deshalb auch die römische oder die kaiserliche Krone genannt, die „Corona Romana“ oder „Corona Imperii“. Die zweite ist die Krone des deutschen Königs, wie das Reichsoberhaupt hieß, so lange es der Papst noch nicht gekrönt hatte. Sie wird die „Corona Regni“, die Krone des Königreichs oder die „Corona Aquensis“, die Krone von Aachen, genannt. Denn in der That wird sie seit 1262 bis heute in dem Aachener Stift aufbewahrt. Die dritte, die eiserne Krone, bedeutet die Herrschaft über Mailand und über das lombardische Königreich, dessen Schicksale ja bekannt sind. Sie wird die Mailänder Krone (Corona Mediolanensis) oder die Lombardenkrone (Corona Lombardica) genannt. Oesterreich hat heute noch einen Orden, welcher nach dieser „Corona di Ferro“ genannt wird, obgleich der Besitz der Stadt und des Landes, als dessen Emblem die eiserne Krone gilt, seit 1859 auf Italien übergegangen.

Die goldene Kaiserkrone, sowie die übrigen Reichskleinodien und Insignien befinden sich zur Zeit, das heißt seit 1796, im Besitze von Oesterreich.

Früher war die freie Reichsstadt Nürnberg mit deren Aufbewahrung betraut. Da das heilige römische Reich deutscher Nation eine Wahlmonarchie war und es daher keine unabänderliche kaiserliche Residenz gab, da ferner auch der jeweilige Kaiser eigentlich kein festes Domicil hatte, sondern bald da und bald dort Residenz hielt, da endlich auch der Sitz des Reichstags zum Oefteren wechselte (Ende des 15. Jahrhunderts z. B. tagte er am Bodensee in der damaligen freien Reichsstadt Lindau, wo er die Reichsjustizgesetze zu Stande brachte, die leider nur sehr unvollständig zum Vollzuge gelangten): so war es nöthig, für die Reichskleinodien einen unabänderlichen und permanenten Bewahrer, einen vertrauten und getreuen Inhaber, einen „Trustee“, wie die Engländer sagen, zu haben, welcher erhaben war über den Wechsel der Zeiten und der Personen. Und das war die allergetreueste Stadt Nürnberg.

Sie bewahrte nicht nur die Krönungsinsignien, die Krone, den Kaisermantel, den Reichsapfel, das Reichsschwert (das „gladium Caroli Magni“) etc., sondern auch die dazu gehörigen heiligen Schriften, die mit kostbaren Miniaturen versehenen Meßbücher und die Reliquien, welche sich theils auf die Kreuzigung Christi, theils auf das Martyrthum der Apostel bezogen, namentlich also die Kerkerketten von Johannes, Paulus und Petrus, sowie das Fragment von der Krippe des Heilands, den hölzernen Spahn des Kreuzes und die Marterwerkzeuge der Kreuzigung, wie Nagel, Lanze etc.

Jährlich am zweiten Feiertage nach Ostern, schreibt Herr von Weech, wurde dem Volke auf dem Marktplatze das „Heilthum“ gewiesen, das heißt die Reichskleinodien wurden vorgezeigt, welche seit dem Jahre 1424 der Stadt zur Aufbewahrung anvertraut waren. Das war ein großes Fest, zu dem auch von auswärts die Massen des andächtigen und neugierigen Volkes herbeiströmten, um so mehr, als die mit dem Feste verbundene Messe der Landbevölkerung zu mancherlei Einkauf erwünschte Gelegenheit bot. Man weiß, daß im Jahre 1463 an jenem Tage 1266 Wagen und Karren die Stadtthore passirten. (Man ersieht daraus, daß man damals schon eine Art von Verkehrsstatistik hatte; freilich wurde ihre Grundlage durch Thor- und Brückenpassagezölle gebildet.) Da waren denn auch große Vorbereitungen nöthig. Die Straßen wurden sorgfältig gereinigt, jene in der Nähe des Marktes mit Ketten abgesperrt, um keinem Fuhrwerk den Durchgang durch die gedrängten Massen zu gestatte; ein großes Schaugerüste ward aufgeschlagen, auf dem unter freiem Himmel die Kostbarkeiten ausgestellt wurden.

Was mag da das Volk hin- und hergewogt sein auf dem weiten Marktplatze, wenn der Zug sich langsam von der Heilig-Geist-Kirche her bewegte, und wie feierlich mag der Anblick gewesen sein, wenn die Priester in ihren kostbaren Gewändern das Gerüste bestiegen, während alle Glocken erklangen, und wenn dann ein Bischof, der dazu gebeten war, oder gar ein päpstlicher Legat, der etwa eben durchreiste, die Messe sang! Da hob wohl ein alter Großvater den neugierigen Enkel hoch empor, um ihm alle die Herrlichkeit zu zeigen und zu erklären, den Nagel, die Lanze und den Spahn vom Kreuze des Herrn, das Stück von der Krippe Christi, Glieder von den Ketten, mit denen Petrus, Paulus und Johannes einst gefesselt waren, das Schwert Karl’s des Großen, seine Krone, sein Scepter, seine Kleider und andere heilige und kostbare Gegenstände. Aber nicht allein die Freude an den frommen Spielereien durchdrang und beherrschte diese Massen, sondern ihnen trat bei dieser feierlichen Scene doppelt kräftig das Gefühl vor die Seele, daß sie Glieder eines großen staatlichen Ganzen seien, und das weitere: daß ihrer Stadt vor allen Gemeinwesen des deutschen Reichs die Ehre zugetheilt sei, die Hüterin der Insignien dieses Reichs zu sein.

So schreibt der verdiente deutsche Geschichtsforscher und Geschichtsschreiber Geheime Archivrath von Weech in Karlsruhe; dessen ebenso gelehrtes als volksthümliches Werk „Die Deutschen seit der Reformation, mit besonderer Berücksichtigung der Culturgeschichte“ (Leipzig, B. G. Teubner) dem deutschen Volke auf das Angelegentlichste empfohlen zu werden verdient. Neben seinen inneren Vorzügen genießt es auch äußere, nämlich unter Anderem auch den, sehr schön ausgestattet und namentlich mit zahlreichen Portraits nach geschichtlich beglaubigten Originalen und mit Bildern nach bewährten Meistern der Gegenwart illustrirt zu sein. Dies nur beiläufig.

Man würde aber irren, wenn man annehmen wollte, die alte Kaiserkrone habe sich stets ruhig in Nürnberg befunden, wo auf der die monumentale Stadt überragenden Höhe nicht nur jene kaiserliche Burg, in der so Mancher der alten Kaiser zeitweise residirte, sondern auch die Burg der Burggrafen emporragt, von der das Geschlecht der Hohenzollern, die jetzige kaiserliche Dynastie, ihren Ausgang genommen.

Wie die alten Kaiser kaum eine feste Residenz hatten, sondern fast immer auf Reisen und auf Kriegszügen waren, so ging auch die alte Kaiserkrone zuweilen auf Reisen. Einen sehr interessanten Beleg hierfür hat der alte Freiherr von Aufseß, der Stifter des „Germanischen Museums“ in Nürnberg, aufgefunden.

[235] Es ist ein vom 28. März 1434 datirtes Schreiben des hohen Rathes der freien Reichsstadt Nürnberg an die nicht minder freie Reichsstadt Buchhorn am Bodensee, welches Schreiben von dieser Krone und einem dazu gehörigen Meßbuche handelt und lautet, wie folgt:

„Lieben Freunde! Der allergnädigste Fürst und Herr Sigmund, Römischer Kaiser etc. etc. etc., unser Gnädigster Herr, hat uns kürzlich geschrieben und uns geheißen, seine Kaiserliche Krone, die Seine Durchlaucht jeder Jahre in unserer Stadt gelassen hat, Euer Weisheit zu überschicken und auszuantworten. So meint Seine Kaiserliche Gnaden Euch eine Freudenbotschaft zu thun und Euch zu unterweisen, wie Ihr ihm die Krone fürbaß schicken sollt. Also nach söllichem (solchem) Geheiße schicken wir Euch diese Krone mitsammt einem Meßbuch, als Euch gegenwärtiger unser Knecht, Ausantworter dieses Briefes, wohl unterweisen wird, wo und wie Ihr deren bedürft, Euch derselben Dinge zu unterwinden und Seiner Kaiserlichen Majestät nach Seinem Geheiß und Wohlgefallen fürbaß zuzufügen, denn wo wir Euer Ehrsamkeit etc.“

Die Stadt, an welche dieser Brief gerichtet ist, die freie Reichsstadt Buchhorn, wird man heute selbst auf der großen Specialkarte des Bodensees und seiner Ufer vergeblich suchen. Gleichwohl ist dieselbe nicht von dem See verschlungen worden und nicht durch ein Erdbeben oder sonstwie von der Erdoberfläche verschwunden. Sie steht noch, aber sie verbirgt sich unter einem andern Namen. Als während der französischen Fremdherrschaft die einzelnen Theile des deutschen Gebiets vertheilt und hin und her geworfen wurden, wie es Napoleon I., dem mächtigen und gewaltthätigen Protector des rheinischen Bundes, beliebte, wurde die freie Reichsstadt Buchhorn, die allerdings sehr heruntergekommen war und nur noch 700 Einwohner, aber hunderttausend Gulden Schulden hatte, zuerst 1802 Baiern und dann 1810 Württemberg zugetheilt; und da dem König Friedrich von Württemberg auch das in der Nähe gelegene Kloster Hofen zugefallen war, so verwandelte er das Letztere in ein königliches Lustschloß und befahl am 17. Juni 1811, daß nunmehr das Ganze, Buchhorn und Hofen, zu einer Gemeinde vereinigt, den Namen „Stadt und Schloß Friedrichshafen“ führen sollten. So ist der Name der freien Reichsstadt zuerst aus der officiellen Topographie, und dann aus dem Gedächtniß der Menschen verschwunden.

An diese freie Reichsstadt also war das Nürnberger Schreiben vom 28. März 1434 gerichtet. In dem Briefe steht nicht, was Buchhorn mit der Krone und dem Meßbuche anfangen soll; vielmehr wird es lediglich auf die mündliche Botschaft des freireichsstädtisch-nürnberger Knechts verwiesen, der mit dem Transport der Krone betraut war.

Der Kaiser Sigismund verweilte damals in Constanz, etwas später in Ulm, wohin der Reichstag einberufen war. Warum man die Krone nebst Zubehör nicht direct nach Constanz, oder direct nach Ulm, sondern nach Buchhorn gesandt, warum man das Meßbuch beigegeben hat – nach Alledem fragen wir zur Zeit noch vergebens.

Aber wir haben wenigstens einen Anhaltspunkt zu einer kleinen neuen historischen Episode:

Die deutsche Kaiserkrone auf Reisen“.

Nur das wissen wir gewiß, daß sie nach Nürnberg zurück gelangt ist.

Im nächsten (und letzten) Capitel wollen wir ihre Schicksale bis zum heutigen Tage verfolgen.



[252]
Zweites und letztes Capitel.

Die deutsche Kaiserkrone ist von der freien Reichsstadt Nürnberg Jahrhunderte lang aufbewahrt worden, nämlich von 1424 bis 1796. In dem letztgedachten Jahre – zu einer Zeit, da man bereits die Befürchtung hegte, das alte heilige römische Reich werde in Trümmer gehen, weil seine morschen Wände nicht im Stande seien, den Stürmen der Epoche zu widerstehen – flüchtete man die Kaiserkrone nebst den übrigen von mir im ersten Capitel beschriebenen Reichskleinodien und Insignien nach Wien, wo man sie in der kaiserlichen Schatzkammer hinterlegte. Am 6. August 1806 legte Franz II. die deutsche Kaiserkrone (oder genauer ausgedrückt: die Krone des heiligen römischen Reichs deutscher Nation) nieder, aber die alte Kaiserkrone nebst Zubehör behielt man zu Wien in der Schatzkammer. In der That war auch Niemand da, an welchen man sie hätte abliefern können. Das alte Reich existirte nicht mehr. Ein neues hatte sich noch nicht gebildet. Der Rheinbund war nicht begierig nach einer deutschen Kaiserkrone. Hatte er doch genug an seinem französischen Protector. Auch die gute alte freie Reichsstadt Nürnberg hatte mit ihren eigenen Nöthen und Drangsalen genug zu schaffen und gar keine Zeit, an die Reichskleinodien zu denken. Ebenso wenig hat der Frankfurter Bundestag sich derselben angenommen. Er war ja auch kein Staat, sondern eine Versammlung von Diplomaten, welche auf Grund eines sehr dürftigen föderativen Verhältnisses oder Vertrages (lien fédératif) eine Anzahl souverainer Staaten vertraten.

Auch Oesterreich hatte kein Recht an den Krönungsinsignien. Kaiser Franz wollte sich anfangs „Kaiser von Böhmen und Ungarn“ nennen, und nannte sich, als dies nicht den Beifall Napoleons fand, „Kaiser von Oesterreich“; 1806 erklärte er, daß er mit seinen sämmtlichen deutschen Erblanden aus dem Reichsverbande für immer ausscheide. Das Kaiserreich Oesterreich, das sich zwischenzeitig in die österreichisch-ungarische Monarchie verwandelt hat, ist keine Fortsetzung des heiligen römischen Reichs deutscher Nation, und will es nicht sein. Der Kaiser von Oesterreich hat für Cisleithanien seine Reichskleinodien. Er hat für Transleithanien, das heißt als „apostolischer König“ von Ungarn und den dazu gehörigen Ländern, die in Ofen aufbewahrten Reichs- und Krönungskleinodien, die „heilige Stephans-Krone“ nebst Krönungsmantel und sonstigem Zubehör, welche eine besondere politische Wichtigkeit dadurch gewinnen, daß nach ungarischem Staatsrechte die Krönung in Pest einen zur verfassungsmäßigen Herrschaft erforderlichen Inaugurationsact bildet. (Das Nähere darüber findet man in meinem Buche „Reise-Eindrücke aus dem Süd-Osten – Ungarn, Istrien, Dalmatien, Montenegro, Griechenland und der Türkei“ – Band I. S. 3 bis 63.) Aber irgend einen rechtlichen Anspruch auf Eigenthum, Besitz und Gebrauch der alten deutschen Reichskleinodien hat der Kaiser von Oesterreich nicht.

Dem entsprechend kommen sie denn auch niemals öffentlich zum Vorschein; auch ist es mir, einiger Bemühungen ungeachtet, [254] niemals gelungen, derselben ansichtig zu werden, und andere wißbegierige Touristen versichern dasselbe.

F. Warnecke in seinem unter den Auspicien des deutschen Kronprinzen und unter Beihülfe der preußischen Regierung herausgegebenen Prachtwerke, welches den Titel führt: „Heraldisches Handbuch für Freunde der Wappenkunst, sowie für Künstler und Gewerbetreibende bearbeitet und mit Beihülfe des König. Preuß. Cultusministeriums herausgegeben von F. Warnecke, mit 313 Handzeichnungen von C. Doepler und sonstigen Abbildungen in Lichtdruck von C. A. Starke“ (2. Auflage. Görlitz 1880[WS 1]), giebt uns eine Abbildung der alten Kaiserkrone, welche in der Wiener Schatzkammer verwahrt wird. Er bemerkt dabei jedoch ausdrücklich, der Künstler habe nicht nach dem Originale gezeichnet, „welches wohl selten Jemand zu Gesicht bekommen habe“, sondern nach der bildlichen Darstellung, welche sich in dem alten Wappenbuche des Conrad von Grünberg vom Jahre 1483 vorfinde.

Krone des heiligen römischen Reichs deutscher Nation.

Nach dieser Darstellung ist denn auch die Abbildung gezeichnet, welche wir hier den Lesern der „Gartenlaube“ geben.

Danach besteht die Krone in einer runden Kappe, umgeben von acht goldenen Schildern, welche unten eine gerade und oben eine halbkreisförmige Linie haben und im Ganzen ein Achteck bilden. Vier davon sind mit Bildern in Email und die vier andern mit Perlen und Edelsteinen geziert, und zwar so, daß die Perlenschilder und Emailschilder mit einander abwechseln. Diese Kappe, oder richtiger das sie bildende Achteck, ist mit einem Bügel überspannt, an dessen vorderem Fuße sich ein aufrecht stehendes Kreuz befindet, welches sich darnach über der Stirn des Gekrönten emporhebt.

Als die Kriegsstürme der Franzosenzeit vorüber waren und die freie Reichsstadt Nürnberg, nachdem man sie mediatisirt und dem Königreiche Baiern zugetheilt hatte, wieder etwas zu Kräften und zum Selbstbewußtsein gelangt war, meldete sie sich 1824 bei dem Kaiser von Oesterreich, indem sie die Reichskleinodien herausverlangte und vorstellte, dieselben seien ihr seit dem Jahre 1424 zur Aufbewahrung anvertraut gewesen, dieser Hinterlegungsvertrag sei niemals erloschen, auch seien ihr die Reichskleinodien niemals auf rechtliche Weise entzogen; wenn man dieselben, ohne Nürnberg zu fragen, vor Kriegsgefahr nach Wien geflüchtet, so sei dies selbstverständlich nur in vorübergehender Weise geschehen und mit dem Vorbehalte, sie nach vorübergegangener Gefahr nach dem Orte, von wo man sie entnommen, zurückzubringen (ad locum unde zu restituiren), die Gefahr sei nunmehr gänzlich beendigt, und mache daher Nürnberg sein Aufbewahrungsrecht auf’s Neue geltend.

Allein der Kaiser (früher als deutscher Kaiser Franz II., jetzt als österreichischer Kaiser Franz I.) ließ der guten Stadt Nürnberg sagen: Früher sei sie allerdings eine freie Reichsstadt gewesen und als solcher habe ihr jenes Aufbewahrungsrecht zugestanden, allein jetzt sei sie mediatisirt und nur eine gemeine baierische Stadt, wie jede andere auch, sie könne daher die öffentlichen Rechte und Privilegien der vormaligen freien Reichsstadt nicht für sich reclamiren; sie könne dies auch nicht im Namen des „Römisch-deutschen Reichs“, denn dies Reich habe aufgehört zu existiren.

Der Kaiser bestritt also der Stadt Nürnberg jede Legitimation zur Sache und hatte daher auch keine Ursache, sich über sein eigenes Recht auszulassen.

Ueber letzteres ließe sich streiten.

Rechtlich war vormals das römisch-deutsche Reich der Eigenthümer der Krone nebst Zubehör. Der jeweilige Kaiser war nur der Nutznießer oder Gebrauchsberechtigte (der beneficiatus). Er wurde damit gekrönt, er durfte sie bei den herkömmlichen Gelegenheiten öffentlich tragen, aber über das Eigenthum daran konnte er nicht verfügen. Er konnte sie weder veräußern noch verpfänden. Das Eigenthumsrecht des Reiches stand über seinem Gebrauchsrecht.

Wenn Kaiser Franz die Krone und die Insignien von 1796 bis 18006 in Besitz hatte, so geschah dies nur im Namen des noch bestehenden deutschen Reichs und nicht in eigenem Namen. Ebenso wenig konnte er 1806 durch Niederlegung der Krone die Krone erwerben; er konnte sich nicht aus einem Inhaber kraft staatlicher-öffentlicher Gewalt in einen Privateigenthümer verwandeln.

Auf der andern Seite aber ist es schwer, Jemanden zu finden, der legitimirt wäre, die Krone nebst Zubehör dem österreichischen Herrscherhaus abzuverlangen.

Das jetzige deutsche Reich ist etwas ganz Anderes, als das alte „Heilige römische Reich“. „Leider“, sagen die Einen, „Gott sei Dank“, die Andern. Die Ersteren bilden nur eine kleine Minorität.

Abgesehen davon, daß das Gebiet und die Verfassung ganz anders geworden, ist auch der Charakter des Reichs nicht mehr derselbe. Das alte römische Reich strebte nach Universalherrschaft und zwar unter Anderem auch mit theokratisch-hierarchischen Mitteln. Das neue deutsche Reich verschmäht solche Mittel und setzt seinen höchsten Stolz darein, ein geschlossener Nationalstaat zu sein, und nicht ein kosmopolitischer Allerweltsstaat. Dies ist namentlich auch bei der Erwägung über das Wappen des neuen Reichs hervorgehoben worden.

Der Freiherr von Köhne in St. Petersburg, der, obgleich ein hoher russischer Beamter, nicht ganz vergaß, daß er von Herkunft ein Deutscher ist, sagt in seiner heraldischen Abhandlung „Vom Doppeladler“ schon im Jahre 1871: „Nun ist unter den Mauern von Paris durch Fürsten und Volk ein neues Deutsches Reich geschaffen worden. Welch ein Wappen hat dasselbe anzunehmen? An den alten Doppeladler mit Heiligenschein darf man nicht denken, denn dieser gebührte dem römisch-deutschen Kaiser; mit Italien hat aber Kaiser Wilhelm nichts zu schaffen.“

Aehnlich sagt Friedrich Karl Fürst zu Hohenlohe-Waldenburg in seiner Abhandlung über den Doppeladler: „Was Deutschland Noth thut, ist die einheitliche Leitung. Diese soll auch im neuen Wappen ausgedrückt werden. Mit dem verderblichen Dualismus ist auch der Doppeladler gefallen!“

Noch treffender und schärfer hät sich darüber der berühmte Staatsrechtslehrer Dr. Hermann Schulze, Professor in Heidelberg und preußischer Kronsyndikus, ausgesprochen. Er sagt:

„Die Continuität unseres Kaiserthums ist eine geschichtliche Thatsache, kein juristisches Princip. Im staatsrechtlichen Sinne ist das Reich, die Kaiserwürde von 1871 eine völlige Neuschöpfung. Es wäre eine bedenkliche Verirrung, wenn man unser nationales Kaiserthum vom 18. Januar 1871 als eine staatsrechtliche Fortsetzung des am 6. August 1806 zu Grabe getragenen römischen Kaiserthums ansehen wollte. Könnte ein starrer Legitimist nicht etwa behaupten wollen, die ganze Aufhebung des römischen Reichs im Jahre 1806 sei illegal, sei eine Revolution gewesen, die Zeit von 1806 bis 1871 nichts als ein Interregnum? Könnte man dabei nicht etwa so weit gehen, zu sagen: die Majorität der neun Kurfürsten (wobei Böhmen, als ausgeschieden, nicht mitgerechnet wird), Pfalzbaiern, Sachsen, Brandenburg, Württemberg und Baden habe den neuen Kaiser reichsconstitutionsmäßig, wenn auch mit einigen unvermeidlichen Formfehlern, erwählt?

An Velleitäten dieser und ähnlicher Art wird es in manchen Kreisen nicht fehlen. Schon berufen sich Aachen und Frankfurt am Main auf die Ehre, die Krönungsstadt zu sein. Könnten sich nicht die Bischöfe des Rheins auch wieder darum streiten, wem das Vorrecht zustehe, den Kaiser zu krönen und zu salben, könnte sich nicht vielleicht ein ehrgeiziger Prälat auf dem Stuhl zu Mainz daran erinnern, daß der Moguntinus ‚des Reiches Erzkanzler durch Germanien‘ war?

Es wird darauf ankommen, mit sicherem Tacte gleich von vornherein alle derartigen Restaurationsgedanken zurückzuweisen. Selbst jede Anknüpfung an die veraltete Krönungsceremonie der römischen Kaiser wäre ein folgenschwerer politischer Fehler. Abgesehen von den zu befürchtenden Rang- und Etiqettestreitigkeiten, diesen wunderlichen Auswüchsen unserer ehemaligen Reichswirthschaft, machen unsere confessionellen Verhältnisse in Deutschland jeden Krönungsact im alten Stile unmöglich. War es schon den alten Reichspublicisten bedenklich, ob ein Protestant zum Kaiser gewählt und gekrönt werden könnte, so ist es hente geradezu undenkbar, daß ein evangelischer Kaiser consecrirt werde in der Bartholomäuskirche zu Frankfurt von den Händen katholischer Bischöfe. Eine specifisch evangelische Kirchenfeier würde ebenso den Charakter der Einseitigkeit tragen und nach der anderen Seite [255] hin unnöthig verletzen. Bedarf der inmitten seiner Heerführer und Krieger, wie ein altgermanischer Heerkönig im Lager, auf’s Schild gehobene Kaiser noch einer andern Weihe, so organisire man, statt leeren byzantinischen Formengepränges, ein großes Friedens- und Kaiserfest unter Gottes freiem Himmel, ein wahres Volksfest aller deutschen Stämme in so großem Stile, wie es die deutsche Geschichte noch nie gesehen. Es zeige sich gleich von vornherein, daß der neue dentsche Kaiser nicht blos der von Fürsten erwählte Kaiser der Fürsten, sondern ein wahrer Volkskaiser ist, welchen die Stimme der ganzen Nation nicht durch das trügerische Gaukelspiel eines Plebiscits, sondern durch ihre gesetzmäßigen Vertreter auf den mächtigster Thron der Erde berufen hat.“

Soweit damals (1871) der Geheime Justizrath Professor Dr. Schulze in Heidelberg.

Wir haben ein altes Bild, welches darstellt, wie Kaiser Karl V. vom Papst zum Kaiser gekrönt wird. Er war der Letzte, der sich dieser Ceremonie unterzog. Die Krönung erfolgte am 24. Februar 1530 in Bologna. Der Kaiser ist dabei mehr kirchlich als weltlich gekleidet. Er trägt „Alba“, „Stola“ und „Pluviale“, rothe Handschuhe, Strümpfe und Sandalen. Er küßt dem Papst knieend den Fuß. Erst dann wird er mit der „Dalmatica“, dem Leviten-Kleide, angethan und muß, dergestalt in einen Domherrn der Peterskirche verwandelt, vor dem Papst das Evangelium singen. Schließlich muß er geloben, „bei dem katholischen Glauben zu verbleiben und stets dem Papste gehörige Treue zu leisten“. – Das Alles paßt natürlich nicht für das neue deutsche Reich und seinen Kaiser. Das jetzige deutsche Kaiserthum ist weder katholisch noch evangelisch. Es ist confessionslos oder vielmehr supraconfessionell und interconfessionell, und muß es bleiben, im Interesse der Erhaltung des Friedens im Reiche.

Deutsche Kaiserkrone.

Man sieht oft auf modernen Bildern, namentlich auf Oeldrucken und Lithographien, den Kaiser dargestellt in einem kirchlich-mittelalterlichen Krönungsornat, welcher an die oben beschriebene Kleidung Karl’s V. erinnert, oder an die officiellen Abbildungen des Kaisers Matthias oder Ferdinand’s II. und anderer habsburgischer Kaiser, wie wir solche in den illustrirten Werken des siebenzehnten Jahrhunderts finden, wie z. B. auf den Kupfern zu Adolf Brachel’sHistoriae nostri temporis“.

Alle diese Bilder sind falsch. Unser Kaiser hat einen solchen Ornat niemals getragen und wird ihn nicht tragen.

Die officielle Form der Krone des Kaisers und der Kaiserin sind durch kaiserlichen Erlaß festgestellt worden (accurat fünfundsechszig Jahre später, als Kaiser Franz die „römische“ Krone niedergelegt hat). Ebenso ist die Krone des Kronprinzen festgestellt. Wir geben hier eine bildliche Darstellung derselben.

Krone der deutschen Kaiserin.

Krone des Kronprinzen
des deutschen Reichs.

Die Krone des Kaisers zeigt im Wesentlichen die Form der alten byzantinisch-mittelalterlichen Kronen: Runde Kappe mit acht Schildern, deren Rand nach unten eine gerade Linie, nach oben einen Bogen bildet. Auf den Schildern wechselt das Kreuz und der Adler ab. Die Kappe ist von zwei Bügeln überspannt, welche auf vieren der acht Schilder ruhen. Da, wo die Bügel einander kreuzen, ruht der Reichsapfel, und auf diesem steht das Kreuz. Die Krone ist eine „schwebende“, das heißt sie sitzt oder ruht nicht, weder auf dem Kopfe des Adlers, noch auf dem Helme oder Schild, noch auf dem Wappenzelt oder Wappenmantel, sondern sie schwebt frei über dem Ganzen, wie dies aus der unserm ersten Eapitel beigegebenen Abbildung des deutschen Reichsadlers zu ersehen ist. Unten gehen zwei breite Goldbrocat-Bänder von ihr aus, welche seitwärts flattern und mit Arabesken und Franzen geziert sind.

Die Krone der deutschen Kaiserin ist von Gold, reich mit Brillanten und Rubinen besetzt, und wird mit vier durch den Reichsapfel überhöhten Bügeln geschlossen. Im Innern der Krone befindet sich eine Mütze von Goldbrocat.

Die Krone des Kronprinzen des deutschen Reiches zeigt einen goldenen mit Brillanten besetzten Stirnreif, aus dem sich viermal abwechselnd je ein Kreuz und ein Reichsadler, beide mit Edelsteinen geschmückt, erheben. Die Kreuze stützen vier halbrunde goldene mit Perlen besetzte Bügel, welche den Reichsapfel tragen. Die Krone ist mit einer Mütze von purpurfarbigem Sammet gefüttert.

Einen Ersatz oder ein Aequivalent für die seit 1796 in der Schatzkammer in Wien befindlichen Reichskleinodien von ehedem hat das neue deutsche Reich noch nicht. Es bedient sich hierin, wie in so manchen anderen Dingen, der Aushülfe Preußens. Bei besonders feierlichen Gelegenheiten, zum Beispiel zur Reichstags-Eröffnung, werden die preußischen Reichsinsignien – bestehend in Krone, Scepter, Reichsapfel, Schwert und Fahne – dem Kaiser vorgetragen. Dies geschah namentlich am 21. März 1871 bei der Eröffnung des ersten deutschen Reichstages. Es geschah auch schon am 24. Februar 1867, als der jetzige Kaiser Wilhelm in seiner Eigenschaft als König von Preußen den verfassunggebenden Reichstag des norddeutschen Bundes eröffnete. Es war ein imponirendes Schauspiel. Zuerst marschirte das Corps der Pagen auf: junge preußische Edelleute in weißen Halskrausen und rother mittelalterlicher Tracht. Dann kamen die preußischen Großwürdenträger mit den oben aufgezählten Insignien, die, abweichend von den Krönungskleinodien anderer Länder, einen vorwiegend militärischen Charakter besitzen. Die preußische Fahne trug damals der alte Reiter-General Wrangel, der in ganz Berlin, und namentlich bei der Jugend, unter dem Namen des „Papa Wrangel“ persönlich bekannt und beliebt war. Er hat noch Jahre lang darnach gelebt, war aber damals schon sehr alt[1], und es wurde ihm ein wenig schwer, die mächtige Fahne zu handhaben. Um sich dies zu erleichtern, hatte er die Fahnenstange in einen seiner hohen Kürassierstiefel gesteckt. Es war ein wahrhaft rührender Anblick: das alte Preußen, wie es dem herannahenden neuen Deutschland die Fahne vorausträgt.

Zum Schluß noch eine Bemerkung über das Recht von Privaten, den Reichsadler zu führen.

In Deutschland kann sich Jeder für sich ein Wappen fabriciren, wie er will, mag er Edelmann sein oder nicht; und von dieser Freiheit wird der ausgiebigste Gebrauch gemacht. Man sieht oft die komischsten Einfälle und die unsinnigsten Combinationen im Wappen verkörpert, welche allen Regeln und Ueberlieferungen der Heraldik Hohn sprechen. Das ist erlaubt, wenngleich nicht geschmackvoll. Dagegen darf man sich nicht ein bestehendes Wappen aneignen, das sich bereits im rechtlichen Besitze eines Anderen befindet.

Der Kaiser hat jedoch durch Erlaß vom 16. März 1872 allen deutschen Fabrikanten die Abbildung und den Gebrauch des kaiserlichen Adlers zur Bezeichnung ihrer Waaren und Etiquetten gestattet, jedoch, wie der kaiserliche Erlaß vom 11. April 1872 erläuternd hinzufügt, ist diese Erlaubniß auf den Adler zu beschränken, der Gebrauch des Wappenschildes ist und bleibt verboten.





  1. Friedrich Graf von Wrangel wurde gerade vor hundert Jahren, am 13. April 1784, zu Stettin geboren. Seine militärische Laufbahn begann er bereits im Jahre 1796 als Junker in einem ostpreußischen Dragonerregiment. Er kämpfte mit Auszeichnung in den Napoleonischen Kriegen und trug am 23. April 1848 bei Schleswig den Sieg über die Dänen davon. Schon im Jahre 1856 feierte er sein sechszigjähriges Dienstjubiläum und wurde damals zum Generalfeldmarschall ernannt. Bis zu seinem Tode, der am 1. November 1877 erfolgte, blieb er eine der populärsten Personen der Kaiserstadt Berlin. D. Red.     

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage (Satzfehler): 1808