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Der blinde Geiger

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Textdaten
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Autor:
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Titel: Der blinde Geiger
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 72
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[64]

Der blinde Geiger. 0 Nach dem Oelgemälde von Ferd. Brütt

[72] Der blinde Geiger. (Illustration S. 64 u. 65.) Der Düsseldorfer Maler Ferdinand Brütt hat in seinem anmuth- und lebenvollen Gemälde uns nicht blos mit einem schönen Bilde erfreut, sondern in dasselbe auch einen edlen Sinn gelegt, durch dasselbe einen frommen Wunsch zum Ausdruck gebracht. Inmitten einer von der Hand des Reichthums gepflegten Natur und einer diese Natur in sorglosem Wohlbehagen genießenden Gesellschaft sehen wir ein paar Gestalten von ergreifendsten! Ausdruck: den blinden, Greis, der mit der Kunst der Töne sein Brod erbettelt, und das hülflose Kind, das sich furchtsam an ihn schmiegt und doch sein Führer auf dem harten Lebenswege sein muß. Mit der an den alten Harfner und Mignon in Goethe’s „Wilhelm Meister“ erinnernden Composition ist es unserem Künstler gelungen, was er offenbar erstrebte: für die Kunst in der Noth, für das Alter und die Kindheit im Elend die Herzen zu erwecken und zu erwärmen.

In unserer hastigen, nach Gewinn und Genuß jagenden Zeit wird gar Manches zum Vagabundenthum geworfen, was eine bessere Beachtung verdiente. Wie selten läßt man sich herab, nach dem Schicksale eines Menschen zu fragen, dem Armuth und Entbehrung auf dein Gesichte geschrieben stehen? Tausende eilen an dem störenden Anblick vorüber, ob ihnen eine zitternde Hand Blumen zum Kauf entgegenstreckt oder mit flehendem Auge ihnen ein Notenblatt hingehalten wird, um die Almosen der fahrenden Kunst zu erbitten. Man erfreut sich sogar der Darstellung solcher Gestalten auf der Bühne, und im Leben läßt man sie verkommen. Das soll nicht etwa eine Mahnung zur Pflege des Vagabundenthums sein; die Bewältigung desselben würde aber bedeutendere Erfolge erzielen, wenn Mehr Theilnahme für’das Schicksal des Einzelnen sich werkthätig erwiese.

Wie versöhnend wirkt es in unserem Bilde, daß von der nur ihrem Genuß lebenden Gesellschaft auf der Terrasse sich wenigstens eine Frauengestalt entfernt, um dem Liede des fahrenden Musikanten theilnehmend zu lauschen! Wir lassen gern die Scene in Goethe’s Geist sich weiter entwickeln, wir sehen, wie auch diesem Alten der Becher „voll des besten Weins“ gereicht wird, und hören seine Dankesworte:

„O, dreimal hoch beglücktes Haus,
Wo das ist kleine Gabe!
Ergeht’s euch wohl, so denkt an mich
Und danket Gott so warm, als ich
Für diesen Trunk euch danke.“