Der Tummelplatz bei Innsbruck
[481] Der Tummelplatz bei Innsbruck. (Mit Abbildung s. 479.) Wer die freundliche Landeshauptstadt von Tirol besucht, versäume nicht einen Ausflug nach dem nur eine kleine Wegstunde entfernten Schlosse Ambras zu machen! Ist die berühmte Ambraser Sammlung, die Erzherzog Ferdinand angelegt, auch längst nach Wien gewandert, so üben doch die herrliche Lage der Burg, die lohnende Aussicht, einige Reste der werthvollen Sammlung und die historischen Erinnerungen eine mächtige Anziehungskraft. Der Ursprung des Schlosses soll noch in Römerzeiten zurückreichen. Vermuthlich stand hier damals ein Wartthurm, an den sich allmählich spätere Zubauten ansetzten.
Nachdem im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Herren auf Ambras gesessen, wurde es bekanntlich im Jahre 1563 vom Kaiser Ferdinand seinem Sohne, dem Erzherzog Ferdinand, übergeben, der noch 1567 die Burg erweitern und verschönern ließ. Weite Prachtsäle und glänzende Gemächer, deren Tirol früher nie gesehen, stiegen empor und wurden mit kostbaren Gemälden und Statuen geschmückt, Kunstsammlungen, eine reiche Bibliothek und naturhistorische Museen wurden angelegt. Aber alle Sammlungen überstrahlten seine Rüstkammern, in denen über hundert Harnische und Waffen der berühmtesten Fürsten und Krieger seiner Zeit und der nächsten Vergangenheit ausgestellt waren. Der kunstsinnige Erzherzog hatte die Burg mit aller Pracht des sechszehnten Jahrhunderts ausgestattet und die Umgebung derselben in einen Feengarten verwandelt. Die seltensten Blumen schmückten die Beete, Bosquete und Haine; schöne Obstgärten, Weinberge und Thiergehege wechselten in bunter Folge. Labyrinthe und kühle Grotten, riesige Teiche, hochspringende Fontainen und rauschende Cascaden überraschten den Besucher. In diesem Paradiese hielt der Erzherzog an der Seite der schönen Philippine den glänzendsten Hof.
Mochte der für Kunst und Literatur begeisterte Herr hochgelehrte Männer seiner Zeit in seiner Umgebung haben, so wurden die wissenschaftlichen Bestrebungen und die Theilnahme an der Kunst durch das höfische und ritterliche Treiben überwogen. Reiten, Tournieren und Lanzenstechen waren die Lieblingsunterhaltungen am prachtliebenden Hofe. Um einen Platz zur Dressirung der Pferde und zu ritterlichen Uebungen zu gewinnen, wurde westlich vom Schlosse eine kleine Waldebene gelichtet und ein „Tummelplatz“ hergestellt. Welch malerisches, buntes Bild mochte es gewesen sein, wenn auf diesem von altem Fichtenwalde umzirkten Plane Rennen und Stechen stattfand und die schönsten Frauen dem lustigen, hurtigen Treiben zusahen! Das bunteste, lachendste Bild, umgeben vom dunkelgrünen Rahmen der riesigen Nadelbäume.
Doch die Herrlichkeit von Ambras fand auch endlich ihr trübes Ende. Und sobald das reiche Leben auf der erzherzoglichen Burg verstummt war, trat Ruhe auf dem waldkühlen Tummelplatze ein, der nun ein stilles Plätzchen war, auf dem die Elben in mondscheinhellen Nächten ungestört hätten tanzen können. Der einst von Ritterpracht strahlende Plan ward einsame Waldwiese, und männiglich vergaß der stillen Oase.
Als im Jahre 1796 das prächtige Ambras zum Militärspitale degradirt worden und eine Epidemie viele Opfer gefordert, gedachte man wieder des alten Reitplatzes, und man grub auf diesem stillen Grunde den geschiedenen Kriegern ihr letztes Bett. Fromme Hände setzten auf die frischen Gräber hier und dort ein Kreuz. Wie aber das deutsche Gemüth seit den ältesten Zeiten sich im Walde der Gottheit und dem Göttlichen näher wähnt, so fühlten Viele sich vom einsamen Waldfriedhofe wunderbar angezogen und glaubten, daß ihr Gebet aus der säuselnden Waldöde leichter zum Himmel dringe und gnädige Erhörung finde. Der Platz, wo Pferdewiehern und Kampfruf erschollen, ward ein stilles Waldheiligthum, wo fromme Beter knieten und flehten. Kreuze und Capellen erstanden, und moosbebartete Eichen wurden mit heiligen Bildern geschmückt.
Wer das Schloß Ambras besucht, der steige, nachdem er die lachende Fernsicht des Schlosses genossen, zum waldumhegten Naturtempel des Tummelplatzes empor, wo die Bäume säuseln, die Waldvöglein zwitschern und singen und der Gekreuzigte milde niederblickt. Wer aber, der den Tummelplatz betritt, denkt nicht an Tacitus, der von den Germanen sagt: „Haine und Forste nehmen sie zu ihren Heiligthümern und geben so Götternamen dem einsamen Wesen, das sie nur in der Anbetung sehen.“ (Germ. IX.) – Dieser altgermanische Zug lebt im Tirolervolke noch fort, denn seine beliebtesten Wallfahrtsorte stehen auf einsamem Waldgrunde.
Wir schließen aber mit dem Anfange eines Gedichtes, das vor mehr als zwanzig Jahren ein Tiroler dem Tummelplatze gewidmet:
„Ein waldumhegter Plan! Die Fichten halten Wacht
Um’s stille Heiligthum und lispeln leis’ und sacht,
Wie wenn ein Freund zum Freunde flüstert.
Es ist ein eigner Platz – das hab' ich stets gefühlt,
Wenn in dem Waldesgrün die Luft des Abends spielt,
Und sich das weite Thal umdüstert.“ –