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Der Saal

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Textdaten
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Autor: Lukian von Samosata
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Titel: Der Saal
Untertitel:
aus: Lucian’s Werke, übersetzt von August Friedrich Pauly, Zwölftes Bändchen, Seite 1482–1499
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 2. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1831
Verlag: J. B. Metzler
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: August Friedrich Pauly
Originaltitel: Περὶ τοῦ Οἴκου
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[1482]
Der Saal.

1. Wie? Alexandern sollte bei’m Anblicke des schönen und spiegelhellen Flusses Cydnus, dessen Tiefe für den [1483] Schwimmenden eben so wenig gefährlich schien, als sein, mitten im Sommer kühles Wasser und sein munterer Lauf demselben angenehm ist, eine so unwiderstehliche Lust, sich in ihm zu baden, ergriffen haben, daß er auch, wenn er die Krankheit, welche er sich dadurch zuzog, auf’s Bestimmteste vorausgesehen hätte, dieses Vergnügen sich wohl schwerlich versagt haben würde; und ein Mann, dessen Geschäft ist, Vorträge zu halten, sollte, wenn er einen so großen, so schönen, hellen, golden glänzenden, mit Gemälden geschmückten Saal erblickt, nicht Lust bekommen, in diesem Saal sich hören zu lassen, in ihm Beifall und Ruhm einzuernten, ihn mit seiner Stimme zu erfüllen, und somit selbst auch ein Theil seines Schmuckes zu werden? Oder wird er, zufrieden damit, sich darin umgesehen, und ihn bewundert zu haben, von dannen gehen, als ob er stumm wäre oder aus Neid sich vorgesetzt hätte, ihn nicht mit seiner Stimme zu begrüßen?

2. Von einem Freunde des Schönen, von einem Liebhaber geschmackvoller Formen ließe sich dieß wahrlich nicht erwarten. Nur ein gänzlich ungebildeter Mensch, ein Mensch, dem alles Gefühl für das Schöne und aller Kunstsinn völlig abgeht, könnte so seine Unwürdigkeit, einen reizvollen Anblick zu genießen, und seine gänzliche Unbekanntschaft mit dem Schönen verrathen. Ein Solcher weiß freilich nicht, daß der Anblick eines solchen Kunstwerkes von dem gebildeten Manne Etwas ganz Anderes verlangt, als von dem Idioten. Dem Letzteren genügt es, nur eben zu gaffen, die Augen hin- und herlaufen zu lassen, an die Decke hinaufzuschauen, voll Verwunderung in die Hände zu schlagen, und im Stillen sich zu freuen, aus Furcht, Nichts dem Anblicke angemessenes [1484] vorbringen zu können. Wer aber mit gebildetem Geschmacke ein schönes Werk betrachtet, ist schwerlich zufrieden, den reizenden Anblick bloß mit den Augen zu genießen, und einen stummen Beschauer seiner Schönheit abzugeben; sondern er wird sich damit beschäftigen und sein ganzes Talent aufbieten, seinen Dank für den Genuß dieses Anblicks durch Worte abzutragen.

3. Dieser Dank wird aber nicht in einem bloßen Lobe dieses schönen Saales bestehen. Dergleichen würde sich etwa für einen jungen Menschen schicken, wie jener Ithaker war,[1] der im Entzücken über die Pracht in der Wohnung des Menelaus das Gold und Elfenbein derselben mit den Herrlichkeiten des Himmels verglich, weil er auf Erden nichts Aehnliches gesehen hatte. Aber in diesem Saale zu sprechen, in demselben vor einer Gesellschaft der Gebildetsten eine Probe seines Rednertalentes abzulegen, auch Dieß dürfte ein Theil der ihm gebührenden Huldigung seyn. Und ich wüßte nicht, was es Angenehmeres gäbe, als wenn ein so herrlicher Raum sich für die Aufnahme unseres Vortrages öffnet; wenn er sich füllt mit den Stimmen Derer, welche uns Lob und Beifall zollen; wenn in ihm, wie in einer weiten Grotte, der leise Nachhall unsere Worte begleitet, und wenn er unsere letzten Töne sich verweilen und sanft verschweben läßt, oder vielmehr, wie der aufmerksame Hörer aus Wohlgefallen das Gehörte leise nachspricht, die empfangenen Töne wohllautend zurückgibt. So hallen die Felsenhöhen von dem Flötenspiele der Hirten wieder, indem die Töne sich an ihnen [1485] abstoßen und zurückkehren; während die unwissenden Landleute meinen, eine Jungfrau bewohne die Felsenklüfte und beantworte drinnen ihr Rufen und Singen.

4. Mir ist es, als werde der Geist des Redenden von der Pracht des ihn umgebenden Raumes emporgehoben, und der Anblick selbst helfe ihm, schöner zu sprechen. Der Eindruck des Schönen theilt sich durch das Auge dem Geiste mit, und so entströmt ihm eine, dem Schmucke des Ortes entsprechende Rede. Hat nicht in Achilles der Anblick seiner herrlichen Rüstung die Kampflust gegen die Troer gesteigert, und fühlte er sich nicht, als er sie nur zur Probe anlegte, unwiderstehlich gedrungen, sich in die Feinde zu stürzen? Und die Begeisterung des Vortrages sollte nicht erhöhet werden durch die Schönheit des Raumes? Dem Sokrates genügte[2] ein schöngewachsener Ahornbaum, ein frischer Rasen und eine klare Quelle unfern dem Ilissus; dort lagerte er sich und trieb sein ironisches Spiel mit Phädrus aus Myrrhinus, widerlegte die Rede des Lysias, und rief die Musen herbei in der Meinung, sie werden sich persönlich in seine Einöde verfügen und ihm in Hervorbringung seiner Abhandlungen über die Liebe an die Hand gehen.[3] Der Alte entblödete sich also nicht, jene züchtigen Jungfrauen zu seinen päderotischen Unterhaltungen einzuladen. Und wir sollten nicht hoffen dürfen, daß die Musen in einen so schönen Raum auch ungerufen kommen werden?

[1486] 5. Denn hier ist nicht nur Schatten, nicht nur ein schöner Ahornbaum, und wenn es auch ein schönerer als jener am Ilissus, wenn es der goldene Ahorn des Perserkönigs selbst[4] wäre. Denn an diesem war Nichts bewundernswerth, als seine Kostbarkeit. Ohne daß durch kunst- und geschmackvolle Bearbeitung dem Gold Reiz und Ebenmaß einverleibt wäre, war das ganze bloß ein Schaustück für Barbaren, das weiter kein Verdienst hatte, als das Glück seines reichen Besitzers zu zeigen, und den Neid des Beschauers rege zu machen. Was kümmerte sich auch ein Arsacide darum, das Auge Anderer durch geschmackvollen Prunk zu vergnügen und den Beifall des Publikums einzuernten? Nur anstaunen sollte es. Denn Barbaren haben nur Sinn für den Reichthum, nicht für das Schöne.

6. Die Pracht dieses Saales ist also nicht für Barbarenaugen; sie ist kein Prunkstück Persischer Großthuerei oder der Prahlsucht eines Despoten; sie verlangt nicht bloß einen armen, sondern einen Beschauer von empfänglichem Geiste, der nicht allein mit den Augen urtheilt, sondern auch die Gründe seiner Bewunderung anzugeben weiß. Daß z. B. dieser Saal dem schönsten und willkommensten Theile des Tages, dem Morgen, zugewendet ist, daß er die Strahlen der aufgehenden Sonne aufnimmt, und, so wie seine Flügelthüren aufgethan werden, mit Licht zur Genüge erfüllt wird, [1487] gerade wie die Alten auch die Tempel anzulegen pflegten; daß seine Länge zur Breite, und beide zur Höhe im schönsten Verhältniß stehen, daß die Fensterladen eine so bequeme Beweglichkeit besitzen, und für den, jeder Jahreszeit angemessenen Gebrauch berechnet sind, ist nicht dieses Alles höchst angenehm und lobenswürdig?

7. Was ferner an der Decke desselben unsere Bewunderung erregt, ist die geschmackvolle Verzierung ohne Ueberladung. Bei aller Pracht derselben ist doch Nichts, das man wegwünschen möchte: die Vergoldung ist so gefällig und harmonisch vertheilt, daß das Auge durch keinen müßigen Aufwand[5] beleidigt wird. So genügt einer schönen und ehrbaren Frau, um ihre Schönheit zu heben, eine einfache goldene Halskette, ein leichter Fingerring, ein Paar Ohrringe, eine Spange oder ein Band, um ihre wallenden Locken zusammenzuhalten – Zierden, durch welche ihre Wohlgestalt eben so viel gewinnt, als ihr Gewand durch eine Purpurbesetzung: während die Hetäre, zumal wenn sie recht häßlich ist, ein ganz purpurnes Kleid trägt, ihren Hals mit Gold überdeckt, und durch die Kostbarkeit ihres Schmuckes anlocken will, indem sie sich über den Mangel an eigener Schönheit durch erborgte Reize zu trösten sucht. Sie bildet sich ein, ihr Arm werde blendender weiß erscheinen, wenn er von Gold schimmert, die ungefälligen Linien ihres Fußes werden über den goldenen Sandalen unbemerkt bleiben, und sogar ihr Gesicht werde in Mitten eines strahlenden Putzes [1488] für liebenswürdiger gehalten werden. Die züchtige Frau hingegen legt nicht mehr Gold an, als hinlänglich ist und die Sitte erfordert, indem sie sich nicht schämen dürfte, sich auch ganz schmucklos, in ihrer natürlichen Schönheit zu zeigen.

8. So ist auch die Decke dieses Saales, so zu sagen das Haupt des Ganzen, an und für sich schon von dem gefälligsten Aussehen, und durch die Vergoldung nur so weit verschönert, als der nächtliche Himmel durch die Gestirne, deren feuriger Glanz eben durch ihren Abstand von einander eine so herrliche Wirkung thut. Wäre das ganze Firmament nur Ein Feuer, so würde es uns nicht schön, sondern fürchterlich erscheinen. Dieses Gold ist keineswegs als müßiger Zierrath unter dem übrigen Schmucke angebracht, sondern, indem es einen lieblichen Glanz von sich strahlt, verbreitet es über den ganzen Saal eine gelbliche Färbung. Denn wenn das Licht darauf fällt, und sich mit dem Golde vermischt, so leuchten beide mit verdoppeltem Feuerglanze.

9. So beschaffen ist also dieser Saal in der Höhe oder an seiner Decke, in der That eines Lobredners würdig wie Homer, der ihn „hochgebaut“ wie das Gemach der Helena, oder „glanzerhellt“ nennen würde, wie den Olymp. Aber die übrige Verzierung, die Wandmalereien, die schönen Farben, die Lebendigkeit und sorgfältige Wahrheit der Darstellung, alles dieß glaube ich treffend mit dem Anblick einer blumigten Aue im Frühling vergleichen zu können; nur mit dem Unterschiede, daß jene Blüthenpracht vergeht, verwelkt, und ihre Reitze verliert, während dieser Frühling ewig blüht, diese Aue ewig grünt, dieser Flor unverwelklich ist, da sich [1489] Nichts darauf weidet, als die Augen Derer, welche ihn betrachten.

10. Und nun diese Fülle von Schönheiten, Wer sollte sie nicht mit dem größten Genusse, nicht mit dem lebhaftesten Wunsche beschauen, durch einen Vortrag in Mitten derselben sogar sein eigenes Talent überbieten zu können, im Gefühle, wie schlecht es ihm anstände, hinter der Schönheit eines solchen Anblicks zurückzubleiben? Es gibt nichts Ermunternderes, als der Anblick des Schönen, und nicht bloß für den Menschen; auch ein Pferd wird mit größerer Lust über eine ebene, mit weichem Rasen bewachsene Fläche wegrennen, die seinem Hufschlag nicht widerstrebt, sondern seinen Fußtritten sanft nachgibt. Es setzt sich dann in vollen Lauf, überläßt sich ganz seiner Schnelligkeit, und wetteifert so gleichsam mit der Schönheit seines Bodens.

11. Wenn ein Pfau im beginnenden Frühling in eine Wiese kommt, wo die Blumen in lang ersehnter, frischer Farbenpracht hervorsprossen und mit dem reinsten Schmelze prangen, so breitet auch er seine Federn gegen die Sonne aus, und indem er seinen Schweif wie ein Rad um sich her spannt, entfaltet er den ganzen blumigten Frühling seines Gefieders, als ob die blühende Aue ihn zum Wettstreite herausforderte. Stolz auf seine Pracht und triumphirend dreht er sich im Kreise herum, und erscheint um so herrlicher, wenn seine Farben im Sonnenglanze spielen und unvermerkt in einander übergehen, und jeden Augenblick ein neues prächtiges Schauspiel bieten. Am schönsten geschieht dieß mit den sogenannten Augen an den Enden seiner Schweiffedern: um jedes derselben läuft ein bunter Ring wie ein Regenbogen, [1490] und was hier so eben noch kupferfarben war, erscheint bei einer kleinen Wendung als Gold; was in der Sonne als das schönste Blau glänzte, wird im Schatten zu Dunkelgrün: so wechselt mit der Beleuchtung auch das Farbenspiel des Gefieders.

12. Eben so das Meer – wie einladend, wie lusterregend ist sein Anblick, wenn es wie ein glatter Spiegel vor uns ausgebreitet liegt! Doch Euch ist dieß bekannt, auch wenn ich es nicht erst sagte. Aber Wer auch ganz dem innern Lande angehört und sich noch nie zur See versucht hat, wird dennoch, zumal wenn er einen milden Lufthauch die Segel schwellen und das Fahrzeug auf den glatten Wellen sanft dahin gleiten sieht, von einer unwiderstehlichen Lust ergriffen werden, das Schiff auch zu besteigen und recht weit vom festen Lande sich zu entfernen.

13. Nicht anders ist es mit den Reizen dieses Saales. Sie haben die Wirkung, daß sie auffordern, in ihm zu sprechen, daß sie den Sprechenden begeistern, daß sie seinen Beifall auf alle Weise befördern. Auch ich empfinde diese Aufforderung, oder vielmehr, ich habe sie längst empfunden, und erscheine nun, von der Schönheit des Saales wie von der Zauberkraft einer Sirene angezogen, um mich hier in Vorträgen vernehmen zu lassen, nicht ohne die zuversichtliche Hoffnung, meine Leistungen, so wenig anziehend sie bis jetzt gewesen seyn mögen, werden in dieser Umgebung, wie in dem Schmuck eines schönen Gewandes, in euren Augen ebenfalls an Schönheit gewinnen.

14. Aber indem ich so spreche, siehe! da unterbricht mich ein Gegenredner, der für nichts Gemeines angesehen [1491] seyn will, und sucht mir das Wort ohne Weiteres abzuschneiden. Ich halte inne, und nun behauptet er, ich spreche die Unwahrheit und er müsse sich wundern, wie ich sagen könne, die Schönheit eines mit Malerei und Vergoldung ausgeschmückten Saales sey vortheilhaft, um darin eine Probe des Rednertalentes abzulegen, während doch gerade das Gegentheil statt finde. Doch – das Beste wird seyn, der Gegenredner trete selbst vor Euch, als unseren Schiedsrichtern auf, und erkläre sich näher über seine Meinung, in wiefern er glaube, daß ein armseliger und unansehnlicher Raum für den Sprechenden zuträglicher sey. Was ich zu sagen hatte, habt ihr ja schon vernommen, so daß ich also nicht nöthig habe, Dasselbe zu widerholen. Möge also mein Gegner auftreten und sich hören lassen; ich will schweigen und ihm auf eine Weile meine Stelle einräumen.

15. „Der Redner vor mir, meine Richter, hat lang und ausführlich zum Preise dieses Saales gesprochen, und durch seine Lobreden dessen Schönheit zu erheben gesucht, was ich zu mißbilligen so weit entfernt bin, daß ich sogar Einiges hinzufügen werde, was Jener übergangen hat. Meine Absicht aber ist, Euch zu zeigen, daß dieser Raum, je schöner er Euch zu seyn scheint, desto nachtheiliger für Denjenigen ist, der in demselben reden will. Weil denn nun mein Gegner eine Vergleichung von dem Putz und Geschmeide der Frauen entlehnt hat, so erlaubet mir vorerst, mich desselben Gleichnisses zu bedienen. Ich behaupte, daß ein reicher Schmuck auch die Reize einer schönen Frau nicht nur nicht erhöht, sondern ihrer Wirkung sogar entgegen ist, indem das Auge des Betrachtenden, von dem Golde und den kostbaren [1492] Juwelen geblendet, statt ihre Hautfarbe, ihren Blick, ihren Hals, ihren Arm oder ihre schöne Hand zu bewundern, den Carneol, den Smaragd, die Halskette und das Armband, welches sie trägt, angafft; so daß sie nicht ohne Verdruß gewahr werden muß, wie sie selbst über ihrem Geschmeide unbemerkt bleibt, und wie ihre Person bei ihrer Erscheinung bloße Nebensache ist, welche zu bewundern kein Anwesender sich die Zeit nimmt.“

16. „Dasselbe muß, denke ich, nothwendig auch Derjenige erfahren, welcher in Mitten so schöner Kunstgegenstände seine Beredtsamkeit zur Schau bringen will. Seine Worte verstecken sich gleichsam und verlieren ihren Effekt unter der Masse des Schönen, welche gewaltsam die Aufmerksamkeit von ihnen abzieht: wie wenn Einer eine brennende Lampe in eine Feuersbrunst werfen, oder eine Ameise auf einem Elephanten oder einem Kamele zur Schau tragen wollte. Schon Dieses also ist dem Redenden nachtheilig. Für’s Zweite erleidet in einem so großen und wiederhallenden Saale die Stimme des Redner Störungen: seine Worte werden ihm zurückgegeben, seine Töne werden durch den Widerhall gleichsam eingehüllt, wie die Töne der Flöte von der Trompete, oder die Schiffersignale und die Lieder der Rudernden von dem Tosen der Wogen übertäubt werden. Der stärkere Schall überwältigt immer den schwächeren.“

17. „Was ferner der Gegner geltend gemacht hat, daß ein schöner Raum den Redenden aufmuntere und begeistere, davon findet, meines Erachtens, gerade das Gegentheil statt. Ein solcher Anblick verschüchtert ihn, bringt ihn ausser Fassung, verwirrt seine Gedanken und macht ihn um so verzagter, [1493] je mehr er fühlen muß, wie wenig Ehre es ihm bringen würde, wenn seine Leistung mit der Schönheit des Raumes im Widerspruche stünde. Kein Kontrast könnte nachtheiliger für ihn seyn. Es wäre nicht anders, als wenn ein Krieger eine prächtige Waffenrüstung trüge und doch der Erste unter Allen wäre, der die Flucht ergriffe: würde dieß nicht seine Feigheit nur um so auffallender machen? Das ist es, glaube ich, was jener homerische Redner [Ulysses] bedachte, als er, gänzlich unbekümmert um ein schönes Aeußere, sich vielmehr das Ansehen eines einfältigen und unwissenden Menschen gab, damit die Vortrefflichkeit seiner Worte durch die Vergleichung mit seiner unansehnlichen Aussenseite desto mehr überraschen möchte. Ueberdieß ist unvermeidlich, daß nicht die Pracht der Umgebung das Gemüth des Redners beschäftige und die Schärfe seines Nachdenkens abstumpfe, indem der Anblick ihn unwiderstehlich anzieht und ihn hindert, einzig und allein seinen Gegenstand in Gedanken fest zu halten. Während also seine Seele mit Bewunderung bei Dem verweilt, was sich seinen Augen darbietet, wie sollte dadurch nicht nothwendig sein Vortrag schlechter werden?“

18. „Dessen nicht zu gedenken, daß die Anwesenden, wiewohl sie, um zu hören, eingeladen sind, sobald sie einen Saal von solcher Pracht betreten, aus Zuhörern Zuschauer werden; und ich möchte den Demodokus, den Phemius, Thamyris, Amphion, oder Orpheus sehen, dem es gelänge, ihre Aufmerksamkeit von dem reizenden Anblicke abzuziehen. Jeder, der nur einen Fuß über diese Schwelle gesetzt hat, wird so gänzlich von der Fülle dieser Schönheiten in Beschlag genommen, daß er gar nicht darauf achtet, [1494] ob hier Einer spricht oder vorliest; er ist ganz vertieft in Das, was er sieht: er müßte denn blind seyn, oder der Vortrag müßte, wie einst die Sitzungen des Areopagus, bei Nacht gehalten werden.“

19. „Daß überhaupt der Eindruck des Gehörten sich mit der Wirkung der Anschauung nicht messen kann, dürfte eine Vergleichung der Sirenenfabel mit der von den Gorgonen beweisen. Jene bezauberten zwar die Vorüberschiffenden durch ihren Gesang und ihre schmeichelnden Töne, und hielten sie, wenn sie heranschifften, lange bei sich, wie denn überhaupt die volle Wirkung ihres Zaubers einige Zeit erforderte: gleichwohl segelte Einer an ihnen vorbei, ohne ihren Melodieen ein Ohr zu leihen. Allein die Schönheit der Gorgonen war von unwiderstehlicher Gewalt: sie wirkte auf das Innerste der Seele, brachte augenblicklich den Beschauenden ausser Fassung und raubte ihm die Sprache, oder, wie der Mythus sich ausdrückt, sie verwandelte ihn in Stein. Auch was mein Gegner vorhin vom Pfau sagte, spricht ohne Zweifel für mich. Was diesem Vogel Reize gibt, ist nicht seine Stimme, sondern sein Anblick. Wollte man zwischen eine Nachtigall und einen Schwan einen Pfau stellen, und ließe jene Beiden noch so lieblich singen, während der Pfau schwiege, ich weiß gewiß, das Gemüth eines Jeden würde sich dem Pfau zuwenden, ohne auch das Geringste nach jenen Sängern zu fragen. So unbesiegbar ist der Reiz eines schönen Anblicks.“

20. „Als Zeugen will ich Euch, wenn ihr es erlaubt, einen sehr verständigen Mann aufstellen, der Euch sogleich die Wahrheit bekräftigen soll, daß der Eindruck des Gesehenen [1495] stärker ist als der des Gehörten. Wohlan, Herold, rufe mir den Herodot, Lyxus’s Sohn, aus Halicarnassus, herbei! – Schön! er erscheint wirklich: nun so trete er denn auf, und lege sein Zeugniß ab. Ihr werdet es geschehen lassen, daß er dieß nach seiner gewohnten Weise in Ionischer Mundart thut: „„Wahr ist Solches, ihr Richter, so zu Euch gesprochen wird: und glaubet Dem, das er sagt in dieser Sache, daß das Sehen dem Hören vorzuziehen sey. Denn es ist wirklich so, daß die Ohren der Menschen ungläubiger sind, denn ihre Augen.““[6] Hört ihr also, wie auch mein Zeuge dem Gesichte den ersten Rang einräumt? Und mit allem Rechte. Denn die Worte sind ja geflügelt und enteilen, wenn sie nur eben hervorgekommen sind. Das Vergnügen aber, welches das Sehen gewährt, bleibt und ist immer dasselbe, und durchdringt den Beschauer völlig.“

21. „Wie sollte also ein so schöner, so sehenswürdiger Saal für den Gegner nicht ein schwieriger Widersacher seyn? Schaut Ihr doch selbst, meine Richter, während wir zu Euch sprechen, an die Decke hinauf, bewundert die Wände, und wendet euch von einem Gemälde zum andern, um es aufmerksam zu betrachten. Wer möchte es euch auch verübeln, wenn euch so etwas Menschliches ankommt, zumal unter dieser abwechselnden Mannichfaltigkeit schöner Gegenstände? Die Sorgfalt der Ausführung, das Belehrende in diesen aus der alten Geschichte entlehnten Kunstdarstellungen hat in Wahrheit einen großen Reiz für den gebildeten Beschauer. Damit Ihr aber, indem Ihr eure Blicke nur dorthin [1496] werfet, uns darüber nicht völlig vergessen möchtet, so will ich versuchen, so gut ich’s vermag, Euch diese Gegenstände mit Worten vorzumalen. Vielleicht macht es Euch Vergnügen, von Dingen sprechen zu hören, welche Ihr mit Bewunderung betrachtet. Vielleicht auch, daß es mir Euren Beifall erwirbt und daß Ihr mich meinem Gegner vorziehet, wenn auch ich mich zum Lobe dieses Saales vernehmen lasse, und Euch dadurch das Vergnügen seines Anschauens zu verdoppeln suche. Uebrigens wird Euch die Schwierigkeit des Unternehmens nicht entgehen, Euch ohne Farben und räumliche Zeichnung so mannichfaltige Bilder vor die Seele führen zu wollen: denn eine Malerei mit bloßen Worten muß immer unbefriedigt lassen.“

22. „Zur Rechten vom Eingang also stellt sich die Argolisch-Aethiopische Sage dar, Perseus, wie er auf seinem Fluge von den Gorgonen her nebenbei das Meerungeheuer erlegt, um die Andromeda zu befreien und nun im Begriffe ist, sie mit sich zu nehmen und zu heirathen. Der Künstler hat hier auf einem kleinen Raume Vieles ausgedrückt: die Verschämtheit und Angst der Jungfrau, die von einem Felsen herab dem Kampfe zusieht, den von der Liebe befeuerten Muth des Jünglings, die furchtbare Gestalt des Ungeheuers, wie es mit emporstrebenden Stacheln und gräßlich gähnendem Rachen auf ihn zufährt. Mit der Linken hält ihm Perseus das Gorgonenhaupt vor, während er mit dem Schwert in seiner Rechten in dasselbe einhaut. So weit des Ungethüm dem Anblick der Medusa ausgesetzt ist, hat es sich bereits versteinert: in den noch belebten Theil desselben fährt der Hieb des krummen Schwertes.“

[1497] 23. „An dieses Bild reiht sich die Darstellung jenes Strafgerichtes an, dessen Original der Maler aus Euripides oder Sophocles (welche Beide den nämlichen Gegenstand darstellten) entlehnt zu haben scheint. Die beiden jungen Freunde, Pylades aus Phocis, und der todtgeglaubte Orestes kommen unerkannt in die Königsburg des Agamemnon, und ermorden den Aegisthus. Die Klytämnestra liegt schon entseelt auf einem Ruhebette, halb entkleidet und umgeben von ihrer Dienerschaft, die in äußerster Bestürzung über das Vorgefallene theils zu wehklagen, theils sich umzusehen scheint, wie sie sich durch die Flucht retten wolle. Es war ein sehr schicklicher Gedanke von dem Künstler, das Frevelhafte an der ganzen That, den Muttermord, nicht in wirklicher Handlung, sondern als schon vollendet darzustellen, dagegen den Blick auf dem Ehebrecher verweilen zu lassen, wie er unter den Händen der beiden Jünglinge stirbt.“

24. „Das nun Folgende ist ein sehr liebliches und heiteres Bild. Es stellt den Apollo in seiner ganzen Schönheit dar, und seinen Liebling, den reizenden Branchus. Dieser sitzt auf einem Felsstück und neckt seinen Hund mit einem Hasen, den er emporhält, während der Hund in die Höhe springt, um ihn zu haschen. Apollo steht lächelnd zur Seite und ergötzt sich an Beiden, an dem spielenden Knaben und an den vergeblichen Versuchen des Hundes.“

25. „Hierauf erscheint Perseus abermals, wie er, ehe er jenes Meerungeheuer antraf, das Wagestück mit den Gorgonen bestand. Er haut das Haupt der Medusa ab, während Minerva ihn beschirmt, und indem er selbst rückwärts auf seinen Schild blickt, welcher ihm das Bild der Gorgone [1498] zurückspiegelt, wohlbekannt mit der Strafe, welche ihn der wahre Anblick kosten würde.“

26. „Dem Eingange gegenüber ist mitten in der Wand eine Nische angebracht, worin das Bild der Minerva von weißem Marmor steht, jedoch nicht in kriegerischer Tracht, sondern wie wir uns diese Kriegsgöttin im Frieden denken.“

27. „Nun folgt wieder ein Gemälde, abermals die Minerva vorstellend, wie sie vor Vulkan flieht, der sie mit Begierde verfolgt, aus welcher Verfolgung Erichthonius entstanden ist.“

28. „Eine weitere Darstellung aus der alten Sage ist der blinde Orion, der den Cedalion auf seinen Schultern trägt, um sich von ihm den Weg zu des Helios Behausung zeigen zu lassen.“

29. „Helios erscheint und heilt seine Blindheit; Vulkan sieht von Lemnos aus der Begebenheit zu.“

30. „Das nächste Bild Ist Ulysses, der sich verrückt stellt, weil er nicht mit den Atriden gegen Troja ziehen will. Die Gesandtschaft erscheint, um ihn dazu aufzufordern; die Art aber, wie Ulysses sich benimmt, gibt seiner Verstellung Wahrscheinlichkeit, das sonderbare Fuhrwerk, das ungleiche Gespann, die Gleichgültigkeit gegen alles Das, was um ihn her vorgeht, bis er sich an seinem Kinde verräth. Palamedes nämlich, der die Sache merkt, ergreift den Telemachus und droht mit gezogenem Schwerte, ihn zu ermorden, indem er List mit List vergilt und sich zornig stellt. Der erschrockene Ulysses ist Vater, plötzlich kommt er zu Verstand und die Verstellung hat ein Ende.“

[1499] 31. „Das letzte Gemälde zeigt die Medéa, von Eifersucht entflammt, mit einem grollenden Blick auf ihre beiden Knaben auf eine gräßliche That sinnend. Schon hält sie das Schwert in der Hand: aber die armen Kleinen sitzen lächelnd und nichts Arges ahnend vor ihr, wiewohl sie das Mordgewehr in ihrer Hand sehen.“

32. „Ihr seht nun selbst, meine Richter, wie dieses Alles den Zuhörer abwendig macht und zum Beschauen hinzieht, während der Redende verlassen dasteht. Uebrigens habe ich mit dieser Schilderung keineswegs beabsichtigt, daß Ihr meinen Gegner für einen unbesonnenen Prahler halten möchtet, der sich ohne Noth mit einer so schwierigen Aufgabe eingelassen habe, und den Ihr deßwegen aus Widerwillen verurtheilen und mit seinen Reden allein stehen lassen sollet. Möchtet Ihr im Gegentheil ihn in seinem Wettkampfe unterstützen, und, in Betracht seines schwierigen Versuches, so viel möglich mit zugedrückten Augen seine Vorträge anhören! Vielleicht daß es ihm alsdann, wenn er in Euch keine Richter, sondern hülfreiche Freunde vor sich hätte, eher gelingen könnte, des prachtvollen Hörsaales nicht gänzlich unwürdig zu erscheinen. Findet es indessen nicht auffallend, daß ich für einen Gegner diese Fürbitte einlege. Meine Vorliebe für diesen Saal ist so groß, daß ich Jedem, der in ihm sich vernehmen lassen will, Wer er auch sey, einen ehrenvollen Erfolg wünsche.“



  1. Telemachus, Odyss. IV, 71. ff.
  2. Plat. Phädrus a. Anf.
  3. Συνεπιληψομένας mit Guyet.
  4. S. Herodot VII. Im Folgenden begeht Lucian einen Verstoß gegen die Zeitrechnung: denn Darius Hysiaspis, von welchem das Gesagte gilt, gehörte zur Dynastie der Achämeniden, nicht der, um drei Jahrhunderte spätern, Arsaciden.
  5. Παρὰ τὰς χρείας mit Geßner.
  6. Herod. I, 8.