Der Ring (Schreiber)
Ueber dem Oppenauer Thalgrund erhob sich einst die stattliche Bärenburg, von deren Mauern aber längst nichts mehr sichtbar ist. Bald nach ihrer Zerstörung hatte sich das Gerücht verbreitet, daß ein großer Schatz an Gold und Kostbarkeiten aller Art in einem unterirdischem Gewölbe dortselbst verborgen liege. Einem jungen kecken Edelknechte von dem benachbarten Schloß Bosenstein schwoll das Herz vom Gelüsten, den Schatz zu heben. Ein fahrender Schüler, der damals in der Gegend herumzog, lehrte ihn die zu dessen Beschwörung nöthige Formel, mit deren Spruch er sich wirklich den Eingang in das tiefe modrige Gewölbe öffnete, worin die Ahnen der Bärenburger in ihren Särgen lagen. Er hob verwegen einen Deckel nach dem andern auf, doch lauter Gerippe starrten ihm entgegen und von Kleinodien war nicht das geringste zu erblicken. Endlich fand er im letzten Sarge den noch unverwesten Leichnam einer Jungfrau von Bärenburg, der Letzten ihres Stammes, welcher mit ihr ausgestorben war. Ihren Finger schmückte ein blitzender Diamant und ihren Nacken eine schwere goldene Kette. Rasch nahm ihr der Edelknecht Beides ab und floh damit nach Hause. Doch, noch nicht begnügt mit diesem Funde, stand er schon des anderen Tages wieder im Todtengewölbe, um weitere Nachforschungen anzustellen. Da richtete sich die bleiche, gestern von ihm beraubte Jungfrau langsam in ihrem Sarg empor, faßte plötzlich seine Hand und sprach mit schauerlichem Tone:
„Hast mit den Ring genommen,
Mein Kettlein auch dazu,
Nun bist du mein Verlobter,
Leg’ dich bei mir zur Ruh!“
Mit gesträubtem Haare riß der Edelknabe seine Hand aus dem Griffe der ihrigen eiskalten los und stürzte hinaus, fort nach Bosenstein zurück. Doch wenige Tage daraus warf ihn ein Fieber auf die Leichenbahre.