Der Rheinfall
Wo dich mein Aug zuerst empfand,
Helvetien – wo aus der Felsenwiege
ein stolzer Strom zum Woogenkriege
sich stürzt von hoher Felsen Rand,
die Brust durchdrang, die Seele freyer
zu neuen Welten sich entschwang,
wo jeder Ton auf ihren Saiten
harmonischer zum andern klang,
auf Laufens jähen Felsenhang.
Hinweg von dieser Zauberstelle
ihr Loutherburge, Hackerte,
ihr Schütze und ihr Rheinhardte[1] –
hervor aus eurer Marmorzelle,
zu schaun die Woogenpracht des Königes der Fälle!
Wie sich in silberlichtes Helle,
vom Glanz des Wassergotts umstrahlt,
von ihrer hohen Felsenschwelle
herabstürzt diese Wasserhölle!
Umsonst! des Künstlers Hand erbebt,
dem kühnern Dichter sinkt die Leyer.
sieht Leben und Verderben eng verwebt,
er sieht aus grauem Nebelschleyer,
wie wallend Fluth aus Fluth sich hebt,
wie, tausendmal im Augenblicke,
und in den Abgrund sich begräbt.
Er sieht ein schäumend Ungeheuer,
das sich zersprengt und wieder schlürft,
und aus dem Schlund im Sternenfeuer
wie wenn am Fels sich Blitze splittern.
Er sieht, wie Masse Masse schnellt,
sieht einen Silberberg von Furien erschüttern,
daß aufgelöst in eine Tropfenwelt
Welch ein Getös! Welch weit verworrnes Sausen!
gleich Eichen, die der Sturmwind trillt,
gleich der Orkane wildem Brausen,
das fern den Wanderer mit Grausen,
Lauteilendes Verderben brüllt
aus seinem weiten Woogenrachen
des Bernhards eisgebohrner Sohn,
bang flüchten sich erschrockne Nachen,
Die Ufer dröhnen rings davon,
zerrißne Felsenreste zittern
vor des Zermalmers Donnerton,
wie wenn auf seinem Wolkenthron,
der Weltgebiether furchtbar naht,
wie wenn des Zeitenstromes Rad,
vom Sturz der Jahre umgeschwungen,
hier wälzte und mit tausend Zungen
Ihr Pilger eilt zu heiligen Altären?
Zertrümmert Marmor und Granit!
Sie können sich nicht neu gebähren,
und ihrer Lampen Oehl verglüht.
hier lernt den Unbekannten ehren,
hier ist ein heiliges Gebieth.
Der Abend ist herab gesunken,
an dieses Lichtquells hohem Rand,
seh Berge knien im Nachtgewand,
und seh sie tiefer hingesunken,
zu tragen diese Silberwand.
Ringsum ist Ruh der Kräfte, Stille
das Leben schlummert überal
aus seiner dunkeln Wolkenhülle
blickt einsam nur der Nächte Strahl.
Doch rastlos tönet fort des Rheines starke Stimme,
Ob auch von seinem wilden Grimme
des Sturmwinds müder Fittig ruht,
erlahmen nicht der Wellenhydra Flügel.
Ermatten ist der Kräfte Loos,
lebt immer, wirket immer groß.
Nie brach das stolze Wasserschloß,
ob schneller auch als Pfeilgeschoß
die Zeit mit unverhängtem Zügel
ob in Jahrhunderten, die hier vorüber wallten,
auch tausend Stimmen durch einander schallten,
ward ihrer keine athemlos.
Was für ein Bild ergreift die bange Seele!
worinn die Vorwelt sich verlor,
schwebt meinem düstern Blicke vor.
Erbauen seh ich und zerstören,
Geschlechter immer neu entstehn,
und fortgehn ohne Wiederkehren.
Nicht Heldenruhm, nicht Würdenglanz
nicht des Verdienstes Siegeskranz
entriß sie dem gewissen Falle,
Bleibst du allein in ewig gleichem Gleis,
du weißgelockter Wellengreis?
Ob Felsen unter dir zerbrechen,
fühlst du doch nicht des Alters Schwächen,
Es hörten deine Woogensprache
schon Völker, als noch keine Wache
auf Felsen keine Hochwacht stand,
und spät noch lauscht vom steilen Rand
der Schweitzer deinen Wellenchören,
hört ferner Waffen dumpfen Klang,
wie Rauschen von Burgunderspeeren,
und ihn ergreifet Thatendrang.
Anmerkung
- ↑ Vier vortreffliche Landschaftmahler.