Der Planet Mars
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Der Planet Mars.
An den schönen Herbstabenden Ende September und Anfang Oktober vorigen Jahres genoß das Auge nach Sonnenuntergang einen besonders prächtigen Anblick. Kaum hatte sich die Sonne unter den Horizont geneigt, so tauchten, lange ehe irgend ein Fixstern zu erkennen war, an dem rasch sich verdunkelnden Süd- und Südwesthimmel die drei glänzendsten Planeten auf, wenig von einander entfernt und nahezu in einer geraden gegen den Horizont geneigten Linie. Zuerst die Venus in ihrem milden Licht tief am Horizont, und fast gleichzeitig der bläuliche Jupiter so hell, daß er einen Schatten werfen imstande war; und gleich darauf erschien, näher bei Jupiter als bei der Venus, jener rötliche Planet, dem wegen seiner Farbe der Kriegsgott Mars oder Ares seinen Namen lieh. Von diesem Planet möge näher die Rede sein.
Mit Recht wenden die Oberflächenforscher unter den Astronomen mit einer gewissen Vorliebe gerade dem Mars ihre Hauptaufmerksamkeit zu. Man ist sich klar geworden, daß man bloß von ihm interessantere Aufschlüsse erwarten kann; Merkur ist wegen seiner Sonnennähe stets undeutlich, nur die guten Augen Schiaparellis[WS 1] waren imstande, in neuester Zeit auch auf ihm gewisse Einzelheiten wahrzunehmen –; und von den beiden nächsten Nachbarn der Erde (außer Mars) Venus und Jupiter scheint die erstere stets mit einem dichten Wolkenschleier überzogen zu sein, auch wendet sie bei ihren Begegnungen mit der Erde, ihren sogenannten Oppositionen, dieser ihre Nachtseite zu; aus Jupiter aber ist wohl wegen seiner Größe die Erkaltung noch nicht so weit vorgeschritten, daß er bemerkenswerthe Bildungen aufweisen könnte. Ebenso ist es bei Saturn, und die übrigen liegen zu sehr im Dunkel des Weltraumes.
Die erste Marskarte, wenn man sie schon so nennen will, stammt von Huyghens[WS 2] und Hooke[WS 3] im 17. Jahrhundert; aus der Beobachtung gewisser fester, mit dem Mars sich drehender Flecken bestimmte Huyghens die Länge des Marstags; dieser übertrifft die Länge eines Erdentags, doch nur um 41 Minuten; das Jahr ist etwas weniger als doppelt so lang wie ein Erdenjahr; ein Marsjahr hat 668 Marstage oder 687 Erdentage. Es folgten die Untersuchungen von Maraldi, Bianchini, Herschel, Schröter, Mädler, Secchi, Lokyer, Kaiser, in deren Besprechung hier nicht eingetreten werden soll.
Nahezu zum Abschluß gebracht wurde die Marsforschung durch den schon erwähnten Schiaparelli, den Direktor der Mailänder Sternwarte, der in den Jahren 1877 bis 1888 mit Hilfe eines Merzschen Refraktors von nur 8 Zoll Oeffnung und 400- bis 500facher Vergrößerung eine genaue Marskarte zeichnete, mit Längen- und Breitenbestimmungen auf Grundlage von Mikrometermessungen. In der reinen, mitunter fast ganz dunstfreien Luft Oberitaliens sah er mit seinem kleinen trefflichen Instrument mehr als der Amerikaner Hall mit seinem Riesenfernrohr von 28 Zoll Oeffnung. Ueberhaupt ist bei solchen lichtstarken Beobachtungsgegenständen wie den jüngeren Planeten die Reinheit der Luft von weit höherem Einfluß als die Mächtigkeit der Fernrohre; die letztere ist von besonderem Werth für lichtschwache Objekte wie Monde, Nebelflecke, für die Spektralanalyse u. s. w.
In der Karte von Schiaparelli finden sich Dutzende von – meist der mythologischen Geographie älterer und neuerer Zeit entlehnten – Namen für die Meere, Meerbusen, Seen, Kanäle, Flüsse, Inseln, Halbinseln des Mars. Dies sind natürlich zunächst nur abkürzende Bezeichnungen zur Unterscheidung der hellen, röthlich gelben Flecke gegenüber den dunkleren, stahlgrauen, die man beobachtet. Aber die meisten Forscher – etwa Fizeau und Schmitz ausgenommen – sind überzeugt, daß diese Namen auch in der Geographie des Mars – oder also besser in der „Areographie“ – dasselbe bezeichnen, was man in der Erdkunde darunter versteht. Und diese Ueberzeugung drängt sich geradezu auf bei der Beobachtung der Schneekappen in der Nord- und Südpolarzone des Planeten; ganz deutlich vermag man von Woche zu Woche das Vorrücken bezw. Abschmelzen des Polarschnees zu verfolgen. Und daß die Wassermassen von der Erde aus gesehen, eine dunklere Färbung besitzen müssen, ist einleuchtend; auch auf der Erde erscheint von einem Berge aus ein am Fuße desselben gelegener tiefer See dunkel, weil die wenigsten Lichtstrahlen bis zum Grund des Sees gelangen können, um dort reflektiert zu werden.
„Der Planet Mars,“ sagt Schiaparelli, „ist keine Wüste trockenen Gesteins, er lebt, und die Entwickelung seines Lebens offenbart sich in einem sehr verwickelten System von Erscheinungen, und ein Theil dieser Erscheinungen umfaßt Gebiete von genügender Ausdehnung, um sie den Erdbewohnern sichtbar zu machen; da giebt es eine ganze Welt von neuen Dingen zu erforschen, die in hervorragendem Maße geeignet sind, die Wißbegierde der Forscher herauszufordern.“
Eigentümlich ist die Verteilung von Land und Wasser auf dem Mars gegenüber der Erde. Dort nimmt das Wasser nur die Hälfte der Oberfläche ein, während auf der Erde etwa zwei Drittel dem feuchten Elemente gehören. Es sind eben auf dem einige Millionen Jahre älteren Mars schon größere Mengen der Atmosphäre als feste Bestandtheile in den Gesteinen gebunden.
Ferner finden sich die überwiegenden Ländermassen um den Aequator gelagert. Man erklärt sich letztere Erscheinung in folgender Weise: Durch die Reibung der Marsoberfläche gegen den Weltstaub hat sich im Laufe der Jahrtausende die Umdrehungsgeschwindigkeit verringert;[1] also hat auch die Schwungkraft am Aequator abgenommen. Die Wassermassen werden dort nicht mehr mit der früheren Wucht nach außen getrieben, ebensowenig die Landmassen. Allein die erstarrte Marskruste muß ihre infolge [396] der früheren Schwungkraft einmal angenommene Gestalt beibehalten, nicht so die Wasseroberfläche; es muß also am Aequator das Land mehr hervortreten, und es scheinen sich auf diese Weise die Wassermassen vom Aequator nach den beiden Polen hin zurückgezogen zu haben.
Das Merkwürdigste am Mars sind jedoch seine sogenannten Kanäle: eine Menge Linienzüge von gleichmäßiger Dicke und eigentümlicher Geradheit, nördlich und südlich vom Aequator mehr senkrecht zu diesem, in der Nähe des Aequators mehr parallel mit ihm verlaufend. An eine Zählung ist nicht zu denken: Schiaparelli berichtet, daß ihm in manchen Augenblicken besonderer Klarheit der Luft die Oberfläche des Planeten wie eine verwickelte Stickerei erschienen sei, so vielfach ist sie kreuz und quer von Haupt- und Nebenkanälen aller Art durchzogen. Und was das Rätselhafteste dabei ist, diese Kanäle scheinen sich zu gewissen Zeiten zu verdoppeln, wie man meint, meist zu Ende des Winters und Sommers, um die Zeit der Schneeschmelze am einen oder anderen Pol des Mars; fast neben jedem Kanal geht dann haarscharf parallel ein anderer ähnlicher Kanal her. Und zwar vollziehen sich diese Aenderungen beinahe plötzlich, von einem Tag zum andern, sehr im Gegensatz zu anderweitigen Veränderungen, die Schiaparelli ebenfalls zu beobachten Gelegenheit hatte und die einen langsameren Charakter zeigen.[2] Die Tiefe der Wasserbedeckung ist in den meisten Kanälen unbedeutend; nur wenige, z. B. der „Nil“. weisen durch eine fast schwarze Färbung auf eine größere Tiefe hin.
Der bekannte Astronom Wilhelm Meyer spricht nun hinsichtlich der Verdoppelung der Marskanäle die Ansicht aus, daß diese zweiten Kanäle nur zu Zeiten sich mit Wasser füllen und deshalb nur zu Zeiten für uns erkennbar seien, sowie daß sie verstandbegabten Wesen ihren Ursprung verdanken. Falls an dem einen Pol der Schnee schmelze, somit das betreffende Polarmeer überfüllt werde, ströme das Wasser durch die Kanäle nach dem andern Pol, um dort als Polareis gebunden zu werden. Nur für diese Zeiten des Durchfließen sollen die zweiten, flacheren, höheren Kanäle dienen, um weite Ueberschwemmungen des Landes abzuhalten.
Der Annehmbarkeit dieser Meyerschen Hypothese steht allerdings die beträchtliche Breite der Marskanäle – von etwa zehn geographischen Meilen – recht hinderlich im Wege.
Die stillschweigende Voraussetzung für das vorher Gesagte ist das wirkliche Vorhandensein einer Atmosphäre des Mars. Diese wird aber unzweideutig erwiesen, erstens durch den hellen Saum der Marsscheibe, welcher bei der Annäherung die Fixsterne undeutlich und trübe erscheinen läßt, noch ehe der feste Rand des Planeten selbst sie erreicht hat, und zweitens durch die Wasserstoffspektren in der Spektralanalyse desselben.[3]
Besitzt nun Mars eine Atmosphäre, so folgt mit Notwendigkeit, daß es auch Wasser, Regen, Schnee, Abendrot, Morgenrot, Dämmerung u. s. f. auf ihm giebt. Das Meerwasser wollen einige Forscher etwas blauer in der Aequatornähe als in den mittleren Breiten gefunden haben, infolge der stärkeren Verdampfung und daher des höheren Salzgehalts.
Deutlich sieht man Wolken über die Oberfläche des Mars dahinziehen – oder wenigstens Gebilde, die nicht anders zu deuten sind als durch die Gleichsetzung mit den bekannten irdischen Erscheinungen; sogar die Geschwindigkeit der Wolken wurde schon gemessen. Oefters bemerkt man, daß, nachdem die Wolkenmassen über einem Stück festen Landes verschwunden sind, dieses sich weißlich gefärbt hat: es hat geschneit; und nachdem einige Zeit die Sonne darauf geschienen hat erhalten jene Gebiete wieder die frühere gelblich-rothe Färbung: der Schnee ist geschmolzen. Nothwendig sind die Passatwinde weniger heftig als auf der Erde, wegen der langsameren Umdrehung des Mars um seine Achse; und weit seltener verdecken Wolkenmassen die Ländertheile, da die Atmosphäre des älteren Mars eine geringere Dichtigkeit besitzt als die der Erde; ein klarerer und reinerer Himmel wölbt sich also über die Gefilde jenes Planeten.
Es scheint, daß die den Mars betreffende Witterungskunde weniger verwickelt, leichter zu studieren ist als diejenige der Erde, und manche Forscher vermuten, daß sie geeignet sein dürfte, unter Umständen aufklärende Gedanken zur Vervollkommnung der irdischen Meteorologie beizubringen, die dessen bekanntlich sehr bedürftig ist. In den Zeiten der Sonnenwenden findet sich auf dem Mars, falls auf der nördlichen Halbkugel Verdampfung herrscht, auf der südlichen Verdichtung der Luft, und umgekehrt; in der Zwischenzeit ist die Verdampfungszone am Aequator nach Nord und Süd von zwei Verdichtungsgebieten begrenzt u. s. f.
Ferner bringt es die verhältnißmäßig starke Krümmung der Marsbahn (einer Ellipse, die vom Kreise merklich abweicht, die Sonne im einen Brennpunkt) sowie die Lage der Marsachse mit sich, daß auf der nördlichen Halbkugel der Sommer ganze 76 Tage länger ist als der Winter und umgekehrt auf der südlichen. Und zwar sind auf der nördlichen Halbkugel der lange Sommer und der kurze Winter beide gemäßigt; auf der südlichen Halbkugel der kurze Sommer und der lange Winter beide extrem. Es wurde daher vermutet, daß gegenwärtig auf der südlichen Halbkugel des Mars [397] eine extreme Eiszeit herrsche – vorausgesetzt, daß die bezügliche Erklärung der Eiszeiten die zutreffende ist. Im Unterschied vom nördlichen Kältepol, der im Spätsommer vollständig schneefrei ist, wird es der südliche niemals ganz; im Winter erstreckt sich die Schneekappe des Südpols bis zum 55. Breitegrad herab. Uebrigens fällt auch auf dem Mars der nördliche und südliche Kältepol nicht mit dem eigentlichen „areographischen“ Nord- und Südpol zusammen, ähnlich wie auf der Erde.
Mars besitzt zwei Monde, deren Dasein eigentümlicher Weise schon Kepler vermutete, man weiß heute noch nicht, aus welchem Grund. In einem Brief an Galilei schreibt er 1610: „Ich wünschte, ich hätte schon ein Fernrohr bereit, mit welchem ich Dir in der Entdeckung der zwei um den Mars und der 6 bis 8 um den Saturn kreisenden Trabanten zuvorkommen könnte.“ Wiederholt ist in der späteren Litteratur von der Vermuthung zweier Marsmonde die Rede, bei dem Theologen Derham, dem Philosophen Wolf, dem Pfarrer Schmidt, dem englischen Schriftsteller Swift, bei Voltaire u. a. Aber niemand konnte sie finden. Endlich sah sie als erster der Amerikaner Aseph Hall[WS 4] 1877 mit dem großen Clarkschen Refraktor der Washingtoner Sternwarte. Er berechnete auch ihre Bahnen und annäherungsweise, durch Helligkeitsbestimmung, ihre Größe.
Ihre Namen, „Deimos“ und „Phobos“ („Furcht“ und „Entsetzen“), sind einer Stelle der Ilias (XV, 119) entlehnt, wo die Söhne und Wagenführer des Kriegsgottes so heißen. Ihren unheimlichen Namen zum Trotz sind sie von äußerst harmloser Größe. A. v. Humboldt nennt sie wegen ihrer Kleinheit die „Taschenplaneten“. Der innere Mond Phobos z. B. besitzt eine Oberfläche, etwa halb so groß wie das Fürstentum Lippe. Dort wäre es also möglich, die Reise um die Welt nicht in 80 Tagen, sondern in 8 Stunden bequem auszuführen.
Seine Entfernung vom Mars ist nicht viel größer als die Länge des Nils. Wilhelm Meyer bemerkt mit Bezug auf die Marsmonde, man könne sich einbilden, „ein irdischer Astronom, der sich ja überhaupt gewöhnlich dem Himmel um ein Bedeutendes näher glaubt als die übrigen Menschen, müsse, wenn er plötzlich auf den Mars versetzt würde, ganz unwillkürlich mit der Hand danach greifen oder sich ängstlich bücken, wenn der Marsmond Phobos gerade durch den Meridian geht.“
Wegen dieses seines geringen Abstands vom Mars ist von vornherein zu vermuten, daß seine Winkelgeschwindigkeit eine beträchtliche ist; denn wenn eine Kugel an einem Faden befestigt ist und sich mit diesem um das feste andere Ende des Fadens dreht, so wird die Umdrehungsgeschwindigkeit eine um so größere, je mehr wir den Faden verkürzen. In der That zeigt Phobos eine fast unglaubliche Behendigkeit. Während Mars selbst schon mit einer Geschwindigkeit, die weit größer als die einer Büchsenkugel ist, durch den Weltraum stürmt, läuft jener ihn stets begleitende Mond außerdem noch jeden Tag fast dreimal um ihn herum. Er geht also, da Mars sich in derselben Richtung dreht, ungefähr zweimal an demselben Tag auf und zweimal unter. Und zwar wird er für etwaige Marsbewohner wegen seiner Geschwindigkeit nicht im Osten, wie alle anderen Gestirne, sondern im Westen aufgehen und stets den Gestirnen entgegen laufen. Man erkennt die Richtigkeit dieser Behauptung sofort durch eine leichte Ueberlegung, wenn man berücksichtigt, daß unser Mond für uns am Himmel stille zu stehen schiene, falls er jeden Tag einmal um die Erde liefe, und rückwärts zu gehen, falls er eine noch größere Winkelgeschwindigkeit besäße. Dabei wechselt der Marsmond Phobos täglich beiläufig zweimal von Vollmond zu Neumond und giebt fast täglich den Anblick einer Mondfinsterniß. – Der andere Mond, Deimos, ist etwa dreimal so weit vom Mars entfernt und geht erheblich langsamer.
Da der Mars zwei Monde besitzt, müßte es auf ihm zwei Arten von Monaten geben; dabei ist ein Erdentag etwa gleich drei Phobosmonaten. Phobos erscheint vom Mars aus wie ein Stern erster Größe; umgekehrt erscheint vom Phobos aus Mars so groß, daß er den sechzehnten Theil des ganzen Himmels bedeckt. –
Die eigentümliche Thatsache, daß die beiden Marsmonde trotz eifrigen Suchens erst in neuester Zeit gesehen wurden, veranlaßte den französischen Astronomen Du Bois zu der Vermuthung, es möchten dieselben überhaupt nicht von Alters her den Mars umkreist haben, sondern unechte Söhne desselben sein. Durch die Anziehungskraft des Mars hätten sie sich aus dem nahen Planetoidenring hier herein verirrt, seien also aus dem Schwarm des „Planetoidenproletariats“ von Mars unlängst gestohlen worden. Diese Ansicht von Du Bois wurde in neuester Zeit von Poincaré durch Rechnung widerlegt.
Ob Menschen und Thiere auf dem Mars wohnen?
Gesagt kann nur werden, daß erstens die äußeren Bedingungen für organische Entwickelung auf diesem Planeten vorhanden zu sein scheinen, und zwar wären sie schon früher als auf der Erde dagewesen; und zweitens, daß niemals das Dasein oder Fehlen menschenähnlicher Wesen auf dem Mars wissenschaftlich wird nachgewiesen werden können.
Denn es läßt sich leicht berechnen, wie groß ein Gegenstand von bestimmter Gestalt, z. B. ein quadratischer Würfel, auf irgend einem anderen Weltkörper sein müßte, sollte er von der Erde aus mit 500facher Vergrößerung als solcher wahrgenommen werden können. Auf dem Erdmond müßte ein Gegenstand 100 Meter groß sein; es wäre also eine Leichtigkeit, Büffelherden, Heeresmassen dahinziehen, [398] einen Eiffelthurm von Woche zu Woche sich erheben, eine Kanalbrücke schlagen zu sehen; allein dort oben ist offenbar alles öde und leer – der Mann im Mond ist schon lange todt. Auf der Venus müßte die Länge einer Quadratseite 11/3 Meilen betragen, selbst wenn gewisse andere Verhältnisse günstiger wären, als sie sind; auf dem Mars aber 2 Meilen, auf dem Jupiter 22 Meilen u. s. f. Dabei ist, wie in der Physik üblich, vorausgesetzt, daß für ein scharfes Auge ein weißes Quadrat von einem Meter in der Seite auf schwarzem Grund bei einer Entfernung von einer Meile als ein heller Fleck erscheint, der gerade noch von einem gleichgroßen Kreis unterschieden werden kann; von den übrigen Einflüssen dagegen ist hier näherungsweise abgesehen.
Auch von der Verbesserung und Vergrößerung der Fernrohre ist nichts für diese Zwecke zu erhoffen. Wie schon bemerkt, ist in dieser Hinsicht die Reinheit und Klarheit der Luft das Wichtigste. Sehr viel mehr, als Schiaparelli sah, wird wohl auch von der in der reinen Luft Kaliforniens in gewaltiger Höhe erbauten Lichtsternwarte aus nicht gesehen werden. Jedenfalls werden Werke menschenähnlicher Wesen niemals mit Sicherheit als solche festgestellt werden. Fraglich ist sogar, ob es gelingen wird, über das Räthsel der Verdoppelung der Marskanäle, sowie die sonstigen auf dem Mars vor sich gehenden Veränderungen einigen Aufschluß zu erhalten. Und wenn, so wird noch längere Zeit darüber vergehen müssen. Denn für die Beobachtung ergaben sich Schwierigkeiten aller Art. Die Verdoppelung der Kanäle geht verhältnißmäßig schnell vor sich; nun kann allerdings derselbe Punkt des Planeten 8–10 Abende nach einander beobachtet werden, allein dann in den gleichen Stunden 38 Tage lang nicht mehr und, wenn das Wetter ungünstig war, zwei Monate lang nicht mehr. Auch muß der Mars genügend nahe sein (er kann der Erbe im günstigsten Fall auf 71/2 Millionen Meilen nahe kommen); die Oppositionen, die Stellungen, in denen Mars der Sonne gerade gegenüber steht, bieten sich aber nur in Zwischenräumen von 26 Monaten dar; und um den Planeten Mars in allen seinen Jahreszeiten und sonstigen Verhältnissen zu studieren, ist ein 16jähriger Cyklus von Oppositionen nothwendig.
Trotz solcher nüchternen Ueberlegungen lassen sich indessen die Hypothesenschmiede nicht beirren, alles mögliche hinsichtlich des Mars zu behaupten.
Zum Beispiel: da Mars von der Sonne weiter entfernt ist als die Erde, folglich von weniger Lichtstrahlen getroffen wird, muß die Flora und Fauna mattere Farben zeigen. Wegen des langen und strengen Winters auf der südlichen Halbkugel sind die Thiere stark behaart. Und da Mars andererseits älter als die Erde ist, so muß die Kultur auf diesem Planeten eine vorgeschrittenere sein; es giebt folglich z. B. keine Soldaten mehr, der ewige Friede ist bereits eingetreten. Ferner, 100 Erdenkilo wiegen auf dem weniger dichten Mars nur 38 Kilo; mit demselben Kraftaufwand wird also dort eine viel größere Arbeitsmenge geleistet werden können; ein Mann kann einen schweren Wagen ziehen; er kann mehrere Meter hoch springen; nur der Tod durch Ertränken ist dort sehr erschwert, da jedermann von selbst schwimmen kann; ja, sagt ein Schriftsteller jener Sorte, da die Schwere auf dem Mars geringer ist, „wird sich der Gang der Marsbewohner von dem Flug der Vögel nicht beträchtlicher unterscheiden als der flatternde Gang der Strauße“ u. s. f.
Mit demselben Recht dürfte z. B. jemand den Satz aufstellen und beweisen, die Marsbewohner müßten nothwendig 5 Hände und 17 Füße besitzen. Mit derartigen Ueberlegungen schreibt man spannende naturwissenschaftliche Romane nach Art von Jules Verne, allein die Wissenschaft, die auf Beobachtung und strengen Schlüssen beruht, hat damit nichts mehr zu thun. Die Ansicht des bekannten Philosophen Wolf aber, die Umdrehung der Planeten um ihre Achse sei von Gott dazu angeordnet, damit dieselben ganz, nicht bloß zur Hälfte, von Menschen bewohnt werden könnten, woraus mit Notwendigkeit folge, daß die Planeten mit Rotation, z. B. auch Mars, wirklich Menschen beherbergen, diese Ansicht zu erörtern, pflegen die Theologen den Mathematikern und die Mathematiker den Theologen zu überlassen.
Was endlich die Stellung des Mars unter den Planeten anlangt, so ist er der erste der sog. „oberen“ Planeten, der Größe nach der siebente – sein Durchmesser ist 0,54 Erddurchmesser – und gemäß der kantischen Theorie dem Alter nach der sechste Sohn der Sonne, jünger als Jupiter und der Planetoidenring, älter als die Erde und noch älter als die Venus. Und zwar sollen nach den Berechnungen eines bekannten Physikers die einzelnen Planeten je um 5 Millionen Jahre im Alter von einander verschieden sein, natürlich ein Ergebniß von sehr geringem Werth, da die dabei benützten Voraussetzungen äußerst unsicherer Natur sind.
Von dem umschwingenden ungeheueren Gasball löste sich einst ein Ring um den anderen ab, der Ring zerbrach, und von den Bruchstücken zog das größte die kleineren an sich (ausgenommen beim 5., dem Planetoidenring); die Reste sind die Planeten mit ihren Monden. So kam in sechster Linie die Reihe an Mars; dann zog sich die Sonne weiter zusammen und aus einem weiteren Ring bildete sich die Erde mit ihrem Mond oder, wie vielfach vermuthet wird, früher mit ihren zwei Monden u. s. f.
Daß in der That die Erde dem Alter nach in der Mitte zwischen Mars und Venus steht, zeigt sich wohl am deutlichsten an der Beschaffenheit der Atmosphären. Die Marsatmosphäre hat sich schon erheblich verdünnt. Die Venus dagegen ist von einer fast undurchdringlichen Wolkendecke überzogen, nur hie und da gelingt es, auf die Oberfläche selbst durchzublicken; dort herrschen wohl noch Zustände wie einst auf der Erde zur Steinkohlenzeit: Treibhauswärme, üppiges Gedeihen, wenig verschiedenartiges organisches Leben.
Einst wird vermutlich der Mars auch seine zwei Monde noch an sich ziehen und dadurch auf einige Zeit neue Wärme, neues Leben gewinnen. Und dann? – Der Leser gestatte mir, in derlei Ueberlegungen noch etwas fortzufahren, die allerdings nicht mehr der Rechnung, sondern nur noch ziemlich unbestimmten physikalischen Schlußfolgerungen unterliegen. – Dann wird Mars, nach dem er auch diese Wärme noch ausgegeben hat, erkaltet und verödet wie jetzt unser Mond einige Jahrmillionen oder -billionen um die Sonne kreisen, bis er dieser vollends zum Raube wird wie auch die übrigen Planeten. Jedesmal neue Perioden des Lebens und Gedeihens. Und dann? – dann wird die Sonne selbst einmal erkalten müssen im eisigen Weltraum, trotz aller Wärme, die sie besitzt und durch Zusammenziehung, Meteoritenfall u. s. f. neu gewinnt; und sie wird in ähnlicher Weise einem größeren Centralkörper unseres Milchstraßensystems (nach Kant wäre es der Sirius) mehr und mehr sich nähern.
Schließlich am Ende wird – dies ist wenigstens die viel besprochene Hypothese des englischen Physikers Thomson, auf Grund des zweiten Carnotschen Satzes der mechanischen Wärmetheorie – am Ende wird das ganze Weltall den "Wärmetod" sterben. Da alle Wärme nur von Körpern höherer Temperatur zu solchen niederer Temperatur übergehen kann und nicht umgekehrt, so wird alle Energie, Wärme, Licht, Elekricität, Magnetismus sich schließlich ins Unendliche verflüchtigen; allgemeine Stoff- und Energiezerstreuung wird das Ende sein.
Und Zöllner glaubt vor diesem Schicksal das Weltall dadurch retten zu müssen, daß er annimmt, unser Raum sei in Wirklichkeit nicht unendlich, sondern ein endlicher gekrümmter Raum: alle geraden Linien seien in Wahrheit sehr große Kreise, die folglich wieder in sich zurückführen; wenn an einer Stelle Welten vergehen und die Trümmer sich trennen, so müssen diese an einer anderen Stelle des Raumes zu neuen Welten zusammentreffen.
Vor solchen Hypothesen wie den eben genannten hätte wohl eine nüchterne Philosophie bewahren können. Für das Weltall selbst giebt es keine Raumbestimmung, da die Orientierung fehlt; und ebenso giebt es für das Weltall keine Zeit, da die Uhr fehlt; wir messen ja die Zeit selbst erst nach scheinbaren Bewegungen von Himmelskörpern, denen wir erst noch willkürlich eine gleichförmige Bewegung unterschieben, abgesehen davon, daß die Naturgesetze nicht in unendlicher Allgemeinheit angewendet werden dürfen.
Die Naturgesetze sind doch schwerlich etwas anderes als Näherungsformeln, Zusammenfassungen der bisherigen in beschränkten Kreise gewonnenen Beobachtungsergebnisse.
Also auf diese letzten Fragen giebt die Naturwissenschaft keine Antwort mehr.
- ↑ * Auch der Erdentag scheint sich auf Grund desselben Vorgangs nach den Untersuchungen von Newcomb in geschichtlicher Zeit etwas vergrößert zu haben.
- ↑ * Z. B. den „Mörisse“ sah Schiaparelli 1877 in der Mitte des „Repenthesflusses“, später 1884 am Rand; die Ufer der „großen Syrte“ und von „Libyen“ waren geändert, manche Gebiete schienen überschwemmt u. s. f.
- ↑ *Die Absorption der Lichtstrahlen in dieser Atmosphäre ist auch wohl die Ursache für das rötliche Aussehen des Mars: schwerlich ist die gesammte Flora aus Mars von rother Farbe, wie der Geometer Lambert meinte.