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Der Nordsee-Hummer

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Textdaten
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Autor: G. Hoffbauer
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Titel: Der Nordsee-Hummer
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 639–641
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Nordsee-Hummer.

Von Dr. C. Hoffbauer.

Wer einmal in der glücklichen Lage gewesen ist, zur Sommerszeit auf einem der eleganten Hamburger Salondampfer die kurze aber herrliche Seereise nach Helgoland zu machen, wird während seines Aufenthaltes auf dem kleinen roten Felseneiland wohl schwerlich die Gelegenheit haben vorüber gehen lassen, die größte Delikatesse, welche die Insel bietet, einen frisch gekochten Hummer, einer gründlichen gastronomischen Prüfung zu unterziehen. – Der Binnenländer dürfte vielleicht erst bei dieser Gelegenheit erfahren haben, daß an unsern Küsten und in den deutschen Meeren der Hummer nicht weiter vorkommt, und der Meeresgrund in der Umgebung Helgolands sowie einiger kleinen Stellen nördlich davon bis zur jütischen Küste die einzige Stätte ist, wo dieser äußerst schmackhafte Kruster in größerer Anzahl gefangen wird. So bekannt und auf jeder Tafel beliebt nun auch der im Alter höchst mürrische und einsiedlerisch veranlagte Geselle ist, so hat man doch bis vor nicht langer Zeit von seiner Naturgeschichte, seiner Lebensweise und Fortpflanzung herzlich wenig gewußt. Als nach der Einverleibung Helgolands in das Deutsche Reich auf der Insel von Preußen im Jahre 1892 eine Biologische Station gegründet wurde, gingen darum deutsche Naturforscher eifrig ans Werk, in jenes dunkle Gebiet Licht zu bringen. Ihre Untersuchungen sind bereits von schönen Erfolgen gekrönt worden, die zum Teil in den „Mitteilungen des deutschen Seefischereivereins“ veröffentlicht wurden. Aber auch von anderer Seite, von Norwegen, England, namentlich von den Küsten Nordamerikas, wo der Hummer noch am zahlreichsten vorkommt, sind in den letzten Jahren mancherlei Beiträge zur näheren Kenntnis des Hummers eingelaufen, in jüngster Zeit hauptsächlich von Dr. Francis H. Herrick vom Adalbert College in Cleveland, Ohio, dessen Beobachtungen in den meisten Punkten auch mit denen über unsern europäischen Hummer übereinstimmen. – Es dürfte wohl einen größern Leserkreis interessieren, einen kurzen Ueberblick über diese neuesten Forschungen zu erhalten und auch etwas über den Fang und die Aufbewahrung des versandfähigen Hummers zu erfahren.

Zunächst mag, entgegen der bisherigen Ansicht der Fischer, hervorgehoben werden, daß der Hummer ein Standtier ist und größere Wanderungen, wie solche bei vielen Fischarten üblich sind, nicht unternimmt. Nur die Larven schwimmen frei umher; das ausgebildete Tier bewegt sich langsam auf dem Meeresgrunde; sollten es wirklich einige Stöße der Hinterleibsfüße oder des Hinterkörpers auf kurze Zeit emporheben, so sinkt es doch sehr bald wieder auf den Boden zurück. Bisweilen findet wohl eine Art Schwärmen einer größeren Anzahl Tiere statt, das aber durch Temperaturverhältnisse oder durch Suche nach Nahrung, falls die bisherigen Weideplätze erschöpft sind, bedingt ist und mit eigentlicher Wanderung nichts zu thun hat. Der Hummer liebt in der wärmeren Jahreszeit flachgründigen, einige Faden tiefen, felsigen Boden, wie ihn die nähere Umgebung von Helgoland in reichem Maße bietet. Er hält sich tagüber meist zwischen Steinen und Meerespflanzen verborgen und geht zur Nachtzeit auf Nahrungssuche nach andern kleinen Krustern und Muscheltieren, die er mit den starken, hornartigen, braunen Zähnen, mit denen sein Magen besetzt ist, zermalmt. Mit Vorliebe frißt er auch tote, angefaulte Fische. Alle unverdaulichen Nahrungsbestandteile werden durch die Mundöffnung wieder entleert. Zum Beginn der Winterszeit sucht er wohl tieferes, wärmeres Wasser auf mit schlickigem, weichem Boden, in den er sich mit Hilfe seiner großen Scheren und seiner Schwanzflosse rückwärts hineinbewegt und mehr oder weniger tief eingräbt, um in eine Art Winterschlaf zu verfallen, während dessen er keine Nahrung aufnimmt. Dieser Zustand der Erstarrung tritt bei dem Hummer auch in der Gefangenschaft ein.

Die Ablage der schwärzlich gefärbten, kaviarähnlichen Eier erfolgt hauptsächlich in den Sommermonaten (bei Helgoland von Mitte Juli bis Mitte September), und zwar derartig, daß sie mit einer klebrigen Substanz an den Hinterfüßen des Weibchens befestigt werden. Sie sind also bis zum Ausschlüpfen der Larven fortwährend von frischem Wasser umspült. Die Zahl der abgelegten Eier ist nach der Größe und dem Alter des Weibchens verschieden; sie beträgt nach Ehrenbaum für einen einpfündigen Helgoländer Hummer 8000 bis 10000, für einen zweipfündigen 15 000 bis 18 000 und steigert sich bei einem vierpfündigen auf 30 000 bis 36 000. Diese verhältnismäßig große Anzahl verliert aber sehr an Bedeutung, wenn man bedenkt, daß die Eierablage nicht jährlich, sondern wahrscheinlich nur alle 4 Jahre erfolgt und die später ausschlüpfenden Larven vielen Gefahren ausgesetzt sind, so daß nach Herrick von 10000 Larven kaum 2 groß werden dürften. Die Inkubationsdauer, d. h. die Zeit, während der die Eier vom Weibchen getragen werden, bis zum Ausschlüpfen der Larven, beträgt in der Regel 11 Monate. Eine merkwürdige Erscheinung sind die sogenannten schwarzen Hummern. Während der Gefangenschaft, wo die Tiere in größerer Anzahl in schwimmenden Kästen gehalten werden, kommt es nämlich selten zu einer Eiablage; die bereits gebildeten Dottermassen werden von dem Körper wieder aufgesogen und färben das Blut eine Zeit lang grünlichschwarz. Solche Hummern sind nach dem Kochen sehr unansehnlich und darum meist unverkäuflich, wenn auch von Feinschmeckern behauptet wird, daß dieselben gerade durch das Zurücktreten der Dottermassen ins Blut sehr wohlschmeckend seien.

Die kleinen Larven haben nach dem Verlassen des Eies eine dem ausgebildeten Tier sehr unähnliche Gestalt (vgl. die untenstehende Abbildung) und Lebensweise. Sie schwimmen frei an der Wasseroberfläche umher und sind den mannigfaltigsten Nachstellungen ausgesetzt. Gleich nach dem Ausschlüpfen machen sie eine Häutung durch, ein Vorgang, der sich bis zu einem Alter von 6 bis 8 Wochen fünf- bis sechsmal wiederholt. Dann hat der junge 13 bis 16 mm lange Hummer die Gestalt der alten erhalten und schwimmt nicht mehr frei umher, sondern sucht den Meeresboden auf. Der Häutungsprozeß wiederholt sich im ersten Jahre noch viele Male, läßt dann aber mit zunehmendem Alter nach; ganz alte Hummern, die ein Alter von 20 bis 30 Jahren erreichen und bis 1/2 m lang werden können, häuten sich wahrscheinlich überhaupt nicht mehr, ihre Schalen sind mit Seepocken, Seerosen, Röhrenwürmern und Algen dicht bewachsen.

Hummerlarve nach dem Verlassen des Eies.

Regelmäßig tritt die Häutung nach erfolgter Eiablage ein. Die alte Schale wird durch Aufsaugen der organischen Substanz von seiten des Körpers hart und brüchig und als Ganzes abgeworfen; nur die Verbindungsstelle des Kopfbruststückes mit dem Schwanze reißt ein, um dem ausschlüpfenden Tiere den Weg zu bahnen. Selbst die Gliedmaßen, die großen Scheren und die Beine zwängen sich infolge Zurückziehens des Blutes und vermöge ihrer Elasticität durch die engen Stellen der alten Schale hindurch.

Kurze Zeit vor der Häutung werden die auf der Unterseite des Kopfbruststückes zusammenstoßenden Ränder des Panzers weich. Der Helgoländer weiß [640] dies und sondert solche in den schwimmenden Hummerkästen in Gefangenschaft gehaltenen Tiere schleunigst von den andern. Andernfalls würde der arme frisch gehäutete und noch weiche Geselle einfach von seinen eigenen raubgierigen Genossen aufgefressen werden. Verschmäht doch der gehäutete Hummer nicht, selbst Teile seines eigenen abgeworfenen Panzers zu verzehren. Die neue, anfangs noch recht weiche und empfindliche Schale erhärtet nur sehr langsam, und es vergehen nach Herrick 6 bis 8, ja 10 bis 12 Wochen, bis der Hummer wieder verkaufsfähig geworden ist.

Während der Zeit des Erhärtens vollzieht sich auch das Längenwachstum des Hummers. Es ist immer nur verhältnismäßig gering, doch in der Jugend größer als im Alter; ein Tier von 25 cm Länge hat sich etwa 25 mal gehäutet. Beispielsweise betrug die Länge eines Hummers vor der Häutung 19,1 cm, nach derselben 22,3 cm, also Zunahme 3,2 cm, während ein 37,5 cm langer Hummer nach der Häutung nur 1,5 cm gewachsen war. Das Wachstum scheint mit dem Aelterwerden sich mehr auf stärkere Ausbildung der Scheren zu beschränken.

Das Aussetzen der Hummerkörbe.
Nach einer Photographie von Hofphotograph G. Friederichs in Helgoland.

Eine bemerkenswerte Eigentümlichkeit des Hummers mag noch erwähnt sein: die Fähigkeit, einzelne Glieder, mögen sie nun durch Selbstverstümmelung, im Kampfe mit eigenen Genossen oder auf andere Weise verloren sein, in kurzer Zeit durch neue zu ersetzen. Im Aquarium der Biologischen Anstalt auf Helgoland wurde ein Tier von etwa 22 cm Länge beobachtet, welches seine linke Schere verloren hatte. Es bildete sich nun zunächst an der Bruchstelle ein fleischförmiger Ansatz, der, ohne zu erhärten, deutlich die Umrisse einer Schere erkennen ließ und bis zur halben Länge der alten Schere heranwuchs. Dann trat die Häutung ein und aus der zarten Umhüllung kam eine neue Schere zum Vorschein, die bald erhärtete und in Form und Größe schließlich der andern Schere gleichkam. Auch Herrick hat an ganz jungen Tieren diesen Vorgang häufig beobachtet.

Für die Bewohner Helgolands bildet der Hummerfang das bedeutendste und einträglichste Fischereigewerbe. Die einst so stolze und ansehnliche Schaluppenflotte, welche 20 bis 30 Meilen weit in See ging, um Schellfisch und Kabeljau zu angeln, ist bis auf etwa 10 Fahrzeuge geschwunden, da seit der stärkeren Befischung der Nordsee der Ertrag nur gering ist und die Helgoländer ihr Geld von Badegästen und Touristen auf weit bequemere und reichlichere Art einzunehmen verstehen. Der Verdienst durch Hummerfischerei ist dafür desto lohnender, werden doch jährlich etwa 60- bis 70000 Stück im Werte von 50- bis 60000 Mark gefangen und versandt. – Alljährlich zur Frühjahrszeit, wenn die bösen Winterstürme vorüber sind und der Hummer sein Winterlager verläßt, beginnt der Fang, nachdem bereits vorher die Geräte und Boote nachgesehen und ausgebessert sind.

Am Hummerkasten.
Nach einer Photographie von Hofphotograph G. Friederichs in Helgoland.

Der Hauptfangapparat besteht aus dem etwa 60 cm hohen Hummerkorb (helgoländisch „Tiner“), dessen Form am besten mit einem Bienenkorbe verglichen werden kann. Seine Gestalt erhält er durch Holzspangen und Reifen, die in Abständen miteinander verflochten sind und mit Netzwerk oder Drahtgaze überzogen werden. Der Boden ist mit flachen Steinen beschwert, und seitlich befindet sich ein trichterförmiger, reusenartiger Eingang, welcher wohl das Hineinkriechen des Hummers gestattet, aber sein Entkommen verhindert und den Zugang zu dem im Innern des Korbes angebrachten Köder (junge Dorsche u. a.) bildet.

Ein anderes, jedoch weniger gebräuchliches Fanggerät ist die „Glippe“. Sie besteht aus einem etwa 50 cm im Durchmesser haltenden Eisenreifen, an welchem ein sackartiges Netz hängt. Eine durch drei kurze Taue (Sprenken) mit dem Eisenreifen verbundene Leine dient dazu, die Glippe zu versenken. Der Köder sitzt in der Mitte des Reifens an einem ausgespannten Draht und kommt, wenn die Glippe den Meeresboden erreicht, in die Mitte des Netzes zu liegen. Vermutet nun der Fischer einen Hummer am Köder, so zieht er die Leine mit einem Ruck an, wodurch das Tier in das Netz fällt und dann möglichst schnell heraufgeholt wird.

Die besten Hummerfangplätze liegen an den Rändern der sogenannten „Helgoländer Rinne“ in einer Tiefe von etwa [641] 18 Faden. Diese Rinne erstreckt sich in ungefähr 3 Seemeilen Entfernung im Halbkreis um die Insel und verläuft von ONO nach NW. – Um die Fangplätze zu erreichen, benutzen die Fischer kleine offene, d. h. ohne Verdeck gebaute Boote von etwa 4 m Länge; sie zeigen die altertümliche Helgoländer Form, sie sind bauchig, vorn und hinten rund, ohne Kiel, dafür zuweilen mit Seitenschwertern versehen und führen nur ein Rahesegel. Die Bemannung besteht aus 2 Mann; jedes Boot setzt 50 bis 60 Hummerkörbe aus (vgl. die Abbildung S. 640). Diese werden an langen, mit Korkstücken versehenen Leinen (Simm) auf den Meeresgrund gelassen. Das obere Ende der Leine schwimmt dann auf der Oberfläche des Wassers und trägt zum leichteren Auffinden ein Fähnchen oder eine grell angestrichene kleine Tonne (Boje). Die Körbe werden täglich revidiert, etwaige gefangene Hummern herausgenommen und frischer Köder hineingethan. Die Witterung muß schon recht schlecht sein, um die Fischer zum Unterlassen dieser Thätigkeit zu bewegen. Sie vertrauen ihren kleinen seetüchtigen Booten mit einer Kühnheit, die jeden Binnenländer in Erstaunen setzen muß. Oft verschwindet bei stark bewegter See das Boot in den Wellenthälern vollständig den Blicken, aber stets arbeitet es sich wieder empor und gehorcht der geschickten Hand seines Führers. Den gefangenen Hummern werden möglichst schon auf der Heimfahrt die großen Scheren mit Bindfaden zugebunden, um ihnen etwaige Angriffe gegen ihre Mitgefangenen unmöglich zu machen; denn die Muskelkraft in den Schenkeln der Scheren ist außerordentlich und befähigt die Tiere, die Gliedmaßen ihrer Stammesgenossen glatt vom Rumpfe zu trennen.

Bis zum Versand bleiben die Hummern auf der Helgoländer Reede in großen schwimmenden und mit einer Kette am Grunde verankerten Kasten, die durchlöchert sind und dem strömenden Seewasser freien Durchtritt lassen (vgl. die Abbildung S. 640). Auf diese Weise können die Tiere lange lebend erhalten werden, Während stehendes, wenn auch noch so frisches Wasser sehr bald ihren Tod herbeiführt. Zum Versand werden sie zwischen Seetang in Weidenkörben verpackt und kommen stets lebend und frisch, selbst nach längerer Zeit, an ihrem Bestimmungsort an.

Die Hummerfischerei ist für Helgoland überaus wichtig; nachdem die kleine Insel in deutschen Besitz übergegangen ist, wurde es demnach auch Aufgabe der Regierung, darüber zu wachen, daß der mehr und mehr sich steigernde Fang im richtigen Verhältnis zur Vermehrung des Hummers steht. Wenn nun auch eine direkte Gefahr der Ueberfischung bis jetzt noch nicht vorhanden ist, so haben die bisherigen Untersuchungen doch erwiesen, daß gewisse Vorbeugungsmaßregeln geboten sind. Außer einer polizeilich verordneten Schonzeit von Mitte Juli bis Mitte September, die in Hinsicht auf ihre anderweitige Beschäftigung während der Hauptbadesaison thatsächlich schon früher von den Helgoländern innegehalten wurde, sind in jüngster Zeit Vorschriften über das gesetzliche Minimalmaß, unter dem kein Hummer verkauft werden darf, hinzugetreten. Es beträgt 20 cm und entspricht nicht ganz der Größe (24 cm), in der unser Hummer zum erstenmal geschlechtsreif wird. Andere, schärfere Vorbeugungsmittel, deren nächstes der Verkauf eiertragender Weibchen während der Frühjahrs- und Sommerszeit wäre, sind vor der Hand nicht nötig, würden aber gegebenen Falls in Kraft treten müssen, um den so schmackhaften und beliebten Kruster in unserer Nordsee dauernd zu erhalten.