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Der Meister an die Lehrlinge

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Textdaten
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Autor: Oskar von Redwitz
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Titel: Der Meister an die Lehrlinge
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 726–728
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der Meister an die Lehrlinge.


Zur Beherzigung für Viele.


Die Jugend ist die lebendige Poesie. Sie liest darum auch am liebsten Gedichtetes, sie dichtet selbst am liebsten, und wir halten es für ein Unrecht, wenn der reife, im Laufe der Jahre welterfahrene Mann auf diesen seltsamen Trieb der Jugend, unermüdlich und begeisterungsvoll Vers an Vers und Reim an Reim zu reihen, mit überlegener Selbstironie als auf eine „lyrische Jugendsünde“ herabsieht. Hippel, der geistvolle, menschenerfahrene Denker, der auch heute noch umsomehr gelesen werden dürfte, je ärmer die Gegenwart an echten, wahrhaft hervorragenden Humoristen ist, schrieb einmal: „Wer nicht in seiner Jugend Verse gemacht hat, ist wenigstens kein Kopf.“ Aber mehr noch: liegt nicht in jedem auch selbst unbedeutenden Menschen im Grunde ein tieferer und edlerer verborgen, wenn der wirklich erscheinende nicht viel taugt?

Dieser edlere Mensch ist es, welcher unruhvoll von Zeit zu Zeit immer wieder an die Oberfläche drängt, scheu, geheim, in der Einsamkeit, und in diesem schönen Gefühl, das um so mächtiger aufzuwallen pflegt, je reicher begabt und – wir möchten sagen – je zarter und unbefleckter die Seele sich erhalten hat, formt die Jugend ihre Verse – Blüthenzweige, die sie sich um ihre Stirn schlingt und deren Duft, deren Farbe sie entzückt.

Wir halten diesen poetischen Trieb der Jugend nicht nur für harmlos und unschädlich, er ist sogar eine der köstlichsten Gaben, die der Jugend mit in’s Leben gegeben worden, so lange – diese nur auch die Blüthenzweige lediglich für solche, nicht aber schon für Fruchtzweige ansieht. Unsere Leser wissen, von welcher Fluth lyrischer Gedichte wir Jahr aus, Jahr ein überschüttet werden. Wir weisen dieselben mit unermüdlicher Geduld immer und immer wieder zurück und ertragen es selbst mit Seelenruhe, wenn einer dieser jugendlichen Dichter – sie stehen gewöhnlich im Alter von sechszehn bis achtzehn Jahren und im Begriff, eben die Universität oder Realschule zu beziehen – uns für die Nichtbeachtung, die wir ihm schenken, einen groben Brief schreibt. Mit dieser Nichtbeachtung strafen wir ihn aber nicht, weil seine Verse etwa schlecht sind – sie sind in dem gegebenen Falle vielleicht sogar wirklich gut; auch nicht darum, weil sie voll schwarzer und finsterer Nachtgedanken sind – schweben doch der Jugend, wie Jean Paul sagt, die Gottesäcker als hangende [727] Gärten in Lüften und sie sehnt sich danach. Nein, die Verse wurden und werden von uns häufig nur aus dem Grunde abgewiesen, weil ihre jugendlichen Verfasser – um das gebrauchte Gleichniß noch einmal zu gebrauchen – in den Blüthenzweigen bereits Fruchtzweige sehen, Fruchtzweige, von denen sie für ihr ganzes Leben lang pflücken wollen und die auch für ihr ganzes Leben lang ausreichen sollen. Mit Einem Worte: weil ihnen ein paar gute Verse gelungen – in der „gebildeten Sprache, die für uns dichtet und denkt“ – glauben sie jetzt auch schon wirkliche Dichter zu sein, und darin liegt ihr verhängnißvoller Irrthum. Verhängnißvoll, weil sie auf jene paar Verse ein ganzes Lebensglück aufbauen wollen und weil sie, vom Beifallsruf unverständiger Freunde ermuntert, die Poesie fortan zum „Lebensberuf“ machen zu sollen glauben, um doch diesen unseligen Entschluß nach längerer oder kürzerer Zeit nur mit der jammervollsten Enttäuschung, vielleicht sogar mit dem Schiffbruch ihres ganzen Lebens zu bezahlen.

Die Briefe, von welchen solche poetische Zusendungen an die Redaction der Gartenlaube begleitet sind, zeugen oft genug von wirklich aufgeregter Gemüthsstimmung der Verfasser, die vielleicht schon an sich irre geworden und trotzdem noch nicht stark genug waren, dem liebgewordenen, schmeichlerischen Traume zu entsagen. Man braucht indessen nur im Besitze einer sehr geringen Menschenkenntniß zu sein, um einzusehen, wie unrecht und lieblos es wäre, die schillernden und nichtigen Phantasiegebilde solcher jugendlich thörichten Herzen zu bespötteln. Vielmehr war es schon längst unsere Absicht, aus freundlichem, theilnehmendem Herzen heraus ein warnendes, ernst berathendes Wort an diese unsere „jungen Dichter“ zu richten.

Da kam uns in den letzten Tagen ein Blatt in die Hände, fast vergilbt und vor einer Reihe von Jahren schon aus dem ganz gleichen Anlaß geschrieben, den wir eben schilderten. Es bedurfte für uns nur eines Blickes, um uns zu überzeugen, daß hier schon Alles gesagt sei, was wir unseren „jungen Dichtern“ sagen wollten, und zwar von berufener Hand so frei, so schmucklos und mit so überzeugender Offenheit, daß es besser, unbefangener und herzlicher gewiß nicht gesagt werden könnte. Der Schreiber des Briefes war Oskar von Redwitz, damals – vor etwa sechszehn Jahren – auf seinem stattlichen Schlosse Schmölz in Franken wohnend, der Empfänger ein angehender Studiosus, der sich des Dichters Worte ernst genug zu Herzen nahm, um „tüchtiges Holz des Lernens nachzulegen“ und im Laufe der späteren Jahre mit Gedichten hervortreten zu können, die, wie wir hier beiläufig bemerken wollen, allseitig Aufnahme gefunden haben.

Daß in uns sofort der Wunsch entstand, den Brief des Herrn von Redwitz hier zu veröffentlichen, ist natürlich. Und sollte dieser etwas dagegen einzuwenden haben, wenn sein goldenes Wort, ursprünglich nur für Einen bestimmt, nun in die Herzen von Tausenden berathend und segnend fallen sollte? Gewiß nicht. Und liegt doch gerade darin, daß der Brief nicht für die Oeffentlichkeit geschrieben ist, also unbefangen und frei von jeder Tendenz einer eleganten oder geistreichen Stilistik, sein großer Vorzug. Wie der Dichter des „Liedes vom neuen deutschen Reiche“ auf seine Worte, deren Veröffentlichung ohne sein Wissen geschieht, blicken wird, wenn sie ihm so unerwartet und nach so vielen Jahren gedruckt hier wieder begegnen? Gewiß wird er sich auch heute noch freudig zu jeder Zeile bekennen und wir unsererseits sind überzeugt, daß wir durch Veröffentlichung seines Briefes uns bei Eltern und Lehrern ebenso viel Dank erwerben werden, als dem Dichter heute noch Derjenige zollt, an den der Brief ursprünglich gerichtet war. Der Brief selbst lautet:

„Weil das geschriebene Wort immer bestimmter ist und mit größerem Nachdruck sich dem Geiste offenbart, als das gesprochene, so möchte ich’s vorziehen, mein Urtheil über Ihre Gedichte schriftlich zu fällen, besonders auch darum, daß Sie sich in späterer Zeit meine Worte dann und wann noch einmal anschauen mögen. –

Ich sage also einfach und offen, nach meiner innersten Ueberzeugung, und in voller Berücksichtigung des tiefen Ernstes, mit dem diese Frage Ihrem Gemüthszustand gegenüber behandelt werden muß: Ich finde in Ihren poetischen Versuchen wirkliches poetisches Talent. Sie besitzen Phantasie der Erfindung und Gemüth, echte poetische Stimmung dem inneren Herzensleben und der Natur abzulauschen. Dabei ist Kraft und Weichheit der Empfindungen in gleichem Maße Ihnen eigen. – Die dichterische, oder besser gesagt, künstlerische Ausdrucksweise jedoch ist sehr oft höchst nachlässig und schülerhaft (sit venia verbo!). Es ist kein Fleiß in der äußeren und inneren Form. Sie lassen sich zu sehr gehen, man merkt kein fleißiges Ringen, wie es jede Kunst unabweisbar erheischt. Und was sind richtiger, geschulter Rhythmus, untadelhafter Reim – was sind diese höchst äußerlichen, aber dennoch nothwendigen Formvollkommenheiten gegen die künstlerische innere Form der Poesie? – Ich verstehe nämlich unter innerer Formkunst – die Kunst, jeden dichterischen Gedanken mit den concreten, künstlerisch richtigen Mitteln des Wortes, des Ausdrucks zu vollendetem Ganzen zu umkleiden, und diese Kunst erst ist die schwerste, die unermüdliches, geistiges Ringen erfordert, deren geheime Gesetze eben nirgends als in der Dichterbrust selbst geschrieben stehen und von der man nie sagen kann, daß man in ihrer Vollendung zu Ende sei. –

Die Ausübung dieser Kunst, der inneren Formvollendung, gehört aber erst dem reiferen Alter an. Ihre Aufgabe ist vor der Hand, sich streng einer richtigen äußeren Form zu befleißigen, die heutzutage stillschweigendes Erforderniß eines guten Gedichtes geworden ist. Vermeiden Sie deshalb unnachsichtlich jeden falschen Reim! Sehen Sie dies Gebot nicht in falscher Genialität als pedantischen Zopf an, nicht als Hemmschuh für den Lauf des Gedankens! – Der gewandte Dichter kann ebenso gut in gutem Reime den Gedanken zum Verse bilden; es will nur streng angewöhnt sein, dann kommt Ihnen ein unreiner Reim ebensowenig mehr in die Feder, wie ein unorthographisches Wort. – Dann lassen Sie vor der Hand noch die Strophen bei Seite, darin nur zwei Verse gereimt sind, das sind lauter Versuchungen zum Formschlendrian. Und zuletzt hüten Sie sich vor dem bewegten Versmaß, das für einen Anfänger auch immer seine Gefahr hat, sich nachlässig gehen zu lassen, und zu dem, um schön zu bleiben und in gesetzloser, nur innerlich gefühlter Rhythmusschönheit sich zu bewegen, schon großer und sehr fein ausgebildeter Formsinn gehört. Der junge Dichter aber muß sich nothwendig nach dem bestimmten Gesetze fügen, und erst wenn er unter dessen Herrschaft sich recht erprobt hat, mag er seinen eigenen Formsinn zum freien, genialen Gesetzgeber ernennen. – So viel im Allgemeinen über Ihre poetischen Versuche, über die man eben nur allgemein reden kann.

Und nun noch ein besonderes, beredtes Wort an Ihre Person! – Ich muß Ihnen vor Allem eine sehr ernste Mahnung an’s Herz legen, die sie wahrscheinlich jetzt verletzen wird, die aber ohne allen Zweifel unendlich wahr ist, und das ist doch am Ende die eine Hauptsache bei allen Fragen dieses Lebens: Denken Sie nicht, weil Ihnen der liebe Gott poetisches Talent gegeben hat, daß mit diesen dichterischen Anfängen schon Ihr ganzer künftiger Lebenslauf entschieden sei, ein Dichter zu sein. Geben Sie sich auch nicht der Schwärmerei hin, schon jetzt ein Dichter zu sein, was ich nämlich unter einem ‚Dichter‘ verstehe. Denn, glauben Sie mir das auf’s Wort, ich kenne mehr denn zehn junge Männer, die in Ihrem Alter mindestens eben so gute Gedichte an’s Licht brachten, die von poetischer Begeisterung durch und durch entflammt waren, die besonders von sentimentalen, unverständigen Damen bereits als ‚Genies‘ gehätschelt worden waren, und was ist aus ihnen geworden? – Ihre Gedichte im Alter von fünfundzwanzig bis dreißig Jahren waren weit weniger gut, als die der ersten, schwärmerischen Jünglingsjahre. Das poetische Feuer war schnell verflackert; das ‚Genie‘ war in ihnen zu stolz, um tüchtiges Holz des Lernens nachzulegen, und so waren sie in ihren Mannesjahren armselige, um ihr ganzes Lebensglück getäuschte, ausgebrannte Kräterlein. – Ich sage Ihnen auf das Bestimmteste: Niemand kann einem mit poetischem Talent begabten Jüngling von sechszehn Jahren ein bestimmtes Horoskop stellen, ob er in den Mannesjahren ein wirklicher (!) Dichter werden möge. Und wer’s thut, ist ein Phantast und kennt die Natur des menschlichen Geistes nicht, oder er schwatzt ohne Verstand. Es müßten denn gerade diese ersten Poesien der Jugendzeit etwas ganz Außergewöhnliches, ganz selten Großartiges sein, daß man mit Bestimmtheit einen Schluß auf die Zukunft machen könnte. Und selbst da kann eine täuschende Frühreife des Geistes diesen Schluß später wieder illusorisch machen.

Darum, wollen Sie sich nicht den sichern Boden Ihres zukünftigen Lebensglückes in unseliger Verblendung unter Ihren [728] Füßen wegziehen, um stete, innere Unruhe, schwärmerische Gereiztheit, Unmuth über geträumte Verkennung und krankhaften Trübsinn dafür zu ernten, wollen Sie diese bedauernswerthen Gemüthszustände, die ich bei Ihnen alle nach meiner Menschenkenntniß befürchte, nicht gegen gesunden, heitern und zufriedenen Sinn umtauschen, so thun Sie sich ein für alle Mal mit jugendlicher, besonnener Seelenstärke Gewalt an, und denken Sie einfach und kerngesund so: – Jetzt gehe ich auf die Universität, und da will ich einmal ein ganzer Jurist werden. Was ich gründlich Schönes in Kunst und Wissenschaft erhaschen kann, will ich mit begeistertem Ernste mir aneignen; nicht nur flüchtig daran nippen, nein, gründlich will ich an dieser Quelle trinken. Aber die edle Jurisprudenz, die geiststärkende und verstandschärfende, die soll mein kräftig, täglich Brod werden, wenn’s mir auch gar oft sauer schmecken wird. – Drängt mich dann die Poesie, so will ich auch ihr mich freudig hingeben, aber nur wenig, und dann aber ernst, mit tiefem Fleiß. – Ob der liebe Gott dann mit den Jahren, und wenn ich einmal die Welt kennen lerne, wie sie ist, mein poetisches Talent in solchem Maße reifen läßt, ob ich dereinst so als vates begnadigt werde, um in der Welt die unendlich ernste und opfervolle Mission des Dichters auf meinem Schultern zu nehmen – das Alles will ich getrost dem lieben Gott überlassen. Einstweilen will ich mir den sicheren Boden für mein zukünftiges Leben gründen – und soll ich wirklich in zehn bis fünfzehn Jahren ein wirklicher Dichter sein, so kann ich getrost mein heiliges Sängeramt ausüben, denn die Kunst braucht dann bei mir nicht nach Brod zu gehen, weil ich mir meinen Unterhalt gesichert habe. –

Sehen Sie, so denken Sie jetzt und immerdar! – Und im Momente, wo Sie aufhören, so zu denken, und vielleicht andern, phantastischen Rathschlägen Gehör geben, in diesem Augenblick haben Sie den Grundstein Ihres Lebensglückes zerschlagen. Das glauben Sie Ihrem es mit Ihnen ernstlich gut meinenden

O. Freiherrn von Redwitz.

Schmölz, 29. September 1856.“