Der Laternenmann
Die Namen des Tages, und nicht blos in Paris und in Frankreich, sind augenblicklich Rochefort und seine „Lanterne“. Die Kühnheit, mit welcher der geistreiche Satiriker seine beißenden Epigramme gegen die Minister, die Richter, ja selbst gegen den Kaiser und seine Familie schleudert, sind unerhört unter dem Decemberscepter und haben die Augen der ganzen Welt auf sich gezogen. Vergeblich hat die auf’s Blut getroffene Regierung Frankreichs alle Mittel aufgeboten, die ihr zu Gebote stehen, den unerbittlichen Gegner unschädlich zu machen, sie hat eine Meute feiler Scribenten auf ihn gehetzt, die ihn, seine Mutter, ja seine zwölfjährige Tochter mit den gemeinsten Persönlichkeiten anfallen mußten, sie hat es in der That auch dahin zu bringen gewußt, daß sich Rochefort zu einer Unbesonnenheit verleiten ließ und in Folge derselben zu vier Monaten Gefängniß verurtheilt werden konnte; sie hat die letzte Nummer seiner Zeitschrift confiscirt – dies Alles jedoch wird ihr nichts helfen. Rochefort hat sich nach Brüssel zurückgezogen und wird, von dort aus sicherem Asyle seine Angriffe auf ein System fortsetzen, dessen Existenz nach allen Anzeichen nur noch eine Frage der Zeit ist und selbst durch einen äußeren Krieg blos gefristet, nicht befestigt und erhalten werden könnte. Als eines dieser Anzeichen vielleicht mehr noch wie durch seine Bedeutung an sich verdient Rochefort’s Blatt die allgemeinste Aufmerksamkeit, als der wahre Ausdruck der Stimmung in Frankreich, das sich endlich zu ermannen beginnt wider die Tyrannei, welche es unter der Maske äußeren Glanzes so lange in Banden geschlagen hat, und unbeirrt von allen Zwangsmaßregeln den Ruf nach Freiheit immer lauter und lauter erhebt.
Henri Rochefort, der Sohn des Marquis von Rochefort-Lucay, ist noch ein Dreißiger, ein hochgewachsener, schlanker Mann mit imposanter Stirn und einem mageren, scharf ausgeprägten Gesicht, welches ein dunkles Schnurrbärtchen ziert. Sein Blick hat etwas Stechendes, der Ausdruck der ganzen Physiognomie aber etwas unleugbar Bedeutendes. Im Umgange höchst liebenswürdig und anspruchslos, ohne eine Spur jener bramarbasirenden Renommisterei, welche so oft den Franzosen kennzeichnet, hat er nur eine Leidenschaft, die ihm zur Unehre gereicht: er ist ein passionirter Spieler, so daß ihm von den sehr beträchtlichen Einnahmen, die ihm seine „Lanterne“ gewährt – wöchentlich vielleicht fünfzehn- bis zwanzigtausend Franken – wenig oder nichts übrig bleibt.
Früher gehörte Rochefort merkwürdiger Weise zu den Beamten des Seinepräfecten Haußmann und war darnach Inspector der schönen Künste, bis er sich in die Journalistenlaufbahn stürzte, zuerst am „Charivari“, dann bei dem „Nain Jaune“ und endlich am „Figaro“ betheiligte, zu dessen ausgezeichnetsten und bestbezahlten Mitarbeitern er Jahre hindurch zählte. Vielleicht würde er sich noch heute in dieser Stellung befinden, die ihm einen Monatsgehalt von zweitausend Franken abwarf, hätte ihn der Redacteur des Blattes auf eine Verwarnung vom Ministerium des Innern hin nicht opfern müssen. Diesem Umstande verdanken wir die Gründung der „Laterne“.
Wie unsere Leser wissen, ist dies eine Wochenschrift in Duodezformat, die jeden Sonnabend erscheint und mit Blitzesschnelle von einer Hand in die andere übergeht, von allen Parteien verschlungen, von den Zeitungsverkäufern meist förmlich und buchstäblich erstritten wird, bereits in mehr als einmalhundert und fünfzigtausend Exemplaren verbreitet ist und sicher über eine Million von Lesern in allen Theilen Frankreichs zählt. Auch eine deutsche Uebersetzung des Blattes hat schon zu erscheinen begonnen, wir sind aber der Ansicht, daß Rochefort’s Witz zu specifisch französisch ist, um überhaupt übersetzt werden zu können.[1]
- ↑ Wie wir soeben lesen, ist Rochefort, der inzwischen wegen Majestätsbeleidigung zu einem Jahre Gefängniß verurtheilt worden ist, nach Paris zurückgekehrt, um gegen das Urtheil Berufung einzulegen; Jules Favre wird ihn vertheidigen. D. Red.