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Der König von Huai Nan

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Der König von Huai Nan
Untertitel:
aus: Chinesische Volksmärchen, S. 102–104
Herausgeber: Richard Wilhelm
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Eugen Diederichs
Drucker: Spamer, Leipzig
Erscheinungsort: Jena
Übersetzer: Richard Wilhelm
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
E-Text nach Digitale Bibliothek Band 157: Märchen der Welt
Eintrag in der GND: [1]
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Bearbeitungsstand
fertig
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[102]
40. Der König von Huai Nan

Der König von Huai Nan war ein Weiser aus dem Hause Han. Da er aus königlichem Geblüte war, war er vom Kaiser mit einem Land belehnt worden. Er pflegte Verkehr mit Gelehrten; auch konnte er Zeichen deuten und die Zukunft vorhersagen. Mit diesen Gelehrten zusammen hat er das Buch verfaßt, das unter seinem Namen geht.

Eines Tages kamen acht Greise, ihn zu sehen. Alle hatten weißen Bart und weiße Haare. Der Torwart meldete sie beim König. Der König wollte sie versuchen und sandte den Torwart, ihnen den Eintritt zu erschweren. Der sprach zu ihnen: „Unser König sucht die Kunst des ewigen Lebens zu erlangen. Ihr Herren seid alt und schwach. Was könnt ihr ihm dabei helfen? Es ist unnötig, daß ihr ihn besucht.“

Die acht Alten sagten lächelnd: „So, sind wir dir zu alt? Nun, dann wollen wir uns jung machen!“ Und ehe sie zu Ende gesprochen, hatten sie sich in Knaben von vierzehn, fünfzehn Jahren verwandelt. Ihre Haarknoten waren schwarz wie Seide und ihr Gesicht wie Pfirsichblüten. Der Torwart erschrak und meldete es schleunigst dem König. Als der König es hörte, nahm er sich nicht die Zeit, erst in die Schuhe zu schlüpfen, sondern eilte barfuß hinaus, sie zu empfangen. Er führte sie in seinen Palast, ließ brokatne Teppiche ausbreiten, Betten von Elfenbein herrichten, duftende Kräuter verbrennen und Tische von Gold und Edelsteinen vor sie stellen. Dann verneigte er sich vor ihnen, wie es Schüler vor ihrem Lehrer tun, und sagte ihnen, wie er sich über ihr Kommen freue.

Die acht Knaben verwandelten sich wieder in Greise und sprachen: „Willst du von uns lernen, o König? Jeder von uns hat seine besondere Kunst. Einer kann Wind und Regen machen, Wolken und Nebel entstehen lassen, Flüsse [103] fließen und Berge sich türmen lassen, wie er will. Der zweite kann hohe Berge bersten machen und große Ströme in ihrem Laufe hemmen, Tiger und Panther zähmen und Schlangen und Drachen beruhigen; Geister und Götter stehen ihm zu Gebote. Der dritte kann Doppelgänger entsenden, sich verwandeln, sich unsichtbar machen, ganze Heere verschwinden lassen und Tag in Nacht verkehren. Der vierte kann durch Luft und Wolken schreiten, auf den Meereswogen wandeln, Wände und Felsen durchdringen und in einem Atemzuge tausend Meilen machen. Der fünfte kann ins Feuer, ohne zu verbrennen, ins Wasser, ohne zu ertrinken, Schwert und Messer verwunden ihn nicht, Winterfrost kältet ihn nicht, Sommerhitze brennt ihn nicht. Der sechste kann nach Belieben lebende Wesen schaffen und wandeln. Vögel und Tiere, Gräser und Bäume kann er gestalten, Häuser und Schlösser kann er versetzen. Der siebente kann Lehm backen, daß Gold daraus wird, und Blei kochen, daß es zu Silber wird; er kann Wasser mit Stein vermischen, daß die Blasen sprudeln und sich in Perlen verwandeln. Der achte kann auf Drachen und Kranichen reiten nach den acht Polen der Welt, mit den Unsterblichen reden und vor den großen Reinen treten.“

Der König behielt sie vom Morgen bis zum Abend bei sich, beherbergte sie und brachte ihnen Wein dar und ließ sich zeigen, was sie konnten. Und richtig machten sie alles genau so, wie sies gesagt hatten. Der König kochte nun mit ihrer Hilfe das Lebenselixier. Es war fertig; aber noch hatte er es nicht gegessen, da kam ein Unglück über seine Familie. Sein Sohn hatte mit einem Höfling gespielt und war von ihm aus Unvorsichtigkeit verwundet worden. Der Höfling, der sich vor der Rache des Prinzen fürchtete, tat sich mit andern Unzufriedenen zusammen, und sie erregten einen Aufruhr. Der Kaiser aber, der davon hörte, sandte einen Feldherrn, um zwischen dem König und den Empörern zu richten.

Die acht Greise sprachen: „Nun ist es Zeit zum Gehen. Dies Unglück hat dir der Himmel geschickt, o König. [104] Wärst du nicht davon betroffen worden, so hättest du es nicht über dich gebracht, die Pracht und Herrlichkeit dieser Welt zu verlassen.“

Sie führten ihn auf einen Berg. Dort opferten sie dem Himmel und vergruben Gold in der Erde. Dann stiegen sie am hellen Tag zum Himmel auf. Die Fußspuren der acht Greise und des Königs haben sich in die Steine des Berges eingedrückt und sind dort noch zu sehen bis auf diesen Tag. Ehe sie das Schloß verließen, hatten sie aber das übrige Lebenselixier in einer Schüssel auf den Hof gestellt. Hühner und Hunde leckten und pickten es auf, und alle flogen zum Himmel empor. In Huai Nan hört man noch bis auf diesen Tag manchmal am Himmel droben Hähne krähen und in den Wolken Hunde bellen, und man sagt, das seien die Tiere, die dem König damals nachgefolgt.

Es war aber ein Diener des Königs, der war ihm auch nachgefolgt bis auf eine Insel im Meer; dort hatte er ihn zurückgeschickt. Der erzählte, daß der König selbst noch nicht zum Himmel aufgestiegen sei, sondern nur die Unsterblichkeit erlangt habe und auf der Welt umherwandere. Als der Kaiser von der Sache hörte, da reute es ihn sehr, daß er dem König Soldaten in das Land geschickt hatte und ihn dadurch vertrieben. Er berief Magier um sich, in der Hoffnung, auch den acht Greisen zu begegnen. Aber obwohl er sichs große Summen kosten ließ, gelang es ihm doch nicht. Die Magier betrogen ihn nur.

Anmerkungen des Übersetzers

[395] 40. Der König von Huai Nan. Quellen: Schen Siän Dschuan, Huai Nan Dsï usw.

Der König von Huai Nan hieß Liu An. Er stammte aus der Familie der Handynastie. Viel beschäftigte er sich mit Magie und zog eine Menge Magier an seinen Hof, deren Arbeiten in dem unter seinem Namen gehenden philosophischen Werk vereinigt sind. Er lebte zur Zeit des Kaisers Wu (vgl. Nr. 37). Da dieser keine Nachkommen hatte, ließ sich Liu An in eine Verschwörung ein, die aber entdeckt wurde. Im Jahre 122 v. Chr. gab er sich infolge davon selbst den Tod. Unser Märchen zeigt die sagenhafte Umbildung dieser Ereignisse.