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Der Heiligenschein

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Textdaten
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Autor: Carus Sterne
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Titel: Der Heiligenschein
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aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 42–44
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Heiligenschein.


Den meisten Culturvölkern ist es gemeinsam, den menschlichen Geist als ein Lichthaftes und Erleuchtendes aufzufassen, welches bei bevorzugten Köpfen Strahlen werfen und Licht verbreiten könne über seine Umgebung und die ganze Welt. Mancherlei alltägliche Redensarten, von großen Lichtern der Wissenschaft, vom Leuchtenlassen seines Lichtes, vom Stellen unter den Scheffel etc., zeigen, wie sehr diese Vorstellungsweise in Fleisch und Blut übergegangen. Und wir greifen daher schwerlich fehl, wenn wir nur die bildliche Darstellung einer gewissen Ueberfülle der inneren Helle der Weisheit in dem Lichtscheine vermuthen, mit welchem die Künstler alter und neuer Völker das Haupt ihrer Götter, Heiligen und Heroen umgeben. Es scheint wenigstens den Inhalt dieses Symbols keineswegs zu erschöpfen, wenn Grimm gelegentlich ausspricht, es solle nur das höchste Maß leuchtender Schönheit damit ausgedrückt werden.

Vergangene und herrschende Religionen wetteifern in der Anwendung dieses Verherrlichungsmittels für die Abbilder der von ihnen verehrten Wesen. Häufig finden wir den Gebrauch des Heiligenscheins in den indischen Urreligionen, seltener bei den späteren asiatischen und afrikanischen Völkern, sowie bei den Griechen. Die Römer wandten ihn anfänglich spärlich, später oft an. Niemals vorher oder nachher fand aber der Heiligenschein eine so ausgedehnte Anwendung, als in dem ersten Jahrtausend der christlichen Kirche.

Wenn wir auf den Reichthum bildlicher Darstellungen des Heiligenscheines blicken, so wird es uns schwer zu glauben, daß mit alledem nur der Ausdruck einer weitverbreiteten Idee beabsichtigt sein sollte; unwillkürlich drängt sich die Vorstellung auf, es müßten wirklich beobachtende Erscheinungen nähern Anlaß dazu gegeben haben. Und diese Annahme ist denn auch höchst wahrscheinlich die richtige. Wir erwähnen im Vorübergehen jener häufig beobachteten elektrischen Umleuchtung des Kopfes bei Gewitterstürmen, welche durch ausströmende Elektricität hervorgebracht wird. Die verklärende Beleuchtung, welche die untergehende Sonne einem auf hoher Bergspitze stehenden Menschen verleiht, kann zu ähnlichen Sagen Veranlassung gegeben haben. Herodian erzählt, bei der Schönheit des Kaiser Commodus verweilend, daß sein goldgelbes, natürlich gelocktes Haar, wenn er in der Sonne ging, eine solchen Glanz verbreitete, daß die Einen meinten, es sei mit Goldstaub gepudert, während Andere voller Staunen glaubten, „es umgebe sein Haupt von Natur ein himmlischer Glanz“. Doch wir haben von Erscheinungen zu sprechen, welche noch unmittelbarer hierher gehören.

Man kann zunächst das Haupt einer vorübergehenden Person, besonders wenn sie schwarzes Haar hat, in Folge einer leichten Reizung der Netzhaut, mit einem Heiligenscheine umgeben erblicken. Es ist dies eine subjective Augentäuschung, welche bei einiger Anlage dazu in der Dämmerung alle sich bewegenden Gegenstände mit hellen oder farbigen Säumen umgeben kann. Auf die Worte, welche Faust beim ersten Erblicken des in einen Hund verwandelten Mephisto an Wagner richtet:

Bemerkst Du, wie in weitem Schneckenkreise
Er um uns her und immer näher jagt?
Und irr’ ich nicht, so zieht ein Feuerstrudel
Auf seinen Pfaden hinterdrein –

erwidert der altkluge Famulus nicht ungeschickt:

Ich sehe nichts, als einen schwarzen Pudel,
Es mag bei Euch wohl Augentäuschung sein.

Goethe selbst erklärt in Bezug auf die eben mitgetheilten Verse, er habe sie im halben Bewußtsein einer Naturerscheinung niedergeschrieben, doch erst später einmal vor seinem Fenster im gemäßigten Abendlichte einen schwarzen Pudel vorbeilaufen sehen, welcher einen hellen Streif, das undeutliche im Auge gebliebene Ergänzungsbild seiner vorübereilenden Gestalt, nach sich gezogen habe. – Unter Umständen vermag ein solcher Lichtsaum eine nicht unbeträchtliche Helligkeit zu erlangen. Wir könnten von Linné ab eine ganze Reihe bewährter Naturforscher aufführen, welche insgesammt behaupten, einen hellen, bläulichen, für elektrisch gehaltenen Lichtschein um die Kronen verschiedener orangefarbener Blumen wahrgenommen zu haben, während es kaum einem Zweifel unterliegt, daß sie sämmtlich nur der erwähnten Augentäuschung verfallen sind.

Es wird uns nach dem Gesagten nicht schwer werden, Goethe ferner zu glauben, wenn er berichtet: „Indem ich, auf dem Felde sitzend, mit einem Manne sprach, der in einiger Entfernung vor mir stand und einen grauen Himmel zum Hintergrunde hatte, so schien mir, nachdem ich ihn lange scharf und unverwandt angesehen, sein Haupt von einem blendenden Schein umgeben.“ Ich muß hinzufügen, daß zweierlei Umstände das Eintreten dieser Erscheinung sehr befördern, nämlich eine gewisse gespannte Aufmerksamkeit auf die betreffende Person und dann auch die Absicht, das Ungewöhnliche zu sehen. So beklagte sich einst Schiller geradezu gegen Goethe, daß er ihn mit seiner Nachbilderseherei angesteckt habe; er sähe sie, seit er darauf aufmerksam geworden sei, überall und bis zur Qual. Im vorliegenden Falle wird übrigens der lichte Schein nicht den Kopf allein, sondern mehr oder weniger die ganze Gestalt umfließen.

Weit auffallender und wichtiger ist eine oft beobachtete und schon dem Aristoteles bekannte Form des Heiligenscheins, welche man bei niedrigem Stande der Sonne oder des Vollmonds rings um den Kopf des eigenen Schattens bemerkt, wenn derselbe auf feuchtes oder besser stark bethautes Gras oder Getreide fällt. Man beobachtet alsdann einen hellen Hof, der sich über den Scheitel kegelförmig verlängert und mit deutlichem Glanze von dem übrigen doch ebenfalls erleuchteten Grunde abhebt. Bei recht feintröpfigem Thau ist der Schimmer ungewöhnlich lebhaft. Spierenberg, welcher die Erscheinung einmal bei Vollmondschein in besonderer Pracht wahrnahm, sagt, das feinblättrige Gesträuch, auf welches sein Schatten gefallen sei, habe im Umkreise des Kopfes ausgesehen, als sei es dort mit weißen Blüthen übersäet.

Dieser helle Hof entsteht durch die Zurückwerfung der Lichtstrahlen theils von den Thautropfen, theils von den spiegelnden [43] Grashalmen, theils durch die Erleuchtung der ganzen Oberfläche derselben. Wäre nämlich die Sonne (oder der Mond) ein einziger leuchtender Punkt, so würde genau der Thautropfen, welcher mit der Sonne und des Beobachters Auge in gerader Linie liegt, sowohl von seiner vorderen äußeren wie hinteren inneren Spiegelfläche, den Lichtstrahl in sein Auge zurückwerfen, wenn nicht grade auf diese Stelle sein Schatten fiele. Jeder in anderer Lage befindliche Tropfen könnte ihm nicht beide zurückgeworfene Strahlen zugleich zusenden. Wegen des bedeutenden Durchmessers der Sonne findet jedoch diese Zurückwerfung noch von allen Thautropfen statt, die in der Nähe des Kopfschattens befindlich sind, und nur von den entfernteren nicht mehr. Es ist also gewissermaßen eine im Thau gespiegelte Gegensonne, welche der Beobachter dabei wahrnimmt, weil ihr Umfang größer ist als sein Kopfschatten. Es kommt hinzu, daß ihm nur die Thautropfen, Pflanzentheile und andern Gegenstände, welche im nächsten Umkreise des Kopfschattens befindlich sind, ihre im zerstreuten Lichte glänzenden Flächen vollständig zeigen, während die weiterliegenden ihm auch einen immer größeren Antheil ihrer Schattenflächen mit zuwenden. In senkrechter Richtung über den Kopfschatten hinaus gilt dies namentlich bei den glatten Halmen eines Getreidefeldes für eine etwas weitere Entfernung, und daher die pyramidale Verlängerung über den Kopfschatten hinaus.

Dem einen oder anderen Leser mag hier die Frage kommen, was wohl dieser Lichtschein um den Schatten eines jeden Vagabunden mit demjenigen um den Kopf der Heiligen zu schaffen habe? Es giebt in der That zwischen beiden sehr nahe Beziehungen. Man denke sich in die Lage eines frommen Einsiedlers, Mönchs oder Geistlichen, welcher jene eigenthümliche Erscheinung zufällig an seinem Schatten beobachtet hat. Wird er nicht verlockt sein, diesen Lichtschein seiner eigenen werthen Person zuzuschreiben, und an sich einigen Heiligenschein zu verspüren? Wird er nicht anfangen, die Schatten seiner Gefährten darauf anzusehen, und selbstverständlich an keinem derselben etwas Aehnliches bemerken? In der Naturlehre unerfahren, wird er nicht im Stande sein, sich klarzumachen, aus welchen einfachen Gründen ihm keine andere Stelle des feuchten Rasens so hell entgegenstrahlen kann als diejenige im nächsten Umkreise seines Kopfschattens. Kurz, er gelangt im besten Glauben zu der Ueberzeugung, daß wirklich das Lichtstümpfchen in seiner Schädellaterne helleren Glanz verbreite, als das in jeder andern.

Es sind keine bloßen Vermuthungen, welche wir eben aussprachen. Wir haben das Beispiel eines verständigen, nüchternen, etwas leidenschaftlichen Mannes, welcher wirklich ähnliche Betrachtungen über das Phänomen angestellt und niedergeschrieben hat, Benvenuto Cellini’s nämlich, jenes ausgezeichneten Goldschmieds, Erzgießers und Bildhauers des sechszehnten Jahrhunderts, dessen Arbeiten selbst Michel Angelo unter die besten ihrer Zeit rechnete. Cellini hatte mancherlei, nicht immer unverschuldetes Ungemach zu erdulden. Er verfeindete sich Fürsten und Päpste und saß in Folge solcher Händel im Jahre 1539 eine lange Zeit in der Engelsburg gefangen. Dort durch Kellerluft und Krankheit mürbe gemacht, hatte er allerlei Visionen von Gott, Christus und der heiligen Jungfrau, welche ihm baldige Befreiung verkündeten. Als diese dann auch endlich erfolgt war, hielt er sich für einen Auserwählten und nahm den Lichtschein, welchen er bald darauf, durch Zufall, um den Schatten seines Kopfes wahrnahm, für eine Bestätigung davon.

„Dann darf ich noch eine Sache nicht zurückhalten,“ sagt er hierüber im dritten Buche seiner Selbstbiographie, „welche größer ist, als daß sie einem andern Menschen begegnet wäre, ein Zeichens daß Gott mich losgesprochen und mir seine Geheimnisse selbst offenbart hat. Denn seit der Zeit, daß ich jene himmlischen Gegenstände gesehen, ist mir ein Schein um’s Haupt geblieben, den Jedermann sehen konnte, ob ich ihn gleich nur Wenigen gezeigt habe. Diesen Schein sieht man des Morgens über meinem Schatten, wenn die Sonne aufgeht, und etwa zwei Stunden danach. Am besten sieht man ihn, wenn ein leichter Thau auf dem Grase liegt, ingleichen Abends bei Sonnenuntergang. Ich bemerkte ihn in Frankreich, in Paris, weil die Luft in jenen Gegenden viel reiner von Nebeln ist, so daß man ihn viel ausdrücklicher sah als in Italien, wo die Nebel viel häufiger sind. Dessenungeachtet sah ich den Schein auf alle Weise und kann ihn auch Anderen zeigen, nur nicht so gut wie in jenen Gegenden.“

Mit dem Zeigen mag es nun freilich seine Schwierigkeiten gehabt haben; man wird ihm die fixe Idee, wofür man seine Beobachtung jedenfalls gehalten, zu Gute gerechnet haben; möglicherweise auch kann ein über seine Schultern Hinwegblickender etwas von solchem Heiligenscheine um Cellini’s Haupt wahrgenommen haben, um zugleich die noch besser an seinem eigenen Schatten hervortretende Erscheinung zu übersehen. Es spricht für die geringe Beobachtungsfähigkeit der meisten Menschen, daß sie dieses im Frühjahr und Herbst so häufige Phänomen gar nicht kennen, wie sich andererseits gerade Cellini durch seine Wahrnehmung als scharfsichtiger Beobachter zu erkennen giebt.

Wir erwähnen noch eine andere hierher gehörende Erscheinung, welche eintritt, wenn der Schatten des Beobachters auf Wolken oder Nebel fällt. Es erscheint sodann erstens der Kopf seines Schattenbildes mit einer stark glänzenden Glorie umgeben, welche, völlig der eben erörterten Erscheinung entsprechend, durch doppelte Zurückwerfung des Lichtes von den kleinen Nebelbläschen in der Kopfrichtung entsteht. Diese Glorie aber ist ferner noch von einer Anzahl von Lichtringen umgeben, welche in allen Farben des Regenbogens erglänzen und von denen immer einer den andern einschließt. Die Sonne umgiebt die Silhouette, welche sie auf die Wolkenwand zeichnet, mit dem glänzendsten Rahmen, welcher gedacht werden kann. Bouguer erblickte dieses Phänomen sehr schön im Nebel der Anden, und Scoresby, der berühmte Walfischjäger, beobachtete es auf den dichten Nebeln, welche sich in den Polarländern über der Meeresfläche ausbreiten. Wenn er im Sonnenscheine auf den Mastbaum stieg, so sah er den Schatten seines Kopfes von zwei bis drei solcher Regenbogencirkel umgeben, welche in einzelnen Fällen noch von einem vierten und fünften farblosen Lichtstreifen umkreist waren.

Der schweizerische Naturforscher Coaz hat eine sehr lebhafte Schilderung dieser Erscheinung gegeben, welche er auf dem Piz Curvêr in Graubünden im Lawinennebel beobachtete. „Da unten,“ sagt er, „rauschte und donnerte es fast ununterbrochen; eine Lawine weckte die andere und stürzte mit ihr vereint von den schroffen felsenunterbrochenen Seitenwänden in die Tiefe des Thals, wo sie sich oft vereint in einem breiten gewaltigen Silberstrome zur Ruhe wälzten. So Schlag auf Schlag, so voll Leben, so glänzend war mir noch auf keiner meiner Gebirgsfahrten dieses großartige Schauspiel zu sehen vergönnt gewesen. Noch folgte mein Auge einer der letzten Lawinen, die allmählich in immer größeren Zwischenräumen stürzten, als ich über derselben einen schwachen Nebel sich bilden sah. Auch den Felsen, an denen sich die feucht gewordene Atmosphäre abkühlte, entquollen Nebelhaufen, zogen schleichend einander entgegen und zerflossen in kurzer Zeit in einen wallenden grauen Nebelsee, der die Tiefe des Thales verhüllte. Aus unsichtbaren Quellen genährt, wogte dieser See immer höher herauf und trat endlich als ein dunkler Nebelschleier vor mir empor. In diesem ineinandertreibenden Gewölk bildeten sich, anfänglich schwach und zerfließend, aber immer wieder und immer kräftiger erscheinend, die Farben des Regenbogens. Sie vereinigten sich endlich zu einem brillanten kreisrunden Bande, ein zweites säumte sich in etwas schwächerem Glanze um dasselbe und fand sich bald selbst concentrisch von einem noch leichtern dritten umfangen. Der innerste Ring erschien in einem Durchmesser von ungefähr drei Fuß in einer Entfernung von dreißig bis vierzig Fuß. Entzückt über diese Erscheinung, sprang ich auf, um meine Gefährten herbeizurufen, aber ebenso schnell war ich zur Säule geworden. Denn siehe da, mitten im Regenbogen sprang mit gleicher Hast eine dunkle Gestalt auf und blieb jetzt ebenso erstarrt stehen. Also doch einmal das Brockengespenst in Bündens Gebirgen, rief ich aus“ etc.

Wenn man erwägt, wie leicht das ungebildete Naturkind des Hochgebirges einen solchen scheinumkränzten Schatten nicht für den eigenen anerkennen, sondern im Schrecken glauben wird, die riesige Gestalt eines Alpengeistes vor sich zu sehen, so ermißt man erst völlig die Bedeutung der Worte, welche Lermontoff seinem Dämon in den Mund legt:

Wie oft saß hoch auf Gletschereise
Ich stumm und düster und allein,
Umwölkt von einem Flammenkreise
Gleich einem Regenbogenschein.
Und unter mir die weißverhüllten
Schneestürme gleich Lawinen brüllten.

[44] Ich kann nicht unterlassen, hierbei darauf hinzuweisen, mit welch feinem Naturgefühl Murillo meistens die Höfe um die Köpfe seiner im dichten Gewölk schwebenden Madonnen dargestellt hat. Selbst die mehrfachen concentrischen Kreise des natürlichen Phänomens finden sich schön ausgedrückt in der bekannten „Madone au miroir“ in Paris.

Was die physikalische Erklärung der letzteren Erscheinung anbelangt, so ist dieselbe etwas zusammengesetzter Art, und ich kann nicht beanspruchen, daß der Leser einer genauen und erschöpfenden Analyse des Phänomens an dieser Stelle folgen solle. Nur die allgemeineren Umrisse will ich andeuten. Ich erinnere an das Auftreten ähnlicher vielfarbiger Ringhöfe um Sonne und Mond, wenn Nebel oder dünne Wolken bei ihnen vorüberziehen. Durch sogenannte Beugung der Lichtstrahlen bei ihrem Vorbeigehen an den Rändern der kleinen Dunstbläschen findet nämlich eine Zerlegung des weißen Lichtes in die dasselbe zusammensetzenden farbigen Strahlen statt, wie ein Aehnliches durch die Brechung in Wassertröpfchen beim Regenbogen geschieht. Nun ist es bei einigem Nachdenken ohne Weiteres klar, daß die Bedingungen für das Auftreten derselben Farbe sich an lauter Punkten finden werden, die rings von dem leuchtenden Gestirn gleichweit entfernt, also in einem Kreise um dasselbe liegen. Dadurch entstehen für den Beobachter gefärbte Ringe, die einander (da die Bedingungen, wenn auch für die verschiedenen Farben in umgekehrter Reihenfolge, bei verschiedenen Entfernungen wiederkehren) umschließen, und es ist durch Rechnung bald zu erweisen, daß diese Farbenkreise um so größer ausfallen müssen, je kleiner die vorhandenen Dunstbläschen sind, und umgekehrt. Dieses Phänomen würde viel häufiger um Sonne und Mond beobachtet werden, wenn nicht, wie aus dem Ebengesagten schon hervorgeht, zur Hervorbringung desselben eine gewisse selten vorhandene Uebereinstimmung in der Größe der Nebelbläschen erforderlich wäre, da bei der Mischung zahlreicherer Farbenkreise eine gegenseitge Störung des Effects eintritt. Man kann ähnliche Höfe sehen, wenn man durch eine mit sehr feinen Wassertröpfchen beschlagene Brille, oder durch ein dünn mit Bärlappsamen bestreutes Glas nach einem hellbrennenden Lichte blickt.

Fraunhofer, welchem wir die genauesten Untersuchungen über diese Classe von Beugungserscheinungen verdanken, hat nachgewiesen, daß dieselben Bedingungen auch jene farbigen Ringhöfe um die Schatten auf Nebelgrunde hervorbringen. Erinnern wir uns aus der Erklärung des Heiligenscheins im Thau, daß die direct von der Sonne kommenden Strahlen nur dann in den Thautröpfchen (hier Dunstbläschen) von der vordern und innern hintern Fläche zugleich reflectirt werden, wenn sie durch den Mittelpunkt dieser Kügelchen gehen, so leuchtet ein, daß ein Gleiches für die durch die Nebelbläschen gebeugten Strahlen gelten wird. Diejenigen farbig werdenden Strahlen also, welche an den dem Kopfe des Beschauers zunächst liegenden Dunstkügelchen gebeugt werden, kehren auf demselben Wege zurück, und treffen den Beobachter so, daß er in demselben Abstande von seinem Kopfschatten farbige Ringhöfe sieht, wie dieselben dem Schattenmann um das leuchtende Gestirn erscheinen würden. In noch häufigeren Fällen werden diese Höfe erst durch Beugung der von der Spiegelsonne zurückkehrenden Strahlen entstehen.

Alle diese Erscheinungen vermag natürlich ein Jeder nur um den Schatten seines eigenen Kopfes, und nicht um den seines Gefährten zu sehen, ebensowohl wie jeder Beobachter seinen eigenen Regenbogen sozusagen mit sich herumträgt. Denn auch der Regenbogen ist nichts als ein riesiger, durch Brechung entstandener Farbenschein, welcher den Kopfschatten des Beobachters umrahmt, und welcher nur selten (etwa auf hohen Bergen) als geschlossener Ring gesehen werden kann. Wenn ich bei Regenbogenschein mit der Eisenbahn von Berlin nach Potsdam fahre, und die vor mir sich ausbreitende Regenwand groß genug ist, so begleitet mich mein Regenbogen ebensowohl, wie der Lichtkreis um meinen Kopf, wenn ich ein halbes Stündchen im Morgenthau spazieren gehe. Man sieht, die Bedingungen, unter denen heiligenscheinartige Phänomene eintreten, sind mannigfach genug, und ich hoffe, es wird dem Leser nicht leid sein, dem Nimbus einmal so nahe getreten zu sein, daß er in eine optische Täuschung zerrann. Mit dem Scheine gar manches gefeierten Heiligen möchte es ähnlich ergehen, und gewiß hat einen guten Gehalt, was Liebetraut im Götz sagt: „Bei einer nähern Bekanntschaft mit den Herren schwindet der Nimbus von Ehrwürdigkeit und Heiligkeit, die eine nebelhafte Ferne um sie herumlügt, und dann sind sie ganz kleine Stümpfchen Unschlitt.“ – Es ist dasselbe alte Wort: „Keinen Heiligen hat sein Kammerdiener angebetet“. – Wie lange wird es noch dauern, bis das Zeugniß „fürwahr ein Mensch gewesen zu sein“ höher gelten wird, als aller nachentdeckte Schein der Heiligkeit?

Carus Sterne.