Der Fischmarkt in Amsterdam
[439] Der Fischmarkt in Amsterdam. (Mit Illustration S. 437.) Eine der interessantesten, sowohl durch ihr Aussehen als durch ihr Volksleben fesselndsten Regionen Amsterdams war mir stets der Nieuwe Markt mit seiner nächsten Umgebung, besonders dem Zee Vischmarkt. Ein Besuch desselben lohnt sich weniger wegen der verschiedenen Meeresprodukte, die dort feilgeboten werden, als wegen der interessanten Volkstypen, welche der Fremde dort zu beobachten vermag. Zwei darunter sind es, welche uns sofort in die Augen fallen und unsere Theilnahme voll in Anspruch nehmen. Unter den kräftigen, in Holzschuhen („Klompen“) umherwandelnden Männern, welche ihre Fischkörbe zur Stelle bringen, erkennt man unschwer den holländischen Fischer. Das sind wahrhaft merkwürdige Leute. Ob der Fischer auf der See mit Wind und Wogen ringt, nur seinen Lebensunterhalt zu finden, ob er angelangt am Strand den Ertrag seiner Mühen zu bergen trachtet und sorgfältig sichtet, was für eigenen Verbrauch oder Winterbedarf gehört, und vor Allem, was zum Handel sich eignet und blankes Geld für den Haushalt liefern soll; ob er endlich, heimgekehrt nach seiner Hütte, mit Weib und Kindern an Netz und Fischereigeräthen hantirt, oder nach dem städtischen Fischmarkte zieht – stets liegt ein tiefer Ernst in seinen Mienen und Bewegungen, und gelingt es, den Mann in ein Gespräch zu ziehen, so erhält man da gute und bedachte Antworten, die aber selten weiter gehen, als die Frage. Nur die Thätigkeit und Umsicht des holländischen Fischers erklären den großartigen Erfolg seiner mühseligen Arbeit. Kein Zeitpunkt wird übersehen, und wäre das Wetter, wie es häufig genug vorkommt, auch nicht günstig; keine Chance wird unversucht gelassen, tage- und wochenlang treiben die Fischer auf der See, um jeden Augenblick zu erhaschen, der dem Unternehmen günstiger werden will. Um Fischer zu sein, muß der Mann vorerst ein vorzüglicher Schiffer sein und ist es auch im vollsten Maße, denn mit den primitivsten Instrumenten, einem einfachen Kompaß u. dergl. unternimmt der ernste Holländer, den wir auf dem Fischmarkte so gemessen seinen Beschäftigungen nachgehen sehen, in seinem Boote die weitesten Reisen bis an die Shetlandsinseln, ja bisweilen bis in die Nähe von Island und findet seinen Rückweg nach der heimathlichen Küste.
Den vollendeten Gegensatz zu diesen ernsten Gestalten bilden die freundlichen Nixen, welche mit ihrem blonden, glatt gescheitelten Haar, ihren hellen klaren Augen, wohlgefärbten Wangen und ihrer freilich mitunter etwas derben Frische von dem Menschenschlage in den Niederlanden eine recht günstige Meinung erwecken. Ich meine die Dienstmädchen, welche des Morgens sich unter den Käuferinnen auf dem Fischmarkte zahlreich einfinden und wegen ihrer kleidsamen Tracht auch sonst zur Staffage des holländischen Straßenlebens dienen. In den Niederlanden huldigt man nämlich noch immer der anderwärts längst überwundenen Ansicht, wonach es weder gut noch schicklich sei, daß Frau und Dienerin in ihrem äußeren Erscheinen keinen Unterschied zeigen, und selbst die einfachste Bürgersfrau sieht strenge darauf, daß die Magd in ihrer Kleidung sich innerhalb der durch die Sitte vorgeschriebenen Grenzen bewege. Diese verlangt nun für die Dienstmädchen Sommers und Winters schmucklose Kleidung aus meist weiß und violett gestreiftem Kattun, weiße Schürze und Häubchen, schwarze Schuhe und weiße Strümpfe, welche unter dem Röckchen zum Vorschein kommen. Alles muß stets von tadelloser [440] Sauberkeit sein, und es läßt sich nicht leugnen, daß die zahlreichen, oft recht zierlichen lichten Gestalten dieser dienstbaren Geister, welche geschäftig durch die Straßen eilen oder in den Morgenstunden an den Fenstern sichtbar werden, ein ungemein belebendes, heiteres Element in das Gewühl der sonst dunklen Straßen bringen. Diese „Uniform“ der Dienstmädchen, wie wir sie auf dem Amsterdamer Fischmarkte in größerer Gesammtwirkung beobachten können, herrscht übrigens mit sehr geringfügigen Unterschieden in ganz Holland und hat jedenfalls den Vortheil, dem fremden Besucher eine unliebsame Verwechselung etwa mit der Tochter des Hauses zu ersparen. Natürlich fällt es auch Niemanden ein, wie bei uns, die pfortenöffnende Zofe mit „Fräulein“ anzureden, sondern man nennt sie ohne Rücksicht auf ihr Alter einfach: „meisje“, das heißt Mädchen.
Um die Mittagsstunde erstirbt das Leben und Treiben auf dem Fischmarkte: die Menschen verlaufen sich, und auch die Körbe mit den Fischen sind verschwunden. Wer Nachmittags oder des Abends über jene Stätte schreitet, sieht in ihr nichts als einen Theil des Nieuwe Markt. – Das treffliche Gemälde, nach welchem unser Holzschnitt ausgeführt wurde, befindet sich gegenwärtig auf der Jubiläums-Kunstausstellung in Berlin.Friedrich von Hellwald.