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Der Exkriegssecretär General Belknap vor dem Gerichtshof zu Washington

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Titel: Der Exkriegssecretär General Belknap vor dem Gerichtshof zu Washington
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 747–748
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[747] Der Exkriegssecretär General Belknap vor dem Gerichtshof zu Washington. Der Zweck dieser Zeilen ist nicht, auf den Inhalt der Anklage Belknap’s nochmals einzugehen. Die Natur des Verbrechens des Kriegsministers ist den Lesern aus dem in Nr. 21 und 23 erschienenen Artikel über das amerikanische Beamtenthum hinlänglich bekannt. Es ist vielmehr nur der Ausgang des Processes, die Freisprechung des der gemeinsten Bestechlichkeit vollständig überwiesenen Exministers durch seine Parteigenossen, wofür wir diesmal einen kleinen Raum in der „Gartenlaube“ beanspruchen möchten.

Bei einer Anklage, in welcher Beamte der Republik vor den Schranken des Senates, des höchsten Gerichtshofes, als Beschuldigte erscheinen, übernimmt das Repräsentantenhaus die Rolle des öffentlichen Anklägers. Nachdem dasselbe die gegen einen Beamten erhobenen Beschuldigungen geprüft und hinreichend erwiesen befunden hat, ernennt es ein Comité, welches als Ankläger vor dem Senate erscheint und denselben auffordert, den Verklagten vor seine Schranken zu fordern. Dieser erste Schritt war in dem vorliegenden Falle gethan worden; der Senat hatte die Anklage zugelassen. Jetzt erhoben die Vertheidiger Belknap’s zunächst Einwand gegen die Competenz des Senates, den Exminister zu richten, weil das Gesetz eine Anklage nur in dem Falle gestatte, wenn der Angeklagte ein Beamter der Republik sei, Belknap habe aber sein Amt niedergelegt und seine Abdankung sei vom Präsidenten angenommen worden, ehe er eines Verbrechens angeklagt wurde; folglich sei er kein Beamter mehr, könne also nicht vor den Senat, sondern nur vor die gewöhnlichen Gerichte gefordert werden. Dieses von seinem Hauptvertheidiger, Exsenator Carpenter, auf’s Geschickteste ausgebeutete Beweismittel fand indeß eine gründliche Widerlegung durch die ausgezeichneten Rechtsgelehrten des Senats, welche nachwiesen, daß ein Beamter auch nach seiner Abdankung für alle während seiner Amtszeit begangenen Verbrechen vor die Schranken des Senats gebracht und gerichtet werden könne. Der Senat entschied denn auch die Competenzfrage mit einer bedeutenden Majorität zu Gunsten der Anklage und forderte den Exminister auf, vor seinen Schranken zu erscheinen.

Die Zeugenvernehmung begann. Dem Hauptzeugen Marsh war Straflosigkeit zugesichert worden, wenn er aus Canada zurückkehren und sich dem Gerichte zur Verfügung stellen würde. Er kam und legte den Sachverhalt auf’s Umfassendste dar, wie ihn die Leser aus jenem früheren Artikel schon kennen. Durch sämmtliche Zeugenverhöre wurde eigentlich gar Nichts zu Tage gefördert, was das Publicum nicht schon vor Beginn des Processes, theils durch die Selbstbekenntnisse Belknap’s, gewußt hätte. Die Vertheidigung hatte auch nie die geringste Hoffnung oder Absicht gehabt, ihren Clienten durch Widerlegung oder Beschönigung seiner Verbrechen zu retten; sie wußte wohl, daß dies verlorene Arbeit sein würde. Sie suchte ihr einziges Heil in dem Versuche, durch alle möglichen Winkelzüge in Bezug auf Formfragen und durch eine freche Sophistik den Parteigenossen wenigstens vom Zuchthause zu retten.

Nachdem der Versuch, den Proceß durch die Competenzfrage zu erdrücken, mißlungen war, deutete Carpenter in seinen Reden den Weg an, der jetzt eingeschlagen werden müsse, indem er den Satz aufstellte: kein Senator, der gegen die Competenz des Senates gestimmt habe, könne für die Verurtheilung Belknap’s stimmen, weil ihm die Berechtigung dazu nach seiner eigenen Ansicht fehle. Da nun mehr als ein Drittel aller Senatoren gegen die Competenz gestimmt hatten, zu einer Verurtheilung aber zwei Drittel aller Stimmen erforderlich sind, so ergab dies, wenn seine Sophistik durchschlug, für den Senat die Unmöglichkeit, den Angeklagten zu verurtheilen; er mußte dann freigesprochen werden.

Der schlaue Vertheidiger hatte zwei Punkte, die seine ganze Beweisführung über den Haufen warfen, geschickt genug zu verdecken gesucht. Erstens: Die Competenzfrage war durch den Senat, der dabei in seiner Eigenschaft als Richter gehandelt hatte, schon endgültig entschieden; die Minorität hatte sich diesem Entscheide gefügt und durch ihre Theilnahme an den nun folgenden Proceßverhandlungen es deutlich und klar ausgesprochen, daß sie sich als Mitglieder des Gerichtshofes ansähen und als solche das durch die Majorität festgestellte Recht, den Angeklagten zu richten, beanspruchten. Seit dem Beginn der Zeugenvernehmung saß der Senat in seiner zweiten Eigenschaft zu Gericht, hatte mit der von ihm als Richter entschiedenen Competenzfrage gar nichts mehr zu thun, sondern einzig und allein die Thatsachen des Falles zu beurtheilen und seinen Wahrspruch in Bezug auf diese Thatsachen abzugeben. Zweitens schienen Carpenter und die Belknap günstigen Senatoren den Umstand ganz vergessen zu haben, daß, wenn die Herren den Senat nicht für competent hielten, als Gerichtshof zu fungiren, und eben deshalb glaubten, unter keinen Umständen ein „Schuldig“ aussprechen zu dürfen, sie sich doch ebenso wenig für berechtigt halten konnten, einen Wahrspruch auf „Nichtschuldig“ zu geben. Das Eine fiel mit dem Andern, und es blieb ihnen nichts übrig, als sich der Abstimmung gänzlich zu enthalten. Die Sophistik Carpenter’s war so kläglich grob, daß Jedermann sie leicht genug durchschauen konnte; im Allgemeinen zweifelte man darum auch daran, daß die Freunde des Exministers sich eine solche Blöße geben würden, an den ihnen vom Vertheidiger hingehaltenen plumpen Köder anzubeißen.

Der Tag der Abstimmung kam heran. Die Bestrafung eines der [748] ehrlosesten Verbrecher, der einen der höchsten Ehrenposten der Republik bekleidet hatte und dessen Schuld durch Zeugen und Selbstbekenntniß in allen Details so klar bewiesen worden war, daß auch die geschickteste Vertheidigung nichts davon hatte wegdisputiren oder auch nur mildern können, war in die Hände der Senatoren eines großen Volkes gelegt worden, das so oft schon den stolzen Vergleich zwischen diesem seinem Senate und dem des alten weltbeherrschenden Roms gezogen hatte. Die Augen des ganzen Volkes waren auf die feierliche Scene im Capitol zu Washington gerichtet; es hoffte, wenn auch zweifelnd, auf einen gerechten Spruch zur Warnung Aller, denen ein Amt anvertraut und die, durch das böse Beispiel ihrer Vorgesetzten verleitet, oft nur zu geneigt waren, ihre amtliche Stellung zu mißbrauchen. Zweiundsechszig Senatoren waren anwesend, folglich zweiundvierzig zur Verurtheilung erforderlich. Von diesen Zweiundsechszig erhoben sich fünfundzwanzig, sämmtlich der republikanischen Partei angehörig, und erklärten den Exminister für „Nicht schuldig“, wobei die Meisten zu ihrer Rechtfertigung die Bemerkung hinzufügten, sie gäben diesen Wahrspruch nicht weil sie den Angeklagten für unschuldig hielten – sie seien im Gegentheil von seiner Schuld in ihrem ganzen Umfange überzeugt –, sondern nur weil sie sich überhaupt nicht für competent hielten, ihn zu richten. Carpenter’s Sophistik hatte willige Ohren gefunden. Wie hatten es diese Männer auch wagen dürfen, einen so hochgestellten Parteigenossen dem Zuchthause zu überantworten! So etwas durfte um der Partei willen nimmermehr zugelassen werden. Ob dabei der Gerechtigkeit Gewalt angethan wurde, was kümmerte es diese Menschen, in denen die niedrigste Selbstsucht und die ungezügelte Gier nach Parteiherrschaft längst jedes Rechtsgefühl und jeden Funken von wahrem Patriotismus erstickt hatte!

So endete diese zweimonatliche Farçe mit der völligen Freisprechung Belknap’s, dessen Vorladung vor ein anderes Gericht zu erwarten steht. Die fünfundzwanzig Senatoren, welche sich angesichts des ganzen Volks nicht entblödeten, der hier zu Lande so vielfach verhöhnten Gerechtigkeit einen so frechen Faustschlag in’s Gesicht zu versetzen, stehen zwar vor dem ehrenhafteren Theile des Volkes gebrandmarkt da, wie viele aber der Tonangebenden und Einflußreichen, namentlich in der politischen Gesellschaft, gehören zu denen, die der Wahrheit durch Wort und That die Ehre geben! So wird auch Belknap’s Schuld bald verblassen, und der überführte, aber dennoch freigesprochene Verbrecher, der wenigstens für immer aus der Oeffentlichkeit verschwinden sollte, wird seiner Zeit wieder in den Kreisen glänzen können, in denen er Anstands halber für den Augenblick vielleicht noch nicht zu erscheinen wagt. Heißt es doch, daß er schon begonnen hat, sich an dem gegenwärtigen Präsidentschaftswahlkampfe durch politische Reden zu Gunsten des republikanischen Candidaten Stayes zu betheiligen, aus Dankbarkeit natürlich gegen die Freunde, die ihn vom Zuchthause gerettet. Einer dieser Freunde aber, einer der fünfundzwanzig Senatoren, die Belknap freigesprochen, erklärte kürzlich in einer politischen Versammlung, welcher der Schreiber dieses beiwohnte, daß die Republik seit ihrem Bestehen keine so ehrliche, fleckenlose und glorreiche Regierung gehabt habe, wie die der letzten acht Jahre unter der Präsidentschaft Grant’s und der absoluten Herrschaft der republikanischen Partei. Solche Thatsachen sind charakteristisch für die Zustände, in denen wir leben und unter denen wir leiden. Wo solche Worte gesprochen und von einer großen, intelligenten Versammlung mit donnerndem Beifall aufgenommen werden können, da scheinen Reformen noch in weite Ferne gerückt und wenig Hoffnung auf Besserung vorhanden zu sein. Wer kann es da dem unparteiischen Bürger, dem das Wohl des Landes am Herzen liegt, verdenken, wenn ihm bange um die Zukunft wird?