Der Dichter der Gartenlaube (Die Gartenlaube 1863)
Aus den grünen Waldbergen Thüringens ist eine farbenreiche Sage in das deutsche Land hinausgegangen von einem Liederkampfe, den vor grauen Zeiten berühmte Meistersänger auf der Wartburg kämpften. Es soll ein Ringen auf Tod und Leben gewesen sein. Die Geschichtsschreiber freilich behaupten, daß Alles, was man von diesem Sängerkrieg zwischen Wolfram von Eschenbach, Heinrich von Ofterdingen und dem geheimnißvollen Klingsor erzählt, eine Fabel sei, erfunden von den Dichtern späterer Jahrhunderte. Indessen, wie dem auch sei, ob Fabel, ob Wahrheit: das Schauspiel zeigt sich noch täglich vor unsern Augen.
Wie viele junge, glühende Seelen, begierig nach dem Dichterpreis, stürzen sich noch jährlich in die Arena und lassen ihre Leier erklingen! Und wie Viele verlassen nicht mit zerbrochener Harfe und zerstörten Hoffnungen, den bittern Schmerz der Enttäuschung im Herzen, die Schranken! Wie wenig Glückliche erringen sich ein Blatt aus dem Lorbeerkranze, welcher Anstrengungen, welcher Gunst des Schicksals bedarf es nicht, um nicht das Loos jener Schaar zu theilen, für die das Publicum ein kaltes, spöttisches Lächeln oder höchstens ein mitleidiges Achselzucken hat! Ist das nicht auch ein Kampf auf Tod und Leben, wie jener Sängerkrieg auf der Wartburg? Nur mit dem Unterschiede, daß der Besiegte nicht zu den Füßen einer schönen Fürstin flüchten und deren Huld und Schutz anflehen kann, sondern daß er langsam verkümmert und jahrelang stirbt an jenem spöttisch-kalten Lächeln und dem mitleidigen Achselzucken. Wer hieß den Narren auch die Feder in die Hand nehmen und unter die Poeten gehen! Wäre er Bierbrauer oder Bäcker geworden, das sind unstreitig sichere Professionen. Mit einem Worte: es geht bei den modernen Sängerkämpfen zwar nicht so prachtvoll-phantastisch zu, wie bei denen im Mittelalter, wohl aber nicht weniger ernsthaft und viel erbarmungsloser.
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[824] Zu jenen Glücklichen nun, welche sich in den Dichterkämpfen der Gegenwart einen Preis errangen, gehört auch der Sänger, dessen Lebensgang diese Zeilen leicht skizziren sollen. Es ist Albert Traeger, der Dichter der Gartenlaube.
Wir nennen ihn den Dichter der Gartenlaube, weil diese Zeitschrift, wenn auch nicht seine ersten, doch seine besten Lieder gebracht hat und er ihr bis auf den heutigen Tag treu geblieben ist. Albert Traeger wurde am 12. Juni 1830 in Augsburg, wo sein Vater bei der Redaction des im Cotta’schen Verlag erscheinenden „Auslandes“ angestellt war, geboren. Seine Jugendbildung erhielt er jedoch im nördlichen Mitteldeutschland, denn schon im Jahre 1838 siedelten die Eltern nach Naumburg über, in welcher Stadt der Großvater des Knaben ein kaufmännisches Geschäft besaß, dessen Führung der Vater übernahm. In Naumburg besuchte Traeger das Domgymnasium und war eben in die Secunda eingetreten, als ihm, 1844, der Vater starb. Bei seinem lebhaften Naturell war es ein Glück für ihn, daß er in seiner Mutter eine ebenso zärtliche, als tüchtige Erzieherin fand.
1848 bestand er sein Abiturientenexamen und bezog die Universität Halle, sich dem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften widmend. Im Jahre 1849 finden wir ihn in Leipzig, in engen, freundschaftlichen Beziehungen zu Gustav Liebert, dem Frühgeschiedenen, mehr den schönen Künsten und Wissenschaften, als dem strengen Fachstudium lebend. Nach einjährigem Aufenthalt in Leipzig geht er wieder nach Halle zurück und wird 1851 Auscultator. Er wird dem Appellationsgericht Naumburg zugetheilt, und hier ist es, wo sein Name zum ersten Male in die Oeffentlichkeit dringt. Das heißt nicht als Dichter, sondern als gesuchter und glücklicher Vertheidiger. Seine Vertheidigungsrede vor dem Schwurgericht in der cause celèbre der Frau von Feilitzsch (die der Kindesunterschiebung angeklagt war) verdient den Namen einer Musterrede und fand auch als solche Aufnahme in der Temmeschen Schwurgerichtszeitung.
Im Jahre 1857 wurde Traeger nach einem glänzenden Staatsexamen Gerichtsassessor und als solcher vielfach commissarisch beschäftigt. Seit dem Juni 1862 hat er seinen Wohnsitz als Rechtsanwalt und Notar in dem Städtchen Cölleda in Preußisch-Thüringen, sich einer lebhaften und guten Praxis erfreuend. – Das ist der äußere Lebensgang des Dichters der Gartenlaube. Einfach und gut bürgerlich, wie es in Deutschland bei den meisten unserer Autoren der Fall; frei von abenteuerlicher Romantik, aber auch frei von jenen dunklen Episoden, welche nur zu oft mit dieser Romantik verknüpft sind.
Obwohl Traeger nicht blos Lyriker, sondern auch Prosaiker ist, so verdankt er doch seinen Ruf wesentlich seinen lyrischen Dichtungen, die unter dem Titel „Gedichte von Albert Traeger, Leipzig, Verlag von Ernst Keil,“ im Jahre 1857 zum ersten Male gesammelt erschienen und seitdem wesentlich verbessert und vermehrt mehrere Auflagen (1861 zweite Aufl., 1863 dritte Aufl.) erlebt haben.
Eleganz des Ausdrucks, Formenvollendung und ein gewisser melancholischer Duft, welcher über Traeger’s Lieder gehaucht ist, sind in Verbindung mit einer glücklichen Wahl der Stoffe und Wahrheit der Empfindung wohl hauptsächlich die Vorzüge, welche dem Dichter so rasch die Gunst des Publicums gewonnen. Mit seinem, echt dichterischem Takte weiß Traeger die empfindsamsten Saiten der Menschenbrust zu berühren.
Oder welches Vater- und Mutterherz, dem ein geliebtes, kleines Kind durch den Tod entrissen wurde, wird nicht auf’s Tiefste bewegt durch das rührende und tröstende Gedicht „vom frühen Tod“:
„Zum Himmel kehrt die reine Seele wieder,
Kein finst’rer Tod macht sie beim Scheiden beben:
Es beugt ein Engel sich zum Kinde nieder,
Und von den Lippen küßt er ihm das Leben.“
Ueberhaupt möchten wir jene Lieder, welche der Dichter „Stimmungen“ nennt, als die schönsten und duftigsten Blüthen seiner Muse bezeichnen.
Auch unter seinen Wanderliedern – wir erinnern nur an das so rasch populär gewordene: „Wenn Du noch eine Heimath hast“ – finden wir prächtige Perlen. Weniger haben uns die Sonette angesprochen; auch die Liebeslieder, so formvollendet sie sind, stehen uns hinter den „Stimmungen“ und seinen „Wanderliedern“ zurück. Bis auf wenige, darunter das innig empfundene „Dein liebes Angesicht“, tragen sie mehr den Charakter der Reflexion, als der unmittelbaren Empfindung. Tief ergreifend sind die „den Armen“ gewidmeten Dichtungen. Der Grundton dieser Dichtungen ist religiös-socialistisch, und in einigen, z.B. im „ohne Crucifix“, von einer Energie des Gefühls und des Ausdrucks, welche unsere Seele in tiefem Mitgefühl schmerzlich erbeben läßt. Traeger kokettirt nicht mit diesen Empfindungen, er benutzt sie nicht als theatralischen Aufputz, um durch die Poesie der Contraste zu wirken, sie entspringen wirklich einem guten, die Noth seiner Nebenmenschen, seiner armen Mitbrüder mitfühlenden Herzen. Wir hätten noch seine Zeitgedichte, darunter das Lied von „Schleswig-Holstein und Kurhessen“ mit seinem an die Beranger’sche Weise erinnernden Refrain, sowie das durch den Frankfurter Fürstentag berühmt gewordene Lied: „Wann, wann marschiren wir gen Norden?“ zu erwähnen.
Diese Zeitgedichte haben neben dem allgemeinen Interesse noch ein individuelles. Sie charakterisiren die politische Parteistellung Traeger’s.
Traeger gehört nicht zu jenen kalten, gleichgültigen Naturen, denen die Kunst, die Cultur des Schönen genügt; zu jenen unglücklich organisirten Charakteren, für welche die Worte Vaterland und Freiheit Worte ohne Sinn und Bedeutung sind. Er hat Partei ergriffen, die Partei der nationalen Demokratie, der schon ein Theil der Gegenwart gehört und die das ausschließliche Anrecht auf die ganze volle Zukunft hat.
Im Dienste dieses nationalen demokratischen Gedankens arbeitet Traeger, und zwar nicht blos als Poet, sondern auch als praktischer Politiker, als Voksredner. Er gehört mit zu den thätigsten Mitgliedern des Nationalvereins in Thüringen, und die Erfolge seiner Beredsamkeit sind nicht geringe zu nennen. Die Fortschrittspartei seines Kreises trug ihm bei der Nachwahl für den gemaßregelten Abgeordneten zur zweiten preußischen Kammer, Pastor Gräser, ein Mandat an, das er jedoch zu Gunsten des liberalen Kandidaten, Kreisrichter Blochmann in Nordhausen, ablehnte. Da wir hier seine rednerische Thätigkeit berührt haben, so wollen wir bei der Gelegenheit erwähnen, daß Traeger die Festrede bei der Schillerfeier in Leipzig 1859 hielt und daß der Prolog, welcher der Aufführung der „Hermannsschlacht“ zur 50jährigen Gedenkfeier der Völkerschlacht von Leipzig im Leipziger Stadttheater voranging, seiner Feder entflossen ist.
Es bleibt uns noch übrig Traeger’s sonstige literarische Thätigkeit kurz zu skizziren. 1853 schrieb er eine recht gute Biographie des schottischen Dichters Burns, welche der Pertz’schen Uebersetzung von Burns’ Gedichten vorgedruckt ist. 1860 gründete er das „Leipziger Sonntagsblatt“, ein Beiblatt zum Leipziger Tageblatt, und veröffentlichte eine Novelle „Uebergänge“, interessant geschrieben, voller pikanter, psychologischer Erörterungen, aber ohne recht befriedigenden Abschluß; 1861 erschienen seine „Stimmen der Liebe“, eine Sammlung der reizendsten Liebeslieder, und jetzt eben hat ein zweites Sammelwerk „Deutsche Lieder in Volkes Herz und Mund“ die Presse verlassen. Von einem guten Humor zeugen seine „Tannenreiser“, es sind modern-sociale Skizzen, Weihnachtsarabesken nennt sie Traeger, die im Verlag von Schönewerk in Wien erschienen sind. Auch im dramatischen Fach hat sich Traeger mit einer Kleinigkeit, „die letzte Puppe“, Soloscherz, der in Weimar von Louisabeth Röckel, Tochter des letzten Maigefangenen, mehrfach beifällig aufgeführt wurde, versucht.
Traeger hat jedenfalls noch eine schöne Zukunft vor sich. Noch mancher Preis wird ihm zu Theil werden, wenn er mit derselben ernsten Beharrlichkeit, die sein bisheriges Streben auszeichnet, weiter ringt. Möge er die Anerkennung, welche ihm das Publicum für seine bisherigen Leistungen zollte, als Sporn zu neuen Anstrengungen betrachten, vor Allem aber möge er seine reiche Kraft dem heiligen Herz der Völker widmen, wie unser Sänger Hölderlin das Vaterland nennt, dem deutschen Vaterland, dessen brennendste Wunden seine Lieder uns so ergreifend und mit dem
Ausdruck männlicher Entrüstung geschildert haben.