Der Bison
4. Der Bison.
„In den Tagen unserer Kindheit und Jugend,“ sagt Audubon, „streiften Büffel über die kleinen, aber wundervollen Ebenen von Indiana und Illinois, und Heerden von ihnen zogen durch die offenen Wälder Kentucky’s und Tennessee’s. Bald genug verschwanden sie alle, bis auf wenige zurückgebliebene. Diese hielten sich noch eine Zeit lang, aber gegen die Jahre 1808 und 1809 verloren auch sie sich. Ihr Gebiet hat sich seitdem mehr und mehr auf den Westen beschränkt, und gegenwärtig mußt du deine Schritte zu den indianischen Landen lenken und viele hundert Meilen jenseits des Ohiothals durchreisen, der großen Felsenkette entgegen, welche das Rückgrat Nordamerika’s bildet, bevor du den ,Büffel’ triffst in seiner trotzigen Unabhängigkeit, auf jenen weit ausgedehnten Ebenen, welche sich längs des Fußes der Felsengebirge dahinziehen. Dort kannst du Kenntniß erlangen von dem Leben des Thieres, von den Kämpfen der tapfern Bullen unter sich und von den Kämpfen des Menschen mit dem stolzen Geschöpf.“
Es tönt wie eine Klage zu uns herüber von jedem Reisenden, welcher nur einmal die „Büffelheerden des Westens“ sah, daß dieses gewaltige Thier, das größte Säugethier des nordamerikanischen Festlandes, unaufhaltsam seinem Schicksale entgegengeht, daß das drohende Verhängniß, welches über ihm schwebt, wahrscheinlich noch schneller sich erfüllen wird, als wir fürchten. Schon gegenwärtig sind die Büffelheerden nicht entfernt mehr das, was sie waren. Zwar durchstampfen noch Tausende und Abertausende von ihnen
[565][566] jene vielgenannten Prairien des Westens; zwar dehnen sie noch heute ihre Wanderungen von Canada bis zu den Küstenländern am Golf von Mexico aus; zwar sieht man noch heute den Staub in Wolken aufwirbeln unter den scharrenden und stampfenden Hufen der grimmig mit einander kämpfenden Thiere oder vernimmt das tiefe, hohle Gebrüll, welches durch die Luft zittert auf weithin: aber schon gegenwärtig kann der Jäger Wochen und Monate lang die Prairien durchstreifen, ohne auch nur eines einzigen „Büffels“ ansichtig zu werden. Da, wo überall die gebleichten Knochen des Thieres an sein früheres Vorhandensein erinnern, da, wo die Mordlust des Menschen in den Schädeln der getödteten „Büffel“ sich Marksteine hinterließ, ist es jetzt öde und still geworden, und mit jedem Jahrzehnt schreitet die Zerstörung weiter vor; jedes Jahr vermindert die zahllosen Heerden. Es ist gar nicht unmöglich, ja nicht einmal unwahrscheinlich, daß der Bison noch früher als sein nächster Verwandter, der Wisent, „so die Nichtkenner Urochs nennen“, dem Menschen erlegen sein wird; denn es steht zu befürchten, daß drüben im Westen kein Gewaltherrscher sich finden dürfte, welcher ihm einen solchen Schutz gewährt, wie ihn der Wisent – nicht aber der schon seit Jahrhunderten ausgestorbene Auerochs! – heutigen Tages noch im Walde von Bialowicz genießt. Gegenwärtig aber lebt der „Büffel“ noch und nicht blos in seiner Heimath, sondern auch im alten Europa, hier freilich nur als armer, trauriger Sclave des Menschen, eingepfercht in einen engen Raum, ein Schatten nur von dem, was er ist.
Dieser Sclave, dieser Schatten des freilebenden Bison ist es, welchen ich diesmal den Lesern der Gartenlaube vorführen will, so verlockend es auch sein mag, anstatt des gefangenen Bison, vom freilebenden „Büffel“ und seinem Ringen und Kämpfen um’s Dasein zu reden.
Ein englischer Lord, so erzählte man mir voriges Frühjahr in London, welcher im nördlichen Schottland große Besitzungen, ausgedehnte Güter besaß, war vor ungefähr zehn Jahren auf den guten Einfall gekommen, sich aus Amerika Bisons zu verschreiben. Die Thiere langten wohlbehalten an, wurden in einem geräumigen Park untergebracht, vermehrten sich hier, und im Verlauf der Zeit wuchs eine kleine Heerde heran. Da aber starb der büffelfreundliche Lord, und seine Erben suchten sich so rasch als möglich der ihnen lästigen Heerde zu entledigen. Es kamen mit einem Male „Büffel“ auf den Thiermarkt, ohne daß man eigentlich wußte, wie, und in allen Thiergärten wurde der Wunsch laut, die seltenen Thiere zu besitzen. Aber freilich, die geforderten Preise waren nicht verlockend: 300 Pfd. Sterl., volle 2000 Thaler unseres Geldes, wurden für das Paar junger Bisons verlangt und einzeln auch bezahlt. Ein besonderer Glücksumstand setzte uns in den Stand, ein Paar von ihnen für die Hälfte dieses Geldes zu erwerben. Dieses Paar ist es, welches gegenwärtig eine der größten Zierden des Hamburger Thiergartens bildet.
Die Bisons standen, als wir sie erhielten, im dritten Lebensjahre und hatten damals ungefähr die Größe unserer gewöhnlichen Hausrinder erreicht. Inzwischen sind sie bedeutend gewachsen, haben aber doch wohl kaum mehr als drei Viertheil ihrer vollen Größe erlangt; denn ihr Wachsthum währt, wie man allgemein annimmt, bis in das achte oder zehnte Lebensjahr. Sie erreichen dann eine Größe, welche die unserer stärksten Hausrinder um ein Bedeutendes übertrifft: die amerikanischen Jäger geben das Gewicht eines alten Bullen auf 2000, das einer Kuh auf 1200 Pfund an.
Das Eigenthümliche der Bisongestalt gründet sich auf die überwiegende Ausbildung des Vorderleibes im Vergleich zum Hinterleibe. Der Körper erreicht am Widerrist seine größte Höhe und Breite, fällt von hier aus nach vorn und hinten ab und verschmächtigt sich gleichzeitig, der dichten Mähne halber scheinbar noch mehr als in Wirklichkeit. Die Läufe sind kurz und stämmig; der Schwanz ist mittellang, der Kopf unverhältnißmäßig groß, sehr breit an der Stirn, von da an gleichmäßig nach der Muffel zu verschmälert, so daß er, von vorn und von der Seile betrachtet, keilförmig gestellt erscheint. Die Augen sind groß, dunkel gefärbt und von unheimlichem Ausdruck, weil das Weiße getrübt ist; das Gehör ist klein, in der Mähne fast versteckt, zugespitzt; die Muffel ist gerundet, das Nasenloch groß. Die kurzen Hörner, welche an ihrer Wurzel sehr stark sind, nach der scharfen Spitze aber rasch abfallen, biegen sich zuerst nach außen und hinten, sodann nach oben und wenden sich mit den Spitzen nach innen und hinten. Eine sehr starke und dichte Mähne umhüllt den ganzen Vordertheil, namentlich das Kinn, die Unterbrust und die Schultern; sie verbreitet sich aber auch über die Vorderschenkel, zumal an der Hinterseite hervortretend, und ist auf den Hinterschenkeln und als Schwanzquaste wenigstens angedeutet. Schwach behaart sind nur die Unterseite des Leibes, die Innenseite der Schenkel und die Läufe vom Fersengelenk an. Der Oberkopf scheint in einem weichen Filz zu stecken, so dicht ist hier die Behaarung. Die Färbung ist ein sehr gleichmäßiges Graubraun, welches längs der Mähne, namentlich an Vorderkopf, Stirn, Hals und Wamme in Schwarzbraun übergeht. Das alte, zumal das abgestoßene Haar verbleicht und erscheint dann graulich gelbbraun. Muffel, Gehörn und Hufe sind schwarz.
Der Bison bekundet, wie sein europäischer Verwandter, auf den ersten Blick alle Eigenschaften eines wilden Geschöpfes. Man würde sich täuschen, wollte man ihn für plump und ungeschickt halten: die gewaltige Masse bewegt sich im Gegentheil mit einer Leichtigkeit, welche geradezu in Erstaunen setzt. Es ist, als ob es dem Thiere Vergnügen mache, mit seiner eigenen Kraft zu scherzen und zu spielen. So ruhig und theilnahmlos er während der Tagesmitte auch zu sein scheint, so lebhaft, so lebendig zeigt er sich, wenn die Dämmerung eintritt, so munter und rege ist er in den frühen Morgen- oder späten Abendstunden. Unsere Gefangenen sieht man namentlich gegen Abend in lustigen Sprüngen sich ergötzen; sie laufen dann nicht nach anderer Rinder Art, sondern sie galoppiren und zwar mit einer Leichtigkeit und Gewandtheit, welche selbst einer Antilope alle Ehre machen würde. Alle Bewegungen sind eigenthümlich, kurz abgebrochen, wenn man will, aber sie sind, wie bemerkt, in hohem Grade gewandt und werden mit einer Schnelligkeit ausgeführt, welche höchstens die Kraft und die Ausdauer überbieten. Der laufende Bison legt rasch große Strecken zurück, viel größere, als man meinen möchte, wenn man seine niedrigen Läufe betrachtet. Im Zorn fällt er in einen raschen, ausgreifenden Trab; im lustigen Spiel bewegt er sich in sonderbaren Wellenlinien, welche entstehen, weil er die Masse seines Leibes bald am Vordertheil, bald am Hintertheil aufwirft. Dann wird der Schwanz wie beim zornigen Bullen erhoben und der Kopf ziemlich tief zum Boden herabgedenkt; ausdrucksvolles Schütteln desselben bekundet die größere oder geringere Erregung. In dieser Weise durchläuft unser Paar zuweilen zehn bis zwölfmal sein Gehege, und dabei ist es ihm gleichgültig, ob es sein Weg durch das in der Mitte liegende Wasserbecken oder auf dem Lande dahin führt. Eins der Thiere läuft regelmäßig dicht hinter dem andern, und dasjenige, welches den Vortritt hat, läßt sich von dem zweiten nicht überflügeln. Mit Eintritt der Dunkelheit werden diese Spiele beendet; in Bewegung aber bleiben die Bisons bis zum nächsten Morgen. Der Tag scheint ihre Ruhezeit zu sein; ob sie dann aber wirklich schlafen, vermag ich nicht zu sagen. Es hält sehr schwer, dies zu beobachten, denn ihre Sinne sind so scharf, daß sie die Annäherung eines Menschen immer bald wahrnehmen und sich dann sofort munter zeigen. Es scheint mir, als schliefen sie mit vielen Unterbrechungen, so lange sie ruhen; wenn dies aber der Fall, kann ihr Schlaf nur ein sehr kurzer sein, ein Halbschlummer, falls man so sagen darf, welcher höchstens eine oder zwei von den vierundzwanzig Stunden des Tages beansprucht.
Gegen Witterungseinflüsse zeigen sich unsere Bisons vollkommen unempfindlich. Ihr Stall ist ihnen nichts mehr, als der Ort, welcher die Krippe enthält; sie betreten ihn, um sich satt zu fressen, und verlassen ihn, nachdem sie ihr Bedürfniß befriedigt haben, möglichst schnell wieder. Zum Wiederkäuen wählen sie sich im Sommer wie im Winter einen beliebigen Platz innerhalb ihres Geheges. Im Winter fanden wir sie zuweilen mit einer dicken Schneedecke belegt; sie hatten sich auch im tollsten Gestöber nicht in das Innere ihres Hauses zurückgezogen, sondern lieber außen einschneien lassen und schauten unter ihrer weißen Decke scheinbar befriedigt hervor. Starker Regen ficht sie eben so wenig an, und nur bei heftigem Sturme pflegen sie sich so zu stellen, daß der Kopf durch ihren dicken Leib geschützt wird. Auch die Sonnenhitze scheint sie nicht zu behelligen, obwohl es in den warmen Monaten des Jahres und zumal um die Mittagszeit noch am häufigsten vorkommt, daß sie länger als sonst in ihrem Stalle verweilen.
Es läßt sich nicht verkennen, daß es dem Bison leicht gemacht wird, die verschiedenste Witterung zu ertragen. Der Wechsel seines Haarkleides steht mit den Jahreszeiten im innigsten Einklange. Wer den Bison kennen lernen will, muß ihn im Winter betrachten; denn nur dann zeigt er sich in seiner vollen Schönheit. [567] Der Winterpelz hüllt das ganze Thier dicht ein und vergrößert seinen Umfang um ein Beträchtliches. Er besteht aus feinen Grannen und einem äußerst zarten Wollflaum, welcher meines Erachtens an Weichheit und Feinheit durch Alpacawolle nicht überboten wird. Dieser Wollfilz bildet eine viel dickere Lage, als man meint, weil er überall fast gleichmäßig lang ist, und deshalb die Länge der einzelnen Haare nicht so in’s Auge fällt. Die eigentlichen Grannen überwuchern ihn scheinbar nur an denjenigen Stellen des Leibes, wo sie sich selbst zur Mähne ausgebildet haben. Erst im Frühjahr bei der Härung bekommt man von der dichten Wolldecke eine richtige Vorstellung. Schon gegen den März hin löst sich das Vließ von der Haut ab und zwar nicht flockenweise, sondern in Fetzen von beträchtlicher Größe, in Stücken von mehr als einem Geviertfuß Ausdehnung, welche vermöge ihrer Zusammenfilzung gewöhnlich erst wochenlang vom Leibe herabhängen und bei Bewegung hin- und herflattern. Die filzartige Beschaffenheit des Vließes ist denn auch die Ursache, daß die Härung fast den ganzen Sommer beansprucht oder streng genommen das ganze Jahr hindurch währt. Mit Beginn des Frühlings löst das neu hervorsprossende Haar das alte langsam ab und erst mit Eintritt des Winters hat es eine genügende Länge erreicht, wächst aber auch während der kalten Monate noch stetig fort; es wächst in Wahrheit bis zu dem Augenblicke, wo es durch das nächste Haarkleid verdrängt wird. Nur bei einigen hochnordischen Thieren, z. B. bei den Eisfüchsen, und auch bei dem Trampelthiere habe ich etwas Aehnliches beobachtet. Der Wollwechsel der Schafe, welche doch ein noch dichteres Vließ tragen, geht in durchaus verschiedener Weise vor sich. Gewöhnlich beginnt sich das Vließ des Bison zwischen den Vorderläufen und am Unterleibe zuerst zu lösen; dann werden einzelne Stellen der Oberseite klar, ohne daß dabei eine Regelmäßigkeit zu bemerken wäre, bis zuletzt auch der Oberrücken oder die Gegend am Widerrist sich verändert. Während des Wechsels sieht der Bison ganz erbärmlich aus, die herabhängenden und bei Bewegung herumflatternden Haarfetzen stören den Beschauer so, daß er sich geneigt fühlt, das Thier von den lästigen Anhängseln zu befreien.
Der Bison scheint sich in seinem Lumpengewand zu gefallen, obgleich sich nicht verkennen läßt, daß er sich noch einmal so stolz trägt, wenn er in seinem vollen Haarschmuck prangt. Doch thut er selbst nur wenig, um den Wechsel zu beschleunigen, reibt sich nur selten an hervorragenden Stellen, und wenn er sich im Sande wälzt, wie er dies oft zu thun pflegt, so geschieht es keineswegs, um der Fetzen seines alten Kleides sich zu entledigen, sondern einzig und allein, um sich von den auch ihm sehr beschwerlich fallenden Mücken zu befreien. Wind und Wetter sind die einzigen Kräfte, welche ihm seine Lumpen nach und nach vom Leibe reißen. Mit wahrer Befriedigung bemerkt man, wie schnell sich das Aussehen des Thieres bessert, wenn solcher Liebesdienst ihm geworden ist. So lange die Fetzen noch an ihm herabhängen, sieht auch die bereits befreite Haut häßlich aus, weil das neue Haar wegen seiner Feinheit sie kaum bedeckt und nackt erscheinen läßt, während dieser Eindruck verschwindet, wenn sich erst wieder eine Gleichmäßigkeit in der Behaarung hergestellt hat.
Hinsichtlich seiner Nahrung macht der Bison geringe Ansprüche, d. h. er begnügt sich mit gewöhnlichem Futter. Unsere Gefangenen erhalten ungefähr dasselbe, welches man unsern Hausrindern vorwirft; doch verschmähen sie alle eingemaischten Getränke. Gutes Heu oder im Sommer Gras, Kleien, Körnerfutter, Kartoffeln und Möhren – das sind Stoffe, mit denen wir sie ernähren, und dabei befinden sie sich ganz vortrefflich. Zum Getränk erhalten sie nur reines Wasser. Daß sie gewisse Nahrungsstoffe vor andern bevorzugen, ist sicher, namentlich der Klee darf als ihr Leckerbissen bezeichnet werden. Der Klee ist es denn auch, welcher uns ein Zähmungsmittel der Thiere an die Hand gegeben hat; mit ihm locken wir sie jetzt nach jeder Stelle ihres Geheges hin, und ihn fressen sie uns ungescheut aus der Hand.
Unsere Gefangenen haben gegenwärtig einen großen Theil ihrer ursprünglichen Wildheit abgelegt: sie sind so liebenswürdig geworden, wie ein Bison dies zu sein vermag. Anfangs waren sie nicht blos scheu, sondern auch boshaft und wüthend. Beim Anblick ihres Wärters stürzten sie mit mächtigen Sprüngen aus ihrem Stalle heraus, im Gehege aber bedrohten sie den Mann in nicht mißzudeutender Weise. Wenn sie ihr Futter nehmen sollten, schlichen sie vorsichtig zur Krippe, und die geringste Störung scheuchte sie augenblicklich wieder zurück. Das verlor sich nach und nach gänzlich, und gegenwärtig verkehrt der Wärter unbesorgt mit ihnen. Er hat sie kennen gelernt, und sie haben in ihm ihren Freund und Wohlthäter erkannt. Jetzt folgen sie seiner Stimme oder gehorchen seinen Befehlen. Auch gegen mich beweisen sie eine große Zuneigung, weil ich mich ihnen niemals mit leeren Händen nahe. Sie wissen sehr genau, was es zu bedeuten hat, wenn ich die ihr Gehege begrenzende Wiese betrete, und erheben sich augenblicklich, wenn ich dort Gras pflücke, in der Absicht, es ihnen zu reichen, ja, sie lassen sich schon durch meinen Anruf herbeilocken. Beide kommen mir dann entgegen, schnaufen mich grüßend an und stecken die blauschwarze Zunge weit aus dem Maule heraus, um das ihnen vorgehaltene Futter in Empfang zu nehmen. Dabei bekundet der Stier jedesmal das ihm eigene Selbstgefühl: er will stets der Erste und Bevorzugte sein. So ausgezeichnet er sich sonst mit seiner Gefährtin verträgt – wenn es zum Futter geht, beansprucht er das Recht des stärkeren Geschlechts, und wenn die schwache Hälfte dies Recht nicht gutwillig anerkennen will, versucht er durch kräftige seitliche Hornstöße das ihm Versagte sich zu erzwingen. Er geräth dann in eine gewisse Aufregung, und die ohnehin trüben Augen erhalten einen wahrhaft unheimlichen Ausdruck. Ist das Futter verzehrt, so tritt der Frieden augenblicklich wieder ein.
Ich glaube nicht, daß man den Bison als ein geistig tiefstehendes Geschöpf betrachten darf, wie es wohl öfters geschehen. Es hält schwer, über die Höhe der geistigen Fähigkeiten eines so wenig umgänglichen Thieres sich klar zu werden; so viel aber meine ich annehmen zu dürfen, daß der Verstand durchaus kein geringer, sondern daß er im Umgange mit den Menschen einer weiteren Ausbildung wohl fähig ist. Zur Zeit hat man es freilich mit einem Wesen zu thun, auf welches die versuchte Zähmung noch sehr geringen Einfluß ausgeübt, und welches sich deshalb die Eigenschaften eines wilden Thieres treu bewahrt hat. Das trotzige Gefühl, das Bewußtsein der gewaltigen Kraft ist der Erkenntniß der Ueberlegenheit des Menschen noch nicht gewichen. Der Bison fühlt sich noch dem Gebieter der Erde gegenüber als ein Geschöpf, welches den Kampf mit Jenem nicht zu scheuen braucht. Dies aber wird sich ändern, und wären wir Kaukasier ebenso geschickt in der Behandlung der Thiere, wie die Indier es sind, besäßen wir die milde Anschauungsweise, die ruhige Gelassenheit und die zähe Ausdauer, welche die braunen Leute der Gangesländer wilden Thieren gegenüber mit so großem Erfolg benutzen: wir würden auch mit dem Bison weiter gekommen sein, als dies gegenwärtig der Fall. So viel ist sicher, daß ich von meiner nach der ersten Bekanntschaft mit diesem Thiere gefaßten Meinung zurückgekommen bin, mit anderen Worten, daß ich jetzt in dem Bison nicht mehr ein unzähmbares Geschöpf sehe, es vielmehr recht wohl für möglich halte, daß sich der Mensch auch ihn unterthänig machen kann.
Dieselbe Ansicht hat lange vor mir bereits Robert Wickliffe ausgesprochen, vielleicht derjenige Thierzüchter, welcher über den Bison die meisten Beobachtungen anstellen konnte. Wickliffe hat, wie er Audubon berichtet, dreißig Jahre lang diese Thiere in der Gefangenschaft gehalten, sie wiederholt zur Fortpflanzung gebracht, gefunden, daß sie sich mit andern Rindern kreuzen, und erfahren, daß die in der Gefangenschaft geborenen „Büffel“ durchaus nicht wilder oder wüthender sind, als viele zahme Hausrinder. Der Mann glaubt auch, daß der Bison mit der Zeit ganz in derselben Weise ausgesucht werden könne, wie irgend eine andere Race oder Art unserer Rinder; er verspricht sich namentlich in den zum Hausstand übergegangenen Thieren gute Milcherzeuger erhalten zu können.
Wir werden wohl thun, wenn wir uns so kühnen Hoffnungen einstweilen noch nicht hingeben; ebenso wenig aber dürfen wir den Bison derjenigen Beachtung für unwerth halten, welche er unzweifelhaft verdient. Unmöglich ist es nicht, daß der bekannte “Böblinger Rapsbauer“ einst mit einem Bisongespann zu Markte fährt.
Anmerkung des WS-Bearbeiters:
Dieser Beitrag erschien als Nr. 4 in der Reihe Bilder aus dem Thiergarten
Nr. 3 Im Raubvogelgebauer siehe Heft 11
Nr. 5 Unter dem Wasserfall folgt in Heft 2 des Jahrgangs 1865.