Der Bettler (Chamisso)
Ich will in dieser Rinne sterben,
Bin alt und siech genug dazu;
Sie mögen mich „betrunken“ schelten,
Mir recht! sie lassen mich in Ruh.
Die wenden ab ihr Angesicht:
Ja, eilt nur, eilt zu euren Festen,
Zum Sterben brauch’ ich euch doch nicht.
Vor Alter muß ich also sterben,
Ich hofft’ in meinen alten Tagen
Zulezt noch auf ein Hospital;
Soviel des Elends gibts im Volke,
Man kommt auch[1] nirgends mehr hinein.
Sie mag mein Sterbebett auch seyn.
Lehrt mich ein Handwerk, gebt mir Arbeit,
Mein Brod verdienen will ich ja –
Geh’ betteln! hieß es, Arbeit? Arbeit?
Arbeite! schrie’n mich an, die schmausten,
Und warfen mir die Knochen zu;
Ich will den Reichen doch nicht fluchen,
Ich fand in ihren Scheunen Ruh.
Mir schien zu betteln minder hart;
Ich habe höchstens mir am Wege
Ein paar Kartoffeln ausgescharrt;
Und immer aller Orten steckte
Mir raubend meine einz’ge Habe –
Du Gottes Sonne bist ja mein!
Was kümmern mich Gesetz und Ordnung,
Gewerb und bürgerliches Band?
Sagt, hab’ ich denn ein Vaterland?
Und dennoch, als in euren Mauern
Der Fremde Herr zu seyn gemeint,
Der Fremde, der mich reichlich speiste,
Ihr hättet mich erdrücken sollen,
Wie ich das Licht der Welt erblickt;
Ihr hättet mich erziehen sollen,
Wie sich’s für einen Menschen schickt;
Den ihr euch abzuwehren sucht;
Ich hätt’ euch brüderlich geholfen;
Und euch im Tode nicht geflucht.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: euch