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Der Bürger zweier Welten

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Textdaten
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Autor: Ludwig Bamberger
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Titel: Der Bürger zweier Welten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 342–344
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Bürger zweier Welten.

Von Ludwig Bamberger.

In der Literatur giebt es Etwas, das dem sokratischen Ideal von der schönen Seele im schönen Körper entspricht, nämlich das vortreffliche Buch eines vortrefflichen Menschen. Mutter Natur bringt es selten zum ersten jener Ideale, Tochter Cultur nicht häufiger zum zweiten. Darum schon lohnt es der Mühe, stehen zu bleiben, wo eine Erscheinung von solcher Harmonie uns entgegenkommt. Was zudem vermöchte einem Buche mehr Anziehungskraft zu verleihen, als die ihm vorangehende Gewißheit, daß geschriebenes Wort und lebendiger Wandel Eins sind in der Person des Redenden, daß seine Thaten der Beleg sind zu seinen Gedanken? Solcher Art ist Friedrich Kapp und solcher Art sind seine Schriften.

Friedrich Kapp.

Er gehört einer Familie an, deren ältere Generation bereits der deutschen Wissenschaft manchen tüchtigen Arbeiter gegeben hat, studirte die Rechtswissenschaft in Bonn, Heidelberg und Berlin als kräftiger, schlanker, blonder, blauäugiger Recke vom schönsten deutschen Typus. Einen flotteren Kanonier hatte wohl selten die Garde-Artillerie in ihren Reihen, als da er sein Freiwilligen-Jahr zu Berlin absolvirte. Die Bewegung von 1848 fand ihn naturgemäß unter ihren eifrigen Streitern. Er hielt es für Pflicht bei dem Aufstand vom 18. September jenes Jahres in Frankfurt seine Person miteinzusetzen und ließ sich nach unterdrückter Erhebung nur mit Widerwillen von älteren Freunden bereden, einer ihm unvermeidlich bevorstehenden Verhaftung und Verfolgung aus dem Wege zu gehen.

Die Katastrophe von 1849 nöthigte ihn endlich mit so Vielen seines Gleichen den Weg der Verbannung zu betreten. Kapp war damals fünfundzwanzig Jahre alt. Er lebte kurze Zeit in Paris und wurde hier in dem Hause des berühmten russischen Schriftstellers und Patrioten Alexander Herzen Erzieher des Sohnes, zugleich Freund und in gewissem Sinne Mitarbeiter des Vaters, dem er bei der Abfassung seines deutsch erschienenen Buches „Vom anderen Ufer“ (Hamburg bei Hoffmann und Campe 1849) zur Hand ging. In dem Hause des liebenswürdigen, edlen und geistvollen Russen dem er von Paris später nach Genf folgte, wurde der junge Mann mit einer neuen, großen, interessanten Welt bekannt. Französische, russische, schweizerische Politik, kurz, die Welt in allen Maßstäben und ihren modernsten Richtungen trat an ihn heran, wurde wißbegierig und lebensfroh von ihm aufgenommen. Aber die Nothwendigkeit, sich einen selbstständigen Beruf zu gründen, [342] trieb ihn, das schöne Band zu lösen, das ihn an Vater und Sohn festhielt. Er hatte in Genf mit einem älteren Exilsgenossen, dem Mainzer Advocaten und Parlamentsmitglied Franz Heinrich Zitz, Umgang gepflogen. Beide faßten damals den Plan, in New-York eine Sachwalterschaft zur Betreibung deutsch-amerikanischer Rechtsangelegenheiten zu errichten, und Ende 1849 segelten sie auf verschiedenen Wegen in die neue Welt hinüber. Der Plan wurde in’s Werk gesetzt unter Zugesellung eines dritten Flüchtlings, Julius Fröbel, der, willig ihrer Aufforderung Folge leistend, eine eben in Angriff genommene Seifensiederei im Stiche ließ.

In der Firma „Zitz, Kapp und Fröbel“, deren juristische Dienstanerbietungen jetzt in den deutschen Blättern angekündigt wurden, war Kapp der jüngste und unerfahrenste der drei Partner. Zitz, in der Mitte der Vierzig, hatte eine lange glänzende Advocatenlaufbahn, Fröbel hatte als Verleger und Schriftsteller ein vielbewegtes Leben hinter sich. Aber es sollte nicht lange dauern, so entfaltete der kaum über die Studien hinaus gediehene Theoretiker die entschiedenste praktische Tüchtigkeit. Fröbel ließ sich von seinem abenteuernden und combinationslustigen Sinn wieder in eine neue unbekannte Welt treiben, ward Karawanenführer zwischen Texas und Mexico, und Zitz, der bis auf den heutigen Tag Kapp’s Gesellschafter geblieben, überließ diesem zeitweise, während er selbst farmte, die Hauptleitung der Schreibstube (Office). Mit Muth und Fleiß sich in das amerikanische Rechtswesen hineinarbeitend, gelangte Kapp von kleinem Anfang allmählich zu einer geachteten Stellung als Notar und Anwalt. Die eben gegründete Existenz sollte vor Allem zur Befriedigung eines höchsten Herzenswunsches die Mittel schaffen. Eine treue Neigung verband ihn mit der Tochter eines hochstehenden preußischen Officiers, der groß genug dachte, um in dem Augenblick, da die Vernünftigkeit des Schrittes sich nachweisen ließ, sein geliebtes Kind über’s Meer zu dem geächteten Republikaner ziehen zu lassen. Der General war freilich einer der wenigen ungeadelten Bürgerlichen. Er hatte seinen Entschluß nicht zu bereuen. Wie Alles in dieser Existenz schön und ebenmäßig zu werden berufen war, so sollte auch dieser Ehebund heranblühen, mit allen Vorzügen der Bildung und Tugend und mit anmuthreichem Kindersegen ausgestattet.

Weder die Sorge um’s tägliche Brod, noch die Süßigkeiten des Familienlebens vermochten auch nur vorübergehend im Geiste des Wahrheits- und Menschenfreundes den Sinn für die höheren und allgemeinen Interessen zurückzudrängen. Theilnahme am Schicksale der Landsleute in der alten wie in der neuen Heimath, Theilnahme am Leben des amerikanischen Staatswesens, Drang nach wissenschaftlicher Arbeit machten um die Wette ihre Rechte an den vielseitigen, unermüdlichen Mann geltend. Zugleich warf er sein Augenmerk auf die Stellung, welche die deutschen Eingewanderten als Gesammtheit in ihrem Adoptivvaterland einnahmen, denn schon damals gab sich die tiefe Antipathie zu erkennen zwischen der rohen Ueberhebung eigenwilliger und selbstsüchtiger Landsässigkeit und dem menschlich gerechten Freisinn, dessen Mitvertreter die gebildeten Deutschen wurden. Es war die Zeit, da die erste Klarheit in die Scheidung der Namen Republikaner und Demokraten kam und die eine Weile von dem Klang dieses zweiten Namens verführten Deutschen sich nach der Stellung hinzuziehen begannen, die sie zu ihrer unsterblichen Ehre im großen Krieg gegen die Sclaverei späterhin einnehmen sollten. Ein beträchtliches Verdienst um diese Scheidung erwarb sich von der ersten Stunde an Friedrich Kapp. Die Sclavenfrage, das war der gewaltige Gährungsstoff, der damals bereits auf dem Grund der amerikanischen Gesellschaft wühlte. Bei einem solchen Kampf um höchste Humanitätsfragen konnte Kapp nicht in einer Zuschauerrolle stehen. Bei der Präsidentenwahl des Jahres 1856, in welcher Buchanan, der demokratische Candidat, über den Republikaner Fremont siegte, war Kapp bereits einer der hervorragendsten Kämpfer für Letzteren. Auf solche Weise im öffentlichen Leben, wie in seinem sachwalterischen Berufe sich nützlich zu machen, Redner, Advocat, Notar, Gatte, Vater und Freund zu sein, hätte dem Gewissen auch eines Wackeren reichlich genug sein können.

Für Kapp’s Arbeitskraft und Pflichtgefühl war es zu wenig. Er wollte der Erkenntniß, welcher er mit Kopf und Herz angehörte, auch auf dem weiter und tiefer führenden Wege des gedruckten Worts Bahn machen. Den Amerikanern deutsches Wesen zu verständigen, den Deutschen das amerikanische zu entziffern, diesseits und jenseits des Oceans für die richtige Anschauung und die richtige Stellung zu den Dingen warme Sorge zu tragen, das war es, was ihm für seine schriftstellerische Thätigkeit leitender Gesichtspunkt ward und bis heute geblieben ist.

Seine beiden ersten Werke vertreten sofort die doppelte Richtung. Zunächst erschien „Die Sclavenfrage in den amerikanischen Staaten, geschichtlich entwickelt“ (Göttingen, bei Wigand 1854).

In dem vier Jahre darauf veröffentlichten „Leben des amerikanischen Generals Friedrich Wilhelm von Steuben“ (Berlin, bei Duncker 1858), einem umfang- und inhaltreichen Buch, erzählt Kapp die Schicksale eines deutschen Adeligen, der mit Ruhm für die Sache der Union kämpfte, vindicirt den Deutschen ihren Antheil Verdienst um die Ehre der Freiheitswaffen und zeigt ihnen selbst an den Leistungen seines Helden die Tüchtigkeit eines in der Schule der großen preußischen Feldherren erzogenen Anführers.

Nach Verlauf eines Jahrzehents war Kapp tief in das amerikanische Leben der Gegenwart eingedrungen; sein gewinnendes und tüchtiges Wesen hatte ihm nun auch bei dem englischen Element der Newyorker Bevölkerung eine hervorragende Stellung verschafft. Im Jahre 1860 bei der Präsidentenwahl, aus welcher Lincoln hervorging, wurde er in der Stadt Newyork Wahlmann (je dreißigtausend Wähler ernennen einen Wahlmann). So fügte es sich natürlich, daß damals die Reihe wieder an die inneren Zustände kam, seinen Forscherfleiß und Lehrberuf in Anspruch zu nehmen. Das Ergebniß dieser Studien war „Die Geschichte der Sclaverei in den Vereinigten Staaten von Amerika“ (Hamburg, bei Otto Meißner, 1861), ein Schlüssel zum Verständniß der Ursachen und Folgen des darin vorausgesagten und bald darauf ausgebrochenen großen Secessionskrieges, der auch für unsere deutschen Angelegenheiten von unberechenbar heilsamer Wirkung wurde. Denn er bildet ein starkes Glied in jener Kette glücklicher Ereignisse, an welcher vom Jahre 1859 an die gedrückte und entmuthigte Welt wieder in Zuversicht auf die Höhe ihrer humanen Aufgaben sich emporschwang. Es war durchaus derselbe gute Geist, der über den Kaiser Nicolaus an der Küste des schwarzen Meeres, über Franz Joseph in den Ebenen der Lombarbei, über Ferdinand von Neapel in Marsala, über Jefferson Davis in Virginien, über den Marschall Bazaine in Mexico und über Benedek in Böhmen den Sieg davon trug. So verschieden auch die Losungsworte von den Lippen der Kämpfer schallten, so verschieden die Köpfe und Herzen in dem einen oder anderen Lager bewegt waren: es ist doch die nämliche aufsteigende Linie des großen Weltenschicksals, welche durch den Mittelpunkt dieser sämmtlichen Ereignisse hindurchgeht und in ihrer correcten Verlängerung den Thron Isabella’s von Bourbon umgestürzt hat. Nur noch drei ausgehöhlte, von diesem Siegeslauf des neuen Geistes auf den Tod getroffene Gewalten stehen schwankend auf ihren Postamenten: der Bonapartismus, die deutsche Kleinstaaterei und das weltliche Papstthum. Wer leben bleibt, wird’s erleben.

Kapp war Einer und der Besten Einer von den vielen wackeren Deutschen, welche der Sache Lincoln’s und der Union gegen Sclaverei und Particularismus mit höchster Kraftanstrengung dienten und dafür sorgten, daß die beträchtliche Leistung der Deutschen in diesem guten Kampf zur Anerkennung kam, um dem deutschen Element für die Zukunft eine darnach bemessene Stellung in der Republik zu sichern. Zugleich unternahm er es damals, dem Sohne eines fränkischen Bauern ein gleiches Ehrendenkmal zu errichten wie dem adeligen v. Steuben. Er schrieb „Das Leben des amerikanischen Generals Johann Kalb“ (Stuttgart, bei Cotta, 1862).

Im August desselben Jahrs kam Friedrich Kapp von Newyork nach England und machte von da aus eine Reise durch Deutschland. Wie der blühende Mann für die alten Freunde nach so langem Zwischenraum in Zügen und Gebahren kaum eine Spur der über ihn hingegangenen Zeit und Mühen verrieth, wie seine heitere Kraftnatur ihm auf die erste Berührung die Herzen erschloß und wieder erschloß, so öffnete sich auch seine eigene Brust und sog tief und beglückt den Odem der alten Mutter Heimathserde ein. Damals bereits schlug mit starkem Ansatz der Gedanke in ihm Wurzel, daß er zurück müsse nach Deutschland. Nicht weichliche Gemüthsbedürfnisse zogen an ihm. Keinem liegen sie ferner. Die lange Trennung und die reiche Erfahrung hatten sein Auge geschärft für die Erkenntniß der großen Veränderungen, welche im Schooße des deutschen Lebens vorgegangen waren. Zwar in der [343] Politik war wenig oder nichts geschehen, aber die großen Civilisationskräfte Elektrizität und Dampf hatten ihre Schuldigkeit gethan.

Wie er selbst ein Mann zurückgekehrt war, so fand er auch in dem Wesen des Vaterlandes etwas Männlicheres: rüstige, concrete Thätigkeit, erweiterte Gesichtskreise, gesegneten Haushalt, stolzere Unabhängigkeit als früher. Vom Bord des Dampfers, der ihn aus Southampton wieder nach der neuen Welt hinübertrug, noch im Angesicht der englischen Küste, überschauend gleichsam zwei Hemisphären, ihre Vergangenheit und ihre Zukunft, schrieb er einem Freunde einen jener Ergüsse, in welchen es dem vergänglichen Erdensohne gegönnt ist, den Sinn des großen Ganzen von dem Grunde seines heilig bewegten Herzens zurückzustrahlen. Stolz und freudig preist er die neue Kraft, die durch des Vaterlandes Muskeln strömt, huldigt er der großen schaffenden Macht, welcher das zu danken ist. „Wie viele meiner alten Universitätscameraden,“ so ungefähr heißt es in dem Briefe, „die ich als unreife Juristen verlassen und als servile, kümmerlich vegetirende Beamte wiederzufinden geglaubt hatte, waren in die Industrie übergegangen, haben Haus und Hof und sehen mit Verachtung auf die Sclaverei des Staatsdienstes herab. Der Nimbus der Dienstuniform ist geschwunden. Gewerbe und Intelligenz sind eng verschwistert und fühlen in sich die Macht, welche das alte Zopfregiment, so fest es auch angeklammert sei, unter ihre Füße bringen wird.“ Die Urbilder des Zopfes waren ihm vor Allem die Kleinfürsten. Wie so Viele, denen der particularistische Klatsch jetzt nachlügt, daß sie erst durch den Kanonenerfolg bekehrt worden seien, war seit langen Jahren auch er vom Wirbel bis zur Zehe von der Einsicht durchdrungen, daß der Uebel größtes die Kleinstaaterei ist. Und so stellte er sich, aus Deutschland zurückgekehrt, eine neue Aufgabe, welche dem Erbschaden deutscher Entwickelung direct zu Leibe gehen sollte. Dabei übersah er nicht, daß, um mit Ueberlegenheit und Autorität gegen heimische Mißstände aufzutreten, er sich den Standpunkt auf dem ihm so innig vertrauten amerikanischen Gebiete suchen mußte. Mit dieser Einsicht war auch das Thema gefunden. Er schrieb das Buch: „Der Soldatenhandel deutscher Fürsten nach Amerika. Berlin bei Duncker 1864.“ Es sollte, nach seiner in Briefen abgesprochenen Absicht, wie ein glühend Eisen wirken, welches die Niedertracht und den Schimpf des deutschen Landesvaterthums mit neu aufgerührtem Schmerz in das Gedächtniß der schlaffen, weißblütigen Unterthanen hineinbrenne. Einen besseren Trost auf die Thränen, welche noch heute den würdigen Nachkommen in Hessen, Nassau und Hannover fließen, wüßten wir nicht zu empfehlen.

Die fünf inhaltreichen und anziehenden Bände, welche im Lauf eines Jahrzehents aus Kapp’s Feder hervorgegangen waren, sollten nach seinem Sinn nur Vorbereitungsarbeit für die eigentliche schriftstellerische Aufgabe seines amerikanischen Lebens gewesen sein. Er sammelte an ihnen gewissermaßen nur gelegentlich seiner Forschungen für das ihm vorschwebende Hauptwerk, sein „Standard work“, wie die Engländer sagen würden. Von diesem Grund- und Schlußwerk liegt jetzt der erste Band vor uns: „Geschichte der deutschen Einwanderung in Amerika. Erster Band. Die Deutschen im Staate New-York bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts, mit einer Karte. Leipzig, bei Quandt und Händel, New-York bei E. Steiger 1868.“ In dem Vorwort faßt er selbst treffend den Sinn seiner Wirksamkeit zusammen:

„Ich nehme durch meinen augenblicklichen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten eine gewisse glückliche Doppelstellung ein. Als dem Geschichtsschreiber der amerikanischen Deutschen wird mir die lohnende Aufgabe, durch die Erzählung der Geschichte ihrer Vorgänger in meinen hier ansässigen Landsleuten den berechtigten Stolz des freien Bürgers zu heben, sowie ihr Verständniß der amerikanischen Entwickelung und die richtige Auffassung ihrer Stellung im hiesigen Leben zu fördern. Für die Heimath dagegen liefert meine Arbeit einen fast ganz unbekannten, noch lange nicht genug gewürdigten Beitrag zur Krankheitsgeschichte unseres Volksthums während der vorausgegangenen beiden Jahrhunderte und deckt als die Hauptquelle, aus welcher die Massenauswanderung ihre Kräfte schöpfte, die jammervolle Zerrissenheit und Ohnmacht unseres Vaterlandes auf. Also anknüpfend an die Bestrebungen und Kämpfe der Gegenwart, hält die Geschichte der deutschen Einwanderung dem heutigen Geschlecht zur Beschämung für unsere Vergangenheit und zum Trost für unsere nationale Zukunft auf der einen Seite die politische Verkommenheit unseres staatlichen Lebens, auf der anderen aber die bürgerliche Tüchtigkeit der vom heimischen Drucke befreiten Deutschen als treuen Spiegel vor.“

Wegen der Art, wie er den Beruf der Deutschen in der neuen Welt auffaßt, ist Kapp von manchen seiner Landsleute in Amerika heftig angegriffen worden, ein Streit, der übrigens nicht von heute datirt. In der Vorrede zur zweiten Auflage der New-Yorker Ausgabe des Buchs giebt er den Inhalt der ihm gemachten Vorwürfe selbst in folgenden Sätzen an: „Man beschuldige ihn, daß er eine vollständige Amerikanisirung der Deutschen in Sprache und Sitte in Aussicht stelle, daß er dem deutschen Elemente eine blos vorübergehende Bedeutung im amerikanischen Leben einräume, daß er ihm eine nationale Zukunft in Amerika abspreche, daß er sich zu sehr von dem herrschenden Amerikanerthum imponiren lasse und daß es von seinem Standpunkt aus überhaupt verlorene Mühe gewesen sei, das vorliegende Buch zu schreiben.“ Gegen diese Anklagen führt er in der Vorrede seine unbezweifelbar richtige Anschauung durch, daß die deutsche Einwanderung nicht zu einem getrennten Eigenleben, sondern zur ergebnißreichen Verschmelzung mit der amerikanischen Nationalität jenseits des Oceans bestimmt ist. Der zweite Band soll uns die Geschichte der Einwanderung in Pennsylvanien, Maryland, Virginien etc. bringen. Kapp hat mit diesem Buch der Geschichts- und Staatswissenschaft ein durchaus neues Feld erobert und dieses Feld sofort künstlerisch schön und lebhaft anschaulich bearbeitet.

Bei der jüngsten Präsidentenwahl[WS 1] ist Kapp wieder in volle politische Wirksamkeit für die Sache der republikanischen Partei zu Gunsten Grant’s eingetreten. Seit etwa Jahresfrist ist er Commissioner of Emigration, Mitglied der höchsten Aufsichtsbehörde in Einwanderungssachen, ein Ehrenamt, das kein Geld, aber außerordentlich viel Arbeit einbringt. Wir wissen bereits, daß seinem Einschreiten die Besprechung und Abstellung der Mißbräuche zu verdanken ist, welchen gewissenlose Schiffspatrone sich überlassen hatten.

Was könnte man schließlich zur Charakteristik des Menschen und des Schriftstellers Besseres sagen, als daß die umfangreichen und ersprießlichen historischen Leistungen, an denen wir in der flüchtigsten Weise vorüberrauschen mußten, nur den Mußestunden abgewonnen sind, die ihm ein vielbeschäftigter Beruf, starke Betheiligung am öffentlichen Leben, ein großer Familienkreis, stets dienstbereite Gefälligkeit gegen Bekannte und Unbekannte übrig ließen! Es ist die Eigenthümlichkeit wahrhaft arbeitsamer Menschen, daß sie zu Allem Zeit haben, zu Ernst und Scherz. Nur Nichtsthuer klagen über Mangel an Zeit, wie Nichtsleser über Mangel an guten Büchern. Und Kapp’s Schriftstellerei verlangt nicht blos die Zeit, in der die Feder über das Papier läuft. Er ist der gewissenhafteste Forscher bis zum Uebertriebenen, wenn das ein Beschwerdegrund sein könnte. Zum Zweck seiner Geschichte der Einwanderung hat er alle Districte, in denen sie spielt, von Kirchspiel zu Kirchspiel durchzogen, die alten Leute persönlich ausgefragt, jede Familienbibel und jedes Kirchenbuch durchblättert. Die Biographien starren von Quellenangaben. Dies ist der deutsche Forscherfleiß, der in ihm steckt, und zugleich der Respect vor den Thatsachen, den ihn die neue Welt gelehrt.

So ist sein ganzes Wesen eine prächtige Vereinigung alles dessen, was reiche Natur, tiefe Bildung und weite Erfahrung ihm geben konnten. Das reine Feuer der Idealität durchglüht sein ganzes Denken. Jedes Unrecht bringt ihn in Wallung. Dabei ist er doch kühl besonnen, Alles nach dem Maßstab der gegebenen Verhältnisse messend. Er ist deutscher Patriot im höchsten Sinne des Wortes und ein eifriger Arbeiter am Wohle der Vereinigten Staaten. Er jubelt der Wiedergeburt der alten Heimath zu, aber er verlangt mit echt historischem und politischem Sinn, daß in der neuen Heimath der Deutsche sich dem großen Ganzen unterordne, in ihm fruchtbar aufgehen lerne. Dennoch geht ihm wieder sein deutsches Geistesleben über Alles, fühlt er nach Jahrzehnten die Lücke, welche für das Ideal in der realistischen Gesellschaft des emsigen Amerikanerthums unausgefüllt bleibt. Dabei ist Niemand allem Ueberschwänglichen, Sentimentalen, Pathetischen mehr abhold, als er. Im Kreise seiner blühenden Kinder zugleich ein neckischer Gespiele und ein verehrter strenger Lehrer; den Freunden stets ebenso schnell zur Hand, eine gemüthliche Flasche anzustechen, als einen beträchtlichen Dienst zu leisten warm und treu im Sinn, kurz und männlich in den äußeren [344] Liebesbezeigungen; kein süßliches Geküsse – ein rascher Händedruck; keine schönselige Floskel im Briefe – eine Mittheilung und die Unterschrift. Wie in diesen Stücken, in Allem eine Harmonie von Jüngling und Mann, vom idealistischen, gelehrten Deutschen, vom welterfahrenen, sturmerprobten Amerikaner. Kein Wunder, daß solch’ ein Mensch überall Gönner, Freunde, Verehrer fand. Zu geben brauchten sie ihm nicht viel; er schaffte sich Alles selbst und wachte, daß sie ihm nichts nahmen von seiner Bescheidenheit und Selbstlosigkeit. In Anerkennung seiner vielseitigen Verdienste um Wissenschaft und Leben ernannte ihn die Universttät Bonn zum Ehrendoctor bei Gelegenheit ihres Jubelfestes.

Von dem Jahre 1870 hofft Kapp endlich die Erfüllung seines innigsten Lebenswunsches. Seit er Deutschland wiedersah, hat er mit der Arbeit seines juristischen Berufs dahin gezielt, daß er im vorausberechneten Zeitpunkt des erwähnten Jahres es werde durchführen können, mit seiner Familie in’s Vaterland zurückzukehren. Der Umschlag, welchen die Ereignisse von 1866 herbeigeführt, hat seinen Vorsatz nur befestigt. Er ist nun überzeugt, daß er seinen Kindern ein großes und aufwärts strebendes Vaterland geben wird. Sollen wir sagen: Deutschland schuldet diesem in vollster Manneskraft heimkehrenden, hochverdienten treuen Sohn eine würdige, lohnende Stellung? Wir wollen lieber sagen: es kann in Deutschland nicht fehlen, daß mehr als ein wohlverstandenes Interesse sich freuen wird, einer so bewährten und schönen Fähigkeit Verwendung eifrig anzubieten. Auf dem streng politischen Felde könnte im Anfang ein Umstand hinderlich werden. Das Gesetz, daß ein Preuße nach zehnjähriger Abwesenheit seine Nationalität verliert, ist eine der Erbschaften des Polizeistaates. Es ist noch das Gesetz eines Staates, der kein Vaterland ist, sondern eine Beaufsichtigungsanstalt. Können denn Eltern- und Kindespflichten verjähren? Es wäre Zeit, daß diese Barbarei beseitigt würde. Wenn es schon wieder so weit gekommen ist, daß die Vertriebenen der Reactionsepoche von allen Weltenden zurückkommen und ihr Erbtheil am Heimathboden antreten, dann ergeht auch der Mahnruf an die Gesetzgebung, daß sie solche naturwidrige Bannflüche widerrufe!



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Präsidentenwwahl