Der Automat-Mensch
In dem Sanct Antonius-Spitale zu Paris befindet sich ein Mann, der für gewöhnlich Krankenwärterdienste leistet, aber allmonatlich einige Tage lang von so außerordentlichen Zufällen heimgesucht wird, daß in den an seltsamen Vorkommnissen wahrlich nicht armen Annalen der Medicin ein sonderbarerer Fall kaum verzeichnet sein dürfte. Die Krankheit leitet sich von einem Schusse her, welchen der Patient in dem mörderischen Kampfe bei Bazeilles, am Tage von Sedan, empfing. Die Kugel war durch das linke Schläfenbein gedrungen und auf die dort angerichteten Zerstörungen in der Hirnmasse erfolgte, wie gewöhnlich, eine Lähmung der Gliedmaßen auf der andern Seite des Körpers, also der rechten Hand und des rechten Fußes. Nach zwei Jahren einer sorgfältigen ärztlichen Behandlung ist diese halbseitige Lähmung beinahe vollständig gewichen; der Mann kann die meisten im Hospitale vorkommenden Arbeiten verrichten und entledigt sich seiner Pflichten in einer fröhlichen Gemüthsstimmung und mit der vollendetsten Gewissenhaftigkeit. Allein für ein bis zwei Tage im Monat geht eine geheimnißvolle Veränderung in diesem Körper vor sich, geheimnißvoll schon deshalb, weil sie ein gewöhnlicher Beobachter übersehen könnte. Der Mann steht auf, kleidet sich an, geht umher, nimmt seine gewöhnlichen Beschäftigungen auf, rollt seine Cigarette, raucht, ißt und trinkt.
Indessen bald fällt es auf, daß er bei seinem beständigen Umherlaufen unaufhörlich gegen Menschen und Dinge, die sich auf seinem Wege befinden, anläuft und erst nachdem der Zusammenstoß erfolgt ist, seitlich ausweicht. Man überzeugt sich, daß er mit weit geöffneten Augen nichts von den Dingen, die ihn umgeben wahrnimmt. Man ruft ihn an, er hört nichts; man bohrt ihm die Nadel in den Arm, er fühlt nichts; man versetzt ihm hinterrücks elektrische Schläge, er zuckt nicht. Bei genauerer Beobachtung fand man, daß der Zustand dieses Mannes demjenigen der sogenannten Nachtwandler gleicht, nur daß der Schlaf ein unendlich tieferer ist, da er durch kein Mittel aus demselben zu erwecken ist. Der einzige wachgebliebene Sinn, durch den er noch mit der Außenwelt verkehrt, ist das Tastgefühl der Hände und der Oberhaut überhaupt, während Gesichts-, Gehörs-, Geruchs- und Geschmackssinn schlummern.
Dafür klammert sich das ganze Innenleben dieses Menschen an den Tastsinn, und auf jede von demselben angeregte Empfindung spinnt sich automatenhaft eine Reihenfolge unter sich verknüpfter Thätigkeiten ab. Steckt man ihm ein Stück Cigarettenpapier in die eine Hand, so faßt er mechanisch mit der andern in die Westentasche, nimmt Tabak heraus, rollt eine Cigarette und setzt sie mit Hülfe eines Streichhölzchens in Brand. Bläst man ihm dasselbe aus, so setzt er wohl ein neues in Brand, macht aber niemals von einem ihm brennend unter die Nase gehaltenen Gebrauch, wenn man ihm auch fast den Schnurrbart anzündet, denn er sieht das dargebotene Hölzchen nicht. Seine Cameraden haben ihm statt des Tabaks Charpie unter die Hände gespielt; er hat damit seine Cigarette gefüllt und sie, ohne eine Miene zu verziehen, aufgeraucht. Ebenso verschlingt er, wenn man einen Löffel in seine Hand legt, Alles, was man ihm vorsetzt, seine Lieblingsspeisen ebenso wie Stückchen der abscheulich bittern Aloe oder der widerlichen Asa fötida.
Um zu ermitteln, ob bei diesem sogenannten Automatmenschen der Tastsinn auch ältere, nicht durch tägliche Wiederholung in Uebung erhaltene Muskel- und Nerventhätigkeiten anrege, begründete der Hospitalarzt Dr. Mesnet einen Versuch auf den Umstand, daß der Patient vor dem Kriege vielfach als Concertsänger in öffentlichen Localen aufgetreten war. Man legte ein Paar Handschuhe in seine Hände, die er sich sofort beeilte, anzuziehen. Nachdem dies geschehen, begann er mit den Händen umherzusuchen, das hingelegte Notenheft zu entfalten, sich zu verbeugen und dann gerade zu richten, wie Jemand, der vor einer Versammlung singen will. Ob er wirklich gesungen habe, ist in dem Berichte des Dr. Mesnet nicht klar ausgedrückt; für gewöhnlich pflegt er in diesem besonderen Zustande nur die Kinnladen zu bewegen, oder leise vor sich hinzumurmeln. Alles in Allem genommen, ergiebt sich also, daß dieser Mensch während seines Zufalles mit der Außenwelt nur durch den Tastsinn verkehrt, und daß die Kette durch Uebung verbundener Thätigkeiten, welche von demselben angeregt worden ist, einzig und allein nur durch Gewalt oder durch einen neuen Eindruck auf den Tastsinn unterbrochen werden kann. Wie weit diese Thätigkeiten mit einem gewissen traumartigen Bewußtsein etwa verbunden sein mögen, weiß man nicht, denn nach dem Anfalle bleibt keine Erinnerung an das während desselben mit ihm Vorgegangene in dem Automatmenschen, indessen mögen traumartige Gedanken in ihm aufsteigen, denn eine ihm in die Hand gedrückte Feder hat ihn eines Tages veranlaßt, Tinte und Papier zu suchen und einen ziemlich zusammenhängenden Brief über seine gewöhnlichen Verhältnisse zu schreiben. Das würde sich etwa den bewußtlos und ohne Erinnerung geführten Gesprächen der Schlafwandler vergleichen. Gewisse starke Erregungen brachten ihn auch zu plötzlichen Ausrufen. So warf er sich, als man einst ein ungeladenes Gewehr in seinen Arm gelegt hatte, plötzlich zu Boden, streckte den Kopf vor und rief, indem er mit den Händen die Patronen suchte: „Heinrich, da sind sie, ihrer zwanzig wenigstens, aber wir Zwei wollen mit ihnen schon fertig werden.“
Wir werden sehen, daß diese Beobachtungen, so seltsam sie [605] sind, die Physiologen und Psychologen unserer Zeit mehr angezogen als in Verwunderung gesetzt haben, da sie eine Reihe von Schlüssen, welche man längst gezogen hat, einfach bestätigen; allein ein Umstand mußte auch sie in das höchste Erstaunen versetzen. Es ist derjenige, daß der Automatmensch als solcher ein moralisch ganz verschiedener Mensch von demjenigen seiner gesunden Tage ist, daß er also in Wirklichkeit zwei Leben lebt. Sonst die Gewissenhaftigkeit und Ehrlichkeit in Person erscheint er während seiner Zufälle wie ausgewechselt. Sobald er gegen irgend eine Person anstößt, ist sein erster Griff auf deren Uhr und Börse gerichtet, die er sodann in seine Tasche steckt. Ohne Gegenwehr läßt er sich die angeeigneten Gegenstände darauf wieder abnehmen, weil er von dem Geplündertwerden noch viel weniger etwas bemerkt, als von dem Selbstplündern. Er beträgt sich, mit einem Worte, wie eine von den höchsten Graden des Diebswahnsinns heimgesuchte Person, während er in gesunden Tagen der rechtlichste Mensch von der Welt ist.
So nachdenklich aber auch für den Moralphilosophen die Thatsache sein mag, daß Jemandem mit seinem Empfindungsvermögen und Bewußtsein auch das Gewissen schwinden kann, ein ungleich tieferes Interesse, als an seinen moralischen, knüpft sich an den physischen Zustand des Automatmenschen, sodaß sich die Blicke der berühmtesten Physiologen Europas auf diese phänomenale Erscheinung gerichtet haben. Der Anknüpfungspunkt dieses Interesses ist die Erfahrung, daß man mit Hülfe einiger wenig schmerzenden Schnitte Thiere alsbald in einen Zustand versetzen kann, der mit demjenigen des Automatmenschen die größte Aehnlichkeit darbietet. Ich will nur einen der vielen Versuche erwähnen, welche der Prof. F. Goltz in Straßburg vor fünf oder sechs Jahren an Fröschen angestellt hat. Mittelst einiger sehr schnell und ohne die geringste Gefahr für das Leben des Thieres heilender Schnitte wußte dieser Forscher die Verbindung zwischen dem Vordergehirn der Frösche und den übrigen Centralorganen des Nervensystems aufzuheben, um dadurch Versuchsthiere herzustellen, die, wenn sie regelmäßig gefüttert werden, sich viele Monate, ja selbst Jahre lang des besten Wohlseins erfreuen, obwohl sie nichts sind, als lebendige Maschinen, Automatthiere, wie der am Gehirn verletzte Sergeant des Antoniusspitals. Für derartig behandelte Thiere scheint die Außenwelt gar nicht zu existiren; sie hocken unbeweglich auf derselben Stelle, bis man sie anstößt; sie verschlingen nur, was man ihnen in den Mund steckt, würden aber wie Tauben, die man ihres Vordergehirns beraubt hat, auf einem Berge von Lebensmitteln verhungern. Dagegen ist auch bei ihnen das Hautgefühl das einzige Bindemittel mit der Außenwelt. Wenn der Versuchsfrosch ein Männchen ist und man streicht seinen Rücken sanft mit dem Finger, so quakt er mit dem Ausdrucke der größten Behaglichkeit und wiederholt dieses maschinenmäßige Quaken so oft, wie die Berührung wiederholt wird. Noch mehr, wenn man auf einen Fuß eines solchen Thieres einen Tropfen ätzender Flüssigkeit bringt, so benutzt es den andern Fuß, die Reizursache zu entfernen, ja, es weiß sich auf einer hin- und hergeneigten Kante mit der Geschicklichkeit eines Seiltänzers im Gleichgewicht zu erhalten, ohne daß es irgend ein Bewußtsein von dem Geschehenden haben kann. Man wird an das angebliche Balanciren der Nachtwandler erinnert.
Nach dem Vorgange des großen französischen Philosophen Descartes, der im siebenzehnten Jahrhunderte zuerst den jetzt jedem Schulknaben geläufigen Satz begründete, daß das Gehirn das Denkorgan des Menschen ist, nennt man jene ohne Bewußtsein und Wollen eintretenden zweckmäßigen Bewegungen des thierischen Körpers Rückstrahlungs- oder Reflexbewegungen. Derartige unwillkürliche Bewegungen beobachtet man nun in größter Auswahl auch am menschlichen Körper. Wir brauchen nicht an die Fälle zu erinnern, bei denen durch Krankheiten die Verbindungen zwischen Gehirn und Rückenmark zerstört worden waren, sodaß die betreffenden Personen des Gefühls in ihren Füßen vollkommen beraubt sind, gleichwohl aber mit denselben unbewußt die heftigsten Bewegungen ausführen, wenn man sie an der Fußsohle kitzelt, denn schon der gesunde Menschenkörper bietet entsprechende Erscheiungen in Masse. „Wenn unser bester Freund,“ sagte Descartes, „von dem wir gewiß wissen, daß er uns niemals mit der Faust in’s Auge schlagen wird, so thut, als wollte er es thun, werden wir trotz der größten Anstrengungen nicht im Stande sein, im Augenblicke des Schlages die Augen offen zu behalten, der Mechanismus des Körpers ist also sogar stärker als der Wille. Es zeigt sich, daß wir ebenso wenig die durch einen Reiz auf die Schleimhäute hervorgebrachte Nöthigung zum Husten, Aufstoßen, Niesen etc. willkürlich unterdrücken können, kaum daß wir im Stande sind, dem doch ausschließlich von innen kommenden Bedürfnisse zu lachen oder laut aufzuschreien zeitweise zu widerstehen. Gänzlich dem Bereiche unseres Bewußtseins und Willens entzogen sind die Bewegungen des Athmens, des Herzschlages, der Verdauungsorgane etc., die mit maschinenartiger Regelmäßigkeit vor sich gehen – ein Räderwerk, das sich nur gegenseitig zu bedingen scheint, aber ganz unabhängig von demjenigen ist, was wir Denken, Bewußtsein, Seele nennen. Der Urheber der neueren Philosophie schloß darum mit der Consequenz, die seinem System eigen ist, weiter: Die Thiere sind also nichts, als sehr wohlgebaute Maschinen.
Die frömmsten Leute der Zeit haben diesen Ausspruch des Meisters, ohne an die bedenklichen Folgeschlüsse zu denken, angenommen. Der große Leibnitz war einer seiner vertrauensseligsten Verfechter und der mehr als strenggläubige Jesuitenpater Malebranche sein begeisterter Prophet. Auch der große englische Zoologe Huxley, einer der hervorragendsten Naturforscher unserer Zeit, hat sich, anknüpfend an den Pariser Automatmenschen, auf der vorjährigen Naturforscher-Versammlung in Belfort ziemlich unzweideutig zu Gunsten dieser rein mechanischen Auffassung des Lebens erklärt. Wir brauchen unsern Lesern nicht zu sagen, daß diese Auffassung heute von einer großen Anzahl von Naturforschern bis zu den letzten Folgeschlüssen vertheidigt wird, das heißt bis zu dem Schlusse, daß der Mensch, auch in dieser Beziehung, nichts vor den Thieren voraus hat.
Der Erste welcher diesen Schluß in unerschrockener Weise gezogen und offen verkündet hat, war der vielgeschmähete französische Arzt und Philosoph La Mettrie, welchen Friedrich der Große an seinen Hof zog und so hoch achtete, daß er ihm nach seinem frühen Tode eine selbstverfaßte Gedächtnißrede in der Akademie, deren Mitglied er gewesen, widmete. Dieser geistreiche Arzt hatte aus seinen Beobachtungen am und im Krankenbette die feste Ueberzeugung gewonnen, daß die Aufstellung des Descartes auch auf den Menschen Anwendung finde, und legte diese Ansicht in einem kleinen lebendig geschrieben Buche „L’homme machine“ (der Mensch eine Maschine) nieder. Er machte die Ansicht des Descartes und Leibnitz, daß der thierische Körper einer Uhr mit unendlichen Rädern und Federn zu vergleichen sei, welche durch die Speisung immer neu aufgezogen und im Gange erhalten werde, zu seiner eigenen und meinte, daß sich in dieser Beziehung der menschliche Körper zu dem thierischen nicht anders verhalte, wie eine astronomische Normaluhr zu einer Schwarzwälder, oder wie ein Automat von Vaucanson zu den beweglichen Figuren einer Drehorgel. Obwohl er dabei nichts gethan, als die geheimen Ueberzeugungen älterer Philosophen auszusprechen und diejenigen einer großen Majorität in der Nachwelt vorweg zu nehmen, heftete sich der Haß der theils von seinem Spott gereizten, theils in ihrer Rechtgläubigkeit gestörten Zeitgenossen an seinen Namen, und man hat nichts gespart, um das Andenken dieses ersten Propheten der neueren Materialistenschule zu verunglimpfen. Selbst die französischen Encyclopädisten, welche nur mit andern Worten dasselbe predigten, stimmten in das allgemeine Verdammungsurtheil ein. Sein Tod, der in Folge reichlichen Genusses von einer wahrscheinlich verdorbenen Trüffelpastete an der Tafel des französischen Gesandten in Berlin erfolgte, gab einen willkommenen Anlaß, den lebenslustigen, aber in seinem Wandel vorwurfsfreien Mann als ein Nonplusultra von Schwelgerei, Sittenlosigkeit, Irreligiosität und Schlechtigkeit hinzustellen. Das Aufsehen, welches der Pariser Automatmensch in den Gelehrtenkreisen unserer Zeit hervorgerufen, scheint nicht ohne Einfluß geblieben zu sein auf das Andenken des Freundes Friedrichs des Großen, der zuerst den Menschen für einen Automaten erklärt hat, denn nicht nur die bezügliche kleine Schrift ist in den letzten Jahren in neuen Ausgaben und Uebersetzungen erschienen, auch das Charakterbild La Mettrie’s ist durch französische und deutsche Gelehrte von den entstellenden Flecken gereinigt worden. Im Schooße der Berliner Akademie hat dem arggeschmäheten Philosophen kürzlich Dubois-Reymond eine sympathische Gedächtnißrede gewidmet.
[606] Im Uebrigen hat der Umstand, daß man sich jetzt allerseits des in Vergessenheit und Verachtung gesunkenen La Mettrie erinnert, noch seine tieferen Gründe. Eine Reihe neuerer Forschungen hat gezeigt, daß sich der Automatismus des thierischen Körpers weiter verfolgen läßt, als man geglaubt hat. Vor Allem ist hier der seit dem Jahre 1870 in Gemeinschaft mit dem Privatdocenten Dr. G. Fritsch begonnenen Gehirnuntersuchungen des Prof. Ed. Hitzig aus Berlin (jetzt in Zürich) zu gedenken, um so mehr, als ein englischer Anatom alsbald Anstalten machte, die glänzenden Entdeckungen des deutschen Gelehrten an Kindesstatt anzunehmen. Hitzig entdeckte nämlich, daß, entgegen der früher allgemein herrschenden Ansicht, von scharf umschriebenen Stellen des freigelegten Vordergehirns der Säugethiere aus durch einen schwachen elektrischen Strom die verschiedenen Muskelgruppen des Körpers nach Belieben in Bewegung gesetzt werden könnten, gerade als ob dies aus eigenem Antriebe des Thieres geschähe. Einen kleinen Affen, eine Makakoart, welchen Hitzig im vergangenen Jahre (1874) von Director Bodinus zu diesen Versuchen erhalten hatte, konnte er auf diesem Wege zwangsweise eine Reihe von Bewegungen ausführen lassen, die von willkürlichen Bewegungen kaum zu unterscheiden waren. Nach dem Wunsche der Zeugen dieser Versuche griff der Affe mit der rechten oder linken Hand, sperrte das Maul auf und streckte die Zunge heraus. Dabei ist die Lage der Mittelpunkte für die verschiedenen Körperbewegungen bei derselben Thierart eine so übereinstimmende, daß Hitzig schon von außen am Schädel die Stelle des Gehirns andeuten kann, von welcher z. B. der linke Vorderfuß seine Bewegungsabtriebe empfängt. Bei verwandten Thierarten ist die Vertheilung eine ähnliche, und die Beobachtung zahlreicher Verwundeten mit Kopfschüssen, welche Hitzig und andere Forscher während des letzten Krieges angestellt haben, lassen keinen Zweifel darüber, daß die Vertheilung dieser Bewegungsmittelpunkte beim menschlichen Gehirne im Ganzen eine ähnliche ist wie bei den Affen.
Das sind für Diejenigen, welche von der Gebundenheit der Seele an körperliche Organe nichts wissen wollen, sehr ärgerliche Forschungsergebnisse, und wir können recht wohl die Quelle der äußerst heftigen Bewegung begreifen, welche sich seit Jahr und Tag gegen die Zulässigkeit der sogenannten Vivisectionen, das heißt der Zergliederungen lebender Thierkörper erhoben hat. Den deutschen Professor Schiff in Florenz soll man kürzlich auf der Straße mit Schimpfreden wegen seines jährlichen Hundeverbrauche, ja mit Steinwürfen verfolgt haben, und in England ist man daran, den Schutz der Parlamente und Regierungen gegen die Vivisectionen anzurufen. Man will sie unter polizeiliche Oberaufsicht stellen, als ob von Männern der Wissenschaft solche unütze Quälereien zu fürchten seien, wie wir sie täglich auf der Straße sehen müssen. Es wäre in der That besser, wenn jene, gewiß zum Theil wohlmeinenden, aber unklaren Leute, sich zunächst des Schicksals unserer treuen Schutzbefohlenen, der vielgeplagten Zug- und Schlachtthiere, annehmen wollten, statt sich mit verdächtiger Fürsorge und übel angebrachter Sentimentalität um jene Minderheit von Thieren zu kümmern, die in den physiologischen Laboratorien verbluten und deren Empfindlichkeit für Schmerzen oftmals, z. B. bei den Fröschen, eine ziemlich geringe sein mag.
Was endlich das Verhältniß des Seelischen zu dem thierischen Automatismus anbetrifft, so geben die Anhänger dieser Anschauung natürlich zu, daß das Seelische, welches bei den niederer Thieren nur wie eine Begleiterscheinung der Lebensvorgänge auftrat, sich in den höchsten zu einer gewissen Selbstständigkeit emporgerungen habe. Allein obwohl diese Absonderung eine so vollständige ist, daß, wie wir wissen, das Denkorgan tief erkranken kann, ohne den übrigen Körper erheblich in Mitleidenschaft zu ziehen, obwohl Vernunft und Selbstbewußtsein dem Leben und Wohlbefinden ziemlich entbehrlich scheinen, ist das Geistige doch in gesunden Verhältnissen mit dem Automatismus des Körpers so eng verstrickt, daß man nicht umhin kann, auch einen Automatismus des Denkens zu erkennen. Die scharfsinnigsten Selbstbeobachtungen und Grübeleien philosophisch angelegter Köpfe haben es nicht zu entscheiden vermocht, ob von einer vollendeten Willensfreiheit des Menschen zu reden sei, und die tiefsten Denker haben diese Frage verneint. Ohne Zweifel erhält der Körper beständig von dem Centralorgane, in welchem sich die Anregungen der Außenwelt vereinigen, seine Verhaltungsmaßregeln, aber nicht weniger oft wird es offenbar, daß der Körper der befehlende und der Geist der gehorchende Theil ist. Dieses Ineinanderwirken wird am lehrreichsten, wenn wir sehen, wie sich geistig Erworbenes zuletzt vollkommen dem körperlichen Automatismus einverleibt. „Unser Thier“, wie der geistvolle Xavier de Maistre den menschlichen Körper zu nennen pflegte, lernt nicht ohne saure Mühe laufen, reden, schreiben, Handarbeiten machen, Clavierspielen etc. Aber wenn die Muskeln einmal eingeübt sind, dann mag der Geist, der seine Schuldigkeit gethan hat, gehen, und „unser Thier“ spaziert bei völligster Gedankenabwesenheit umher, tanzt und spielt Clavier zum Entzücken, ja es soll eingeübte Automaten geben, die gleich den entsprechenden Maschinen von Kempelen und Vaucanson ganze Abende plaudern und dicke Bücher schreiben können, ohne den geringsten Gedanken dabei zu haben. Auch der Brief, den der Pariser Automatmensch ohne Bewußtsein geschrieben haben soll, gehört dahin. Hier geht der Automatismus des Körpers in den des Geistes über, und dieser Uebergang ist der nachdenklichste Punkt der ganzen Frage. Gleichwohl muß ich mich hier dem geneigten Leser empfehlen und ihm überlassen, die weiteren Schlüsse nach seinem Bedürfnisse zu ziehen.