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Der Ameisenkönig

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Der Ameisenkönig
Untertitel:
aus: Chinesische Volksmärchen, S. 136–138
Herausgeber: Richard Wilhelm
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Eugen Diederichs
Drucker: Spamer, Leipzig
Erscheinungsort: Jena
Übersetzer: Richard Wilhelm
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
E-Text nach Digitale Bibliothek Band 157: Märchen der Welt
Eintrag in der GND: [1]
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Bearbeitungsstand
fertig
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[136]
49. Der Ameisenkönig

Es war einmal ein Gelehrter. Er wanderte aus seiner Heimat aus und zog nach Emsendorf. Dort war ein Haus, von dem die Rede ging, daß es nicht ganz geheuer sei. Doch war es schön gelegen und von einem hübschen Garten umgeben. Darum mietete er sich dort ein. Eines Abends saß er über seinen Büchern. Plötzlich kamen mehrere hundert Ritter in das Zimmer herein gesprengt. Die waren winzig klein, und ihre Pferde waren etwa so groß wie Fliegen. Sie hatten Jagdfalken und Hunde bei sich so groß wie Mücken und Läuse.

Sie kamen auf das Bett in der Ecke und hielten dort eine große Jagd ab. Bogen und Pfeile, Netze und Schlingen: alles war ganz deutlich zu sehen. Sie erlegten auch eine unzählige Menge von Vögeln und Wild. Dieses Wild war aber alles nicht größer als Reiskörnchen.

Als die Jagd zu Ende war, da kam ein langer Zug mit Fahnen und Standarten herein. Sie trugen Schwerter an der Seite und schwangen Speere in den Händen. Sie machten Halt in der Nordwestecke des Zimmers. Ihnen folgten einige hundert Knechte. Die brachten Vorhänge und Decken, Zelte und Stangen, Kessel und Töpfe, Teller und Tassen, Tische und Stühle herbei. Wieder einige hundert Diener trugen alle möglichen feinen Gerichte, wie Wasser und Land sie bieten, auf. Wieder einige hundert liefen fortwährend hin und her, um die Straßen zu überwachen und Nachrichten zu vermitteln.

[137] Der Gelehrte gewöhnte sich allmählich an den Anblick. Obwohl die Männer winzig klein waren, konnte er doch alles ganz deutlich unterscheiden.

Nicht lange, so kam eine bunte Flagge. Hinter ihr ritt einer in scharlachfarbenem Hut und purpurnen Kleidern. Es umgab ihn ein Gefolge von mehreren Tausenden. Vor ihm schritten Läufer mit Peitschen und Stangen, die den Weg säuberten.

Ein Mann in eisernem Helm und einer goldenen Axt in der Hand rief mit lauter Stimme: „Seine Hoheit geruht, die Fische im Purpurteich zu betrachten!“ Darauf stieg der mit dem Scharlachhute vom Pferde und kam mit einem Gefolge von einigen hundert Mann auf die Tuschschale des Gelehrten. Auf der Tuschschale wurden Zelte aufgeschlagen und ein Festmahl bereitet. Da saßen Gäste in großer Zahl. Musikanten und Tänzer standen bereit. Purpurn und scharlachfarben, rot und grün mischten sich die Gewänder. Pfeifen und Flöten, Geigen und Pauken ertönten, und die Tänzer schwangen sich im Tanz dazu. Die Musik war zwar ganz leise; doch konnte man deutlich die Melodien unterscheiden. Auch alles, was gesprochen wurde, Tischreden und Befehle, Antworten und Rufe, konnte man ganz genau verstehen.

Nach drei Gängen sprach der im Scharlachhut: „Marsch, bereitet die Geräte zum Fischen!“

Im Nu warfen sie die Netze aus in dem Schüsselchen, in dem das Wasser zum Anreiben der Tusche war. Und sie fingen Hunderttausende von Fischen. Der Scharlachhut selber begnügte sich damit, die Angel auszuwerfen in den seichten Gewässern der Tuschschale. Er fing wohl ein Dutzend roter Karpfen.

Da befahl er dem Küchenmeister, die Fische zu kochen. Die verschiedensten Speisen wurden daraus bereitet. Und der Duft des Fetts und der Gewürze durchdrang das ganze Zimmer.

Der Scharlachhut wollte sich in seinem Hochmut einen [138] Spaß machen. Er deutete auf den Gelehrten und sprach: „Ich weiß nichts von allen den Schriften und Gebräuchen der Heiligen und Weisen und bin doch ein König hochgeehrt. Dieser Gelehrte da müht sich sein ganzes Leben ab über seinen Büchern, und er bleibt doch arm und bringt es zu nichts. Wenn er es über sich gewinnt, mir als Beamter treu zu dienen, so soll er auch zu unserem Mahle zugelassen werden.“

Das ärgerte den Gelehrten, und er schlug mit seinem Buch nach ihnen. Da stoben sie auseinander und krabbelten zur Tür hinaus. Er ging ihnen nach und grub die Erde auf an dem Platz, wo sie verschwunden. Da kam er auf ein Ameisennest, groß wie eine Tonne. Darin krabbelten zahllose grüne Ameisen herum. Er machte ein Feuer und räucherte sie aus.

Anmerkungen des Übersetzers

[397] 49. Der Ameisenkönig. Quelle: Tang Dai Tsung Schu.

Vgl. zu der Schilderung der Zwerge Goethes Hochzeitslied: „Wir singen und sagen vom Grafen so gern“.